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Drittes Kapitel

Aber schon ging Licht auf, spiegelnd in Glas. Eine gelbrote Sonne, in Dunst verhangen, strahlte von oben herab, durchstach, zum Schreien reizend, Olgas Hände, die schützend vor den Augen lagen. Die Nachtlaterne hing schaukelnd an der Decke. Hinter ihr glitzerte ein Fenster, in die Decke eingelassen, durch das der Gendarm lauernd herabspähte, von oben alle Weiber zugleich sah, alle mit strengen Blicken umfaßt hielt.

Böse trampelten seine Schritte auf der Decke.

Die Nacht begann mit schaukelndem, taumelndem Licht; mit knarrenden Schritten gerade über Olga. Leise nur zischten neben ihr aus den Betten die Stimmen der Nachbarinnen, halb verschleiert, halb verborgen, weil das Stampfen an der Decke die Worte erstickte.

»Ich weiß, die Olga ... Uns hat man gebadet, eine Olga nicht.«

»Wer riecht denn so fürchterlich? Vielleicht die andere, die nebenan liegt?«

»Ich muß den Geruch kennen: wildes Schwein.«

»Das zahmste Schwein von der Welt. Olga, Michaleks Frau...«

»Für solche Weiber müßten eigene Striegel erfunden werden, Drahtbürsten am besten. Im Hofe draußen müßten sie ausgehängt werden, wie ein Teppich zum Lüften.«

»Aber die hat alle bestochen. Allerhöchste Protektion. Zuerst hat es geheißen: Mord an der Prostituierten Mizzi, deshalb Tod durch den Strang in acht Tagen, dann waren die acht Tage um, da hat man ihr verziehen, nur lebenslänglichen Kerker, aber jeden Tag Dunkelarrest und jeden zweiten Tag Fasten. Und die Hölle nachher, denn oben gilt keine Protektion.«

»So eine Person darf neben mir liegen. Das hatte mir früher einer sagen sollen, an dem Nasenknochen hätte ich ihm meinen Sonnenschirm zerbrochen!«

»Das ist kein Spaß.«

»Ist das kein Spaß, was ist dann noch Spaß?«

»Aber die Olga ist es nicht, die ist am büßenden Weg. Die regt sich nicht mehr, die andere ist es, die neben ihr liegt, das Bauernmensch, das verblödete.«

 .  .  .  . 

»Was für Strümpfe?«

»Champagnerstrümpfe! Die Farbe ganz wie Champagner und reine Seide, natürlich. Einen Gummimantel habe ich auch getragen, Glacehandschuhe bis an die Schultern aus Schwedenleder, mit 12 mal 12 Knöpfen...«

»Eine schwarzhaarige, häßliche Jüdin. Nicht geschenkt...«

»Für eine Nacht.«

»Ohne Kerzen, recht im Dunkeln. Wanzen fangen, was soll man tun, an der Kerze verbrennen ... Das ist ihre Strafe für den Mord, lebendig verbrannt, eine Hölle auf Erden ... Für jeden das Seine!«

»Auf die Straße hinaus, mitten im stärksten Leben ...«

»Nackt wie sie war, im Miederleibchen und Rock ...«

»Ein Dienstmädchen, wie sie es gewohnt war.«

»Mit dem Rock bleibt sie hängen an einem erloschenen Gasrohr ... und jetzt, die ganze Straße steht da, nicht herauf, nicht herunter, die Feuerwehr heran, mit siebenunddreißig großen Leitern achtspännig gefahren, so kommt man sie holen.«

»Ruhig liegen. Eine Flasche Slibowitz in der Hand, damit es wärmt, eine zweite unter dem Kopf, als Kissen zur Nacht. Wärmt außen, brennt innen ...«

»Ein kleiner Hut, so kokett,
Ein Regenschirm aus Gloria,
Ein Gummimantel aus Hallodria,
Eine Zigarett,
Angezündet im lieblichen Bett,
Ein Freudenleben.

Ohne den starken Likör müßte man sein Leben lassen.«

»Wohnen wo immer, aber nur nicht im geschlossenen Haus. Siebenunddreißig Häuser haben um mich geschrieben. Alles nein, alles umsonst.

Einen Offizier haben sie um mich geschickt, mit Sternen und Orden vom heiligen Lu, alles nein, alles umsonst.

Lieber im Freien, unter den Brücken, zwischen den Feldern, im Wartesaal warten, spazieren gehen die ganze Nacht, Täschchen fischen, silberne, goldene, aus Leder und Seide.«

»Hübsch muß man ja sein. Wer kann das jetzt sehen, geschminkt muß man sein, angezogen und auch gewaschen am Hals. Jetzt siehst du nur ein armes Waisenkind. Ohne Toiletten ist die schönste Jungfrau nur ein toter Hund.«

»Sie hat ihn geliebt. Aber er und die andere haben sie ausgeraubt, mitten im Schlaf, im himmlischen Traum.«

»Wozu auch ein Zimmer? Für die drei schlechten Tage im Monat. Da habe ich mein Monatszimmer. Gerade nur liegen und ruhen. Aber sonst werde ich schlafen, bei einem alten Herrn im Kabinett, draußen im Garten, beim adeligen Kasino. Da kann ich immer zurück.«

»Und sie vor der andern auf die Knie, dreimal herumgerutscht wie vor einer Heiligen. Aber nein, immer wieder nein. Der richtige Satan. Da hat sie sich nicht mehr gehalten.«

»Gewußt haben es alle. In der Kirche haben sie gesungen, im Park haben sie geflüstert. Sie war angeflucht, alle andern mit ihr.«

»Jetzt, wo die schöne Zeit kommt, nirgend liebt es sich so schön ...«

»Ist lange vorüber ...«

»Auch auf einem Billard habe ich einmal geschlafen. Er hat das Geld versoffen, wo soll man denn hin? Aber sie haben mich schnell wieder heruntergeworfen. Mir hat gerade geträumt, ich schlafe auf einer grünen Wiese. Jetzt haben sie in mich gestoßen, mit den hohen Absätzen hätte ich ihnen das Billardtuch zerrissen, aber gar nicht im Traum, die Mause waren es, die scharren und schaben, wer kann da noch schlafen?«

»Da wollten sie die gestohlene Uhr. Verborgen, gebunden am heimlichsten Ort.

Da wollten sie das goldene Täschchen, nein, niemals gesehen.

Da wollten sie das silberne Täschchen, das hab' ich verschluckt, es kratzt noch im Hals.

Da wollten sie das heilige Buch, das Millionenbuch mit dem heiligen Scheine, den heiligen Scheinen.

Alles versteckt, alles vergraben, alles vergessen, alles vergangen ...«

»So eine wie du bin ich noch lange nicht. Trauriges Laster!«

»Ich ein trauriges Laster? Dann behalt ich meinen Kaffee.«

»und die Olga den Schmetten.«

»und die Mizzi die Schlüssel.«

»und die Olga das Geld.«

»und die Mizzi stiehlt und vergräbt es.«

»und die Olga schießt. Totschlag und Mord!«

 .  .  .  . 

»Zehn Täschchen an einem Tag.«

»Zehn Revolverschüsse in einer Nacht.«

»Hatte ich es niemals getan!«

»Zehn Jahre Zuchthaus!«

»Was hast du zu lachen?«

»Wieviel Taschchen hast du gezogen?«

»Wieviel Kinder hast du umgebracht?«

»Die Mizzi erschossen?«

»Die kleine Betty?«

»Ein wehrloses Kind!«

»Wenn nur die Wand nicht wäre ... ich könnte dich!«

»Wenn nur die Wand nicht wäre! Du meine Liebe, du mein Kuß!«

»Wer ist die dritte, im braunen Mantel, im schwarzen Haar, im rotseidenen Kleid?«

»Wer ist das? Die letzte. Ein Kreuzer die Taxe. Für die bloße Ehre die Tour, aus Liebe, zum Hohn. Im Prater, auf der Erde, im Wasser, im Sumpf, unter den Kröten, im Schilf, im Kahn ... so etwas lieben? Von Gott eine Strafe!«

»Und die Mizzi?«

»Im Dunkelarrest!«

»Ja, aber im ewigen. Die hustet schon lange nicht mehr. Im Himmel spielt sie.«

»Wahrhaftig. Sie hat sich zu Tode geliebt ... selbst dort ...«

»Mitten in der Stirn.«

»Man kommt nicht auf den Grund.«

»Ohne Tafel liegt sie begraben. Den Friedhof haben sie streng abgesperrt. Drei Wachen am Tag. Sechs Posten zur Nacht. Die Kerzen sind gelb, die Kreuze sind rot, brennen immerwährend, die Hühner fressen das Gras, zwischen den begrabenen Steinen ...«

»Ich glaube, wir sterben bald alle!«

»Am Wochentag?«

»Morgen ist Sonntag, da schlafen sie lang!«

»Ein Zimmer aus Samt und aus Seide, ein großer Balkon mit einem prachtvollen Dach, das feinste Geflügel, dreierlei Weine, die einen gewärmt, in kleinen Körbchen, die andern gekühlt im silbernen Kühler, die dritten Natur, und immer noch einen Aranka drauf. Aber nicht schlafen! Da läßt es sie nicht, es treibt sie, sie muß. Die Kirche am Berg, die Pferde begraben im Tal. So kniet sie vor ihm, in ihrem Schoß hat sie die Flaschen, die klingeln so schön. Das kommt nicht wieder.«

»Jetzt laß mich erzählen!« ...

»Jetzt laß mich doch schlafen!«

»Wir schlafen noch viel.«


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