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Zwanzigstes Kapitel

Das Leben des Donat Zurbriggen hatte kurz nach der Abreise der Ursula Dülberg zwei wichtige Ereignisse zu verzeichnen. Es war, als sollte ihm die Möglichkeit genommen werden, in die Niedergeschlagenheit zurückzufallen, die ihn am Abend nach ihrer Abreise so geschüttelt hatte.

Donat saß eines Morgens mit seinen Ratskollegen zur Beratung der Talrechnung beisammen. Es zeigte sich dabei, wie sehr seine Bemühungen um die Hebung des Fremdenverkehrs und der Erfolg Aufdenmattens als Kurort allen Kreisen zugute gekommen waren. Die Talgemeinde blickte auf ein Jahr zurück, das nicht nur den Gasthöfen reiche Ernte, sondern auch den Geschäftsleuten und der Bauersame eine namhafte Steigerung ihrer Einkünfte gebracht hatte.

»Es geht uns verflucht gut«, rühmte an diesem Tage der Gemeindesäckelmeister, der seit vielen Jahren seinem Spar- und Gefahramte vorstand.

»Wir werden es erst bei der nächsten Steuereinschätzung recht zu merken bekommen«, meinte der Talpräsident.

Aber als dann die Beratungen sich ihrem Ende zuneigten, wendete sich der langjährige, alte und angesehene Leiter der Talbehörde Hilber an Donat und teilte ihm mit, was er vorher mit seinen Kollegen und andern angesehenen Bürgern besprochen zu haben schien, daß es der allgemeine Wunsch sei, er möchte neben der Leitung des größten Hotelunternehmens auch die Führung der politischen Behörde übernehmen, sei er doch seit geraumer Zeit mit kühnen Plänen und erfolgreicher Arbeit im Dienste der Allgemeinheit vorangegangen.

»Ihr seid unser Mann geworden«, versicherte der weißbärtige Magistrat, »und ich möchte mir keinen besseren Nachfolger wünschen.«

Obgleich er längst wußte, wie sehr sein Einfluß in Aufdenmatten gestiegen war und im Grunde seit mehr denn einem Jahre im Tal das erste Wort gesprochen hatte, hielt Donat die Zeit noch nicht für gekommen, auch nach außen an die Spitze der Behörde zu treten. Er machte Vorbehalte, bekam aber zu hören, daß besonders auch Allmendinger, der immer noch als ein Bürger von großem Gewicht galt, sein Lob in allen Tonarten singe und seine Wahl befürworte.

»Ihr seid Holz von unserem Holz«, versicherte ihm der Säckelmeister. »Wenn Ihr auch ausseht wie ein Stadtherr, so könnt Ihr Eueren zähen Bergsteigevater doch nicht verleugnen.«

»Ohne Gletscherseil seid Ihr auf die Höhe gekommen«, schmeichelte der Talschreiber.

Und der greise Präses fügte hinzu: »Andere, gewandtere Leute als wir müssen Aufdenmatten künftig den guten Namen machen. Ihr seid von ihrer Art.«

Etwas Unverdientes lag Donat in dem Vertrauen, das ihm da entgegenschlug. Wieder einmal bedrängte ihn ein sehnsuchtsvoller Gedanke: Daß du doch das Geld der Schelbert mit Zins und Zinseszins aus den Betrieben von Aufdenmatten herausnehmen und seiner Bestimmung zuführen könntest! Aber er wußte, daß das noch Jahre und Jahre würde anstehen müssen. Dennoch erklärte er sich halb und halb bereit, an der nächsten Talgemeinde für den Posten des Ammanns zu kandidieren.

Im Laufe der weiteren Besprechung kam der Säckelmeister abermals auf Allmendinger zurück und sagte: »Ja, ja, der Großrat – bei dem habt Ihr einen mächtigen Stein im Brett.«

»Nicht nur beim Vater«, scherzte dann Hilber.

Donat ging ein Licht auf. Er hatte längst gemerkt, daß Rosmarie und ihre Mutter ihn mit wohlgefälligen Blicken betrachteten. Aber die Öffentlichkeit schien schon mehr zu wissen als er selbst. Und auch der Weg vom Direktor zum Anteilhaber des Allmendingerschen Unternehmens und in seine Familie hinein schien frei zu sein! Ihn schwindelte ein wenig vor seinem Glück.

Bald nachher gingen die Räte auseinander, eine Schar miteinander zufriedener Menschen. Hilber und der Säckelmeister, die den gleichen Heimweg hatten, unterhielten sich von Donat und nannten ihn das Produkt einer guten Blutmischung, sei er doch eines Einheimischen und einer Auswärtigen Sohn. Man merke ihm an, daß er einen zähen Vater und eine ehrgeizige Mutter gehabt.

Donat seinerseits schritt seines Weges allein. Er hätte auch eines Begleiters wohl kaum geachtet; denn es liefen so viele Gedanken mit ihm und schwatzten auf ihn ein, daß er nicht zu sich selber kam. Er trug gleichsam sein eigenes Geschick in seinen Händen und beschaute es von allen Seiten: Der ehemalige Kellner, der Sohn des armen, lahmen Bergführers Zurbriggen, stand im Begriff, der erste Mann von Aufdenmatten zu werden! Hei, wie hatte er vor Zeiten an dem Gewaltsmann, dem Allmendinger, hinaufgesehen! Nun stand er im Begriff, ihm nachzurücken, vielleicht über ihn hinauszusteigen! Er hatte Glück! Er durfte die Hand nach dem Ungewöhnlichsten ausstrecken.

Fast unbewußt war er jetzt von der Straße wieder abgekommen und hatte den Seitenweg genommen. Nach dem Ungewöhnlichsten, spintisierte er weiter, und plötzlich fiel ein kleiner Dämpfer über seinen Triumph. Er dachte an Ursula Dülberg. Zu der hatte sein Weg nicht hingefunden. Und wenn es selbst jetzt noch ihn fortriß, irgendwohin, der blonden Ursula nach, das mußte er wohl einsehen, daß er zu dem Ziel nicht kommen werde. Also – Rosmarie!

Donat sah jetzt Allmendingers Tochter deutlich vor sich. Und prüfte in Gedanken ihre Erscheinung. Nicht häßlich war sie! Manche würden vielleicht sogar sagen, es könne sich einer Glück wünschen, sie zu bekommen, mit ihrer feinen, zierlichen Gestalt, ihrem ein wenig zurechtgemachten hübschen Gesicht, bei dem die Puderbüchse eine für eine Aufdenmatterin ungewohnte Rolle spielte! Warum aber erschien sie ihm, Donat, gerade jetzt wie ein Storch, der auf steifen Beinen hüpfend sich vorwärts bewegt? Warum fiel ihm gerade jetzt ein, wie ihr Gang sei auch ihr Charakter, sprunghaft, geziert? Warum erkannte er so deutlich, daß manches, was jetzt noch und solange sie jung war, an Rosmarie vergnüglich war, später, an der alternden Frau, schwer zu ertragen sein würde?

Donat machte sich völlig klar, daß er in Rosmarie nicht verliebt war, daß er zuweilen sogar einen leisen Schrecken vor ihr empfand. Aber gleich darauf sah er sie in einem andern Licht. War sie nicht eine Art Brücke zum Höherkommen? Brachte sie ihm nicht als Eigentum zu, was er bisher nur als bezahlter Leiter verwaltet hatte: das Hotel Ewigschneehorn? Nun war ihm der Gedanke, daß Rosmarie und er ein Paar werden sollten, daß die öffentliche Meinung sie gleichsam schon zusammengegeben, gar nicht mehr so unsympathisch.

Der Weg bog um eine Wiesenlehne. Jetzt stand der ganze Allmendingersche Besitz vor Donats Augen. Da war es, als fielen Bedenken wie lästige Hüllen von ihm ab. Die entschlossene Stimmung kam wieder über ihn, in der er schon oft wagemutig einen Sprung vorwärts getan, in der er sich selbst gleichsam wie ein Ball weit in die Zukunft schleuderte. Die Rosmarie war ihm jetzt nur Mittel zum Zweck. Wenn sie helfen konnte, gut, würde er nicht mehr lange zaudern. Die alte Energie war wieder wach, die ihn aus dem Grübeln riß und auf Tatsachen wies. Und Tatsachen nahmen ihn sogleich in Anspruch. Von hinten ins Haus tretend, begab er sich in die Küche, besprach mit dem ersten Koch die Speisenfolge des Tages, besah die neu angeschaffte Kaffeemaschine, warf einen Blick in den Nebenraum, wo ein neuer Geschirrabwaschapparat in Betrieb stand. Durch den Flur weiterschreitend, rief er einen Pagen ins Lesezimmer und hieß ihn die verstreut umherliegenden Zeitungen zurechtordnen.

Ein wenig später stieß er auf Rosmarie, die im Begriff war, in das kleine Privatzimmer zu treten. Sie schaute ihn an und stellte sich erschreckt: »Hu, machen Sie ein böses Gesicht!«

»Nur das Amtsgesicht«, lächelte er.

»Sie sehen manchmal aus, als ob sie die armen Dienstboten fressen wollten,« antwortete sie.

»So viel Appetit habe ich nicht«, scherzte er zurück.

Inzwischen hatten sie beide das Eßzimmer betreten. Rosmarie machte eine ernstere Miene. »Vielleicht muß das so sein, daß man grimmig in die Welt schaut«, meinte sie weiter. »So klein Sie sind, so groß ist der Respekt beim Personal.«

Das Lob tat Donat wohl; und er wußte, daß er es verdiente. Aber es machte ihm vor allem Eindruck, daß sich mit Rosmarie auch ein ernsthaftes Gespräch führen ließ. Er entgegnete: »Die feste Hand tut es mehr als das böse Gesicht. Und die Leute müssen fühlen, daß man weiß, was man will.«

»Das wissen Sie allerdings«, lobte Rosmarie weiter. Sie hatte sich gegen das Fenster zurückgezogen und stand ans Gesimse gelehnt, wie immer modisch gekleidet; unterm dunkeln Kleid leiteten hellseidene Strümpfe zu zierlichen, hochstöckligen Schuhen über.

Donat gefiel dergleichen. Er fand sie hübscher als bisher. »Ich dachte nicht, daß Sie darüber nachdenken würden«, gestand er.

Da wurde sie ein wenig sentimental. »Ich denke mehr über Sie nach, als Sie glauben«, erwiderte sie leise. Sie war über beide Ohren in ihn verliebt, war es so sehr, daß ihr spielerisches Wesen fast einen Anflug heiligen Ernstes gewann.

Er näherte sich ihr und wußte genau, was er tat: Er stand jetzt im Begriff, sich mit der Tochter Allmendinger zu verloben! Es machte ihm fast Spaß, sich völlig klarzumachen, daß er jetzt wieder eine Leiterstufe höher steigen wollte.

»Sie machen sich aber ja nichts aus mir«, klagte Rosmarie ein wenig geziert.

»Vielleicht doch«, schmeichelte er und streckte ihr die Hand hin.

Da hüpfte sie ihm mit einem kleinen, seufzerhaften Schrei an den Hals.

Sie küßten sich. Donat tat es, wie man eine Marke anfeuchtet. Und noch eine. Man macht Briefe zum Versand fertig. Eilig. Ohne sich viel dabei zu denken.

Dann klopfte jemand an die Tür.

Auf Donats Herein meldete ein Page, im Kontor drüben warte ein Fremder auf ihn.

»Wer ist es?« fragte er.

Der Bote wußte das nicht.

»Wie sieht er aus?« fragte Donat wieder.

Der Bote besann sich und antwortete lächelnd: »Vielleicht ist es ein Kellner, der um eine Stellung frägt.«

»Ich komme«, beschied ihn Donat. Und als der Bote schon hinausgegangen war, fragte er Rosmarie: »Willst du es Vater und Mutter sagen?«

»Ja, ja«, versicherte sie und war wie ein kleiner, explosionsbereiter Feuerwerkskörper, aus dem schon Funken sprühen.

Donat winkte ihr mit einer ein wenig luftigen Bewegung der Hand zu, mit den Gedanken schon beim nächsten Geschäft. Dann verließ er rasch das Zimmer und begab sich ins Kontor. Ein Kellner wartete, fuhr es ihm unterwegs durch den Sinn. Und plötzlich kam ihm etwas vor den Atem. Aber er hatte nicht Muße, sich auf das Warum zu besinnen.

Im Kontor saß ein Mann, den Rücken der Tür zugewendet. Allmendinger war heute ins Tal gefahren. Der Fremde war allein. Er stand auf, als Donat eintrat.

Richtig, ein Kellner, dachte dieser, während er einen Blick auf den Besuch warf.

Der andere war nett gekleidet, schlank, nicht alt, behend. In seinen Bewegungen lag jenes sonderbare Etwas, das den an Bücklinge und höfliche Worte gewöhnten Aufwärter verriet.

Jetzt erst sah Donat etwas näher zu. Etwas zuckte in ihn hinein: Das schwarze Ringelhaar, das Stutzergesicht – Henry! Gleich darauf freute er sich, den andern wiederzusehen. Er war wie ein Stück sieghaft überwundener Zeit. Er war immer ein netter Kamerad gewesen! Aber plötzlich fiel es wie schwarzes Tuch vor seine Augen. Henrys Gesichtsausdruck erinnerte ihn an die Tatsache, daß er ihm vor Jahren entwischt war, daß er lange Zeit kein Bedürfnis gehabt, ihm wieder zu begegnen.

Henry drehte einen runden, steifen Filz in seinen Händen und machte eine fast unterwürfige Verbeugung.

»Du?« sagte Donat, noch ehe der andere sich darüber klargeworden war, ob er es bei der früheren vertraulichen Anrede bewenden lassen durfte.

Henry vermied auch jetzt noch die direkte Anrede und erwiderte: »Ja, ich bin hier.«

»Du wußtest also, daß ich hieher zurückgekommen war«, sprach Donat ins Blaue hinaus.

Henry lächelte jetzt. »Man erfährt manchmal doch, was man nicht wissen soll«, antwortete er.

Donat biß die Zähne zusammen. Einen Augenblick machte er sich, ohne zu wissen, was er entgegnen sollte, an seinem Pult zu schaffen.

»Ich möchte hier Arbeit suchen«, erklärte Henry weiter, und sein Ton wurde in dem Maße bestimmter, als er aufhörte seinen Hut zu drehen. Er legte diesen ohne weitere Einladung auf den nebenstehenden Tisch.

Donat überlegte. Und schon stieß ihm eine Möglichkeit auf, die ihm bequem schien. »Das findet sich vielleicht«, gab er zurück, »wenn auch nicht bei uns. Wir sind voll besetzt.« Dann, in einer Eile, die ihm selber weh tat, fuhr er fort: »Ich will – ich kann vielleicht einmal nachfragen und dir Bescheid sagen.« Zuletzt fragte er: »Wo wohnst du denn?«

Henry nannte eine kleine Pension mitten im Dorf, die ein paar Zimmer zu vermieten hatte. Plötzlich fügte er hinzu: »Ich habe auch zwei Damen bei mir.«

Donat verlor die Farbe. Er fühlte es selbst. Es war, als sinke ihm alles Blut in die Füße. Und er wußte auch, daß er alles, was jetzt kommen würde, vorhin auf dem kurzen Herweg durch den Flur vorgeahnt hatte.

Henry sprach schon wieder. »Ich bin eigentlich mehr ihret- als meinetwegen gekommen.«

Und dann: »Du wirst froh sein! Jetzt brauchst du nicht weiter zu suchen. Ich bringe dir Frau Schelbert und ihre Tochter.«

Donat nahm sich zusammen. Ruhig Blut, sprach er sich zu. Dann, sich selbst gleichsam gegenübertretend, fragte er sich: Was war denn schließlich geschehen? Henry hatte recht: Er brauchte nicht mehr zu suchen! Plötzlich wurde ihm heiß. Das Geld fiel ihm ein. Es gehörte nicht mehr ihm. Er würde es nicht haben, wenn man es von ihm forderte. Aber vorhanden war es doch, tröstete er sich. Natürlich war es vorhanden! Wieder riß er sich zusammen. Mit einem Blick auf die Glasfenster des Kontors, durch die jedermann sehen konnte, was darin vorging, forderte er Henry auf, mit ihm in den anstoßenden Raum, sonst Allmendingers Reich, zu treten.

»Wo hast du sie gefunden nach so langer Zeit?« erkundigte er sich dort ein wenig atemlos.

Es blieb Henry nicht verborgen, wie erregt Donat war, und die Entdeckung erhöhte seine eigene Sicherheit. Sein früherer Verdacht verstärkte sich: Die beiden Frauen waren Donat unwillkommen! Er hatte also wohl kein ganz reines Gewissen! Er, Henry, fühlte sich jetzt wie ein Polizist, ein Mann der Gerechtigkeit, und gefiel sich in der Rolle. »Die Welt ist winzig«, begann er, den andern scharf beobachtend, zu erzählen. »Man stolpert unversehens übereinander. Hättest du das für möglich gehalten? Ich bediene in einem Hafenrestaurant in Frankreich. Und ausgerechnet dort und ausgerechnet an meinen Tisch setzen sich die Schelberts, nach denen du ein paar Monate lang umsonst durch die Zeitung gesucht hast.«

Donat ließ sich nieder. Die Beine trugen ihn nicht mehr recht. Aber er beherrschte sich noch immer. »Sie hatten also von meinen Inseraten keine Kenntnis?« fragte er scheinbar gelassen, während seine Gedanken hinter den Möglichkeiten her waren, die die Sachlage schuf.

»Gewiß hatten sie«, erwiderte Henry. »Du warst nur schon über alle Berge, als sie davon erfuhren.«

»Wo kann ich sie sprechen?« fragte Donat. Er glaubte jetzt den Weg zu wissen. Er hatte etwas Unerlaubtes getan! Aber es war ihm jetzt fast leichter zumut als bisher. Er wollte lieber Rechenschaft ablegen, als noch länger die Angst vor Entdeckung mit sich herumtragen. Die Frau würde doch wohl einsehen, daß er sie im Grunde nicht hatte hintergehen wollen.

Inzwischen antwortete Henry: »Die Frauen warten nur. Ich brauche sie nur zu holen. Wann immer es dir recht ist.«

»Gleich«, entschied Donat kurz und sagte es, ohne zu wissen, wie er sich zunächst zu benehmen habe. Möglichkeiten umtanzten ihn wie närrisch gewordene Teufel: Die Frauen würden kommen! Er würde mit ihnen reden! Vielleicht am besten zuerst mit Frau Schelbert allein! Allmendinger würde dann wohl noch nicht zurück sein! Aber vielleicht, während die Schelbert bei ihm saß, würde seine Frau hereinkommen und sich wundern, wen er bei sich habe. Vielleicht auch Rosmarie!

Jetzt verwirrten sich die Dinge in Donats gequältem Gehirn: Rosmarie! Haha, es gab vielleicht heute noch eine Verlobung. Und – und Ursula! – Und – der Vater und Anschi! –

Henry stand noch unentschlossen da. »Also – gleich herbeiholen soll ich sie?« erkundigte er sich noch einmal.

»Ja doch«, bestätigte Donat unwirsch und aufs Geratewohl.

Da ging Henry kopfschüttelnd; er wurde je länger desto weniger klug aus Donat. Aber dann beeilte er sich und war mächtig gespannt, was bei all dem herauskommen werde.

Donat, verstört und dann fast mechanisch irgendeine Handlung beginnend, holte das Hauptbuch herbei. Mit laut klopfendem Herzen begann er darin planlos zu blättern. Große Summen standen da: Posten für Sportanlagen aller Art, noch nicht amortisiert. Andere für Verbesserungen im Hause! Soviel Tausende hatte die Propaganda der letzten Jahre gekostet! Und aus diesen Beträgen waren die Verpflichtungen Allmendingers gedeckt worden, um deretwillen jener ihn, Donat, ins Geschäft genommen. Alles das schwebte! Alles das würde im Laufe der nächsten zwanzig Jahre ausgeglichen worden sein! Zwanzig Jahre! Eine lange Zeit! Und stand die Frist so ganz fest? Und woher nahm er das Recht, so lange das fremde Geld seinen Zwecken dienstbar zu machen!

Wie ein Felsblock sauste jetzt die Erkenntnis auf Donat herab, daß er mit ungewissen Faktoren gerechnet hatte. Aber auch seine Entschlossenheit kehrte zurück und sein Glaube an sich selbst. Hatte er denn nicht schon vieles erreicht? War er nicht auf dem Weg hinauf, höher hinauf noch? Und nun wollte man ihn hindern! Er blätterte und blätterte. Er machte Notizen, rechnete, besann sich.

Da ging die Tür auf. Rosmarie steckte den hübschen Kopf durch den Spalt. »Schatz!« flüsterte sie, stand auf den Zehen und machte Miene, hereinzustelzen.

»Es kommt gleich jemand«, warnte er hastig.

Da zog sie willig die Tür wieder ins Schloß und verschwand.

Er lehnte sich in den Stuhl zurück und schluckte den Schrecken hinunter, den Rosmaries Auftauchen ihm eingejagt, und wieder raffte er sich auf: Beiß die Zähne zusammen! Suche mit der Schelbert ins reine zu kommen!

Bald darauf kam Henry mit seiner Begleitung an.

Donat empfing sie im Kontor. Die stille Frau Adrienne gefiel ihm. Er mußte an Charles denken. Der hatte sie sehr geliebt! Der war selbst ein liebenswerter Mensch gewesen! Die Luc sagte ihm weniger zu. Und plötzlich wurde er gewahr, daß Henry und sie in engem Einverständnis standen. Er witterte dringende Gefahr. Dann sprach er ein paar schickliche Worte, er freue sich, den Damen endlich zu begegnen. Und darauf bat er Frau Schelbert allein zu sich in den Nebenraum.

Henry und die spritzige Luc wollten Einwände erheben, aber Donat hatte schon die Tür für Frau Adrienne geöffnet. Seine Sicherheit entwaffnete für den Augenblick die beiden andern.


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