Apuleius
Der goldene Esel
Apuleius

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Fünftes Buch

Allhier ist Psyche augenblicklich aller quälenden Unruhe entledigt. Sanftgebettet auf zartem Lager von betautem Grase, entschlummert sie allgemach. Nach langem erquickendem Schlaf erwacht sie endlich wieder heiterer als jemals und steht auf.

Welch ein Anblick bietet sich da ihren Augen dar!

Sie befindet sich in einem anmutigen Lustwalde, wo unzählige Geschlechter der herrlichsten Bäume ihren Schatten ausbreiten. Eine Quelle, glänzender als Kristall, windet in mannigfaltigen Krümmungen sich mitten hindurch, und da, wo sie sanftrauschend vom Felsen herabstürzt und über sich leichten Silbernebel bildet, steigt auf grünem Ufer ein Palast empor, nicht von Menschenhand und Kunst erbaut. Gleich beim ersten Eintritt in denselben erkennt man ihn für eines Gottes Lustwohnung. Die Decke ist künstlich gewölbt, mit Elfenbein und Zitronenholz eingelegt und von goldenen Säulen unterstützt. Getriebene Arbeit von Silber überdeckt alle Wände, wilde und andere Tiere springen wie lebendig den Hereintretenden entgegen; eine Vollkommenheit der Kunst, die niemand erreicht, ohne ein Zauberer, wo nicht ein Halbgott oder ganz ein Gott zu sein! Der Fußboden prangt mit den köstlichsten Steinen, kleingeschnitten und von verschiedenen Farben, so meisterlich zusammengestellt, daß sie die vortrefflichsten Gemälde bilden. O, zwei und mehrmals glücklich diejenigen, die da Gold und Edelgesteine mit Füßen treten!

Gleicher unaussprechlicher Reichtum herrscht in allen anderen Teilen dieses weitläufigen Gebäudes. Die Mauern sind mit 110 gediegenem Golde über und über bekleidet; von allem Glanze werden die Augen geblendet. Ja, wollte auch die Sonne diesem Palaste ihr Licht entziehen, es würden in demselben die Zimmer, die Gänge, die Türen durch ihren Schimmer einen eigenen Tag hervorbringen.

Auch die Gerätschaft stimmt allenthalben mit der übrigen Pracht überein. Kurz, alles und jedes erweckt hier den Gedanken: der große Jupiter habe sich diese himmlische Wohnung zum Umgange mit den Menschen zubereitet.

Die Schönheit dieses Aufenthaltes zog Psychen an. Sie ging näher hinzu. Bald schon dreister geworden, wagt sie sich in eine Tür hinein; Neugierde und Bewunderung leiteten sie dann immer weiter und weiter, bis sie endlich, vom Größten bis zum Kleinsten, alles besehen hatte.

Nun besucht sie auch die Vorratsgebäude, die, bei der edelsten Bauart, mit den allergrößten Schätzen angefüllt sind. Was hier sich nicht findet, ist nirgendwo in der Welt.

Psyche war über so unermeßlichen Reichtum erstaunt. Doch ihre höchste Verwunderung war, daß sie zur Verwahrung dieses Schatzes aller Schätze weder eines Riegels noch eines Schlosses noch sonst eines Hüters gewahr ward.

Wie sie dieses alles mit staunender Wonne noch immer betrachtete, wurde sie auf einmal erweckt. Eine Stimme sprach zu ihr, ohne daß sich ein Körper dazu sehen läßt:

›Wie kannst Du, o Gebieterin, so lange bewunderungsvoll diese Kostbarkeiten anstarren? Sie sind ja alle Dein. Gehe lieber in das Schlafzimmer, um Dich auszuruhen, und begib Dich, wenn es Dir ansteht, in das Bad. Ich, deren Stimme Du vernimmst, und noch viele unsichtbare Mädchen mehr sind Deinem Dienste gewidmet. Unsere Emsigkeit wird es Dir an nichts fehlen lassen; jegliche Bequemlichkeit und die köstlichste Tafel erwarten nur Deinen Wunsch.‹

111 Psyche merkt jetzt, daß sich irgendeine Gottheit ihrer annimmt, sie folgt dem Rat der Stimme und erquickt sich durch einen leichten Schlummer und dann durch ein Bad, nimmt darauf an einer Tafel Platz, die für sie zubereitet dazustehen schien. Sogleich ist diese mit einer Menge der lieblichsten Weine und der auserlesensten Gerichte bedeckt. Niemand trägt sie auf, sie scheinen wie von der Luft getragen von selbst herbeizuschweben. Auch ist niemand von denen, die aufwarten, zu sehen. Psyche hört nur zuweilen einzelne Laute.

Nachdem sie abgespeist hat, tritt jemand auf und singt und ein anderer begleitet den Gesang mit der Zither; der Sänger ist so wenig als der Zitherspieler noch die Zither selbst sichtbar.

Darauf läßt sich ein volltöniges Konzert von den lieblichsten Stimmen hören und ergötzt die Ohren Psychens, ohne daß wiederum ihre Augen die Kehlen zu entdecken vermögen, welche diese süße Harmonie hervorbringen.

Nach allen diesen Ergötzlichkeiten geht Psyche auf Anmahnen der anbrechenden Nacht endlich schlafen.

Schon tief in der Nacht weckt sie ein leises Geräusch. Da schaudert es ihr durch alle Glieder. In der großen Einsamkeit ist ihr für ihre Unschuld bange. Zwar weiß sie nicht, was sie befürchtet, aber sie fürchtet es mehr als den Tod.

Siehe, es ist ihr unbekannter Gemahl. Er besteigt das Brautbett, macht Psychen zu seiner Gattin und eilt noch vor Anbruch des Tages von ihr.

Kaum hat er sie verlassen, so sind auch schon die dienstfertigen Stimmen in dem Schlafgemache, um der Neuvermählten alle nötigen Hilfeleistungen zu reichen.

So währte es eine Weile fort. Es ging Psychen mit der neuen Lebensart, wie es immer zu gehen pflegt, anfangs war ihr alles so fremd, so unbehaglich, bald ward sie es durch die Dauer 112 gewohnt, und endlich fand sie Gefallen daran. Die Gespräche mit ihren Unsichtbaren ersetzten ihr alle Gesellschaft,

Unterdessen verzehrten ihre armen alten Eltern sich in Gram und steter Betrübnis. Auch war das Gerücht von dem Orakel und seiner Vollziehung inzwischen zu den ältern Schwestern gekommen. In größtem Leidwesen verlassen beide schleunigst ihre Männer und eilen um die Wette, Vater und Mutter zu trösten und bei ihnen nähere Kundschaft wegen der Schwester einzuziehen.

In eben der Nacht spricht Psychens Gemahl, den sie nie sah, nur fühlte und hörte, also zu ihr:

›Geliebte Psyche, Du mein süßes Weib, ein feindliches Schicksal drohet Dir eine große Gefahr! Aber achte nur genau auf diese meine Warnung, so ist ihr vorgebeugt. Deine Schwestern trauen dem Gerücht von Deinem Tode nicht. Sie werden bald hier sein und Deiner Spur oben auf dem Felsen nachsuchen. Kommt nun ihr Geschrei und Gewimmer Dir zu Ohren, so antworte ja nicht, sieh auch nicht einmal nach ihnen hin. Du bereitest sonst mir den größten Schmerz und Dir selbst das größte Unglück.‹

Psyche verspricht's ihrem Gemahl; sie beteuert, nur seinem Rate zu folgen.

Allein kaum ist er mit der Nacht zugleich von ihr geschieden, als sie in Seufzer, Jammer und Tränen ausbricht:

›Jetzt,‹ ruft sie, ›jetzt erst bin ich mit Recht unglücklich zu nennen! In einem goldenen Kerker eingesperrt, aller menschlichen Gesellschaft abgestorben, darf ich meine Schwestern nicht einmal trösten; meine Schwestern, die um meinetwegen sich härmen! Ach, ich darf sie nicht einmal sehen!‹

Und so geht es den ganzen Tag. Sie ißt nicht, trinkt nicht, genießt keine Erquickung, begibt sich nicht ins Bad. So fort ohne Maß weinend, legt sie sich endlich schlafen. Bald findet 113 sich ihr Gemahl bei ihr ein, diesmal früher als gewöhnlich; aber auch seine Umarmung hemmt ihre Zähren nicht.

Leutselig wollte er ihr da ihre Empfindlichkeit verweisen: ›Wie, meine Psyche,‹ sagt er, ›ist das die Art, womit Du den Bitten der sorgsamen Liebe Deines Gatten willfährst? Da bleibt mir wenig von Deiner Folgsamkeit zu hoffen übrig! So Tag und Nacht und in meinen Armen selbst in Tränen zu zerfließen! Nein, lieber handle nach Deinem eigenen Gefallen, tue, was Dein Herz Dir eingibt; aber sehen wirst Du, wie schädlich das ist! Dann wirst Du's bereuen, daß Du mir nicht gefolgt bist; aber dann ist's zu spät!‹

›Flehentlich bitte ich Dich, Geliebter,‹ erwidert ihm aber Psyche, ›gewähre mir den Wunsch meiner Seele! Laß mich meine Schwestern sprechen, sie trösten, oder ich muß sterben! Ich mache diesem meinem verhaßten Leben ein Ende!‹

Wie hätte er dieser fürchterlichen Drohung zu widerstehen vermocht? Augenblicklich ergibt er sich den Bitten seines jungen Weibes. Ja, in seiner zärtlichen Schwachheit stellt er es ihr frei, ihre Schwestern mit so vielem Golde und so vielen Juwelen zu beschenken, als sie nur immer wolle.

Doch warnt er sie noch unaufhörlich, bald in Liebe, bald mit Ernst, ja sich nicht von dem unglücklichen Rate derselben verleiten zu lassen, seine Gestalt auszuforschen. Dieser sträfliche Vorwitz würde sie ohne Rettung von dem Gipfel ihres Glückes in das äußerste Elend hinabstürzen und auf ewig seinen Umarmungen entreißen.

Mit aufwallender Freude dankt nun Psyche ihrem Gemahle. ›Eher,‹ sagt sie, ›eher mag ich hundertmal sterben, als Deinen geliebten Armen entrissen werden! Denn Dich, wer Du auch seiest, Dich liebe ich mit ganzer Seele, wie mein Leben liebe ich Dich, Dich vertauscht' ich mit Amor selbst nicht! Doch dies 114 Einzige gewähre meinen Bitten noch: Gebiete Deinem Zephyr, auf eben die Art wie mich auch meine Schwestern hierher zu bringen.‹

Jetzt schlingt sie ihre lilienweißen Arme um seinen Hals und küßt und liebkost ihn so viel und überhäuft ihn mit so vielen zärtlichen Namen der Liebe: heißt ihn ihre Wonne, ihr Leben, ihre Seele, bis sie endlich obsiegt. Von der Gewalt der Liebe bezwungen, erlag ihr Gemahl wider Willen und Vorsatz und versprach ihr, daß alles geschehen solle, und verschwand, noch ehe es dämmerte, wieder aus ihren Armen.

Allbereits waren Psychens Schwestern bei ihren Eltern angelangt. Sie erkundigten sich nach allem, begaben sich dann eiligst auf den Felsen und an den Ort, wo ihre Schwester allein war verlassen worden. Da sie dort nirgends eine Spur von ihr antrafen, so weinten sie überlaut und schlugen sich bei dem Klagen an die Brust. Von ihrem Jammergeschrei hallten traurig die Felsen wieder. Endlich riefen sie ihre unglückliche Schwester bei Namen. Der durchdringende Laut ihrer ängstlichen Stimmen klang bis tief hinunter in das Tal.

Psyche vernahm es. Mit Ungestüm stürzt sie wie wahnsinnig aus dem Schlosse heraus und schreit:

›Schwestern, was betrübt Ihr Euch so ohne Ursache? Ich, die Ihr beweint, bin hier. Stellt Eure Klagen ein. Trocknet Eure Tränen und kommt herab in meine Umarmung!‹

Darauf ruft sie den Zephyr und sagt ihm, was ihr Gemahl befohlen. Ohne Verzug gehorcht dieser und bringt alsbald auf seinem milden Odem ihre Schwestern wohlbehalten und gemächlich hernieder.

Voller Ungeduld fliegen sie sich gegenseitig in die Arme und drücken sich einander lange sprachlos inbrünstig ans Herz. Freudentränen fließen auf ihren Wangen. Endlich spricht Psyche:

115 ›Kommt nun auch mit mir in meine Wohnung, Ihr Lieben! Vergeßt jetzt das vergangene Leid und freuet Euch einmal wieder mit Eurer Psyche!‹

Darauf geht sie mit ihren Schwestern in den PalastMit folgender Stelle bin ich frei verfahren. Sie ist verfälscht. Die Lesarten weichen voneinander ab und tun alle kein Genüge..

Diese wissen nicht, was sie daran am meisten bewundern sollen: Lage, Gebäude oder Reichtum? Sie erstaunen besonders, als sie das Gewimmel der dienstbaren Stimmen um sich her vernehmen.

Nach einem erfrischenden Bade lagern sie sich mit Psychen an eine Tafel, wo nichts zu vermissen war, was nur immer dem Geschmack eines Gottes auf das Angenehmste schmeicheln mag. Da lassen sie sich beisammen wohl sein und sind guter Dinge.

Endlich verliert sich nach und nach der erste Eindruck des Erstaunens über alle die blendende Pracht und alle die himmlische Herrlichkeit bei Psychens Schwestern. Und gleich tritt in ihre Seelen hämischer Neid an dessen Stelle.

Nun fangen sie an, mit der größten Verschlagenheit und Neugierde nach dem Herrn aller dieser Wunder zu fragen: wer und was denn ihr Gemahl sei?

Jedoch, so schlau und verfänglich sie auch immer ihre Fragen anlegen, Psyche bleibt auf alle Weise dem Befehl ihres Gemahls treu. Sie läßt sich das Geheimnis ihres Herzens nicht ablocken, sondern erdichtet aus dem Stegreif:

Ihr Gemahl sei ein wohlgestalteter Jüngling, dessen blühende Wangen nur erst zarter Flaum bekleidete; er sei fast beständig in Wäldern und auf Bergen mit der Jagd beschäftigt.

Doch fürchtet sie selbst, sich etwa in fernerem Gespräche noch zu verraten. Darum beschenkt sie nach dieser Antwort alle beide reichlichst mit Goldgeschmeide und Juwelen, ruft dann den 116 Zephyr und übergibt sie ihm wieder, um sie auf den Fels zurückzutragen.

Dies geschieht allsofort.

Auf der Rückkehr zu ihren Eltern zeigen die sauberen Schwestern in ihren Reden nur zu sehr, wie des Neides schwarzes Gift in ihrem Innern wüte.

›O Glück,‹ ruft die Eine aus, ›wie blind, wie grausam und wie ungerecht bist Du doch! Uns, die von ein und eben demselben Vater und Mutter abstammen, so himmelverschiedene Lose zuzuwerfen, und wir, noch dazu die Ältesten, wir, der Gewalt ausländischer Ehemänner nicht anders als Sklavinnen überliefert, fortgestoßen in die Fremde, fern vom väterlichen Hause, fern vom Orte unserer Geburt und getrennt, abgeschnitten von allen Verwandten, müssen unser Leben wie Verbannte hinkümmern! Und sie, von uns allen die Jüngste, die letzte Frucht einer erschöpften Natur, muß einen Gott zum Manne bekommen, um im unsäglichen Überflusse zu prassen, um sich ganz in Reichtum vergraben zu sehen, den sie doch so wenig zu schätzen als zu nutzen weiß! Denn hast Du wohl gesehen, Schwester, wie in ihrem Hause das köstlichste Geschmeide umherliegt, wie prächtige Kleider sie trägt, wie alles von Edelgesteinen blitzet? wie man das Gold bei ihr allenthalben mit Füßen tritt? Ist vollends ihr Gemahl so schön, wie sie's sagt, wahrlich, so ist sie die glücklichste Frau auf dem Erdboden. Und, wer weiß, macht ihr göttlicher Gemahl (wenn erst Gewohnheit seine Zuneigung zu ihr immer mehr befestigt hat), sie nicht noch gar zur Göttin? Gib acht, das geschieht. Sie führte sich auch schon so auf, betrug sich ganz vollkommen so. Als eine Göttin sieht sie sich schon im Geiste. Wie sollte sie auch noch wissen, daß sie eine Sterbliche ist wie wir, da unsichtbare Zofen sie bedienen und die Winde selbst ihr gehorchen? Dafür muß mir armen Unglückseligen an 117 einem Manne genügen, der Alters wegen weit eher mein Vater sein könnte, kahler ist als meine Hand, ohnmächtiger denn ein Kind und dabei so geizig, daß er das ganze Haus verschlossen und verriegelt hält.‹

›Bin ich besser daran?‹ nimmt die andere das Wort. ›Der Meinige ist gar ein Krüppel, ganz krumm zusammen von der Gicht gezogen und so an allen Gliedern gelähmt, daß mir leider wenig Freude bei ihm zuteil wird. Beständig muß ich seine versteinerten Finger reiben und die ekelhaftesten, scheußlichsten Umschläge machen und meine zarten Hände dabei gänzlich verwahrlosen; statt seiner geliebkosten Frau bin ich seine geplagte Krankenwärterin. Aber Schwester, Du magst nun dies alles so demütig (um Dir's frei herauszusagen, wie ich's eigentlich meine), so sklavisch erdulden, wie es Dir nur immer beliebt! Ich für mein Teil werde das nie. Ich kann gegen diese so schreiende Ungerechtigkeit, so übel angebrachte Gunst des Glückes nicht einen Augenblick gleichgültig bleiben. Erinnerst Du Dich, wie hoffärtig und aufgeblasen sie sich gegen uns betrug? Ihre Prahlerei nahm gar kein Ende, ihr Stolz ward je länger je mehr unausstehlich. Merktest Du, wie sie nur erst nach großem Kampfe uns von ihren grenzenlosen Reichtümern diese Kleinigkeiten hinwarf und gleich auch unserer Gegenwart überdrüssig war und uns von ihren Winden wieder fortbringen ließ? Aber ich will nicht Weib heißen, will jetzt zum letzten Male Odem geschöpft haben oder sie muß mir dafür büßen! Sie muß hinab, muß mir zum Boden hinab von ihrer stolzen Höhe! Ich hoffe doch, wie's wohl billig wäre, daß unsere Schmach Dich eben so rührt als mich. So laß uns denn gemeinschaftlich auf einen kräftigen Anschlag bedacht sein! Laß uns für's erste gleich diese ihre Geschenke weder unseren Eltern noch sonst jemand zeigen. Stellen wir uns lieber, als ob wir gar nichts von 118 ihr gehört hätten! Genug, daß wir selbst mehr erfahren haben, als wir wünschen! Was sollen wir noch hingehen, um ihr Glück bei unseren Eltern und bei allen Völkern auszuposaunen. Nein, ein unbekanntes Glück ist kein Glück. Sie soll es schon inne werden, daß wir nicht ihre Mägde, sondern ihre älteren Schwestern sind. So wollen wir uns denn vor der Hand nur wieder zu unseren Männern, in unsere freilich ärmlichen, doch bescheidenen Wohnungen begeben. Aber da bei Muße, nach den reiflichsten Überlegungen, laß uns die untrüglichsten Maßregeln ergreifen und, damit ausgerüstet, endlich ihren Stolz zu demütigen, wieder hierher kehren.‹

Dieser böse Anschlag findet bei den zwei Elenden mehr Beifall denn irgendein guter, den ihnen die Dankbarkeit hätte eingeben mögen.

Sie verbergen also alle die kostbaren Geschenke, die sie von ihrer Schwester empfangen haben; zerraufen das Haar, zerkratzen sich ihr schändliches Angesicht, und durch ihr neues Gewinsel und Wehklagen reißen sie ihren armen Eltern alle Wunden des Herzens von neuem auf.

Bald, so verlassen sie diese auch wieder und eilen heim, sich ganz wie wahnsinnig in ihrer verstellten Betrübnis gebärdend, und brüten allda ruchlose, ja endlich meuchelmörderische Anschläge gegen ihre arme, unschuldige Schwester.

Mittlerweile warnt der unbekannte Gemahl Psychen in nächtlichen Gesprächen wiederum.

›Das Schicksal,‹ sagt er, ›ist gegen Dich in feindlichem Anzuge, o Psyche! Sieh Dich ja aufs sorgsamste vor; sonst kommt es mit seiner Wut über Dich. Wie tückische Wölfe kommen Deine Schwestern wieder, Dich zu beschleichen. Meine Gestalt auszuspähen, wollen sie Dich bereden. Du weißt aber, was ich gesagt habe: hast Du mich einmal gesehen, so siehst Du mich 119 nimmermehr wieder! Kommt also die verruchte Brut mit ihrem giftigen Anschlage zu Dir (und kommen wird sie gewiß, das weiß ich!), so ist das Beste für Dich, sie gar nicht zu sprechen; aber kannst Du dies aus zu großer Zärtlichkeit nicht über Dich erlangen, so mußt Du, ich bitte Dich, wenigstens nicht das Geringste, was mich betrifft, weder von ihnen anhören noch selber reden. Denn Du wirst mir, o Psyche! ein Kind gebären, das schon unter Deinem Herzen lebt und das, je nachdem Du mein Geheimnis bewahrst oder entweihst, unsterblich oder sterblich sein wird.‹

Bei dieser Nachricht schoß Psychen vor Freuden das Blut ins Angesicht. Das Herz wallte ihr auf. Sie genoß in dem Augenblick all den Trost, all die Wollust, all die Glorie, die nur der Gedanke, Mutter eines Götterkindes zu werden, geben kann.

Von nun an zählt sie ängstlich jeden kommenden Tag, jeden verstrichenen Monat, und, ganz neu in ihrem Zustande, denkt sie mit Bewunderung dem unmerklichen Anwachse, vom Unfühlbaren bis zur drückenden Bürde, nach.

Allein schon hatten ihre Schwestern, diese höllischen, Natterngift atmenden Furien, sich eingeschifft und steuerten in gottloser Eile nach ihr hin.

Jetzt ermahnt, voller banger Besorgnis, Psychens nächtlicher Gemahl sie abermals.

›Der letzte, der entscheidende Tag, Psyche, ist nun da,‹ sagt er. ›Deine abscheulichen Schwestern sind schon angekommen und halten den Dolch gezückt, welcher Dir das Herz durchbohren soll. Ach, welch Unglück drohet uns! Aber erbarme Dich meiner, süße Psyche, erbarme Dich Deiner selbst und rette mich, Dich und dieses unschuldige Kind vom bevorstehenden Verderben! Bewahre mein Geheimnis heilig und unverbrüchlich, und wenn die ruchlosen Weiber (denn sie, die Dir den tödlichen Haß geschworen und alle Bande des Blutes mit Füßen treten, 120 darf ich nicht mehr Deine Schwestern nennen), wenn sie gleich Sirenen sich über den Felsen erheben und mit Unglücksstimmen jeglichen Widerhall wecken, so höre sie nicht, so sieh sie nicht!‹

Ihm antwortet Psyche weinend und schluchzend:

›Du hast, so viel ich weiß, bisher meine Verschwiegenheit immer bewährt gefunden und fürchtest, ich möchte jetzt geschwätzig sein? Setze mehr Vertrauen in mich und befiehl getrost dem Zephyr, daß er mir wieder gehorche. Da mir der Anblick Deiner heiligen Person versagt ist, so laß mich wenigstens meine Schwestern sehen! Laß mich sie sehen, ich bitte Dich bei diesen duftenden, Deinen Nacken umfliegenden Locken, bei Deinen runden, zarten, den meinen so ähnlichen Wangen, bei Deinem von unaussprechlichem Feuer glühenden Herzen. Sie sollen mich nicht verführen. Was sollte ich zu meinem Verderben nach Deinem Anblick streben? Wird doch bald dies Kind mich Dein Angesicht in dem seinigen erblicken lassen. Damit verstatte mir unbesorgt der Schwestern frohe Umarmung und ergötze mit Freuden die Seele Deiner Dir gänzlich geweihten, Dich innigst liebenden Psyche, der in Deinen Armen auch die dickste Finsternis Licht ist.‹

Von diesen Worten, die mit den zärtlichsten Umarmungen begleitet waren, bezaubert, trocknete Psychens Gemahl ihre Tränen mit seinen Locken ab, gab ihrer Bitte nach und schied, noch ehe es tagte, wieder von ihr.

Sobald das verschworene Schwesternpaar gelandet, verläßt es in der größten Geschwindigkeit den Strand, denkt nicht daran, Vater und Mutter zu besuchen, sondern eilt geraden Weges auf den bekannten Felsen hin und stürzt sich mit tollkühner Wut, ohne den Wind zu erwarten, der sie hinabtrüge, sogleich von da in die Tiefe hinunter.

Jedoch Zephyr, des empfangenen Befehls wohl eingedenk, 121 fängt sie, wiewohl höchst ungern, auf und läßt sie in wallenden Lüften auf den Boden hernieder.

Nun beflügeln sie ihre Schritte zum Palaste hinein, umarmen ihre Beute, nennen sie unter tausend gleich falschen Beteuerungen ihre geliebte Schwester und verbergen unter gleißnerischen Worten und Mienen die höllischen Absichten ihres Herzens.

›Ei,‹ sagen sie, ›wie in der Zeit sich unsere kleine Psyche verändert hat! Sieh, will sie nicht gar schon Mutter werden?! Du glaubst nicht, liebe Psyche, welche Freude das für uns ist. Das ist ein Glück für unsere ganze Familie. O, eine Seligkeit muß das sein, so ein Götterkind miterziehen zu helfen, das, wie natürlich, der Schönheit seiner Eltern entsprechen und so ein leibhafter kleiner Liebesgott werden muß!‹

Durch solche Schmeichelei und verstellte Zärtlichkeit stehlen sie Psychen unvermerkt das Herz.

Sie heißt sie gleich von der Reise auf weichen Polstern ausruhen, führt sie ins Bad und bewirtet sie in dem herrlichsten Saale aufs stattlichste an ihrer Göttertafel.

Sie winkt, und die lieblichste Zither läßt sich hören. Sie winkt wieder, da erhebt sich das sanfte Geflüster wechselnder Flöten. Sie winkt noch einmal, und unzählige Stimmen beginnen den volltönigsten Chor.

Die seelenschmelzende Gewalt der süßen Harmonie war um desto zauberischer, unwiderstehlicher, da man niemand sah, der sie hervorbrachte. Doch blieben die beiden Gäste davon gänzlich ungerührt. All die himmlische Musik vermochte ihre Bosheit nicht zu besänftigen. Sie schreiten zur Ausübung ihrer Ränke.

Abgeredetermaßen wenden sie das Gespräch wie von ohngefähr auf Psychens Gemahl, und, als ob sie das erste Mal von ihm sprächen, tun sie mitten in der Vertraulichkeit wiederum die 122 Frage: Wer er denn eigentlich wäre und welches seine Abkunft sei?

Die gute Psyche hatte unglücklicherweise in der Einfalt ihres Herzens das vergessen, was sie das erste Mal geantwortet hatte. Sie nimmt also zu einer neuen Erdichtung ihre Zuflucht.

Ihr Gemahl, sagt sie, sei aus der nächsten Provinz, führet einen großen Handel, sei sehr reich und ein Mann in den besten Jahren, der jedoch schon graues Haar mitunter habe.

Sie bricht darauf sogleich das Gespräch ab; überhäuft die Schwestern wiederum mit den reichsten Geschenken und sendet sie auf ihrem Luftfahrzeug wieder fort.

Indem diese, von Zephyrs stillem Hauche erhoben, nach Hause zurückkehren, sprechen sie also miteinander:

›Was meinst Du, Schwester,‹ sagt die eine, ›zu der albernen Lüge, die uns die Närrin da aufbürden will? Erst war's ein Jüngling, auf dessen blühender Wange sich eben der erste Bart kräuselte, und nun ist's auf einmal ein Mann in den besten Jahren, dessen Haar sich schon versilbert! Wer mag der sein, der in so kurzer Zeit alt und grau werden kann?‹

›Mir, Schwester,‹ antwortet die andere, ›kommt's nicht anders vor, als ob das garstige Weib uns mit ihren Lügen zum Besten haben wolle oder gar selbst nicht wisse, wie ihr Mann aussieht. Sei es von beiden, was es immer wolle, so kann ich sie nicht länger in dem Überflusse wissen. Ich ruhe nicht, sie muß alles verlieren. Sollte sie wirklich nicht wissen, wie ihr Mann aussieht, so ist sie zuverlässig an einen Gott verheiratet und geht Dir auch mit einem Gotte schwanger; aber wird sie (welches ich doch nicht hoffe) wirklich Mutter eines Götterkindes, so erhänge ich mich den Augenblick. Indes laß uns zu unseren Eltern gehen und morgen einmal, dieses Verdachts wegen, bei ihr auf den Strauch schlagen.‹

123 Das wird beliebt.

Scheineshalber werden die Eltern besucht. In brennender Ungeduld wird die Nacht durchwacht. Als der Morgen graut, sind sie schon wieder auf dem Felsen.

Mit Hilfe des Windes steigen sie, wie gewöhnlich, zu Psychen hinunter.

Sie pressen und reiben sich die Augen so viel, bis sie Tränen vergießen müssen. Dann reden sie voller Arglist das arme harmlose Weib mit diesen Worten an:

›Wohl Dir, Psyche, daß Du hier so in seliger Unwissenheit alles Unglücks und in ruhiger Sorglosigkeit wegen jeder Dir drohenden Gefahr dahinlebst, indes wir mit zärtlicher Besorgnis Tag und Nacht für Dein Wohl wachen und genug über Dein unseliges Schicksal jammern; auch dürfen wir's als wahre Mitleidende Dir nicht länger verhehlen. Wir haben für gewiß erfahren: ein großer, ungeheurer Drache, in verschlungenen Ringen einherkriechend, triefend von Blut und tödlichem Gift und gräßlich, mit weitem, aufgerissenem, unergründlichem Rachen, soll heimlich die Nächte bei Dir zubringen. Das hat Dir nun just auch das pythische Orakel prophezeit; denn Du wirst Dich erinnern, daß es lautete: Du solltest einem schrecklichen Ungeheuer vermählt werden. Und Bauern, Jäger und Nachbarn dieser Gegend haben ihn abends vom Fraße zurückkehren und sich hier im nahen Strome baden sehen. Alle sagen, am längsten würde er Dich hier im Wohlleben gemästet haben; sobald nur erst Deine Schwangerschaft völlig zur Reife gediehen, würde er Dich, als einen desto fetteren Bissen, verschlingen. Es steht nunmehr bei Dir, ob Du unserem, Deiner für Dein Leben besorgten Schwestern Rate folgend, dem Tode entfliehen und bei uns fern von aller Gefahr leben oder lieber in den Bauch dieser entsetzlichen Bestie Dich begraben lassen willst? Sollte Dir in dieser 124 Einöde Deine Stimmengesellschaft und die schnöde, heimliche, gefahrvolle Lust in Deines giftigen Drachens Armen vor allem am besten behagen: Wohlan! so haben wir wenigstens als zärtliche Schwestern uns nichts vorzuwerfen, wir haben vollkommen das unsere getan.‹

Diese grausige Rede bemächtigt sich der Einbildungskraft der guten treuherzigen Psyche. Sie verlor plötzlich alle Fassung. Ihres Gemahls Warnung, ihr eigen Versprechen schwanden aus ihrem Gedächtnis. Blind stürzte sie sich in des Elends Abgrund hinein. Am ganzen Leibe zitternd, totenblaß, stammelte sie mit fast ausgehendem Atem diese Antwort heraus:

›O, Ihr gebt mir einen neuen Beweis von Eurer Liebe, Ihr teuren Schwestern! Und ach, die Euch jenes gesagt haben, haben wohl keine Lügen erdichtet. Noch niemals hab' ich meines Mannes Angesicht gesehen. Ich weiß nicht, wer er ist. Nur bei dunkler Nacht hör' ich ihn und unterhalte mich mit ihm. Warum gäbe er sich sonst mir nicht zu erkennen? warum wäre er so lichtscheu, wenn Ihr nicht wahr redetet? Ich stimme Euch bei. Ja, er ist ein Ungeheuer! Seine ewigen Warnungen: ich sollte ja nicht Verlangen tragen, ihn zu sehen, sein ernstes Drohen mit dem äußersten Elend, falls ich meiner Neugierde nachgäbe, bestätigen es nur zu sehr. Wohlan denn, wißt Ihr Mittel, mich der bevorstehenden Gefahr zu entreißen, o, so eröffnet sie, ich bitte, eröffnet sie, ohne Zurückhaltung, Eurer Schwester!‹

So verdarb ein Augenblick Übereilung auf einmal alles, was lange, behutsame Vorsicht gut gemacht hatte.

Die gottlosen Weiber hatten nun gewonnen Spiel. Sie stürmen aus ihrem Hinterhalte hervor, dringen durch die geöffneten Pforten des Herzens ihrer Schwester auf die bestürzten Gedanken der armen Einfalt mit gezückten Dolchen ein und machen sich davon Meisterinnen.

125 ›Wir sind Blutsfreunde,‹ spricht eine, ›Dich zu retten, setzen wir gern jede Gefahr aus den Augen. Nach allem Hin- und Herdenken aber ist das allereinzigste, wozu wir Dir raten können, dieses: Verbirg Dir insgeheim auf der Bettseite, wo Du zu liegen pflegst, ein äußerst scharfes Messer, das auch bei der leisesten Berührung schon einschneidet, und unter irgendeiner Decke halte eine kleine helle Lampe in Bereitschaft. Laß Dir dann nichts merken. Kommt nun der Drache, seiner Gewohnheit nach, in das Schlafgemach hineingekrochen und liegt nun, neben Dir gestreckt, tief im ersten Schlafe vergraben, so stiehl Dich aus dem Bette, und mit schwebendem Gang, auf nackten Zehen, schleiche zu Deiner Lampe, zieh' sie unter ihrer Decke hervor und brauche ihr Licht zu Deiner herrlichen Tat. Dann halte das zweischneidige Eisen in Deiner Rechten hoch, und kühn trenne des schädlichen Ungeheuers Kopf und Nacken durch Einen mächtigen Streich. Auch soll unser Beistand Dir nicht fehlen. Sobald Du durch Deines Mannes Tod Dein Leben gesichert hast, sind wir bei Dir, geschwind wollen wir dann zusammen hier alles ausräumen, und Du wählest Dir nach Gefallen, statt dieses Drachens, einen Gatten, der Mensch ist wie Du.‹

Mit solchen anfeuernden Worten entflammen sie die Seele der unruhigen Schwester und verlassen sie dann unverzüglich. Sie fürchten, bei so großem angerichteten Unglück in der Nähe zu bleiben, damit sie es nicht auch mittreffe. Als sie auf den Flügeln des Windes den Felsen wieder erreicht, begeben sie sich flugs an Bord und segeln davon.

Psyche, sich selbst oder vielmehr allen Furien der Hölle überlassen, schwankt auf einem Meere von Sorgen hin und her.

Alle ihre Entschlossenheit ist dahin, da jetzt der Augenblick zur Ausführung des vorher so festgefaßten Vorsatzes näherkommt.

126 Sie ist ein Raub sich widerstreitender Affekte. Ungeduld und Scheu, Mut und Furcht, Zweifel und Wut wechseln unaufhörlich in ihr ab.

Was sie am meisten ängstigt, ist: ein und derselbe Gegenstand ist ihr als Ungeheuer verhaßt und zu gleicher Zeit unaussprechlich teuer als Gemahl.

Nach langem Kampfe macht sie endlich doch, als der Abend schon die Nacht herbeiführt, noch über Hals und Kopf die Zurüstung zur abscheulichen Tat.

Jetzt war es Nacht.

Der Gemahl kam. Nach den ersten Umarmungen der Liebe sinkt er in tiefen Schlaf.

Nun überwältigt Psychen ihr böses Schicksal. Sie, sonst an Leib und Seele gleich zärtlich, ist jetzt stark genug, kühn genug, Lampe und Messer herbeizuholen. Sie ist kein Mädchen mehr.

Allein, was entdeckt sie, als nun des Lichtes Schimmer das Geheimnis beleuchtet? – Von allen Ungeheuern das holdeste, das liebenswürdigste!

Es ist – Kupido. Der süße Gott der Liebe ist es! Da liegt er in all seiner Schönheit. Auch die Lampe freut sich seines Anschauens und flammt heller auf, und dem Messer tut es weh, daß es so scharf ist.

Psyche stutzt. Es faßt sie Reue und Entsetzen; außer sich, leichenblaß und bebend sinkt sie in die Knie. Verbergen möchte sie das Messer; aber in ihrer Brust. Sie hätte es auch getan, wäre nicht der Stahl aus Scheu vor einem so großen Verbrechen ihrer frevlen Hand entsunken und weit von ihr hinweggeflogen.

Allgemach erholt sie sich wieder von der Schwachheit; denn ihr Auge erquickte sich an der göttlichen Schönheit des Schlummernden, und jeder Blick auf ihn war für sie neues Leben. Auch welch ein Anblick! In der Haare Gold das niedlichste Köpfchen 127 eingehüllt. Ambrosiaduftende Locken in zierlichem Gewirre über Rosenwangen und einen Nacken, weiß wie Milch, hinab auf Brust und Rücken irrend. Umher Glanz verbreitet, daß selbst der Lampe Licht davor erbleichte. Blendendpurpurne Fittiche an den Schultern des kleinen Fliegers, die Schwingen zwar ruhig, aber die zarten Busen der Federn in zitternder Wallung und mutwilliger Unruhe. Überhaupt ein Leib so glatt, so glanzvoll, so ganz schön, so ganz seiner Mutter, der göttlichen Venus würdig!

Am Fuße des Bettes lagen Bogen, Köcher und Pfeile, des mächtigen Gottes seliges Geschoß. Unstillbares Verlangen ergreift jetzt Psychen; neugierig beschaut sie die Waffen ihres Gemahls, befaßt sie, bewundert sie. Sie zieht einen Pfeil aus dem Köcher und versucht mit zartem Finger dessen Spitze. Noch hatte sich das Zittern der Glieder nicht gelegt, stärker als sie will, berührt sie das Eisen und verletzt sich, daß gleich Tröpfchen rosigen Blutes ihre Hand betauen. Von nun an liebt sie Amor. Ihre eigene Schuld, doch ohne ihr Wissen.

Mit jeglichem Augenblicke wird diese Liebe brünstiger; schmachtend hängt sie eine Weile über ihn hin und verliert sich im Genusse des Anschauens. Endlich sinkt sie sanft auf ihn nieder, heftet ihre Lippen an ihn und berauscht sich in Wollust: ›Ach, daß er noch nicht erwache, daß er noch nicht erwache,‹ lallt ihr Herz in unnennbarem Taumel.

Allein indem sie so trunken von Entzücken sich und alles außer ihr vergißt, so weiß ich nicht, war es Meineid oder Mißgunst, was die unglückliche Lampe anwandelte, oder fühlte auch sie sich hingerissen, solch einen Leib zu. berühren und gleichsam zu küssen, genug, sie sprühet einen Tropfen glühenden Öls auf die rechte Schulter des Gottes.

Weh und Fluch Dir, verwegene Lampe! Du erfrechst Dich, 128 selbst den Urheber alles Feuers zu brennen? Ist das der Dank, womit Du der Liebe lohnst? ihr, die Dich schuf, ihren Genuß die Nacht hindurch zu verlängern!

Vor Schmerz springt der Gott aus dem Schlafe auf. Er sieht, wie Psyche schändlich wider ihr Versprechen gehandelt hat, und gleich, ohne ein Wort zu sagen, entflieht er aus ihren Armen. Zwar erhascht ihn das unglückselige Weib noch mit beiden Händen beim Fuß und bestrebt sich, ihn zurückzuhalten. Aber jämmerlich reißt er sie also mit sich empor, bis ihr die Kräfte entgehen und sie dann zur Erde zurückstürzt.

Der Gott liebte sie. So an der Erde, vermochte er nicht, sie zu verlassen.

Er flog auf die nächste Zypresse, und aus dem luftigen Wipfel derselben sprach er in heftiger Bewegung also zu ihr hernieder:

›Sieh, was Du nun angerichtet hast, Du leichtgläubige Psyche! Ich habe den Befehl meiner Mutter hintangesetzt, und statt Dich, nach ihrem Willen, durch Liebe und Ehe dem allernichtswürdigsten der Menschen zu verbinden, bin ich selbst Dein Liebhaber geworden. Ja, ich war noch leichtsinniger, ich herrlicher Bogenschütze, habe mich selbst mit meinen eigenen Pfeilen verwundet und Dich zu meiner Gattin gemacht, und das alles, damit Du mich für ein Ungeheuer hieltest, mit einem Messer mir den Kopf abschnittest, aus dem diese Augen Dich so liebevoll anblickten? Ich hatte Dich deswegen so oft auf Deiner Hut sein geheißen, hatte Dich immer so wohlmeinend gewarnt. Allein Deine trefflichen Ratgeberinnen sollen mir auch auf der Stelle ihren schändlichen Unterricht büßen. Dich aber strafe allein meine Flucht.‹

Mit den letzten Worten erhob er sich auf seinen Fittichen in die Luft.

129 Psyche, am Boden liegend, sah, so weit ihre Augen reichten, unter entsetzlichem Jammer und Händeringen dem Fluge ihres Gemahls nach. Als ihn aber endlich das Ruder der Flügel in unermeßlicher Höhe ihrem Gesichte entführte, riß sie sich auf und stürzte sich in Verzweiflung von dem jähen Ufer in den nahen Fluß.

Es scheute der milde Fluß den Gott, dessen Flamme auch selbst dem Gewässer furchtbar ist, und schonte der Unglücklichen. Sorgfältig trug er sie auf unschädlichen Wellen an das blumenreiche Gestade.

Dort saß eben der Gott Pan. Er hielt seine geliebte Syrinx in dem Rohre umfaßt, worin sie war verwandelt worden, und lehrte sie allerlei liebliche Töne angeben. Seine Ziegen schweiften um ihn her und hüpften und weideten und kletterten am Rande des Ufers.

Der geißfüßige Gott, von Psychens Unfall unterrichtet, ruft mitleidig sie zu sich und spricht ihrem herben Schmerz sanften Trost ein.

›Artiges Kind,‹ redete er sie an, ›ich bin zwar nur ein schlechter Hirt, doch hat mich eine lange Reihe wohltätiger Jahre mit vieler Erfahrung ausgerüstet. Wenn ich denn Deinen ungewissen wankenden Tritt, Dein bleiches Ansehen und Dein tiefes Stöhnen richtig auslege (weissagen heißt bei klugen Leuten nichts mehr), so ist unglückliche Liebe Dein ganzes Leiden. Folge mir also, suche nicht wieder Dein Leben auf irgendeine gewaltsame Art zu enden, sondern gib Dich zufrieden und weine nicht so untröstlich. Richte nur Dein Gebet fleißig an den Kupido, den größten der Götter. Er ist jung, zärtlich, liebreich, er wird sich Deiner gewiß erbarmen.‹

Psyche antwortet dem Hirtengotte nicht, sondern betet stillschweigend diese günstige Gottheit an und geht weiter.

130 Sie hatte sich noch nicht lange in der Irre trauernd herumgeschleppt, als sie auf einem unbekannten, einen Abhang herunterleitenden Fußpfade zu einer Stadt kommt, worin der Gemahl einer ihrer Schwestern seinen königlichen Sitz hatte.

Als Psyche das erfährt, läßt sie sich bei ihrer Schwester melden. Sie wird sogleich angenommen und zu ihr geführt.

Umarmungen von beiden Seiten! dann eilfertig Gefrage der Schwester, welcher glückliche Zufall denn Psychen zu ihr bringe?

›Du weißt wohl,‹ antwortete ihr diese, ›daß Ihr mir rietet, dem Ungeheuer, das unter dem erlogenen Namen meines Gemahls bei mir schlief, die Kehle abzuschneiden, bevor es mich arme Unglückselige verschlänge. Als ich mich nun dazu anschickte und mit der Lampe in der Hand – gleichfalls nach Eurem Rate – dem Bette mich näherte, wurde ich von dem allerunerwartetsten, himmlischsten Anblick überrascht. Lag doch der Sohn der Göttin Venus, Kupido selbst, in sanfter Ruhe eingeschlummert da! Freude und Fülle der Wollust durchströmten mich, als ich ihn erblickte. Nur zu bald aber verwirrten sich meine Sinne über dem staunenden Betrachten seiner göttlichen Schönheit, und lüstern nach mangelndem Genusse, vergaß ich mich. Da mußte, zu meinem Unglück, die verwünschte Lampe von siedendem Öl überwallen und dem Gott die Schulter verletzen. Der Schmerz schreckte ihn den Augenblick aus dem Schlafe auf, und da er mich mit Feuer und Stahl bewaffnet vor sich sah, rief er: Abscheulich! Du? Mich? Auf der Stelle räume das Ehebette. Nun habe ich mit Dir weiter nichts zu schaffen! Nein! Deine Schwester – und hier nannte er Deinen Namen – soll Deine Stelle vertreten, sie nehme ich förmlich zur Gemahlin. Und sogleich ließ er mich vom Zephyr weit aus dem Bezirk seines Palastes wegtragen.‹

Kaum hatte Psyche ihre Erzählung vollendet, als jene schon, 131 von dem Sporn wütender Begierden und boshaften Neides getrieben, mit einer schnellgeschmiedeten Lüge vom Tode ihrer Eltern, ihren Gemahl hintergeht, sich zu Schiffe begibt und in aller Eile nach dem Felsen hinsegelt.

Oben sein, ausrufen: ›Empfange, Kupido, Deine würdige Gattin, und Du, Zephyr, nimm Deine Gebieterin auf!‹ und, ganz blind vor ungeduldiger Hoffnung, hinabspringen, obgleich ein ganz anderer Wind bläst, ist eins.

Allein auch nicht einmal tot gelangt sie an den erwünschten Ort.

An den hervorragenden Klippen zerschmetterte und zerstückte sich im Fallen ihr Leib, und, nach Verdienst, werden ihre umher zerstreuten Glieder ein Raub der Vögel und der wilden Tiere.

Die Strafe der anderen Schwester nahm auch keinen längern Anstand. Denn, indem Psyche wiederum irrend umherschweifte, gelangte sie bald ebenfalls zu der Stadt, worin sich diese aufhielt.

Gleiche List, gleiche Wirkung. Mit eben derselben lasterhaften Begierde als die erste eilte auch diese nach dem Felsen hin und fand auch da den nämlichen Tod.

Mittlerweile Psyche Kupido bei allen Völkern aufsuchte, lag er in dem Zimmer seiner Mutter und seufzte und litt an der verletzten Schulter große Schmerzen.

Eine Seemöve bekommt das zu wissen. Geschwind taucht sie sich in den Ozean und fährt bis in die unterste Tiefe hinab, wo Venus sich eben mit Baden und Schwimmen belustigte.

Da erzählt sie ihr, ihr Sohn habe sich verbrannt, er liege am Wundfieber sehr krank, und es sähe mißlich um seine Wiederherstellung aus. Überhaupt, setzt sie hinzu, stände ihr Sohn sowohl als auch sie selbst auf der ganzen Welt eben nicht im besten Rufe. Von ihm sage man, er verbuhle seine Zeit im Gebirge bei einer Beischläferin, und sie lebe in Herrlichkeit und 132 in Freuden beim Ozean im Bade. Unterdessen gehe es auf Erden bunt über. Lust, Witz und Grazie seien davon entflohen. Alles sei wild, rauh, ungesittet. Man kenne gar Ehe, Freundschaft und kindliche Liebe nicht mehr. Die abscheulichsten Ausschweifungen und die gräßlichsten Laster herrschen überall.

Also schwatzt der schmähsüchtige Vogel und verleumdet Amor bei seiner Mutter.

›Wie?‹ ruft Venus voll jähen Zornes, mit lauter Stimme aus, ›also hätte mein allerliebstes Söhnchen sich schon ein Mädchen zugelegt! Geschwind sage mir ihren Namen, o Du, die Du mir allein noch mit Liebe zugetan bist! Nenne mir die, welche den unschuldigen Knaben verführt hat! Ist's eine Nymphe, Hore oder Muse, oder eine von meinen Grazien?«

›Das weiß ich nicht,‹ erwidert die plauderhafte Möve. ›Ich glaube aber, es ist nur eine Sterbliche, in die er verliebt ist; wenn ich mich recht auf ihren Namen besinne, so heißt sie Psyche.‹

›Psyche?‹ versetzt Venus mit zunehmendem Grimme. ›Entsetzlich! In Psyche hätt' er sich verliebt, in Psyche, meine Nebenbuhlerin in der Schönheit, die sich meinen Namen angemaßt hat, die ich selbst, sie zu strafen, ihm gewiesen habe! Und verliebt hat er sich in die? So hält er mich wohl gar für seine Kupplerin? Empfindlicher konnte er mich nicht kränken!‹

Und hiermit erhebt sie sich aus dem Meere und begibt sich sogleich nach ihrer goldenen Wohnung, wo sie ihren Sohn in dem ihr beschriebenen Zustande antrifft.

Sie rief ihm gleich aus der Türe im bittersten Grimme ihres Herzens mit dem größten Ungestüme zu:

›O, brav, herrlich, ganz wieder Deiner würdig! Recht so, unter die Füße mit den Befehlen der Mutter, der Gebieterin! Was da lange ihre Nebenbuhlerin mit schmählicher Liebe quälen! Lieber 133 aus ihr einen Zeitvertreib gemacht, die Mutter muß es sich wohl gefallen lassen! Aber warte, Du mutwilliger Bube, es soll Dir übel bekommen! Trotze nur darauf, daß Du der einzige Sohn bist, Dein Dünkel soll Dir bald benommen werden, ich bin noch gar nicht zu alt, noch einen weit besseren Sohn zu haben als Du sauberes Früchtchen bist! Allein Dich desto empfindlicher zu beschimpfen, will ich lieber einen von meinen Leibeigenen an Kindesstatt annehmen. Er soll diese Flügel, die Fackel, den Bogen und die Pfeile, die ganze Rüstung haben. Sie kommt von mir her, und zu solchem Gebrauche war sie Dir nicht verliehen. Du Bösewicht hast schon von Klein auf nichts getaugt, hast Dich beständig an allen vergriffen, denen Du Ehrerbietung schuldig bist! Wie hast Du nicht Deiner Mutter selbst stets frevelhaft mitgespielt, wie oft mich nicht bis ans Leben verwundet, welche Schmach tust Du mir nicht noch täglich an. Verächtlicher kann wohl niemand einer armen hilflosen Witwe begegnen! Und vor Deinem Stiefvater, dem großen Kriegsgott, hast Du wohl [keine] Furcht und Achtung mehr? Deine kindliche Pflicht müßte denn darin bestehen, daß Du ihm immer Mädchen zuführst – o und Du weißt, in welche Verzweiflung ich dadurch gesetzt werde. Aber ich will Dir das Spiel nun für immer legen und lange, lange sollst Du an diese Deine feine Buhlschaft denken!‹

›Aber wie räche ich nun meine Schmach?‹ fährt sie darauf bei sich selbst fort. ›An wen wende ich mich? Wie züchtige ich den Taugenichts nach Verdiensten? Ob ich mir von meiner Feindin Mäßigkeit Hilfe ausbitte? Von ihr, die ich eben dieses übermütigen Knaben wegen so vielfach beleidigt habe, und nun sollte ich mich dieses garstigen groben Weibes Spott aussetzen und mich vor ihr erniedrigen? Hart, hart! – Doch, süße Rache, Dich erkauft man nicht zu teuer; ja, ich will zur Mäßigkeit gehen! Ihr will ich den Buben zur Züchtigung überliefern. Sie 134 soll ihm den Köcher leeren, die Pfeile stumpfen, die Bogensehne zerschneiden und ihn ohne Barmherzigkeit kasteien! Eher, eher will ich mich nicht befriedigen, als bis ich seine Haare, die ich so oft mit eigenen Händen mit Gold durchflochten habe, kahl abgeschoren, bis ich seine Flügel, die ich so manchmal, wenn er auf meinem Schoße saß, in Nektar gebadet, kurz abgestutzt sehe.‹

Also eifert sie und verläßt, das Herz voll bitterer Galle, ihren Palast.

Doch bald begegnen ihr Ceres und Juno. Sie lesen ihr den Zorn gleich in den Augen und fragen, warum sie so finster aussehe, warum sie die Holdseligkeit ihrer Blicke in Unmut einhülle?

›Wie gelegen,‹ antwortet sie ihnen, ›kommt Ihr für mein brennendes Herz. Helft mir Gewalt und Rache ausüben, helft mir, ich bitte Euch, die landstreicherische, flüchtige Psyche aufsuchen. Denn gewiß wißt Ihr schon meines unwürdigen Sohnes schändliche Aufführung, das Gerücht davon ist zu kundbar!‹

Die Göttinnen wußten in der Tat schon um alles. Nun suchen sie durch Zureden der Venus überwallenden Zorn in etwas zu besänftigen.

›Was, o Göttin,‹ sagen sie ihr, ›was hat denn Dein Sohn so Großes verbrochen, um sein Vergnügen so gewalttätig zu stören, um die, die er liebt, so mit Haß zu verfolgen? Rechnest Du ihm für Sünde, daß er einem hübschen Mädchen gut ist? Er ist ja einmal von männlichem Geschlechte und endlich schon Jüngling! Oder vergißt Du, wie alt er ist, und denkst, weil er noch immer so jung und zart aussieht, er sei auch immer noch ein Kind? Du bist Mutter, bist eine kluge Frau und willst Deines Sohnes kleinen Ausschweifungen immer so neugierig nachspähen, seine Galanterien tadeln, seine Liebeshändel stören; 135 kurz, was Deine eigene Kunst, Deine einzige Glückseligkeit ist, bei dem schönen Sohne ahnden? Welcher Gott, welcher Mensch wird es hinfort ertragen können, daß Du überall Liebe verbreitest, wenn Du dieselbe Liebe an Deinem Sohne so bitter bestrafst, wenn Du ihm den Umgang mit gefälligen Schönen verwehrst, wenn Du Deinen Zorn gegen ein Mädchen ausläßt, das sich der ihr verliehenen Gabe, zu gefallen, glücklich bedient hat?‹

Also sprachen Ceres und Juno zum Vorteil Kupidos, selbst in seiner Abwesenheit; denn sie fürchteten sich vor seinen Pfeilen.

Venus aber nimmt ihre Rede als Verspottung ihrer Schmach auf, verläßt die Göttinnen desto unwilliger und wendet sich mit beschleunigten Schritten nach dem Meere hin. 136

 

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