Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Bestrafte Schmähsucht oder Treue Freundschaft

In dem schönen, wohlgepflegten Garten der reizenden Villa des Herrn von Strahlen grünte und blühte alles zur herrlichen Frühlingszeit.

Freundlich hatte den ganzen Tag die Sonne geschienen, und eben mit ihrem letzten Schimmer die in vollster Blütenpracht stehenden Obstbäume vergoldend, drang sie auch noch grüßend in die Baumgruppe, in deren Schatten die Tochter des Hauses, die zwölfjährige Elfriede, saß.

Trotz des wunderbaren Zaubers in der Natur standen Tränen in den Augen dieses jungen Menschenkindes. Heut am ersten Pfingstfeiertage war sie so allein. Alle ihre Mitschülerinnen waren an verschiedenen Orten froh beisammen, nur sie hatte niemand aufgefordert. –Weshalb hatten sich alle so plötzlich von ihr gewandt? Das eben war es, was Elfriede sich nicht erklären konnte. Stets war sie zu allen freundlich gewesen und immer hatte die gute Mutter dafür gesorgt, daß ihre Freundinnen gut bei ihr aufgenommen wurden, wenn diese sie besucht hatten.

Dennoch hatten alle wie auf Verabredung eine abschlägige Antwort gegeben, als sie von der Mama zur Feier ihres Geburtstages eingeladen worden waren. Die eine hatte sagen lassen, sie habe selbst Besuch, eine andere war schon eingeladen, und in ähnlicher Weise war von allen eine Absage eingegangen.

Auch in der Schule wurde sie schon seit längerer Zeit von allen vollständig gemieden und übersehen.

Obgleich Elfriede sehr betrübt darüber war, so scheute sie sich doch, nach dem Grund dieser unfreundlichen Begegnung zu fragen, weil alle gar zu böse taten.

Als sie eben noch ganz trostlos darüber nachgrübelte, was sie wohl verschuldet haben könnte, kam ihr zehnjähriger Bruder Willi angelaufen und rief schon von weitem: »Die Mama läßt dir sagen, du sollst auf die Veranda kommen! Es ist Besuch da, eine Frau Major Helm mit ihrer Tochter. Was sitzt du denn da und machst ein Gesicht, als wäre dir die Petersilie verhagelt? Komm nur schnell! Ich habe dich schon überall gesucht; ich konnte mir doch nicht denken, daß du hier sitzt und Krokodilstränen weinst!«

Obgleich sich Elfriede über die naseweisen Bemerkungen des zwei Jahre jüngeren Bruders ärgerte, so klärte sich doch ihr Gesicht bei der angenehmen Nachricht auf, und sie beeilte sich, schnell die Tränenspuren verwischend, dem mütterlichen Befehl zu folgen.

Mit vor freudiger Erregung geröteten Wangen begrüßte sie nun den unerwarteten, ihr so willkommenen Besuch.

Wohlgefällig ruhten die Blicke der Frau Major auf dem lieblichen, frischen Gesichtchen, und Elfriede herzlich die Hand reichend, sprach sie: »Ich würde mich sehr freuen, wenn du dich meiner Meta annehmen und freundschaftlich mit ihr verkehren wolltest. Wir sind seit einigen Tagen hier in dem kleinen, nahegelegenen Badeörtchen und werden voraussichtlich den ganzen Sommer hierbleiben. Wir beide haben an den Folgen einer bösen Influenza zu leiden und wollen uns hier gründlich erholen und stärken. Meta hat leider durch die lange Krankheit viel in der Schule versäumt und soll nun hier Privatunterricht haben, um das Versäumte möglichst nachzuholen.«

Während nun die Eltern mit ihrem Gast heiter plaudernd auf der Veranda blieben, eilten die beiden Mädchen hinaus in den Garten, wo sie sich lachend und scherzend herumtummelten.

»Wie hübsch ist es doch, daß ich dich zu Hause getroffen habe!« sagte Meta. »Ich fürchtete eigentlich, daß du heute bei einer deiner Freundinnen sein könntest, und bat die Mama, unsern Besuch lieber bis nach den Feiertagen zu verschieben. Doch Muttchen meinte, ebensogut könntest auch du dir Besuch eingeladen haben, und ich lernte dann zugleich auch deine Freundinnen kennen. Wie kommt es, daß du heute so allein zu Hause bist?«

Elfriede errötete bei dieser Frage und erwiderte kleinlaut: »Meine Mitschülerinnen hatten für die Feiertage allerlei vor; einige wollten Partien machen, und die anderen hatten auch untereinander verschiedenes vor.«

»Und dazu haben sie dich nicht einmal aufgefordert?« fiel Meta ein. »Nein, wie unrecht finde ich das! So unfreundlich sind wir nicht zueinander; oder hattest du keine Lust, dich ihnen anzuschließen?«

»Ach ja, ich wäre gern dabei gewesen«, entgegnete Elfriede verschämt, aber ehrlich.

Als Meta bemerkte, daß sie Elfriede mit dieser Frage in Verlegenheit gebracht hatte, brach sie schnell davon ab und wußte sie mit einigen spaßigen Reiseerlebnissen so zu belustigen, daß sie bald wieder heiter und vergnügt wurde.

Die beiden jungen Mädchen gefielen einander sehr und hatten sich gleich so angefreundet, daß sie beim Abschied sich das Versprechen gaben, wenn es die Eltern erlaubten, sich täglich besuchen zu wollen.

Keiner war glücklicher als Elfriede, deren Herz sich nach einer Freundin gesehnt hatte. »Meta ist so lieb und gut,« sagte sie nachher zu ihrer Mutter, »und ich will alles tun, um mir ihre Freundschaft zu erhalten. Liebes Mamachen,« fuhr sie gang traurig fort, »kannst du es dir denn gar nicht denken, weshalb sich alle von mir zurückgezogen haben und keine in der Schule mich mehr leiden mag?« Und bitterlich weinend verbarg sie das Köpfchen an der treuen Mutterbrust.

Liebreich streichelte und tröstete die Mutter das weinende Töchterchen. »Armes Kind,« sagte sie, »wohl kann ich es dir nachfühlen, wie sehr du darunter leidest. Du hättest sogleich, als du bemerktest, wie sich deine Mitschülerinnen von dir zurückzogen, fragen müssen, was du verschuldet. Ein ehrliches Wort findet stets einen guten Ort. Als wir vor einem Jahre hierherzogen, kamen dir doch alle die kleinen Mädchen so herzlich entgegen. Gewiß hast du, ohne es zu wissen, ihnen etwas getan, und auf keinen Fall hättest du eine offene Frage unterlassen dürfen.«

»Ja, aber liebes Muttchen,« entgegnete Elfriede verzagt, »das war doch sehr schwer, da alle gleich so böse waren.«

»Da hättest du erst recht nicht schweigen sollen«, sagte darauf die Mutter. »Du siehst, wie weit man mit Scheu und Furcht kommt. Deine Mitschülerinnen können dich und deinen Umgang entbehren: du allein hast darunter zu leiden. Jetzt ist es nun schon weit schwerer für dich, aber dennoch mußt du es tun. Gehe nur zu Eva Vogel, das ist ein so liebes, nettes Mädchen, die wird gewiß nicht abweisend sein, wenn du dich ihr freundlich näherst. Dadurch vergibst du dir in keiner Weise etwas, denn das merke dir: Demut ist der schönste Schmuck eines jeden weiblichen Wesens.«

Elfriede dachte viel über der Mutter Worte nach und nahm sich auch vor, danach zu handeln. Allein, als sie nach beendeten Pfingstferien wieder in die Schule kam, waren die Mitschülerinnen fast noch kälter und fremder als bisher. Da fehlte ihr nun vollends der Mut zur Annäherung, und es blieb daher wieder ganz beim alten, denn auch keine Vorstellungen der Mutter konnten sie zur Aussprache bewegen. Ihr Trost blieb ihre Meta Helm, mit welcher sie bald die innigste Freundschaft verband. Da auch die Eltern und Metas Mutter sich näher getreten waren, so kamen die beiden Mädchen fast täglich zusammen. Stets waren sie einig, und eine tat der andern zu Gefallen, was sie nur konnte.

Doch auch dieses Glück schien Elfriede getrübt werden zu wollen. –Eines Tages hörte sie Eva Vogel zu einer Freundin in der Schule sagen: »Gestern war ich mit den Eltern in Grafenort, und da haben wir so zufällig eine Frau Major Helm mit ihrer Tochter kennen gelernt. Da das Konzert dort sehr besucht war, so waren alle Tische besetzt, als sie kamen. Papa besorgte noch zwei Stühle und lud sie ein, an unserem Tisch Platz zu nehmen, was die Frau Major auch gern annahm. Beim Abschied versprach sie, heute bei uns ihren Besuch machen zu wollen. Nun werden die Eltern auch Helms übermorgen zu der Wasserpartie, von welcher ich dir schon erzählt habe, einladen. Nicht wahr, es ist nett, daß wir noch eine neue Freundin bekommen?«

Elfriede erschrak sehr; die Angst, Meta nun auch zu verlieren, peinigte und verwirrte sie so, daß sie nachher den Lehrern ganz verkehrte Antworten gab und daher von diesen streng getadelt wurde. Tief beschämt und hocherrötend saß sie da und wagte nicht aufzusehen, weil sie die spöttischen Blicke aller auf sich gerichtet fühlte.

Infolge der großen Gemütsbewegung bekam Elfriede so heftige Kopfschmerzen, daß sie noch vor Schluß der Schule nach Hause gehen mußte.

Die erschrockene Mutter brachte sie sogleich zu Bett, und da sie fieberte, wurde der Arzt gerufen. Dieser erklärte zur Beruhigung der Eltern, daß es eine kleine Nervenabspannung sei, die durch Ruhe wohl in einigen Tagen wieder gehoben sein würde.

Meta, welche an dem Tage mit ihrer Mutter wirklich bei Vogels gewesen war, konnte nicht mehr dazu kommen, auch Elfriede zu besuchen, daher wußte sie nichts von deren plötzlichen Erkrankung. Sicher hoffte sie, die Freundin bei der Gondelpartie zu treffen, und war sehr erschrocken, zu hören, daß Elfriede die Schule gestern krank verlassen habe.

»Oh, wie leid tut es mir, daß Elfriede nun hier fehlt, und daß ich sie heute nicht besuchen kann«, sagte Meta.

»Wenn sie auch gesund wäre, so würde sie doch nicht hier sein«, bemerkte Agathe von Rheden.

»Weshalb denn nicht?« fragte Meta sehr verwundert.

»Weil wir alle nicht mit ihr verkehren und keine von uns sie leiden mag«, erwiderte Agathe.

»Ich liebe aber Elfriede sehr und werde mich keiner anschließen, die ihr feindlich gesonnen ist«, sagte nun Meta entrüstet.

»Werde doch nicht gleich böse, ehe du noch weißt, weshalb wir uns alle von deiner geliebten Elfriede zurückgezogen haben«, entgegnete pikiert Agathe, die sich stets vor allen ein wenig wichtig hervortat.

»Wenn ihr alle nichts dagegen habt,« so wandte sie sich an die andern, »dann will ich es sogleich erklären.«

Da alle ihre Zustimmung gaben, begann sie: »Als Strahlens vor einem Jahre hierherkamen, fanden wir Elfriede auch alle reizend, und wir waren bald sehr befreundet mit ihr. Sie fehlte nie in unserem Kreise, bis wir dahinterkamen, welches Teufelchen in ihr verborgen ist. Wir waren einmal alle bei Eva Vogel eingeladen, wo wir sehr vergnügt und bis spät abends zusammen waren. Als viele unter uns schon um 9 Uhr abgeholt wurden, blieben Grete Albrecht, Elfriede und ich noch eine halbe Stunde beisammen. Aber kaum hatten sich die letzten entfernt, als Elfriede in der boshaftesten Weise über sie herfiel:

›Habt ihr wohl bemerkt, wie unordentlich die Toni angezogen war? Es ist doch nicht recht, sich nicht einmal ordentlich anzuziehen, wenn man ausgebeten wird. Nein, und wie ungeschickt ist doch die Klara, nicht einmal gewann sie beim Krocket, und wie unmanierlich ißt sie, das würde meine Mama nie dulden. Zum Totlachen fand ich die Alma, die schneidet ja fortwährend Gesichter.‹ Dabei versuchte sie, ihr aufs komischste nachzuäffen. In dieser Weise ging es so weiter, bis sie alle nach der Reihe gründlich vorgenommen hatte. Sie war so eifrig dabei, daß sie nicht einmal merkte, daß wir uns alle verwundert ansahen und kein Wort dazu sagten.

Bald danach hatte sie es bei uns ebenso gemacht, und dann hörten wir von anderen, daß wir auch nicht von ihr verschont geblieben waren. Wir beschlossen nun gemeinschaftlich, uns ganz von ihr zurückzuziehen, bevor sie noch mehrere unserer Fehler kennen lernte. Findest du jetzt unser Verhalten gegen eine solche Freundin noch ungerecht und unfreundlich?«

»Gewiß war das von Elfriede sehr tadelnswert und häßlich, aber ihr hättet sie offen zur Rede stellen müssen; sie weiß sicher nicht, warum ihr böse auf sie seid. Ganz gewiß hätte sie ihr Unrecht eingesehen und sich alle Mühe gegeben, diesen Fehler abzulegen.«

»Das sagte ich auch,« fiel Eva Vogel ein, »aber da kam ich schön an. Ihr alle waret zu beleidigt, daß Elfriede Schattenseiten an euch entdeckt und euch nicht alle reizend gefunden hatte. Jetzt tut sie mir wirklich schrecklich leid, wenn sie so traurig und verlasen in der Schule sitzt. Wäre sie nur zu mir gekommen und hätte mich gefragt, dann würde ich ihr alles ehrlich gesagt haben.«

»Das hat sie aber doch nicht getan und eben durch ihr Schweigen bewiesen, daß ihr an uns und unserer Freundschaft nichts liegt«, entgegnete ihre Kusine Hedwig.

»Du warst ja am meisten böse auf sie, und gerade bei dir wäre sie schön angekommen, wenn sie es gewagt hätte, dich zu fragen«, sagte Eva Vogel.

Meta suchte die Freundin, soviel sie konnte, zu entschuldigen und bemerkte, daß sie Elfriede morgen besuchen und sie über dies alles aufklären wolle. »Und ihr werdet euch doch auch versöhnen lassen,« bat sie, »wenn sie ihr Unrecht einsieht und euch um Verzeihung bittet.«

»So schnell ist das nicht wieder gutzumachen, dazu hat sie es denn doch zu arg gemacht«, riefen einige.

»Denkt darüber, wie ihr wollt,« erwiderte Meta, »ich werde stets als treue Freundin zu ihr stehen, und will nichts von denen wissen, die eine reuig Bittende zurückweisen können.«

Während Meta der kranken Elfriede so tapfer das Wort redete, saß diese blaß und angegriffen am Fenster ihres Stübchens. Sie mußte immer wieder an den letzten Schultag vor ihrer Erkrankung denken und sah daher so traurig aus, daß dies die Besorgnis der Eltern erregte.

»Ich werde sogleich zu der Frau Major gehen«, sagte der Vater, »und sie bitten, ihr verständiges Töchterchen herzuschicken. Das, denke ich, wird dem armen Kinde die beste Zerstreuung sein.«

Willi hatte in der Stadt von seinem Freunde Otto Vogel von dem gestrigen Vergnügen gehört und war nach Beendigung der Schule sogleich zu seiner Mutter geeilt, um dieser in aller Ausführlichkeit diese Neuigkeit mitzuteilen. »Denke nur, Mama,« sagte er, »in bekränzten Gondeln sind sie nach der Altburg gefahren. Und große Körbe mit belegten Butterbroten, Flammeri und kalten Speisen haben sie mitgenommen. Auch Torte und Maibowle gab es. Und beide Mädchen hatten sie zur Bedienung mitfahren lassen«, so fuhr er begeistert in seiner Erzählung fort. »Mir hat der schlechte Otto nicht einmal ein Stückchen Kuchen abgegeben«, setzte er ärgerlich hinzu. »Nicht wahr, liebes Mamachen, wenn die Elfe wieder gesund ist, dann machen wir auch solche Partie, und dann machst du es noch weit schöner, und der Otto muß zu Hause bleiben und bekommt auch nichts davon ab.«

»Wenn ich dir diesen Wunsch nun erfüllte, warum soll denn aber der Otto nicht mit?« erwiderte die Mutter. »Man muß im Leben nicht immer gleich Vergeltung üben wollen. Ottos Mutter hat es vielleicht nicht gewünscht, solch einen wilden Jungen dabei zu haben. Wenn ich nun aber den Otto mitnehmen wollte, so würdest du doch sicher das doppelte Vergnügen haben, dich mit deinem besten Freunde belustigen zu können.«

Willi hatte, wie seine ältere Schwester, ein gutes Herz neben seinen vielen Fehlern, denn als einziges Söhnchen war er ein wenig verzogen und naseweis.

»Ja, du liebes Muttchen,« sagte er, vor Freude in die Hände klatschend, »du hast immer recht, ich will auch sogleich gehen und es dem Otto erzählen, daß er mit soll.« Und die Mutter stürmisch umarmend, lief er davon und hörte kaum noch, wie ihm diese verbot, mit seinen Erzählungen die kranke Schwester aufzuregen.

Zu derselben Zeit, als Willi bei der Mutter seine Neuigkeiten anbrachte, war die Köchin Mine bei Elfriede gewesen, um sich teilnehmend nach ihrem Befinden zu erkundigen. »Ach, liebes Elfriedchen,« begann sie sogleich, »wie schade, daß du auch gerade jetzt krank sein mußt. Denke doch, eben hat mir Vogels Mädchen erzählt, welch eine großartige Gondelpartie sie gestern mit der Herrschaft gemacht habe. Evas Schulfreundinnen waren fast alle dabei, auch die hübsche Meta, welche mit ihrer Mutter so oft zu uns kommt. Mach nur, daß du wieder gesund wirst, Herzchen, dann macht dir die Mama gern ein solches Vergnügen. Na, und ich will kochen und backen dazu, daß es eine Lust sein soll, bei uns muß es noch viel schöner werden als bei Doktor Vogels.«

»Wie sollte es bei uns wohl viel schöner werden?« so dachte Elfriede, als Mine sie verlassen hatte. »Es wird ja doch niemand mitkommen, wenn die Mama auch wieder alle einladet. Ich werde nun gewiß auch meine gute, liebe Meta verlieren«, schluchzte sie. Und in ihrer Traurigkeit hatte sie es ganz überhört, daß schon zweimal leise an ihre Tür geklopft wurde, und wer beschreibt ihre Freude, als Meta, ihre Meta, eintrat.

Glückselig eilte sie ihr entgegen und umarmte die treue Freundin so stürmisch, als wollte sie diese fürs Leben festhalten.

Da nun Elfriede der Freundin sogleich ihr Herz ausschüttete, so glaubte diese sie am besten zu trösten und zu beruhigen, wenn sie ihr alles sagte, was sie gestern gehört. Um nun zugleich ihre Hoffnung zu beleben, versicherte Meta, daß alles wieder gut werden würde, wenn sie sich dazu entschließen könnte, die Mitschülerinnen um Verzeihung zu bitten; natürlich müßte sie ihren häßlichen Fehler ganz ablegen.

Elfriede sah unter Tränen ihr Unrecht ein und war gern dazu bereit. Sie war Meta für ihre Offenheit und für ihre treue Freundschaft sehr dankbar und versprach, sobald sie wieder gesund sei, so lange bitten zu wollen, bis ihr alle vergeben hätten und sich wieder ganz versöhnen ließen.

»Ich habe mir damals nichts Böses dabei gedacht,« sagte sie, »aber nun ich es heute von dir gehört, weiß ich gar nicht, wie ich so schlecht habe sein können.«

Nachdem Meta sich wieder entfernt hatte, ging Elfriede sogleich zu ihrer Mutter und beichtete, sich selbst anklagend, alles.

»Glaubst du wohl, liebe Mama, daß mich alle wieder liebhaben und mir vertrauen können?« fragte sie die Mutter.

»Gewiß, mein Kind,« antwortete die Mutter, »wenn du aufrichtig bereust und so etwas nie wieder tust. Wir sollen stets unsere Mitmenschen entschuldigen, aber nicht ihre Schwächen hervorsuchen, um uns darüber lustig zu machen. Man muß immer überlegen, was man spricht, ob es wahr und recht ist.

Zu verdenken ist es den kleinen Mädchen nicht, daß sie sich ganz von dir zurückzogen.«

»Nein, gewiß nicht, liebe Mama,« sagte Elfriede, »ich habe es nicht anders verdient, es war zu schlecht von mir.«

Da Elfriede sich bald wieder so wohl fühlte, um ihre Versöhnungsbesuche machen zu können, so hatte auch die Mutter nichts dagegen. Zuerst ging sie nun zu Eva Vogel, weil sie wußte, daß diese ein gutes, sanftes Kind war. Diese kam ihr denn auch sehr herzlich entgegen und war sogleich zur Versöhnung bereit. »Ich habe dich immer liebgehabt,« sagt« sie, »und es ist mir sehr schwer geworden, dir so fremd gegenüberzutreten.« Alle anderen, auch Elfriedes erbittertste Feindin Hedwig, über die sie wohl das Schlechteste gesagt haben mag, nahmen sie freundlich auf. Alle waren gerührt, als sie demütig wie ein armer Sünder bei ihnen eintrat, und verziehen ihr alles.

Wer war seliger als Elfriede, als sie mit dem wonnigen Gefühl, daß jetzt alles wieder gut sei, heimkehrte.

»Da müssen wir wohl eine Art Versöhnungsfest geben und alle deine Freundinnen dazu einladen«, hatte der Vater lachend bei Tisch gesagt.

»Ja, Papa, eine Gondelpartie wie Vogels«, rief Willi.

»Aber Junge, wir brauchen doch nicht anderen wie die Affen alles nachzumachen,« sagte belustigt der Vater, »weshalb soll es denn gerade eine Gondelpartie werden?«

»Weil es mit den bekränzten Gondeln so schön war«, entgegnete Willi.

»Nun, wenn es dir darum zu tun ist, so wollen wir mit bekränzten Wagen nach dem Eichwald fahren und meinetwegen Waschkörbe voll Flammeris und Kuchen mitnehmen«, erwiderte der Vater. »Bist du nun zufrieden?«

»Ja, aber jetzt fehlt noch die Musik und die Maibowle«, beharrte Willi.

»Gut, du sollst Erdbeerbowle haben, und ich will ein ganzes Musikchor bestellen, das dir so viel vorblasen soll, bis du befriedigt bist.«

»Jetzt ist alles richtig,« jubelte Willi, »dafür kannst du dich bei mir bedanken«, mit diesen Worten wandte er sich an die Schwester, »ich hatte auch schon die Mama darum gebeten, als du dich krank geärgert hattest.«

Bei Strahlens ging es nun in diesen Tagen sehr geschäftig zu. Es wurde gebacken, gekocht und alle möglichen Vorbereitungen zu dem Fest getroffen; Elfriede strahlte vor Freude und Glück, alle Schulfreundinnen waren eingeladen, und keine hatte abgesagt. Willi fand es in diesen Tagen am schönsten in der Küche, wie Mine ihrem Liebling Proben von den wohlgeratenen Speisen und Kuchen zusteckte. »Willichen, iß dich aber nur ja nicht krank«, sagte sie, und dabei gab sie ihm immer wieder neue Leckerbissen.

Als endlich der große Tag da war, fuhr eine zahlreiche heitere Gesellschaft in großen, bekränzten Wagen mit Musik dem Eichenwäldchen zu. Das Vergnügen war über alle Beschreibung schön. Papa Strahlen hatte mit viel Geschmack und Umsicht für allerlei Abwechslung gesorgt. Es wurde ein gar herrliches Fest, und die Freude und der Jubel der Kinder war sehr groß.

Dazu waren auch die Speisen der Mama Strahlen ebenso ausgezeichnet wie die Erdbeerbowle des Papas. Nachdem die Gäste auf das Wohl der freundlichen Gastgeber getrunken, stießen alle nun wieder ganz versöhnten Schulfreundinnen mit Elfriede auf treue fortdauernde Freundschaft an.

Erst am späten Abend kehrte die frohe Gesellschaft mit Musik wieder heim, und alle versicherten beim Abschied, sich prächtig amüsiert zu haben.

Elfriede hat Wort gehalten und den schrecklichen Fehler, über anderer Fehler zu schmähen, ganz abgelegt. Nie hat sie vergessen, was sie selbst dadurch gelitten, und daß sie ganz gegen Gottes Gebot gehandelt hatte. Wir sollen unsern Nächsten entschuldigen und Gutes von ihm reden. Wir sollen immer bedenken, daß wir alle Fehler haben, mit denen unsere Mitmenschen auch Geduld haben müssen.

Meta und Elfriede hatten sich so einander angeschlossen, daß sie mit Schmerz an die Trennungsstunde dachten. Zur größten Freude der beiden kleinen Mädchen hatte Metas Mutter die herzliche Einladung von Elfriedes Eltern angenommen und versprochen, im nächsten Jahre ihr Gast sein zu wollen. Auch hatten diese die Bitte der Frau Major gewährt und erlaubt, daß ihr Töchterchen die Herbstferien bei ihrer Meta in der großen Garnisonstadt verleben könne.

Beide blieben treue Freundinnen, und nie trat ein Mißton in diese Freundschaft. Nie nahmen sie sich in kleinlicher Empfindlichkeit etwas übel, immer waren sie wahr und offen zueinander. Freundlich machten sie sich gegenseitig auf einen Fehler oder auf ein Versehen aufmerksam und besserten und veredelten sich so gegenseitig.


 << zurück weiter >>