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Es war noch kein Jahr vergangen, da kam eines Tages die Sonne herauf und wie sie sich in den Fenstern des Grasbodenhofes spiegelte, da gaben die Scheiben der Bäu'rinstube ihr Bild in scharfen Umrissen wieder, denn sie waren dicht verhangen.
Im ganzen Gehöft ist alles still und ruhig, nur die beiden Pferde vor dem Wägelchen, auf dessen Kutschbocke Heiner sitzt, schnauben und prusten, stampfen und scharren laut; der Knecht verweist ihnen ihr ungeduldig Wesen durch mahnende Zurufe, neigt aber selbst unbillig oft den Kopf, um zwischen Stämmen und Geäst der Bäume hindurch nach dem Hause zu lugen. Im Flur läuft das Gesinde ab und zu, wie Ameisen in dem Schlupfloche ihres Baues, oft löst sich eines von der Gruppe los und strebt eilig durch den Garten und über den Hof, dann kommt vom Ende der Wirtschaftsgebäude ein zweites herzugeschossen, beide treffen sich inmitten der Strecke und stehen einen Augenblick stille, danach nimmt jedes seinen Weg wieder auf und hastet entweder zurück, oder an dem anderen vorüber; so oft so eins nah' dem Wagen zögert, sichtlich mit einer Ansprach' auf der Zunge, wendet sich Heiner ab, wie jemand, der weder Lust hat zu hören, noch Red' zu stehen.
Manch Scherzwort wird den Mägden von den Knechten zugeflüstert, manch Lächeln zwischen zwei Dirnen gewechselt, aber bald ziehen alle wieder ein ernsthaft Gesicht, wie sich's geziemt und schicklich ist, denn die Bäuerin hat ihre schwere Stund'.
Jetzt machte der Heiner einen langen Hals, denn er sah den Bauer durch den Garten herzurennen.
»Heiner, fahr zu!« schrie der. »Grüß 'n weiten Haldhofbauer und sag ihm, 's wär' alles glücklich verlaufen und ein' Bub'n hätten wir! Ein' Kerl wie ein Bär, sag' ich dir, grad kriegt er sein erstes Bad und plärrt dabei, was er aus dem Hals bringt.« Er klatschte einem der Pferde auf den Rücken. »Hott mein Schimmel! Hott mein Braun!«
Es war das der Eingang eines Liedes, unter dem man Kinder auf den Knieen reiten läßt.
Die Zügel schlaff in Händen, saß der Heiner, als hätte der Bauer in einer fremden Sprache zu ihm geredet, denn eben lief eine Dirne durch den Garten, die des Nachsehens wohl wert war, das schwarze, gekrauste Haar fiel ihr in natürlichen Locken bis zum Nacken, die Wangen des zarten, weißen Gesichtchens waren blühend gerötet und die runden Arme und kleinen Füße bewegten sich so zierlich als behend'; im Vorübereilen warf sie einen freundlichen Blick nach Heiner, wandte sich aber sofort in neckisch hochmütiger Weise ab, als wär' er ihr fremd und sollte ihr's bleiben. Es war Burgerl, nahezu einen Kopf größer und bildsauber geworden.
Der Bauer hatte begreiflicherweise seine Gedanken anderswo und keinen Merk dafür, wohin sich etwa die eines anderen verloren. Mit einem Griff packte er den vor ihm Sitzenden an dem Schenkel.
Heiner schrie lachend auf.
»Was wart'st denn? Fahr zu!« sagte der Bauer.
Der Wagen rollte fort.
Durch das Dorf jagte Heiner die Pferde, auf dem stillen Waldwege ließ er sie im Schritt gehen.
Ei, wie schön war die Burgerl geworden! Als Kind hat sie etwas auf ihn gehalten, weil er sein' Sach' versteht und sonst nicht unbelehrt ist, aber jetzt? Unfreundlich tät' sie just nit sein. Nun wär' der kleine Bauer da, der kriegt einmal den Hof und sie ist nimmer 's überreichen Bauers einzig' Kind und Erbin und er auch nit von schlechten Eltern, der zweite Sohn, und ein Bauerngütel ließ sich immer noch beschaffen, wo man darauf leben könnt' wie die zwei Schwiegerleut', das sind doch die rarsten! Und warten, das will er, er ist ja noch jung, soll's sieben Jahr' sein, wie im Alten Testament so ein Warten beschrieben ist, pah, auf die siebenmal sieben Jahr – –
Er begann zu rechnen, aber das Resultat machte ihn etwas stutzig, denn auf die Lebensdauer und patriarchalische Manneskraft, wovon allerdings auch im Alten Testamente geschrieben stand, wagte er doch nicht zu hoffen.
Burgerl war nach dem Friedhofe gelaufen, sie stieß das Gittertor auf und eilte über den Kies einem Grabe zu, auf dessen eisernem Kreuze der Name »Joseph Reindorfer« stand; auf dem Hügel darunter wuchsen Blumen, so dicht, daß sie sich kaum im Winde schüttelten.
Sie kniete nieder. »Schau, da wuchert doch Unkraut.« Während sie dieses ausraufte und von den Blumenstengeln welke Blätter entfernte, plauderte sie:
»Ich komm' nur, sagen, daß wir einen kleinen Bauer auf'n Hof 'kriegt haben! Ein schön's Büberl, sagen die Leut', ich versteh' mich nit so drauf, da muß er vorerst größer werden, bis er mir gefallen kann, aber lieb hab' ich ihn schon, weil er so sinnlich schaut, als möcht' er sich einem anbetteln, da er sich selber doch auch gar nit zu helfen weiß. Und Joseph wird er heißen wie du und brav soll er werd'n. Die Leni-Mutter ist wohl ein bissel schwach, aber brauchst nit zu sorgen, es geht ihr gut; das mußt' ich dir sagen kommen, hab' ich mir gedacht, sonst wüßt' ich nix Neues.« Sie drückte beide Hände mit ausgespreiteten Fingern gegen die Erde. »Daß ich gesund bin, das weißt du ja? So b'hüt dich Gott, Ehnl.«
Sie erhob sich. An einem Grabe, nahe der Kirchhofpforte, blieb sie stehen und murmelte ein Vaterunser, dann eilte sie heim.
Als sie wieder in die Wochenstube trat, sagte Kaspar: »Wo warst denn? Heut mußt nit h'rumlaufen, mußt zur Hand bleiben.«
»Ich bin nur schnell nach'm Friedhof,« sagte sie, »'m Ehnl es berichten.«
Die Bäuerin lächelte wehmütig.
»Ja so.« Der Bauer nickte einverständlich, dann aber wiegte er nachdenklich den Kopf: Sonderbar, es widersinnt mir nit, daß mer ihm Posten zutragt, und er liegt dort drüben, wie aus der Welt, gleich, er dürft' weder gelebt haben, noch gestorben sein.
Unklar, aber desto mächtiger – wie alles, was nicht in Worten auszusagen ist, den Mann aus dem Volke erfaßt, – durchschauerte ihn der Gedanke an einen Zusammenhang alles Lebendigen und Toten.
Er stand hochaufgerichtet, so daß das gar kleine Weiblein, das das Kind mittlerweile »gewickelt« hatte, ihm dasselbe ordentlich hinaufreichen mußte.
Er trug es ans Bett.
»Da is er, da hab'n wir'n. Nun zählt einer mehr auf der Welt.«
»Und g'weisten Weg's is er auf dieselbe gekommen,« lächelte Leni. »Kein'm z' Leid, all'n z' Freud'.«
Daß er auch so sein Leben führen möchte, das wünschte die junge Mutter, doch dazu müßte einer schier ein Heiliger werden und einen solchen getraute sie sich wohl nicht zu ziehen, aber wenn sie einen guten Menschen aus ihm macht, aus dem kleinen Joseph, den sie da zum ersten in ihren Armen hält, einen so guten etwa, wie der Joseph war, den sie zum letzten in ihren Armen gehalten, dann wird sie doch mit der Welt auf gleich gekommen sein, als Mutter das Unrecht ihrer eigenen gesühnt haben und – gelt 's ja – dann hat er sich wohl selber ausgetilgt, der Schandfleck?!
Auf Kriegspapier gedruckt.