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Winterhöhle

Drohendes Schauergewölk, wolfsgrau und dumpf, hatte angezeigt. In fahlem Dunst duckten sich die gekrümmten Rücken der unzähligen Bergwellen der Südkarpathen. Manch spitze Hochgipfel erwarteten trotzig und ungebeugt das ewige, alte Los der Überragenden. Sie trifft es ja zuerst und am schwersten.

Da war der Eissturm über sie hereingebrochen, und es fuhr die Eilung auf sie zu, stülpte ihnen die Tarnkappe um die Häupter, stürzte sich, die flatternden Schleier mitraffend, heulend in die Felsschründe, schlug sich mit Hall in den Wald, krachte im Widerpart die älteste Riesenfichte über den Fels in die Tiefe und orgelte und röhrte und schüttete Schneeschwaden drei Tage und drei Nächte um die trutzigste der Felsfesten, in deren schwarzen Schlund kein Mittagsstrahl der Wintersonne zu dringen vermochte. Die Größten trifft es immer zuerst, und so hatte es auch den Bären getroffen, den Herrscher des Urwalds, und seinen Nacken unter das Eisjoch gebeugt.

Als es geschehen, als unter der Wucht der eigenen Last die trägsten der Staublahnen in den Abgrund gedonnert waren, da nahm das Gewüt ab, und in Fesseln und Kerker geschlagen schliefen Eiskogel und Bär – indes in der Niederung die Talhügel mit Faschingsscherzen und menschlichen Kurzschlüssen feierten, Fuchsbetze und Wieselfeh ranzten und alles Raubzeug um die Ecken war – ihren einsamen Winterschlaf der Entsagung und Entbehrung. Die Eisspitzen hatten ihre erstarrende Kälte über die Hänge gefällt, und in der Hausung des Bären war der Herzpuls auf den Gefrierpunkt gelangt ...

Starre Wintertage schlafen, Grabstille und -ruhe träumen. In ihren Abgrund tropft das helle Pickelgepoche des Schwarzspechts als einziges Zeitmal eines Uhrzeigers durch die klingende Höhenluft. Irgendwo verlorener Eishall berstender Buchen. Aufdonnern von Urgeflügel – sonst stört nichts den Winterschlaf dieser Bergwelt. Flaumzart hängt Schneegesprenkel auf Moos und Wetterfichte der Felswand, die gegen Sonnenaufgang ihr Antlitz beut. Kaum eine Brustbreite vor ihr zinkt sich ein Splitterfels an und deckt die senkrechte Wandtafel vor Wind und Licht. Wie abgeschritten in der Mitte des Zwischenraumes verschwindet ein Loch in ein unterirdisches Gelaß, das sich im Innern des Felsens verliert. Welch köstliches Zufallswerk der Natur! Da ruht tief in den warmen Schoß des Felsens genistet, von keinen Daseinsoffenbarungen belästigt, eine längliche Zelle, so groß, daß ein erniedrigter Bär sich urgemütlich strecken, recken und erheben kann, ohne an Stein zu stoßen. An der Stirn der behäbigen Gruft knickt quer ein waagrechter Stollen von doppelter Bärenlänge ab, bricht dann um und findet nun über klimmende Stufe die freie Luft zwischen Wand und Splitterfels. Die Hochburg der Bärin!

Welch herrliche Winterpracht um diese steingepanzerte Feste! Zu Häupten die senkrechte Wand, von keinem Strauch noch erklommen. Darob die Mauer der staunenden Fichten. Zu Fuß des Schlupfes stürzt der Splitterfels in wilder Fallsteile in die Speerspitzen des Fichtenabgrundes bis zur rauschenden Taltiefe, wo die Sennhütte steht, ein Bild traulich-stiller Friebensandacht.

 

In vertrauter Sicherheit schlafen Burghof und Burgfrau; zur Reife schwillt die Frucht des Bundes, den sie im Wonnemond mit dem Burgherrn geschlossen. Der war vor der Einfahrt in die Winterfeste am drübigen Hang in das hinterlistige Eisen geraten und hatte, todwund von gestückeltem Blei, dem ruchlosen Freihenker den Skalp vom Kopfe gestülpt, Rächer zwanzigfachen Mordes.

In diesem Zeichen wird mit zweien seinesgleichen zu Hornungs Beginn sein Sohn geboren.

Zu tritt liegen die Jungen da, blind noch für diese Welt, drall, braungekräuselt, klein wie Ratten, und zulpen begehrlich den dünnen, aber um so nährkräftigeren Mutterstrahl. Sie überwälzen sich in leisem Schnurren unter der Wärme der pennenden Bärin auf weichem Moos, während durch die Harstdecke am Einschlupf kein harter Eisduft den Weg durch die zwiefach gezickzackte Einfahrt findet.

Hornung, da der edle Hirsch die veraltete Fechtwaffe in den Schnee wirft, um durch frischknospende Wehr die Wiederkehr der ewigen Verjüngung zu begehen, dem Baume gleich, der auch nur abgeworfen hat, um neue Äste zu schieben, mehr als im Vorjahr, zu wachsen, zu blühen, zu welken, zu gilben und sich wieder zu erneuern. Hornung, da über Donnerschlünden der Goldadler seine Kreise spinnt, spähend nach gleichem Kreiselspiel zur Einigung gleicher Gesinnung; Hornung, da über Nacht der Frost fällt, in der Winterfrühe der Otter, müd von der Ranz, in den Einstieg untertaucht und versonnenen Mittags in brutwarmen Tümpeln geil die ersten Frösche knurren; Hornung, da unter der Strahlenkraft aufsteilender Sonne Wolkenwälder von hundert glühenden Schneebäumen treiben – Hornung, die alleinsame Mutterzeit des größten Tierhelden Siebenbürgens, pflanzt auch dem Bären frische Reiser auf der Hochwildbahn im Karpathen-Urwald.

Mutterzeit ist, und draußen steht hart die flimmernde Kälte, liegt weich der Staubschnee, und es gebricht an jeglicher Nahrung für eine Bärinmutter, die des Wurfes halber und wohl auch der stets dräuenden Gefahr wegen nicht ausziehen darf in ferne Taltiefen, wo vielleicht schon an aperem Steilhang ein grüner Grashalm, eine süße Wurzel, eine Maus im Modermulm oder gar ein Bilchgeheck im brandgehöhlten Buchenbauch etwas aushelfen könnten zur Streckung der eigenen Feistzehrung. Da ist immer noch Ruhe, Vermeidung von Bewegung und Arbeit, Schonung der Glieder, und Schlaf, guter lieber Herrgottsschlaf, das beste Mittel, über Hunger, Abkommen und Langweile dieser selbstgewählten Gefangenschaft in die freigiebigen Zeiten hinüberzuleiten. So gleicht denn die Bärin den Mangel an Ersatz aus durch Mangel an Rührigkeit und Sinnenübung. Träge döst sie vor sich hin, gähnt dazwischen so einmal nach jedem Saugwechsel der Jungen, um den Gebrauch des Fangzeugs nicht gänzlich zu vergessen, ohne aber dabei zuviel an unnötiger Arbeit zu leisten, lutscht einmal an der abschuppenden Vordersohle, dann an der andern, leckt den eigenen Pürzel, dann den der drei Jungen, schubbert sich mit der Hinterbrante gegen lästiges Gebeiß, bewittert das Geheck, knautscht dessen Gewölle nach Ungeziefer ab, dehnt und reckt sich und grient dann wieder eingenestelt schnarchend vor sich hin, indessen das Dreikleeblatt in der langen Schummerzeit wohlig surrend, eingeschmiegt in den Samtpelz der Alten, genüßlicher Schlabberei frönt.


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