Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

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Zürich

Nun bin ich bei den Helvetiern und fast wieder im deutschen Vaterlande, und bereite mich in einigen Tagen einen kleinen Abstecher zu den Galliern zu machen. Viel Erbauliches wird nach allen Aspekten dort jetzt füglich nicht zu sehen und zu hören sein: indessen da ich einmal in Bewegung bin, will ich doch an die Seine hinunter wandeln. Wenn ich wieder fest sitze, möchte es etwas schwer halten.

Den vierzehnten Juni ging ich aus Mailand und ging diesen Tag herüber nach Sesto am Ticino, den ich nicht für so beträchtlich gehalten hätte als ich ihn fand. In der Gegend von Mailand war schon eine Menge Getreide geerntet und alles war in voller Arbeit; und als ich über den Berg herüberkam, fing das Korn nach Altorf herunter eben erst an zu schossen: das ist merklicher Kontrast. Die größte Wohltat war mir nun wieder das schöne Wasser, das ich überall fand. Von Mailand hatte ich die beschneiten Alpen mit Vergnügen gesehen und nun nahte ich mich ihnen mit jedem Schritte, und kam bald selbst hinein. Von Sesto aus fuhr ich auf dem Ticino und dem Lago maggiore herauf, bloß um die schöne Gegend zu genießen, die wirklich herrlich ist. Ich kam aus Unteritalien und Sizilien, und gab mir also keine große Mühe die Borromeischen Inseln in der Nähe zu sehen, da mein Schiffer mir sagte, es würde mich einen Tag mehr und also wohl zwei Dukaten mehr kosten. Ich sah also bei Varone links an der Anhöhe den gigantischen heiligen Karl Borromeus aus der Ferne, und fuhr dann sowohl bei der schönen Insel als bei der Mutterinsel vorbei. Man hätte mir höchst wahrscheinlich dort nur Orangengärten gezeigt, die ich in Unteritalien besser gesehen habe, und hätte mir gesagt, hier hat Joseph, hier Maria Theresia und hier Bonaparte geschlafen. Das wäre mir denn zusammen kaum so wichtig gewesen, als da mich der Kastellan von dem Schlosse zu Weissenfels belehrte, hier in diesem Bette schlief Friedrich der Zweite nach der Schlacht bei Roßbach. Die Fruchtbarkeit an dem See ist hier zuweilen außerordentlich groß, und wo die Gegend vor den rauheren Winden geschützt wird, findet man hier Früchte, die man in der ganzen Lombardie umsonst sucht. Man sieht noch recht schöne Ölbäume, die man diesseits der Apenninen nur selten findet, und sogar indische Feigen in der freien Luft. Ich schlief am Ende des Sees in Magadino, wo der obere Ticin hineinfällt, in einem leidlichen Hause, schon zwischen rauhen Bergen. Den andern Morgen trat ich den Gang an dem Flusse herauf über Belinzona an, der mich nach einigen Tagen über den Gotthardt herüber brachte. Zwei Tage ging ich am Flusse immer bergauf. Die Hitze war unten in der Schlucht ziemlich drückend bis nach Sankt Veit, wo man, ich glaube zum Fronleichnamsfeste, einen Jahrmarkt hielt, der mir besser gefiel als der Ostermarkt in Palermo, obgleich für mich weiter nichts da war als Kirschen. Den ersten Abend blieb ich in einem kleinen Orte, dessen Name mir entfallen ist. Der Ticin stürzte unter meinem Fenster durch die Felsen hinunter, gegenüber lag am Abhange ein Kloster, und hinter demselben erhob sich eine furchtbar hohe Alpe in schroffen Felsenmassen, deren Scheitel jetzt fast zu Johannis mit Schnee bedeckt war. Die Bewirtung war besser, als ich sie in diesen Klüften erwartet hätte; vorzüglich waren die Forellen aus dem Ticin köstlich. Die Leute schienen viel ursprüngliche Güte zu haben. Mein größter Genuß waren überall die Alpenquellen, vor denen ich selten vorbei ging ohne zu ruhen und zu trinken, wenn auch beides eben nicht nötig war, und in den Schluchten um mich her zu blicken, und vorwärts und rückwärts die Gegenstände festzuhalten. Jetzt schmolz eben der Schnee auf den Höhen der Berge, und oft hatte ich vier bis sechs Wasserfälle vor den Augen, die sich von den nackten Häuptern der Alpen in hundert Brechungen herabstürzten, und von denen der kleinste doch immer eine sehr starke Wassersäule gab. Der Ticin macht auf dieser Seite schönere Partien als die Reuß auf der deutschen; und nichts muß überraschender sein, als hier hinauf und dort hinunter zu steigen. Ayrolles war mein zweites Nachtlager. Hier sprach man im Hause deutsch, italienisch und französisch fast gleich fertig, und der Wirt machte mit seiner Familie einen sehr artigen Zirkel, in dem ich sogleich heimisch war. Suworow hatte einige Zeit bei ihm gestanden, und wir hatten also beide sogleich einen Berührungspunkt. Er war ganz voll Enthusiasmus für den alten General, und rühmte vorzüglich seine Freundlichkeit und Humanität, welches vielleicht vielen etwas sonderbar und verdächtig vorkommen wird. Aber ich sehe nicht ein, was den Wirt in Ayrolles oben am Gotthardt bestimmen sollte, eine Sache zu sagen, die er nicht sah. Suworow war nicht der einzige General, der ihm im Kriege die Ehre angetan hatte bei ihm zu sein: er zeichnete sie alle, wie er sie gefunden hatte. Mehrere davon sind allgemein bekannt. Ich habe das zweideutige Glück gehabt, für den Enkomiasten des alten Suworow zu gelten, und ich suchte doch nur seinen wahren Charakter zu retten und einige Phänomene zu erklären, die ihm zur Last gelegt werden. In Prag hatte er zu einem häßlichen Gemälde gesessen. Der Löwe ist tot und nun wird zugeschlagen. Ich weiß sehr wohl, daß das ganze Leben dieses Mannes eine Kette von Eigenheiten war; aber wenn man seine Nichtfreunde in Prag und Wien hörte, wäre er ein ausgemachter alter, mürrischer Geck von einem weggeworfenen Charakter gewesen; und der war er doch gewiß nicht. Sonderbarkeit war überhaupt sein Stempel: und in Prag war er in einer eigenen Stimmung gegen jedermann und jedermann war in einer eigenen Stimmung gegen ihn. Die politischen Verhältnisse lassen vermuten, in welcher peinlichen Lage er damals von allen Seiten sich befand. Weder sein eigener Monarch, noch der östreichische Hof waren mit seinem Betragen zufrieden. Er hatte ohne Schonung über Fehler aller Art und ohne Rücksicht der Personen gesprochen. Er war alt und kränklich und sah dem Ende seines Lebens entgegen. Seine Grillen konnten unter diesen Umständen sich nicht vermindern. Die Ungezogenheiten einiger seiner Untergebenen wurden wahrscheinlich ihm zur Last gelegt; und er selbst war freilich nicht der Mann, der durch schöne Humanität und Grazie des Lebens immer seinen Charakter hätte empfehlen können. Seines Wertes sich bewußt, fest rechtlicher Mann, aber eisern konsequenter Soldat, war er voll Eigenheiten, von denen viele wie Bizarrerien und Marotten aussahen; war äußerst strenge gegen sich und sodann auch in seinen Forderungen gegen andere, und sprach skeptisch und sarkastisch über alles. Seine Bigotterie war sehr wohl berechnet, und unstreitig nicht so tadelhaft als sie an der Seine gewesen wäre: aber auch in diesem Stücke verleugnete ihn sein eigener Charakter nicht und gab ihr ein Ansehen von Possierlichkeit. Er soll in Prag eine schmutzige Filzerei gezeigt haben, weggefahren sein ohne einen Kreuzer zu bezahlen, und nichts als einen alten Nachttopf zurückgelassen haben, den man als eine Reliquie ganz eigener Art aufbewahrt. Dies ist nun gewiß wieder ein barockes Quidproquo: denn Geiz war so wenig in seinem Charakter als prahlerische Verschwendung. Wenn ich diese Dinge nicht von wahrhaften Leuten hätte, würde ich nur den Kopf schütteln und sie zu den lächerlichen Erfindungen des Tages setzen. Aber man muß auch den Teufel nicht schwärzer machen, als er ist; und ich bin fest überzeugt, daß Suworow durchaus ein ehrlicher Mann und kein Wütrich war, wenn er auch eine starke Dose Exzentrizität hatte, und mit der Welt im Privatleben oft Komödie spielte, so wie man seine Energie im öffentlichen zu lauter Trauerspielen brauchte. Du weißt, daß ich dem Manne durchaus nichts zu danken habe, und kannst also in meinen Äußerungen nichts als meine ehrliche Meinung finden. Wenn wir einigen Engländern glauben wollen, die durch ihren persönlichen Charakter ihre Glaubwürdigkeit nicht verwirkt haben, so ist der Nordländer Suworow, wenn auch alles wahr war, was von ihm erzählt wird, immer noch ein Muster der Humanität gegen den Helden des Tages, Bonaparte, der auf seinen morgenländischen Feldzügen die Gefangenen zu Tausenden niederkartätschen ließ.

Hier oben behauptete man, wenn Suworow Zeit gehabt hätte, nur noch Sechstausend Mann über den Berg hinüber nach Zürich zu werfen, so wäre die Schlacht ebenso fürchterlich gegen die Franzosen ausgefallen, wie nun gegen die Russen. Alle Franzosen, mit denen ich über die Geschichte gesprochen habe, gestehen das nämliche ein, und sagen, bloß die Entfernung des Erzherzogs, der in die Falle des falschen Manövers am Unterrhein ging, sei die Ursache ihres Glücks gewesen; und sie bekennen, daß sie im ganzen Kriege meistens nur durch die Fehler der Gegner gewonnen haben. Hier in Zürich habe ich rundumher mich nach dem Betragen der Russen erkundigt, und man gibt ihnen überall das Zeugnis einer guten Aufführung, die man doch anderwärts als abscheulich geschildert hat. Das tut Parteigeist. Man beklagt sich weit mehr über die Franzosen, deren Art Krieg zu führen dem Lande entsetzlich drückend sein muß, da sie selten Magazine bei sich haben, und nur zusammentreiben, was möglich ist. Das geht einmal und zweimal; das drittemal muß es gefährlich werden; welches die Schlauköpfe auch sehr wohl wissen. Sie berechnen nur klug; Humanität ist ihnen sehr subalterner Zweck. Dieses ist einigen Generalen und Kommissären, und nicht der ganzen Nation zuzurechnen.

Ayrolles ist der letzte italienische Ort, und diesseit des Berges in Sankt Ursel ist man wieder bei den Deutschen. Zwei Tage war ich beständig bergauf gegangen; Du kannst also denken, daß der Ort schon auf einer beträchtlichen Höhe steht. Rundumher sind Schneegebirge, und der Ticin bricht rauschend von den verschiedenen Abteilungen des Berges herab. Ich schlief unter einem Gewitter ein; ein majestätisches Schauspiel hier in den Schluchten der höchsten Alpen. Der Donner brach sich an den hohen Felsenschädeln, und rollte sodann furchtbar durch das Tal hinunter, durch das ich heraufgekommen war. Ein solches Echo hörst Du freilich nicht auf der Ebene von Lützen.

In dem Wirtshause zu Ayrolles saß ein armer Teufel, der sich leise beklagte, daß seine Börse ihm keine Suppe erlaubte. Du kannst denken, daß ich ihm zur Suppe auch noch ein Stückchen Rindfleisch schaffte; denn ich habe nun einmal die Schwachheit, daß es mir nicht schmeckt, wenn Andere in meiner Nähe hungern. Er war ein ziemlich alter wandernder Schneider aus Konstanz, der, wie er sagte, nach Genua gehen wollte, einen Bruder aufzusuchen. Er hörte aber überall so viel von der Teuerung und der Unsicherheit in Italien, daß er lieber wieder zurück über die Alpen wollte, und erbot sich, mir meinen Reisesack zu tragen. Ich sagte ihm, ich wollte auf seine Entschließungen durchaus keinen Einfluß haben, er müßte seine Umstände am besten wissen, ich wäre gewohnt, meinen Sack selbst zu tragen. Er wollte aber bestimmt wieder zurück, und ich trug nun kein Bedenken, ihn meinen Tornister umhängen zu lassen. Wir stiegen also den kommenden Morgen, den achtzehnten Juni, rüstig den Gotthardt hinauf. Es war nach dem Gewitter sehr schlechtes Wetter, kalt und windig, und in den obern Schluchten konnte man vor dem Nebel, und noch weiter hinauf vor dem Schneegestöber, durchaus nichts sehen; links und rechts blickten die beschneiten Gipfel aus der Dunkelheit des Sturms drohend herunter. Nach zwei starken Stunden hatten wir uns auf die obere Fläche hinaufgearbeitet, wo das Kloster und das Wirtshaus steht, und wo man im vorigen Kriege geschlagen hat. Das erste liegt jetzt noch wüst, und der Schnee ist von innen hoch an den Wänden aufgeschichtet; das Wirtshaus ist ziemlich wieder hergestellt, und man hat schon wieder leidliche Bequemlichkeit. Es muß eine herkulische Arbeit gewesen sein, hier nur kleine Artilleriestücke heraufzubringen, und war wohl nur in den wärmsten Sommermonaten möglich. Der Schnee liegt noch jetzt auf dem Wege sehr hoch, und ich fiel einigemal bis an die Brust durch. Den höchsten Gipfel des Berges zu ersteigen würde mir zu nichts gefrommt haben, da man in dem Nebel kaum zwanzig Schritte sehen konnte. Es ist vielleicht in den Annalen der Menschheit aus diesem Kriege ein neues Phänomen, daß man ihn hier zuerst über Wolken und Ungewitter herauftrug: coelum ipsum petimus stultitia. Das Wasser auf der obersten Fläche des Berges hat einen ziemlichen Umfang, denn es gießt sich rund umher die Ausbeute des Regens und Schnees von den höchsten Felsen in den See, aus dem sodann die Flüsse nach mehreren Seiten hinabrauschen. Es müßte das größte Vergnügen sein, einige Jahre nacheinander Alpenwanderungen machen zu können. Welche Verschiedenheit der Gemälde hat nicht allein der Gotthardt? Kornfelder wogen um seine Füße, Herden weiden um seine Knie, Wälder umgürten seine Lenden, wo das Wild durch die Schluchten stürzt; Ungewitter donnern um seine Schultern, von denen die Flüsse nach allen Meeren herabstürmen, und das Haupt des Adula schwimmt in Sonnenstrahlen. Das gestrige Gewitter mochte vielleicht Ursache des heutigen schrecklichen Wetters sein: doch war die Veränderung so schnell, daß in einer Viertelstunde manchmal dicker Nebel, Sturm, Schneegestöber, Regen und Sonnenschein war, und sich die Wolken schon wieder von neuem durch die Schluchten drängten. Als ich oben gefrühstückt hatte, ging ich nun auf der deutschen Seite über Sankt Ursel, durch das Ursler Loch und über die Teufelsbrücke herab. Denke Dir das Teufelswetter zu der Teufelsbrücke, wo ich links und rechts kaum einige Klaftern an den Felsen in die Höhe sehen konnte, und Du wirst finden, daß es eine Teufelspartie war: ich möchte aber doch ihre Reminiszenz nicht gern missen. Als wir weiter herabkamen, ward das Wetter heiter und freundlich, und nur einige Schluchten in den furchtbaren Schwarzwäldern waren noch hoch mit Schnee gefüllt, und die Spitzen der Berge weiß. Mein Schneider von Konstanz erzählte mir manches aus seinem Lebenslaufe, der nicht eben der beste war, wovon aber der Mensch gar keine Ahnung zu haben schien. Sehr naiv machte er den Anfang mit dem Bekenntnis, daß er in seinem ganzen Leben nicht gearbeitet habe, und nun in seinem achtundvierzigsten Jahre nicht erst anfangen werde. – So so, das ist erbaulich; und was hat Er denn getan? – Ich habe gedient. – Besser ist arbeiten als dienen. – Nun erzählte er mir, wo er überall gewesen war: da war denn meine Personalität eine Hausunke gegen den Herrn Hipperling von Konstanz. Er kannte die Boulevards besser als seine Hölle, und hatte alle Weinhäuser um Neapel diesseits und jenseits der Grotte versucht. Zuerst war er kaiserlicher Grenadier gewesen, dann Reitknecht in Frankreich, dann Kanonier in Neapel und zuletzt Mönch in Korsika. Er fluchte sehr orthodox über die Franzosen, die ihm seine Klosterglückseligkeit geraubt hatten, weil sie die Nester zerstörten. Jetzt machte er Miene, mit mir wieder nach Paris zu gehen. Ich gab ihm meinen Beifall über seine ewige unstete Landläuferei nicht zu erkennen, und er selbst schien zu fühlen, er hätte doch wohl besser getan, sich treulich an Nadel und Fingerhut zu halten. Wir schlenderten eine hübsche Partie ab, da wir in einem Tage von Ayrolles den Berg herüber bis herab über Altorf nach Flüren am See gingen. Altorf, das vor einigen Jahren durch den Blitz entzündet wurde und fast ganz abbrannte, wird jetzt recht schön, aber eben so unordentlich wieder aufgebaut. Die Berggegend sollte doch wohl etwas mehr Symmetrie erlauben. Eine Stunde jenseit Altorf war das Wasser sehr heftig aus den Bergen heruntergeschossen und konnte nicht schnell genug den Weg in die Reuß finden, so daß wir eine Viertelstunde ziemlich bis an den Gürtel auf der Straße im Wasser waten mußten. Es war kein Ausweg. Gehts nicht, so schwimmt man, dachte ich; und mein Schneider tornisterte hinter mir her. Den andern Morgen nahm ich ein Boot herüber nach Luzern, ohne weiter den Ort besehen zu haben, wo Tell den Apfel abgeschossen hatte. Nicht weit von der Abfahrt stürzt rechts ein Wasserfall von sehr hohen Felsen herab, nicht weit von Tells Kapelle, und man erzählte mir, daß oben in den Alpen ein beträchtlicher See von dem Wasser der noch höhern Berge wäre, der hier herabflösse. Schade, daß man nicht Zeit hat, hinaufzuklettern; die Partie sieht von unten aus schon sehr romantisch, und oben muß man eine der herrlichsten Aussichten nach der Reuß und dem Waldstädtersee haben. Die Fahrt ist bekannt, und Du findest sie in den meisten Schweizerreisen. In dem seligen Republikchen Gersau frühstückten wir, und die Herren beklagten sich bitter, daß ihnen die Franzosen ihre geliebte Autonomie genommen hatten. Die ganze Fahrt auf dem Wasser herab bis nach Luzern ist eine der schönsten; links und rechts liegen die kleinen Kantone, und höher die Schneealpen, in welche man zuweilen weit weit hineinsieht. Der Pilatusberg vor Luzern ist nur ein Zwerg, der den Vorhof der Riesen bewacht. In Luzern fand ich im Wirtshause unter der guten Gesellschaft einige Freunde von Johannes Müller, die mit vieler Wärme von ihm sprachen. Nachdem ich die Brücken und den Fluß beschaut hatte, ging ich zum General Pfeiffer, um seine wächserne Schweiz zu sehen. Die Sache ist bekannt genug, aber kein so unnützes Spielwerk, wie wohl einige glauben. Der Mann hat mit Liebe viel schöne Jahre seines Lebens daran gearbeitet, und mit einer Genauigkeit, wie vielleicht nur wenig militärische Karten gemacht werden. Die Franzosen haben das auch gefühlt, und Lecourbe, gegen den der alte General zuerst eine entschiedene Abneigung zeigte, wußte durch seine Geschmeidigkeit endlich den guten Willen des Greises so zu gewinnen, daß er sich nun als seinen Schüler ansehen konnte. Die Schule hat ihm genützt; und es wird allgemein nicht ohne Grund behauptet, er würde den Krieg in den Bergen nicht so vorteilhaft gemacht haben, ohne des Alten Unterricht. Die Wachsarbeit ist bekannt: es ist Schade, daß ihm die Jahre nicht erlauben, das Übrige zu vollenden. Dieser Krieg hat die Bergbewohner in Erstaunen gesetzt: man hat sich in ihrem Lande in Gegenden geschlagen, die man durchaus für unzugänglich hielt. Die Feinde haben Wege gemacht, die nur ihre Gemsenjäger vorher machten; vorzüglich die Russen und die Franzosen. Man hat sich auf einmal überzeugt, daß die Schweiz bisher vorzüglich nur durch die Eifersucht der großen Nachbarn ihr politisches Dasein hatte. Die Russen und Franzosen kamen auf Pfaden in das Murter Tal, die man nur für Steinböcke gangbar hielt. Die Katholizität scheint hier in Luzern sehr gemäßigt und freundlich zu sein. Das Merkwürdigste für mich war noch, daß mir der Kellner im Gasthofe erzählte, man habe in dem See zweiunddreißig Sorten Forellen, so daß man also bei der kleinsten Wendung der Windrose eine andere Sorte hat. Diejenigen, welche man mir gab, hätten einen Apicius in Entzücken setzen können; und ich rate Dir, wenn Du hierher kommst, Dich an die Forellen zu halten, wenn Du gleich nicht alle Sorten des Kellners finden solltest.


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