Edmond About
Die Spielhölle in Baden-Baden
Edmond About

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XVI. Nachschrift an Herrn Jules Gireaud

Erlauben Sie mir, verehrter Herr, Ihnen diese Erzählung zu widmen. Gerade in der Zeit, wo ich sie schrieb, habe ich die liebenswürdigen und ehrenwerten Eigenschaften, die Sie zieren, schätzen gelernt. Wie glücklich wären wir, wenn wir in unserm der Arbeit geweihten Leben mit jedem neuen Werke auch den Namen eines neuen Freundes verknüpfen könnten!

Aber ich muß das kaum vollendete Büchlein noch einmal aufmachen, um Ihnen eine Trauerbotschaft mitzuteilen. So eben wird sie mir gemeldet; sie kommt mir ganz unerwartet, und ich bin, wie Sie sehen, hart von ihr betroffen. Wie erbärmlich wenig ist doch der Mensch! Die kräftigste Gesundheit, der festeste Körper, der geschlossenste und regsamste Geist – kann denn das in so kurzer Zeit vernichtet werden, und durch eine so geringfügige Ursache? Armer Hauptmann! Mit seinen sechzig Jahren war er jünger als wir, die wir halb so alt sind. Alle die ihn kannten, mit Ausnahme vielleicht seines Arztes, würden ihm geraten haben, Leibrenten zu kaufen. Er war so angelegt, daß er hundert Jahre alt werden konnte, und er schmeichelte sich mit der süßen Hoffnung, noch seine Tochter und seinen Schwiegersohn zu begraben.

Alle Mächte Europas hatten mit Kanonen auf ihn gefeuert, ohne ihn zu treffen, und er war glücklich und stolz darauf, am Leben geblieben zu sein. Er selber hatte dagegen auf den Schlachtfeldern manchen Feind getötet, auch einige Freunde im Duell und seine Frau in ihrer Häuslichkeit. Zuweilen war er verwundet worden, aber nie war er krank gewesen. Nichts kam der frischen und herzlichen Munterkeit gleich, womit er im Militärhandbuche die Namen der Einfältigen ausstrich, die sich vom Tode hatten holen lassen.

Sicherlich hatte er einige Fehler und zwar recht unangenehme; aber sein plötzlicher Tod ist um so ärgerlicher, als man ihm hätte Zeit lassen müssen, sich zu bessern. Ich berechnete, daß er noch lange genug leben könnte, um ein vortrefflicher Mensch zu werden. Ich nahm mir vor, ihn in seiner Eigenschaft als Großvater zu bewundern, wenn er einen Enkel hätte, den er bis aufs Blut peitschen könnte. Armer Hauptmann! Jetzt kann er niemand mehr tot ärgern; die Thränen, die seine Kinder über seinen Tod vergossen haben, waren die letzten, die auf Erden seinetwegen geflossen sind!

Möge denn der Himmel wenigstens gestatten, daß seine Gattin mit ihm im selben Raume dort oben wohne! Ich würde mich trösten über deinen Verlust, du erzmürrischer und widerspenstiger Geist, wenn du da oben noch ein Opfer deiner Verfolgungswut fändest!

Seine Tochter war eben vierzehn Tage verheiratet. Emma und Meo waren ganz närrisch vor Glück, aber sie hüteten sich wohl, es ihn merken zu lassen, denn sie wußten aus Erfahrung, wie sehr die Lust anderer ihn ärgerte.

Mit dem Spielgelde war schon vielerlei zurück gekauft: der Titel, der Grundbesitz und die Ahnenbilder der Miranda. Das schöne Grundstück des Grafen wurde den Krallen eines Strohmannes entrissen und an ehrliche Leute verpachtet; so gab es eine sichere Rente von zehn- bis zwölftausend Franken. Der treue Marsoni hatte die Sache besorgt und sich als echter Freund bewiesen; er bot Meo sogar Geld an, seitdem dieser es nicht mehr nötig hatte.

Die junge Gräfin wurde alle Tage schöner in den Strahlen des Honigmondes. Die Frauenschönheit ist ja eine zarte Frucht; sie blüht so ziemlich überall, aber sie reift nur am Spalier; sie rankt sich empor am Gatten. Meo nahm die sichere und vernünftige Haltung eines Familienvaters an; das Glück, das die Philosophen zuweilen ausarten läßt, bringt die Thoren auch einmal zur Vernunft. Dieser Verschwender lernte rechnen; er entzog sich selber die notwendigsten goldenen Ketten und die unumgänglichsten Busennadeln, um seiner Frau einen Kaschmirshawl umzuhängen. Seine einzige außereheliche Ausgabe war der Ankauf eines schweren und prächtigen Armbandes, worauf er in Brillantenstaub das Wort: Andenken eingraben ließ. Dies war sein Hochzeitsgeschenk für Fräulein Aurelia. Herr Silivergo fand das Geschenk sehr geschmackvoll; Emma hörte nie etwas davon. Kurzum: Alle waren sehr zufrieden.

Agathe, dieses unermüdliche Wesen, teilte sich zwischen dem Hause des Hauptmanns und dem Nest des jungen Paares. Ihre Wiederkehr in die Vogesenstraße ward aber für Bitterlin ein großes Unglück. Sie war nicht böse, wie Sie ja gehört haben, aber entsetzlich beschränkt; und damit mordete sie ihren Herrn, ohne an Arges zu denken. Agathe, schon lange ahnte ich, daß deine Dummheit der Familie einen schlimmen Streich spielen würde. Agathe, wo hattest du den Kopf? was hast du gethan, Agathe!

Eines Morgens, als sie aus Leibeskräften im Zimmer abstäubte, sagte der Hauptmann, der sich allein dort langweilte, während er an der Cigarre kaute: »Ich muß gestehen, für eine Fromme hast du doch ein närrisches Handwerk getrieben.«

»Ich, Herr?« antwortete sie und nahm ihren Federbesen unter den Arm.

»Kuckuck! Du hast wohl nicht die Liebschaft meiner Tochter mit ihrem ersten Liebhaber begünstigt? Habe ich dich denn nicht dafür an die Luft gesetzt?«

»Mit welchem ersten Liebhaber?«

»Mit dem, dessen Namen ich niemals erfahren konnte.«

»Nun, jetzt wissen Sie ihn genau; das war ja Herr Narni.«

»Narni!«

»Sie glauben doch nicht, daß das Fräulein zwei Männer geliebt hat? Nein doch, Herr; das war immer nur einer. Aber der arme Herr hat hübsch Komödie gespielt, damit Sie die Pille hinunterschlucken sollten!«

Der Hauptmann sann in dieser einen Minute tiefer nach, als er in seinem ganzen Leben gethan hatte; aber ihm wurde schlecht dabei zu Mute. Mit dem Gedanken stieg ihm das Blut ins Hirn. Er sagte sich, daß, wenn der Liebhaber Emmas wirklich Narni war, dieser Bursche ihn ganz gehörig bemogelt habe; die Schweizerreise, wo er sich so obenauf glaubte, wäre eine fortgesetzte Täuschung gewesen; am Trente et quarante hätte er also nur zur Belustigung seines Schwiegersohnes, vielleicht sogar unter seinen Augen gespielt; vierzehn Tage lang hatte er ihn gesucht wie ein neckisches Wild, das in seinem Loche versteckt lag; sein Geld hätte er nur anzunehmen verweigert, um die Tochter zu bekommen, und die Tochter hätte er verschmäht, um ihn zu zwingen sie anzubieten; der Ehrenhandel, wobei er gemeint hätte eine Heldenrolle zu spielen, hätte für ihn keinen ehrenvollen Ausgang genommen; Narni, seine Zeugen, vielleicht auch Roblot und Boucart hätten sich im Gehölz von Vincennes auf seine Kosten belustigt; der Hochzeitstag hätte seiner Schande den Gipfel aufgesetzt und zweifelsohne wäre er jetzt das Gespött des 104. Regiments, vom Obersten herab bis zum Tambour.

Diese Überlegung schoß ihm mit Blitzesgeschwindigkeit durchs Hirn und er ward davon förmlich niedergeschmettert. Er sprang plötzlich kerzengerade in die Höhe und schrie mit erstickter Stimme: »Also die ganze Welt hat mich be ...«

Ohne Zweifel wollte er sagen, sein Schwiegersohn, seine Tochter, seine Magd, die Offiziere und sogar seine Zeugen hätten ihn beschwindelt. Aber er vollendete das Wort und den Satz nicht mehr, denn ihn traf ein Schlagfluß und er starb, ohne wieder zur Besinnung gekommen zu sein. Vielleicht wäre dies Unglück ihm nicht zugestoßen, wenn er den Rat seines Arztes befolgt hätte, der ihm seit langer Zeit einen Aderlaß verordnete. Das war wenigstens die Meinung des braven Doktors. Als er bei dem Kranken oder vielmehr Toten eintraf, konnte er sich nicht enthalten, einen kleinen Freudenschrei zu thun.

»Sehr gut,« sagte er. »Es ist ein großes Unglück für die Familie, aber wie sehr hatte ich recht!«

Emma und Meo trauern tief und weinen vom Morgen bis zum Abend. Diese engelgleichen Herzen werden sich vielleicht nie über ein Ereignis trösten, das ihr Glück erst ganz gesichert hat.

Ende.


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