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Der Schwiegersohn.

Drechslermeister Schlönert hatte Vor dreißig Jahren von seiner Schwiegermutter ein großes Gartengrundstück geerbt, das in einem Nachbardorfe der preußischen Hauptstadt belegen war. Durch das rasche Aufblühen Berlins war auch dies Dorf plötzlich in den Kreis der gewagtesten Bauspekulation hineingezogen worden und man zahlte dort für Ländereien die übertriebensten Preise. Dem Drechslermeister wurde ebenfalls für sein Grundstück eine bedeutende Summe gezahlt, und Schlönert, der bisher in ziemlich bescheidenen Verhältnissen gelebt hatte, sah sich mit einem Schlage in einen reichen Mann verwandelt. Dennoch schien es, als ob Meister Schlönert über seinen unerwarteten Glückswechsel wenig Freude habe; er ging seitdem stiller, düsterer als je seines Weges und zeigte auch nicht die mindeste Neigung, den Zuschnitt seines Lebens seinen jetzigen, so überaus günstigen Verhältnissen anzupassen. Er hielt noch eifriger als je jeden Pfennig fest, und den Seinigen war es völlig unmöglich, ihn zur Herausgabe irgend einer Summe zu veranlassen.

– Ich weiß ja nicht, was ich noch selbst brauche, war seine beständige Antwort, wenn seine Kinder mit irgend welchen Wünschen an ihn heran traten, die sie verwirklicht sehen wollten, und der alte Schlönert schlug jede Bitte um Geld hartnäckig ab.

Der älteste Sohn fand sich ohne Murren in den wunderlichen Geiz seines Vaters. Fritz Schlönert hatte sich schon vor mehreren Jahren als Tischlermeister selbständig gemacht, und wenn er auch nicht in glänzenden Verhältnissen lebte, fühlte sich sein bescheidener Sinn dennoch ganz zufrieden. Wohl hatte seine Frau ihn jetzt zuweilen gedrängt, er möge doch den Vater um Hergabe einer hübschen Summe bitten, um das Geschäft vergrößern zu können, aber als der Alte davon nichts wissen mochte, wagte der gutmüthige Sohn nicht, den alten Mann weiter zu belästigen, und er trieb lieber sein Handwerk in den alten bescheidenen Grenzen, als daß er den Vater noch ferner mit Bitten behelligt hätte.

Anders verhielten sich der jüngste Sohn und der Schwiegersohn des alten Schlönert. Der Erstere hatte zwar das Drechslergewerbe seines Vaters gelernt und vor einem Jahre das Geschäft übernommen, aber seitdem er wußte, daß seinem Vater plötzlich ein so bedeutendes Vermögen zugefallen war, zeigte er nicht mehr Lust, sein ehrliches Gewerbe fortzusetzen, vielmehr hegte er den Wunsch, jetzt das Leben eines Mannes zu führen, der zu arbeiten und zu sparen nicht mehr nöthig hat. Leider theilte der alte Schlönert durchaus nicht die Ansichten seines jüngsten Sohnes. Karl mochte immerhin den Alten um Geld bestürmen, der hartköpfige Mann verrieth nicht die mindeste Neigung, sich von seinem Gelde zu trennen, und selbst die beweglichsten Bitten des Sohnes fanden bei dem Vater taube Ohren. Karl Schlönert war ein heiterer, lebenslustiger Gesell; er hatte sehr jung geheirathet, und wenn seine kleine hübsche Frau es nicht verstanden hätte, ihn ein wenig zu zügeln, wäre es mit dem etwas leichtsinnigen jungen Mann schon rascher bergab gegangen. Sie hielt durch ihre große Sparsamkeit, durch ihren bescheidenen, wirthschaftlichen Sinn Alles zusammen, und sie fand sich auch jetzt ebenso leicht in ihr Schicksal wie ihr gutmüthiger Schwager, trotzdem ihre Verhältnisse ziemlich drückend waren.

Noch schlimmer stand es mit dem Schwiegersohn des Drechslermeisters. Gustav Wißler hatte die einzige Tochter des alten Schlönert geheirathet und bis vor einem Jahre eine kleine Schankwirthschaft betrieben, die ihn jedoch auf keinen grünen Zweig gebracht, weil er stets sein bester eigener Kunde gewesen. Zu seinem Unglück war ihm die Frau plötzlich gestorben und hatte ihm drei kleine Kinder hinterlassen. Mit dem Verlust der treuen Lebensgefährtin war vollends das Geschäft noch mehr zurückgegangen, hatte sich Wißler noch mehr seiner Leidenschaft dem Trunke überlassen, und von Gläubigern gedrängt, mußte er endlich seine Wirtschaft gänzlich aufgeben. Er sah sich schon am Rande des Abgrundes; da trat bei seinem Schwiegervater jener unerwartete Glückswechsel ein, und er glaubte sich gerettet. Zu seiner grenzenlosen Enttäuschung wollte aber der alte Schlönert auch ihm gegenüber seine Grundsätze nicht aufgeben und wenigstens einen Theil seines Schatzes dem Schwiegersohn opfern. Zwischen den beiden Männern kam es darüber zu den heftigsten Scenen, denn Gustav Wißler war eine leidenschaftliche, rohe Natur, die keine Schranken kannte. Wie oft mußte die Schwiegertochter dazwischen springen, um den alten Mann vor Tätlichkeiten zu schützen, wenn Wißler immer wüthender sein Erbtheil forderte, und der kleinen muthigen Frau gelang es dann wirklich, den zornbebenden Schankwirth vor dem Aeußersten zurückzuhalten.

Während Karl Schlönert das Erdgeschoß des ziemlich kleinen Häuschens inne hatte, bewohnte der Vater jetzt ganz allein den ersten Stock, und wenn Wißler bei dem Schwiegervater zum Besuch erschien, rief das heftige Klopfen des Letztern stets die Schwiegertochter zur Hilfe herbei. Merkwürdig genug, die kleine Frau wußte dem sonst brutalen Menschen so zu imponiren, daß er sich grollend zurückzog. Er eilte dann gewöhnlich in heftiger Erregung hinunter und klagte dem Schwager sein Leid, der weit mehr mit ihm übereinstimmte und sich ebenfalls in Klagen über den unerhörten Geiz des Alten ergoß.

Eines Tages erschien Gustav wieder zornglühend in dem Zimmer des Schwagers, aber dies Mal war er nicht erst oben gewesen, um bei dem Schwiegervater einen erneuerten Sturm zu versuchen. Er begann schon auf der Schwelle:

– Na, Schwägerin, jetzt wirst Du dem Alten wohl auch nicht länger helfen! Das ist ja ein ganz nichtswürdiger Hallunke!

– Ach, schrei' doch nicht so ... die Fenster stehen ja offen, und wie leicht kann er's hören! entgegnete die kleine Frau, die sogleich wußte, wem diese Zornesworte eigentlich galten.

– Ich werde ihm noch ganz andere Dinge ins Gesicht sagen, rief Wißler, denn einen solch' niederträchtigen Schurken giebt's nicht mehr auf der Welt, und das ist die Wahrheit!

Er schlug dabei sehr heftig auf den Tisch, der in seiner Nähe stand, daß alles darauf befindliche Geschirr klirrte und hinunterzufallen drohte.

– Du bist ja heute auf den Vater zu grimmig, bemerkte Karl leichthin, der müßig auf dem Sopha lag und den Rauch einer Cigarre vor sich hinblies.

– Hab' auch alle Ursache dazu, und Ihr werdet's auch sein, wenn ihr die Geschichte erfahrt! S' ist zum toll werden!

Er wollte von Neuem auf den Tisch schlagen, aber die kleine Frau fiel ihm lachend in den Arm:

– Du kannst schon erzählen, ohne daß alle meine hübschen Sachen in die Brüche gehen!

Wißler sah seine Schwägerin nur grimmig an.

– Laß' nur die Späße ... mir ist nicht zum Lachen! Ich möchte bersten vor Wuth! Es ist zu schändlich!

Er ließ sich auf den nächsten Stuhl nieder, als ob ihm vor Zorn der Athem verginge.

– Ja, was ist Dir denn eigentlich heute? Hast Du zu schwer geladen? fragte Karl, ohne seine Stellung zu verändern oder seine Cigarre aus dem Munde zu nehmen.

– Ach, Unsinn! grollte der Schankwirth. Ich bin heute so nüchtern wie eine Wasserpumpe ... aber ich sage, der Alte ist ein ...

Ehe Wißler noch aussprechen konnte, eilte die kleine Frau ans Fenster, um es rasch zu schließen, und in ihrer freundlichen, heitern Weise rief sie scherzend:

– Nun kannst Du weiter schimpfen, wenn es Dir ein solches Vergnügen macht.

– Na, Du wirst schon auch Deinen Humor verlieren, wenn ich Dir sag', wie grundgemein der Alte gegen uns handelt. Für seine Kinder hat er kein Geld, aber fremden Leuten steckt er's haufenweise in die Taschen.

Jetzt gab auch Karl Schlönert seine bequeme Stellung auf, er nahm die Cigarre aus dem Munde, und dem Schwager voll das Gesicht zuwendend, fragte er lebhaft:

– Mein Vater sollte das thun? Das glaube wer will, ich nicht!

Und er stieß ein übermüthiges Lachen aus.

– Ich will mich hängen lassen, wenn's nicht wahr ist! antwortete der Schankwirth und schlug mit der Faust auf seine breite Brust. Der schiele Wörnemann hat mir's ja selbst gesagt, daß er von unserem Alten schon viele tausend Thaler herausgequetscht hat, und warum sollte er lügen?

– Um Dich zu ärgern, bemerkte der Schwager.

– Unsinn! Er hat mir vor einer Stunde die Goldfüchse gezeigt, die er sich gestern von unserm Alten geholt. Man möchte platzen vor Wuth, wenn man daran denkt, daß er für uns nicht einen Pfennig herausrückt, und dem versoffenen Kerl wirft er die Tausende in den Hals ... aus reiner Freundschaft, wie mir der schieläugige Tagedieb selbst höhnisch sagte.

– Das glaub' wer will! Ich nicht! murmelte Karl, aber seine Frau war plötzlich nachdenklich geworden, und sie bemerkte jetzt ungewöhnlich ernst:

– Wörnemann schleicht sehr oft zum Vater und bleibt sehr lange, und wenn der alte Nichtsnutz dann wieder herunterkommt, klimpert er übermüthig mit Geld. Das ist mir schon aufgefallen.

– Da habt Ihr den Beweis! rief Wißler triumphierend. Es ist wie ich sage! Der Alte läßt uns umkommen, aber für seinen ehemaligen Kumpan, da hat er Geld in Ueberfluß. Na, schon gut! Ich will ihm jetzt den Standpunkt klar machen!

Der Schankwirth wollte rasch das Zimmer verlassen, doch seine Schwägerin hielt ihn zurück:

– Warte nur noch, bis wir uns völlig überzeugt haben.

– Was ist da noch zu überzeugen? murrte Wißler. Es ist so, wie ich sage!

– Nein, Du darfst nicht gleich Lärm schlagen, lieber Schwager, entgegnete die kleine Frau. Ich kann ja Jeden beobachten, der hinausgeht, und wenn Wörnemann wieder zum Vater kommt, dann schleiche ich ihm nach und überrasche die Beiden, wenn sie ihr Geschäft mit einander abmachen.

Obwohl der Schankwirth anfangs von dieser Zögerung nichts wissen mochte, sagte er endlich doch nach einigem Nachdenken:

– Ich weiß schon, Wörnemann hat mich nicht belogen und ich habe recht, aber Ihr sollt Euch auch überzeugen, und dann werdet Ihr so wüthend sein wie ich.

Frau Schlönert sollte nicht lange zu warten haben. Schon nach wenigen Tagen bemerkte sie den schieläugigen Wörnemann, wie er die Treppe zu ihrem Schwiegervater langsam hinaufstieg. Nach einiger Zeit folgte sie ihm ganz leise und blieb an der Thür stehen, um erst ein wenig zu horchen. Sie vernahm deutlich die laute polternde Stimme Wörnemanns:

– Mach' nur nicht erst Umstände! Rücke mit dem Gelde heraus, es nutzt Dir doch nichts!

Was ihr Schwiegervater entgegnete, konnte sie nicht verstehen, und sie hörte nur als Antwort ein höhnisches Lachen Wörnemanns. Dann wurde es plötzlich still, und zuletzt war es ihr als ob sie das Klingen von Geld vernehme. Rasch eilte sie wieder hinunter, um ihren Mann herbeizurufen, und als jetzt Beide ohne Weiteres das Zimmer des Vaters betraten, sahen sie noch, wie Wörnemann eben eine Geldsumme grinsend einstrich! Nun überwältigte auch den sonst so sorglosen jungen Schlönert ein heftiger Zorn, er trat in höchster Erregung auf seinen Vater zu, stemmte die Arme unter und rief zornig:

– So?! Für Deine Kinder hast Du keinen Pfennig, und diesem lüderlichen Hallunken wirfst Du das Geld in Haufen hin!

Der alte Mann konnte in der ersten Bestürzung kein Wort hervorbringen, aber Wörnemann entgegnete sogleich keck und beinahe drohend:

– Na, na, den Hallunken verbitt' ich mir! Und geht es Sie was an, was Ihr Vater mit seinem Gelde macht? ... Lieber Gottfried, sag' doch dem grünen Jungen, daß Du mit Deinem Geld thun und lassen kannst was Du willst und daß sich Niemand darum zu kümmern hat, wenn Du einmal einem alten Freund aus der Noth hilfst.

– Ich bin auch in Noth, rief Karl, und mein Schwager noch mehr, und er hilft uns doch nicht, aber dafür stopft er es einem nichtswürdigen Trunkenbold heimlich in die Tasche! Ist eine solche Niederträchtigkeit je gehört worden? Hat es schon einen solchen Vater gegeben, der ganz fremde Leute seinem eigenen Fleisch und Blut vorzieht? Nun, was sagst Du dazu, Louise? wandte er sich zu seiner Ehehälfte.

Die kleine Frau war sonst immer bestrebt gewesen, mit ihrem Schwiegervater ein gutes Verhältnis anzubahnen, jetzt aber ging ihr doch die Sache über den Strich und sie entgegnete grollend:

– Ja, hübsch finde ich das auch nicht.

Durch die Zustimmung seiner Gattin wurde Karl noch mehr gereizt, und er wollte in den lebhaftesten Ausdrücken seinem Herzen weiter Luft machen, doch Wörnemann kam ihm zuvor:

– Das geht Euch gar nichts an, was mein alter Freund mit seinem Geld macht. Er steht glücklicherweise noch nicht unter Eurer Vormundschaft, und wenn er mir alles schenkt, so müßt Ihr still sein. Nicht wahr, lieber Gottfried, Du giebst mir wieder einen Nothpfennig, wenn das alle ist?

Er schlug auf seine Tasche, in der bereits das Geld verschwunden war, und schielte dabei mit seinen Katzenaugen höhnisch auf den alten Schlönert, der noch immer kein Wort der Entgegnung fand und finster und verlegen vor sich hinstarrte.

– Na, das wird ja immer schöner! Da werde ich kurzen Prozeß machen! brauste Karl heftig auf. Wenn Du Dich noch einmal bei meinem Vater sehen läßt, schlage ich Dir alle Knochen im Leibe entzwei! Nun weißt Du meine Meinung.

Wörnemann stieß ein spöttisches Lachen aus.

– Dich fürchte ich noch lange nicht, sagte er ruhig und stellte sich mit seinen breiten Schultern dem lang aufgeschossenen jungen Mann gleichmüthig gegenüber. Mit meiner solchen Hopfenstange nehme ich's schon auf.

Wirklich war der vierschrötige Wörnemann trotz seines Alters kein zu verachtender Gegner.

– Geh' mir aus dem Wege, Du Blasrohr!

Er schob den zornglühenden Drechslermeister unsanft bei Seite. An der Thür drehte er sich noch einmal um.

– Leb' wohl, Gottfried! sagte er. Und wenn ich das nächste Mal komm', mußt Du schon etwas mehr herausrücken.

Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er hohnlachend das Zimmer.

Nach der Entfernung Wörnemanns überhäufte Karl seinen Vater mit noch heftigeren Vorwürfen, da der Alte anfangs trotzig entgegnete: »Meine Kinder haben mir gar nichts zu befehlen, ich kann noch immer machen, was ich will.« Erst die Thränen und Anklagen der jungen Frau schienen eine andere Stimmung in dem alten Mann zu erzeugen. Als sie ihm sein Unrecht vorhielt, daß er sein gutes Geld an diesen Strolch wegwerfe, während er die Seinigen in Sorge und Noth lasse, stieß der Schwiegervater einen tiefen Seufzer aus und sagte kleinlaut:

– Ja, ich muß dem Nichtswürdigen zu willen sein, denn sonst ...

Er brach plötzlich ab, und alle eindringlichen Bitten des Sohnes wie der Schwiegertochter, ihnen doch zu sagen, warum er Wörnemann zu fürchten habe, beantwortete er nur mit den Worten:

– Ich kann Euch weiter nichts sagen, aber wenn der alte Schurke noch lange lebt, macht er mich bettelarm.

Es war vergeblich, den alten Mann zu einer offenen Erklärung zu bewegen, er blieb dabei, daß er schweigen müsse, und seine Kinder grübelten umsonst darüber nach, durch welche Bande ihr Vater an Wörnemann gefesselt sei.

Als Gustav Wißler jetzt die Bestätigung seiner Angaben erhielt, gerieth er in einen noch heftigern Zorn. Er hatte sich zwar vorgenommen nie wieder mit seinem Schwiegerväter ein Wort zu sprechen, da dieser gegen all seine Bitten taub blieb, nun aber änderte er seinen Entschluß, und ohne auf die Abmahnungen seiner Schwägersleute zu hören, stürmte er zu dem alten Mann hinauf. Karl wollte ihm folgen, doch seine Frau hielt ihn zurück.

– Mische Dich nicht weiter in die Sache, wir werden damit nichts ändern, rieth sie klüglich, und Karl ließ sich Von ihr bestimmen.

Was der Schankwirth mit seinem Schwiegervater verhandelt, erfuhren seine Verwandten nicht, aber seit jenem Tage schien zwischen den Beiden ein leidliches Verhältniß wiederhergestellt, denn Wißler schalt nicht mehr in gewohnter Heftigkeit auf den Alten, sondern entgegnete nur auf alle Fragen des Schwagers:

– Der Alte ist ein Narr, daß er sich von dem Lump, dem Wörnemann, ins Bockshorn jagen läßt. Mir sollte er nur kommen!

Trotzdem erschien Wörnemann noch mehrmals bei dem alten Schlönert, und er mußte stets eine hübsche Summe davon getragen haben, denn die kleine Frau sah ihn stets lustig grinsend das Haus verlassen. Seltsam genug, zeigte sich der Schankwirth über diese neuen Erpressungsversuche, als er sie erfuhr, nicht weiter erbittert, und er entgegnete nur: »Wer zuletzt lacht, lacht am besten.« Ja, sein Verhältniß zu seinem Schwiegervater mußte ein sehr gutes geworden sein, denn Wißler eröffnete plötzlich ein neues Schankgeschäft, und sicher hatte hierzu der alte Schlönert das Geld gegeben, obwohl sich der Schwiegersohn über diesen Gegenstand nicht weiter ausließ, sondern das tiefste Stillschweigen beobachtete. Wißler ging sogar noch weiter, er versöhnte sich mit Wörnemann, lud ihn öfters zu sich ein, und der trinklustige Alte wurde zuletzt ein Stammgast in Wißlers Schankgeschäft, denn er konnte sicher sein, dort immer ein gutes Glas zu finden. Der Wirth zeigte sich gegen den alten Freund seines Schwiegervaters besonders freundlich, bediente ihn selbst und setzte sich zu ihm hin, um mit ihm zu plaudern.

Wörnemann schien zu errathen, daß Wißler unter seiner besonderen Aufmerksamkeit irgend eine Absicht verfolge. Vielleicht wollte er von ihm das Geheimniß herausbekommen, das zwischen ihm und dem alten Schlönert bestand, und wenn er daran dachte, dann schmunzelte der schlaue Patron nur vor sich hin, denn er wußte recht gut, daß er selbst in der größten Trunkenheit nicht zum Plaudern zu bringen sei, und dem Schankwirth gegenüber beschloß er noch besonders auf der Hut zu sein.

Eines Tages war Wörnemann der einzige Gast Wißlers. Der Schankwirth setzte sich wie gewöhnlich zu ihm und ließ es sich besonders angelegen sein, den Alten zum Trinken zu nöthigen. Er schenkte ihm selbst Glas auf Glas ein und leistete ihm auch beim Zechen wacker Gesellschaft.

– Heute hab ich genug, sagte Wörnemann, als er, schwerer geladen als sonst, zur Thür hinaustaumelte, während ihm Wißler mit hämischem Grinsen nachschaute und vor sich hin murmelte:

– Das glaub' ich auch!

Der Unglückliche sollte nicht bis in seine Wohnung kommen ... unterwegs brach er plötzlich mit einem lauten Schrei zusammen.

– Ich muß sterben! rief er verzweifelt.

Unter dem herbeiströmenden Publikum befand sich auch ein Arzt, und Wörnemann wurde sogleich in dessen nahe gelegene Wohnung gebracht.

Anfangs glaubte der Doktor es nur mit einem Trunkenen zu thun zu haben, aber die Klagen des Alten, alle sich zeigenden Symptome belehrten ihn bald, daß hier ein Vergiftungsfall vorliege, und er traf darnach seine Anordnungen. Trotz seiner Trunkenheit mußte der Kranke selbst fühlen, wie es mit ihm stand, denn er rief fortwährend:

– Es schneidet mir die Eingeweide entzwei! Doktor. Jetzt hielt es der Arzt für das Beste, den Unglücklichen mit seiner Lage bekannt zu machen.

Wörnemann fuhr anfangs erschrocken zusammen; er schien dadurch plötzlich nüchtern geworden zu sein, und nachdem er einige Zeit vor sich hingestarrt, rief er mit verzweifeltem Auflachen:

– Ach, nun weiß ich alles ... Wißler hat mich vergiftet ... drum war er immer gar so freundlich, zu mir ... Doktor, wie lange hab' ich noch zu leben? wandte er sich an den Arzt.

– Vielleicht bringe ich Sie noch durch, entgegnete dieser ausweichend.

– Nein, nein, Doktor, machen Sie mir nichts vor, ich weiß, daß es mit mir alle wird ... aber wenn Sie mich nur noch ein paar Stunden erhalten, bin ich schon zufrieden, denn ich habe viel auf dem Gewissen und will mir's endlich erleichtern.

– Ich vermag nicht zu bestimmen. Vielleicht geht es mit Ihnen bald zu Ende, vielleicht leben Sie noch viele Tage, nur fürchte ich ...

– Schon gut, Doktor! Schicken Sie gleich nach dem Gericht, unterbrach Wörnemann den Arzt. Ich hab' ein schweres Bekenntniß zu machen.

Wörnemann war noch bei vollem klaren Bewußtsein, als ein Gerichtsbeamter erschien. Der Unglückliche gab Folgendes zu Protokoll:

– Der Drechslermeister Gottfried Schlönert und ich sind Jugendfreunde. Gottfried hatte früh geheirathet und mit Nahrungssorgen zu kämpfen, denn seine Schwiegermutter, die vermögend war und ein großes Gartengrundstück besaß, mochte nichts mehr herausrücken. Da kam er auf den Gedanken, die Alte beiseite zu schaffen, und ich sollte ihm dazu helfen. Ich betrieb damals die Gärtnerei und wohnte in der Nachbarschaft von Gottfrieds Schwiegermutter.

– Lade die Alte nur einmal ein, daß sie in Deinem Gewächshaus sich die hübschen Pflanzen ansieht, sagte mein Freund, und laß mich mit ihr allein ... das Andere werd' ich dann schon besorgen.

Anfangs dacht' ich mir gar nichts Böses dabei, und so that ich ihm den Gefallen. Die Alte kam wirklich zu mir und ich führte sie in das Gewächshaus, wo mein Freund schon steckte, und ging fort, wie er's gewollt hatte. Nach einer halben Stunde kam er ganz bleich zu mir und sagte, noch am ganzen Körper zitternd:

– Die ist besorgt!

Ich wollte jetzt ins Gewächshaus stürzen, aber er bat mich:

– Hilf mir eine Grube machen, daß wir sie rasch verscharren.

Damals war ich mit Gottfried ein Herz und eine Seele, und so ließ ich mich zu allem bestimmen, ja ich brachte Kalk herbei und sagte meinem Freunde:

– Damit kannst Du die Leiche bedecken, da verschwindet in ein paar Jahren alle Spur.

Gottfried war gleich damit einverstanden, aber als ich die Grube gemacht hatte, ging ich fort, ich mocht' ihm nicht weiter helfen.

Auf die Frage des Beamten bezeichnete Wörnemann genau die Stelle, wo die Ermordete eingescharrt worden.

– Sie liegt unter einem alten Apfelbaum, der noch jetzt in dem äußersten Winkel des kleinen Gartens steht, der einst mir gehörte, lautete seine Angabe.

So wunderlich auch die Erzählung des Alten klang, sie mußte wenigstens zum Theil auf Wahrheit beruhen, denn nach genaueren Forschungen stellte sich jetzt heraus, daß die Schwiegermutter Schlönerts vor länger als zwanzig Jahren auf räthselhafte Weise plötzlich verschwunden und nie wieder zum Vorschein gekommen war. Die seltsamsten Gerüchte waren damals im Umlauf gewesen. Man hatte sogleich den Drechsler Schlönert verdächtigt, der mit seiner Schwiegermutter im beständigen Unfrieden gelebt, weil sie ihm trotz seiner Bedrängniß mit Geld nicht aushelfen gewollt. Die alte Frau hatte immer ganz entschieden erklärt: So lange ich lebe, erhält mein Schwiegersohn nichts mehr, das kommt ihm noch zurecht.

Eines Nachmittags hatte die Alte ihr Haus verlassen und war nicht mehr dahin zurückgekehrt. Alle Nachforschungen nach der Verschwundenen stellten sich als fruchtlos heraus. Obwohl Schlönert jetzt die größte Theilnahme heuchelte, wurde er doch mehrfach gerichtlich vernommen, er konnte aber dem Richter seine Unschuld so überzeugend nachweisen, daß derselbe von einer weitern Untersuchung abstand. Es gelang ihm zu beweisen, daß er seit Monaten mit seiner Schwiegermutter gar nicht verkehrt habe, und da er zu jener Zeit mitten in der Stadt wohnte, konnte er nicht so leicht Gelegenheit haben, die alte Frau ohne weiteres zu beseitigen, um so weniger, als sich nicht nachweisen ließ, daß die Schwiegermutter an jenem Tag in die Stadt gekommen sei. Sie hatte auch seit langer Zeit ihre Tochter nicht mehr besucht.

Die alte Frau blieb verschwunden und das Gerücht tauchte auf, sie sei im nächsten Walde überfallen und ermordet worden.

Nach einiger Zeit schlief die Sache völlig ein. In einer großen Stadt kommt es zu oft vor, daß Personen als auf räthselhafte Weise verschwunden, bei der Polizei angemeldet werden, und dann doch wieder lebend auftauchen, und wenn es den Behörden nicht bald gelingt, den dunkeln Schleier zu lüften oder die Nächstbetheiligten die Angelegenheit eifrig weiter verfolgen, geräth die Sache allmählich in Vergessenheit; verdrängt doch hier ein wichtiges Tagesereignis das andere. Auch diese geheimnißvolle Geschichte verschwand nur zu bald aus dem Gedächtniß der Menschen.

Der Frau des Drechslermeisters fiel, als der einzigen Tochter der Verschwundenen, das große Gartengrundstück zu, aber Schlönert bewirthschaftete es nicht selbst, sondern gab es jahrelang in Pacht, bis plötzlich durch die ganz veränderten Verhältnisse jene Ländereien so werthvoll wurden, daß der Drechsler durch den Verkauf derselben unerwartet zum reichen Mann wurde. Seine Frau hatte diesen Glücksumschwung nicht mehr erlebt, sie war vor einigen Jahren gestorben.

Nun wurden die alten, längst begrabenen Geschichten wieder lebendig und ein Verbrechen, das so lange mit Nacht bedeckt gewesen, sollte wieder zu Tage treten. Es gab eine Menge Leute, die sich jener Vorgänge noch, wenn auch dunkel, erinnerten, und die Spannung war eine gewaltige, ob sich die Aussage Wörnemanns bewahrheiten werde?

Der bezeichnete Garten war bald gefunden und auch der alte Apfelbaum wurde entdeckt. Wenige Wochen später, und alles wäre hier verändert gewesen, denn auch dies Grundstück war vor Kurzem von einer Baugesellschaft erworben worden und in wenigen Monaten sollten sich hier einige elegante Villen erheben. Von den beiden zugänglichen Seiten wurde der Boden unter dem Apfelbaum ausgehoben und man grub lange vergebens. Außer dem Knirschen der Spaten und dem dumpfen Geräusch der bei Seite geworfenen Erdschollen wurde kein Laut gehört.

In athemlosem Schweigen standen rings die Zuschauer.

Ein Arbeiter stieß jetzt auf einen harten Gegenstand, der von einer Kalkschicht bedeckt war.

– Graben Sie vorsichtiger, befahl der das traurige Geschäft leitende Beamte, und nach kurzer Zeit hatte man einen menschlichen Schädel entdeckt und bald kam ein ganzes Gerippe zum Vorschein, das völlig im Kalk wie in einem Gewölbe eingeschlossen war. Die Zähne und das Haar zeigten sich vollkommen gut erhalten.

Ein Ring befand sich an einem fleischlosen Finger. Um den langen, dünnen Hals lag noch ein Strick. Der Leichnam war augenscheinlich mit Kalk bedeckt worden, aber man hatte das Wasser vergessen und so hatte der Kalk, anstatt den Körper zu zerstören, wie die Mörder beabsichtigt, ihn vor völliger Zerstörung bewahrt.

So weit hatten sich also schon die Angaben Wörnemanns bewahrheitet, und nun galt es, noch schlagendere Beweise herbei zu schaffen, um den Schuldigen zu überführen.

Durch das Gutachten der herbeigezogenen Aerzte mußten die letzten Zweifel beseitigt werden. Die Form des ganzen Knochenbaues bekundete, daß dies ausgegrabene Gerippe einer alten Frau angehörte, die kaum von Mittelgröße gewesen war. Das Haar war braun, aber schon stark mit Grau gemischt. Die noch vorhandenen wenigen Zähne waren ungewöhnlich lang und breit, und Zeugen, welche Frau Grunwald gekannt hatten, gaben an, daß die hier noch bemerkbaren Kennzeichen genau mit dem Aeußern der Verschwundenen übereinstimmten. Im Innern des goldenen Reifes befanden sich die Buchstaben A. G. und die Jahreszahl eingravirt. August Grunwald hatte der Mann der Ermordeten geheißen, und die Jahreszahl des Trauringes stimmte ebenfalls wie angestellte Forschungen erwiesen.

Es konnte keinem Bedenken unterliegen, daß hier wirklich die Schwiegermutter Schlönerts gefunden und damit ein Verbrechen entdeckt worden, das der schändliche Mörder so viele Jahre mit raffinirter Schlauheit zu verbergen gewußt; ja, er hatte wohl davon geträumt, daß seine That sich für immer der rächenden irdischen Gerechtigkeit entziehen würde, und nun hatte ihn doch die Nemesis erreicht.

Gottfried Schlönert wurde sofort verhaftet und gegen ihn die Untersuchung eingeleitet. Der alte Mann zeigte sich völlig gebrochen und erregte selbst das Mitleid derjenigen, die seine That noch so hart verurtheilten.

– Ich will Alles ehrlich bekennen, sagte Schlönert schon bei seiner ersten Vernehmung, und kein unwahres Wort soll über meine Lippen kommen. Mit meiner Schwiegermutter lebte ich in Unfrieden, weil sie mir zur Fortführung meines Geschäftes kein Geld gab. Da war es mein Jugendfreund Wörnemann, der mir beständig zuflüsterte, mit der Alten doch ein rasches Ende zu machen. Er entwarf den höllischen Plan. Er wollte meine Schwiegermutter in seinen Garten locken, und wir sollten sie dann gemeinschaftlich abthun. »Den Leichnam überschütten wir mit Kalk, dann ist von ihm nach kurzer Zeit auch nicht die mindeste Spur zu merken,« redete er in mich hinein. »Auf Dich kann kein Verdacht fallen, und ich schweige wie das Grab. Wir sind und bleiben geschworne Freunde« ... Ich wußte freilich nicht, wie es mit dieser Freundschaft bestellt war und daß mir Wörnemann nur zu diesem schändlichen Verbrechen zuredete, weil er sich schon in schlechten Verhältnissen befand und nun hoffen durfte, daß ich ihm wieder aufhelfen würde.

Der alte Mann mußte tief Athem holen, ehe er in seinem Bekenntniß fortfuhr:

– Es ging Alles so, wie Wörnemann gesagt. Er lud meine Schwiegermutter ein sich doch einmal sein Gewächshaus anzusehen, und als sie in die Thür trat, warf er ihr gleich einen Strick um den Hals und rief: »Nun zieh zu!« Ich that mechanisch, wie er mir geheißen hatte. Unter dem Apfelbaum befand sich schon die Grube, die mein Freund vorher gegraben hatte, und wir schafften jetzt den Leichnam sogleich hinein. Auch für den Kalk hatte August schon gesorgt. Ob er nun in der Hast vergessen, den Kalk durch Wasser zu löschen, oder ob er dies gern unterlassen ... das weiß ich nicht. Ich hatte in meiner fürchterlichen Aufregung gar keine Gedanken und stürzte fort, um nur so rasch wie möglich nach Hause zu kommen. Viele Jahre sind darüber hingegangen; ich bin ein reicher Mann geworden, aber Ruhe und Glück hab ich von meiner Unthat nicht gehabt.

Und der alte Mann ließ müde und gebrochen das Haupt auf die Brust sinken und in seinen gramverzerrten Zügen prägte sich all das Elend aus, das seine Brust die vielen Jahre über still getragen hatte.

Als dem Drechslermeister die Aussage Wörnemanns vorgelesen wurde, schüttelte er traurig den Kopf:

– August hat noch im Sterben schändlich gelogen und überhaupt niederträchtig an mir gehandelt. Er hat es überhaupt niemals mit der Wahrheit ernst genommen und seine Lügen so lange erzählt, bis er selbst daran geglaubt. Da mag er sich wohl auch eingebildet haben, es sei wirklich damals so zugegangen, wie er im Sterben ausgesagt. Durch das viele Trinken hat er sich vollends um den Verstand und das Gedächtniß gebracht. Wenn er jetzt meine Aussage hörte, würde er sich vielleicht noch erinnern, daß die allein auf voller Wahrheit beruht.

Der alte Schlönert blickte dabei traurig vor sich hin und erst nach einer Pause fuhr er langsam fort:

– So lange es ihm gut ging, war er mein Freund und ließ mich in Ruhe, aber als er durch seine Trunksucht immer mehr herunter kam und ich plötzlich durch den guten Verkauf meines Grundstückes ein großes Vermögen erhielt, war er ein ganz Anderer. Nun quälte er mich beständig um Geld, und ich mußte ihm jeden Wunsch erfüllen, denn er drohte mir, mich zu verrathen. Er mochte noch so oft sich einfinden, ich gab ihm soviel wie er verlangte, aber zuletzt kamen die Meinigen dahinter, nun durfte ich ihm nichts mehr schenken und deshalb hat er mich verrathen.

– Und Ihr Schwiegersohn hat Wörnemann durch Gift bei Seite geschafft, um Sie von Ihrem Blutsauger zu befreien? bemerkte der Beamte und richtete seine Augen scharf auf den Angeklagten.

Der alte Schlönert senkte die Blicke und schwieg. Es war nicht möglich, ihn auch hier zu einem offenen Geständniß zu bewegen; aus seinem ganzen Auftreten ging deutlich hervor, daß er seinen Schwiegersohn schonen, ihn wenigstens durch ein unbedachtes Wort nicht noch tiefer in die Sache verwickeln wollte.

Zum Glück stellte sich der Zustand Wörnemanns nicht so schlimm heraus, wie der Arzt angenommen hatte, im Gegentheil nahm die Erkrankung des Alten unerwartet eine Wendung zum Bessern, und es war sogar Aussicht vorhanden, sein Leben zu retten. Wörnemann war in ein Krankenhaus geschafft worden und durch die Bemühungen der erfahrensten Aerzte wie durch die sorgsamste Pflege wurde er noch einmal dem Tode entrissen.

Mit seiner allmähligen Genesung ging in dem Mann eine seltsame Wandlung vor.

Er mied ängstlich alle geistigen Getränke, und sein besseres Selbst, besonders das alte Freundschaftsgefühl für Schlönert schien noch einmal in ihm zu erwachen. Nun nahm er seine erste Aussage, die dem Freunde alle Schuld allein zugeschoben, zurück und bekannte ehrlich, daß Schlönert in allen Stücken die Wahrheit gesagt und der größere Antheil der Mordthat auf seine Rechnung falle. Er bat um die härteste Verurtheilung, denn er habe die strengste Strafe wohl verdient.

Auch gegen den Schankwirth wurde sofort die Untersuchung eingeleitet und nach hartnäckigem Leugnen mußte er endlich seine Schuld eingestehen. Er bezichtigte geradezu seinen Schwiegervater, daß ihn dieser zur Vergiftung Wörnemanns angestiftet und dafür bezahlt habe, und er wiederholte seine Angaben mit großer Bestimmtheit, als er dem alten Mann gegenüber gestellt wurde.

Auf Gottfried Schlönert machte die Anklage seines Schwiegersohnes den tiefsten Eindruck.

Als dieser ihm keck ins Gesicht behauptete, daß er ihn aufgestachelt habe, Wörnemann bei Seite zu schaffen, wollte der alte Mann anfangs Wißler mit den bittersten Vorwürfen überhäufen, aber er hielt plötzlich in seiner Rede inne, und während heiße Thränen aus seinen Augen stürzten, murmelte er:

– Ich ernte nur, was ich ausgesäet ... ich war ein schlechter Schwiegersohn und Gustav übt Vergeltung an mir.

Schlönert gab es auf, sich gegen die Beschuldigungen Wißlers noch weiter zu vertheidigen, aber seitdem sein eigener Schwiegersohn so rücksichtslos gegen ihn auftrat, um ihn vollends zu verderben, war der alte Mann wie gebrochen. Gram und Reue mochten zu heftig an seinem Herzen nagen, er erkrankte im Gefängnis und nach wenigen Wochen war er eine Leiche.

Der Unglückliche hatte seine Schuld spät aber schwer gebüßt.

Wörnemann wurde zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurtheilt, aber der alte Mann sollte seine Strafe nicht antreten. Das genossene Gift mußte doch seine Gesundheit zu tief erschüttert haben, und er verschied schon nach wenigen Wochen, reumüthiger als man es von dem leichtsinnigen Alten erwartet hätte.

Auch den Schankwirth traf die rächende Nemesis. Wohl hatte er seinen Schwiegervater als den geistigen Urheber des Verbrechens bezichtigt, doch alle inneren und äußeren Gründe sprachen dafür, daß Wißler die Beseitigung des Wörnemann aus eigenem Antrieb übernommen und seinem Schwiegervater nicht eher Ruhe gelassen, als bis dieser sich damit einverstanden erklärt. Ihm hatte Alles daran gelegen, einen Menschen aus dem Wege zu räumen, der seinem Schwiegervater beständig Geld abzapfte, und zu einigen guten Freunden hatte er auch Aeußerungen fallen lassen, daß er der Geschichte schon ein Ende machen wolle.

Wißler wurde zu mehrjähriger Zuchthausstrafe verurtheilt, und seltsam genug hielt er sich wider Erwarten in der Strafanstalt musterhaft. Er ließ sich während seiner ganzen Haftzeit nicht die mindeste Uebertretung zu schulden kommen, und als er endlich seine Strafe abgebüßt, ging er mit dem Reste seines Vermögens nach Amerika. Da dort Niemand nach seiner düstern Vergangenheit fragte, gelang es ihm wirklich sich wieder zu einer geachteten Stellung emporzuarbeiten. Seiner Trunksucht, die ihn wohl am meisten auf den gefährlichen Abweg geleitet, hatte er für immer entsagt.

Friedlicher und glücklicher verlief das Leben der Söhne des alten Schlönert. Wohl wurden sie tief dadurch erschüttert, daß sich ihr Vater plötzlich als Verbrecher erwies, aber sie waren ja nicht mit in Schuld verstrickt und konnten das ihnen zugefallene, freilich sehr geschmälerte Erbtheil in Ruhe und ohne Gewissensqualen genießen.

– Siehst Du nun ein, wie gut es war, daß ich Dich damals warnte, Dich in die Sache zu mischen? fragte die kleine Frau ihren Mann, und Karl entgegnete erleichterten Herzens:

– Vielleicht hast Du selbst nicht geahnt, an welchem Abgrund ich stand, aber Du bleibst doch zu allen Zeiten mein liebes kluges Weibchen.

Und er umarmte zärtlich seine kleine Frau.

Für Karl Schlönert war das traurige Schicksal seines Vaters und seines Schwagers eine sehr ernste Mahnung geworden.

Trotzdem ihm jetzt ein für seine Verhältnisse noch immer ziemlich bedeutendes Vermögen zufiel, hielt er sich doch in den bescheidensten Grenzen. Vielleicht mochte er es selbst empfinden, daß es für den Sohn eines solchen Mannes nicht schicklich sei, ein übermüthiges lustiges Leben zu führen. Anfangs hatte den jungen Mann die Scheu vor der Oeffentlichkeit ans Haus gefesselt, allmählich gewann er jedoch dies traute, stille Familienleben lieb, und er mochte es nicht mehr mit dem Aufenthalt in Wirthshäusern und mit dem Verkehr mit trinklustigen Gesellen vertauschen.

Die Ehe Karl Schlönerts war jetzt völlig friedlich und glücklich und er blieb fortan in denselben bescheidenen Schranken wie sein älterer Bruder. Man sah die beiden Familien nur selten außerhalb des Hauses, und Böswillige spöttelten wohl darüber, daß sich die Söhne des Mörders scheuten, in Gesellschaft zu gehen, aber daheim genossen diese stillen guten Leute ein um so schöneres Glück.


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