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Achtes Kapitel. Karoline und Joachim Murat

Der herrschsüchtigen, selbstsüchtigen Elisa, der leichtsinnigen aber gutmütigen Pauline steht die dritte Schwester des Kaisers Napoleon als ehrgeizigste und klügste von allen zur Seite. Mit ihrer Geschichte ist aufs engste die Geschichte Murats verknüpft. Joachim Murat spielt nicht, wie Baciocchi und Borghese, eine Scheinrolle, im Gegenteil, er tritt als Hauptfigur in den Vordergrund. Napoleon achtete ihn seinen Brüdern gleich und verlieh ihm die höchsten Stellen und Ämter, zuletzt gab er ihm einen Thron, für den Murat allein die Verantwortung trug. Karoline übernahm nur die Rolle der ehrsüchtigen Anstifterin aller Intrigen, die sich während Murats Regierung im Großherzogtum Berg und in Neapel anknüpften.

44. Joachim Murat, König von Neapel.
Zeitgenössische Lithographie. Porträtsammlung der Nationalbibliothek in Wien

Sie war die jüngste Tochter Frau Letizias. Mit ihren korsischen Taufnamen hieß sie Marie Annunziata. Daß sie sich später Karoline nannte, ist nur darauf zurückzuführen, daß ihr Annunziata zu italienisch klang, denn alle Bonaparte waren eifrig bemüht, jede Spur ihrer italienischen Herkunft zu verwischen. Während Napoleon in Brienne die Schule besuchte, wurde seine kleine Schwester am 25. März 1782 in Ajaccio geboren. Er sah Annunziata zum erstenmal im Jahre 1786, als er als Artillerieleutnant aus Valence kam, um seinen Urlaub in der Heimat zu verbringen. Das kleine vierjährige Mädchen interessierte ihn damals nicht mehr und nicht weniger als seine anderen jüngeren Geschwister, übrigens ist die Kindheitsgeschichte der Kleinen so sehr mit dem Leben der anderen Familienmitglieder verknüpft, daß sie an dieser Stelle nicht nochmals wiederholt zu werden braucht.

Als Signora Letizia aus Korsika flüchten mußte, war Annunziata elf Jahre alt, Sie hatte, wie ihre Schwester Paulette, weder eine Erziehung noch irgendwelchen Unterricht genossen. Im Laufe der nächsten Jahre, mitten im Strudel der Ereignisse, dachten weder Mutter noch Brüder daran, die Kleine unterrichten zu lassen. Anfangs war Frau Letizia sehr arm und später kamen Glück und Reichtum so überraschend, daß man die Erziehung der jüngeren Kinder völlig außer acht ließ. Erst nach dem 13. Vendémiaire fand Napoleon ein wenig Zeit, sich um die persönlichen Angelegenheiten seiner Familie zu kümmern. Da lag ihm zuerst und vor allem die Erziehung des jüngsten Bruders Jérôme am Herzen, der ganz danach angetan zu sein schien, ein Tunichtgut zu werden. Um Marie Annunziata kümmerte der General sich weniger. Als Korse war er nicht gewöhnt, daß die Mädchenerziehung einer besonderen Sorgfalt bedürfe.

Annunziata war inzwischen zu einem frischen, liebenswürdigen Mädchen herangewachsen. In ihren noch kindlichweichen Zügen bemerkte man bereits eine Schönheit, die ganz eigenartig zu werden versprach. Ende Mai 1797 ging sie mit der Mutter und dem jungvermählten Paar Baciocchi nach Mombello, um ebenfalls ihren Teil zu dem Jugendglanze des Generalshofes beizutragen, den der gefeierte Sieger von Italien und seine reizende Josephine in dem schönen Schlosse um sich versammelten. Annunzialas entzückende Anmut und sanfte Lieblichkeit zogen aller Blicke auf sich. Zwar konnte sie nicht mit der sieghaften Schönheit Paulettes wetteifern, aber ihr kindliches, unverdorbenes Wesen verschaffte ihr viele Vorteile über die schöne, überreife Schwester, die doch kaum zwei Jahre älter war als sie. Vielen der jungen Generalstabsoffiziere Napoleons gefiel Annunziata mit den wundervollen großen unschuldigen Augen, den zierlichen Händen und Füßen und der halb kindlichen, halb mädchenhaften Gestalt besser als Pauline. Sie war wie der junge Frühling, überall, wo sie hinkam, verbreitete sie Sonnenschein und Glück. Besonders empfand das der General Murat, der schönste Offizier im Stabe des Generals Bonaparte. Er hatte alles, um einem jungen Mädchen zu gefallen. Vielleicht hätte es weniger bedurft, um dieses naive Kind ganz für ihn einzunehmen. Annunziata liebte ihn vom ersten Augenblick an.

45. Karoline Murat, Königin von Neapel.
Stich von Delaunoy nach einem Gemälde von Gérard. Porträtsammlung der Nationalbibliothek in Wien

Joachim Murat war ein großer, schlanker Gascogner von dreißig Jahren, vielleicht einer der auffallendsten Männer seiner Zeit. Er hatte eine wundervolle Gestalt. Schöne tiefblaue Augen, eine Adlernase, kühn geschwungene volle Lippen und eine blendende Hautfarbe verliehen dem ausgeprägten Soldatengesicht unwiderstehlichen Reiz. Kühnheit, Mut und Offenheit standen ihm auf der Stirn geschrieben. Lange kastanienbraune Locken fielen bis über die Schultern. Die ganze Erscheinung wirkte außerordentlich romantisch, wozu die phantastische Kleidung, die Federbüsche, Schärpen und Stickereien, mit denen er sich zu schmücken liebte, sehr viel beitrugen.

Murat war bei jedermann beliebt. Sein Äußeres allein gewann ihm alle Herzen; für ihn war die Schönheit, mit der ihn die Natur in so reichlichem Maße bedacht hatte, wirklich ein Freibrief. Wie hätte die fünfzehnjährige Annunziata diesem blendenden Eindruck entgehen sollen? Murats Augen sprachen zu ihr eine Sprache, die sie nicht allein verstand, sondern auch erwiderte.

Aber noch hielten beide ihre Liebe geheim. Noch hielt der General nicht um die Hand der Schwester seines Oberbefehlshabers an. Vielleicht schien ihm der Augenblick nicht günstig, oder er hatte damals noch nicht die ernste Absicht, sich zu verheiraten. Sicher wären die Umstände zu jener Zeit nicht besonders vorteilhaft für ihn gewesen. Der General Bonaparte war gerade damals sehr schlecht auf ihn zu sprechen, denn Murat hatte ihm Grund zur Eifersucht gegeben. Im Mai 1796 hatte er ihn nach Paris geschickt, um dem Direktorium den unterzeichneten Waffenstillstand von Cherasco zu überbringen, und dort war der leicht empfängliche Gascogner dem kreolischen Zauber der Frau Generalin Bonaparte unterlegen. Er hatte jedoch die Gunst, die ihm schöne Arme gewährten, nicht geheim halten können. Murat hatte geschwatzt und auch ein wenig geprahlt. Man kann sich vorstellen, daß Bonaparte einen gewissen Groll gegen ihn hegte. Am meisten aber verscherzte Murat sich die Gunst seines Oberbefehlshabers dadurch, daß er sich in Paris mit dem ränkesüchtigen Direktor Barras verband, und zwar einzig und allein in dem Bestreben, das Kommando über die Direktorialgarde zu erhalten. Murat war außerordentlich ehrgeizig und gedachte auf seine Weise hochzukommen. Er glaubte das am schnellsten und besten erreichen zu können, wenn er sich zum Werkzeug des Direktoriums machte.

Dem General Bonaparte blieben die kleinen Manöver Murats nicht verborgen. Er zeichnete ihn zwar durch eine Sendung ins Veltlin aus, es ist jedoch möglich, daß Napoleon damit einen doppelten Zweck verband. Sollte er nicht gerade Murat dazu ausersehen haben, nur um ihn von Mombello zu entfernen? Der Liebesroman seines Adjutanten mit Annunziata war ihm vielleicht schon zu weit gediehen. Jedenfalls merkte man damals nichts von besonderer Begünstigung, die General Murat von Seiten seines Oberbefehlshabers genoß. Bonaparte nahm ihn weder mit nach Rastatt noch nach Paris. Murat mußte bei der Italienischen Armee bleiben.

Erst während des Feldzugs in Ägypten schenkte der Obergeneral dem tapferen Soldaten mehr Aufmerksamkeit. Murat hatte sich besonders als Reitergeneral bei Alexandria, Cairo, Salahije, Gaza, Damanhur und Akka ausgezeichnet, das verdiente Anerkennung. Noch aber genoß er nicht das unumschränkte Vertrauen Bonapartes. Erst seine glänzende Waffentat bei Abukir siegte über den Groll, den ihm der General bis dahin bewahrt zu haben schien. Murat hatte es fertig gebracht, das Heer des Sultans ins Meer zu treiben. Das Lager der Muselmanen mit seinen unermeßlichen Schätzen war in seine Hände gefallen, und mit eigener Hand hatte er Mustapha Pascha eine gefährliche Wunde beigebracht. Bonapartes Soldatenherz konnte sich vor so großen militärischen Verdiensten nicht verschließen. Er ernannte Murat zum Divisionsgeneral, und als er bald darauf Ägypten verließ, nahm er ihn mit nach Frankreich.

Der leicht erregbare Gascogner ging jetzt ganz in Bewunderung und Dankbarkeit für Bonaparte auf. Vielleicht ließ ihn auch kluge Berechnung vollkommen in der Ergebenheit für den heimkehrenden Oberbefehlshaber verharren. Nach Barras, »seiner Stütze«, fragte er gar nicht mehr. Er merkte wohl, daß die Macht des Direktors bald zu Ende war. Betrachtete man in Frankreich doch allenthalben Bonaparte als den Retter, den »Messias«, von dem alles Heil kommen sollte.

In Paris sah Murat auch Annunziata wieder, die man jetzt Karoline nannte. Sie war im Jahre 1797 nicht mit Josephine von Mailand nach Paris zurückgekehrt, sondern im August mit ihrem Bruder Joseph und dessen Gattin Julie nach Rom gegangen, denn Joseph war zum Gesandten am päpstlichen Hofe ernannt worden. Pius VII. hatte sie mit großen Ehren und Auszeichnungen empfangen, und die Einwohner Roms waren ihnen jubelnd entgegengekommen. Sogar der fünfzehnjährigen Schwester des neuen Gesandten brachte man Huldigungen dar, und die kleine Annunziata war nicht wenig stolz darauf. Aber das alles hatten sie einzig und allein dem Namen des Generals Bonaparte zu verdanken, der die ganze Welt mit seinem Ruhme erfüllte.

Wie man weiß, war der Aufenthalt Josephs in Rom nur von kurzer Dauer. Ende desselben Jahres kehrte er bereits wieder nach Paris zurück, und mit ihm auch Annunziata-Karoline.

Erst jetzt dachte man daran, die mangelhafte Bildung des jungen Mädchens zu ergänzen. Es fehlte Karoline an den elementarsten Kenntnissen, denn sie hatte noch nie eine Schule besucht. Man beschloß daher, sie zu Frau Campan, wo sich auch Josephines Tochter, die talentvolle Hortense de Beauharnais befand, in Pension zu geben. Beide Mädchen schlossen bald Freundschaft miteinander. Leider verwandelten sich ihre Gefühle später in den tödlichsten Haß, der besonders von Karolines Seite aus geschürt wurde.

Als der General Bonaparte aus Ägypten zurückgekehrt war, durften Hortense und Karoline die Erziehungsanstalt für einige Wochen verlassen, um in der Familie des gefeierten Generals zu leben. Für Karoline besonders waren es herrliche Tage, die sie in dem kleinen, eleganten Hause der Rue de la Victoire verbrachte. Josephine überschüttete ihre junge hübsche Schwägerin mit Liebenswürdigkeiten und ermöglichte ihr manche Zusammenkunft mit Murat, den sie jetzt nicht mehr für sich beanspruchte.

Die Liebe des Generals zu Karoline war seit der Begegnung in Mombello nicht erkaltet, im Gegenteil, sie wurde immer leidenschaftlicher. Aber nur 14 Tage lang konnte Karoline dieses Glück genießen. Am 16. Brumaire wurde sie mit Hortense wieder nach Saint-Germain zu Frau von Campan geschickt. Sie ahnten nicht, welche Ereignisse sich in Saint-Cloud vorbereiteten, und daß der General Bonaparte am Vorabende seiner Machthaberschaft über Frankreich stand.

Bald wurden jedoch auch Karoline und Hortense von der Veränderung in Kenntnis gesetzt, die am 18. Brumaire vor sich gegangen war. In der Nacht des 19. Brumaire klopften plötzlich vier Grenadiere an die festverschlossenen Türen des Mädchenpensionats der Frau von Campan und brachten, wie man sich denken kann, das ganze Haus in Aufruhr. Sie waren von dem verliebten Murat gesandt worden, damit Karoline die Nachricht von der Erhebung ihres Bruders zum Staatsoberhaupt aus erster Hand erführe. »Man stelle sich vier Grenadiere vor den Toren eines Klosters vor!« schreibt Hortense; »die Aufregung war allgemein. Frau Campan tadelte offen die soldatische Art und Weise, mit der man uns die Nachricht übermittelte. Karoline aber sah darin nur einen Beweis von Ritterlichkeit und Liebe.«

Murat selbst hatte einen gewissen Anteil an den Ereignissen des 18. und 19. Brumaire. Am 18. bewachte er mit seiner Kavallerie das Palais Bourbon, und am 19. war er in Gemeinschaft Lefebres der Hauptanstifter der militärischen Vorgänge in Saint-Cloud. Als Bonaparte beim Verlassen des Sitzungssaales des Rates der Alten seine Truppen anredete und ihnen mitteilte, daß er soeben beinahe ermordet worden wäre, da wich Murat nicht von seiner Seite. Er versuchte die Soldaten auf den Hauptschauplatz zurückzuführen. Er befand sich auch unter den Offizieren, die die Abgeordneten aus dem Saale trieben und riefen: »Bürger, Ihr seid aufgelöst!« Seine Grenadiere spornte Murat mit den Worten an: »Schmeißt mir die ganze Bande da zum Fenster hinaus!«

Der erste Konsul wußte ihm Dank für diese Dienste. Am 2. Dezember 1799 ernannte er Murat zum Befehlshaber der Konsulargarde. Aber an eine Heirat des tapferen Offiziers mit seiner Schwester dachte Bonaparte auch nach dem 18. Brumaire noch nicht. Er ignorierte sogar vollständig das Liebesverhältnis, das zwischen beiden längst bestand, denn am 24. Brumaire, also sechs Tage, nachdem Murat ihm so vorzügliche Dienste geleistet hatte, ließ er im »Moniteur« bekannt machen, daß eine seiner Schwestern sich mit dem General Moreau verheiraten werde. Da Elisa und Pauline bereits vermählt waren, konnte es sich nur um Karoline handeln. Moreau jedoch schlug das Angebot seines Rivalen aus; sein Stolz verbot ihm, zu der Familie des Italienischen Siegers in verwandtschaftliche Beziehung zu treten.

Man nennt noch zwei andere Freier, die sich um Karolines Hand bewarben. Von beiden ist es jedoch ausgeschlossen, daß sie Schwager des Ersten Konsuls werden wollten. Einer davon soll Lannes gewesen sein. Er war aber bereits seit dem Jahre 1794 verheiratet und ließ sich erst im August 1800 von seiner Frau scheiden. Der andere, Augereau, war gleichfalls damals durch zarte Bande gefesselt, die erst der Tod der betreffenden Dame im Jahre 1806 löste.

Nach der Ablehnung des Generals Moreau befand der Erste Konsul sich in nicht geringer Verlegenheit wegen der Bekanntmachung im »Moniteur«. Und dieser Umstand begünstigte schließlich die Werbung Murats. Karoline tat ihrerseits das Nötige, um ihre Herzensangelegenheit zu fördern. Besonders aber bemühte die schlaue Josephine sich um die Liebenden. Sie wollte sich in ihnen auf immer zwei Verbündete gegen die Familie Bonaparte schaffen. Man sagt auch, sie habe sich nur deshalb so große Mühe um die Heirat Karolines mit Murat gegeben, damit jeder Verdacht der Untreue von ihr selbst abgelenkt werde. Es wird ihr aber wohl vor allem darum zu tun gewesen sein, sich in beiden starke Bundesgenossen zu sichern. Wie bitter täuschte sich die arme Josephine in ihrer jungen Schwägerin!

Der Erste Konsul war durchaus nicht sogleich mit dieser Verbindung einverstanden. Er zögerte sehr, ehe er seine Einwilligung dazu erteilte. Sogenannte Liebesheiraten waren Napoleon nicht angenehm. Er behauptete, die jungen Mädchen wählten sich nur den Mann, »der ihrer erhitzten Phantasie gefiel«. Da sich jedoch alle Mitglieder der Familie zugunsten des Generals erklärten und Napoleon immer wieder daran erinnerten, wie tapfer sich Murat bei Abukir benommen und welche hervorragende Dienste er ihm am 18. Brumaire geleistet habe, da gab der Erste Konsul endlich nach.

Am 18. Januar 1800 wurde im Beisein Napoleons und fast aller Angehörigen der Heiratsvertrag Karolines und Murats im Luxembourgpalast unterzeichnet. Die Braut erhielt von ihren Brüdern eine Mitgift von 40.000 Franken und für 12.000 Franken Schmuck, Kleider, Wäsche usw. Murat machte es, wie seinerzeit der General Bonaparte, als er sich mit Frau von Beauharnais verheiratete: er gab kein Vermögen an, weil er keins besaß. Er war der Sohn eines Gastwirts und von Haus aus arm. Er sicherte aber seiner Gattin 13.333 Franken als Zuschuß der Mitgift zu, denn als General hatte er bereits ein hohes Einkommen.

Murat war überglücklich. Am Vorabend seiner Hochzeit schrieb er freudig an seinen Bruder: »Morgen werde ich der glücklichste aller Menschen sein! Morgen werde ich die geliebteste aller Frauen mein eigen nennen.« Am 20. Januar fand die bürgerliche Trauung in Plailly bei Mortefontaine nach den republikanischen Gesetzen statt. Die kirchliche Zeremonie wurde erst zwei Jahre später durch den Kardinal Caprara vollzogen. Bei der Trauung in Mortefontaine waren jedoch weder Napoleon noch Josephine zugegen. Nur Letizia, Fesch und Louis hatten sich von den Familienmitgliedern eingefunden. Louis und der General Leclerc dienten der Braut als Zeugen, während Murat den ehemaligen Kriegsminister Bernadotte und den Rechtsgelehrten Calmelet gewählt hatte.

Murat konnte sich in der Tat glücklich schätzen, Karoline zur Frau bekommen zu haben. Nicht nur, weil sie die Schwester des Ersten Konsuls war und wegen der damit verbundenen Ehren, sondern um Karolines selbst willen. Sie war eine entzückende Frau. Ihre Haut war blendend weiß und seidenweich. Die Herzogin von Abrantes sagt, Frau Murat habe einen Teint gehabt wie weißer, rosa angehauchter Atlas. Ihre Hände und Füße waren so zierlich und so schön geformt, daß sie einem Künstler zum Vorbild dienen konnten. Und dann, die herrlichen Zähne! Wie Perlen standen sie in dem kleinen Mund. Zur Zeit Karolines Heirat war ihre jugendliche Gestalt noch sehr schlank und ebenmäßig, später bekam sie leider zu starke Hüften, und der Oberkörper wurde ein wenig plump und kurz.

Mit so großen äußeren Vorzügen vereinte die achtzehnjährige Karoline ein sehr angenehmes Wesen. Sanftmut und Fügsamkeit waren ihr im hohen Maße eigen und ließen damals noch nicht vermuten, zu welcher ehrsüchtigen und energischen Frau sie sich einmal entwickeln würde. Doch auch noch später wußte Karoline durch Anmut und Liebenswürdigkeit die Menschen zu gewinnen. Viele Zeitgenossen Murats entwerfen von Karoline das verführerischste Bild. Sogar ihre Pensionsfreundin Hortense, die sie später durchaus nicht liebte, beschreibt sie als das bezauberndste Wesen, das man sich nur vorstellen kann. Wie hätte da Murat, der heißblütige Gascogner, nicht entflammt sein sollen? Und er war es im wahren Sinne des Wortes. Seine blauen Augen strahlten vor Glück. Sein offenes Gesicht schien wie in Sonnenschein getaucht zu sein, wenn er an der Seite seiner entzückenden Frau erschien. Er war sich wohl bewußt, welch selten schönes Paar sie beide bildeten. Karoline zierlich, frisch, blond, unschuldig und sanft; Murat groß, kräftig wie der verkörperte Gott des Kriegs, mit wallenden Locken und kühnem Soldatenblick.

Vor seiner Ehe hatte er in der Rue des Citoyennes, heutigen Rue Madame, gewohnt. Jetzt bezog er mit Karoline das Palais Brienne im Tuileriengarten. Im Mai 1800 aber schenkte der Erste Konsul dem jungen Paar das nötige Geld zu einem Landsitz. Murat erwarb einen Teil des Grundbesitzes einer Frau Petit-Jean de Ménarchets in Villiers bei Paris und ein kleines Landhaus. Aus diesem Grundbesitz entstand später das prächtige Neuilly, das Pauline erwarb. Sie verlebte dort die schönsten Augenblicke ihres Lebens.

Die jungen Leute schienen beide äußerst zufrieden und glücklich zu sein. Karoline war klug genug, sich noch nicht um die gehässigen Familienzänkereien zwischen den Beauharnais und den Bonaparte zu kümmern. Sie lebte mit Josephine, obgleich sie sie nicht besonders leiden mochte, im besten Einvernehmen. Vorläufig amüsierte sich die junge Madame Murat noch nach Herzenslust auf Bällen und Festen und dachte nicht ans Ränkeschmieden. Ihre fröhliche Jugend brachte überall Leben und Freude hin, wo sie sich zeigte.

Leider wurde der Honigmond in Karolines reizendem Hause in Paris jäh unterbrochen. Murat war am 20. April 1800 zum ersten Offizier des Oberbefehlshabers der Reservearmee und zum Kommandeur der Kavallerie dieses Heeres ernannt worden. Den Oberbefehl über die Konsulargarde übernahm General Lannes an Murats Stelle. Es hieß also, sich zum Heere zu begeben und mit dem Ersten Konsul am zweiten Italienischen Feldzug teilzunehmen. Die Trennung war für beide schwer, aber sie mußte sein. Im Kriegsgetümmel vergaß Murat bald den Schmerz, von seiner geliebten Karoline entfernt zu sein. Er war mit Leib und Seele Soldat; den Krieg war er gewöhnt. Seine Reiterangriffe waren immer glänzend. Und so zeichnete er sich auch diesmal ganz besonders bei Piacenza aus. In der Nacht vom 2. zum 3. Juli kehrte er siegestrunken und lorbeergekrönt wieder zu seiner kleinen Frau nach Paris zurück.

Karoline hatte sich währenddessen in der Hauptstadt die Zeit nicht lang werden lassen. In diesem klugen Frauenkopfe machten sich bereits die ersten Anzeichen jenes Ehrgeizes bemerkbar, den sie später so maßlos an den Tag legte. Daß Murat der Oberbefehl über eine ganze Armee anvertraut würde, war ebenso sehr ihr Wunsch wie der ihres Mannes. Während er sich tapfer in Italien mit den Österreichern herumschlug, tat seine Frau in Paris alles, um sich in der Familie des Ersten Konsuls, bei den Beauharnais, beliebt zu machen. Karoline war Frau genug, um zu wissen, daß ein Mann wie Napoleon besonders die Leute liebte, die es verstanden, mit Josephine umzugehen. Sie wich daher nicht von der Seite ihrer Schwägerin, besuchte mit ihr alle Bälle, Feste und Theater und schien für die Frau ihres Bruders eine Bewunderung und Ergebenheit zu empfinden, die von Seiten einer Bonaparte mehr als befremdend erscheinen mußten. Josephine fand jedoch nichts Besonderes darunter. Karoline verfolgte daher hartnäckig ihr Ziel. Die Beauharnais wußten ihr Dank dafür. Sie nannten sie stets nur »die kleine reizende Frau, die sich bewunderungswürdig benahm«. Sie ahnten nicht, was die schlaue Karoline mit ihrer Liebenswürdigkeit im Schilde führte. Sie verstand es wundervoll, sich mit ihrem bescheidenen, sanften Wesen bei der Frau Konsulin einzuschmeicheln. Die gute Josephine zeigte sich für jedes freundliche Wort erkenntlich und war gern bereit, für Karolines Gatten bei Napoleon als Fürsprecherin aufzutreten. Aber die Bemühungen beider Frauen führten zu nichts anderem, als daß Murat am 2. August 1800 zum Befehlshaber einer Division Grenadiere und Aufklärer ernannt wurde. Für seine Tapferkeit in Italien hatte er bereits am 23. Juni einen Ehrensäbel von den drei Konsuln der französischen Republik erhalten.

Die Ernennung Murats hatte jedoch einen besonderen Vorteil für Karoline. Die Division ihres Gatten kantonierte nämlich zwischen Amiens und Beauvais, nicht weit von Paris! Sie brauchten also nicht mehr für lange Zeit voneinander getrennt zu sein. Murat konnte öfter seine Frau in der Hauptstadt besuchen, übrigens betrachtete er auch diesen Posten nur als einen vorläufigen. Seine Hoffnung auf einen baldigen Oberbefehl war unerschütterlich. Er konnte sich nicht vorstellen, daß die Dienste, die er dem Schwager am 18. Brumaire geleistet hatte, nicht besser belohnt werden sollten. Besonders war sein ganzes Streben auf die neugebildete Reservearmee von Dijon gerichtet.

Es stellte sich jedoch um diesen Posten ein Wettbewerber ein, den Joseph Bonaparte sehr protegierte. Es war sein Schwager, Jean Bernadette, der die kleine Désirée Clary, die einstige Verlobte Napoleons, geheiratet hatte. Murat war außer sich über eine solche Bevorzugung. Er verhehlte seine Empörung und Wut durchaus nicht. »Niemals werde ich«, schrieb er am 13. November 1800 an Joseph in Lunéville, »niemals werde ich es ruhig mit ansehen, daß die Macht in die Hände eines Mannes gelegt wird, der am 18. Brumaire sich unter denen befand, die Deine Familie als ›vogelfrei‹ erklärten.« Bernadette erhielt jedoch, trotz aller Protektion Josephs, den beneideten Posten nicht, und Murat siegte. Der Erste Konsul ernannte seinen Schwager am 20. November 1800 zum Befehlshaber des Observationskorps von Dijon, und sieben Tage später trat Murat seinen Posten an.

Er war jedoch noch nicht zufrieden. Seine Machtbefugnis erstreckte sich nicht weiter als auf die eines Divisionsgenerals. Er selbst stand unter den Befehlen des Generals Brune. Der eitle Gascogner aber ersehnte für sich die Gewalt eines Oberbefehlshabers. Jene fast kindische Eitelkeit, die Murat sein ganzes Leben lang bewahrte, zeigt sich so recht in dem Briefe, den er am 5. Dezember 1800 an den Kriegsminister richtete. Unter anderem schrieb er: er erkenne nur den Ersten Konsul als Oberbefehlshaber an, wenn er es nicht selbst sein solle; man möchte seinem Armeekorps noch einige Regimenter beifügen. Fortwährend hatte er etwas zu fordern, zu klagen, zu murren, was ihn jedoch nicht hinderte, die Befehle, die er vom Ersten Konsul erhielt, mit größter Genauigkeit auszuführen. Schließlich, wenn auch murrend, gelangte er Ende Dezember in die Hauptstadt der zisalpinischen Republik.

In Mailand erfuhr Murat den Mordanschlag, den man am 3. Nivôse in der Rue Sainte-Niçaise mittels der sogenannten Höllenmaschine auf den Ersten Konsul unternommen hatte. Dabei wäre auch Karoline beinahe ums Leben gekommen. Sie hatte an jenem Tage in den Tuilerien gespeist und wollte mit Napoleon, Josephine und Hortense nach dem Souper ins Théâtre Français fahren, obwohl sie wenige Tage vor ihrer Niederkunft stand. Der Wagen des Ersten Konsuls war bereits vorausgefahren, während die Equipage Josephines noch vor den Tuilerien auf die Damen wartete, die mit ihrer Toilette nicht fertig werden konnten. Diesmal war es ein Glück, daß Josephine sich verspätete. Die Höllenmaschine platzte, kurz nachdem der Wagen Napoleons vorüber war. Wäre Josephine mit ihrer Tochter Hortense, mit Karoline Murat und dem Adjutanten General Rapp pünktlich gleich nach Napoleon weggefahren, so hätte sie die tödliche Bombe getroffen und zerschmettert, die für den Ersten Konsul bestimmt war. Frau Bonaparte war halb tot vor Angst und Schreck, ebenso ihre Tochter; sie zitterten am ganzen Körper, als sie in der Loge des Ersten Konsuls erschienen. Karoline hingegen blieb ruhig und gefaßt und verlor nicht einen Augenblick ihre Geistesgegenwart. Jedermann fürchtete für ihren Zustand, nur sie allein war ganz sorglos.

Man kann sich denken, wie besorgt Murat um seine Frau war, die er seit Monaten nicht gesehen hatte. Es quälte ihn auch der Gedanke, daß ihm der Erste Konsul weder auf seine Briefe antwortete noch ihm irgendein Wort zukommen ließ. Seit seiner Abreise von Paris hatte Murat keinen Brief von Napoleon erhalten. Wahrscheinlich wollte der Erste Konsul auf diese Weise dem ewigen Klagen und Fordern seines anspruchsvollen Schwagers aus dem Wege gehen. Denn Murat verlangte auch jetzt noch mit der größten Hartnäckigkeit ein Oberkommando. Als ihm Napoleon nicht schrieb, meinte er, es geschähe, weil er unzufrieden mit ihm sei. Er bat daher seinen Schwager, zu Karoline zurückkehren zu dürfen. Dadurch glaubte der eitle Mann übrigens auch am besten dem seiner Meinung nach für ihn schimpflichen Oberbefehl Brunes zu entgehen. Aber Napoleon kannte seinen Schwager. Er brach sofort das Schweigen und machte ihm auf energische Weise den Standpunkt klar. »Ich billige durchaus nicht alle Ihre Einwände«, antwortete er Murat; »ein Soldat soll seiner Frau treu bleiben, sie aber nur dann wiederzusehen wünschen, wenn man weiß, daß er alle seine Pflichten erfüllt hat. Ich rechne damit, daß Sie am 10. Pluviôse in Ancona sein werden. Marschieren Sie mit allen Ihren Truppen dorthin. Ich wünsche zu hören, daß Sie sich dieser Festung bemächtigen und darin 12.000 Mann Elitetruppen mit 30 Geschützen vereinigt haben, dann erst werden Sie die Ihnen nötigen Befehle erhalten. Korrespondieren Sie mit dem General Brune, wie Sie es Ihrem Oberbefehlshaber so gut wie dem Kriegsminister schuldig sind.«

Das war deutlich. Murat hütete sich wohl, noch weitere Einwände zu machen, zumal der Erste Konsul ihm bereits einige Tage zuvor, am 13., erklärt hatte, daß er unter den Befehlen Brunes zu bleiben habe. Gleichzeitig aber erwies Napoleon ihm doch dadurch eine große Auszeichnung, daß er ihm befahl, Toskana zu besetzen. Und das söhnte Murat wieder ein wenig aus.

Inzwischen sah Karoline in Paris ihrer ersten Niederkunft entgegen. Napoleon war äußerst besorgt um seine junge Schwester. Er schätzte sie ihrer klugen Eigenschaften wegen sehr und sah mit einer gewissen Befriedigung, daß sie in ihrer Ehe nicht ohne Einfluß war. Jetzt, in ihrer schweren Stunde, da sie fern von dem Gatten weilte, sorgte er wie ein Vater für sie. Er fürchtete ernstlich, der Schreck am 3. Nivôse könne ihr geschadet haben. Aber am 21. Januar 1801 brachte Karoline Murat einen schönen gesunden Knaben zur Welt, den der Erste Konsul mit seiner Stieftochter Hortense über die Taufe hielt. Man nannte ihn Achille Charles Louis Napoléon. Der Kleine entwickelte sich später prächtig, geistig und körperlich, und sein Onkel liebte ihn ebenso zärtlich wie den Sohn Hortenses, den er anfangs zu seinem Thronerben ausersehen hatte. Der glückliche Vater jedoch sah seinen Sohn erst im Mai, als Karoline mit dem Kinde nach Florenz kam.

Murats Ehrgeiz war inzwischen außerordentlich durch die Erfolge gehoben, die er in Rom errungen hatte. Es war ihm gelungen, die Neapolitaner aus dem Kirchenstaat zu vertreiben und mit ihnen den Separatfrieden vom 28. März abzuschließen. Der Papst hatte den General ganz besonders ausgezeichnet und ihn mit den kostbarsten Geschenken überhäuft. Karoline war sehr stolz auf ihren berühmten Mann, dessen Name jetzt in aller Munde war. Aller Ruhm galt dem Ehrgeizigen jedoch nichts im Vergleich zu der Genugtuung, die ihm endlich von Seiten des Ersten Konsuls ward. Murat hatte nicht aufgehört, dem Ersten Konsul die Dienste vor Augen zu führen, die er, der General Murat, dem Vaterland geleistet hatte! Damit hoffte er nun endlich zu dem ersehnten Grade eines Oberbefehlshabers zu gelangen. Er geizte auch nicht mit Beschimpfungen und Verleumdungen gegen den General Brune; seine Briefe an Napoleon und den Kriegsminister sind voll davon. Aber es war ihm dennoch nicht möglich, vom Ersten Konsul eine Antwort zu erhalten. Schließlich verlor er die Geduld und beschloß, eigenmächtig zu handeln. Er verlieh einfach dem Observationskorps, das er befehligte, den Namen »Armee«. Sich selbst nannte er »General en chef«. Dem Kriegsministerium gegenüber rechtfertigte er sein Handeln damit, daß er sagte, man habe ihm längst das Versprechen zu dieser Ernennung gegeben. Übrigens sei er ebenso gut dazu ermächtigt wie der General Championet, der sich Oberbefehlshaber der Armee von Neapel genannt habe, sobald er in Neapel eingezogen sei. Das gleiche Recht stehe auch ihm zu.

Und merkwürdig, dieser kühne Streich gelang Murat! Am 15. Februar 1801 unterzeichnete Napoleon in Paris die Bestätigung zur Ernennung seines Schwagers als Obergeneral der Observationsarmee des Südens. Murat erhielt das Schriftstück am 24. Februar in Rom. Sein sehnlichster Wunsch war erfüllt. Er befehligte über eine ganze Armee! Es blieb ihm nichts weiter zu wünschen übrig als seine Rückkehr nach Frankreich. Die Sehnsucht nach seiner Frau und seinem Söhnchen wurde immer stärker. Er hätte sich ja auch in Paris seines Ruhmes mehr gefreut als in Italien, wo ihn fremde Menschen umgaben. Daher schrieb er an den Ersten Konsul, er möchte ihm nun erlauben, nach der Hauptstadt zurückzukehren. Er versuchte sogar, auf das Gefühl und den Familiensinn Napoleons zu wirken. »Herr General«, schrieb er, »Sie würden gewiß eine sehr schlechte Meinung von mir bekommen, wenn ich Ihnen gegenüber nicht den Wunsch äußerte, meine gute Karoline und meinen kleinen Achille an mein Herz zu drücken. Man muß Vater sein, um ganz zu fühlen, wie nötig dieses Wiedersehen zu meinem Glück ist. Ich zittere um die Mutter; sie ist unvorsichtig, sie geht aus ...« Gleichzeitig gestattete Murat sich also auch mit diesen gefühlvollen Worten einen kleinen Seitenhieb auf Napoleon und Josephine, denen es nicht vergönnt war, Kinder zu bekommen. »Man muß Vater sein ...« Dieses Gefühl kannte freilich Napoleon damals noch nicht!

Murats Wunsch konnte ihm trotz allem nicht erfüllt werden. Es gab noch vieles in Italien zu tun; man brauchte ihn dort. Es hieß Elba besetzen, das die Engländer behaupteten. Ferner mußte in Toskana die Ordnung wieder hergestellt und in Florenz Louis I. von Etrurien wieder auf den Thron gesetzt werden. Zu derartigen Feierlichkeiten eignete sich der phantastische, prunkhebende Gascogner wundervoll. Mit seinen prächtigen, exzentrischen Uniformen, seinen Federbüschen, Goldfranzen, juwelengeschmückten Waffen, seiner großen herrlichen Gestalt und dem offenen soldatischen Wesen machte er eine sehr repräsentable Figur. Das Volk jauchzte diesem schönen Reitergeneral zu, und überall empfing man ihn, besonders auch als den Schwager des Ersten Konsuls, mit Auszeichnung.

Und zu all diesen äußerlichen Befriedigungen seines Herzens, das trotz allem der Kindlichkeit und Harmlosigkeit nicht entbehrte, ward Murat noch die Freude, seine Karoline, die er wirklich liebte, wiederzusehen. Sie brachte ja auch seinen Sohn mit, den er zum erstenmal in seine Arme nehmen sollte. Bonaparte hatte seiner Schwester endlich erlaubt, zu ihrem Mann nach Florenz zu reisen. Am 6. Mai traf sie mit dem kleinen, drei Monate alten Achille dort ein. Murats Glück war wirklich groß. »Ich bin der glücklichste Mensch«, schrieb er an seine Mutter; »ich habe meine Karoline und meinen kleinen Achille bei mir!« Und die Vaterfreude brach auch in jedem Briefe an Napoleon durch. Mochte Murat ihm die ernstesten Mitteilungen über Politik oder Krieg zu machen haben, nie vergaß er ein paar Worte über seinen kleinen Sohn hinzuzufügen. Dann hieß es entweder »Achille ist reizend«, oder »Achille hat schon zwei Zähne«. Der ganze Stolz des überglücklichen Vaters spricht aus diesen flüchtig hingeworfenen Bemerkungen.

Das einzige, was dieses zufriedene Eheglück störte, war die beständige Sorge, die sich Murat um die schlechte finanzielle Lage seines Heeres machte, umsomehr, da er auch in dieser Hinsicht nichts vom Ersten Konsul erlangen konnte. Er machte daher seinem Unwillen dem Schwager gegenüber in Worten Luft, deren er sich kaum später, zurzeit seines Abfalls von Napoleon, wieder bediente. Nebenbei beschwerte er sich auch bitter über andere Dinge; alles kam zur Sprache. Vor allem kränkte es ihn tief, daß ihn der neue Hof von Etrurien nicht mit der Auszeichnung behandelte, wie er erwartet hatte und wie es ihm zuzukommen schien. Er war am 27. Juli von Napoleon zum Oberbefehlshaber der zisalpinischen Truppen ernannt worden, d. h. er hatte nun das Kommando über alle in Italien befindlichen französischen Armeen. Dieses bedeutenden Postens war er sich wohl bewußt und verlangte, daß man ihn seiner Würde gemäß behandle.

Kurz ehe er sein Hauptquartier in Mailand aufschlug, wurde er am 15. August von dem neuen Königspaar von Etrurien mit Karoline zur Tafel an den Hof gezogen. Durch einen Zufall saß aber General Murat nicht, wie ihm eigentlich gebührt hätte, neben der Königin. Frau Murat hingegen hatte den König an ihrer Seite. Der Herr Oberbefehlshaber war also gezwungen, sich zu seinen Offizieren zu setzen. Alle waren über eine solche Vernachlässigung und Zurücksetzung ihres Obergenerals empört, am wütendsten aber war Murat selbst. »Ich war gezwungen«, schrieb er nach diesem Diner an den Ersten Konsul, »mich dahin zu setzen, wo ich Platz fand, da die Königin bei Tafel Caleppi an ihre Seite rief. Und das tat sie vor allen meinen Generalen und in Gegenwart des ganzen Adels! Auf allen Gesichtern konnte man das Erstaunen darüber lesen. Meine Offiziere zeigten die tiefste Verachtung durch ihre Blicke. Ich mußte meine ganze Kraft zusammennehmen, um nicht etwas zu tun, was Ihnen mißfallen hätte, was jedoch durch die Unerfahrenheit des Königs und die Frechheit Caleppis, der vergaß, daß ich in Italien befehlige, gerechtfertigt gewesen wäre.«

Wut und Haß gegen den etrurischen Hof im Herzen, begab Murat sich im August 1801 nach seinem neuen Hauptquartier Mailand. Wie er früher gegen Brune geschimpft hatte, so richteten sich jetzt seine Anklagen gegen Berthier und den außerordentlichen französischen Gesandten Petet, den wirklichen Machthaber der zisalpinischen Republik seit Marengo. Den galanten Berthier beschuldigte er übertriebener Ritterlichkeit gegen die Frauen und Petiet tadelte er, daß er die Fremden, die Venetianer, begünstige. Niemand konnte es ihm recht machen. Er hatte immer etwas zu klagen und zu intrigieren, vielleicht um seine Vorzüge um so mehr leuchten zu lassen.

Darin wurde er von seiner klugen Frau aufs kräftigste unterstützt. Karolinie entschloß sich im Oktober wieder nach Paris zurückzukehren, denn sie war von neuem guter Hoffnung. Dem General kam die Trennung von ihr sehr schwer an. Sie waren vier Monate beisammen gewesen und, abgesehen von einer kleinen Leichtfertigkeit Madame Murats, die mit einem der Offiziere ihres Gatten eine kurze Reise nach Venedig unternommen hatte, war ihr Leben sehr glücklich und ungetrübt dahingegangen. In Wahrheit hatte sich Murat auch nicht zu beklagen, denn Karoline war ihm auf diesem außerehelichen Ausflug nicht untreu geworden. Er war ungeheuer eifersüchtig. Deshalb hätte er es sehr gern gesehen, wenn er mit ihr und Achille nach Paris hätte zurückkehren dürfen. Wer weiß, vielleicht hatte Karoline Geschmack am Abenteuerlichen bekommen, und das Leichtfertige lag den Bonapartes ja im Blute!

So sehr aber auch Murat sich um diesen Urlaub bemühte, er erhielt ihn nicht. Napoleon gestattete ihm nur, daß er seine Frau bis an den Fuß des Mont-Cenis begleitete. Am 20. Oktober war der Oberbefehlshaber wieder in Mailand. Murats militärische Tätigkeit war jedoch um diese Zeit ziemlich unbedeutend, und so erreichte er endlich, daß ihm der Erste Konsul Ende des Jahres 1801 einen dreimonatigen Urlaub nach Paris bewilligte.

Niemand war glücklicher als Murat. Er verwandte seine Anwesenheit in Paris sehr nutzbringend. Seine Oberbefehlshaberschaft in Italien hatte ihm ein ansehnliches Vermögen eingebracht. Er selbst nannte es »seine Ersparnisse«. Jedenfalls mußte ein solcher Posten sehr lukrativ sein, denn Murat, der ehemalige Gastwirtssohn, der noch kurz vorher nicht das geringste Barvermögen besessen hatte, war jetzt in der Lage (im Dezember 1801), sich in La Motte-Sainte-Héraye im Departement Deux Sèvres ein Besitztum für 470.000 Franken zu kaufen! Einen Monat später erwarb er das prächtige Palais Thélusson in Paris für 500.000 Franken! Und wieder zwei Monate später kaufte er in Villiers von Frau von Bouillion den anderen Teil des bereits erwähnten Gutes dazu, der ihn ebenfalls 153.362 Franken kostete. Alle drei Ankäufe repräsentierten einen Wert von über einer Million! Murat hatte recht: der Posten eines Oberbefehlshabers war doch nicht zu verachten.

Während seines Aufenthaltes in Paris ließ er sich auch mit Karoline kirchlich trauen, und zwar bei Gelegenheit der Heirat Hortenses mit Louis Bonaparte. Aber schon im Februar 1802 rief ihn die Pflicht wieder nach Italien. Er sollte die neue Regierung der Italienischen Republik einsetzen. Daß sich diese Feierlichkeiten durch die Anwesenheit des Generals Murat aufs glänzendste gestalteten, braucht kaum erwähnt zu werden. Er verstand es vorzüglich, derartige Schaustücke in Szene zu setzen und sich selbst als ersten Schauspieler in die vorderste Linie zu stellen.

Nach dem Frieden von Amiens sollten alle französischen Truppen Italien räumen und sich in die Zisalpinische Republik zurückziehen. Murat hatte die Absicht, bei dieser Räumung selbst zugegen zu sein. Alles war bereits für seine Reise nach Rom und Neapel vorbereitet. Cacault, der französische Gesandte am päpstlichen Hofe, hatte Pius VII. den Besuch des Obergenerals angekündigt. Plötzlich jedoch änderte Murat seine Absicht und eilte, anstatt nach Rom, an die Seine nach Paris. Böse Zungen behaupten, er habe es so eilig gehabt, um sich vor seinem gestrengen Schwager zu rechtfertigen. Denn man hatte ihn beim Ersten Konsul der Bestechlichkeit angeklagt. Murat sollte ungeheure Summen von Personen erhalten haben, denen er hohe Ämter und Würden in der neuen Italienischen Republik verschaffte. Man behauptete sogar, er hätte die Reise an den römischen und neapolitanischen Hof nur um der kostbaren Geschenke willen unternehmen wollen, die ihn dort erwarteten. Sicherlich hat Murat den Versuchungen des Reichtums nicht standgehalten, aber ein anderer Grund seiner Anwesenheit in Paris war die nahe Niederkunft seiner Frau. Er war ein sehr liebevoller und besorgter Gatte, und die Gesundheit und das Wohlergehen seiner lieben Karoline lagen ihm jederzeit, besonders in den ersten Jahren seiner Ehe, am Herzen.

Jedenfalls währte sein Aufenthalt in Paris nicht lange. Er begab sich bereits am 6. April mit Erlaubnis des Ersten Konsuls nach Rom, wo er am 18. April eintraf. Der Papst empfing ihn aufs herzlichste. Da soeben das Konkordat mit Frankreich abgeschlossen worden war, suchte man den Schwager des allenthalben gefeierten Ersten Konsuls auf alle mögliche Weise auszuzeichnen und zu ehren. Murat hatte eine Ehrenwache von 50 Grenadieren! Der Kardinal Consalvi, die bedeutendste Persönlichkeit im Kirchenstaate, gab dem berühmten General zu Ehren ein großes Diner, an dem alle Kardinäle, alle Diplomaten und der höhere römische Adel teilnahmen. Pius VII. schenkte Murat eine prachtvolle Kamee im Werte von 3000 Piastern und für die alte Mutter des Generals einen wertvollen Rosenkranz. Murat sonnte sich in diesem Glanze wie ein schillernder Salamander. Aber er und seine Offiziere hinterließen nicht den besten Eindruck in Rom. Die übermütigen, durchaus nicht gottesfürchtigen Soldaten hatten sich den Kardinälen gegenüber Scherze erlaubt, die man ihnen im Vatikan sehr verübelte.

Am 20. April verließ der Oberbefehlshaber Rom und begab sich nach Neapel. Hier war der Empfang ein ganz anderer als in der Ewigen Stadt. Nichts von Ehren, Auszeichnungen und Geschenken! Murat erlebte eine arge Enttäuschung. Da man seiner Eitelkeit nicht im geringsten schmeichelte, kehrte er bald darauf nach Frankreich zurück. Es hatte keinen Wert, seine Zeit da zu vergeuden, wo für ihn nichts dabei herauskam.

Auch Karoline hatte während der Abwesenheit ihres Mannes Feste gefeiert. Trotz ihrer vorgerückten Schwangerschaft hatte sie am Ostersonntag, am 17. April 1802, an der Feier zur Abschließung des Konkordats (von 1801) in Notre-Dame teilgenommen und war eine der schönsten unter den anwesenden Frauen gewesen.

Kaum eine Woche später, am 25. April, gab die junge Frau ihrer Tochter Letizia Josephine Annunziata das Leben. Dieses kleine Mädchen wurde der Liebling des Vaters und sah ihm auch sprechend ähnlich. Es entwickelte sich zu einem reizenden Geschöpf eben mit langen braunen Locken und großen dunklen Augen, wie wir es auf dem Bilde von David sehen, das Mutter und Kind in gleicher Anmut und Zierlichkeit darstellt.

Vier Wochen nach der Geburt seiner Tochter, am 25. Mai 1802, traf Murat wiederum in Paris bei den Seinigen ein. Jetzt war er so glücklich, sein Familienleben fünf lange Monate genießen zu können, und als er im Oktober aufs neue nach Mailand mußte, begleitete ihn Karoline mit den Kindern dahin.

So lange Murat von Italien abwesend war, hatte er keine Streitigkeiten mit den Oberhäuptern der Zisalpinischen Republik gehabt. Zu Melzi d'Eril, einer der einflußreichsten Persönlichkeiten, hatte er anfangs in sehr ruhiger Beziehung gestanden. Sobald sich Murat aber ständig in Mailand niederließ, begannen die Zänkereien und Hetzereien. Seine Eitelkeit und Überempfindlichkeit ließen es nicht zu, daß er mit den Männern, die mit ihm an der Spitze standen, in Frieden lebte. Murat war ungeheuer neidisch. Der erste, gegen den sich seine Zanksucht entlud, war Melzi d'Eril, ein Mann von vornehmster Gesinnung. Glaubt man jedoch, ihren Streitigkeiten haben politische Differenzen zugrunde gelegen, so irrt man. Murat beschwerte sich hauptsächlich über den italienischen Staatsmann, weil dieser die Eigenliebe des Herrn Obergenerals verletzt hatte. Melzi hatte es nämlich im November 1802 unterlassen, Karoline zu empfangen, und so war Murat gezwungen gewesen, den Minister zuerst einzuladen. Aus dieser Bagatelle, die jedoch Murat als die schwerste Beleidigung gegen seine Person ansah, entsprangen alle möglichen politischen Intrigen und jene bittere Feindschaft beider Männer, die schließlich dazu führte, daß Melzi beim Ersten Konsul seinen Abschied einreichte. Napoleon wußte jedoch glücklicherweise, was er von dem streitsüchtigen Charakter seines Schwagers zu halten hatte. Er schätzte außerdem die hervorragenden Fähigkeiten des Italieners zu hoch, als daß er so ohne weiteres auf seine Dienste verzichtet hätte. Daher schrieb er an Murat nur jene trockenen aber vielsagenden Worte: »Ich sende Ihnen diese wenigen Zeilen mit einem Kurier, durch den Sie mir umgehend antworten werden, daß Sie mit Melzi in gutem Einvernehmen stehen, daß alle Streitigkeiten beendet sind und in der Italienischen Republik alles in bester Ordnung ist!«

Murat hatte also wieder einmal eine Lehre erteilt bekommen. Er mußte sich fügen. Aber nur seiner klugen Frau gelang es, Melzi wieder mit ihrem Gatten zu versöhnen. Die Geburt ihres dritten Kindes, am 16. Mai 1803, schien ihr die beste Gelegenheit dazu. Sie bat nämlich Melzi, bei ihrem Söhnchen Pate zu stehen, und der Minister nahm die Gevatterschaft freundlichst an. Der kleine Murat wurde Lucien Napoléon Charles François genannt.

Melzi d'Eril war des Lobes voll über den Takt und die Klugheit der Frau Obergeneralin. Was halfen jedoch alle weibliche Schlauheit, Feinheit und Gewandtheit bei einem so prahlerischen, eitlen und herrschsüchtigen Menschen wie Murat. War es nicht Melzi, mit dem er sich zanken konnte, so hielt er sich an Gouvion Saint-Cyr, der als Generalleutnant eine Expedition nach dem Königreich Neapel leitete. Es war immer der gleiche Zwist.

Der unverträgliche Gascogner brauchte sich jedoch nicht mehr lange in Italien zu ärgern. Im Oktober 1803 begab Murat sich wegen der Wahlen der Gesetzgebenden Körperschaft nach dem Departement Lot, seiner Heimat. Hier wurde ihm volle Genugtuung zuteil. Seine Landsleute waren stolz auf ihn, der aus ihrer Mitte hervorgegangen. Für sie war der glänzende General in der phantastischen Uniform, mit den wehenden Federbüschen auf dem Kopfe, ein wahrer Gott, zu dem sie in Verehrung und Bewunderung aufblickten. War es Murat nicht gelungen, sich vom einfachen Jäger bis zum Oberbefehlshaber einer ganzen Armee aufzuschwingen? War er nicht durch seine Heirat mit Karoline mit dem Staatsoberhaupt Frankreichs, mit dem berühmten General Bonaparte verwandt? Der Ehrungen und Auszeichnungen gab es genug für Murat.

Die schönsten, die glücklichsten Stunden aber verlebte er bei seiner alten Mutter in La Bastide-Fortunière. Sie war eine einfache Bäuerin mit einem klugen, lebhaften Gesicht, für die der Sohn auch auf dem höchsten Gipfel seines Ruhmes und Glanzes immer die gleiche Liebe und Zärtlichkeit und die größte Verehrung empfand. Das ist der schönste Zug in Murats Leben, daß er sich nie seiner einfachen Mutter schämte. Diese Mutter hatte das Glück, ihren Joachim, den jüngsten von drei Söhnen, von Stufe zu Stufe die Leiter des Ruhmes erklimmen zu sehen, ohne daß dieser unerwartete Reichtum ihr eigenes friedliches, einfaches Leben gestört hätte. Nur mit dem Purpurmantel, mit Krone und Zepter sah sie ihn nicht. Der Tod raffte sie bereits im März 1806 dahin. Und das war gut so. Die alte Frau hätte das tragische Ende ihres schönen, vom Glück so sehr bevorzugten Joachim schwerlich überwunden.

Von den Segenswünschen der Mutter begleitet, von seinen Landsleuten zum Abgeordneten in der Gesetzgebenden Körperschaft gewählt, noch vollkommen erfüllt von den Erinnerungen seiner schönen Heimat, kehrte Murat stolz und befriedigt nach Paris zurück. Dort erwarteten ihn und Karoline neue Ehren, neue Auszeichnungen. Der Erste Konsul sandte ihn nicht wieder nach Italien, sondern ernannte ihn am 15. Januar 1804 zum »Gouverneur von Paris, Befehlshaber der 1. Militärdivision und der Nationalgarde«. Diese Stelle hatte vor Murat General Junot eingenommen.

Ein so hoher Posten befriedigte Murats und Karolines Ehrgeiz außerordentlich; nicht nur wegen des großen Einkommens, an dem ihnen allerdings am meisten gelegen war, sondern auch aus gesellschaftlichen Gründen. Der Gouverneur von Paris war eine der ersten Staatspersonen neben den drei Konsuln. Die Frau Gouverneurin war die erste Dame in der Rangordnung nach Frau Bonaparte! Und gerade die Männer und Frauen, die für »Gleichheit und Freiheit« gekämpft, die in der Revolution groß geworden waren, strebten am meisten nach hohen Würden, um über ihren Mitmenschen zu stehen.

Murat befehligte nun über mehr als 60.000 Soldaten, was seinem Kriegerherzen und seiner Eitelkeit außerordentlich wohltat. Der Erste Konsul aber war froh, daß er den unüberlegten, heißblütigen Gascogner ganz in seiner Nähe hatte. So konnte er alle seine Handlungen besser überwachen und den oft mißglückenden Geniestreichen seines Schwagers vorbeugen.

Niemand eignete sich übrigens besser zum Gouverneur von Paris als Murat. Sein Äußeres, seine Prunkliebe, sein imponierendes Auftreten waren wie geschaffen für das militärische Oberhaupt einer großen Stadt. Murat und Karoline überboten sich denn auch auf ihrem neuen Posten in Festen, Empfängen, Reichtum, Vornehmheit und Aufwand. Das Palais Thélusson, das sie bewohnten, war aufs eleganteste und mit der höchsten Bequemlichkeit eingerichtet. Karoline war eine der liebenswürdigsten und hübschesten Gouverneurinnen, die Paris je gesehen hatte. Sie wußte alles mit ausgesuchtestem Geschmack zu arrangieren und jedem Besucher etwas Angenehmes zu sagen. Ihre Liebenswürdigkeit und Anmut waren allgemein bekannt, und ihre Salons wurden bald der Mittelpunkt einer sehr auserlesenen und geistreichen Gesellschaft. Sowohl sie als auch ihr Mann fühlten sich inmitten dieser reichen, vornehmen Umgebung sehr wohl. Murat war endlich zufrieden; er hatte sich jetzt über nichts mehr zu beklagen, denn er besaß alles, was er hätte wünschen können. Da er keinen Menschen über sich hatte, sah er auch keinen Grund, neidische Streitigkeiten zu beginnen.

Das Eheleben Karolines war ein sehr glückliches. Murat liebte seine Frau zärtlich. Wenn er abwesend war, trug er stets ihr Bild auf seiner Brust, und alle seine Briefe drücken die unendliche Sehnsucht aus, wieder bei ihr und seinen Kindern zu sein. Murat war, abgesehen von seiner grenzenlosen Eitelkeit und Ruhmesliebe, ein sehr guter Mensch. Seinen Kindern war er jederzeit ein zärtlicher Vater. Sonntags unternahm er mit ihnen und Karoline Ausflüge in die Umgebung, oder er ging mit ihnen fischen. Zu Hause war er der angenehmste Gesellschafter und Gastgeber, und trotz aller öffentlichen Zeremonien, die er als Gouverneur gezwungen war aufrechtzuerhalten, war sein Haus sehr traulich und gemütlich. Leider verdarben Reichtum, Rang und Größe nur zu bald diesen schwachen, allen Einflüssen zugänglichen Charakter. Karoline unterlag der Korruption zuerst. Bei ihr tat die angeborene Ränkesucht noch das übrige, um sie zu einer gefährlichen Person zu machen, sie, der alles von der Natur zur Verfügung stand, eine Glückspenderin zu bleiben. Sie tötete nach und nach die guten Anlagen in Murat und zog ihn mit sich in den Abgrund. Wären beide in der bürgerlichen Umgebung geblieben, der sie von Natur aus angehörten, sie würden sicher zwei sehr schätzenswerte Menschen geworden sein. Aber Reichtum und Glanz sind zwei verderbenbringende Gefährten für Leute, die sich leicht beeinflussen und blenden und von ihrer Eitelkeit, Selbstsucht und ihrem Ehrgeiz hinreißen lassen.

Das Leben der Frau Gouverneurin von Paris wurde damals nur durch ein Ereignis getrübt: die Hinrichtung des unglücklichen Herzogs von Enghien. Man klagte Murat an, den Ersten Konsul zum äußersten getrieben zu haben. Diese Anklage ist jedoch ungerecht. Murat setzte allerdings den Befehlen seines Schwagers bei dieser Gelegenheit keinen offenen Widerstand entgegen; dazu war er gar nicht berechtigt, aber er handelte im großen und ganzen sehr menschlich. Wie ihm befohlen ward, berief er am 20. März 1804 das Kriegsgericht zusammen, das den Prinzen verurteilte. Als aber General Savary ihm am Abend noch weitere Vorschriften vom Ersten Konsul brachte, schützte Murat eine leichte Erkrankung vor, um keinen tätigen Anteil an der Sache nehmen zu müssen. Darauf allein beschränkte sich sein Widerspruch. Andere beschuldigten ihn, er hätte sich offenkundig in beleidigenden Ausdrücken gegen Napoleon gesträubt, dessen Befehle auszuführen. Aber auch das ist Legende. Hätte Murat das wirklich getan, so würde er nicht, wie Savary und andere Beteiligte an dem Urteilsspruch, vom Ersten Konsul mit 100.000 Franken aus der großen Kassette bedacht worden sein. Vom menschlichen Standpunkt aus bedauerten jedoch sowohl Murat als auch seine Frau diese Handlung des Staatsoberhauptes. Als man dem Gouverneur und der Frau Gouverneurin am Morgen des 21. März 1804 die Nachricht von der Erschießung des Herzogs überbrachte, konnten beide ihre Tränen nicht zurückhalten. Karoline besonders war außer sich, daß ihr Bruder seine Hände mit unschuldigem Blute befleckt hatte.

Aber schon wurden Ereignisse vorbereitet, die alles hinter sich ließen. Wenige Wochen nach dieser traurigen Tat feierte man in Saint-Cloud den großen Tag der Thronerhebung Napoleons. Trotz allen Glanzes und Ruhmes, der dabei auch auf die Frau Gouverneurin fiel, konnte sie doch ihren grenzenlosen Neid gegen Josephine und Hortense nicht verbergen. Beide waren aus Anlaß der kaiserlichen Würde des Gatten und Vaters zu Prinzessinnen erhoben worden. Karoline konnte es nicht überwinden, daß sie, die Schwester des Kaisers, keinen fürstlichen Titel bekam. Besonders unangenehm fiel ihr Benehmen an jenem denkwürdigen Tage auf. Sie sah in dem zarten rosa Atlaskleid, mit dem Blumenkranz in ihrem blonden Haar, so reizend aus, daß es niemand für möglich gehalten hätte, welch neidischen Charakter diese zarte Hülle barg. Und doch vergoß Karoline an diesem Tage heiße Zornestränen. Sie machte ihrem Bruder eine Szene und ruhte nicht früher, als bis Napoleon auch seine Schwestern zu Prinzessinnen erhob. Aber immerhin, die Beauharnais waren es früher gewesen, und das war Grund genug, um ewige Feindschaft und Haß zwischen ihnen und den Bonaparte zu säen.

Eine andere Genugtuung wurde Murat als Soldaten am Tage nach der Thronbesteigung zuteil. Am 19. Mai 1804 ernannte Napoleon achtzehn Generale zu Reichsmarschällen. Unter ihnen befand sich auch Murat. Kaiserlicher Prinz wurde er jedoch erst im nächsten Jahre, im Februar 1805. Er war also wohl Marschall, aber nur der Gemahl einer Prinzessin. Das verletzte Karoline, die gewiß zufrieden hätte sein können. Nie konnte es Napoleon seinen Angehörigen recht machen. Natürlich war es oft peinlich für Murat und seine Gattin bei feierlichen Gelegenheiten, denn die Formen am jungen Kaiserhofe waren sehr streng. So geschah es, daß Murat, der wohl ein hoher Würdenträger war, aber nicht Kaiserliche Hoheit, nicht dieselben Vorzüge genoß, wie z. B. Eugen, der Sohn Josephines.

Von diesem Augenblick an verstärkte sich Karolines Haß gegen die Familie Beauharnais. Gleichzeitig bildete sich ihr Ehrgeiz immer mehr aus. Ihr Streben, auf die höchste Stufe der Macht, vielleicht auf einen Königsthron zu gelangen, koste es was es wolle, wurde von Tag zu Tag größer. Sie verfehlte nicht, auf den leicht zu beeinflussenden gutmütigen Gatten verderblich einzuwirken. Kein Mittel verschmähte sie, um Murat zur Ausführung ihrer ehrsüchtigen Pläne anzuspornen. Und er tat alles, was seine Frau wollte; noch unterlag er vollkommen ihrem weiblichen Zauber.

Er selbst wäre für den Augenblick mit allem, was er erreicht hatte, zufrieden gewesen. Er trug seine Würde und Titel mit Ehren und Anstand. Trotz des Mangels an Geist und Bildung, wußte er doch in den kaiserlichen Salons eine glänzende Figur zu machen; mit der angeborenen Leichtigkeit des Südfranzosen schickte er sich in alle Lagen des Lebens. Nur der gascognische Akzent machte ihm gewisse Schwierigkeiten, eine gewählte Unterhaltung zuführen.

Karoline gab ihrem Mann an Eleganz und Eitelkeit nichts nach. Sie entfaltete sowohl in ihrer Kleidung als auch in ihren Schlössern den größten Luxus und bewies dabei sehr guten Geschmack. Es deutete nichts auf die Emporkömmlinge hin, die sie im Grunde beide waren. Am meisten sagte ihr das abwechslungsreiche, vornehme Leben in den Tuilerien zu, wo sie als Schwester des Kaisers auch eine Rolle spielte. Der Haß gegen die Kaiserin und ihre Umgebung hinderte die Frau Gouverneurin durchaus nicht, sehr gern an den Gesellschaften Josephines in Malmaison oder in Paris teilzunehmen. Man konnte doch immerhin viel lernen von dieser einstigen Vicomtesse, die wirklich in den alten Adelsfamilien Frankreichs verkehrt hatte und ihre Gäste mit so feinem Takt zu bewirten wußte. Aber Josephines große Beliebtheit bei jedermann war Karoline ein wahrer Dorn im Auge. Auch sie strebte, wie Elisa, eifrig danach, sich gleich Josephine im Faubourg Saint-Germain Freunde zu schaffen. Und so hatte Karoline mit der Zeit um sich einen Kreis, in dessen Mitte man gegen die verhaßte Schwägerin der Frau Murat Ränke schmiedete. Es muß Karoline jedoch zugestanden werden, daß sie es verstanden hat, sich wahre Liebe und Anhänglichkeit unter dem alten Adel Frankreichs zu erwerben; sie hätte es also gar nicht nötig gehabt, auf Josephine neidisch zu sein.

Es war überhaupt eine Eigenart Karolines, sich bei jedermann beliebt zu machen, und zwar erreichte sie das mehr aus Berechnung als aus angeborener Güte. Sie verstand wunderbar zu schmeicheln, und alles, was sie sagte, trug den Stempel der Liebenswürdigkeit. In der Jugend war diese Liebenswürdigkeit natürlich, später jedoch, als sie gemerkt hatte, daß für sie diese Eigenschaft ein Freibrief sei, wurde sie zur Berechnung.

Am meisten suchte sie natürlich das Wohlwollen ihres Bruders, des Kaisers, zu erlangen. Und sie glaubte ihn sich am meisten zu verpflichten, wenn sie eine seiner menschlichen Schwächen ausnützte. Von allen drei Schwestern Napoleons war Karoline die eifrigste, ihm schöne gefällige Frauen ihrer Umgebung zuzuführen, damit er sie mit seiner Huld beglücke. Und wie viele junge Damen am Hofe des Kaisers gab es nicht, die ein zärtlicher oder auch nur begehrender Blick aus dem Auge des großen, des seltsamen Mannes mit Stolz erfüllte. Denn, wenn auch viele den Cäsar fürchteten, so gab es noch genug, die ihn bewunderten. Die einen trieb der Ehrgeiz, die anderen die Intrige und manche auch nur die Neugier in die Arme des Kaisers.

Karoline Murat zeigte sich besonders geschickt, Napoleon in dieser Hinsicht zu dienen. Da war eine junge, reizende Blondine mit sanften blauen Augen, die dem Kaiser besonders gefiel. Sie war Hofdame bei Josephine und an den alten gebrechlichen Staatsrat Duchâtel verheiratet. Mit Freuden ergriff Karoline Murat die Gelegenheit, der unbeliebten Schwägerin einen Streich zu spielen. Als sie das Interesse ihres Bruders für Eleonore Duchâtel bemerkte, erbot sie sich bereitwilligst, die geheimen Zusammenkünfte der beiden in ihrem eigenen Hause zu gestatten. Es war ja nichts dabei, wenn man die »Alte« betrog. Auch Murat fand durchaus nichts darunter, die Rolle des Scheingeliebten der Schönen zu übernehmen, um den Verdacht Josephines von Napoleon abzulenken. Josephine entging dieses Gaukelspiel nicht. Sie kam auch hinter die Schliche ihrer Schwägerin Karoline Murat und vergaß sie ihr niemals.

Wieder sah Frau Murat einem frohen Ereignis entgegen. Am 22. März 1805 gab sie im Palais Thélusson in Paris ihrem vierten Kinde das Leben. Es war eine Prinzessin, die die Namen Louise Julie Karoline erhielt. Als die junge Wöchnerin genesen war, dachte sie sogleich ans Reisen. Napoleon hielt sich damals im Lager von Boulogne auf, wo er den Plan zu einer Landung in England durchdachte. Auch Murat weilte dort, und da war es ganz natürlich, daß Karoline sich ebenfalls nach Boulogne begab. Sie konnten nie lange voneinander getrennt sein.

Fünf Jahre des Friedens waren seit dem letzten Feldzug Napoleons vergangen. Da brach der Krieg mit Österreich aus, und der Kaiser mußte mit seinem Heere ins Feld. Ehe er ausrückte, beauftragte er seinen Schwager Murat und den General Bertrand mit einer wichtigen Sendung zum Kurfürsten von Bayern, der sein Verbündeter war. Gleichzeitig bedeutete diese Sendung der beiden Offiziere eine Erkundungsreise des zukünftigen Kriegsschauplatzes. Murat erhielt den Befehl am 25. August und brach sofort auf. Er entledigte sich seines Auftrags durchaus zur Zufriedenheit Napoleons und war Mitte September wieder in Paris bei Karoline.

Während seiner Abwesenheit hatte der Kaiser für ihn das schönste Kommando bestimmt, das ein General erträumen mag. Er gab ihm den Oberbefehl über alle Truppen der Rheinlinie und über die Armeekorps, die nach und nach am Rhein anlangten, bis Napoleon selbst auf dem Kriegsschauplatz eintreffen würde. Murat führte den Titel »Lieutenant de l'Empereur« (Stellvertreter des Kaisers). Seine Ernennung wurde am 30. August 1805 bekanntgemacht, und wenige Stunden darauf begab er sich nach Straßburg. Dort leistete er dem Kaiser nicht unerhebliche Dienste dadurch, daß er ihm täglich von den Bewegungen der Österreicher Bericht erstattete. Sein Briefwechsel mit Napoleon ist die beste Richtschnur für die Entwicklung beider Heere und des ganzen Feldzugs.

Am 26. September traf Napoleon selbst am Rhein ein und übernahm aus der Hand seines Schwagers den Oberbefehl über die große Armee. Murat erhielt jetzt die ganze Reservekavallerie, die aus nicht weniger als acht Divisionen bestand. Abgesehen von einigen Unüberlegtheiten und Fehlern, die er sich durch seinen heißblütigen Charakter zuschulden kommen ließ, zeigte Murat sich in diesem Feldzug wiederum als ein vorzüglicher Reiteranführer und Korpsgeneral. Seine mutige Verfolgung des Erzherzogs und des Generalleutnants Werneck sowie sein Erfolg bei Wertingen trugen ihm das ungeteilte Lob Napoleons ein. Der Kaiser schrieb ihm einen sehr schmeichelhaften Brief, nach welchem allein die Kavallerie des Generals Murat den Sieg bei Wertingen entschieden hatte. Später freilich suchte Napoleon die Erfolge seines Schwagers abzuschwächen. Nichtsdestoweniger bleibt doch dieser Sieg bei Wertingen dem Reitergeneral Murat. Er war sein Leben lang stolz auf diesen Tag.

Auch in der Folge des Kriegs erwies Murat sich als ein sehr brauchbarer Offizier. Mit unvergleichlicher Kühnheit, Entschlossenheit und Tätigkeit trieb er immer wieder seine Truppen zum Stürmen an. Und für Murats Reiterei gab es mit einem solchen General keine Hindernisse. Siegeshoffend und feuertrunken stürmten seine Reiter mit ihm an der Spitze dahin. Vor ihnen wehte der Straußenfederbusch ihres Generals. Seine hohe, kräftige Gestalt in der prachtschimmernden Uniform war ihre Richtschnur. Murat schien ihnen wie der verkörperte Gott des Kriegs.

Wie aber lohnte Napoleon dem Marschall Murat diese Dienste? Hatte er auch für ihn eine Königskrone in Bereitschaft? Nein, die Kronen teilte er unter seine Schwäger nicht so leicht aus wie unter seine Brüder. Sie erhielten Reiche und Throne, ohne daß sie etwas Hervorragendes geleistet hatten. Seine Schwäger hingegen mußten sich den Königstitel verdienen. Murat, der unübertroffene Reitergeneral der großen Armee und Napoleons ehrgeizigste Schwester mußten sich vorläufig mit Geringerem begnügen.

Preußen hatte beim Frieden von Schönbrunn, am 26. Dezember 1805, das Herzogtum Cleve abgetreten. Dieses Ländchen gedachte der Kaiser Napoleon mit dem Herzogtum Berg zu vereinigen, das er am 15. Dezember desselben Jahres von Bayern gegen Ansbach eingetauscht hatte. Es war ein hübsches, aber kleines Stück Erde mit dem schönen Düsseldorf als Hauptstadt. Das bestimmte er für seine jüngste Schwester und den Marschall Murat.

Bereits im Februar 1806 hatten Karoline und Murat durch Talleyrand, der sehr vertraut mit ihnen war, diese Absicht des Kaisers erfahren. Sie waren jedoch, wie man sich denken kann, mit diesen Zukunftsplänen Napoleons wenig zufrieden. Ein so kleines Reich mit nicht viel mehr als 300.000 Einwohnern schien ihren Verdiensten und ihrem Genie, vor allem aber ihrem Ehrgeiz durchaus nicht angemessen. Es ist daher kaum anzunehmen, daß Karoline oder Murat, um diesen kleinen Herzogsthron zu erlangen, intrigiert haben, wie das auch noch neuere Schriftsteller behaupten. Die Wünsche des Marschalls und seiner Frau gingen viel höher. Sie ersehnten einen Königsthron. Etwa das Königreich Italien! Das wäre ihrer Meinung nach für sie gerade recht gewesen. Was war denn ein so kleines Herzogtum wie Cleve und Berg? Es war geradezu lächerlich von Napoleon, ihnen das zuzumuten. Da ihnen jedoch vorläufig nichts anderes geboten wurde, nahmen sie das Geschenk mit sauersüßer Miene an und betrachteten es als eine Art Vorstufe zu dem Königreich, das Napoleon ihnen doch schließlich einmal geben mußte.

Am 9. März teilte der Kaiser seinem Schwager Murat mit, er solle sich bereit machen, nach Düsseldorf aufzubrechen. Außerdem erteilte er ihm genaue Vorschriften, wie er die Großherzogtümer besetzen solle. Das offizielle kaiserliche Dekret, das Murat zum Großherzog von Cleve und Berg ernannte, wurde erst am 15. März 1806 bekanntgemacht, und am 24. hielt der neue Großherzog feierlichen Einzug in seinen kleinen Staat.

Die Besitzergreifung war jedoch nicht ohne Waffengewalt abgegangen. Erst nach einem heftigen Kugelwechsel überließen die Preußen dem Großherzog Joachim das Land. Am 21. März um 4 Uhr morgens hatte Herzog Wilhelm Düsseldorf verlassen, und Murat konnte am 25. davon Besitz nehmen. Sein Einzug in die Hauptstadt gestaltete sich, wie man das nicht anders von ihm erwarten darf, äußerst pomphaft. Er trug die prächtige Galauniform der französischen Marschälle, die seine Phantasie noch um manches Prunkstück bereichert hatte. Die Orden der Ehrenlegion, die eiserne Krone und der schwarze Adlerorden glänzten auf seiner Brust. Alle Adjutanten und die Offiziere des Stabs ritten an der Seite des neuen Großherzogs. Die Ehrengarde zu Pferd, geführt vom General Dupont und seinem Stab, umgaben Murats Staatskarosse.

Die Düsseldorfer empfingen den neuen Herrn mit tosenden Beifallsrufen. Man schrie begeistert: »Es lebe Kaiser Napoleon! Es lebe Josephine!« Murats schönes männliches Gesicht strahlte vor innerer Genugtuung und vor Stolz über einen solchen Empfang. Später drückte er seine Gefühle in einem Briefe an Talleyrand vom 28. März aus.

46. Fürst Metternich.
Lithographie von Heister nach einem Gemälde von Heuss. Porträtsammlung der Nationalbibliothek in Wien.

»Es wäre vergeblich«, hieß es darin, »wollte ich Ihnen den lauten Jubel der Bewohner von Düsseldorf beschreiben. Sie befanden sich in einem wahren Rausch. Niemals hätte ich gedacht, daß die Deutschen einer solchen Begeisterung fähig wären.«

Auf die Düsseldorfer machte der neue Großherzog, diese glänzende auffallende Erscheinung, den günstigsten Eindruck. Mag auch ihre Begeisterung nicht so aufrichtig gewesen sein, wie der leichtgläubige Murat meinte, so blendete doch seine Person jedermann.

Am 26. März erschien der Großherzog Murat äußerst phantastisch in einem spanischen Kostüm zur Messe und empfing unter einem prächtigen Thronhimmel den Eid seiner Untertanen. Und am 3. April feierte er neue Triumphe in Wesel.

Wie im Sturme eroberte der schöne Mann überall die Herzen. Ja, die Düsseldorfer gingen so weit, daß einer von ihnen schon im voraus die wohltätige Regierung des Großherzogs Joachim und die daraus entspringenden Segnungen für das Land lobte!

Murat hielt sich jedoch nicht lange in seinem neuen Reiche auf. Während seiner ganzen Regierung weilte er nicht länger als vier Monate in seinen Staaten, und zwar im Schlosse Benrath bei Düsseldorf. Der erste Aufenthalt währte fünf Wochen, vom 24. März bis Ende April; der zweite vom 27. Juli bis Ende September 1806. Die Verwaltung während seiner Abwesenheit überließ er seinem klugen Landsmann und Vertrauten Agar, dem späteren Grafen von Mosburg. Bei seinem Regierungsantritt hatte er Agar zum Staatssekretär der Finanzen und der auswärtigen Angelegenheiten ernannt, in Wirklichkeit aber war Agar der eigentliche Herrscher des Großherzogtums. Es war vielmehr die Politik des Finanzministers, die man im Großherzogtum Berg und Cleve im Innern befolgte, als die Politik Murats. Mit der Organisierung der Armee hingegen beauftragte er den verdienstvollen General Damas, dessen Fähigkeiten ihm vom ägyptischen Feldzug her bekannt waren.

47. Feldmarschall Fürst Schwarzenberg.
Lithographie von Stohl. Porträtsammlung der Nationalbibliothek in Wien

Als Großherzog von Berg war Murat indes vollkommen abhängig vom Kaiser der Franzosen. Zwar betrachteten die Bewohner des Landes ihren Herrscher als einen Fürsten des Rheinbundes, in den Augen Napoleons hingegen war er nichts weiter als ein hoher Beamter des französischen Kaiserreichs. Das geht besonders daraus hervor, daß Napoleon die Frage, ob Murat dem Deutschen Kaiser den Eid leisten solle, vollkommen unaufgeklärt ließ. Dem Minister Talleyrand, der für diese Eidesleistung stimmte, antwortete er: »Es ist meine Absicht, diese Frage unaufgeklärt zu lassen. Später werde ich entscheiden, ob diese Herzogtümer (Berg und Cleve) Lehen Deutschlands oder meines Reiches bilden sollen.« Und am 15. März hatte er dem zukünftigen Großherzog geschrieben: »Der Titel, den Sie bei allen Ihren Handlungen führen sollen, ist: Joachim, französischer Prinz und Großadmiral, Herzog von Berg und Cleve ... Bei keiner Ihrer Handlungen dürfen Sie den Namen Murat führen.« Es war also nur der Mann Karolines, seiner Schwester, den Napoleon zum Großherzog gemacht hatte, nicht aber der verdienstvolle Reiterführer Joachim Murat!

Die Apanage des neuen Fürsten sollte sich auf vier Millionen belaufen. Aber das Land brachte kaum zwei Millionen auf. Murat verfehlte daher nicht, sich bitter beim Kaiser darüber zu beklagen, denn das Geld spielte jederzeit die größte Rolle bei ihm und seiner Frau.

Jetzt hatte er auch wieder Gelegenheit|, sich herumzustreiten. Mit den benachbarten kleineren Fürsten geriet er bald in Zerwürfnis. Er stritt sich mit dem Herzog von Nassau wegen der Besitznahme von Deutz, Königswinter und Willich, durch die Napoleon Murats Reich am 12. Juli 1806 vergrößert hatte. Er beklagte sich bei Talleyrand über Herrn von Gagern, daß er dem Grafen Nesselrode einen ihm unangenehmen, unpassend scheinenden Brief geschrieben habe. Ja, er zankte sich sogar mit dem eigenen Schwager, dem er alle Macht verdankte, um die Abtretung Wesels, das für Napoleon zur Verteidigung das Rheins von größter Bedeutung war. Der Großherzog drohte sogar dem Kaiser, Wesel mit den Waffen verteidigen zu wollen und eine Belagerung auszuhalten, wenn es nötig wäre.

Fortwährend war Murat darauf bedacht, sein Land und seine Einkünfte zu vergrößern. Er schreckte dabei vor keinem Mittel zurück, wenn nur sein Ehrgeiz und seine Habsucht Befriedigung fanden. Karoline unterstützte ihn darin aufs kräftigste. Ihren Intrigen glückte es meist, bei Napoleon die Erfüllung der Wünsche ihres Gatten durchzusetzen. Sie weilte in Paris in unmittelbarer Nähe des gewaltigen Bruders und hatte leichtes Spiel. Mit gespielter Sanftmut und Güte erreichte Karoline mehr bei ihm als Elisa durch ihre Energie und Pauline durch ihre Schönheit und Koketterie. Nicht um alles in der Welt wäre Karoline nach Düsseldorf gezogen. Dahin ging sie nur, wenn sie mußte.

Der sehnlichste Wunsch des großherzoglichen Paares war der schöne Elyséepalast in Paris. Karoline wußte Napoleon so zu schmeicheln, daß er ihr schließlich 150.000 Franken zum Ankauf des Schlosses schenkte und ihnen außerdem das Schloß Brühl als Tausch für die Abtei Saint-Maixent überließ. Die Großherzogin von Berg erwies sich dem Bruder dafür dankbar, indem sie ihm zeigte, daß sie aller dieser Auszeichnungen und Bevorzugungen würdig war. Sie führte ein großes Haus, umgab sich mit dem fürstlichsten Luxus, trug die prächtigsten und geschmackvollsten Toiletten und zog die vornehmsten Leute an ihren Hof. Denn sie hielt Hof in Paris!

Leider war Karoline von ihren Schwestern äußerlich am wenigsten geeignet, die Rolle einer Fürstin zu spielen. Sie besaß wohl ein reizendes Gesicht, aber weder eine so majestätische Gestalt wie Elisa noch die vollendete Schönheit Paulines. Karoline sah eher bürgerlich als fürstlich aus. Sie war sehr liebreizend, aber nicht von königlicher Erscheinung oder Wirkung. Sie gab sich jedoch die redlichste Mühe, ihre Aufgabe zu lösen. Am besten konnte sie das im Jahre 1806, als Napoleon nach Deutschland ins Feld zog und Karoline als Jüngste an seinem Hofe zurückblieb. Ihr lag es damals ob, die Honneurs bei den Festen und Bällen zu machen, die Josephine veranstaltete. Die Kaiserin selbst tanzte nicht mehr, und Hortense befand sich in Holland. Da scheint Karoline Murat sich wirklich als Herrin gefühlt zu haben, denn Madame Junot, die sich bald über sie zu beklagen haben sollte, sagte von jener Zeit: »Es gab nur einen Willen in Paris, und dieser Wille wohnte in dem Kopfe einer Frau, nämlich in dem Kopfe Karolines, der Frau Großherzogin.«

Während sich seine Frau in Paris amüsierte, trug der Großherzog in Preußen und Polen an der Spitze der Reservekavallerie und später auf dem linken Flügel der Armee Napoleons Siege davon. Er zeichnete sich bei Schleiz, Prenzlau und Eylau ganz besonders aus und war von ehrgeizigsten Träumen und Hoffnungen beseelt. Die polnische Königskrone blinkte verheißungsvoll in der Ferne. Murat sah sie bereits auf seinem Haupte. Seine Hoffnungen wurden noch dadurch bestärkt, daß Napoleon ihm am 1. April 1807 gestattete, sich eine Ehrengarde aus hundert polnischen Reitern zu bilden. Leider erlebte er wenige Tage später die Enttäuschung eines Gegenbefehls.

Sehr bitter für den eitlen Murat war auch der Spott des Kaisers am denkwürdigen Tage der Zusammenkunft mit Alexander I. auf dem Floße des Niemen. Als Napoleon seinen Schwager in einem zwar sehr schönen, aber äußerst phantastischen polnischen Kostüm ankommen sah, begrüßte er ihn mit den Worten: »Ziehen Sie Ihre Generalsuniform an; Sie sehen ja aus wie ein Franconi!«

Der Großherzog mußte sich jedenfalls sehr bald überzeugen, daß er sich die Krone Sobieskis nicht aufs Haupt setzen würde. Der Frieden von Tilsit schuf kein neues Polenreich, wie sehr es auch die Polen gewünscht hätten, und Napoleon dachte noch nicht daran, seinem tapferen Schwager Murat einen Königsthron zu verleihen.

Auch Karoline war in Paris nicht untätig gewesen. Sie hatte alles ins Werk gesetzt, um Königin von Polen zu werden. Ihre Berechnungen erwiesen sich jedoch diesmal als falsch. Der Reichtum, den sie in ihrer Kleidung entfaltete, überstieg alle Begriffe. Sie wußte genau, ihr Bruder liebte es, wenn die Seinigen mit Pracht auftraten. Wahrscheinlich meinte sie auch, eine zukünftige Königin von Polen müsse besonders reicht gekleidet sein, um des Thrones würdig zu erscheinen. Die Kleider der Großherzogin kosteten viele Tausende. Zehn- bis fünfzehntausend Franken für eine einzige Toilette, ungerechnet die Diamanten und Perlen, mit denen sie oft geschmückt war, schienen in der Garderobe Karoline Murats keine Seltenheit. Man speiste im großherzoglichen Hause nur auf vergoldetem Tafelservice. Ihre Feste waren zu jener Zeit die glänzendsten in Paris, trotzdem die Elite der Offiziere mit Napoleon im Felde war. Aber der Generalstab des Gouverneurs von Paris und die Offiziere der Regimenter, die in der Hauptstadt zurückgeblieben waren, boten immer noch genügend Glanz zur Verschönerung der Bälle und Feste Karolines. Junot selbst trug dazu bei, ihren Gesellschaften besonderen Reiz zu verleihen.

Seit Murats Abreise zur Armee sah man den hübschen blonden Gouverneur Junot beständig im Elysee. Zwar war es nichts Besonderes, daß der Gouverneur von Paris mit der Großherzogin auf den Bällen die Quadrille anführte oder als ihr Partner an ihrem Spieltisch saß; daß aber sein Wagen und seine Dienerschaft zu jeder anderen Zeit während des Tags und der Nacht im Schloßhof des Elysees warteten, das gab bald Gelegenheit zu den verschiedensten Vermutungen. Und man riet wahrhaftig nicht falsch, wenn man meinte, Junot müsse der Geliebte der hübschen Schwester des Kaisers sein. Die blonde, sanfte und liebenswürdige Großherzogin hatte den gutmütigen, aber außerordentlich schwachen Mann vollkommen bestrickt und in ihrer Hand. Junot besaß selbst eine sehr hübsche Frau, die er aufrichtig liebte, aber Karoline hielt ihn einige Zeit ganz in ihrem Bann und bereitete dadurch der armen Madame Junot manche bange und traurige Stunde. Denn der Herr Gouverneur ließ sich jetzt nur selten in seinem eigenen Hause sehen; er war beständig im Elysee beschäftigt.

Man sagt, es seien weder Liebe noch Leichtsinn, noch Laune, auch nicht Junots äußere Vorzüge gewesen, die Karoline in seine Arme trieben, sondern nur kalte Berechnung. Die Frau Großherzogin strebte unbedingt nach einem Königsthron. Sollte nicht die polnische Krone ihre Stirn schmücken, so mußte es eine andere sein. Keine geringere als die französische Kaiserkrone schien ihr gerade recht. Warum sollte gerade sie, die kluge Karoline leer ausgehen, während ihre Brüder Joseph und Louis bereits über weite Reiche herrschten? Der Kaiser war im Felde der Gefahr des Todes ausgesetzt. Schon morgen konnte Frankreich ohne Herrscher sein! Und obwohl Napoleon in einem solchen Falle für seinen Nachfolger Sorge getragen hatte, so rechnete seine Schwester doch darauf, daß sie einmal mit Murat den Kaiserthron besteige. Sie hielt es daher für geeignet, schon jetzt auf gutem Fuße mit dem Gouverneur von Paris zu stehen. Denn im Falle das Todes Napoleons würde Junot großen Einfluß auf die Armee haben; und nur das Heer allein würde entscheiden, wer Kaiser sein solle. Da nun Murat von allen Soldaten außerordentlich verehrt und geliebt wurde, war es sehr leicht möglich, daß die Truppen ihn zum Herrscher ausriefen, wenn der Gouverneur nur einigermaßen darauf hinwirkte. Das also war der Zweck der Liebelei Karolines zu Andoche Junot. Sie war nicht wie ihre Schwester Pauline. Sie liebte nicht um der Liebe willen!

Aber die Frau Großherzogin machte wieder eine falsche Berechnung. Napoleon war noch nicht bereit zu sterben und die Krone seiner Schwester zu überlassen. Die Vorsehung und das Glück standen ihm in den größten Gefahren schützend zur Seite. Nach dem Frieden von Tilsit kehrte er tatkräftiger zurück als je und trug sich schon damals mit der Absicht, sich von Josephine scheiden zu lassen, um das Erbe seines Thrones durch die Verbindung mit einer jungen Frau, die ihm Nachfolger schenken werde, für immer zu sichern. Es war daher für Karoline und Murat eine doppelte Enttäuschung. Die polnische Krone war für immer ins Reich der Unmöglichkeit versunken und die Hoffnung auf die Thronfolge des Kaisers in weite, weite Fernen gerückt.

Der Großherzog von Berg kehrte ziemlich niedergeschlagen aus dem Felde zurück. Und dennoch schien nicht alle Hoffnung verloren. Sicher hatte Napoleon für seinen Schwager einen anderen Thron zur Verfügung. Murat begab sich daher nicht nach Düsseldorf, wo eigentlich sein Platz gewesen wäre, sondern nach Paris, wo er im Verein mit seiner Frau besser seine Interessen wahren und verfechten konnte. Im Großherzogtum Berg und Cleve waltete und schaltete ja Agar.

Gewiß hatte Murat nicht unrecht, sich in der Nähe des Kaisers aufzuhalten. Es gelang ihm fürs erste, daß Napoleon sein Großherzogtum um 146.000 Quadratmeter und 362.000 Einwohner vergrößerte, indem er ihm die Mark mit der Hauptstadt Lippstadt, den preußischen Teil des Fürstentums Münster, die Grafschaften Tecklenburg und Lingen, ferner die Gebiete der ehemaligen Abteien Elten, Essen und Werden zufügte. Der Großherzog Joachim konnte also zufrieden sein unter den deutschen Fürsten, die nicht alle ein so großes Gebiet beherrschten wie er. Allerdings hatte er dem Kaiser der Franzosen die Festung Wesel, dem König von Holland Huissen, Sevenaer und Malburg abtreten müssen; immerhin herrschte Murat jetzt doch über eine und eine viertel Million Untertanen.

Im Dezember des Jahres 1807 begleitete der Großherzog seinen kaiserlichen Schwager nach Italien und kehrte nur wenige Tage vor Napoleon, am 30. Dezember, nach der französischen Hauptstadt zurück. Er wußte noch nicht, welche schwierige Sendung ihm für das kommende Jahr bevorstand. Der Kaiser unterrichtete ihn nicht im geringsten davon, daß er gesonnen sei, ihn nach Spanien zu schicken, um eine bedeutende militärische Operation zu leiten. Plötzlich, am 20. Februar 1808, teilte das Kriegsministerium dem Großherzog von Berg mit, der Kaiser habe ihn zu seinem Generalleutnant auf der Pyrenäischen Halbinsel ernannt. Er solle seinen Posten sofort antreten. Den Zweck der Sendung wußte Murat ebensowenig wie ein anderer. Wie die meisten glaubte auch er an die ehrlichen Absichten Napoleons hinsichtlich des spanischen Königshauses. Als Murat den Kaiser um Aufschluß fragte, was die außerordentliche Aufbietung von militärischen Kräften zu bedeuten habe, erhielt er keine Auskunft; Napoleon hüllte sich in tiefstes Schweigen darüber. Er befahl ihm nur, sich sofort Pamplunas und San Sebastians zu bemächtigen. Marschall Murat führte, wie immer, die Vorschriften seines Schwagers aufs genaueste aus. Anfangs war er fest überzeugt, sein Kommando sei nur ein provisorisches. Er meinte, der Kaiser werde ihn selbst bald persönlich darin ablösen.

Murat begab sich also mit ziemlich ungenauen Instruktionen nach Spanien. Am 27. Februar war er in Bayonne, und im März langte er in Vitoria an. Die Spanier vermuteten gleichfalls nichts Verhängnisvolles unter der Ankunft des kriegerischen Abgesandten Napoleons. Man war allgemein überzeugt, Marschall Murat sei nach Spanien gekommen, um des Kaisers Truppen zu besichtigen, und er sei Napoleon, der bald eintreffen sollte, nur um einige Tage vorausgeeilt.

Währenddessen vollzogen sich die Ereignisse. König Karl IV. von Spanien dankte zugunsten seines Sohnes, des Prinzen von Asturien, ab, der sich fortan Ferdinand VII. nannte. Murat bat seinen Schwager um Verhaltungsmaßregeln. Napoleon antwortete ihm lakonisch, er dürfe den neuen König nicht anerkennen, ehe er ihn nicht selbst anerkannt habe. Im übrigen ließ er Murat weiter über seine Absichten im unklaren. Denn er fügte seinem Briefe hinzu: »Sie betonen immer, Sie hätten keine Instruktionen; ich aber höre nicht auf, Ihnen jedesmal solche zu erteilen, wenn ich Ihnen sage, Sie sollen Ihre Truppen ausruhen lassen und sonst in keiner Weise Vermutungen (nämlich über die spanischen Angelegenheiten) aufstellen. Weiter brauchen Sie, wie es mir scheint, nichts zu wissen.«

Es ist also kaum anzunehmen, daß der Großherzog von Berg im Anfang seiner Sendung bestimmt mit dem spanischen Königsthron für sich rechnete. Daß er später, infolge der Ereignisse und Beobachtungen, die er im Laufe der Zeit machen konnte, daraufhin geleitet worden ist, ist sehr begreiflich. Anfangs jedoch diente er dem Kaiser der Franzosen als blindes Werkzeug. Es war Murats Geist nicht gegeben, die weittragenden Pläne Napoleons so leicht zu erfassen, und gerade deshalb war er ganz der geeignete Mann für den Kaiser.

Am 23. März hielt Murat mit seinen Truppen triumphierenden Einzug in Madrid. Die Bevölkerung empfing ihn mit großer Begeisterung. Tags zuvor hatte Ferdinand VII. den Herzog del Parque zu ihm gesandt, um den Schwager und Stellvertreter des französischen Kaisers zu bewillkommnen. Murat aber verhielt sich, seinen Instruktionen gemäß, sehr vorsichtig. Er antwortete auf keinen der Briefe das neuen Königs, denn damit hätte er eine Art Anerkennung bewiesen. Er riet hingegen heimlich dem alten König Karl, gegen die Ereignisse in Aranjuez zu protestieren und zu erklären, daß man ihn mit Gewalt zur Abdankung gezwungen habe. Schließlich beredete Murat den schwachen Fürsten, nach Bayonne zu gehen, um bei Napoleon Schutz und Hilfe zu suchen. Jetzt erst schien dem Großherzog von Berg der wurmstichige Thron Karls IV. für ihn bestimmt zu sein, um so mehr, da Karoline in Paris ihre stärksten Hoffnungen darauf setzte und in ihren Briefen an Murat nicht aufhörte davon zu sprechen. Auch ihren Bruder bestürmte sie unaufhörlich, daß er ihr die spanische Krone reserviere.

Welche Enttäuschung für beide, als Savary eines Tages dem Großherzog einen Brief des Kaisers übermittelte, in dem geschrieben stand: »Ich bestimme den König von Neapel (Joseph) zum Herrscher in Madrid. Ihnen werde ich das Königreich Neapel oder Portugal geben. Antworten Sie mir sogleich, wie Sie darüber denken, denn es muß sich in einem Tage entscheiden.«

Wie sehr enttäuscht war Murat! Er hatte sich bereits als König von Spanien und Indien gesehen! Neapel schien ihm eine recht minderwertige Entschädigung für die Dienste, die er dem Kaiser geleistet hatte. Und wirklich: Napoleon hätte besser getan, den kraftlosen Joseph in Neapel zu lassen und Murat, dem geborenen Soldaten, die Herrschaft über Spanien zu verleihen. Murats ganze Persönlichkeit, sein Äußeres, seine Tatkraft, sein Mut, sein Stolz und sogar seine eitle Prunkliebe hätten den Spaniern mehr Achtung eingeflößt als alle guten aber bürgerlichen Eigenschaften Josephs. Wäre Murat an die Spitze Spaniens getreten, es hätte weniger blutige Kämpfe auf der Pyrenäischen Halbinsel gegeben. Man erinnere sich nur, mit welcher Geschicklichkeit und Energie er den Aufstand vom 2. Mai in Madrid unterdrückte.

Napoleon verfügte indes anders. Er beging damit einen seiner vielen Mißgriffe in bezug auf die Politik in Spanien. Mag auch Murats Verhalten in Spanien weder rechtschaffen noch uneigennützig, ja mitunter sogar brutal gewesen sein, so muß man doch eins anerkennen: er zeigte sich in vielen militärischen und diplomatischen Handlungen äußerst geschickt und vorsichtig, ohne daß er von Napoleon bestimmte Vorschriften zur Richtschnur hatte. Der schlaue Gascogner wußte sich immer gewandt aus der Schlinge zu ziehen. Niemals zeigte sich sein südliches Temperament verführerischer als in Spanien. Sein fürstliches Auftreten, das manche häßliche Absicht verbarg, machte auf die Spanier, die sehr für Äußerlichkeiten zu haben waren, unauslöschlichen Eindruck. Sie bewunderten auch seine Kaltblütigkeit und brutale Kraft, die kein Hindernis gelten ließen. Gewiß hätten die Spanier lieber ihn zum König gehabt, als den sanften, schwachen Joseph, der mit ihrem Volkscharakter gar nichts gemein hatte. Murat wußte das, und deshalb konnte auch in seinem Herzen die Wunde nie ganz vernarben, die diese Enttäuschung seinem Ehrgeiz und seiner Eigenliebe zugefügt hatte. Wie, er sollte den spanischen Thron für einen andern als sich selbst erobert haben? Es war kaum auszudenken!

Und doch hieß es, sich dem mächtigeren Willen fügen. Es lag ihm jedoch offenbar nicht viel daran, so ungeheuer schnell, wie Napoleon es gewünscht hatte, nach Neapel zu gelangen. Ehe er sich nach seinem neuen Königreich begab, gebrauchte er die Bäder von Barèges in den Pyrenäen. Die Anstrengungen des Feldzugs waren selbst an seiner kräftigen Soldatennatur nicht spurlos vorübergegangen, und die Enttäuschung über den Zusammensturz seiner schönsten Träume machte das Maß voll. Er wurde sogar tags darauf, als er erfahren hatte, daß Napoleon den spanischen Thron für seinen Bruder bestimmte, ernstlich krank. Es war aber wohl mehr eine Krankheit der Seele als des Körpers, denn ein Trostbrief des Kaisers richtete Murat sogleich wieder auf, so daß er die Reise in sein neues Königreich in einigen Wochen hätte antreten können. Da jedoch seine Regierung in Neapel erst vom 1. August 1808 an in Kraft trat, beeilte er sich nicht. Von Barèges ging Murat nach Cauterets, von dort zu Lannes auf das Schloß Bouilles bei Lectoure; erst am 4. August traf er in Paris ein, um sich genauere Instruktionen für seine Regierung zu holen.

Seit dem 15. Juli waren alle Klauseln durch den Vertrag von Bayonne für die Abtretung des Königreichs Neapel geregelt. Murat nannte sich fortan »König Joachim Napoleon«. Er herrschte über sechs Millionen Einwohner. Durch den Vertrag von Bayonne mußte er seine Privatbesitzungen in Frankreich abtreten. Es fiel sowohl ihm als auch Karoline sehr schwer, die schönen Schlösser Neuilly, La Motte Sainte-Haye, und besonders das prächtige Elysee aufgeben zu müssen. Als Ersatz dafür erhielten sie eine Schenkung von 500.000 Franken auf die Nationalgüter im Königreich Neapel und verschiedene Besitzungen in den römischen Staaten. Murat verzichtete ferner auf seine Herrschaft in Berg und Cleve, überhaupt auf alle seine Rechte in Deutschland. Sobald er jedoch wußte, daß er nicht mehr nach Düsseldorf zurückkehren würde, gab er Befehl, alles, was aus seinen Schlössern transportierbar war, wegzubringen. Und so wanderten Equipagen und Pferde, sowohl die aus seinen eigenen Ställen als auch die Pferde aus dem Gestüt von Duisburg, ferner alle Möbel und Kunstgegenstände über Tirol nach Murats neuer Residenz Neapel.

Dem Kaiser Napoleon mißfiel dieses habsüchtige Gebaren sehr. Er sah es nicht gern, daß seine Verwandten auf den Thronen, die er ihnen verliehen, zum Gespött und Ärgernis ihrer Untertanen wurden. Zum mindesten mußte die Habgier Murats Entrüstung bei der Bevölkerung von Berg und Cleve hervorrufen. »Wozu für solch elenden Kram sich so habsüchtig zeigen und das Land, ja ganz Deutschland entrüsten, wo dieses Gerücht sich verbreitet«, schrieb der Kaiser ärgerlich an den König von Neapel. »Wenn Sie durchaus auf Ihren Pferden bestehen, so sind Sie doch sicher, sie in vierzehn Tagen zu haben? Das ist unüberlegt und wirkt schlecht auf die öffentliche Meinung. Schreiben und befehlen Sie, daß man nichts fortbringe und keine Habsucht an den Tag lege.«

Aber die großherzoglichen Transporte von Düsseldorf nach Neapel unterblieben nicht. Murat hatte es auch noch immer nicht eilig, von seinen neuen Staaten Besitz zu ergreifen. Zweifellos glaubte er auch Neapel, wie Cleve und Berg, aus der Ferne regieren zu können. Damit war indes der Kaiser doch nicht einverstanden. König Joachim mußte endlich am 22. August 1808 die Reise antreten.

Karoline blieb vorläufig noch in Paris. Sie hatte sich schließlich mit dem Gedanken, Königin von Neapel und nicht Königin von Spanien zu sein, ausgesöhnt und war zufrieden. Ja, sie fand jetzt eine ungeheure Freude darüber. Sie war Königin! Fast wie im Märchen. Man würde zu ihr wie zu Josephine »Majestät« sagen! Man würde ihr huldigen wie ihrem Bruder, dem Kaiser! Sie hatte jetzt alle Hände voll zu tun bis zu ihrer Abreise. Auch sie kehrte sich nicht an den Vertrag, den Napoleon mit Murat abgeschlossen hatte, daß alles bewegliche und unbewegliche Besitztum an Frankreich abgetreten werden müsse. Sie ließ einen großen Teil der kostbaren Möbel, Kunst- und Silbergegenstände des Elyseepalastes einpacken und nach ihrer neuen Residenz schaffen, obwohl alle diese Gegenstände nicht ihr Privateigentum, sondern Eigentum des französischen Staates waren. Darum aber kümmerten die Bonaparte sich ihr Lebtag nicht.

Joachim Napoleon zog am 6. September in seine Hauptstadt ein. Karoline folgte ihm am 25. desselben Monats. Beide fanden die herzlichste Aufnahme von seiten der Neapolitaner. Auch für die leicht zu entflammenden Italiener war Murat der rechte König. Glänzend, prahlerisch, prunkliebend, sorglos und gutmütig, wie die Neapolitaner selbst, war ihr neuer Herrscher. Er und die Königin verstanden es vortrefflich, einen prächtigen Hof zu halten. Der Hofstaat war äußerst reich und zahlreich, was allerdings das arme Volk ungeheuer viel Geld kostete. Dennoch liebte es seinen König, denn er herrschte milde und sorgte für seine Untertanen. Besonders zeigte Joachim sich bei der Neubildung des Heeres, überhaupt in allen militärischen Handlungen über Joseph stehend. Es war ganz natürlich, daß dieser geborene Soldat aus seinem neuen Reiche einen Militärstaat zu schaffen suchte. Was Joseph vor ihm vergebens versucht hatte zu erreichen, gelang Murat ohne Schwierigkeit: er vertrieb die Engländer von der Insel Capri. Am 16. Oktober 1808 kapitulierte der englische Kommandant der Insel, Sir Hudson Lowe, der spätere Kerkermeister des Gefangenen von Sankt Helena, vor den neapolitanischen Truppen des Königs Joachim unter dem General Lamarque.

Das war ein guter Anfang für Murat. Niemals gelang es ihm jedoch, sich Siziliens zu bemächtigen, so brennend gern er sich auch der Tat nach König beider Sizilien genannt hätte. Alle Bemühungen seinerseits scheiterten in dieser Hinsicht. Die Bourbonen waren dort zu kräftig von den Engländern unterstützt.

Weit mehr Glück gegen diesen mächtigen Feind hatte er im Jahre 1809. Während die Heere Napoleons im Kampfe mit Österreich lagen, glaubten die Engländer um so leichteres Spiel in Neapel zu haben. Seit vielen Monaten planten sie einen Zug nach Murats Reich. Endlich war alles bereit. Vierzig Schiffe mit 20.000 Soldaten machten sich unter der Führung des Generals John Stuart, des Prinzen Leopold und der Generale Bourcard und Saint-Clair von Sizilien nach Neapel auf. Als sie an Kalabrien herankamen, setzten sie dreihundert Mann ab, um dort einen Aufstand unter der Bevölkerung herbeizuführen. Beinahe wäre ihnen der Handstreich gelungen, denn Murat zeigte sich einen Augenblick schwach und gedachte mit seiner ganzen Familie nach der starken Festung Gaëta zu flüchten. Da umschwebte ihn sein guter Stern in Gestalt der Königin. Sie und die Minister, besonders aber Karoline, rieten dem König energisch von einer so unseligen Absicht ab. Die Königin erinnerte ihn daran, daß es seine Pflicht sei, Neapel bis zum letzten Augenblick zu verteidigen. Und so blieb Murat. Anfangs hatten die Engländer einige Erfolge, schließlich aber trugen doch die neapolitanische Flotte und die Truppen Murats den Sieg davon. Wenigstens wagten die Engländer keine Landung in Neapel. Der Sieg Napoleons bei Wagram entschied sie vollends, die neapolitanischen Gewässer zu verlassen.

Großes Verdienst verschaffte sich der neue König von Neapel auch dadurch, daß er die vielen Räuberbanden, die sich in Kalabrien und den Abruzzen gebildet hatten, und die die Bourbonen stolz »Vaterlandsverteidiger« nannten, vollkommen vernichtete. Bei jeder Gelegenheit zeigte Murat auf seinem Thron denselben Mut wie auf dem Schlachtfeld, und seine Feinde begannen ihn zu fürchten. Auf diese Weise gab er seinem Lande auch die innere Ruhe wieder, was Joseph nie gelungen war. Hätte Murat die Unterstützung der Truppen seines kaiserlichen Schwagers gehabt, er würde sicher auch Sizilien für sich erobert haben, denn es fehlte ihm weder an Ausdauer noch an Unternehmungslust. Aber Napoleon sandte ihm keine Truppen.

Man sagt, die innere Verwaltung Neapels habe gewaltig unter der Militärregierung Murats gelitten, weil der König alles nur vom Standpunkt des Soldaten aus betrachtet hätte; die Finanzen wären äußerst vernachlässigt gewesen. Es war jedoch nicht so schlimm als man annehmen sollte. Murat hatte in seinem Freund und Vertrauten Agar, Grafen von Mosburg, einen sehr geschickten und klugen Finanzminister. Agar hatte für ihn schon das Großherzogtum Berg nicht zu schlecht, wenn auch ein wenig pedantisch verwaltet. Natürlich war es auch für einen Mann wie Agar nicht leicht, bei so verschwenderischen Herrschern wie Murat und Karoline, gut hauszuhalten. Man muß jedoch gerecht sein: Während der Regierung Murats erblühte Neapel zusehends. Der König rief verschiedene nützliche Einrichtungen ins Leben. Er gründete ein Polytechnikum, eine Artillerieschule, eine Marineschule und eine Brücken- und Straßenbauschule. Ferner verbannte er noch die letzten Reste der Feudalherrschaft aus seinem Reiche.

Karoline wiederum sorgte für die Pflege der Künste und Wissenschaften. Unter ihrer Leitung fanden die wertvollen Ausgrabungen in Pompeji statt. Mit den gefundenen Schätzen schmückte sie ihre Schlösser, die an Geschmack und Reichtum alles übertrafen. Der Kaiser war sehr zufrieden mit seiner Schwester und zeichnete sie im Jahre 1809 dadurch aus, daß er sie seiner jungen Braut, der Erzherzogin Marie Luise, bis Braunau entgegensandte. Karoline war zwar bei der Scheidung ihres Bruders von Josephine sehr gegen eine Österreicherin gewesen und hätte viel lieber eine russische Großfürstin zur Schwägerin gehabt, dennoch reiste sie fügsam und vergnügt mit einem glänzenden Hofstaat der neuen französischen Kaiserin entgegen.

Marie Luises zukünftige Umgebung war ganz nach der Wahl der Königin von Neapel zusammengesetzt worden, so großes Vertrauen bewies Napoleon seiner Schwester. Als Marie Luise mit ihrer neuen Schwägerin zusammentraf, umarmten sich beide, wie es die Sitte vorschrieb, äußerst herzlich, besonders Karoline war die Liebenswürdigkeit selbst und wußte der jungen Erzherzogin viel Schmeichelhaftes über ihr Äußeres, ihre Kleidung usw. zu sagen. Auch Marie Luise war freundlich und liebenswürdig. Aber, wie es so oft geschieht: unerfahrenen Menschen gibt die Vorsehung einen Blick, der sie manches schärfer erkennen läßt als Menschen, die das Leben klug gemacht hat. Und so zweifelte auch die achtzehnjährige Erzherzogin an der Aufrichtigkeit der hübschen Königin von Neapel. »Ich traue ihr nicht ganz«, schrieb sie unbefangen am 16. März 1810 aus Braunau an ihren Vater, den Kaiser von Österreich; »ich glaube, daß nicht Diensteifer allein die Ursache ihrer Reise war.«

Bald sollte Marie Luise auch wirklich die Herrschsucht Karolines an der eigenen Person erfahren. Es lag der Königin von Neapel viel daran, ihre junge, schüchterne und unerfahrene Schwägerin in allem zu beeinflussen; sie suchte daher gleich die erste Zeit ihres Zusammenseins mit Marie Luise auszunützen und sich zu ihrer Vertrauten zu machen. Aber die Erzherzogin schenkte ihr kein Vertrauen, sondern hielt einzig und allein ihre treue Erzieherin und Hofdame, die Gräfin Lažansky einer intimeren Aussprache für wert. Das ärgerte Karoline; sie war eine Bonaparte und duldete keine Götter neben sich. Ihr Entschluß war gefaßt: die Lažansky mußte entfernt werden! In schmeichlerischer Weise überzeugte Karoline die einfache Marie Luise, daß es der Kaiser gewiß nicht gern sehen werde, wenn sie ihre österreichische Vertraute mit an seinen Hof brächte. Die Erzherzogin, die von ihrem Vater besonders darauf aufmerksam gemacht worden war, alles zu tun, was dem Kaiser Napoleon Freude machen würde, willigte, freilich mit blutendem Herzen, ein, sich auch noch von der Gräfin zu trennen, nachdem sie ihre ganze andere österreichische Umgebung hatte verabschieden müssen. Nachdem die Freundin sie am 19. März 1810 verlassen hatte, schrieb Marie Luise traurig und immer mit Zweifel im Herzen an ihren Vater: »Wie schwer fiel mir die Trennung von ihr; und ich konnte wirklich meinem Bräutigam kein größeres Opfer als dieses bringen, obwohl ich überzeugt bin, daß es nicht sein Gedanke war.« Und da hatte sie wohl recht; Napoleon hatte nur den einen Wunsch: seiner zukünftigen Gattin alles zu ersparen, was sie betrüben konnte. Vor allem aber bemühte er sich stets, sie nicht aus ihren Gewohnheiten herauszureißen. Aber seine rücksichtslose und intrigante Schwester verfügte anders.

Und doch verstand es Karoline durch ihre berückende Liebenswürdigkeit schließlich auch die neue Kaiserin zu betören. Als Marie Luise sich in Paris ein wenig in der Familie Napoleons umgesehen hatte, schilderte sie Karoline ihrem Vater mit den Worten: »Die Königin von Neapel ist voll Anmut, sie ist kleiner und fetter als ich, aber sehr hübsch, und man liest in ihrem Gesichte die Güte, welche sie beseelt, sie ist voll Verstand, und sie ist mir die liebste der drei genannten Prinzessinnen.«

Karoline genoß auch den Vorzug, ganz allein mit dem Brautpaar zu speisen, als es in Compiègne angelangt war. Und als Napoleon Ende April 1810 mit seiner jungen Gattin die Reise nach den neu einverleibten holländischen Provinzen antrat, war es wieder Karoline, die als Begleiterin der Kaiserin als für am würdigsten befunden wurde.

Weit weniger in Gunst bei Napoleon stand Murat. Als der Kaiser seinem Schwager die Krone von Neapel verlieh, tat er es in der Absicht, daß Murat sich ebenso wie Napoleons Brüder als einen höheren Präfekten des Kaiserreichs betrachten und sich ganz unter den Willen des Herrschers über Frankreich beugen müsse. Aber der König von Neapel hatte durchaus keine Lust, nur ein Vasall zu sein, sondern traute sich eine eigene Regierung zu. Auch wollte er sich nicht zum Tyrannen seines Volkes machen lassen. Er vernachlässigte daher die Befehle Napoleons, handelte, wie er selbst es für gut hielt, ja, er widersetzte sich bisweilen öffentlich den Wünschen seines mächtigen Schwagers. Napoleon verstand es ganz und gar nicht, den Charakter Murats, dessen Kern nicht schlecht war, zu behandeln. Hätte er der Eigenliebe des Königs von Neapel nur ein wenig geschmeichelt, hätte er ihn nicht immer so rücksichtslos seine Allmacht fühlen lassen, Murat wäre für ihn durchs Feuer gegangen. Aber Napoleon tadelte und drohte fortwährend. Und anstatt sich seinen Schwager, der alles aus seiner Hand empfangen hatte, zum dankbaren und ergebenen Freunde zu machen, schuf er sich in ihm mit der Zeit einen ränkesüchtigen Rivalen, ja einen argen Feind.

Abgesehen von einigen unüberlegten Handlungen war Murats Regierung in Neapel nicht schlecht, und Napoleon hätte zufrieden sein können, viel zufriedener als mit seinen Brüdern, die weit unfähiger waren als Murat. Dieser theatralische König, der »etwas von einem Feldherrngenie mit der Erscheinung eines großartigen Kunstreiters in sich vereinigte«, war ganz der Herrscher, den das für Äußerlichkeit und Glanz schnell begeisterte neapolitanische Volk brauchte. Und Murat erstrebte nichts sehnlicher als Volkstümlichkeit. Er war wie zum Fürsten geboren. Er liebte über alles öffentliche Kundgebungen, denn es schmeichelte seinem Herzen nichts mehr, als wenn das Volk ihm begeistert zujubelte. Der einstige Gastwirtssohn fühlte sich dann so hochgehoben, so glücklich; er hatte fast eine kindliche Freude an diesen Huldigungen. Immer mehr bemühte er sich, die Herzen seiner Italiener dadurch zu gewinnen, daß er sich nur mit Neapolitanern umgab. Da kam es allerdings auch vor, daß sich Schmeichler an seinem Hofe einfanden, denen er mehr Gehör schenkte als gut war. Sprachen sie denn nicht von zukünftiger Größe, von Herrscherruhm, unvergleichlichem Glanz und Reichtum, von einem einigen Königreich Italien und von ihm, als dem Herrscher über dieses Reich? Wie hätte ein so einfach zusammengesetzter Charakter wie Murat solchen Verlockungen widerstehen sollen? Er war außerdem ein schwacher Mensch. Aber gerade einen solchen Charakter hätte Napoleon verstehen müssen, ganz für sich zu gewinnen. Schwache Menschen sind mehr wie andere überlegeneren Einflüssen zugänglich; sie lassen sich leiten. Mit nur ein wenig Lob, das für Murat Lebensbalsam war, hätte Napoleon ihn sich zum begeistertsten und ergebensten, ja auch zum treuesten Anhänger machen können. Er, der alle Leute in seinem Banne hielt, verstand es bei diesem einen nicht. Von Anfang an konnte der König von Neapel ihm nichts recht machen.

Die Einnahme von Capri gab zuerst Veranlassung zu endlosem Streit. Murat hatte den Befehlen des Kaisers nicht gefolgt; er hatte ihm in spontaner Weise seinen Sieg, auf den er natürlicherweise stolz war, direkt gemeldet, anstatt, wie Napoleon es wünschte, durch die Vermittlung des Kriegsministers. Das brachte ihm den strengsten Tadel des Kaisers ein. Einige Zeit später fand Napoleon Gelegenheit, seinem Schwager Vorwürfe zu machen, daß er der Geistlichkeit zu sehr schmeichle, ferner zu verschwenderisch mit Ordensverleihungen und Auszeichnungen umgehe. Napoleon vergaß dabei ganz, daß die Neapolitaner außerordentlich an den äußeren Ehrungen ihres Kultes hingen und für Auszeichnungen und Belohnungen empfänglicher waren als ein anderes Volk. Würde Napoleon in diesem Falle nicht genau so gehandelt haben? Er, der sich selbst jede Schwäche seines Volkes zunutze machte, um Volkstümlichkeit zu erwerben?

Auch die Absichten Murats auf Sizilien ärgerten den Kaiser, wie überhaupt alle politischen oder administrativen Maßnahmen, die sich der König von Neapel in seinem Reiche zu treffen erlaubte. Begnadigte er Deserteure, rief er Emigranten zurück, oder hob er ein Todesurteil auf, so fand das das größte Mißfallen des Kaisers. Es war daher nicht befremdend, daß Murat sich immer mehr von Napoleon entfernte und sich in Gemeinschaft mit Karoline in Intrigen einließ, die Napoleon schadeten.

Er und besonders seine Gemahlin hofften, trotzdem sie Herrscher von Italien waren, die spanische Krone werde doch noch einmal auf ihren Häuptern glänzen. Sie ließen sich mit Fouché und Talleyrand in eine Intrige ein, die keinen anderen Zweck hatte, als Murat, wenn Napoleon auf den spanischen Schlachtfeldern fallen sollte, zum König von Spanien zu erheben.

Napoleons Stiefsohn, der Vizekönig Eugen von Italien, fing einen an Murat gerichteten Brief auf und schickte ihn sofort an den Kaiser in Valladolid. Daraus konnte Napoleon ersehen, welche Ränke seine Schwester und sein Schwager in Italien gegen ihn schmiedeten. Er reiste deswegen sofort nach Paris ab, um das Komplott aufzudecken. Man kann sich denken, in welcher Stimmung Napoleon sich befand, und es ist ihm nicht übel zu nehmen, wenn er Murat den Orden der beiden Sizilien verweigerte.

Die Spannung zwischen dem napoleonischen Hof in Paris und dem Hofe Murats in Neapel währte bis zum Frühjahr 1809. Darauf trat ein wenig Ruhe ein. Der Krieg mit Österreich ließ Napoleon keine Zeit, sich mit seinem Schwager Murat herumzustreiten. Und nach dem Kriege stimmte ihn seine Hochzeit mit der jungen Erzherzogin Marie Luise auch gegen Murat versöhnlich. Er rief auch ihn nach Paris, um an den Vermählungsfeierlichkeiten teilzunehmen.

Aber Murat kehrte sehr unzufrieden in seine Staaten zurück. Er konnte und wollte sich nicht fügen, seinem Land die ungeheuren Steuerlasten und sonstigen Abgaben an Frankreich aufzuerlegen. Auch wollte er mit Italienern regieren und nicht mit Franzosen, wie Napoleon es ihm vorschrieb. Da aber stieß er auch auf gewaltigen Widerstand bei Karoline, die am liebsten alleinige Herrscherin gewesen wäre und ihren Gatten, wie Elisa Felix Baciocchi, gar zu gern zur Rolle eines Statisten im Königreiche herabgedrückt hätte. Ihr herrschsüchtiger, ehrgeiziger Charakter konnte es nicht ertragen, daß sie als Königin von der Regierung fern gehalten werden sollte. Sie, die Schwester Napoleons! Die italienische Umgebung Murats flößte ihr Mißtrauen ein, und so umgab sie sich bald gegen den König mit einer Partei, die nur aus Franzosen bestand. Das Haupt dieser Partei war der französische Gesandte in Neapel. Natürlich erregte das das Mißtrauen Murats.

Wie sehr Karoline und Murat uneinig mit einander waren, beweist ein Brief dieses Gesandten, in dem es heißt: »Der König will, daß die Königin sich von Tag zu Tag mehr isoliert. Man beobachtet sie dermaßen, daß sie nicht einmal Frauen zu sich zu Tisch einladen kann. Sie verbringt ihre Zeit ganz allein mit ihren Büchern, ihrer Musik und mit Handarbeiten. Es scheint, daß der König eine schreckliche Angst hat, von irgendjemand, besonders aber von der Königin, geleitet zu werden. Er sagt sehr oft, daß er sich von niemand beherrschen lasse. Und diese Worte wendete er auch auf andere als auf die Königin an. Die Königin kann in keiner Angelegenheit mehr raten. Wenn sie den Ministern eine Person für ein Amt vorschlägt, wird ihr die Bitte stets abgeschlagen.«

Karoline nahm dafür ihre Rache an Murat. Nicht allein, daß sie jetzt ganz auf der Seite ihres Bruders stand, sondern sie nahm sich auch einen Geliebten. Und um indirekt auf die Handlungen Murats einwirken zu können, wählte sie dazu den Lieblingsadjutanten ihres Mannes, den jungen La Vauguyon, einen hübschen, schlanken Menschen, der allerdings unter seinem bestechenden Äußeren einen ziemlich unbedeutenden Geist barg.

Von dieser Zeit an bestand ein beständiger Kampf zwischen der französischen und italienischen Hofpartei in Neapel, und das ganze Jahr 1810 hindurch bekam Murat nichts als Vorwürfe von Seiten Napoleons zu hören. Fortwährend verlangte der Kaiser, daß die armen Neapolitaner die französischen Truppen unterhielten. Gegen Karoline beschwert er sich, daß Murat die Armee desorganisiere usw. Der König aber, den alle diese ungerechten Vorwürfe kränken mußten, war ergebener denn je gegen Napoleon.

Schließlich brachte die Geburt des Königs von Rom wieder eine scheinbare Aussöhnung der beiden Männer. Murat begleitete Karoline nach Paris zur Taufe des französischen Thronfolgers. In einem Briefe vom 26. März 1811 hatte der Kaiser seine Schwester aufgefordert, Patenstelle bei seinem Kinde zu vertreten. Karoline suchte sich dem anfangs zu entziehen und schützte Krankheit vor. Aber am 20. April kam Napoleon nochmals darauf zurück, und zwar in den liebenswürdigsten Worten. Er hoffte, sie würde wieder im Juni hergestellt sein, wenn die Taufe stattfände. So konnte sie nicht anders, als die Aufforderung des Bruders annehmen.

Murat blieb indes nicht so lange in Paris wie Karoline. Zurückgekehrt in seine Staaten, erließ er das berühmte Dekret vom 14. Juni 1811, das den Zorn Napoleons aufs neue heftig herausforderte. Es richtete sich hauptsächlich gegen die in Neapel angestellten Franzosen. Der erste Artikel dieses Beschlusses lautete: »Alle Ausländer, die ein öffentliches Amt in Unserem Königreich erfüllen, werden ersucht, noch vor dem 1. August das Bürgerrecht zu erwerben.«

Man kann sich denken, in welche Wut Napoleon dadurch geriet, zumal Murat einen solchen Beschluß erlassen hatte, ohne ihn vorher davon zu benachrichtigen. Er ließ das Dekret sofort durch ein anderes vom 20. Juli für nichtig erklären. Eine solche Maßnahme war eine neue Niederlage für die Eigenliebe Murats und trug nicht dazu bei, beide versöhnlich zu stimmen.

Im Herbst 1811 wurde das Verhältnis zwischen dem Kaiser und Murat dermaßen gespannt, daß sich Karoline entschloß, nach Paris zu reisen, um persönlich den mächtigen Bruder für den Gatten günstig zu stimmen. Es nützte ebenso wenig, als daß Murat dem Kaiser wiederholt versicherte, er sei noch immer derselbe wie früher. Und bald sollte Murat Gelegenheit haben, diese Versicherung in die Tat umzusetzen.

Der Krieg Napoleons mit Rußland wurde immer mehr zur Gewißheit. Anfang des Jahres 1812 verlangte der Kaiser, in der Voraussicht auf die bevorstehenden Feindseligkeiten mit Rußland, vom König von Neapel ein Truppenkontingent von 10.000 Mann. Das aber war Murat ganz unmöglich, und er schlug daher seinem kaiserlichen Schwager vor, er möchte doch das französische Beobachtungskorps aus Neapel zurückrufen, das gerade aus 10.000 Mann bestehe. Damit sei beiden geholfen: Napoleon durch die Verstärkung des Heeres, und dem König dadurch, daß sein Land nicht mehr für den Unterhalt der fremden Truppen aufzukommen brauchte! Dieser Vorschlag aber brachte den Kaiser dermaßen gegen Murat auf, daß er ihm überhaupt nicht mehr schrieb und ihn in so großer Unruhe und Ungewißheit ließ, daß Murat auf den Rat Karolines, die sich noch immer in Paris befand, selbst an den französischen Hof reisen wollte, um sich persönlich mit Napoleon auszusprechen. Diese Reise unterblieb jedoch, da die Minister des Königs Entfernung von seinem Staate für gefährlich hielten. Und so sah Murat den Kaiser erst in Danzig wieder.

In den ersten Tagen des Mai 1812 erfüllte Napoleon endlich Murats sehnlichsten Wunsch; er berief ihn zur Großen Armee ins Feld! Murat, der König, wurde wieder der tapfere Soldat, der kühne Reitergeneral von einst! Nachdem er am 12. Mai 1812 die Regentschaft Karoline übergeben hatte, reiste er zur Großen Armee ab, um sein altes Amt als Oberbefehlshaber der Kavallerie wieder zu übernehmen.

Das Wiedersehen Murats mit Napoleon in Danzig war anfangs äußerst kühl. Beide hatten sich manches vorzuwerfen und hatten es in ihren Briefen der letzten Zeit an gegenseitigen Beleidigungen nicht fehlen lassen. Murat fühlte sich gekränkt, daß Napoleon ihn nicht wie die anderen Könige zu der Fürstenzusammenkunft in Dresden eingeladen hatte. Er hätte so gern dort in seiner prächtigen, reichen Uniform geglänzt! Mit Recht warf er dem Kaiser vor, daß er ihn nur als Vasallen, als höheren Präfekten betrachte und aus ihm ein Werkzeug der Tyrannei machen wolle. Aber er gäbe sich nicht dazu her.

Napoleon empfing seinen Schwager mit finsterem Gesicht und strengen Worten, schalt ihn bitter wegen seines Ungehorsams und sagte, Murat befleißige sich besonders in letzter Zeit eines ungehörigen Benehmens und einer unstatthaften Sprache. Plötzlich aber wurde der Kaiser ganz weich und nahm die Miene eines unverstandenen, traurigen Menschen an. Er klagte und rief dem undankbaren Murat jene Zeit ins Gedächtnis zurück, als sie noch treue Freunde und Kameraden auf dem Felde der Ehre waren. Solchen Worten konnte Murat, der ein fast kindlich weiches Gemüt hatte, nicht widerstehen. Er war so gerührt, daß er beinahe weinte. In diesem Augenblick hatte ihn Napoleon wieder ganz für sich gewonnen. Daß der Kaiser während der ganzen Zeit Komödie gespielt hatte, merkte der gutmütige König von Neapel nicht. Aber Napoleon rühmte sich dessen am Abend vor seinen Gästen. Um Murat zu fangen, erzählte er, sei er erst ärgerlich und böse und nachher gefühlvoll gewesen. »Denn«, fügte er hinzu, »mit diesem italienischen Pantaleone muß man so verfahren. Im Grunde aber ist er ein guter Kerl«, fuhr Napoleon lächelnd fort. »Er liebt mich immer noch mehr als seine Lazzaroni. Wenn er mich sieht, gehört er mir, aber entfernt von mir gehört er, wie alle Leute ohne Charakter, demjenigen, der ihm gerade in den Weg läuft und ihm schmeichelt. Er steht unter dem Einflusse seiner Frau, einer Ehrgeizigen. Sie ist es, die ihm tausend Pläne und Dummheiten in den Kopf setzt. So träumt er bereits von der Herrschaft über ganz Italien, und das verhindert ihn, König von Polen zu sein. Macht nichts. Ich werde Jerome auf diesen Thron setzen und ihm dort ein schönes Königreich errichten. Aber erst muß er etwas Bedeutendes geleistet haben, denn die Polen lieben den Ruhm.«

Dann beklagte Napoleon sich über seine Brüder und Verwandten, die er zu Königen gemacht hatte. Er warf ihnen Undankbarkeit, Unfähigkeit, Habsucht, Ehrsucht, Pflichtvergessenheit, Verschwendungesucht und Prunkliebe vor. Und damit hatte er nicht Unrecht. »Meine Brüder stehen mir durchaus nicht zur Seite«, bemerkte er bitter und sprach sich eingehend über dieses Thema aus, und wie er ihnen mit so gutem Beispiel voranginge. Er schloß mit den Worten: »Ich bin ein König des Volks. Ich gebe nur Geld aus, um die Künste und Wissenschaften zu unterstützen, um dem Volke ruhmvolle und nützliche Erinnerungen zu hinterlassen. Man kann mir nicht nachsagen, daß ich Günstlinge und Maitressen beschenke und ausstatte: ich belohne die dem Vaterlande geleisteten Dienste, weiter nichts.«

Murat zeigte sich des Oberbefehls über die gesamte Kavallerie, den Napoleon ihm im russischen Feldzuge anvertraute, vollkommen würdig. Mit großer Tapferkeit führte der König von Neapel fast immer den Vortrab an. Und es war gewiß keine Kleinigkeit, den kriegstüchtigen und sich methodisch zurückziehenden Feind bis Moskau zu verfolgen. Selbst bei den Russen erregte er Bewunderung. Die Kosaken verehrten in ihm den größten Helden. Baron Dedem de Gelder erzählt von Murats Beliebtheit im russischen Heere eine sehr hübsche Geschichte:

»Murat war mit seinem weißen Federbusch und dem prachtvollen grünen goldverschnürten Pelzmantel bei den Kosaken außerordentlich beliebt. Sie verehrten in ihm das Ideal eines echten Reitergenerals und suchten wo sie nur konnten in seine Nähe zu kommen. Kurz vor Moskau fanden zwischen der russischen Nachhut und der französischen Vorhut, an deren Spitze der König von Neapel stand, Unterhandlungen statt, infolge deren es den Kosakengeneralen vergönnt war, den schönen tapferen Reitergeneral ganz in der Nähe zu besehen. Umgeben von ihnen, rückte Murat bis an die Stadt heran, sie verfehlten nicht, ihm die schmeichelhaftesten Dinge über seinen Mut zu sagen. Der König glaubte, daß die Russen ihn nicht erkannt hätten, wurde aber durch den Hetman eines Besseren belehrt. ›Ich kenne Sie schon lange, Sire‹, sagte dieser, ›Sie sind der König von Neapel. Der Unterschied zwischen mir und Ihnen besteht darin, daß ich Sie vom Njemen an stets als ersten vor Ihrer Armee gesehen habe, während ich seit drei Monaten fortwährend der Letzte von unserem Heere bin.‹ Darauf drückte er den Wunsch aus, der König möchte ihn auf irgendeine Weise auszeichnen. Murat bot ihm eine schöne Uhr zum Geschenk an und fügte hinzu, er hoffe ihm bald ein angenehmeres Geschenk machen zu können. Damit spielte er auf seinen Orden an, den der russische Offizier im Auge hatte. – Man sprach dann vom Frieden. Die Russen waren ziemlich einmütig. ›Sie haben uns angegriffen‹, sagten sie, ›unser Kaiser war der Freund des Kaisers Napoleon, warum hat Napoleon uns den Krieg erklärt? Wir möchten gern Frieden, aber es ist jetzt sehr schwer, ihn zu erlangen, hoffen wir indes, daß wir bald Freunde werden! ‹ Als darauf einer der französischen Generale einen jungen Offizier, der eine sehr hochgestellte vornehme Persönlichkeit zu sein schien, gefragt hatte, ob der Kaiser Alexander sich bei der Armee befände, weil er immer davon gesprochen hätte, daß er dort erwartet würde, erhielt er zur Antwort: ›Nein, und wir wollen auch nicht, daß er kommt.‹

Wie alle anderen Befehlshaber, so verlor auch der theatralische König von Neapel einen großen Teil seiner Habe. Bei Wilna mußte er seinen großen Reisewagen im Stich lassen, der mit den teuersten Parfümen, Essenzen, Pomadetöpfen, Riechkissen und allen möglichen, einer Kurtisane würdigen Toiletteartikeln angefüllt war. Die Kosaken fielen über den Wagen her, plünderten ihn und nahmen die Parfüms für Liköre, die wohlriechende Pomade für ganz besonders feine Butter. Die ganze Stadt duftete, denn jeder Soldat hatte sich, außer daß er die Parfüms getrunken und die Pomade gegessen, auch seine Kleider, seine Haare oder seinen Schnurrbart parfümiert.

Auf dem verhängnisvollen Rückzug von Moskau bis zum Njemen leistete der tapfere Reiterführer Murat Übermenschliches! Täglich setzte er sein Leben ein, und täglich sah er durch Hunger, Frost und Elend seine Reiterschar mehr und mehr schwinden. Bei jenem ruhmvollen aber ebenso schrecklichen Übergang über die Beresina zählte Murats Truppe nur noch 1800 Mann!

Am 8. Dezember langte er mit diesen Trümmern in Wilna an. Hier erwartete ihn eine Überraschung! Der Kaiser hatte den Entschluß gefaßt, die Armee zu verlassen und schnellstens nach Frankreich zu reisen! Napoleon übergab seinem Schwager den Oberbefehl über den Rest der Truppen. Und es war keine leichte Aufgabe, die er dem König von Neapel damit übertrug. Murat war nicht in der Lage, sie auszuführen. Was ihn jedoch zu dem Entschluß brachte, seinen Posten plötzlich eigenmächtig am 16. Januar 1813 zu verlassen und nach Italien zu reisen, ist bis jetzt nicht aufgeklärt. Zweifellos ist er schlechten Einflüssen unterlegen. Die beiden folgenden Briefe rechtfertigen nur schwach seinen verhängnisvollen Entschluß.

Wilna, 9. Dezember 1812.

Sire,

Ich erhielt den Brief des Grafen von der Lobau (General Mouton), der mir meldet, daß Eure Majestät durch Warschau reisen und sich einer guten Gesundheit erfreuen, möge Sie Gott beschützen und ohne Unfall bis nach Paris geleiten!

Sire, die Armee hat aufgehört zu sein! Alles ist außer Rand und Band, man kann keine Befehle mehr erteilen. Man findet weder Generale noch Offiziere mehr, die Kälte hat jeden heimgesucht. Alle sind in der größten Bestürzung, und die Räumung sowie die Haltung Wilnas sind ganz unmöglich. Wir werden ohne einen einzigen Wagen bis zum Njemen gelangen. Ich fürchte, daß man die Kriegskasse im Stich läßt. Die Division Loison ist fast ganz vernichtet. Der General Wrede, der noch an 7–8000 Mann besaß, hat heute nur noch 2000. Ich habe den Oberbefehl über die Nachhut dem Herzog von Elchingen (Marschall Ney) anvertraut, der mit den Bayern und der Division Loison die Höhe von Wilna, solange er kann, besetzt halten wird.

Sire, die Verschmelzung aller Grade ist derart, daß es selbst unmöglich ist, Offiziere zur Verteilung der Million Gratifikationen zu finden, das würde eine große Erleichterung für uns gewesen sein.

Sire, ich bin um so verzweifelter, Ihnen so schlechte Nachrichten mitteilen zu müssen, als es mein sehnlichster Wunsch war, alle Ihre Anforderungen zu erfüllen, und ich gehofft hatte, noch etwas in Wilna zusammenzuraffen, aber alle Hoffnung ist verloren, oder scheint verloren! Der Generalstabschef (Berthier) schreibt Ihnen noch ausführlich. Ich werde bis zuletzt aushalten; soll ich mich aber gefangen nehmen, soll ich mich töten lassen?

Der Fürst von Neuchâtel (Berthier) zeigt einen heldenhaften Mut.

Joachim Napoleon Murat.

 

Kowno, 11. Dezember 1812.

Sire, der Fürst Generalstabschef Berthier sendet Eurer Majestät den Bericht über die Ereignisse von Wilna bis zum heutigen Tag. Die Unordnung hat ihren höchsten Grad erreicht, es bleiben dem Herzog von Elchingen von dem 2., 3. und 9. Armeekorps, von der Division Wrede, der Weichsellegion, der Division des Generals Loison nur noch ungefähr 1500 Mann und nicht ein einziger Kavallerist. Zudem wird er von einer zahlreichen Kavallerie und Artillerie, die ihn fortwährend überflügeln, stark bedrängt. Er ist genötigt, alle seine Stellungen aufzugeben und verliert täglich eine ungeheure Menge Leute. Er fügt hinzu, daß, wenn der Feind sich entschlösse, einen Angriff mit der blanken Waffe zu machen, es ihm gelingen würde, auch noch die letzten Überreste der Trümmer der Armee zu nehmen. Alle anderen Armeekorps haben keinen einzigen Soldaten mehr, sondern es bestehen nur noch die Kadres, einige Generale, Offiziere und Adler. Die Kaisergarde zählt nur noch 1500 Mann Infanterie, 600 Mann Kavallerie und keine Artillerie. Ein Teil des Kriegsschatzes ist geplündert worden, und ich bezweifle, ob es uns gelingen wird, den Rest bis nach Danzig in Sicherheit zu bringen. Es bleibt uns noch die Artillerie des Generals Loison und die der Festung Kowno. Werden wir sie aber mit den Kräften, die uns zur Verfügung stehen, noch länger bewahren können? Wir haben nicht einen einzigen Wagen mehr. Jeder von uns hat alle seine Habe verloren, die Kälte ist andauernd sehr heftig, der Soldat, der bei der Fahne bleibt, hat nicht mehr die Kraft, sich seiner Waffen zu bedienen. Wahrhaft schweres Unglück hat unsere Tapferen betroffen.

Unter diesen Umständen habe ich es für unumgänglich nötig erachtet, die Herren Marschälle und Korpskommandeure zusammenzuberufen, um ein Mittel zu ersinnen, durch das wir am besten alles, was uns noch an Generalen, Offizieren, Adlern und wertvollen Gegenständen bleibt, für Eure Majestät retten. Wir können dem Feinde wahrscheinlicherweise nicht mehr die Stirn bieten, ohne uns alle der Gefahr auszusetzen, gefangengenommen zu werden, ohne daß dies dem Dienste Eurer Majestät und unserem Ruhme irgendwelchen Vorteil brächte. Ich glaube die Ansicht der Herren wird sein: alles vorerst nach Königsberg und nachher nach den Festungen an der Weichsel zu dirigieren.

An den Fürsten Schwarzenberg und den General Reynier sind Befehle abgegangen, daß sie sich Byalistok nähern und das Großherzogtum (Polen) decken. Diesem hat man mitgeteilt, daß die Armee sich Tilsit und Königsberg hat nähern müssen, und dem Herzog von Tarent (Macdonald) ist der Befehl zugegangen, eine Bewegung auf Tilsit auszuführen. Alles, was noch in Kowno vorhanden ist, wird man so viel wie möglich zerstören, und ich will mich Königsberg nähern. Es ist äußerst schmerzlich für mich, genötigt zu sein, Ihnen einen so wahren, so niederschmetternden Bericht abzustatten, aber ich sehe mich leider dazu gezwungen. Jede menschliche Anstrengung ist überflüssig, um der Unordnung abzuhelfen, man muß sich fügen ... in die Gewalt des Feindes! Als Bruder und Untertan bitte ich Eure Majestät um Frieden!

Joachim Napoleon Murat.

Man kann sich denken, daß Napoleon mit dieser Maßnahme seines Schwagers nicht zufrieden war. Er war so empört, daß er im »Moniteur«, dem offiziellen Regierungsblatt, folgende Anzeige veröffentlichen ließ: »Der König von Neapel hatte krankheitshalber den Oberbefehl abgeben müssen und ihn den Händen des Vizekönigs anvertraut. Dieser ist besser zu einer so großen Leitung geeignet. Er besitzt das ganze Vertrauen des Kaisers.«

Murat konnte nichts tiefer verletzen als der Tadel der Unfähigkeit und vor allem dieses öffentliche Lob Eugens, des Sohnes Josephines! So schürte Napoleon nicht allein in Murats Herzen den Neid gegen die Beauharnais, sondern er drückte auch in Karolines Herz den Stachel des Neides. Sie hatte Murat noch am 15. Januar inständig brieflich gebeten, beim Heere auszuharren. Ihr Brief war jedoch erst im Hauptquartier des Königs eingetroffen, als Murat bereits abgereist war. Hätte er ihn aber erhalten, so wäre er gewiß noch schneller aufgebrochen. Denn der König war entsetzlich eifersüchtig und hätte in der Bitte seiner Frau einen Vorwand gesehen, ihn so lange wie möglich fern zu halten, damit sie sich ungestört ihrem Geliebten widmen konnte. Er hatte erfahren, daß seine Frau sich während seiner Abwesenheit gewisse Freiheiten gestattete. Außerdem fürchtete er, Karoline könne durch die Regentschaft eine zu große Autorität an sich reißen, so daß er nachher die von ihm so verabscheute Rolle eines Prinzgemahls zu spielen habe.

Eifersüchtig und vom Kaiser tief gekränkt, traf Murat am Abend des 13. Januar 1813 im Schlosse San Leucio in Caserta ein, wo sich die Königin mit ihren Kindern befand. Sie hatte während seiner Abwesenheit sich als kluge Regentin gezeigt und viel Einsicht bewiesen. Aber mit der Einigkeit in ihrer Ehe war es vorbei. Der König war nach seiner Rückkehr verdrießlich, von Sorgen um sein Land und seine Zukunft geplagt und von den Anstrengungen des Feldzuges gesundheitlich nicht auf der Höhe.

An Napoleon richtete er als Rechtfertigung für seine Abreise von der Armee das naive Schreiben: »Ich hoffe, daß ein wenig Ruhe und Glück, die ich beide so sehr nötig habe, mir meine Gesundheit bald wiedergeben werden, deren Verlust ich beklage, weil er mich außerstand setzt Eurer Majestät noch ferner zu dienen.«

48. Karoline Murat in älteren Jahren.
Lithographie von Teltscher. Porträtsammlung der Nationalbibliothek in Wien

Napoleon bestrafte Murat mit Stillschweigen. Weder Briefe, Versprechungen noch Klagen nützten Murat etwas. Der Kaiser blieb kalt und unerbittlich. Er war zu sehr durch Murats Handlung verletzt worden und glaubte ihn nicht härter strafen zu können, als ihn vollständig zu ignorieren. Nur an Karoline schrieb Napoleon noch dann und wann. Sein Zorn gegen Murat war so groß, daß er zu Eugen sagte, er würde Murat, wenn die Lage nicht so kritisch wäre, vor ein Kriegsgericht haben stellen und erschießen lassen.

Das Angebot des Königs von Neapel, ihn mit Truppen auch fernerhin unterstützen zu wollen, beachtete er gar nicht, sondern schickte Murat im Gegenteil die Soldaten zurück, die in Spanien bisher gefochten hatten, als wollte er damit zeigen, daß er den Beistand des Königs von Neapel nicht mehr brauche. Wenn er in Paris mit dem neapolitanischen Gesandten sprach, fragte er stets nur nach dem Wohlergehen Karolines, niemals nach dem König. Er tat, als wenn Murat überhaupt nicht da wäre. Infolgedessen ließ auch Murat es den französischen Gesandten am neapolitanischen Hofe entgelten und behandelte ihn mit Kälte, zumal er vermutete, daß er seinen Herrn in Paris von allem, was am Hofe in Neapel vorging, unterrichtete.

Die Lage des Königs von Neapel war kritisch. Wäre es seinem mächtigen Schwager in Paris eingefallen, ihn aus seinem Reiche zu verjagen, Murat hätte nirgends Hilfe und Unterstützung gefunden. Er mußte sich daher einen Bundesgenossen gegen den Kaiser suchen, zumal er täglich fürchtete, die Engländer könnten in sein Land einfallen.

Niemand schien ihm mehr Schutz zu bieten, als die Österreicher. Seit dem Jahre 1811 stand er zu dem österreichischen Kabinett in sehr freundschaftlichen Beziehungen, und Österreichs Gesandter, Graf Mier, erfreute sich des ganz besonderen Vertrauens des Königs. Mier selbst liebte in Murat den tapferen Soldaten und den freimütigen Gaskogner. Murat schien die Absicht Österreichs, während des Kampfes Napoleons mit den übrigen Mächten neutral zu bleiben, zu billigen, und der österreichische Gesandte schloß daraus, daß Neapel dieselbe Haltung annehmen wolle. Er irrte sich nicht. Anfang März 1813 schickte Murat den Fürsten Cariati nach Wien in vertraulicher Mission. Er sollte sich erkundigen, ob im Fall eines Weltfriedens dem König Murat die Krone von Neapel erhalten bliebe, wenn er sich an Österreich anschlösse. Metternich verhielt sich indes in bezug auf die Sendung Cariatis sehr vorsichtig, denn er kannte den veränderlichen Charakter Murats. Erst im April, als der Gesandte des Königs von Neapel offiziell zum Gesandten am Wiener Hofe ernannt worden war, ließ Metternich sich in ernste Unterhandlungen ein. Es begann ein lebhafter Briefaustausch zwischen Mier und Metternich, woraus hervorging, daß der König Joachim gesonnen sei, alles zu tun, was man in Wien von ihm verlangen würde.

Das war der erste Schritt, den Murat auf einer Bahn tat, die ihm verhängnisvoll werden sollte.

Karoline, die sich jetzt wieder besser mit ihrem Gatten stand, wußte viele Wochen lang nichts von diesen Anknüpfungen mit Österreich. Sie war noch immer napoleonisch gesinnt und suchte ihren Mann bei Napoleon zu halten. Bald jedoch zog der König auch sie ins Geheimnis, und nun hielt sie zur Sache Joachims.

Ein Brief Napoleons hätte alles wieder gut machen können. Murat erflehte fast vom Kaiser ein Schreiben und würde sich ihm ganz ergeben haben, wenn Napoleon ihn um seinen Beistand gebeten hätte. Aber Napoleon ignorierte ihn. Es nützte dem König nichts, sich wegen seiner plötzlichen Abreise von der Großen Armee zu verteidigen und Satisfaktion wegen der tadelnden Note im »Moniteur« zu erbitten. Umsonst hielt Murat dem Kaiser vor, daß er während des ganzen russischen Feldzugs seine Königswürde vergessen und wie ein einfacher Soldat gefochten, alle Anstrengungen und Entbehrungen ertragen habe. Umsonst rief er ihm die alte Freundschaft und Anhänglichkeit von früher ins Gedächtnis zurück. Umsonst schilderte er ihm die kritische Lage Italiens. Napoleon blieb kalt und unerbittlich. Schwer durch die Verachtung seines Schwagers gekränkt, wandte Murat sich nun auch noch an die Engländer, die erbittertsten Feinde Napoleons. Er knüpfte mit Lord William Bentinck, der sich auf die Insel Porza begeben hatte, Beziehungen an, die damit endigten, daß man dem König Joachim, wenn er von Napoleon abfalle und tatkräftig zum Bunde gegen ihn beitrete, freies Schalten und Walten in Italien versprach, mit Ausnahme von Sizilien, wo Ferdinand IV. herrschte. Lord Bentinck ließ durch ein Avisoschiff endgiltig dazu die Befehle seines Königs einholen.

Alle diese Machenschaften kamen natürlich dem Kaiser in Paris zu Ohren und trugen nicht gerade dazu bei, das Einverständnis beider Herrscher herbeizuführen. Napoleon ließ in seiner Wut beleidigende Artikel gegen den König von Neapel veröffentlichen, und Murat verfehlte nicht, gereizt darauf zu antworten. Schließlich wäre es beinahe so weit gekommen, daß er dem französischen Gesandten Durand seine Pässe zugesandt hätte.

Am meisten aber fühlte Murat sich durch die Zumutung Napoleons beleidigt, 20.000 Neapolitaner unter die Befehle des Vizekönigs Eugen für den nahenden Krieg zu stellen. Murat war außer sich, daß er, der Soldat mit Leib und Seele, nicht selbst seine Soldaten befehligen solle! Er zerriß das Schreiben und trat wütend mit den Füßen darauf. »Nicht eine Kompagnie soll er bekommen, die nicht unter meinem Befehle steht!« Und an Napoleon schrieb er am 4. Juli 1813 einen energischen Brief, in dem es hieß: »Mein Entschluß ist unerschütterlich. Ich bin es mir selbst schuldig, nicht davon abzulassen. Denn nachdem der Name des Vizekönigs dazu verwendet worden ist, mich durch einen beleidigenden Vergleich zu erniedrigen, kann ich mit dem besten Willen nicht die Neapolitaner unter seine Befehle stellen, wie sehr ich ihm auch persönlich Achtung und Freundschaft entgegenbringe.« Am Schlusse dieses Briefes endlich bittet Murat, versöhnlich gestimmt, den Kaiser, er möge ihm wieder sein Vertrauen schenken. Er habe ihm doch zwanzig Jahre lang treue Dienste geleistet und ihm stets Freundschaft und Anhänglichkeit bewiesen.

Endlich ließ Napoleon, der sich inzwischen zur Armee nach Dresden begeben hatte, sich herbei, Murat zu schreiben. Er konnte doch die Unterstützung des Königs von Neapel, des tapfersten Reiterführers, nicht ganz entbehren. Und sofort war Murat bereit, sich mit Napoleon auszusöhnen. Er blieb lange Zeit nach der Ankunft des kaiserlichen Boten mit Karoline in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen und verhandelte dann mit seinen Ministern. Fouché und Ney und wohl auch Karoline rieten ihm dringend, sich zum Kaiser nach Dresden zu begeben; die ganze Reiterei der Großen Armee sehne sich nach seiner Führung. Da brach der König am 2. August von Neapel auf Und reiste in größter Schnelligkeit nach Dresden. Die Regentschaft hatte er von neuem in die geschickten Hände Karolines gelegt.

Obwohl Murat jetzt als Feind mit Napoleon sowohl gegen die Österreicher als auch gegen die Engländer kämpfen mußte, glaubte er doch nicht alle Brücken zu ihnen hinter sich abbrechen zu müssen. Und so ließ er in seinem Reiche Anordnungen zurück, die Verhandlungen während seiner Abwesenheit mit den beiden Mächten fortzusetzen. Einen Tag schon nach seiner Abreise traf in Neapel eine chiffrierte Depesche aus Wien vom Fürsten Cariati ein. Österreich machte Murat Vorschläge, die er ohne Frage angenommen hätte, wenn Napoleon noch länger schweigsam geblieben wäre.

Vorläufig hieß es allerdings, für Frankreich zu kämpfen. Murat kam am 17. August bei Napoleon in Dresden an, gerade in dem Augenblick, als die Feindseligkeiten wieder aufgenommen wurden. Es gab eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem Kaiser von Frankreich und dem König von Neapel, und das gute Einvernehmen war bald wieder hergestellt. Napoleon betraute seinen Schwager mit dem Oberbefehl über fünf Korps der Reservekavallerie, und Murat zeigte sich wie immer glänzend als General. Er verteidigte Frankreich kurz vor seinem Abfall von Napoleon genau so wie in jenen großen Tagen von Abukir, Wertingen und Prenzlau. In der Schlacht von Dresden spielte seine Kavallerie eine so glänzende Rolle, daß selbst Napoleon allen Groll gegen Murat vergaß und mit Begeisterung den tapferen Reiterführer lobte, der seine Pläne so herrlich zur Ausführung brachte.

Im Oktober erhielt Murat eins der bedeutendsten Kommandos, das er je gehabt hatte. Napoleon stellte vier Armeekorps unter seinen Befehl und beauftragte ihn, die Böhmische Armee in Schach zu halten, während der Kaiser selbst gegen die Schlesische und die Nordarmee operierte.

Murat zeigte sich dieses Oberbefehls würdig. Aber Napoleons Glücksstern auf dem Schlachtfelde war längst erblichen; nach den Siegen bei Lützen, Bautzen, Dresden folgte die große Niederlage bei Leipzig! Es war zu Ende mit der einst Großen Armee Napoleons! Murat begleitete seinen geschlagenen Schwager bis nach Erfurt. Hier bat der König von Neapel ihn, er möge ihn nach seinem bedrohten Reiche zurückkehren lassen. Dagegen hatte der Kaiser nichts einzuwenden. Bewegt schieden die beiden Herrscher voneinander. Sie sollten sich nie wiedersehen!

Murat spielte sein doppeltes Spiel weiter. Während er auf den sächsischen Schlachtfeldern für Napoleon focht, hatte er seinen Bund mit Österreich nicht aus dem Auge gelassen. Jetzt, da Napoleon nicht siegreich nach Frankreich zurückkehrte, befestigte sich Murats Plan mehr und mehr, vom Kaiser abzufallen und sich wieder den Verbündeten zuzuwenden. Auf diese Weise hoffte er einst Herrscher über ganz Italien zu werden. Und merkwürdig, Karoline, die noch kurz vor seiner Abreise zur Armee napoleonisch gesinnt war, neigte jetzt ganz zum Bunde mit Österreich.

Während der Abwesenheit ihres Gatten hatte sie feine Fäden der Politik mit dem österreichischen Gesandten Mier gesponnen. Ihr kluges Auge hatte schnell die ganze Lage erfaßt. Solange es sich darum handelte, daß Murat sich nur über Napoleon zu beklagen hatte, weil er aus ihm einen Präfekten machen wollte, und solange Napoleon vom Glück begünstigt war, hatte Karoline zu ihrem Bruder gehalten, jetzt aber, da sie sah, daß seine Macht schwand und Joachim sein Land verlieren würde, wenn er noch länger gemeinsame Sache mit Napoleon machte, trieb sie ihren schwachen Gatten in die Arme der Österreicher.

Sie selbst brach später, im Februar 1814, allen Verkehr mit dem Kaiserhofe in Paris ab. Während Murat die Unüberlegtheit, Heißblütigkeit und Eitelkeit des Südländers zum Handeln trieben, wurde Karoline nur durch kalten, berechnenden Ehrgeiz zum Abfall vom eigenen Bruder veranlaßt, dem sie alles verdankte. Und der unbeständige und schwache Murat hatte nicht die Kraft, in der Bahn einzuhalten, auf der ihn die Königin mit immer wachsender Kraft vorwärts trieb.

Karoline hatte dem Grafen Mier das Versprechen gegeben, daß Murat alles tun würde, was Österreich fordere, vorausgesetzt, daß man Joachim in dem Glauben lasse, alle Entschlüsse kämen von ihm. Murat selbst versprach, seine Armee auf 80.000 Mann zu bringen, und erklärte, er wüßte nichts besseres, als mit den Verbündeten gemeinsame Sache zu machen.

Dennoch suchte er noch immer sich bei Napoleon lieb Kind zu machen. Das verdroß die Österreicher, und so schickten sie ihm schließlich Ende des Jahres 1813 den General Grafen Adam Neipperg, um ein Bündnis abzuschließen. Neipperg war ein sehr energischer Mann. Er ließ sich nicht lange auf Unterhandlungen ein, sondern verlangte schnell eine Entscheidung. Gedächte der König noch ferner weiter nichts zu tun als Neutralität zu bewahren, so sollten alle Beziehungen zu ihm abgebrochen werden. Wollte er aber wirklich der Koalition gegen Napoleon beitreten, so sollten alle seine Wünsche erfüllt werden. Metternich ging sogar so weit, daß er ihm versprach, ihm beistehen zu wollen, den bisher von Österreich beschützten König Ferdinand IV. von Sizilien zur Abdankung zu zwingen.

Solch großen Verlockungen und glänzenden Versprechungen konnte ein Mann wie Murat nicht widerstehen. Am 11. Januar 1814 unterschrieb er seinen endgültigen Abfall von Napoleon, seinem Wohltäter, dem er einen Thron verdankte, und schrieb sogar darüber an den Kaiser Franz einen eigenhändigen Brief.

Am besten ist diese ganze Intrige, an der auch der Polizeiminister Fouché seinen Anteil hatte, in dessen Memoiren geschildert. Napoleon hatte um diese Zeit den großen Intriganten an den Hof seiner Schwester nach Neapel gesandt. Hören wir, was uns Fouché darüber erzählt:

49. Der Herzog von Reichstadt.
Lithographie von Delaunois nach einer Zeichnung von Delaporte. Napoleonmuseum, Arenenberg

»Alle Blicke waren jetzt auf Süditalien gerichtet. Von dorther erwartete man die politischen und militärischen Entscheidungen, die die beiden sich beobachtenden Armeen an der Brenta und an der Etsch aus der Untätigkeit erlösen sollte. Murat, der nach der Schlacht bei Leipzig Napoleon als vollkommen verloren betrachtete, hatte sich beeilt, nach Neapel zurückzukehren, um dort seinen Plan wieder aufzunehmen, mittels dessen er sich auf dem Throne zu erhalten hoffte, selbst nach dem Sturze desjenigen, der ihn darauf erhoben. Während einer Zusammenkunft mit dem Grafen Mier im Hauptquartier zu Ohlendorf in Thüringen, am 23. Oktober, hatte er sozusagen seinen Beitritt zur Koalition und seinen Frieden mit Österreich angedeutet. Ich besaß zwar noch keine bestimmten Nachrichten über den Entschluß Murats, aber ich sah den Wechsel in seiner Politik voraus. Indes hatte ich folgendes erfahren: Als Murat von Leipzig über Mailand in Lodi anlangte, wurde er von einigen vornehmen Italienern, die beim Pferdewechsel seinen Wagen umringten, gefragt, ob er bald dem Vizekönig zu Hilfe kommen werde?

›Ohne Zweifel‹, antwortete er mit gaskognischer Aufschneiderei, ›binnen eines Monats werde ich Euch mit 50.000 tüchtigen Kerlen zu Hilfe kommen.‹ Und fort war er. Daraus folgerte ich, daß er gerade das Gegenteil gesagt hatte, was er dachte. Bei meiner Ankunft in Rom fand ich den General Miollis und den Landesverweser Janet voll Mißtrauen und Verdacht gegen das Verhalten Murats, der, wie sie sagten, sich ganz offen der Koalition nähere und eine neue Armee aufstelle. Dieses Heer bestand zum Teil aus Neapolitanern, italienischen Überläufern, Korsen und Franzosen. Alle Nachrichten aus Neapel meldeten, daß er in seinem Staate die Kontinentalsperre abschaffe und den Schiffen aller Nationen Eintritt in seine Häfen gestatte. Man versicherte ferner, er unterhandle nicht allein mit dem Wiener Hofe, sondern auch mit Lord Bentinck, Lord Bentinck war Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte im Mittelländischen Meer. um einen Separatfrieden mit Großbritannien abzuschließen. Auch der Vizekönig teilte die Befürchtungen des Militärgouverneurs von Rom. Er sandte sogleich seinen Adjutanten Gifflenga nach Neapel, um die Gesinnung des Königs zu erforschen. Man versicherte ihn der friedlichsten und freundschaftlichsten Absichten, womit sich der junge Offizier, der mit den Intrigen dieses Hofes wenig vertraut war, zufrieden gab.

Als Murat sich für die Unabhängigkeit Italiens erklärte, fand er in den römischen Staaten unter den Carbonari und Crivellari, Diese Partei, die mit dem Freimaurerbund zusammenhing, bekämpfte aufs hartnäckigste alle reaktionären Bestrebungen. Sie verlangte nationale Unabhängigkeit und eine vollkommen liberale Regierung. Später griff die Bewegung auch nach Frankreich über. einer Art politischer Illumination, die sich aus hohen Adeligen, Rechtsgelehrten und römischen Prälaten zusammensetzte, eine kräftige Stütze. Der Priester Battaglia hatte soeben die Dörfer in der Nähe von Viterbo in Aufruhr gebracht und sich an die Spitze einer Bande Aufständischer gesetzt. Sie bemächtigen sich der öffentlichen Kassen und legten allen Leuten, die sich zur französischen Partei bekannten, Kontributionen auf. Gleichzeitig wurden aufrührerische Schriften und Proklamationen in Menge im Kirchenstaat Der Kirchenstaat war 1809 durch Napoleon aufgehoben und das Land dem französischen Kaiserreich und dem Königreich Italien einverleibt worden. verbreitet. Miollis Der General Miollis war Gouverneur von Rom. hatte sehr bald durch die bewaffnete Macht diese Banden von Aufwieglern zerstreut. Battaglia wurde verhaftet und nach Rom gebracht. Seine Aussagen erwiesen, daß er ein Agent des neapolitanischen Konsuls Zuccari war, dem sein Hof aufgetragen hatte, Aufstände gegen die französische Herrschaft zu erregen. Ich hielt es für angebracht, diesen neapolitanischen Umtrieben sehr viel Vorsicht und Klugheit entgegenzubringen und ja nichts zu übereilen.

Inzwischen begann Murat seine Truppen gegen Oberitalien in Bewegung zu setzen. In den ersten Tagen des Dezember marschierte eine neapolitanische Division Infanterie und eine Brigade Kavallerie mit 16 Geschützen in Rom ein. Diese Truppen waren vom General Carascosa befehligt. Obwohl der Kaiser den Befehl erteilt hatte, den König von Neapel wie einen Verbündeten zu behandeln, der geneigt sei, den besten Willen zu zeigen, und obwohl die Bewegung seines Armeekorps im Einverständnis mit dem Vizekönig geschah, so nahm doch Miollis die Neapolitaner mit Mißtrauen auf. Er ließ Civitavecchia und die Engelsburg in Verteidigungszustand setzen und dort die öffentlichen Kassen und alle wichtigen und kostbaren Effekten hinschaffen. Drei oder vier neapolitanische Divisionen folgten, die gleichzeitig ihren Marsch über die Abruzzen auf Ancona und über Rom auf Toskana, Pesaro, Rimini und Bologna einschlugen. Nach der letztgenannten Stadt hatte Murat den Fürsten Pignatelli-Strongoli gesandt, weniger um seiner Armee den Weg zu weisen, deren Zweck zu sein schien, die Österreicher am Po aufzuhalten, als vielmehr, um alle Freunde der Unabhängigkeit Italiens zu veranlassen, ihn in seinem Unternehmen zu unterstützen. Pignatelli hatte den Auftrag, ihm Anhänger zu erwerben.

Inzwischen erhielt ich vom Kaiser den Auftrag, nach Neapel zu gehen, um Murat von seinem Vorhaben, sich gegen Napoleon zu erklären, abzubringen. Meine Instruktionen schrieben mir vor, ihn sehr schonend zu behandeln und die größte Geschicklichkeit bei dieser Unterhandlung anzuwenden. Ich sollte ihm sogar mit der Aussicht schmeicheln, daß man ihm Fermo und Ancona abtreten würde, Reste des Kirchenstaates, die er schon längst zu besitzen wünschte. Drei Schreiben des Kaisers an Joachim waren ihm voraus geeilt. Eines davon kündigte ihm meine Ankunft als Bevollmächtigter Napoleons an. Mitte Dezember traf ich am Hofe von Neapel ein.

Das war ein seltsamer Hof, der Hof Joachim Murats, und sein Königreich zitterte wie der Vesuv selbst. Murat besaß großen Mut und wenig Geist. Keine hohe Persönlichkeit unserer Zeit hat das Lächerliche in Kleidung und Putz und das Gesuchte in der Prachtentfaltung soweit getrieben wie er. Seine Soldaten nannten ihn deshalb auch den König »Franconi«. Napoleon täuschte sich zwar nicht hinsichtlich des Charakters seines Schwagers, aber er irrte, wenn er sich einbildete, seine Schwester, die Königin Karoline, eine ehrgeizige und hochmütige Frau, würde ihren Gemahl leiten, und Murat könne ohne sie nicht König sein. Joachim jedoch merkte gleich im Anfang seiner Regierung die Herrschaft, der man ihn als Ehemann unterwerfen wollte, und strebte eifrig danach, sich ihrer zu entledigen. An einem Hofe, wo die Politik nur in Arglist, die Galanterie nur in Ausschweifungen, die äußere Repräsentation nur in einem theatralischen Pomp bestand, kam ich mir – wenn der Vergleich nicht gar zu anmaßend wäre – ungefähr wie Plato am Hofe des Dionysios vor. Gleich bei meiner Ankunft wurde ich von Intriganten beider Nationen umlagert, unter denen ich unter der Maske einer gewissen Harmlosigkeit die geheimen Sendlinge aus Paris erkannte. Es gab deren auch im Staatsrat des Königs, und ich mißtraute besonders einem gewissen Marquis de G ... Es ist der Marquis de Gallo, Minister der auswärtigen Angelegenheiten des Königreichs Neapel. In meinen ersten Zusammenkünften mit Murat mußte ich große Vorsicht beobachten. Ich tat als hätte ich keinerlei Instruktionen und bat den König, mich mit seiner politischen Lage bekannt zu machen. Er gestand mir, daß sie sehr kritisch sei und er sich in der größten Verlegenheit befände. Einesteils stehe er zwischen seinem Volke und seiner Armee, die jeden Gedanken an ein Fortbestehen des Bündnisses mit Frankreich verabscheuten, andernteils befände er sich zwischen dem Kaiser Napoleon und den verbündeten Herrschern. Napoleon lasse ihn ohne jede Unterstützung und strafe ihn mit Verachtung, und die Verbündeten verlangten von ihm dringend, daß er seinen völligen Beitritt zur Koalition erkläre. Von dritter Seite endlich forderten ihn die Führer der italienischen Patrioten auf, die Unabhängigkeit des Vaterlandes zu erklären, während der Vizekönig sich gegen alle diese, für die Unabhängigkeit Italiens günstigen Maßnahmen widersetze, teils auf Befehl des Kaisers, teils aus eigener Anschauung. ›Schließlich‹, fügte der König hinzu, ›habe ich mich auch noch gegen die Umtriebe des Lord Bentinck zu wehren, der von Sizilien aus die Kalabresen aufwiegelt und in meinem ganzen Königreich die Carbonari durch Geld und Versprechungen unterstützt.‹ Ich sagte dem König, es komme mir nicht zu, ihm einen Rat zu geben. An ihm sei es, einen Entschluß zu fassen. Ich könne mich nur darauf beschränken, ihn dazu zu veranlassen, und wenn er ihn einmal gefaßt habe, unabänderlich darin zu verharren.

Am Schlusse der Unterredung gestand mir der König, er habe bereits einen Monat früher dem Kaiser seine Besorgnis mitgeteilt, daß eine Abteilung Österreicher an die Mündung des Po vorrücken könne, er habe ihn bei dieser Gelegenheit gebeten, aus freien Stücken auf den Besitz Italiens zu verzichten und durch die Unabhängigkeitserklärung sein Verdienst um das Land zu vervollständigen. Ich erwiderte dem König, schwerlich könnte man annehmen, daß der Kaiser aus der Not eine Tugend machen werde, denn ich selbst hätte ihn vergeblich gebeten, in Frankreich den Krieg zu einem Volkskrieg zu gestalten.

Meine übrigen Zusammenkünfte mit Murat waren ebenso überflüssig. Der König war bereits auf der Bahn, wo man ihn haben wollte: seine Ratgeber trieben ihn mehr und mehr in die Arme der Koalition. Das war nun freilich eine politische Lage, die sich mit seinen Unabhängigkeitsplänen für Italien nicht vertrug. Ich ließ ihn das merken, aber vergebens. Nun beschränkte ich mich darauf, ihm in einer geheimen Unterredung dringend zu empfehlen, seine Armee zu vermehren und gute Soldaten heranzubilden. Um jeden Preis aber sollte er die Sekte der Carbonari für seine Sache zu gewinnen suchen. Es sei unpolitisch von ihm gewesen, sie zu verfolgen, denn gerade sie scheine mir immer festeren Boden zu gewinnen, je ernster die Ereignisse sich selbst gestalten. Ich schloß damit, dem König zu raten, daß er ja nicht zu viel auf einen Haufen neapolitanischer fürstlicher Hoheiten rechne, sondern sich lieber mit Leuten umgeben möge, die mehr als die bloße »Exzellenz« ihres Namens besäßen und auf deren Entschlossenheit er sich verlassen könne.

Da ich keine direkten Nachrichten mehr erhielt und über den Zustand von Paris nur ungenaue Kenntnis hatte, machte ich mich eilig auf den Weg nach Rom, wo mich meine Briefe erwarteten. Ich hielt es für um so angebrachter, den Hof Murats zu verlassen, da ich wußte, daß man dort als österreichischen Bevollmächtigten den Grafen Neipperg erwartete, um den Beitrittsvertrag abzuschließen. Ich würde mich unter diesen Umständen nur in einer schiefen Lage befunden haben.

Noch unter dem Eindruck, den mir die in Rom vorgefundenen Briefe zurückließen, schrieb ich dem Kaiser folgendes: ›Ich habe mich vom König von Neapel verabschiedet und darf Eurer Majestät keine der Ursachen verhehlen, die die gewohnte Tätigkeit dieses Fürsten gehemmt haben.

Erstens war es die Ungewißheit, in der Sie ihn hinsichtlich des Oberbefehls über die Armee von Italien gelassen haben. Der König hat Eurer Majestät in den beiden letzten Feldzügen so große Beweise von Aufopferung und militärischen Fähigkeiten gegeben, daß er von Ihnen dieses Zeichen von Vertrauen erwarten durfte. Er fühlte sich sowohl durch Ihr Mißtrauen als durch den Gedanken erniedrigt, sich auf die gleiche Stufe wie Ihre Generale gestellt zu sehen.

Zweitens sagt man unaufhörlich zum König: wenn Sie, um dem Kaiser Italien zu erhalten, Ihr Königreich von Truppen entblößen, werden die Engländer Landungen unternehmen und Aufstände erregen, die um so gefährlicher werden können, als die Neapolitaner sich laut über den Einfluß von Frankreich beklagen. In welchem Zustand, fügt man hinzu, befindet sich das Land? Ohne Armee, entmutigt durch einen Feldzug, den seine Feinde keineswegs für das Ende seiner Leiden halten, weil der Rhein keine Schutzwehr mehr bildet und der Kaiser, weit entfernt, Italien zu beschützen, genug zu tun hat, sich selbst an der deutschen, schweizerischen und spanischen Grenze zu verteidigen. Von Paris aus schreibt man an den König: denken Sie an sich selbst und zählen sie auf niemand als auf sich selbst. Der Kaiser vermag nichts mehr, selbst nicht mehr in Frankreich. Wie sollte er da Ihre Staaten beschützen können? Wenn er in der Zeit seiner höchsten Macht den Gedanken hatte, Neapel mit Frankreich zu vereinigen, welches Opfer würde er da jetzt geneigt sein, für Sie zu bringen? Er würde Sie heute um den Preis einer Festung aufgeben. Drittens setzen Ihre Feinde der Schilderung von Frankreichs Lage die unermeßlichen Vorteile entgegen, die sich dem König durch den Beitritt zur Koalition darbieten: er befestigt dadurch seinen Thron und erweitert seine Staaten. Anstatt dem Kaiser seinen Ruhm und seine Krone unnützerweise zum Opfer zu bringen, kann er über beide den stärksten Glanz verbreiten, wenn er sich als Verteidiger Italiens und als Bürge seiner Unabhängigkeit erklärt. Erklärt er sich hingegen für Eure Majestät, so verläßt ihn seine Armee, und sein Volk empört sich. Trennt er seine Sache von der Sache Frankreichs, so eilt ganz Italien unter seine Fahnen. – Das ist die Sprache der Leute, die Ihrem Throne und Ihrer Regierung sehr nahe stehen. Vielleicht täuscht man sich dabei nur in den Mitteln, Eurer Majestät zu dienen. Der Frieden ist der ganzen Welt notwendig: und in den Augen dieser Leute scheint es eben das sicherste Mittel zu sein, Sie zum Frieden zu bringen, wenn man den König dazu bestimmt, sich an die Spitze Italiens zu stellen.‹

Die toskanische Regierung war um so besorgter um ihre Zukunft, als die Engländer am 10. Dezember (1813) bei Viareggio eine Landung gemacht und sich vor Livorno gezeigt hatten. Die gute Haltung der französischen Garnison hingegen hatte sie veranlaßt, sich wieder einzuschiffen. Es schien indes ihrerseits nur ein Erkundungsversuch zu sein.

Während diese Ereignisse vor sich gingen, traf ich am Hofe der Großherzogin von Toskana ein, die mich ganz vorzüglich aufnahm. Ich fand in ihr eine sehr eigenartige Frau, die gründlich zu studieren ich diesmal Zeit hatte. Elisa war weder schön noch reizvoll, doch nicht ohne Geist. Die ersten Aufwallungen ihres Herzens waren immer gut, aber ein unheilbarer Mangel an Urteilskraft, und ihre Neigung zu einem ausschweifenden Leben stürzten sie in Verirrung und Tollheiten. Sie hatte eine förmliche Manie, alle Gewohnheiten ihres Bruders nachzuahmen, wie z. B. sein barsches Wesen, den gesuchten Aufwand des Hofes sowie den ganzen militärischen Apparat. Dabei vernachlässigte sie die Künste, ja sogar die Wissenschaften, zu deren Beschützerin sie sich doch einst aus Vorliebe gemacht hatte. In einem Lande, wo der Ackerbau und der Handel so außerordentlich geblüht hatten, beschäftigte sie sich mit nichts anderem, als sich einen glänzenden, servilen Hof zu bilden, Bataillone aus Konskribierten zusammenzustellen und Generale ein- und abzusetzen. Mit einem Wort: Elisa war gefürchtet, aber nicht beliebt. Ich hingegen hatte mich über sie nicht zu beklagen. Gegen mich war sie zuvorkommend, liebenswürdig, ja, ich fand sie sogar auf alle Schläge gefaßt, die ihr drohten. Sie gab gern meiner Erfahrung und meinem Rate nach. Von diesem Augenblick an wurde ich der Leiter ihrer Politik. Vor mir machte sie kein Hehl aus ihrem Verdruß, daß Napoleon nahe daran sei, durch seinen Starrsinn vielleicht nicht nur sein Reich zu verlieren, sondern auch ohne Bedenken die Throne zu opfern, die in den Händen seiner Brüder und Schwestern waren. Da erriet ich alle ihre Besorgnisse und begriff, wie sehr sie über den ungewissen Zustand Toskanas in Unruhe war.

Unterdessen langten die verschiedenen Korps der Armee Murats nach und nach an ihren Bestimmungsorten, in Rom und an den Marken an. Murats Adjutant, der General Lavauguyon, der sich mit 5000 Neapolitanern in Rom befand, erklärte sich plötzlich als Kommandant der römischen Staaten und nahm das Land in Besitz. General Miollis, der nur 1800 Franzosen bei sich hatte, warf sich in die Engelsburg. Vergebens forderte ihn Lavauguyon auf, sich zu ergeben, da ließ er die Festung einschließen und schlug Miollis eine Unterredung vor, die dieser jedoch rund abwies.

Bald darauf hielt Murat selbst, der am 23. Januar von Neapel aufgebrochen war, seinen Einzug in Rom mit jenem ihm eigenen Pompe und wurde von den Unabhängigen mit Beweisen von großer Zufriedenheit aufgenommen. Er ließ dem General Miollis und dem General Lasalcette, der Civitavecchia mit 2000 Mann verteidigte, den Vorschlag machen, mit ihren Garnisonen nach Frankreich zurückzukehren. Beide Generale weigerten sich indes, und der König beauftragte ein Observationskorps, die beiden Festungen zu blockieren. Gleichzeitig hatte er die Belagerung der Zitadelle von Ancona beginnen lassen, wohin sich der General Barbou zurückgezogen hatte. Offenbare Feindseligkeiten waren bis jetzt allerdings noch nicht vorgefallen, aber Murats zweideutiges Benehmen und das Vorrücken der Truppen gegen Parma und Toskana ließen keinen Zweifel mehr über seinen nahen Abfall. Am 1. Februar war Joachim in Bologna eingezogen und am selben Tage schickte er den General Minutulo mit 800 Mann ab, um Toskana in Besitz zu nehmen. Zum Gouverneur ernannte er den General Joseph Lecchi. Diese Nachricht brachte die größte Bestürzung am Hofe der Großherzogin hervor, die sich bitter beklagte, auf diese Weise von ihrem Schwager beraubt zu werden. Da ich wußte, daß das Volk überall den neapolitanischen Truppen entgegenkam, riet ich der Großherzogin, dem Sturme nachzugeben und sich entweder nach Livorno oder nach Lucca zurückzuziehen. Als sie diesen Entschluß gefaßt hatte, trug sie ihrem Gemahl, dem Fürsten Felix Baciocchi, auf, die militärische Räumung Toskanas zu bewerkstelligen.

Während die Großherzogin und ich uns nach Lucca geflüchtet hatten, hielt Baciocchi noch die Zitadelle und die Forts von Florenz und Volterra besetzt. Von Tag zu Tag erwartete ich die von mir erbetenen Vollmachten, Toskana und die römischen Staaten militärisch zu räumen. Auch die Großherzogin wünschte Toskana von französischen Truppen befreit zu sehen, denn sie hoffte mit Murat ein Übereinkommen zu treffen, dessen Zukunft mir mehr Glück zu verheißen schien als die ihres Bruders Napoleon. Indessen gab sich Murat, der bereits alle Provinzen besetzt hielt, die größte Mühe, ganz Italien mit seinem Namen zu erfüllen. Er schrieb mir Briefe über Briefe, worin er immer wieder wiederholte, daß sein Bündnis mit der Koalition ihm das einzige Mittel scheine, seinen Thron zu erhalten. Außerdem forderte er mich auf, dem Kaiser die reine Wahrheit über den wirklichen gegenwärtigen Zustand Italiens zu sagen. Ich antwortete, daß ich den Kaiser in dieser Hinsicht bereits benachrichtigte, und er habe es gar nicht nötig gehabt, mich zu ermutigen, Napoleon die Wahrheit zu sagen. Ich hätte immer geglaubt, es sei Verrat an den Fürsten, sie ihnen zu verschweigen, übrigens bestand ich ernstlich darauf, daß es für den König von Neapel höchst notwendig sei, sich eine gute Armee zu bilden als Mittel, sich Einfluß auf die Koalition zu verschaffen. Ganz besonders empfahl ich ihm, alle Unentschlossenheit zu verbannen, denn das geringste Schwanken könne ihm höchst gefährlich werden, Fouché rät also Murat ganz offen zum Verrat. übrigens könne er seinem Vaterland einen großen Dienst leisten, wenn er zu einem allgemeinen Frieden beitrage und die Würde der Throne und die Unabhängigkeit der Völker herstelle.

Murats Truppen waren am südlichen Ufer des Po angelangt. Durch die Besitznahme Toskanas und der päpstlichen Staaten hatte er sich gegen den Kaiser, seinen Schwager, zugunsten Österreichs erklärt. Er war gebunden, aber man war es nicht gegen ihn, denn der Vertrag, den er am 11. Januar in Neapel mit dem Grafen Neipperg geschlossen hatte, war nicht ratifiziert worden. In Anbetracht der ernsten Ereignisse hielt ich es für geraten, mich noch einmal mündlich mit Murat zu besprechen und hatte daher in Modena eine geheime Zusammenkunft mit ihm. Da er nun einmal einen entscheidenden Entschluß gefaßt hatte, ließ ich ihn fühlen, daß er sich nun auch erklären müsse. ›Wenn Sie‹, sagte ich zu ihm, ›ebenso große Charakterfestigkeit hätten als ihr Herz treffliche Eigenschaften in sich schließt, so würden Sie in Italien stärker als die Koalition sein. Sie können sie hier nur durch große Begeisterung und Offenheit beherrschen.‹ Noch schwankte er. Da teilte ich ihm meine neuesten Nachrichten aus Paris mit. Dadurch endlich wurde er bestimmt und setzte mich von dem Entwurf einer Proklamation oder besser Kriegserklärung in Kenntnis, für die ich ihm einige Abänderungen vorschlug, die er annahm. Die aus Bologna datierte Proklamation war folgendermaßen abgefaßt:

›Soldaten! Solange ich glaubte, daß der Kaiser Napoleon für den Frieden und das Gedeihen Frankreichs kämpfte, habe ich an seiner Seite gefochten. Jetzt aber ist es mir nicht mehr erlaubt, mich noch länger zu täuschen. Der Kaiser will nichts als Krieg! Ich würde die Interessen meines ehemaligen Vaterlandes, meiner eigenen Staaten und die Euren schlecht vertreten, wenn ich nicht auf der Stelle meine Waffen von den seinigen trennte, um sie mit den Waffen der Verbündeten zu vereinigen, deren großmütige Absicht es ist, die Würde der Throne und die Unabhängigkeit der Völker wieder herzustellen.

Ich weiß, daß man den Patriotismus der Franzosen, die in meiner Armee sind, durch falsche Ansichten von Ehre und Treue irre zu leiten sucht. Als wenn die Ehre und Treue darin bestünde, die Welt der wahnsinnigen Ehrsucht Napoleons zu unterwerfen! Soldaten! Es gibt nur noch zwei Banner in Europa. Auf dem einen steht geschrieben: Religion, Moral, Gerechtigkeit, Mäßigung, Gesetze, Frieden und Glück! Auf dem andern aber leset Ihr: Verfolgung, Arglist, Gewalttätigkeit, Tyrannei, Krieg und Trauer in allen Familien! Also wählet!‹

Wenige Tage später erhielt ich vom Kriegsminister eine Depesche mit Instruktionen vom Kaiser, daß ich die Räumung der Römischen Staaten und Toskanas vornehmen könne. Diesen Instruktionen lag ein Brief an den König von Neapel bei, den ich ihm persönlich überreichen sollte. Gleichzeitig wurde mir empfohlen, ihm gewisse vertrauliche Eröffnungen zu machen, die ich, je nach der Lage, in der sich Murat befinde, ändern könnte. Ich begab mich daher sogleich nach Bologna, wo sich Murat aufhielt. Bis Florenz fand ich keine Schwierigkeiten, aber dort bedeutete man mir, ich dürfe weder meine Reise fortsetzen noch in Florenz bleiben, sondern müsse in Prato die Antwort des Königs abwarten. Sogleich fertigte ich einen Kurier an den König ab und ging nach Lucca zurück, wo ich vorzog zu bleiben, weil Prato bereits im Aufstand war. Schnell erhielt ich die Antwort des Königs, der mir den Befehl ankündigte, den er seinen Generalen erteilt hatte, um mit mir die Räumung der Römischen Staaten und Toskanas abzuschließen. Die Schilderhebung Murats verursachte mir eine Unruhe ganz anderer Art, die um so größer war, als weder der Kaiser noch ich ein wirksames Mittel besaßen, ihn zu unterstützen oder zu leiten. Unglücklicherweise ging der Antrieb dazu auch noch von uns aus, denn man mußte doch, wie man zu sagen pflegt, ›der Katze die Schelle anhängen‹. Wirklich ging Murat in dem Sturm unter, den er heraufbeschworen hatte. Gegen Ende Mai landete er als Flüchtling im Golfe von Juan. Diese Nachricht wurde als ein verhängnisvolles Vorzeichen aufgefaßt und setzte die ganze Umgebung des Kaisers in die größte Bestürzung.« Soweit Fouché.

Das mit Neipperg abgeschlossene Bündnis verpflichtete den König von Neapel endgültig, die Sache der Verbündeten zu verfechten. Nun gab es kein Zurück mehr. Das Band mit Napoleon war vollkommen zerrissen, und es galt jetzt die Verteidigung der eigenen Interessen. Aber der ewig schwankende Charakter des Emporkömmlings verhinderte auch in diesem Fall eine energische, gerade Politik. Das ganze Verhalten des neapolitanischen Königs ähnelte dem des Hundes der Fabel, der den Bissen im Maule fahren läßt, um einen anderen zu schnappen, den er in seinem Spiegelbilde sieht. Die Politik Murats ging in erster Linie darauf aus, das erworbene Königreich zu behalten. Der König äußerte eine geradezu kindliche Angst, sein Reich könne ihm einmal verloren gehen. Daher dieses ständige Schwanken in seiner Politik. Seine Macht stellte er uneingeschränkt dem zur Verfügung, der ihm für sein Königreich Bürgschaft leistete. Sobald er aber glaubte, in seinem Besitz sicher zu sein, streckte er bereits beutegierig seine Hand nach größerem Besitz aus. Selbst als sein kleines Königreich in Gefahr war, beherrschte ihn stets der Gedanke, einmal die Krone des geeinten Italiens auf seinem Haupte zu sehen. Murat war tatsächlich der Vorläufer des Risorgimento.

Das mit Österreich abgeschlossene Bündnis war für den König von Neapel zunächst nur ein Vorwand zur Erweiterung seiner Macht. Neapolitanische Truppen zogen zu Beginn des Jahres 1814 in Rom und Ancona ein, während die Regentin Karoline allen französischen Besitz im Königreich Neapel einzog.

Die Österreicher aber mußten bald einsehen, daß sie einen Bundesgenossen gewonnen hatten, der sie nur mit halben Kräften unterstützte. Sie hatten wohl auch in der Annahme nicht Unrecht, daß Murat mit dem Vizekönig Eugen im Einverständnis stand. Die Erfolge Napoleons während des Feldzuges in Frankreich steigerten die Wankelmütigkeit des Königs von Neapel noch mehr. Er versuchte, unter allen Umständen eine Schlacht zwischen neapolitanischen und französischen Truppen zu vermeiden, um im Notfalle bei dem endgültigen Siege Napoleons doch wieder auf dessen Seite überzugehen. Stets, wenn es zu einem Zusammenstoß kommen sollte, zogen sich die Truppen des Königs von Neapel zurück. Der Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte in Oberitalien, Eugen Beauharnais, Vizekönig von Italien, sandte Murat sogar die Gefangenen, die sein Heer gemacht hatte, ins Hauptquartier zurück, natürlich zum größten Ärger der Österreicher. Da machte Napoleons Abdankung in Fontainebleau und der Vertrag von Schiarino Rizzino vom 16. April zwischen Eugen und den Österreichern den Feindseligkeiten auf allen Fronten ein Ende. Die alten Fürsten kehrten in ihre Königreiche zurück. Und Murat war mehr denn je von allen Mächten isoliert.

Die Wirkung der Politik des Königs von Neapel war eine doppelte: Napoleon, der sich nun auf der Insel Elba befand, war tief gekränkt. Die Alliierten aber betrachteten Murat als unsicheren Verbündeten und suchten nach einer guten Gelegenheit, wie sie sich seiner am schnellsten entledigen konnten. Die Reaktion gegen alles, was napoleonisch war, wirkte auch gegen Murat, den die Verbündeten allgemein als lästigen Emporkömmling betrachteten. Metternich hielt vorläufig noch an dem Bündnis fest, weil der österreichische Kaiser sein Wort verpfändet hatte. Bentinck, der größte Feind des »Marschalls Murat«, wie er stets den König von Neapel nannte, intrigierte offen gegen ihn. Noch war aber die neapolitanische Armee unter der Führung eines der besten Generale Napoleons ein starker Gegner, den die Verbündeten sich nicht zum Feinde machen durften! Aber man mußte auf der Hut sein. Metternich sah in Murat den Vorkämpfer der italienischen Einheit, und er war vorsichtig. Die Ereignisse des Wiener Kongresses bewiesen, wie klug man in bezug auf diesen Verbündeten sein mußte. Die sächsische und polnische Frage drohte einen Krieg zwischen Preußen und Rußland gegen Österreich herbeizuführen. Wie wehrte man sich da gegen den unsicheren Verbündeten in Italien? Noch mußte man also den Emporkömmling auf dem neapolitanischen Thron schonen.

Murat blieben die Verhandlungen auf dem Wiener Kongreß nicht unbekannt. Er wußte, daß man seinen Sturz wollte. Seine Gesandten am Kongreß verfehlten auch sicher nicht, über die Behandlung, die ihnen in Wien zuteil wurde, dem König zu berichten. Und so beschloß Murat sich gegen einen Angriff von seiten der Koalition zu wehren und ihm, wenn möglich, zuvorzukommen.

Da trat ein Ereignis ein, das mit einem Schlage alles änderte: Napoleon entwich von der Insel Elba und landete in Frankreich! Im Triumph gelangte er nach Paris und war wieder unumschränkter Herrscher! Natürlich nahm Murat sofort für ihn Partei. Zwar unterhandelte er noch weiter mit den Verbündeten, doch sie wußten wohl, daß sie von ihm nichts mehr zu erwarten hatten.

Ohne zunächst abzuwarten, wie sich die Ereignisse entwickeln würden, selbst ohne sich vorher mit Napoleon verständigt zu haben, erklärte der König von Neapel am 15. März plötzlich den Krieg. Er vertraute wiederum die Regentschaft Karoline an und marschierte selbst an der Spitze einer Armee von 40.000 Mann nach dem Kirchenstaat.

Es war ein großes Wagnis, das der König unternahm. Die Vorbereitungen für einen Feldzug waren viel zu gering. Das neapolitanische Heer bot zwar einen prächtigen Anblick, hatte aber keinen großen Kampfeswert. Zunächst wirkte jedoch das überraschende Erscheinen der Armee verblüffend. Die schwachen österreichischen Besatzungen ergaben sich oder zogen sich zurück. In wenigen Wochen zog Murat siegreich in Rom, Ancona, Bologna, Ferrara, Modena und Toskana ein. Eine Proklamation erklärte die Marken mit Neapel vereinigt. Die Erklärung, daß sein Heer für die italienische Unabhängigkeit kämpfe, verschaffte ihm viele Anhänger. Seine Truppen erhielten eine italienische Kokarde in dunkelroter und grüner Farbe. Bereits am 6. April waren die Neapolitaner am Po angelangt. Da trat der Rückschlag ein.

Bei Occhiobello erlitt die Armee Murats die erste Niederlage. Zu gleicher Zeit langten aus Neapel beunruhigende Nachrichten an. Am 7. April hatte Lord Bentinck, der Kommandant der englischen Geschwader im Mittelmeer, an alle seine Befehlshaber den Befehl gesandt, Neapel anzugreifen. In geradezu naiver Weise hatte Murat dem General Desvernois vor seiner Abreise zur Armee Befehl gegeben, zu den Engländern und zu Sizilien freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten. Zu gleicher Zeit gingen die Österreicher zum Angriff über.

Murat trat den Rückzug an und erlitt nun eine Niederlage nach der anderen. Nach einem letzten Erfolg bei Macerata wurde die neapolitanische Armee bei Tolentino entscheidend geschlagen und zog sich zurück.

Dieser Rückzug artete bald in regellose Flucht aus. Um sein Reich vor einem Angriff der Engländer zu retten, verließ Murat die Armee und beauftragte seine Generale, mit dem Feind zu unterhandeln. Der Befehlshaber der österreichischen Truppen, Bianchi, erklärte jedoch, mit dem »Marschall Murat« keine Verträge abschließen zu wollen. Und so entschied der Vertrag von Capua über die Kapitulation des neapolitanischen Heeres, das nur noch aus Trümmern bestand. Die Österreicher waren jedoch nicht gesonnen, einen Waffenstillstand abzuschließen; ihr Ziel war Neapel.

Während Murat sich auf den Schlachtfeldern Oberitaliens die Krone der Apenninenhalbinsel zu erobern gedachte, hatte Karoline in Neapel einen schweren Stand. Als die Nachrichten von den ersten Niederlagen ihres Gatten eintrafen, mehrten sich die Anzeichen einer drohenden Revolution. Die Königin tat alles, um die Ordnung im Staat aufrechtzuerhalten. Sie zeigte sich heiter in der Öffentlichkeit, hielt über Truppen und Bürgerwehr Paraden ab, um das Volk zu beruhigen und jeden Gedanken an einen Umsturz im Keime zu ersticken. Noch am 12. Mai, also bereits 10 Tage nach der Niederlage bei Tolentino, begrüßte sie die Bürgerwehr Neapels. Sie erschien zu Pferd, im Reitkostüm, mit den Farben der Garde und sah entzückend aus. Für jeden Offizier hatte sie ein liebenswürdiges Wort, und stürmische Zurufe empfingen sie, als sie die Reihen entlang ritt.

Es nützte aber alles nichts. Zu gleicher Zeit erschien nämlich vor Neapel ein britisches Geschwader unter dem Oberbefehl Robert Campbells. Der englische Kapitän forderte von der Königin die sofortige Übergabe der Forts und der königlichen Flotte. Er drohte mit der Beschießung der Stadt, falls seine Forderungen abgewiesen würden. In Neapel herrschte darob großer Schrecken. Die Königin sandte sogleich einen Unterhändler, den Fürsten Cariati, an Bord des »Tremendous« und schloß mit Campbell einen Vertrag, wonach sie die Forderungen des Engländers erfüllte und die Zusicherung erhielt, daß sich die englische Flotte jeder Feindseligkeit gegen die Hauptstadt enthalte. Campbell versprach Karoline sogar, ihr und ihrer Familie im Notfall eine Zuflucht auf seinen Schiffen zu gewähren.

Die Herrschaft des Königs Murat ging entschieden ihrem Ende entgegen. In der Hauptstadt trafen zahlreiche Verwundete und Deserteure ein und vermehrten die allgemeine Unsicherheit. Revolutionäre Banden begannen bereits ihr Unwesen zu treiben. In der Vorausahnung kommender Dinge verließen die napoleonischen Verwandten der Königin, die sich in dieser Zeit bei ihr befanden, Jérôme, Kardinal Fesch, Letizia und Pauline die neapolitanische Hauptstadt, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie begaben sich zunächst nach Rom in den Schutz des Papstes. Schweren Herzens mußte sich Karoline von ihren Kindern trennen, die nach Gaeta geschickt wurden. Die Österreicher näherten sich immer mehr dem Königreich. Karoline aber hielt tapfer in der Hauptstadt aus.

An ihren Onkel Fesch schrieb sie um diese Zeit folgenden interessanten Brief: »Ich bin sehr erfreut, Sie in Rom angelangt zu wissen. Es ist mein Wunsch, daß Sie sich dort so einrichten, wie es Ihnen angenehm ist, aber ich habe eine Bitte an Sie, mein lieber Onkel, und beschwöre Sie, mir sie nicht abzuschlagen. Sie würden mir dadurch den größten Schmerz bereiten. Und das möchten Sie doch nicht, wie ich hoffe.

Ich frage daher an, mein lieber Onkel, ob Sie von heute an über die Summe von 30.000 Franken verfügen wollen. Sie wird Ihnen von Nutzen sein, bis Ihre Angelegenheiten geregelt sind. Später, wenn Sie nicht mehr wissen, was Sie damit beginnen sollen, können Sie sie in meinem Namen für gute Zwecke verwenden. Wenn Sie mir diese Bitte gewähren, verschaffen Sie mir die süßeste Genugtuung. Es macht mir durchaus keine Schwierigkeiten, denn ich kann das Geld von meinem Jahrgeld nehmen, ohne mich irgendwie in Unannehmlichkeiten zu verwickeln ...

Ferner bitte ich Sie, mein lieber Onkel, alles zu tun, um mit Mama in gutem Einvernehmen zu leben. Ganz Europa hat in diesem Augenblick die Augen auf uns gerichtet. Man veröffentlicht über uns schreckliche Dinge, Familienangelegenheiten, die man entstellt und zurechtstutzt, die aber nichtsdestoweniger Anklang bei den Leuten finden, die uns umgeben. Machen Sie das bitte Mama klar und seien sie beide auf der Hut, denn wir sind alle von Böswilligkeit umgeben.

Ich teile Ihnen diese Beobachtung nur mit, weil Ihr Ruhm ebenso wie der unsere dabei auf dem Spiele steht ...

Ich benutze die Abreise von ..... um Ihnen frei und offen zu schreiben, was ich durch die Post nicht gewagt hätte ... Machen Sie sich keine Sorgen über die Angelegenheit des Papstes; der König wird keine Auseinandersetzung mit ihm haben ...« Dieser Brief zeigt Karoline ganz als echte Bonaparte, die auf ihren Ruhm mehr als auf alles andere bedacht ist.

Inzwischen gingen die Ereignisse ihren Gang. Am 13. Mai hatte Feldmarschalleutnant Bianchi, der Oberbefehlshaber der gegen Neapel anrückenden österreichischen Streitkräfte, in einer Proklamation den Neapolitanern mitgeteilt, er käme nicht als Feind, sondern als Retter aus den Händen einer tyrannischen Regierung. Das bedeutete nichts anderes als die Vertreibung Murats vom Throne Neapels und die Wiedereinsetzung der alten Königsfamilie. Ein Bündnis zwischen Österreich und König Ferdinand IV. bestätigte es.

Als Flüchtling, nur von vier Lanzenreitern begleitet, traf Murat am Abend des 18. Mai in seiner Hauptstadt ein. Zu Karoline soll er bei seiner Ankunft gesagt haben: »Madame, es war mir nicht vergönnt zu sterben.« Den nächsten Tag brachte er in seinem Palast zu. Dann ging er daran, sein Geld an seine ergebensten Anhänger zu verteilen. Das war wohl großmütig, aber sehr unklug, denn er hätte später diese Mittel gut anders verwenden können. Der Abschluß des Vertrags von Capua, der die Auflösung der neapolitanischen Armee in sich schloß, machte auch noch die letzten Hoffnungen zunichte.

Murat gedachte zunächst, sich nach Gaeta zu begeben, das noch nicht vom Feinde genommen war. Aber seine Freunde rieten ihm von diesem Plan ab. So entschloß sich der entthronte König, nach Frankreich zu reisen und Napoleon seine Dienste anzubieten. In bürgerlicher Kleidung verließ er mit einigen Getreuen Neapel zu Pferd und nahm dreihundert- oder vierhunderttausend Franken mit. Um nicht erkannt zu werden, hatte er sich seinen charakteristischen Backenbart abrasieren lassen. Am 25. Mai landete er in Cannes.

Karoline blieb vorläufig noch in Neapel. Sie bewies damit, daß sie eine mutige Frau war und nicht beim ersten Schlag des Schicksals verzagte. Man muß wohl annehmen, daß Joachim und Karoline sich über diesen Punkt geeinigt hatten. Jedenfalls beharrte die Königin auf dem Standpunkt, daß die neapolitanischen Unterhändler keine Vollmacht gehabt hatten, das Königreich Neapel den Österreichern auszuliefern. Sie sollte aber bald einsehen, daß es unangebracht war, sich weiter noch in Illusionen zu wiegen.

Die Nachricht von der Kapitulation des Heeres hatte Neapel in große Aufregung versetzt. Banden durchstreiften die Straßen und verbreiteten überall Angst und Schrecken. Nur die Anwesenheit der Regierung verhinderte, daß die Ordnung vollständig zerstört wurde.

Da aber das Ende der Muratschen Herrschaft anscheinend eine beschlossene Sache war, taten sich Teile der Bevölkerung keinen Zwang mehr an und bedrohten offen das königliche Haus. So hielt es auch Karoline für geraten, die Hauptstadt zu verlassen. Sie erinnerte sich an das Anerbieten des Kapitäns Campbell, und in der Nacht vom 20. zum 21. Mai begab sie sich auf das englische Schiff »Tremendous« und schiffte auch ihre Kostbarkeiten und ihre wertvollsten Möbel mit ein.

Da in Neapel der Aufstand auszubrechen drohte, beschleunigten die Österreicher ihren Einmarsch. Am Morgen des 22. Mai besetzte General Neipperg, der spätere morganatische Gatte der Kaiserin Marie Luise, die Hauptstadt Murats und stellte sofort die Ordnung her. Es war auch höchste Zeit. In der Nacht vom 21. zum 22. Mai hatten die Räuberbanden bereits mit der Plünderung der Stadt begonnen. Zahllose Banditen, manche nur mit einem Hemd bekleidet oder vollkommen nackt, durchzogen plündernd und raubend die Straßen. Es war daher eine tatsächliche Befreiung für die Einwohner, als am nächsten Tag österreichische Kavallerie einrückte und dem Treiben der Räuber ein Ende machte. Ein begeisterter Empfang der Neapolitaner belohnte die Österreicher.

Nach seiner Ankunft in Neapel erklärte General Neipperg zunächst den zwischen der Königin von Neapel und dem Kapitän Campbell abgeschlossenen Vertrag für null und nichtig. Der Vorgesetzte Campbeils, Lord Exmouth, bestätigte seinerseits, daß der Kapitän zu diesem Vertrag nicht befugt gewesen sei. Danach unterhandelte General Neipperg persönlich mit Karoline auf dem »Tremendous«. Als die gestürzte Königin für sich und ihre Familie freies Geleit nach Frankreich verlangte, lehnte er diese Forderung rundweg ab. Es blieb daher Karoline nichts anderes übrig, als sich schweren Herzens unter den Schutz Österreichs zu stellen. Am 6. Juni traf sie in Triest ein. Ihre glänzende Rolle als Königin von Neapel hatte ausgespielt.

Inzwischen näherte sich das Trauerspiel Murats seinem Abschluß. Der entthronte König glaubte sich zwar zunächst in Sicherheit. Napoleon war ja wieder der unumschränkte Herr Frankreichs. War es da nicht möglich, daß er die neue Koalition besiegte und seinen ehemaligen Freund und Waffengenossen von neuem auf den Thron Neapels setzte? Der gaskognischen Beweglichkeit und Eitelkeit Murats war eine derartige Hoffnung wohl zuzutrauen. Er wandte sich zunächst an Fouché, um zu erfahren, wie ihm der Kaiser gesinnt sei. Napoleon aber war über das Unvernünftige Murats zu sehr erzürnt, als daß er ihn wieder hätte verwenden wollen. So blieb dem gestürzten Fürsten nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis sich ihm die Gunst des Kaisers wieder zuwandte.

In der Nähe von Toulon bewohnte Murat ein Landhaus, wo sich auch verschiedene seiner Anhänger einfanden, unter anderen seine früheren Adjutanten Bonafoux, Roccaromano und General Rosetti, ferner Oberst Maceroni und ein Korse namens Galvani, den Murat später zu seinem Geheimschreiber ernannte.

Das Schicksal der Bonaparte ging seinen Lauf. Im Juni 1815 vernichtete die Schlacht von Waterloo ein für allemal die Wünsche und Hoffnungen der napoleonischen Partei. Damit waren auch Murats Hoffnungen und Pläne für immer dahin. Nach dem zweiten Sturze Napoleons begann im Süden Frankreichs der weiße Schrecken, und Murat war bald seines Lebens nicht mehr sicher. Der königliche Kommissar in Toulon, Marquis de la Rivière, dem Murat einst im Jahre 1803, anläßlich der Verschwörung Cadoudals, das Leben gerettet hatte, erteilte Befehl, den ehemaligen König von Neapel zu verhaften. Der mit diesem Amt beauftragte Polizeibeamte weigerte sich jedoch, den Befehl auszuführen. Er verlor deshalb seine Stellung. Murat mußte fliehen. Es wurde sogar ein Preis auf seinen Kopf ausgeschrieben und die Beutelust der Bevölkerung noch dadurch angestachelt, daß man das Gerücht verbreitete, er führe ungeheure Schätze bei sich. Dann begann eine regelrechte Jagd auf den König. Patrouillen durchzogen das Land, nirgends war mehr Sicherheit. Zwei Tage und Nächte irrte Murat in den Wäldern umher, ohne Nahrung und Unterkunft. Endlich fand er bei einem alten Soldaten Zuflucht, der den König erkannte und ihn nicht verriet. Aber auch hier war eine Entdeckung möglich, und um den Nachforschungen zu entgehen, hielt sich der ehemals glänzendste aller Fürsten in einem elenden Erdloch auf, dessen Eingang durch Zweige unsichtbar gemacht worden war.

Lange konnte jedoch die Anwesenheit des Königs von Neapel nicht unbemerkt bleiben, und Murat beschloß, Frankreich zu verlassen. Er wollte sich nach Korsika begeben. Seinen Freunden gelang es, in Toulon ein kleines Schiff zu mieten, mit dem sie die Überfahrt wagen wollten. In der Nacht vom 22. zum 23. August stachen sie, mit Murat an Bord, in See. Schlechtes Wetter brachte das wenig seefeste kleine Fahrzeug in größte Gefahr. Im letzten Augenblick bemerkten sie das zwischen der französischen Küste und Bastia verkehrende Postschiff. Sie riefen es an und wurden von dem Kapitän an Bord genommen. Kaum hatten sie das Schiff betreten, als das eigene elende Fahrzeug vor ihren Augen versank.

Murat gab sich zunächst als Seeoffizier namens Campomele aus, allein seine Eitelkeit verhinderte die Wahrung des Inkognito. Es dauerte nicht lange, so versetzten ihn die erwiesenen Ehrenbezeigungen wieder in gute Stimmung, und nun war es für ihn nicht schwer, sich seine Zukunft im glänzendsten Lichte vorzustellen. Die Wiedereroberung seines Thrones schien ihm ganz selbstverständlich.

Am 25. August landete Murat in Bastia. Aber auch hier konnte er nicht bleiben. Schon hatte die royalistische französische Besatzung die Begleiter des Königs verhaftet, und dem König drohte das gleiche Schicksal. Er beschloß daher, sich ins Innere der Insel zu begeben, zu Colonna Ceccaldi, dem Schwiegervater seines früheren Adjutanten Franceschetti.

In Vescovato fand Murat gastfreundliche Aufnahme. Aber Ruhe sollte ihm auch hier nicht zuteil werden. Der Gouverneur der Insel, Oberst Verrier, sandte einige Gendarmen unter Führung eines Offiziers, um den Exkönig von Neapel verhaften zu lassen. Murat hatte jedoch in Korsika bereits eine zahlreiche Anhängerschaft gefunden. Es waren teilweise treue Bonapartisten, ferner korsische Bauern, die ehemals in neapolitanischen Diensten gestanden hatten und schließlich Neugierige. Mit der Zeit bildete Murat sich aus diesen Leuten ein regelrechtes Gefolge, besonders als sich noch zahlreiche Offiziere, darunter die Generale Ottaivi, Gentili, Oberst Natali, in Vescovato einfanden. Die zur Verhaftung ausgesandten Gendarmen fanden ihn daher in sicherem Schutz. Colonna Ceccaldi verweigerte die Auslieferung des Königs, obgleich er selbst Royalist war. Er war bereit, das Leben des Königs mit seinem eigenen Leibe zu verteidigen, war doch den Korsen die einem Fremden geschenkte Gastfreundschaft ein heiliges Recht, das nie verletzt werden durfte. Und so mußten die Gendarmen unverrichtetersache wieder abziehen.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Ansammlung von ehemaligen neapolitanischen Soldaten in Vescovato eine Bedrohung der Insel darstellte. Murat hatte zwar erklärt, daß er als einfacher Privatmann zu leben gedächte und nur auf eine Antwort Ludwigs XVIII. wartete, die sein Schicksal bestimmte. Sein Verhalten stimmte aber damit nicht überein. Man behauptete nicht mit Unrecht, daß seine Umgebung bereits in seinem Solde stände, und seine Pläne, die natürlich auch dem Gouverneur bekannt wurden, deuteten durchaus nicht darauf hin, daß der König sich mit seinem Schicksal zufrieden geben würde.

In der Tat beschäftigte sich Murat, den seine abenteuerlichen Ideen selbst im tiefsten Unglück nicht verließen, bereits wieder sehr stark mit Plänen zur Eroberung seines Landes. Zunächst hatte er an eine Eroberung der Insel Elba gedacht, wo sich noch die Besatzung befand, die Napoleon bei seiner Abreise zurückgelassen hatte. Aber diesen Plan mußte er aufgeben, als die Kapitulation des Generals Dalesmes bekannt wurde, der sicher auf seine Absichten eingegangen wäre.

So blieb er auf dem Plane bestehen, sein Königreich wieder zurückzuerobern. Es ist geradezu unbegreiflich, welche Verblendung diesen Mann erfaßt hatte. Er sah sich bereits wieder im Besitz Neapels. Von Bocognano aus erließ er eine Proklamation an das neapolitanische Volk, in der alles bis aufs kleinste geregelt war. Murat verteilte bereits wieder Ämter und Würden. Selbst die lächerlichsten Einzelheiten vergaß er nicht, so z. B. hielt er es jetzt für sehr wichtig, als Nationalfarbe sein geliebtes Dunkelrot zu bezeichnen. Es wäre gut gewesen, wenn es bei diesen Spielereien geblieben wäre, aber Murat meinte es ernst damit. Am 17. September 1814 verließ er mit 400 wohlbewaffneten Leuten Vescovato, am 23. war Ajaccio, die Hauptstadt Korsikas, in seiner Hand. Die Bevölkerung empfing ihn mit Jubel und erinnerte ihn an die Empfänge, die ihm einst das neapolitanische Volk hatte zuteil werden lassen. Das bestärkte ihn in seinem Vorhaben. »Inmitten meines Volkes will ich leben oder sterben!« rief er, zu Franceschetti gewandt, aus.

Murats Plan war unwiderruflich. Die nächsten Tage in Ajaccio verwandte er mit den Vorbereitungen für seine Landung im Königreich Neapel. Dazu gehörte auch die Abfassung eines »Königlichen Dekrets« an die Neapolitaner. Es kündete den Untertanen des Königs Murat den neuen Thronwechsel an, enthielt genaue Einzelheiten über die neue Verfassung, die er seinem Lande zu geben gedenke, ferner die Verteilung der Ämter. Selbst die Lustschlösser und Pferde waren in dem wortreichen Dekret nicht vergessen. Dieses Dekret erhielt die Druckerei von Ajaccio zur Vervielfältigung, damit man bei der Landung die genügende Anzahl Proklamationen zur Hand hätte.

Oberst Maceroni, den Murat zwecks Erlangung von Pässen nach Paris gesandt hatte, traf am 25. in Bastia ein. Er brachte Murat die Bedingungen der Großmächte und einen Paß von Metternich, der ihm freies Geleit und Aufenthalt in Österreich unter dem Namen eines Privatmannes sicherte. Hätte der Exkönig von Neapel dieses Angebot erhalten, als er noch in den Feldern der Provence umherirrte, so wäre ihm wohl nie der Gedanke gekommen, es abzuschlagen. Er würde es sicher mit Freuden angenommen haben. Jetzt aber fühlte sich der Gaskogner mit seiner Armee von 400 Mann bereits wieder als Herrscher, und das Angebot der Mächte erschien ihm als eine Unverschämtheit. Er diktierte daher Maceroni eine Antwort, worin er die Gründe auseinandersetzte, die ihn bewogen, wieder Besitz von seinem Königreich zu ergreifen.

Inzwischen war alles zur Abfahrt bereit. Die »Armee« verfügte zur Überfahrt über fünf große Barken, »Trabacoli« genannt, und über eine Feluke. Den Oberbefehl über die Flotte hatte Murat dem Kapitän Barbara, einem Malteser, anvertraut. Vor der Abreise beförderte der König noch alle Offiziere in den nächst höheren Grad und verlieh allen, die ihn noch nicht besaßen, den Orden Beider Sizilien. Barbara wurde zum Baron befördert. Die Besatzung der 6 Schiffe bestand aus 250 Mann, einschließlich der Seemannschaft.

Der König befand sich an Bord der fünften Barke, die außerdem Barbara, Franceschetti und einundzwanzig Offiziere an Bord hatte. Schon die Überfahrt verhieß Unglück. Am 29. trieb der Sturm die kleine Flotte auseinander. Am nächsten Tag trafen sie sich glücklicherweise wieder und landeten auf der Insel Tavalora, an der Nordküste von Sardinien. Am 4. Oktober gelangte man durch einen Irrtum der Führung so nahe an den Golf von Neapel, daß man den Vesuv deutlich erkennen konnte.

Schon hier hätte sich das Verhängnis Murats erfüllen können, denn es lag die Gefahr nahe, daß englische oder neapolitanische Schiffe die kleinen, wenig schnellen und noch weniger seetüchtigen Fahrzeuge aufbrachten. Das Geschwader steuerte weiter südlich, nach Kalabrien. Am 6. Oktober traf man vor Paola ein. Ein plötzlicher Sturm trieb aber die Fahrzeuge auseinander, nur die Feluke blieb bei dem königlichen Schiffe. In der Nacht vom 7. zum 8. Oktober verschwand auch dieses Schiff, offensichtlich infolge Verrats des Führers, der einsah, daß das Unternehmen scheitern mußte. Nun war Murat ganz allein.

Er war außer sich über soviel Unglück. Zunächst ließ er die Proklamationen »An mein Volk« ins Meer werfen und beschloß, nach Triest zu segeln, um das Anerbieten der Großmächte doch noch anzunehmen. Den Paß des Kaisers von Österreich, den Maceroni ihm überbrachte, hatte er vorsichtigerweise bei sich behalten. Der Kapitän Barbara weigerte sich jedoch, den Weg nach Triest einzuschlagen, unter dem Vorwand, das Schiff sei zu einer großen Seereise nicht befähigt, und außerdem reichten die Lebensmittel nicht aus. Murat wollte nun in der Nähe von Pizzo, wo man sich gerade befand, landen, um sich dort alles Nötige zu beschaffen. Dagegen erhob Barbara Einsprache. Es kam zu einem heftigen Wortwechsel zwischen ihm und Murat. Schließlich siegte der König. Er wollte aber nicht nur landen, sondern sogar als König sein Reich betreten. Alle Einwände seines Gefolges waren vergebens; sie vermochten nicht, ihn von diesem Vorhaben abzubringen. Er fragte, ob noch ein Exemplar der Proklamation vorhanden sei. Einer der Offiziere übergab ihm ein solches. Sein Entschluß war gefaßt. Inzwischen war das Schiff am Ufer angelangt, Murat sprang als Erster ans Land, und seine Offiziere folgten ihm zögernd.

Es war am 8. Oktober, an einem Sonntag. Die Bürger der kleinen kalabresischen Stadt Pizzo befanden sich in großer Zahl auf dem Marktplatz der Stadt versammelt. Plötzlich sahen sie einen seltsamen Aufzug. Vom Meer her näherte sich ein Trupp Offiziere und Soldaten, geführt von einem hochgewachsenen schönen Mann in einer reich bestickten Uniform aus himmelblauem Tuch. Deutlich vernahm man den Ruf: »Evviva il Re Giacchino!« Die Bevölkerung verhielt sich ziemlich teilnahmslos, fast feindselig. Als Murat die Leute ansprach, antwortete ihm ein Weib in giftigem Tone: »Du sprichst uns von Freiheit und hast mir allein drei Söhne erschießen lassen!«

Alles deutete darauf hin, daß das Unternehmen fehlgehen würde; befand sich Murat doch in Kalabrien, jener Provinz, die seine Herrschaft stets mit Widerwillen erduldete, wo seine Generale mit blutiger Strenge revolutionäre Bewegungen unterdrückt hatten! Das Volk hatte den Namen des Generals Manhes nicht vergessen, der in Kalabrien ähnlich gehaust hatte, wie früher in Spanien Murat selbst.

Schon begann Murat zu zögern. Ein rasches und tatkräftiges Eingreifen wäre hier allein am Platze gewesen, um so mehr, als die Soldaten der Küstenwache dann schnell auf seine Seite getreten wären. Aber er befand sich in dem Wahne, sein Volk würde ihn mit Jubel empfangen. Während der König so unschlüssig dastand, näherten sich ihm einige junge Leute und gaben ihm den Rat, sich in das benachbarte Monteleone zu begeben, wo die ihm freundlich gesinnte Partei viel stärker sei als in Pizzo. Da folgte Murat diesem Rat und schlug mit seinem Gefolge den Weg nach dieser Stadt ein.

Inzwischen war jedoch in Pizzo alarmiert worden, und wenige Minuten später folgte der Gendarmeriehauptmann Trentacapilli mit einigen Gendarmen dem König. Trentacapilli war früher Bandenführer gewesen und hatte nun diesen ziemlich hohen Rang erhalten, vermutlich, weil er der neuen Dynastie große Dienste geleistet hatte. Der ehemalige Brigant war natürlich ein erbitterter Feind des Königs Murat. General Manhes hatte zwei seiner Brüder aufknüpfen lassen, und Trentacapilli hielt nun die Gelegenheit für gekommen, seine Rache zu befriedigen. Bald hatte er die Gruppe des Königs eingeholt. Auf die Aufforderung, sofort nach Pizzo zurückzugehen, antwortete Murat mit dem Befehl: Trentacapilli solle seinem König gehorchen und ihn nach Monteleone begleiten.

Inzwischen waren Bauern aus Pizzo, die sich in der Eile mit Messern und Knüppeln bewaffnet hatten, herangekommen, und im Augenblick war die Gruppe des Königs umzingelt. Schon fielen die ersten Schüsse. Da sah Murat ein, daß alles verloren war. Entschlossen brach er sich mit seinen Getreuen eine Bahn durch die Angreifer und flüchtete dem Meere zu, von dem wütenden Pöbel mit Rufen und Schreien verfolgt.

Über Stock und Stein ging die Flucht. Endlich langten Murat und seine Begleiter erschöpft am Strande an. Da erwartete sie eine neue, schmerzliche Überraschung: Der feige Kapitän Barbara kreuzte auf hoher See, statt den König am Ufer zu erwarten. Nun galt es rasch ein Boot flottzumachen, um die Barke zu erreichen. Das ging aber nicht so schnell als man gewünscht hatte. Inzwischen trafen die Verfolger ein, und es entspann sich ein ungleicher, blutiger Kampf. Mit Äxten, Hacken und Knüppeln hieb man auf das Häuflein Offiziere ein. Murat glaubte durch die Übergabe seines Degens seine Gefährten zu retten. Damit verdoppelte er jedoch nur die Wut des Volkes. Tödlich getroffen, sanken zwei seiner Begleiter zu Boden, einige andere wurden verwundet; keinem blieben wuchtige Hiebe erspart. Auch der König wurde nicht verschont. Man riß ihm seine Kleider vom Leibe, beraubte ihn aller seiner Wertsachen und prügelte ihn blutig. Die Bauern hätten ihn sicher ermordet, wenn ihn nicht ein Verwalter der herzoglichen Domänen des Infantado in Kalabrien, namens Alcalas, vor der Wut des Pöbels geschützt hätte.

Die Gefangenen schleppte man in das Kastell von Pizzo und warf sie in ein finsteres Gelaß. Das Unternehmen Murats hatte also einen kläglichen Ausgang gefunden. Halbnackt lag er nun mit seinen verwundeten und zerschundenen Begleitern im trostlosen Kerker, während draußen die Menge tobte und den König und seine Umgebung am liebsten gelyncht hätten. Nur Alcalas zeigte sich den Unglücklichen gegenüber edelmütig und sandte ihnen Erfrischungen, Kleider und Wäsche. Gegen Abend erlöste sie der Hauptmann Stratti aus ihrem Kerker und wies dem König ein sauberes Zimmer an. Er war zur Aufrechterhaltung der Ordnung mit 40 Mann Infanterie eingetroffen. In der Nacht erschien dann auch der Kommandant von Kalabrien, General Nunziante.

Der kommandierende General bewies dem Exkönig gegenüber viel Entgegenkommen. Er behandelte ihn mit der größten Rücksicht, gestattete ihm Briefe zu schreiben, verschaffte ihm Bücher und alle möglichen Annehmlichkeiten.

Sein Begleiter Franceschetti schildert das tragische Ende Murats, als die Nachricht von der Landung des Königs einen Teil der Bevölkerung herangelockt hatte. »Fünfzehn Artilleristen der Küstenwache, die uns bemerkten, traten bewaffnet aus ihrem Wachthause heraus. Sie trugen die Uniform des Königs Joachim. Als der König sie bemerkte, rief er aus: ›Hier sind meine Soldaten!‹ Dann schritt er, während ihm die Seinen folgten, auf sie zu: ›Erkennt ihr euren König?‹ rief er ihnen zu. Fünf von ihnen antworteten, daß sie ihn kannten. Sie boten ihm ihre Dienste und ihre Kameraden an. Mehrere Bewohner von Pizzo, die bei dieser Unterredung zugegen waren, betrachteten uns auf eine Weise, die zugleich ihr Erstaunen und ihren Haß gegen uns zeigte. Plötzlich sahen wir sie verschwinden. Der König richtete dann noch das Wort an andere Bürger, die vor Überraschung unbeweglich dastanden und ihn entgeistert anstarrten. Zwei junge Leute, die zweifellos aus der Umgebung von Monteleone waren, sagten lebhaft zum König: ›Sire, verlassen Sie Pizzo, Sie sind von Feinden umgeben, verlieren Sie keine Zeit, denn Sie befinden sich auf dem Wege, der nach Monteleone führt, wir werden Ihnen als Führer dienen. Sie sind gerettet, wenn es Ihnen gelingt, Pizzo zu verlassen.‹

Der König befahl hierauf den Artilleristen, ihm zu folgen. Man verließ Pizzo und schritt den Berg hinan, der nach der Straße von Monteleone führt. Wir marschierten so schnell, daß Se. Majestät von einem Übelsein befallen wurde und anhalten mußte, um Atem zu holen. Er hatte nämlich auf dem Schiffe keine Bewegung machen können, da er so wenig Platz zur Verfügung gehabt hatte, daß er kaum seine Füße ausstrecken konnte. So erlag er jetzt der ungewohnten Anstrengung.

Im selben Augenblick, wo wir unsern Weg fortsetzten, kamen zwei der Artilleristen an, die sich uns angeschlossen hatten. Der König fragte sie, wo ihre Kameraden wären. Sie antworteten, daß sie im Begriffe seien, ihnen zu folgen. Auf diese Antwort hin verließ er den Weg, der nach Monteleone führte und betrat einen Olivenhain, von wo aus man die Straße nach Pizzo beobachten konnte. Wirklich bemerkte er die Artilleristen, die langsam den Weg hinanschritten. Er rief mich zu sich, um mir diese Beobachtung mitzuteilen und äußerte, er wolle auf sie warten. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß viele bewaffnete Bauern da seien, die ihnen zuvorzukommen suchten, und daß ihnen andere außerdem noch folgten. Die beiden Führer bestätigten, daß die Einwohner von Pizzo uns einholen würden, wenn wir noch länger zögerten. Sie baten den König von neuem, den Marsch fortzusetzen und sofort nach Monteleone zu eilen, wo er treue Untertanen finden würde.

Der König bestand jedoch auf seinem Entschluß, die Artilleristen zu erwarten, denn er war überzeugt, daß sie sich seiner Truppe anschließen und ihn nicht verlassen würden. Man erlaubte sich, ihm andere Einwendungen zu machen, worauf er antwortete, daß er Gehorsam verlange.

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als wir am anderen Ende der Straße die Bauern eilends auf uns zukommen sahen. Die Artilleristen begaben sich auf die rechte Seite des Weges, statt sich dem König anzuschließen. Von neuem baten wir den König flehentlich, keine Zeit zu verlieren und die Straße nach Monteleone einzuschlagen. Auch die Führer drohten nun, uns zu verlassen, wenn man ihrem Rate nicht Folge leistete.

Da trat der König im Vertrauen auf seine Tapferkeit aus unserer Gruppe heraus und schritt den Bauern entgegen: ›Gute Leute!‹ sagte er zu ihnen, ›erhebt die Waffen nicht gegen euren ehemaligen Herrscher. Ich bin nicht in Kalabrien gelandet, um euch Böses zu tun, ich will von den Behörden von Monteleone nur Unterstützung verlangen, um meine Reise nach Triest fortzusetzen, wo ich meine Familie finde. Wenn ihr mir Zeit gegeben hättet, mich auf dem Marktplatz von Pizzo auszusprechen, so hättet ihr erfahren, daß ich Pässe bei mir habe, die selbst der König Ferdinand anerkennen muß.‹

Trentacapilli, der soeben herbeikam, forderte den König auf, den Weg zu betreten, und erbot sich, ihn nach Monteleone zu führen. Dieser Mann trug die Uniform eines Gendarmerieobersten des Königs Joachim und täuschte so den König, der ihn für einen seiner ehemaligen Obersten hielt. In dieser Meinung betrat er die Straße. Wir suchten ihn zurückzuhalten, da wir fürchteten, er würde ermordet oder gefangen genommen werden. Er erwiderte jedoch, daß ein Oberst seines Heeres unfähig wäre, eine unehrenhafte Handlung zu begehen. Mit diesen Worten verließ er uns plötzlich. Wir waren über sein großes Vertrauen verzweifelt und zitterten, ihn inmitten seiner Feinde zu sehen.

Das Unglück war geschehen, und man konnte es nicht mehr gutmachen. Ich, der General Natali und Armand, der Kammerdiener des Königs, folgten ihm. Die Offiziere und Soldaten blieben auf dem Hügel zurück, um das Volk von Pizzo im Zaume zu halten, das bereit war, auf uns zu schießen. Ich hielt es für unnötig, daß der König noch mit den Bauern sprach. Daher näherte ich mich Trentacapilli und forderte ihn auf, mir zu sagen, wer er wäre: ›Ich bin der Gendarmeriehauptmann Trentacapilli‹, antwortete er, und fügte hinzu: ›Der König und Sie werden mir nach Pizzo folgen!‹

Jetzt, als es zu spät war, erkannte der König, daß er sich getäuscht hatte. Ohne einen Augenblick zu verlieren, stürzte ich zu ihm, deckte ihn mit meinem Körper und drohte, mit meiner Pistole Trentacapilli zu erschießen, wenn er den König nicht sofort frei ließe. Trentacapilli wurde so gezwungen, nachzugeben. Sogleich ließen seine Leute vom König ab und stürzten sich auf mich, während der König den Augenblick benutzte, um zu seiner kleinen Truppe zu eilen. Ich hätte Trentacapilli erschießen können, aber dann wäre der König sofort getötet worden. So verteidigte ich mich, so gut es ging, gegen die Menge, die mich umringte. Schließlich gelang es mir, zu entkommen. Als ich den König erreichte, war er unentschlossen, was er tun sollte. Ich schlug vor, die Leute von Pizzo anzugreifen und das Gebirge zu gewinnen oder mit den Waffen in der Hand zu sterben.

Der König, der doch sonst so mutig war und nie seiner Leidenschaft gebieten konnte, verbot mir jetzt dennoch, einen einzigen Schuß abzufeuern: ›Ich will nicht‹, sagte er, ›daß meine Landung einem einzigen meiner Untertanen das Leben kostet!‹

Aber schon schoß man von allen Seiten auf uns. Da wir uns nicht verteidigen konnten, wurden wir umringt, und der König geriet von neuem in die Gefahr, in die Gewalt des Feindes zu fallen. In diesem Augenblick umgaben ihn alle Offiziere und entrissen ihn den Händen seiner Feinde. Dann bahnten wir uns unter tausend Gefahren einen Weg und ließen die Soldaten sich mit den Bauern herumschlagen.

Alle wichen vor uns zurück, und wir gelangten trotz der Salven, die die Menge auf uns abgab, an die Meeresküste. Wir bemächtigten uns einer Barke, die zufällig am Ufer lag, ließen den König hineinspringen und machten vergebliche Anstrengungen, sie flottzumachen. Dabei hofften wir, die Barke des Kapitäns Barbara zu erreichen, die uns hierher gebracht hatte. Aber der Elende hatte sich vom Ufer entfernt, trotzdem ihm der König befohlen hatte, sich eine Stunde lang in einer Entfernung von zwei Gewehrschüssen vom Ufer zu halten und dann mit der Barke des Schiffspatrons Cecconi nach Madraga di Bivone zu fahren.

Hätte er die erhaltenen Befehle befolgt, so würde die Menge nach einem Schuß mit der Vierpfünderkanone, die er an Bord hatte, ganz oder wenigstens teilweise auseinandergestoben sein, und dieser Schuß hätte wahrscheinlich die Einschiffung des Königs erleichtert.

Die Menge war nun bereit, ihn anzugreifen. Wir versuchten alles mögliche und setzten unser Leben aufs Spiel, um ihn vor den Streichen zu schützen, die man ihm mit allen möglichen Waffen versetzte. Während die Mörder versuchten, ihn niederzuschlagen, rief er uns zu: ›Meine Kinder, stellt eure schwachen Anstrengungen zu meiner Verteidigung ein.‹ Mit diesen Worten bot er seinen Feinden seinen Degen an:

›Leute aus Pizzo‹, sagte er, ›nehmt diesen Degen in Empfang, ich habe ihn ruhmvoll in den Schlachten getragen und damit für das Vaterland gekämpft. Nun übergebe ich ihn euch, schont aber das Leben der Tapferen meiner Umgebung.‹

Die wütenden Feiglinge verdoppelten ihre Angriffe: der König sah den Hauptmann Pernice und den Sergeanten Giovannini an seiner Seite fallen; ich und die Hauptleute Lanfranchi und Biciani, der Leutnant Pasqualini, der Kammerdiener Armand und der Sergeant Franceschi lagen verwundet zu seinen Füßen. Alle Soldaten, die auf dem Hügel geblieben waren, waren nebst dem schwerverwundeten Kriegskommissar Galvani niedergeschlagen worden.

Schließlich unterlagen wir und wurden zu Gefangenen gemacht. Dann führte oder schleppte man uns vielmehr in die Gefängnisse von Pizzo. Der König wurde von den Leuten, die ihn gefangen genommen hatten, mißhandelt. Er konnte sich vor Erschöpfung kaum noch aufrechterhalten und schritt langsam und schwerfällig vorwärts.

Ich trug ungefähr die gleiche Uniform und die gleichen Orden wie er und ging fünfzehn Schritte der Truppe voraus. Plötzlich kam ein Mann, der mit einer Axt bewaffnet war, und dem dreißig auf verschiedene Weise bewaffnete Männer folgten, auf uns zu, zeigte auf mich und den König und fragte, wer von den beiden Joachim sei. Trotzdem ich ganz entkräftet war, fand ich den Mut, zu rufen: ›Ich bin es! Der General, der hinter mir geht, ist unschuldig, schont ihn!‹

In demselben Augenblick schwebte die Axt über meinem Haupte, und es schien mit mir zu Ende zu sein. Doch die Leute, die mich begleiteten, und die bis jetzt geduldet hatten, daß man mich mißhandelte, wehrten den Hieb, der meinen schrecklichen Leiden ein Ende gemacht hätte, ab und sagten: ›Wir werden so etwas nicht dulden!‹

Sogleich wandte sich der Mann, der mich bedroht hatte, gegen den König. Wir folgten mit den Blicken seiner Bewegung und zitterten vor seiner Tat. Ich bat dann meine Retter, auch den König zu beschützen. Sie antworteten, daß er wohlbewacht sei und daß man nichts für ihn zu fürchten brauche. Wirklich ließen die Rufe, die wir hörten, vermuten, daß man den Mann mit der Axt und seine Gefährten bewachte.

Man warf uns nun in ein finsteres Gefängnis. Der König setzte sich, die Offiziere standen schweigend um ihn herum, und die Soldaten, die man auch gefangen genommen und in unser Gefängnis geführt hatte, legten sich kreuz und quer auf die Erde. Sie zitterten vor Wut und beklagten sich – wenn auch mit Respekt –, daß man ihnen verboten hatte, auf den Feind zu schießen und mit den Waffen in der Hand für ihren Herrn zu sterben. Der König selbst wurde vollständig ausgeplündert. Trentacapilli bemächtigte sich mit Gewalt seiner Pässe, seiner Brillanten, seines Geldes und eines Kreditbriefes von 60.000 Franken jährlichen Einkommens, der auf ein Bankhaus von Neapel lautete. Man fand auch bei ihm ein Exemplar seiner Proklamation an seine Untertanen. Die übrigen hatten wir ins Meer geworfen, und dieses schien zufällig unter seinen Papieren geblieben zu sein. Der Polizeiminister Medici veröffentlichte den Inhalt dieser Proklamation in seinem Bericht. Das Ganze wurde Seiner Majestät dem König Ferdinand nach Neapel gesandt.

Die Dunkelheit des Gefängnisses, das Blut, das uns bedeckte, das Stöhnen, das man von Zeit zu Zeit vernahm, machten den Aufenthalt so furchtbar, daß mir bei den Gedanken daran die Haare zu Berge stehen. Die wilden Rufe der Einwohner von Pizzo, die das Leben des Königs bedrohten, unterbrachen fortwährend das Schweigen, das im Gefängnis herrschte, und diese Drohungen erfüllten uns noch mehr mit Schmerz und Verzweiflung als das Schicksal, das man uns bereitete.

Der König zeigte sich trotz der Verwünschungen und Drohungen, die man vernahm, über sein Unglück erhaben. Unaufhörlich tröstete er uns und ermahnte uns, sich dem Schicksal zu fügen. ›Vergeben wir den Einwohnern von Pizzo‹, sagte er, ›sie sind durch jene Tiger, die sie aufgehetzt haben, verblendet; wir wollen sie beklagen, daß sie sich vor dem neapolitanischen Volke entehrt haben, für dessen Glück ich so viele Opfer gebracht habe.‹

Den Rest des Tages verbrachten wir unter der Bewachung jener Elenden, die unaufhörlich ihre Dolche schwangen und verlangten, daß man uns ihrer Grausamkeit ausliefere. Ich muß jedoch anerkennen, daß sich unter der Menge dieser wütenden Menschen auch solche befanden, die betrübt waren, den König in einer solchen Lage zu sehen. Besonders tat sich Alcalas, der Geschäftsträger des Herzogs von Infantado, durch die Sorgfalt hervor, die er uns angedeihen ließ. Er sandte dem König ein Mittagessen und versorgte die Offiziere und Soldaten mit Kleidungsstücken aller Art. Ebenso ließ er ihnen Nahrungsmittel reichen, deren sie sehr bedurften. Seiner Majestät sandte er die ganze Wäsche und alle Kleidungsstücke, die er nötig hatte.

Am Abend kam ein Hauptmann der Linientruppen, der Stratti hieß und griechischer Abkunft war, mit 40 Mann in Pizzo an. Er entfernte die Meuchelmörder, besetzte das Schloß, wo wir gefangen waren, und nahm uns in Schutz. In derselben Nacht stellte sich der General Nunziante, der im Dienste des Königs Ferdinand stand, als Kommandant von Kalabrien dem König Joachim vor. Er begrüßte ihn mit Hochachtung und mißbilligte die abscheuliche Haltung der Bewohner von Pizzo. Dann teilte er ihm mit, daß er gezwungen sei, ihn mit seinen Truppen bis zum folgenden Tage im gleichen Gefängnisse zu lassen, da das Volk noch sein Leben bedrohe, und er dem König und den verbündeten Mächten für seine Person verantwortlich wäre. Der König würde jedoch alles erhalten, was man ihm zu gewähren in der Lage sei. Schließlich fügte er hinzu, daß er seinem Fürsten treu sei, aber auch ein Herz für das Unglück habe. Mit diesen Worten schritt er hinaus. Kurz darauf wurden uns Matratzen und Decken gesandt.

Wir brachten die Nacht unter Angst und Qualen zu. Die Schildwachen riefen sich alle Viertelstunden an, und es war, als ob man sich in einer belagerten Stadt befände. Endlich erschien der Tag: es war der 9. Oktober. Ein Arzt verband unsere Wunden, die ernst, aber nicht tödlich waren. Die Schläge, die wir erhalten hatten, waren jedoch schmerzhafter als die Wunden, die man uns mit Waffen beigebracht hatte.

Der General Nunziante besuchte uns von neuem, er schien verlegen zu sein. Er erteilte Befehl, die Soldaten in ein anderes Gefängnis zu bringen. Dann bat er den König, sich noch vierundzwanzig Stunden zu gedulden. Der Tag verging, und wir harrten der Dinge, die da kommen sollten. Am Morgen des 10. Oktobers erschien der General Nunziante und teilte dem König mit, daß ein Zimmer für ihn bereit sei. Der General Natali und ich erhielten die Erlaubnis, den König zu begleiten und waren von nun an von den anderen Offizieren getrennt.

Im Laufe des Tages erfuhren wir von einem Offizier der Wache, daß man am Tage vorher den König in seinem Gefängnis gelassen hatte, da die Bauern von Monteleone unter dem Vorwand nach Pizzo gekommen seien, um Nunziante zu unterstützen, in Wirklichkeit aber, um den König zu befreien. Da man jedoch diesen Plan kannte, hatte man eine Batterie Feldgeschütze auf dem Platz und vor der Schloßwache aufgestellt. Der General Nunziante hatte seine Truppen geordnet und den Bauern gedroht, auf sie zu feuern, wenn sie nicht sofort in ihre Dörfer zurückkehrten. Da die Bergbewohner so ihr Unternehmen gescheitert sahen, hatten sie sich während der Nacht zurückgezogen.

Im Laufe des Tages schrieb der König an seine Gemahlin, an den kommandierenden General der österreichischen Truppen in Neapel und an die englische Gesandtschaft, um sie von seiner Landung und von seiner Verhaftung zu unterrichten. Diese Briefe wurden dem König Ferdinand übersandt, der befahl, daß man sie erst den Empfängern übergebe, wenn sein Befehl, den Fürsten hinzurichten, ausgeführt sei ... Er fürchtete zweifellos, daß die Gesandten der verbündeten Mächte in Neapel sich der Ausführung seiner Befehle widersetzen würden.

Der König speiste mit Nunziante, Natali und mir in seinem Zimmer. Der General wiederholte immer wieder, daß sein Herr menschlich gesinnt sei, und daß er den König zweifellos zu seiner Familie nach Österreich senden würde. Am folgenden Tage zeigte der General beim Mittagessen etwas Unruhe. Nach einigen unbedeutenden Äußerungen sagte er, eine Depesche teilte ihm mit: ›Bringen Sie ihn nach ...‹, dann fügte er hinzu, daß der Telegraph nach diesen Worten aufgehört habe. Er wollte damit, wie es schien, den König auf sein Schicksal vorbereiten. Der König tat so, als wenn er keinen Verdacht hege und äußerte unter anderem, er hoffe, daß der König Ferdinand sich damit zufrieden gäbe, den Thron von Neapel zu besitzen, und daß er seine Macht nicht mißbrauchen würde.

Am Abend war Nunziante noch verlegener als am Tage vorher. Er sagte, er könne nicht verstehen, wie der Telegraph nach den Worten: ›Bringen Sie ihn nach ...‹ stocken konnte. Dann meinte er, daß er wohl noch melden würde, man solle Se. Majestät auf die englische Flotte bringen und nach Messina fahren. Der König fragte hierauf den General: ›Was würden Sie tun, wenn man Ihnen telegraphisch beföhle, mich vor ein Kriegsgericht zu stellen? Würden Sie den Befehl ausführen?‹

Nunziante antwortete, daß er es nie tun würde, sondern daß er erst die Befehle des Königs Ferdinand durch einen Hofkurier erwarte, ehe er eine solche Verfügung ausführte. Er meinte dann, Se. Majestät solle derartige Befürchtungen nicht hegen. Der König aß ruhig weiter, ohne die geringste Aufregung zu zeigen. Einige Stunden später legte er sich nieder, ließ sich durch Natali einige Stellen aus den Dramen Metastasios vorlesen und schlief dann ruhig ein.

Gegen Mitternacht erhielt Nunziante durch einen Hofkurier den Befehl, ein Kriegsgericht zu bilden, den König zum Tode verurteilen und eine halbe Stunde nach erfolgtem Urteil hinrichten zu lassen. Der General hatte gehofft, daß der Beschluß, der ihm durch den Telegraphen mitgeteilt worden war, zurückgezogen würde. Er hatte daher während drei Tagen die Ausführung der Befehle verschoben, um die Ankunft des Kuriers abzuwarten, trotzdem er überzeugt war, daß dieser die erhaltenen Befehle nur bestätigen würde.« Soweit Franceschetti!

Der Befehl lautete:

Neapel, den 9. Oktober 1815.

Ferdinand, von Gottes Gnaden usw. usw. Wir haben folgendes beschlossen und bestimmt:

1. Artikel. Der General Murat soll vor ein Kriegsgericht gestellt werden, dessen Mitglieder der Kriegsminister ernennt.

2. Artikel. Dem Verurteilten wird nur eine halbe Stunde gewährt, um die Sakramente der Kirche zu empfangen.

Ferdinand.

Von nun an beschäftigte sich Nunziante nur noch damit, die Befehle seines Herrn auszuführen.

Die Nachricht von der Landung eines »französischen Generals« traf am Abend des 9. durch den optischen Telegraphen in Neapel ein. Es konnte sich nur um Murat handeln. Ferdinand IV. befand sich in furchtbarer Aufregung. Er glaubte an eine große Aufstandsbewegung und traf alle nötigen Maßregeln. Und um jede revolutionäre Bewegung im Keime zu ersticken, befahl er dem General Nunziante durch einen Eilboten, Murat kriegsgerichtlich verurteilen zu lassen. Dem Gefangenen sollte nur eine Viertelstunde zur religiösen Vorbereitung gelassen werden und der Eilbote die Hinrichtung abwarten, um dann sofort dem König Ferdinand die Nachricht vom Tode seines Nebenbuhlers zu überbringen. Ferdinand IV. hatte es also sehr eilig, er konnte nicht eher Ruhe finden, als bis er wußte, daß sein Rivale Murat tot war.

Die Papiere, die man bei Murat gefunden hatte, genügten, um seine Schuld zu beweisen. Besonders die Proklamation an das neapolitanische Volk war unwiderlegbar. Aber darum handelte es sich gar nicht. Das Todesurteil war schon in Neapel erlassen worden, bevor man überhaupt etwas von dem Unternehmen des Exkönigs wußte, und das Kriegsgericht hatte also im Grunde genommen nur das Todesurteil durch eine Scheinsitzung zu bestätigen. Eine Ironie des Schicksals fügte es, daß von den acht Offizieren des Kriegsgerichts sieben unter Murat gedient und einst von ihm den Orden der beiden Sizilien erhalten hatten.

In der Nacht vom 12. zum 13. traf der Eilbote des Königs Ferdinand von Neapel in Pizzo ein. Am Morgen des 13. berief General Nunziante das Kriegsgericht zusammen, das den »Marschall Murat« verurteilen sollte. Der Exkönig hatte sich noch den seltsamsten Hoffnungen hingegeben. Um so schmerzhafter für ihn war das Erwachen. Als man ihm am Morgen mitteilte, daß er vor ein Kriegsgericht gestellt werden würde, übermannte ihn für einen Augenblick der Schreck, gleich aber faßte er sich und bewies von da an seine soldatische Festigkeit und Standhaftigkeit. Sobald er wußte, daß es mit ihm zu Ende ging, war er fest entschlossen, als Soldat mit Würde und als König zu sterben. Er weigerte sich, das Kriegsgericht anzuerkennen. »Es sind nicht meine Richter«, sagte er, »es sind meine Untertanen.« Vorher hatte er bemerkt: »Männer meinesgleichen sind für ihre Handlungen nur Gott und ihrem Gewissen Rechenschaft schuldig. Nicht einmal König Ferdinand könnte über mich zu Gericht sitzen, denn ich selbst bin König, ich habe mich durch keine Urkunde meines Rechts und Titels entledigt. Souveräne haben niemand zu Richtern als Gott und ihre Völker.«

Das klang gewiß theatralisch. Murat meinte es aber ernst, und sein Verhalten zwingt uns, auch diese Worte, aus einem stolzen unbeugsamen Herzen kommend, anzunehmen. Er beharrte auf seiner Weigerung, das Gericht anzuerkennen, und verbot seinem Verteidiger, auch nur ein Wort zu seiner Rechtfertigung zu sprechen.

Das Kriegsgericht trat zusammen. Der Berichterstatter des Gerichts, ein Leutnant, begann mit den üblichen Fragen nach Namen, Alter, Herkunft. Da unterbrach ihn Murat kurzerhand und antwortete stolz:

»Ich bin Joachim Napoleon, König beider Sizilien! hinaus mit Ihnen, mein Herr!«

Der König blieb alsdann mit den vier Offizieren, die ihn bewachten, in seinem Zimmer. Schließlich äußerte er zu ihnen:

»Ich hätte geglaubt, daß König Ferdinand großmütiger und menschlicher sei; ich würde ihn edelmütiger behandelt haben, wenn er in meinen Staaten gelandet und besiegt in meine Hände gefallen wäre ... Ich habe meine Hauptstadt nur verlassen, weil ich geschlagen war, und habe nie in irgendwelcher Form auf die Rechte verzichtet, die ich auf Neapel hatte. Ich bin mit 12 Millionen Franken nach Neapel gekommen und habe es mit 250.000 Franken als ganzes Vermögen verlassen. Während meiner zehnjährigen Regierung habe ich mich immer bemüht, dem Volke ein Vater zu sein. Mein Unglück verschafft dem König Ferdinand die Nutznießung eines Königreiches, das nach einer ganz anderen Gesetzgebung regiert wird, als es im Jahre 1806 geschah, zu einer Zeit, wo er nach Palermo flüchtete. Ich lasse ihm eine mit prächtigen Palästen geschmückte Hauptstadt und alles zurück, was er wünschen kann, um seinem Hofe Glanz zu verleihen. In der Lage, in der ich mich befinde, hat er nichts mehr von mir zu befürchten, und mein Tod ist zu seiner Regierung nicht nötig. Anstatt jene grausamen Befehle hinsichtlich meiner Person zu erlassen, hätte er besser dem Beispiel der verbündeten Mächte folgen sollen, die mir Pässe gegeben haben, damit ich zu meiner Familie zurückkehren konnte. Eine derartige Handlung wäre für einen König würdiger gewesen als jene Politik, die nur beweist, daß er grundlose Befürchtungen hegt, und die einmal gerächt werden kann. Edelmut gegen einen wehrlosen Feind wäre nur von dem Jahrhundert und der Nachwelt gebilligt worden.«

Dann sprach der König von seinen Feldzügen in Italien, Ägypten, Österreich, Preußen, Spanien und Rußland. Er erinnerte an all das Gute, das er für das Königreich Neapel getan hatte, an die Gesetze, die Gerichts-, Zivil- und Finanzverwaltung, die er eingeführt hatte, er sprach von der Polizei, die die Ruhe im Lande wiederhergestellt hatte, von den öffentlichen Einrichtungen zur Bildung der Jugend, für den Unterricht und die Künste, die ihm Neapel verdankte, von seinen Bemühungen, den Ackerbau und die Industrie des Landes zu heben, von den Belohnungen aller Art, die er den Bürgern aller Klassen und Stände je nach ihrem Verdienst erteilt hatte und die sie unter der Regierung des Königs Ferdinand nie hätten beanspruchen können. Dann erinnerte er an die Armee von 80.000 Mann, die er zur Verteidigung des Staates geschaffen, ausgerüstet und besoldet hatte, an die Kriegsmarine und an den Handel des Königreichs, auf die er alle mögliche Sorgfalt verwendet hatte.

»Ich habe alle erdenklichen Opfer gebracht«, sagte er heftig. »Selbst meine eigenen Interessen vergaß ich für das Wohl der Neapolitaner!« Dann schwieg er einen Augenblick, stieß einen tiefen Seufzer aus und fuhr fort: »Wenn ich bei Hofe oder bei der Armee war, habe ich immer das Gedeihen der Nation im Auge gehabt; stets verwandte ich die öffentlichen Einkünfte nur zu ihrem Vorteil. Ich habe nichts für meine Person getan, und daher besitze ich bei meinem Tode an Reichtümern nur noch das Andenken an meine Taten. Und das ist mein Ruhm und mein Trost!«

Diese Worte, die er über seine Taten mit ebensoviel Beredsamkeit als Würde sagte, machten auf die Offiziere, die ihm zuhörten, großen Eindruck.

Das Kriegsgericht dauerte fast sechs Stunden. Aus den Verhandlungen ging vollkommen klar und deutlich hervor, daß Murat die Absicht gehabt hatte, den Thron des Königs Ferdinand zu stürzen. Das Urteil nach dem Gesetz lautete: Tod durch Erschießen! Der ehemalige König von Neapel wurde also nach den Gesetzen, die er selbst erlassen hatte, verurteilt.

Die Tapferkeit und Haltung, mit der Murat in den Tod ging, söhnt mit manchen Fehlern aus, die sein Andenken in der Geschichte getrübt haben. Nach Verkündigung des Urteils schrieb er einen Brief an seine Karoline und seine Kinder:

Meine liebe Karoline!

Meine letzte Stunde ist herangekommen, in einigen Augenblicken werde ich nicht mehr leben, in kurzer Zeit wirst Du keinen Gatten mehr haben. Vergiß mich niemals, denn mein Leben ist durch keine Ungerechtigkeit befleckt. Lebt wohl, mein Achilles, meine Letizia, mein Lucien, meine Louise! Zeigt Euch vor der Welt meiner würdig. Ich lasse Euch inmitten meiner zahlreichen Feinde ohne Königreich und ohne Güter. Bleibt immer einig, zeigt Euch immer über das Unglück erhaben und denkt an das, was Ihr seid und was Ihr wart, und Gott wird Euch segnen. Verwünscht nicht mein Andenken und wißt, daß es mein größter Schmerz in den letzten Augenblicken meines Lebens ist, fern von meinen Kindern zu sterben.

Empfangt meinen väterlichen Segen, empfangt meine Umarmungen und meine Tränen. Denkt immer an Euren unglücklichen Vater.

Joachim Murat.

Pizzo, den 13. Okt. 1815.

Dann beauftragte er den Hauptmann Stratti, seinem Kammerdiener Armand seine Uhr als Andenken zu übergeben. Schließlich verlangte er nach dem General Franceschetti und General Natali. Einige Augenblicke darauf antwortete man ihm, daß er auf diesen Wunsch verzichten müsse. »Zögern Sie nicht mehr«, sagte er dann zu den berichterstattenden Leuten, »ich bin bereit zu sterben.«

Der Brief Murats wurde dem Hauptmann Stratti übergeben. Er enthielt noch eine Haarlocke, die für Karoline bestimmt war. Dann bereitete sich der Exkönig auf den Tod vor. Es blieben ihm nur noch wenige Minuten. Der Priester, ein Greis von 70 Jahren, dem diese traurige Aufgabe zufiel, hatte einst von Murat 2000 Dukaten für seine Kirche und 100 für seine Armen erhalten. Nun erinnerte er den Exkönig daran und bat ihn noch um eine Gnade. »Was kann ich in meiner Lage noch für Sie tun?« antwortete Murat. »Ich bitte Sie zu beichten«, erwiderte der Priester.

»Nein, ich will nicht beichten, denn ich habe vor Gott keine Sünde begangen«, antwortete der König mit Kaltblütigkeit und Verachtung. Hierauf schrieb er folgende Worte nieder:

»Ich erkläre, daß ich Gutes getan habe, soviel mir möglich war. Ich habe nur den Übeltätern Böses getan. Ich bin bereit, im Schoße der katholischen Kirche zu sterben.« Er überreichte dann das Schriftstück dem Beichtvater und sagte: »Das ist eine aufrichtige Beichte, mein Freund, nun bitte ich Sie, sich zu setzen.«

»Sire, ich spreche nicht von einer gerichtlichen Beichte, sondern von einer kirchlichen Beichte, um Sie mit Gott zu versöhnen, vor dem Sie binnen einer Viertelstunde, die nicht verlängert werden kann, erscheinen werden.« Der Offizier, der die Abteilung befehligte, die an Murat das Urteil vollziehen sollte, unterbrach das Gespräch, indem er an seiner Uhr zeigte, daß bereits fünf Minuten verflossen seien.

Da verlangte der Priester mit Nachdruck, daß die zur Vorbereitung gewährte Viertelstunde erst von dem Augenblick an gezählt würde, wo er die Absolution erteilt habe. Als diese beendigt war, schrieb der König auf den Wunsch des Priesters noch auf einen Zettel: »Ich sterbe als guter Christ!« Dann stand er auf, um seine Brust den Gewehren preiszugeben.

Murat brauchte nur aus seinem Zimmer an die Schwelle eines Altans zu treten. Dort standen zwölf Soldaten, in drei Reihen aufgestellt. Der Raum war so schmal, daß ihre Gewehre fast die Brust des Königs berührten. Mit einem Lächeln auf den Lippen stellte sich Murat den Soldaten gegenüber auf. Er duldete nicht, daß man ihm die Augen verband. Seine letzten Worte waren stolz und mutig, wie sein ganzes Leben. »Soldaten«, sagte er, »trefft genau das Herz und schont das Gesicht!« Dann gab er selbst den Befehl zum Feuern. Während die Schüsse fielen, hielt er den Blick auf die geschlossene rechte Hand gerichtet. Von dem gewaltigen Luftdruck der Explosion fiel der Körper fast zerrissen nach hinten. Als man die rechte Hand öffnete, fand man darin das Bild Karolines.

Murat, der schöne prächtige Mann, er war nicht mehr! Erst vierundvierzigjährig, mußte er den kurzen Glanz seines Lebens mit diesem tragischen Ende bezahlen. Während der tapferste Reiteroffizier Europas den Kugeln erlag, lehnte der General Nunziante an der Mauer eines benachbarten Hauses, das Gesicht in sein Taschentuch gehüllt. »Welch ein Mut!« hatte er ausgerufen, als Murat fiel.

Die Tragödie war zu Ende. Der politische Nebenbuhler aber, Ferdinand IV. von Neapel, ließ sich bei einem glänzenden Ball das Trauerspiel in Pizzo von seinen Höflingen erzählen, als wenn es sich dabei um eine kleine Intrige und nicht um ein erschütterndes Menschenschicksal gehandelt hätte.

Während sich das Schicksal Murats in Pizzo vollzog, weilte Karoline in Triest. Murat hatte ihr Unrecht getan, als er in Korsika von einem Verrate seiner Gemahlin sprach. Sie hatte unter dem Zwang der Verhältnisse gehandelt, und ihr Schicksal wäre sicher weniger günstig ausgefallen, wenn sie sich den Großmächten widersetzt und unbegründete Ansprüche gestellt hätte.

Am 6. Juni war die Königin in Triest eingetroffen, um hier die Entscheidung des Wiener Hofes über ihren zukünftigen Aufenthaltsort abzuwarten. Sie dachte nicht im geringsten daran, in Österreich zu bleiben und wäre am liebsten gleich nach Frankreich abgereist. Mit diesem Wunsche fand sie aber wenig Entgegenkommen bei den Verbündeten, und sie mußte sich den Umständen fügen. Noch stand der Entscheidungskampf mit Napoleon aus, und Metternich dachte nicht daran, die gefährliche Schwester des französischen Kaisers aus Österreich zu entlassen. Der gewandte österreichische Minister des Äußern, der einst zu den größten Bewunderern der Schönheit Karolines gehört hatte, verhielt sich ihr gegenüber äußerst vorsichtig und zurückhaltend, aber er schützte sie auch und verstand es bis zu einem gewissen Grade, ihr Interesse zu wahren. Die ehemalige Königin von Neapel hatte an Metternich stets eine Stütze, und ohne ihn wäre ihre Lage unzweifelhaft bedeutend1 schlechter gewesen, denn der Hof Ferdinands begnügte sich mit dem Tode Murats nicht, sondern verlangte, daß man auch noch seine Gemahlin unschädlich mache.

Der zweite Sturz Napoleons verbesserte Karolines Lage wesentlich, aber er bereitete ihr viel Kummer und Sorgen. Dazu kam, daß sie sich auch um das Schicksal ihres Gatten Gedanken machen mußte, von dem sie keine Nachricht erhielt. Auf Anraten Metternichs hatte sie für die Öffentlichkeit den Königintitel abgelegt und den Namen einer Gräfin von Lipona, einem Anagramm von Napoli, angenommen. Die Wahl dieses Namens bewies deutlich, daß sie die Hoffnung, ihr Königreich einst wiederzugewinnen, nicht aufgegeben hatte. Sie hätte aber besser getan, ein für allemal zu erklären, daß sie darauf verzichte. Dadurch hätte sie sich unzweifelhaft eine bessere Lage geschaffen und ihr Leben angenehmer gestalten können. Aber ihre bonapartische Zähigkeit und ihr Familienstolz ließen es nicht zu.

Von Triest aus übersiedelte sie nach Schloß Hainburg in Niederösterreich, obwohl der Wiener Hof dagegen war, daß sie sich so nahe bei der Hauptstadt aufhielt. Hier bereitete sie alles auf den Empfang ihres Gatten vor, ohne zu ahnen, daß er dem Tode entgegenging. Schon kamen ihr Gerüchte zu Ohren, daß Murat in großer Gefahr sei. Sie aber kam gar nicht auf den Gedanken, daß er bereits tot sein könne. Ein solches Schicksal Murats lag ihr viel zu fern. Als sie von dem verunglückten Unternehmen des Königs erfuhr, sorgte sie sich zwar sehr um ihn, aber sie dachte nicht daran, daß alles aus sein könnte. Schließlich mußte man ihr die traurige Botschaft mitteilen. Den General Macdonald, der ihr in die Verbannung gefolgt war, erschütterte dieses Ereignis so sehr, daß er ohnmächtig wurde, als er Karoline den Tod Murats mitteilen mußte.

Zunächst sagte man der Königin, daß ihr Gatte sehr schwer erkrankt sei. Dann übernahm Macdonald das schwere Amt, ihr die volle Wahrheit zu sagen. Karolines Schmerz war unbeschreiblich. Dieser Tod brachte sie innerlich wieder zu ihrem Gatten zurück. Sie hatten beide in den letzten Jahren nicht mehr einträchtig zusammen gelebt. Es hatte zwischen ihnen viele Streitigkeiten gegeben, und bis zum endgültigen Bruch war es nicht weit gewesen. Karoline hatte es auch nicht für nötig gehalten, Murat die Treue zu bewahren, während er auf den Schlachtfeldern Europas sein Leben aufs Spiel setzte. Nun, da es zu spät war, erwachte in ihr die Liebe zu dem prächtigen Mann aufs neue. Sie hielt sein Andenken hoch, pflegte die Gegenstände, die ihr von Murat geblieben waren, wie Reliquien. So brachte das Unglück zustande, was Reichtum und Glanz nicht mehr vermocht hatten.

Die äußeren Folgen der Katastrophe waren verhängnisvoll. Als Karoline von Neapel nach Triest flüchten mußte, hatte sie nur einen ganz geringen Teil ihres Vermögens mitnehmen können. Was sie in den Schlössern von Neapel zurückgelassen hatte, beschlagnahmte Ferdinand IV. als willkommene Beute der verhaßten Bonapartistin. Ihre Vermögenslage wurde daher in Österreich immer schwieriger. Von Hainburg aus schrieb sie in bitteren Worten über ihre gedrückte Lage an ihre Schwester Elisa: »Mein Vermögen erlaubt mir nicht den geringsten Aufwand. Ich habe nichts als ein wenig Silberzeug; das ist alles, was ich besitze. Wenn Neapel mir nicht mein Eigentum zurückerstattet, und das ist anscheinend der Fall, so bin ich ohne Hoffnung, ohne Zukunft, denn ich habe selbst meine Diamanten für die Erhaltung der Armee verwendet, und alles, was ich als Privateigentum besaß, ist in den Schlössern zurückgeblieben.« – Zum Überfluß forderte ihr Bruder Jérôme die Rückerstattung einer Summe, die er den Murats im März 1815 zur Bestreitung der Kriegskosten geliehen hatte. Es war die Kleinigkeit von einer halben Million Franken. Karoline mußte ihm antworten, daß sie nicht in der Lage sei, ihm das Geld zurückzugeben, da sie selbst nichts besitze.

Karoline verhehlte sich nicht, daß sie in Österreich nichts weiter als eine Gefangene sei. Ihre Feinde drängten darauf, man solle das ihr gewährte Asylrecht in Österreich aufheben. Und ohne den Schutz Metternichs wäre es ihr sicher noch viel schlechter gegangen. So wollte man sie um jeden Preis aus Hainburg verdrängen, denn ihre Widersacher fürchteten, sie möchte zu der nahe gelegenen Residenz der ehemaligen Kaiserin von Frankreich, Marie Luise, und zu deren Sohne, dem jungen Napoleon, in Beziehungen treten. Das lag Karoline Murat jedoch ganz fern.

Wie eine Verzweifelte wehrte sie sich gegen die Zumutung, das ihr lieb gewordene Hainburg zu verlassen. Schließlich erreichte sie durch ihre Hartnäckigkeit, daß man ihr erlaubte, wenigstens bis zum Frühjahr 1816 in diesem Schlosse zu bleiben. Dann mußte sie aber unweigerlich fort. Im Jahre 1817 kaufte sie vom Grafen Hoyos das in der Nähe von Wiener Neustadt gelegene Schloß Frohsdorf für 400.000 Gulden. Frohsdorf wurde später die Residenz eines anderen Verbannten und Thronprätendenten, nämlich des sogenannten Heinrichs V. von Frankreich.

Der Ausbruch der Revolution in Neapel im Jahre 1820 gestaltete Karolines Lage von neuem immer schwieriger. Das neapolitanische Königshaus, das sie an den Umtrieben der Anhänger Murats beteiligt glaubte, verlangte von Tag zu Tag strengere Maßnahmen gegen sie. Man hatte kompromittierende Briefe gefunden, die darauf hindeuteten, daß die Muratisten daran dachten, die Witwe des erschossenen Königs und ihre Kinder wieder auf den Thron Neapels zu setzen.

Karoline hätte gewiß nichts lieber gesehen als das. In Gedanken weilte sie stets in Neapel und sah sich von neuem vom Glanze einer Krone umgeben. Schon ihre drückende Geldlage machte diesen Wunsch erklärlich. Es steht aber fest, daß sie sich von Österreich aus an diesen Umtrieben nicht beteiligt hat. Sie beschloß zu warten, bis sich das Schicksal für sie entschied. Sie war viel zu vorsichtig und zu klug, als daß sie sich durch irgendeine vorwitzige Handlung bloßgestellt hätte. Und es war ihr vollkommen klar, daß sie von Österreich aus doch nur eine passive Rolle spielen konnte. Für ein Phantasiegebilde wollte sie außerdem ihre jetzige Stellung, die ihr die Unterstützung Metternichs verschafft hatte, nicht verscherzen. Trotzdem blieben ihr alle möglichen Unannehmlichkeiten nicht erspart. Die Polizei überwachte sie sehr streng und hielt in ihrem Schlosse öfters Haussuchungen ab.

Karolines finanzielle Lage wurde immer schlechter. Ein Mittel blieb ihr noch, um sich wieder in den Besitz ihres Privateigentums zu setzen. Sie wollte Österreich veranlassen, von Frankreich und Neapel die Herausgabe ihres Vermögens zu erlangen. Es bezifferte sich allein in Neapel auf mehrere Millionen. Ihre Ansprüche waren durchaus berechtigt, denn erstens hatte sie mit ihrem Gatten in Gütertrennung gelebt, und zweitens verbürgte das Amnestiegesetz von 1816 der Familie Bonaparte die Unantastbarkeit ihres Privatvermögens. Endlich unternahmen der Kaiser von Österreich und Metternich Schritte, um Karoline Murat ihr Eigentum wieder zu verschaffen. Zwei Ereignisse aber verhinderten schließlich, daß sie wieder in den Besitz ihres Vermögens gelangte.

Der Ausbruch der Revolution in Neapel war für die regierende königliche Familie ein guter Grund, die Herausgabe der Güter der Exkönigin zu verweigern. Es war also von dieser Seite nichts mehr zu hoffen. Nun blieb ihr nur noch Frankreich, das sich ihren Ansprüchen sicher nicht entziehen konnte. Ein unglücklicher Zufall ließ jedoch auch diesen Plan scheitern. Karolines Sohn Achille hatte von der französischen Regierung die Erlaubnis erhalten, sich in Amerika niederzulassen, unter der Bedingung, nie wieder nach Europa zurückzukehren. Achille Murat hatte diese Bedingung zwar unterschrieben, aber sein Wort gebrochen. Er kam im Jahre 1823 nach Liverpool, um sich den Revolutionären Spaniens und Portugals anzuschließen.

Die unüberlegte Handlung des jungen Murats sollte Karoline teuer zu stehen kommen, denn sowohl Frankreich als auch Neapel erklärten nun: einer Familie, die ständig auf Schädigung der legitimen Königshäuser ausgehe, könne keine Entschädigung gegeben werden. Das war für Karoline ein harter Schlag, um so mehr, als sich die beiden Regierungen auf die Dauer ihren Forderungen nicht hätten entziehen können.

Aber es sollte noch schlimmer kommen. Ferdinand IV., der wohl wußte, wie verhaßt er seinen Untertanen war, fand keine Ruhe, so lange die ehemalige Königin in Neapel noch lebte. Im Herbst des Jahres 1823 hatte Metternich Karoline erlaubt, ihren Wohnsitz in Venedig aufzuschlagen. Kaum hatte das der neapolitanische Hof erfahren, als er durch seinen Gesandten die sofortige Rückkehr der Gräfin Lipona nach Frohsdorf fordern ließ. Das war für sie um so schwerer, als sie die Absicht hatte, das kostspielige Schloß zu verkaufen, um ihre versiegenden Geldquellen wieder aufzufrischen. Ferdinand IV. ließ Karoline in Venedig wie eine Verbrecherin überwachen. Jeder Schritt, den sie unternahm, wurde mit der üblichen Phantasie nach Neapel berichtet. Die arme Karoline wußte sich zuletzt keinen Rat mehr. Ihr Zorn richtete sich auch gegen Metternich, dessen Geliebte sie einst gewesen war. Jetzt besaß er nicht genug Tatkraft, sie gegen den neapolitanischen Hof zu schützen. Sie verglich das Benehmen des Königs von Neapel mit dem ihrigen, als die bourbonische Familie flüchtig war und sie ihr Unterstützung bot. Sie drohte zuletzt, die Briefe Karls IV. und der verstorbenen Königin von Etrurien zu veröffentlichen, die von Dankesbezeigungen überflossen. Da gestattete Metternich ihr auf eigene Verantwortung hin, in Triest die Beschlüsse der Pariser Ministerkonferenz abzuwarten. Dieser Entschluß fiel auf Drängen des neapolitanischen Gesandten ungünstig für Karoline aus. Sie sollte, lautete der Beschluß, sich in Österreich aufhalten, mit Ausnahme der Städte Venedig und Triest. Man schlug ihr Görz vor. Aber sie weigerte sich entschieden, Triest zu verlassen. Nur mit Gewalt, meinte sie, wollte sie sich dahin bringen lassen. Ihr kühnes Auftreten imponierte Metternich. Er war auch jetzt zu der Überzeugung gekommen, daß die Angst des neapolitanischen Hofes eigentlich lächerlich sei.

Karolines zweiter Sohn Lucien war inzwischen ebenfalls nach Amerika ausgewandert, und ihre beiden Töchter hatten sich verheiratet. Sie war nun ganz alleinstehend und vereinsamt. Trotz des Drängens des Hofes von Neapel erklärte daher Metternich schließlich, daß Karoline so lange in Triest bleiben dürfe, bis man endgültige Beweise über revolutionäre Umtriebe bei ihr entdecke. Bei diesem Beschlusse blieb es.

Karoline war trotz der Jahre und des vielen Unglücks, das sie erduldet, noch immer eine schöne Frau. Sie war noch ebenfalls so elegant, wenn auch ihre Gestalt durch ihre zunehmende Fülle etwas beeinträchtigt wurde. Aber ihr Gesicht behielt noch lange seine jugendliche Frische. In Triest besserte sich ihr Los auch in mancher Beziehung.

Vor allem änderte sich ihre finanzielle Lage. Ihre Schwester Pauline Borghese, die 1825 starb, vermachte ihr einen Teil ihres Vermögens. Dadurch wurde Karoline in die Lage versetzt, die Villa Campomarzo in Triest käuflich zu erwerben. In Triest begann sie nun wieder ein geselliges Leben, trotzdem sie die österreichische Regierung auch daran hinderte. Man fand es vor allem unpassend, daß Karoline sich noch Majestät titulieren ließ, obwohl ihr diese Bezeichnung nicht mehr zukam. Ja, der Hof von Neapel hatte es sogar fertig gebracht, ihr den Titel »Gräfin von Lipona« zu verbieten. Man nannte sie von nun an einfach, Madame Murat, eine Bezeichnung, die Karoline eher beleidigte anstatt zu schmeicheln. Und doch hätte sie gerade auf diesen Namen am stolzesten sein müssen, denn als »General Murat« hatte sich ihr Gatte mehr Ruhm erworben, wie als »König Joachim«. Manchmal schien es, als wenn die politischen Ereignisse eine Änderung ihrer Lage bewirken wollten; aber immer kam eine Enttäuschung. So hatte sie sehr große Hoffnungen gehegt, als die Revolution von 1830 die Bourbonen vom französischen Throne fegte, aber auch damals wurde sie arg enttäuscht. Und dennoch gab sie die Hoffnung nie auf, daß sie einmal vollständige Freiheit erlangen würde.

Die Ereignisse von 1815 lagen nun schon weit zurück. Murat war tot, Napoleon hatte ein ruhmloses Ende auf Sankt Helena gefunden, nirgends war mehr ein Bonaparte, der gefährlich hätte werden können. Trotzdem blieb Karolines Lage dieselbe. Selbst die kleinen Plackereien und Belästigungen blieben ihr nicht erspart. So hatte sie 1830 ihre Mutter besuchen wollen, die auf dem Sterbebett lag. Man gestattete ihr die Reise. Als sie aber in Bologna angekommen war, verweigerte man ihr die Pässe zur Weiterfahrt, denn der Hof von Neapel hatte wiederum Protest gegen ihre Reise erhoben. So mußte Karoline nach Triest zurückkehren, ohne ihre kranke Mutter noch einmal gesehen zu haben.

Erst die Erhebung Philipp Augusts zum König von Frankreich besserte Karoline Murats Lage einigermaßen. Eine schwere Krankheit im Herbst 1831 nötigte sie, ein wärmeres Klima aufzusuchen. In flehenden Worten bat sie Metternich, daß man ihr den Aufenthalt in Toskana gestatten möchte. Der Minister mußte ihr jedoch diesen Wunsch wieder versagen, da er an die Beschlüsse der Pariser Ministerkonferenz gebunden war. Bei der Pariser Konferenz jedoch vertrat er mit um so größerem Nachdruck ihren Wunsch, und so gestattete man ihr gegen den Willen des neapolitanischen Gesandten den Aufenthalt in Toskana.

Zu Beginn des Jahres 1832 siedelte Karoline Murat nach Florenz über, wo einst ihre Schwester Elisa als Großherzogin regiert hatte. Sie kaufte das Grifonische Haus und baute es um. In der schönen Arnostadt lebte sie nun in ziemlich großer Freiheit. Sie besaß einen Salon, den sie mit ihrer Grazie und ihrem Geist erfüllte. Bald war er einer der besuchtesten in Florenz, und man erwies der ehemaligen Königin von Neapel wahrhaft königliche Ehren. Mit dem ehemaligen Kriegsminister Murats, dem neapolitanischen General Macdonald, der ihr in die Verbannung gefolgt war, lebte sie seit langem in Gemeinschaft. Macdonald war ein schöner stattlicher Mann, mit schneeweißen Haaren, und ein sehr angenehmer Gesellschafter.

In Florenz hatte Karoline die ernste Absicht, ihre Memoiren zu schreiben, aber sie kam nicht zur Ausführung, was umsomehr zu bedauern ist, als gerade diese Schwester Napoleons am meisten dazu befähigt gewesen wäre. Sie gab auch noch nicht ihre Ansprüche auf ihr Vermögen auf. Im Jahre 1838 begab sie sich sogar persönlich nach Paris, um ihre Forderungen durchzusetzen. Zwar erreichte sie nicht, daß man ihr das verlorene Vermögen zurückerstattete, aber sie hatte wenigstens die Genugtuung, von der Kammer eine lebenslängliche Pension von 100.000 Franken in ihrer Eigenschaft als Schwester des Kaisers Napoleon zu erhalten. Leider genoß sie diesen Vorteil nur kurze Zeit.

Wie alle Schwestern Napoleons, starb auch Karoline noch verhältnismäßig jung. Sie wurde nur 57 Jahre alt. Am 18. Mai 1839 raffte sie der Tod hinweg, als letzte der Schwestern des Mannes, der die ganze Welt hatte beherrschen wollen.

 

Ende


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