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Einbrüche in die Schafherde

Mit Lauer, Angriff und Beute wächst Nicolae weiter in den Sommer hinein, den regenschweren Sommer, da in Windwurf und Brandkuhle Eisenhut, Glockenblume, Maßliebchen und Kreuzkraut tief in die nassen Grasschwaden hangen. Er steht in verschworenem Bunde mit dem zerschlissenen Zigeunergelump des Höhengetriebes, den Nebeln, den Alleswissern, Späher und Kündern, die sich in jede engste Lücke eines Latschenbusches hineinstehlen. Und in angstgeduckter Wehr erschöpft der Hirte seine letzten Kräfte gegen diesen fürchterlichen Räuber und Schänder der Herden.

Dessen Tollwut und Verwegenheit geht nun schon so weit, gar bei hellem Monde mitten im entwickelten Aufmarsch sämtlicher Beller der Sennhütte quer über die freie Alm anzurücken und sich, entgegen dem Schlachtgeheul und Knüttelwuchteln der Hirten, mit Gebrüll in die stiebenden Jährigen zu werfen und sich das erste beste Schaf zu nehmen. Wehe dem übereifrigen Verteidiger seiner Habnis, wenn er es wagte, dem Räuber zu nahe an die Pelle zu rücken!

Schafschur ist. Die Arbeit an den eng versammelten Wollegebern zieht sich bis spät in die Vollmondnacht hinein. Noch müssen die Jährigen von dem zutiefst der Alm gelegenen Schurplatz hoch hinauf zur Lagerstelle am Krummholz getrieben werden. Die Hirten benützen den Trieb, um den überhungerten Tieren im langsam schiebenden Wandern Zeit zum Nachholen der versäumten Weide zu lassen. Alle Hunde folgen in wachem Umflügeln mit zeitweiligem Geknurr der Herde. Der Ausblick zeigt über die ganze schattendurchjagte baumlose Alm. Die grad zur Stirn wehende Luft ist rein; die Gefahr ist ja im Dunkel des Waldes ansässig. Dort unten am Schurplatz ist auch, ohne daß es jemand gewußt, ein einzelner Hund in geruhigem Schlaf zurückgeblieben.

Die Herde zieht leise läutend, als fürchte sie, die Nachtstille zu brechen, in gedrücktem Bangen dahin. So um Mitternacht ist die halbe Entfernung auf der überragenden Kuppe erreicht. Die beiden Hirten, der mit der Flöte in der Führung, der andre im Nachhang, verhalten eine Weile zu kurzer Rast und stützen sich, froh, dem Einbruch des Räubers für heute entronnen zu sein, gegen den drückenden Niederzug des Pelzes mit dem Kinn auf ihre Knüttel. Tief ausschöpfend legen sich die Hunde in das Gras. Weithin zu seiten des Bergfirstes fließt mählich das fahle Gelände ab.

Plötzlich schlägt unten der Hund an, wird standlaut, nähert sich, deutlich vernehmbaren abgerissenem Dreischlag auf der Spur der Herde. Die Hirten erschauern. Sämtliche Hunde fahren auf und stürmen einfallend der angezeigten Gefahr entgegen. Wütendes Wehrgekläff – stetes Vordringen. Er kommt! Jeder Hirte behält in düsterer Bangnis seinen Stand. Allein steht er nun, ganz auf sich allein gestellt. Da trottet, gut sichtbar, flankiert von krimmelndem Weiß der Hunde, riesenhaft vergrößert durch die niedere Umgebung, der Schwarzklotz heran. Er hat Um und Auf deutlich im Windfang. Der Hirte flieht nicht, er muß ja seine Herde decken. Mit Aufwand äußerster Stimmkraft wirft er sich dem Räuber entgegen. Der stutzt, schlägt einen Bogen, um an der Spitze anzugreifen. Dort springt ihm aufgeisternd breit und laut der andre Hirte entgegen. Die Schafe prellen zurück. Nicolae besinnt sich, schwenkt herum und trottet, von den Hunden begleitet, der Herde voraus. So oder so; er hat noch andre Möglichkeiten; der Scheinangriff wird sich noch lohnen! Oben bei der Lämmerherde hat man ihn sich bereits gedeutet. Weiter hinauf führt sein Trott, immer auf blasser Höhe. Die bei der Lämmerherde beginnen schon zu lärmen. Alle Hunde brechen los; und er, Nicolae, dringt, umringt nun von sämtlichen Hunden der Alpe, unaufhaltsam vor. Er ist bis zum äußersten aufgebracht. Der Hund soll sich hüten, der ihm an den Pürzel kommt! Hier hat Nicolae Reichweite. So wie er ist, mit Schar und Getön, bricht er ein. Da nützt kein Verzweiflungsschrei, kein Wutausbruch. Die Herde flüchtet, er nach, reichnah am Hirten vorbei; ohne Umstände schlägt er ein Lamm. Die Herde flutet im Sturme fort. Er aber trottet, keuchend, langsam, mit dem Lamm im Fang die fünfzig Gänge bis zum niederströmenden Krummholz und verschwindet in der schwarz aufzüngelnden Schlangennacht ...

 

Selbst die kühnsten Hirten ertragen auf die Dauer nicht mehr Nicolaes Einbrüche. Ewig Furcht und Schrecken, volle Verantwortung und Buße für unnachweislichen Schaden im Getier, Angst für das eigene Leben – das geht an die Nerven auch des härtesten Hirten. Tag für Tag kommt der Bär, einmal zur Sennhütte, ein andermal zu den Lämmern, und so im Bogen zu sämtlichen Herden im Alpenumkreise.

Nun pflanzt sich schließlich doch von irgendwoher ein alter Karabiner mit vier Magazinen voll Geschossen gerade bei jener Herde der Jährigen auf, die Nicolae im Nachtgange verfolgt hatte. Es vergehen nicht zwei Nächte, und Nicolae nimmt sich wieder mit ganzer Selbstverständlichkeit und roher Gewalt ein Schaf und trägt es in das ungeheure Krummholzmeer hinein.

Da geht das Böllern los.

Nicolae erschrickt anfangs in Erinnerung an frühere Zeiten und äugt horchend nach den beiden Hunden, die ihm in das Gestrüpp gefolgt sind. Doch zwischen ihm und dem Geknatter ist ein breiter Schutzstreifen. Noch ein Schreckschuß. Brechend und Äste schwenkend nähert sich mit Gebrüll der Schießer. Die Hunde verweisen ja deutlich die Stelle, wo Nicolae das Schaf frißt. Er nimmt es wütend auf und trägt es fünfzig Gänge weiter; er sieht, er wird verfolgt. Aber sein erworbenes Eigentum jetzt im Rausch des Blutes wegwerfen – nein! Immerzu kläffen ihm die Kerle um Stand und Beute. Er reißt, daß die Fetzen fliegen. Die Äste peitschen und winseln. Kriegsgeheul bricht heran. Aufgellend ein Schuß. Nicolae zuckt zusammen, doch er fühlt sich heil. Er schlägt in das Fleisch, trägt es weiter und fetzt und würgt. Hell schwimmt der Mond über dem Krummholz. Die Hunde reißen angefeuert Standlaut. Wieder wehen die Latschenschmicken, wieder fährt ein Knaller auf, wieder decken ihn, Nicolae, vor jeglicher Gefahr die grünen Besen. Er weicht jetzt nicht. Noch ein mörserhafter Krach, der Nicolae beleidigt. Er hebt die Beute auf und bürstet weiter. Immer noch verbellen die Hunde, immer noch bricht und klettert durch das Teufelsgedick und -gestrick der Hirte nach, immer noch schmettern die Schüsse, und immer noch läßt er die Beute nicht, jetzt erst recht nicht. Schon muß der Hirte am Stand dreimal feuern, um den Räuber um einige Gänge abzuschieben. Das geht hoch in die wilde Wirrnis der Legföhren hinauf, eine Wildnis, am Tage fast undurchdringlich, nun aber in Eifer, Erregung, Ansporn und Mut sonder aller Beschwernis für die Keilwut der vorwärtsstürmenden Hirtenleiber.

Erst als Nicolae den letzten Rest des Schafes in steter Störung aufgefressen hat, als schon fünf Schuß hintereinander sich hinausrepetieren, entzieht er sich dem weiteren ohrenzerreißenden Geboller, denn nun hat er ja seine Beute in Sicherheit; und schließlich ist ihm die Knallerei doch äußerst ungemütlich, die laute Protzerei ein Ekel. Aber gelernt hat er, daß Schüsse hinter Gestrüpp und Dunkel ungefährliches Aufsehen sind, das ihm nicht schadet, andern nicht nützt.

So haben ihn also die Hirten auch auf Schüsse gut eingeführt: Seither fürchtet er keine Pafferei mehr hinter johlendem Hauf im Dunkel der Nacht. Gegen Schutz und Trutz, Gebrüll und Schuß bricht er in die Herde ein, am besten und sichersten dort, wo es am lautesten auftönt.


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