Hans Christian Andersen
Märchen
Hans Christian Andersen

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Die Lichter

Es war einmal ein großes Wachslicht, das wußte wohl, was es war. »Ich bin in Wachs geboren und in einer Form gegossen«, sagte dasselbe. »Ich leuchte heller und brenne länger als andere Lichter; mein Platz ist auf dem Kronleuchter oder auf seinem silbernen Leuchter.«

»Das muß eine schöne Stellung sein«, sagte das Talglicht. »Ich bin nur von Talg, nur ein gezogenes Licht, aber ich tröste mich damit, daß das doch immerhin ein wenig mehr ist, als ein Küchenlicht zu sein. Das wird nur zweimal eingetunkt, ich bin achtmal eingetunkt, um meine anständige Dicke zu bekommen. Ich bin zufrieden! Gewiß ist es feiner und glücklicher, so gestellt zu sein, daß man in Wachs und nicht in Talg geboren ist, aber man bestimmt ja nicht selber seine Stellung in der Welt. Sie kommen in der Staatsstube auf den Kronleuchter, ich bleibe in der Küche; aber das ist auch ein guter Ort, von welchem das ganze Haus seine Speise bekommt.«

»Aber es gibt etwas, welches wichtiger ist als die Speise«, sagte das Wachslicht, »ich meine die Geselligkeit! Sie strahlen sehen und selber strahlen! Hier im Hause ist diesen Abend ein Ball, ich werde nun ehestens mit meiner ganzen Familie abgeholt werden!«

Kaum war das gesagt, als alle Wachslichter abgeholt wurden, aber auch das Talglicht kam mit. Die Frau nahm es selber in ihre feine Hand und trug es hinaus in die Küche. Da stand ein kleiner Knabe mit einem Korbe, welcher mit Kartoffeln gefüllt wurde, und auch ein paar Äpfel kamen hinein. Das alles gab die gute Frau dem armen Knaben.

»Da hast du auch noch ein Licht, mein kleiner Freund«, sagte sie. »Deine Mutter sitzt die ganze Nacht bei der Arbeit, sie kann es brauchen.«

Die kleine Tochter des Hauses stand daneben, und als sie die Worte hörte »die ganze Nacht«, sagte sie mit innerlicher Freude: »Ich soll auch diese Nacht auf sein, wir sollen einen Ball haben, und ich bekomme die großen roten Schleifen an.« Wie strahlte ihr Gesicht! Das war Freude! Kein Wachslicht kann glänzen wie zwei Kinderaugen!

»Das ist hübsch zu sehen«, dachte das Talglicht, »das vergesse ich nimmer, und das sehe ich wohl niemals wieder!«

Und nun war es in den Korb gelegt, unter den Deckel, und der Knabe ging damit fort.

»Wo soll ich nun hin?« dachte das Licht. »Ich soll zu armen Leuten, bekomme vielleicht nicht einmal einen Messingleuchter, während das Wachslicht in Silber sitzt und die feinste Gesellschaft sieht! Es war nun einmal mein Schicksal, Talg und nicht Wachs zu sein!«

Und das Licht kam zu den armen Leuten, einer Witwe mit drei Kindern, in einer niedrigen Stube, dem reichen Hause gegenüber.

»Gott segne die gute Frau für ihre Gabe«, sagte die Mutter, »das ist ja ein schönes Licht! Das kann die ganze Nacht hindurch brennen!«

Und das Licht wurde angezündet.

»Pfui! Pfui!« sagte es. »Das war ein garstig riechendes Schwefelholz, mit dem sie mich anzündete. So etwas bietet man dem Wachslichte drüben in dem reichen Hause gewiß nicht!«

Auch drüben zündete man die Lichter an, sie strahlten auf die Straße hinaus, Wagen mit geputzten Ballgästen rollten heran, Musik erklang.

»Nun fangen sie da drüben an«, merkte das Talglicht und dachte an das freudestrahlende Gesicht des kleinen reichen Mädchens, welches heller strahlte als alle Wachslichter. »Der Anblick wird mir nimmer wieder!«

Da kam das kleinste von den Kindern in dem Hause der armen Witwe, ein kleines Mädchen war es, die fiel Bruder und Schwester um den Hals, sie hatte etwas sehr Wichtiges zu erzählen, das mußte sie ganz leise sagen: »Wir sollen heute abend – denkt nur! – wir sollen heute abend warme Kartoffeln haben!« Und ihr Gesicht strahlte vor Glückseligkeit, das Licht fiel gerade auf dasselbe, es sah eine Freude, ein Glück, welches ebenso groß war wie in dem reichen Hause, wo das kleine Mädchen sagte: »Wir sollen heute abend einen Ball haben, und ich bekomme die großen roten Schleifen an!« »Ist es denn ebenso viel, warme Kartoffeln zu bekommen?« dachte das Licht. »Hier ist ja ebenso große Freude bei der Kleinen« Darauf nieste es, das heißt, es sprützte. Mehr kann ein Talglicht nicht tun.

Das Tisch wurde gedeckt, die Kartoffeln verspeist, Oh, wie das schmeckt! Es war ein rechter Festschmaus, und nun bekam jedes Kind noch einen Apfel und das jüngste Kind sagte den kleinen Vers her:

»Du guter Gott, ich danke dir,
heut gabst du wieder Speise mir!
Amen.«

»Habe ich das nicht hübsch gesagt?« rief dann die Kleine.

»Danach mußt du nicht fragen, und das muß du nicht sagen«, erwiderte ihr die Mutter. »Du darfst nur allein an den lieben Gott denken, der dich gespeist hat.«

Die Kleinen gingen zu Bette, bekamen einen Kuß und schliefen gleich ein; und die Mutter saß und nähte bis spät in die Nacht, um ihr Auskommen für sie und für sich zu verdienen. Und drüben von dem reichen Hause her strahlten die Lichter und erklang die Musik. Die Sterne blinkten über allen Häusern der Reichen und der Armen gleich klar und gleich segenvoll.

»Das war eigentlich ein schöner Abend«, meinte das Talglicht. »Ob wohl die Wachslichter auf ihren silbernen Leuchtern es besser gehabt haben mögen? Das möchte ich gerne wissen, ehe ich ausgebrannt bin.«

Und es dachte an die beiden gleich Glücklichen, die eine von Wachslichtern, die andere von einem Talglichte bestrahlt.

Ja, das ist die ganze Geschichte.

 


 


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