Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

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Nachdem wir uns von unserm ersten Hinstaunen etwas erholt hatten, sahen wir nun auch rundumher. Die Sonne stand nicht mehr so tief, und es war auch auf der übrigen Insel schon ziemlich hell. Wir sahen das ganze große, schöne, herrliche Eiland unter uns, vor uns liegen, wenigstens den schönsten Teil desselben. Alles was um den Berg herum liegt, das ganze Tal Enna, bis nach Palagonia und Lentini, mit allen Städten und Flecken und Flüssen, war wie in magischen Duft gewebt. Vorzüglich reizend zog sich der Simäthus aus den Bergen durch die schöne Fläche lang hinab in das Meer, und man übersah mit Einem Blick seinen ganzen Lauf. Tiefer hin lag der See Lentini und glänzte wie ein Zauberspiegel durch die elektrische Luft. Die Folge wird zeigen, daß die Luft nicht sehr rein, aber vielleicht nur desto schöner für unsern Morgen war. Man sah hinunter bis nach Augusta und in die Gegend von Syrakus. Aber die Schwäche meiner Augen und die Dünste des Himmels, der doch fast unbewölkt war, hinderten mich weiter zu sehen. Messina habe ich nicht gesehen: und mir deucht, man kann es auch von hier nicht sehen: es liegt zu tief landeinwärts an der Meerenge und die Berge müssen es decken. Palermo kann man durchaus nicht sehen, sondern nur die Berge umher. Von den Liparen sahen wir nur etwas durch die Wölkchen. Nachdem wir rund umher genug hinabgeschaut hatten, und das erste Staunen sich etwas zur Ruhe setzte, sagte der Major nach englischer Sitte: Now be sure, we needs must give a shout at the top down the gulf; und so stimmten wir denn drei Mal ein mächtiges Freudengeschrei an, daß die Höhlen der furchtbaren Riesen widerhallten, und die Führer uns warnten, wir möchten durch unsere Ruchlosigkeit nicht die Teufel unten wecken. Sie nannten den Schlund nur mit etwas verändertem Mythus: la casa del diavolo und das Echo in den Klüften la sua risposta.

Der Umfang des kleinen tief unten liegenden Kessels mag ungefähr eine kleine Viertelstunde sein. Es kochte und brauste; und wütete und tobte und stürmte unaufhörlich aus ihm herauf. Einen zweiten Krater habe ich nicht gesehen; der dicke Rauch müßte vielleicht ganz seinen Eingang decken, oder dieser zweite Schlund müßte auf der andern Seite der Felsen liegen, zu der wir wegen des Windes, der den Dampf dorthin trieb, nicht kommen konnten. Auch hier waren wir nicht ganz von Rauche frei; die rote Uniform der Engländer mit den goldenen Achselbändern war ganz schwarzgrau geworden; mein blauer Rock hatte seine Farbe nicht merklich geändert.

Ich hatte mich bisher im Aufsteigen immer mit Schnee gelabt; aber hier am Rande auf der Spitze war er bitter salzig und konnte nicht genossen werden. Nicht weit vom Rande lag ein Auswurf von verschiedenen Farben, den ich für toten Schwefel hielt. Er war heiß und wir konnten unsere Füße darin wärmen. Wir setzten uns an eine Felsenwand, und sahen auf die zauberische Gegend unter uns, vorzüglich nach Katanien und Paterno hinab. Die Monti rossi bei Nikolosi glichen fast Maulwurfshügeln, und die ganze große ausgestorbene Familie des alten lebendigen Vaters lag rundumher. Nur er selbst wirkte mit ewigem Feuer in furchtbarer Jugendkraft. Welche ungeheuere Werkstatt muß er haben! Der letzte große Ausbruch war fast drei deutsche Meilen vom Gipfel hinab bei Nikolosi. Wenn er wieder durchbrechen sollte, fürchte ich für die Seite von Taormina, wo nun die Erdschicht am dünnsten zu sein scheint. Die Luft war trotz dem Feuer des Vulkans und der Sonne doch sehr kalt, und wir stiegen wieder herab. Unser Herabsteigen war vielleicht noch belohnender als der Aufenthalt auf dem obersten Gipfel. Bis zum Philosophenturm war viel Behutsamkeit nötig. Hier war nun der Proviantträger angekommen, und wir hielten unser Frühstück. Die Engländer griffen zur Rumflasche, und ich hielt mich zum gebratenen Huhn und dann zum Schnee. Brot und Braten waren ziemlich hart gefroren, aber der heiße Hunger taute es bald auf. Indem wir aßen, genossen wir das schönste Schauspiel, das vielleicht das Auge des Menschen genießen kann. Der Himmel war fast ganz hell, und nur hinter uns über dem Simäthus hingen einige kleine lichte Wölkchen. Die Sonne stand schon ziemlich hoch an der Küste Kalabriens; die See war glänzend. Da zeigten sich zuerst hier und da einige kleine Fleckchen auf dem Meere links vor Taormina, die fast wie Inselchen aussahen. Unsere Führer sagten uns sogleich was folgen würde. Die Flecken wurden zusehens größer, bildeten flockige Nebelwolken und breiteten sich aus und flossen zusammen. Keine morganische Fee kann eine solche Farbenglut und solchen Wechsel haben, als die Nebel von Moment zu Moment annahmen. Es schoß in die Höhe und glich einem Walde mit den dichtesten Bäumen von den sonderbarsten Gestalten, war hier gedrängter und dunkler, dort dünner und heller, und die Sonne schien in einem noch ziemlich kleinen Winkel auf das Gewebe hinab, das schnell die ganze nördliche Küste deckte und das wir hier tief unter uns sahen. Der Glutstrom fing an die Schluchten der Berge zu füllen, und hinter uns lag das Tal Enna mit seiner ganzen Schönheit in einem unnennbaren Halblichte, so daß wir nur noch den See von Lentini als ein helles Fleckchen sahen. Dieses alles und die Bildung des himmlischen Gemäldes an der Nordostseite, war das Werk einer kleinen Viertelstunde. Ich werde eine so geschmückte Szene wahrscheinlich in meinem Leben nicht wieder sehen. Sie ist nur hier zu treffen, und auch hier sehr selten; die Führer priesen uns und sogar sich selbst deswegen glücklich. Wir brachen auf, um, womöglich, unten dem Regen zu entgehen: in einigen Minuten sahen wir nichts mehr von dem Gipfel des Berges; alles war in undurchdringlichen Nebel gehüllt, und wir selbst schossen auf der Bahn, die wir im Hinaufsteigen langsam gemacht hatten, pfeilschnell herab. Ohne den Schnee hätten wir es nicht so sicher gekonnt. Nach einer halben Stunde hatten wir die Blitze links, immer noch unter uns. Der Nebel hellte sich wieder auf, oder vielmehr wir traten aus demselben heraus, das Gewitter zog neben uns her nach Katanien zu, und wir kamen in weniger als der Hälfte Zeit wieder in das Haus am Ende der Waldregion, wo wir uns an das Feuer setzten; nämlich diejenigen, die es wagen durften. Die Engländer hatten zu dieser Bergreise eine eigene Vorkehrung getroffen. Weiß der Himmel, wer sie ihnen mochte geraten haben: die meinige war besser. Sie kamen in Nikolosi in Stiefeln an, setzten sich aber dort in Schuhe, und über diese Schuhe zogen sie die dicksten wollenen Strümpfe, die man sich denken kann, und die sie sogar, wie sie mir sagten, schon in Holland zu diesem Behufe gekauft hatten. Der Aufzug ließ sonderbar genug; sie sahen mit den großen Aetnastöcken von unten auf alle ziemlich aus, wie samogetische Bärenführer. Ich ging in meinem gewöhnlichen Reisezeug, mit gewöhnlichen baumwollenen Strümpfen in meinen festen Stiefeln. Schon hinaufwärts waren einige holländische Strümpfe zerrissen; herabwärts ging es über die Schuhe und die Unterstrümpfe. Einige liefen auf den Zehen, die sie denn natürlich erfroren hatten. Meine Warnung, langsam und fest ohne abzusetzen fortzugehen, hatte nichts geholfen. Mir fehlte nicht das Geringste. Vorzüglich hatte Einer der jungen Herren die Unvorsichtigkeit gehabt, sich mit warmem Wasser zu waschen und an das Feuer zu setzen. In einigen Minuten jauchzte er vor Schmerz, wie Homers verwundeter Kriegsgott, und hat den Denkzettel mitgenommen. Vermutlich wird er in Katanien oder noch in Malta zu kurieren haben. Du kannst sehen, welcher auffallende Kontrast hier in einer kleinen Entfernung in der Gegend ist; unten bei Katanien raufte man reifen Flachs, und die Gerste stand hoch in Ähren; und hier oben erfror man Hände und Füße. Nun ritten wir noch immer mit dem Gewitter durch die Waldregion nach Nikolosi hinab, wo wir eine herrliche Mahlzeit fanden, die der Wirt aus dem goldenen Löwen in Katanien kontraktmäßig angeschafft hatte. Wir nahmen Abschied; die Engländer ritten zurück nach Katanien, und ich meines Weges hierher nach Taormina.

Es ist vielleicht in ganz Europa keine Gegend mit so vielfältigen Schönheiten, als die Umgebung dieses Berges. Seine Höhe kann ich nicht bestimmen. In einem geographischen Verzeichnis wurde er hier beträchtlich höher angegeben, als die höchsten Alpen: das mögen die Italiener mit den mathematischen Geographen ausmachen. Der Professor Gambino aus Katanien will diesen August mit einer Gesellschaft hinaufgehen, um oben noch mehrere Beobachtungen anzustellen. Man hat in der Insel das Sprichwort vom Aetna: On le voit toujours le chapeau blanc et la pipe a la bouche. – Der Schnee soll nie ganz schmelzen; das ist in einem so sehr südlichen Klima viel. Man nennt ihn in Sizilien meistens, wie bekannt, nur Monte Gibello: aber man nennt ihn auch noch sehr oft Aetna, oder den Berg von Sizilien oder geradezu vorzugsweise den Berg. Die letzte Benennung habe ich am häufigsten und zwar auch unten an der südlichen Küste gefunden. Mir scheint es überhaupt, daß man jetzt anfängt, die alten Namen wieder hervorzusuchen und zu gebrauchen. So habe ich auch den Fluß unten nie anders als Simäthus nennen hören.

Bis an das Bergkloster der Benediktiner ist der Aetna von dieser Seite bebaut, und ziemlich gut bebaut; weiter hinauf ist Wald und fast von lauter Eichen, die jetzt noch alle kahl standen; und nicht weit von der Geißhöhle oder dem jetzigen Hause von Paterno hört die Vegetation ganz auf. Wir fanden von dort an bis zum Gipfel hohen Schnee. Die bebaute Region gibt eine Abwechselung, die man vielleicht selten mehr auf dem Erdboden findet. Unten reifen im lieblichsten Gemische die meisten Früchte des wärmern Erdstrichs; alle Orangengeschlechter wachsen und blühen in goldenem Glanze. Weiter hinauf gedeiht die Granate, dann der Ölbaum, dann die Feige, dann nur der Weinstock und die Kastanie; und dann nur noch die ehrwürdige Eiche. Am Fuße triffst Du alles dieses zusammen in schönen Gruppen, und zuweilen Palmen dazu.

Auf meinem Wege nach Taormina zeigte mir mein Führer, nur auf Einem Punkte, den alten, großen, berühmten Kastanienbaum in der Ferne. Kaum kann ich sagen, daß ich ihn gesehen habe; ich wollte ihm aber nicht einen Tag aufopfern. Die Nacht mußte ich in einem kleinen elenden Dörfchen bleiben. Der Weg nach Taormina gehört zu den schönsten, besonders einige Millien vor der Stadt. Dieser Ort, welcher ehemals unten lag und nun auf einem hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat die herrlichste Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten Theater, einem der kühnsten Werke der Alten. Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das fabelhafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit weit hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchst wahrscheinlich ist das Theater nur römisch; man hat es nach der Zerstörung durch die Sarazenen so gut als möglich wieder zusammengesetzt, scheint aber dabei nach sehr willkürlichen Konjekturen verfahren zu sein. Es ist bekanntlich eines der erhaltensten, und alles was alt ist, ist sehr anschaulich, aber für das neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und doch hat eben der schönste, prächtigste Teil am meisten von den Barbaren gelitten. Das alte Schloß, welches noch viel höher als die Stadt liegt, muß schwer zu nehmen sein. Die Patronin, die heilige Mutter vom Felsen, müßte es also ziemlich leicht sehr gut verteidigen, wenn ihre Kinder verständige und brave Kriegsleute wären. Nach Taormina hatte ich eine Empfehlung von Katanien an den Kommandanten, die einzige in Sizilien, welche schlecht honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirtshaus unten am Fuße des Berges, welches aber eine starke Stunde hinunter ist. Das konnte mir mein Mauleseltreiber auch sagen; und hätte ich oben ein Wirtshaus finden können, so wäre ich dem Herrn gar nicht beschwerlich gefallen. Bei den Kapuzinern sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich schickte hier meinen Mauleseltreiber fort und wanderte wieder allein zu Fuße weiter: denn an der See hinauf, dachte ich, kann ich nun Messina nicht verfehlen. Ein alter Sergeant von Taormina, der mir sehr freundlich den Cicerone machte, wollte mir eine Ordre an den Kommandanten von Sankt Alexis, einen unter ihm stehenden Korporal, mitgeben, daß er mir dort das Schloß auf der Felsenspitze zeigen sollte: ich dankte ihm aber mit der Entschuldigung, daß ich nicht Zeit haben würde. Der Weg hinauf und herab von Taormina ist etwas halsbrechend, hat aber einige schöne, sehr gut bebaute Schluchten. Mein Aufenthalt oben dauerte aus angeführten Ursachen nur zwei kleine Stunden, bis ich das Theater gesehen, und Fische und Oliven mit dem Sergeanten gegessen hatte. Der ehrliche alte Kerl wollte mich für die Kleinigkeit durchaus noch einige Millien begleiten, damit ich den Weg nicht verlieren möchte. Einen gar sonderbaren, langgezogenen, tiefen, nicht unsonorischen Dialekt haben hier die Leute. Auf die Frage, wie weit ich noch zum nächsten Orte habe, erhielt ich die Antwort: Saruhn incuhra: cinquuh migliah: welches jeder ohne Noten verstehen wird.

Diese Nacht blieb ich in einem kleinem Orte, der, glaube ich, Giumarrinese hieß, und noch achtzehn Millien von Messina entfernt ist. Ein Seebad nach einem ziemlich warmen Tage tat mir recht wohl; und die frischen Sardellen gleich aus der See waren nachher ein ganz gutes Gericht. Man tut sich hier darauf etwas zugute und behauptet mit Recht, daß man sie in Palermo nicht so schön haben kann. Einige Millien von Messina fand ich wieder Fuhrgleise, welches mir eine wahre Wohltat war; denn seit Agrigent hatte ich keinen Wagen gesehen. In Syrakus kann man nur eine Viertelstunde an der See bis an ein Kloster vor der Stadt und bis in die Gegend des Anapus fahren: und eine geistliche Sänfte, von Mauleseln getragen, die ich in den Bergschluchten zwischen Lentini und Augusta antraf, war alles, was ich einem Fuhrwerk ähnliches gefunden hatte.


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