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Sechstes Kapitel

Die letzten drei russischen Unteroffiziere waren wieder an den Araxes zurückgekehrt. Der Kundschafterdienst des Fürsten wie des Prinzen hatte seine Schuldigkeit getan. Es ließ sich ziemlich genau berechnen, wann und wo man mit Scharef zusammenstoßen würde, der guter Dinge und gemächlich von Wan aus südlich durch die Berge zog, ohne zu ahnen, wie scharf er beobachtet wurde. So lange er auf türkischem Gebiet war, gab es für ihn ja keine Gefahr. Nicht einmal von den Bergkurden, denn es widersprach ihrer Taktik, mit jemand ohne Not anzubinden, der zahlenmäßig so stark überlegen war. Und Scharef hatte nicht den geringsten Grund, sie zu reizen. In Salmas gab es immer noch mehr zu holen als bei ihnen. Und von Salmas dann einen unerwarteten Vorstoß nach der Gouvernementshauptstadt und seinem Christenviertel. Es ließ sich besser verteidigen als die armen Dörfer in Salmas. Dafür lohnte es sich aber auch um so mehr. Ein großer Schlag war geplant und mußte gelingen. Je mehr dabei heraussprang, um so besser auch für Stambul. Mit dem rückständigen Sold eilte es dann nicht. Seine Leute blieben guter Laune, und wenn der rückständige Sold anwuchs, schadete es auch nichts. Es rechtfertigte sein Unternehmen; und der Druck, den er auf die Regierung ausüben konnte, wuchs ja nur mit den wachsenden Rückständen. Und Persien? Sie sollten erst einmal nachweisen, daß der Überfall von Hamidiekurden und nicht wie gewöhnlich, von Bergkurden ausgegangen war. Aber selbst wenn Persien das unwiderleglich nachweisen konnte und in Stambul Beschwerde führte? Dann entschuldigte sich die türkische Regierung, entrüstete sich mit den Persern und sagte strengste Bestrafung der Übeltäter zu. Schlimmstenfalls ließ man ein paar Leute hinrichten. Ihm gegenüber würde die Regierung beide Augen zudrücken, denn die Verlegenheit, die er der Regierung bereitete, ließ sich durch Entschuldigungen und ein paar Hinrichtungen wieder beseitigen. Das kostete kein Geld, das einzige, woran immer Mangel herrschte. –

Sureja saß guter Dinge in seinem Herrenzimmer und las einen französischen Roman. Der Fürst war noch um einiges europäischer, als er erwartet hatte. Die so stürmische Passion kam ihm fast verächtlich vor. Durch geeignete Lektüre suchte er sich das Verständnis dafür zu erleichtern, um sie richtig für die gemeinsamen, weitausschauenden Pläne nutzen zu können. Man konnte da nicht vorsichtig genug sein, um wenigstens nichts zu verderben. Unberechenbar ist so eine europäische Passion. Die Krankheit näherte sich bei Akunian offenbar ihrem Höhepunkt. Der Zug gegen Scharef steigerte sie vielleicht noch, weil sie nicht zum Durchbruch kommen konnte und einen schleichenden Charakter annahm. Aber das Heilmittel wartete ja in Maku, und dann würde die Genesung nicht lange auf sich warten lassen.

Befriedigt klappte er den Roman zu, der ihn im Grunde langweilte. Aber was tut man nicht alles um seiner Pläne willen. Er sah in den Hof, der eine einzige schmutzige Pfütze war, und dann nach dem Himmel, dessen Blau noch ein wenig blaß und zaghaft herniedersah, als schäme sich der Himmel, noch vor wenigen Minuten so völlig unbeherrscht drauflos geblitzt und gedonnert und mit Wasser um sich geschüttet zu haben, als wolle er alles ersäufen. Ein so wildes Gewitter war ungewöhnlich um diese Jahreszeit.

Die Bäume ließen resigniert die Äste hängen, die Blätter tropften. Maschallah! Wie Gott will. Die Rosen waren entblättert, Lilien und Nelken geknickt und beschmutzt. Die Menschen blieben hinter den Mauern, die Hunde hatten sich verkrochen. Ein gutes Wetter, um auf den Straßen wenig beachtet zu werden. Das Erdreich war ausgedörrt und zusammengeschrumpft, daß es das Wasser nicht aufnahm. Es dauerte eine Weile, bis es so angefeuchtet war, daß es wieder atmen und saugen konnte. Dann wurde alles ein lehmiger Brei. Wer nicht unbedingt auf die Straße mußte, blieb zu Hause. Es stand eine Nacht bevor, wie gemacht für Hakob Akunian und die Seinen, unbeachtet in kleinen Trupps hierhin und dorthin über das Feld zu verschwinden. Nun, sie würden die günstige Gelegenheit zu nutzen wissen.

Er ging in das nächste Zimmer und war damit im Ändärum seines Hauses, in seinem innersten Teil, der für die Frauen reserviert ist. Er klatschte in die Hände. Eine alte Dienerin erschien, der er einen Befehl gab. Sie verschwand und kehrte mit einem Schachbrett zurück. Nach einer Weile huschte eine junge, hochgewachsene Frau herein, verneigte sich tief und ließ sich stumm, als sie das Schachbrett erblickte, dem Prinzen gegenüber auf dem Boden nieder, der dicht mit Decken, Kissen und Teppichen bedeckt war. Sie verstand sich auf das Schachspiel, hatte es in Tiflis gelernt, und deshalb hatte Sureja sie gekauft. Sie erkannte schon nach wenigen Zügen, in welcher Stimmung er sich gerade befand, und das war besonders angenehm. Ob er gewinnen wollte, ob es ihm Spaß machte, von ihr mattgesetzt zu werden, ob er zerstreut war und sich durch das Spiel ablenken wollte, sie war für seine Wünsche so empfänglich, wie ein europäisches Medium für jeden Befehl seines Hypnotiseurs.

Mitten im ersten Zug hielt er an, denn ihm kam ein Gedanke, der ihn interessierte. Es würde sich am Ende lohnen, mit ihr zu experimentieren. Sie war als Frau vermutlich noch sensibler als jener türkische Spion. Doktor Durville in Paris hatte sich durch unzählige, mühsame Experimente rein verstandesmäßig einige recht hübsche Kenntnisse auf Gebieten angeeignet, für die den Europäern im Laufe von Jahrhunderten jede natürliche Begabung verlorengegangen war. Techniker waren sie, aber keine Weisen. Drollig, daß der Fürst damals ein wenig spöttisch gefragt hatte, ob er diese Künste in einem Teufelskloster in Kurdistan gelernt habe? Wenn er wüßte! Der Prinz lachte laut auf.

Immer noch hielt er unschlüssig zwischen Daumen und Zeigefinger die Schachfigur. Seine Partnerin sah regungslos auf seine beiden Finger. Nun, es würde sich schon bei dieser Schachpartie ausprobieren lassen, ob es der Mühe wert war, sich etwas mehr mit ihr zu beschäftigen und ein Instrument aus ihr zu machen, das jedem seiner Gedanken zu gehorchen lernte, ohne daß sie erst laut werden mußten. Wände haben Ohren, fremde Wände viele Ohren. Es konnte von großem Vorteil sein, Befehle geben zu können, die auch der beste Horcher an der Wand nicht hörte.

Der Prinz tat seinen Zug, sie ihren Gegenzug. Bei den ersten halbdutzend Zügen war deutlich zu sehen, daß sie nicht wußte, wohinaus er wollte. Er wußte es selbst noch nicht, weil er an andere Dinge dachte, und konzentrierte sich erst jetzt auf das Spiel. Er wollte gewinnen. Schnell und leicht. Die Partnerin tat einen Zug, der so ungeschickt war, daß er sie in drei Zügen hätte mattsetzen können. Er ignorierte ihren Zug und versenkte sich einen Augenblick in sich selbst, wie er es im Kloster in Kurdistan gelernt hatte. Es würde ihm Spaß machen, zu verlieren. Aber nicht schnell und leicht, sondern so, daß das Spiel reizvoll blieb, und man sich als Verlierer nach hartem Kampf nicht ärgern mußte. Die Partnerin spielte wirklich sehr geschickt. Auch er war plötzlich ganz dem Spiel hingegeben, das ihn durch die Gegenzüge immer stärker zu fesseln begann. Aber unter der Lust am Spiel blieb der Befehl an die Partnerin wach und rege, schließlich doch zu gewinnen. Er strömte nicht hastig, aber stetig auf sie ein. Wie wenn durch den Spalt einer geschlossener Tür ein schmaler Lichtstreif fällt. Wäre es finster im Raum, hätte sie den Schein sehen können, wenn sie wirklich so sensibel war, wie er vermutete. Oh, er war gut trainiert und die Übungen nicht vergebens gewesen.

Als das Spiel zu Ende war, musterte Sureja seine Partnerin interessierter als bisher. Schöne schmale Hände mit langen Fingern, die sich nach den Spitzen zu leicht verjüngten. Von Natur, nicht dadurch, daß man wie in dem plumpen Europa die Nägel über den breiten, stumpfen Fingerkuppen spitz zuschnitt, so daß die mäßige Rasse um so hilfloser rechts und links hervorsah. Auch der Armansatz war gut. Er neigte sich vor und betrachtete ihre nackten Füße. Die Frau sah ihn nicht an, aber ihre Füße wurden unruhig, die Zehen gerieten in eine leicht zitternde Bewegung; und wahrhaftig, wenn er sich nicht ganz täuschte, begann der Fußrücken sich sanft zu röten wie in Verlegenheit. Sonst kann man das nur bei ganz jungen Mädchengesichtern beobachten. Eine Sensitive von feinster erotischer Begabung. Man mußte sie reizen, wachhalten, nie einschlafen lassen, aber auch nicht befriedigen. Dann konnte etwas aus ihr werden.

»Kannst du auch blind spielen, ohne Brett, Natascha?«

Man habe das in Tiflis bei Ausflügen, wenn kein Brett da war, häufiger getan, aber mehr im Spaß.

»So werden wir es einmal im Ernst versuchen«, erwiderte er und versank wieder in Nachdenken. Sie hatte großes, angeborenes Talent für das königliche Spiel, kein Zweifel. Man könnte es gleich einmal versuchen, eine Partie blind zu spielen, und wenn es sie nicht zu sehr anstrengte, konnte man es wiederholen, immer wieder. Und eines Tages, wer weiß, wenn sie erst ohne Brett so gut spielte wie mit Brett, mehr eine Frage der Übung, da das Talent ja vorhanden war, konnte man vielleicht sogar das Experiment wagen, daß er seine Züge gar nicht mehr ansagte, sondern nur dachte. Man würde ja sehr schnell erkennen, ob das genügte für ihre Gegenzüge. Ein feiner, gut durchgearbeiteter Mensch ist ein Instrument, dem kein anderes gleichkommt. Es wäre der Mühe wert.

Ärgerlich fuhr er mit einem lauten Fluch herum. Die alte Dienerin flüsterte durch den Vorhang mit jemand im Nebenzimmer. Erschrocken fiel sie auf die Knie und berührte mit der Stirn den Boden.

»Was hast du zu schwatzen?«

Man wolle den Herrn sprechen.

»Wer?«

»Der türkische Konsul.«

Sureja sprang auf. Um diese Stunde? Was hatte das zu bedeuten?

»Ich lasse ihn bitten.«

»Hierher?« stammelte die Alte entsetzt.

»Bist du taub?«

Die Alte entschlüpfte ins Nebenzimmer. Natascha erhob sich, um das Zimmer zu verlassen.

»Du bleibst. Setze dich nieder. Hörst du nicht?« Gehorsam ließ sie sich wieder nieder und starrte den Prinzen aus weitgeöffneten Augen tief erschrocken an. Es war ungeheuerlich, daß ein fremder Mann das Ändärum betrat, und es zeigte zugleich eine solche Geringschätzung ihrer Person, daß ihr die Tränen in die Augen schossen.

Die alte Dienerin schob mit zitternden Händen den Vorhang beiseite. Der Konsul wollte vortreten, prallte aber erschrocken zurück und stammelte Entschuldigungen. Es war dem Prinzen gelungen, ihn um alle Fassung zu bringen, weil er beinahe das Ändärum betreten hätte, in dem der Kurde mit einer seiner Frauen beim Schach saß.

Sureja sprach den Konsul französisch an und zwang ihn einfach, näherzutreten, und er stellte ihm Natascha vor, als befände man sich in Europa, was den Konsul noch mehr verwirrte. Da er die Unterhaltung französisch führte und zugleich erklärte, Natascha verstehe die Sprache, nötigte er den Konsul ebenfalls dazu. In einer fremden Sprache kann man seine geheimsten Gedanken nicht so gut verbergen wie in der Muttersprache, noch dazu, wenn diese türkisch oder persisch ist.

Sie saßen auf dem Boden in einem persischen Frauengemach und sollten sich benehmen wie in einem europäischen Salon. Es war nicht zu fassen. Woran glaubte dieser Prinz überhaupt noch, wenn er das wagte? Und konnte ein türkischer Konsul, als guter Mohammedaner, einen solchen Verstoß gegen alle gute Sitte schweigend hinnehmen, lag darin nicht zugleich auch eine unerhörte Beleidigung seiner Person?

Der Konsul schwieg immer noch. Dafür redete sein aus der Fassung geratenes Gesicht eine um so deutlichere Sprache und verriet seine Gedanken. Daß sie nicht freundschaftlicher Natur waren, wußte Sureja längst. Immerhin war es angenehm, das so unverhüllt bestätigt zu sehen. Er hatte den Konsul stets für den gefährlichsten Gegner seiner Pläne gehalten, den einzigen, den er ernst nahm.

Endlich hatte der Konsul sich so weit gefaßt, daß er seine Erklärung für den Besuch zu so ungewöhnlicher Zeit vorbringen konnte. Er war bei einem Spazierritt von dem Gewitter überrascht worden. Dadurch hatte sich die Stunde verschoben, in der er mit seiner Hoheit über den letzten Überfall reden wollte, der für ihn so überaus peinlich sei. Aber Hoheit wisse ja, wie der Einfluß der hohen Pforte auf diese widerspenstige Brut in den Bergen immer noch nicht stark genug sei, um sie von Unbesonnenheiten abzuhalten.

Sureja lachte unbefangen und heiter. »Gewiß, es ist unangenehm für Ew. Exzellenz, daß es sich dabei um Untertanen der Türkei handelt, aber ich weiß ja am besten, wie wenig Rücksicht sie darauf nehmen, da sie sich immer noch als freie Herren ihrer Berge fühlen. Es ist ihnen ja auch schwer beizukommen, was ich im Interesse Ew. Exzellenz auf das schmerzlichste bedaure.«

Der Konsul verzog sein Gesicht ebenfalls zu einem leichten, heiteren Lächeln, wenn es ihm auch schwer wurde, da er zu bitter die Bosheit aus den schönen Worten herausschmeckte.

»Viel schmerzlicher wäre es für uns alle, besonders auch für den Gouverneur, Gott erhalte ihn, wenn z. B. einmal Ihre Hamidiekurden ähnliches versuchen würden. Wir leben in einem schwachen Land, das sich nur schlecht verteidigen kann. Die Versuchung wäre nicht klein.«

»Das ist völlig ausgeschlossen«, fiel der Konsul hastig ein.

»Außerordentlich beruhigend ist das. Ich würde mich sonst dem Gouverneur zur Verfügung stellen müssen und vielleicht auch meinen Bruder um Unterstützung angehen. Es wäre ja wohl auch nur im Interesse Ew. Exzellenz, wenn solchen Banditen ein kräftiger Denkzettel verabreicht würde. Ich weiß ja, wie schwierig es für die hohe Pforte ist, ihre Hamidiekurden im Zaum zu halten. Sie fordern viel, immer mehr, ich kenne das. Und woher soll man all das Geld nehmen?« Er schüttelte bedauernd den Kopf, und der Konsul schwieg, um ihn erst ausreden zu lassen.

»Wollte man sich nur an das Christenviertel halten, hätte das durchaus meinen Beifall. Auch der Gouverneur, Segen über ihn, hätte schwerlich dagegen etwas einzuwenden. Höchstens einen offiziellen Protest, um ›das Gesicht zu wahren‹. Aber es ist immer schwer, auch die bestorganisierten Räuber, wenn sie erst einmal Blut geleckt haben, fest in der Hand zu behalten.«

Natascha saß regungslos da, ohne eine Miene zu verziehen. Als wäre sie aus Stein, der nichts hört und sieht. Aber Sureja sah sehr wohl, wie die Augen des Türken zuweilen verstohlen zu ihr abirrten. Eine Dame des Harems, keine Tänzerin, unverschleiert, in greifbarer Nähe.

Sureja lächelte in sich hinein. Er kannte doch diesen Ziegenbock und seine Gelüste. Vor allen Dingen mußte man ihn hier so lange als irgend möglich festhalten, nun er einmal da war. Damit der Luchs nicht im Christenviertel herumschnüffelte, bevor Hakob Akunian mit seinen Leuten verduftet war. Nach Mitternacht mochte er dann heimreiten. Durch das Christenviertel, wenn es ihn durchaus danach gelüstete. Er würde dann schwerlich noch etwas zu sehen bekommen, was seiner Spürnase verdächtig vorkam.

Sureja ließ Champagner bringen und zog Natascha ins Gespräch. Ganz als wäre sie eine europäische Dame. Auch der Türke mußte sie so behandeln. Das ergab für ihn eine ganz eigentümliche Situation, die er als immer verwirrender und aufreizender empfand. Gewiß, wenn man in Pera bei einem europäischen Kollegen zum Tee war, machte man der Dame des Hauses auch ein wenig den Hof, wozu man in türkischer Gesellschaft, außer bei nächster Verwandtschaft, gar keine Gelegenheit hatte. Aber es blieb eine fremde Welt, in der man sich unsicher fühlte. Diese Europäerinnen waren nach seiner Anschauung unglaublich herausfordernd, aber im nächsten Augenblick benahmen sie sich schon wieder, als sei alles gar nicht wahr gewesen, was Worte und Lächeln verhießen. Wer sollte sich da auskennen? Und die Männer sahen das ruhig mit an und freuten sich sogar darüber. Manche zeigten sich direkt geschmeichelt, wenn man ihren Frauen den Hof machte. Fühlten sie sich ihrer Frauen so sicher? Gab es da Gesetze, die er nicht durchschauen konnte? Hier jedoch saß er in einem mohammedanischen Frauengemach. Das war nur bei armen Leuten und einiger Verwandtschaft so selbstverständlich, wie es unverständlich und eine Lästerung im Haus eines wohlhabenden Mannes war, eines Fürsten, mit dem er nicht im geringsten verwandt war. Die Frau war gekleidet wie eine Mohammedanerin im innersten Frauengemach, aber das Gesicht nackt wie bei einer Europäerin. Man unterhielt sich mit ihr französisch und schätzte sie gleichzeitig mohammedanisch ab, ob man wollte oder nicht. Man machte ihr den Hof wie einer Levantinerin, die im Robert College erzogen war oder in Paris, wo man sich noch besser auf den Flirt versteht. Aber ihr zur Seite stand kein Europäer, sondern ein Kurde, dem man sie abkaufen konnte, wenn man es für der Mühe wert hielt. Oder man konnte auch versuchen, eine Nacht mit ihr zu verbringen, indem man die Dienerinnen bestach oder sonstwie auf mohammedanische Art, die einem geläufiger war als die undurchsichtigen europäischen Sitten.

Er ist ein recht zierlicher, hitziger Mensch, aber Natascha ist stärker, ging es Sureja durch den Kopf, während er eifrig mit den beiden Konversation machte, scherzte, lachte, sie zum Champagner animierte, so daß selbst Natascha lebhaft wurde und aus sich herausging. So freundlich und gesellig kannte sie den Prinzen gar nicht. Wie angenehm, wenn er häufiger so wäre. Das verdankte sie dem Konsul.

Leidenschaftlich ist sie auch, nicht nur erotisch, dachte der Kurde. Sie könnte den Türken übel zurichten, wenn er zudringlich würde und sie keinen Geschmack daran fände. Sureja musterte Natascha immer genauer. Wie man ein Instrument prüft, das immer mehr im Wert steigt.

Was in dem Konsul vorging, war nicht schwer zu erraten.

Sureja rief nach einigen Dienerinnen, die auch als Tänzerinnen dienten. Ein silbernes Becken mit glühender Holzkohle wurde in das Zimmer gestellt und einige Körner Weihrauch darauf gelegt. Auch ein Stab Sandelholz. Wasserpfeifen wurden in Brand gebracht. Seidene Fäden, wohlriechende Holzkugeln wie Perlen an ihnen aufgereiht, waren zur Hand und glitten spielerisch durch die Finger. Ohne dieses Spiel fühlte ja kein Türke sich wohl. Man muß den Abend, der einem so unerwartet in den Schoß fiel, auszunutzen verstehen.

Der Prinz blickte interessiert auf die Tänzerinnen, damit der Türke sich ohne Zwang um so ungenierter Natascha ansehen konnte. So zierlich er war, schien er doch recht vollblütig zu sein, denn sein Kopf rötete sich, und die Stirnadern schwollen. Ein ganz tüchtiges Feuerchen brannte in ihm und trocknete Gaumen und Zunge so, daß er recht häufig zum Champagnerglas griff. Aber das Feuerchen soll dadurch ja nur noch mehr angefacht und erhitzt werden. Man darf nicht zugeben, daß es im Champagner ersäuft.

Auf einen leichten Augenwink Surejas brachen die Tänzerinnen mitten im Tanze ab. Natascha fuhr unter einem drohenden Blick des Prinzen erschreckt zusammen. Sie erhob sich langsam unter dem Zwang seiner Augen, verneigte sich tief, ganz orientalisch, und verschwand.

Der Konsul sprang auf, entschuldigte sich, daß er die Zeit so ganz vergessen habe. Sureja wollte ihn zurückhalten, aber nun drängte der Türke zum Aufbruch. Sureja nahm ihm das Versprechen ab, ihn bald wieder einmal zu besuchen und geleitete seinen Gast in den Hof. Die Sterne funkelten, so daß man keine Fackeln nötig hatte. Mitternacht war vorüber.

Ein Reitknecht zog des Konsuls Pferd aus dem Stall. Es fiel Sureja auf, daß er nicht quer über den Hof ging, sondern mit dem Hengst möglichst im Dunkel der Bäume näher kam.

»Hat das Pferd Eurer Exzellenz die Bräune?« Er wies auf das Tier, dem man ein Tuch um den Hals geschlungen hatte.

Ärgerlich riß der Türke das Tuch ab. Das Pferd blutete aus einer breiten Halswunde.

Heulend sank der Reitknecht in die Knie, küßte seinem Herrn den Rocksaum, rutschte zu dem Konsul, befeuchtete seine Stiefel mit Tränen und beichtete endlich. Nicht er, sondern ein Pferdewärter, der sich aber nicht aus dem Stall traue, habe den Hengst Seiner Exzellenz zu Jussuf in denselben Stall gestellt. Um ihm die gebührende Ehre zu erweisen. Aber Jussufs Reitknecht hatte nicht daran gedacht, dem feurigen Tier die Hinterbeine festzubinden, weil er doch so eifersüchtig ist und keinen anderen Hengst in seinem Stall verträgt. Deshalb hat er ja auch seinen Stall für sich. Aber man konnte das Pferd Seiner Exzellenz doch nicht zu den anderen Pferden stellen, man wußte doch, was sich gehörte. Jussuf habe sich so ruhig verhalten, daß niemand an etwas Böses dachte. Erst als keiner mehr im Stall war, sei es losgegangen. Ein wahrer Teufel sei Jussuf. Bis man die beiden Hengste glücklich voneinander losgebracht, sei das Unglück schon geschehen.

 

Sureja erbat sich des Konsuls Reitpeitsche und bearbeitete den heulenden Reitknecht, bis dieser mit einem gellenden Schrei aufsprang und fortlief, was er längst hätte tun sollen, der Dummkopf. Der Konsul besah sich sein Pferd etwas genauer. Es blutete auch aus zwei schmalen Wunden in der Brust, wo Jussuf Hautfetzen herausgerissen hatte. Glücklicherweise waren es nur Fleischwunden. Sureja wollte ihm ein anderes Pferd geben lassen, aber der Konsul schwang sich rasch entschlossen in den Sattel, bedankte sich nochmals mit vielen Worten für den Abend, entschuldigte sich vielmals für sein langes Bleiben und ritt ab durch das Tor, das der Torhüter inzwischen geöffnet hatte.

Sureja sah dem Reiter eine Weile nach. Er würde sich beeilen, mit seinem lädierten Gaul nach Hause zu kommen und nicht erst noch im Christenviertel herumspionieren. Er wandte sich zurück zum Haus. Ein Unglückstag für den Konsul. Er hätte sich besser vorsehen und erst die Sterne befragen sollen, bevor er Sureja in den Bau ging. Ein Pechvogel.

Der Prinz lachte laut und schneidend. Noch einmal hielt er an und überlegte einen Augenblick. Dann kehrte er in das Ändärum zurück. Er war aufgeräumt. Auf dem Kohlenbecken rauchten ein paar frische Weihrauchkörner.

Er klatschte in die Hände und befahl der alten Dienerin, Perwareh, den Schmetterling, hereinzulassen, ein Kurdenmädchen aus den Bergen, das ihm sein Bruder kürzlich zum Geschenk gemacht hatte.


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