Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

In der Stadt im Wirtshause gab man mir ein Zimmer, worin kein Bett, kein Tisch und kein Stuhl war, und sagte dabei, ich würde in der ganzen Stadt kein besseres finden. Ich warf mich auf einen Haufen Haferspreu, die in einem Winkel aufgeschüttet war, und schlief ein. Ein Stündchen mochte ich vielleicht geschlafen haben und es war gegen Abend, da wurde ich geweckt. Mein Zimmer, wenn man das Loch so nennen kann, war voll Leute aller Art, einige stattlich gekleidet, andere in Lumpen. Vor mir stand ein Mann im Matrosenhabit, der eine förmliche lange Inquisition mit mir anhob. Er war ganz höflich, so viel Höflichkeit nämlich bei so einem Benehmen Statt finden kann, fragte erst italienisch, sprach dann etwas Tirolerdeutsch, da er hörte, daß ich ein Deutscher sei; dann französisch, dann englisch und endlich Latein. Die Anwesenden machten Ohren, Maul und Nase auf, um so viel als möglich zu kapieren. Man war geneigt mich für einen Franzosen zu halten, fragte, ob ich der Republik gedient habe, und so weiter: aber über ihre eigene Stimmung gegen die Franzosen gaben sie selbst nicht das geringste Merkzeichen. Der Mann im Matrosenkleide sagte, ich müßte Franzose sein, weil ich das Französische so gut spräche. Das konnte nur ihm so vorkommen, weil er es sehr schlecht sprach. Das Examen ward mir endlich sehr widerlich und lästig, so wie ein Bär am Pfahl zu stehen und mich auf diese Weise beschauen und vernehmen zu lassen; ich sagte also bestimmt: Wenn ich verdächtig bin, mein Herr, so bringen Sie mich vor die Behörde, wo ich mich legitimieren werde; oder wenn Sie selbst von der Polizei sind, so sprechen Sie offen, damit ich mich darnach benehmen kann. Erlauben Sie mir übrigens etwas Ruhe in einem öffentlichen Hause, wo ich bezahle; es ist warm und ich bin müde. Das sagte ich italienisch so laut und gut ich konnte, damit es alle verstehen möchten; einer der Herren bat mich höflich um Verzeihung, ohne weiter eine Erklärung zu geben; die Neugierigen verloren sich, und nach einigen Minuten war ich wieder allein auf meiner Haferspreu. Den Abend, nachdem ich bei einigen Seefischen sehr gut gefastet hatte, brachte man mir Heu; und ein gutmütiger Tabuletkrämer aus Katanien gab mir zur Decke einen großen Schafpelz, welcher mir lieber war als ein Bett, das man nicht haben konnte.

Den andern Morgen ging ich über den Fluß Gela und durch ein herrliches Tal nach Santa Maria di Niscemi hinauf. Dieses Tal mit den Partien an dem Flusse links und rechts hinauf machte vermutlich die Hauptgruppe der geloischen Felder aus. Wenn auch Gela nicht gerade da stand, wo jetzt Terra Nuova steht, so lag es doch gewiß nicht weit davon, und höchst wahrscheinlich nur etwas weiter bergabwärts nach dem Flusse hin, wo noch jetzt einige alte Überreste von Gemäuern und Säulen zu sehen sein sollen. Das Tal ist auch noch jetzt in der äußersten Vernachlässigung sehr schön, und es läßt sich begreifen, daß es ehmals bei der Industrie der Griechen ein Zaubergarten mag gewesen sein. Hier in Niscemi ist es wahrscheinlich, wo vor mehrern Jahren ein merkwürdiger Erdfall geschehen ist, den Landolina beschrieben hat.

Von hier aus wollte ich nach Noto gehen, und von dort nach Syrakus. Aber wenn man in Sizilien nicht bekannt ist und ohne Wegweiser reis't, so bleibt man, wenn man nicht totgeschlagen wird, zwar immer in der Insel; aber man kommt nicht immer geraden Weges an den bestimmten Ort. Einige Meilen in der Nachbarschaft der Hauptstadt ausgenommen, kann man eigentlich gar nicht sagen, daß in Sizilien Wege sind. Es sind bloß Mauleseltriften, die sich oft so verlieren, daß man mit ganzer Aufmerksamkeit den Hufen nachspüren muß. Der König selbst kann in seinem Königreich nicht weiter als nach Montreale, Termini und einige Meilen nach Agrigent zu im Wagen gehen: will er weiter, so muß seine Majestät sich gefallen lassen, einen Gaul oder sicherer einen Maulesel zu besteigen. Das läßt er denn wohl bleiben, und deswegen geht es auch noch etwas schlechter, als gewöhnlich anderwärts, wo es die Fürsten nur sehr selten tun. Man riet mir, von Santa Maria nach Caltagirone zu gehen; das tat ich als ein Wildfremder. Aber kaum war ich ein Stündchen gegangen, als ich in einen ziemlich großen Wald perennierender Eichen kam, wo ich alle Spur verlor, einige Stunden in Felsen und Bergschluchten herumlief, bis ich mich endlich nur mit Schwierigkeit wieder links orientierte, indem ich den Gesichtspunkt nach einer hohen Felsenspitze nahm. Hier fand ich vorzüglich schöne Weiden in den Tälern und große zahlreiche Herden. Um Caltagirone herum ist die Kultur noch am leidlichsten; man kann sie noch nicht gut nennen. Die Stadt, welche auf einer nicht unbeträchtlichen Höhe liegt, hat rundumher schöne angrenzende Täler, und es herrscht hier für Sizilien noch eine ziemliche Wohlhabenheit. Ich war nun auf einmal wieder beinahe mitten in der Insel. In der Stadt war auf dem Markte ein gewaltiger Lärm von Menschen; man aß und trank, und handelte und zankte, und sprach überall sehr hoch, als auf einmal das Allerheiligste vorbeigetragen wurde; schnell ward alles still und stürzte nieder und der ganze Markt, Schacherer und Fresser und Zänker, machte in dem Moment eine sonderbare Gruppe. Ich konnte aus meinem Fenster bei einer Mahlzeit getrockneter Oliven, die hier mein Lieblingsgericht sind unbemerkt und bequem alles sehen. Ein so gutes Wirtshaus hätte ich hier nicht gesucht; Zimmer, Bett, Tisch, alles war sehr gut, und verhältnismäßig sehr billig.

Von hier aus wollte ich nach Syrakus, und ging aufmerksam immer den Weg fort, den man mir bezeichnet hatte, und war, ehe ich mirs versah, durch eine sehr abwechselnde bunte Gegend, in Palagonia, dem Stammhause des seligen Patrons der Ungeheuer, barocken Andenkens. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, ich wäre hier geblieben; denn Palagonia gefällt mir viel besser, als die Nachbarschaft von Palermo, wo er das Tabernakel seiner ästhetischen Mißgeburten aufschlug. Wieland läßt den geächteten Diagoras in der Gegend von Tempe, aus Ärgernis über Götter und Menschen, ein ähnliches Spielwerk treiben; aber der Grieche tut es besser und genialischer, als der Sizilianer. Palagonia liegt herrlich in einem Bergwinkel des Tales Enna. Kommt man von Caltagirone herüber, so geht man zuletzt durch furchtbare Felsenschluchten, und steigt einen Berg herab, als ob es in die Hölle ginge; und es geht in ein Elysium. Schade, daß die exemplarische sizilianische Faulheit es nicht besser benutzt und genießt. Die Stadt ist traurig schmutzig. Über den Namen der Stadt habe ich nichts gehört und gelesen; welches freilich nicht viel sagen will, da ich sehr wenig höre und lese. Ich will annehmen, er sei entstanden aus Paliconia, weil nicht weit davon rechts hinauf in den hohen Felsen der Naphthasee der Paliker liegt, von dem die Fabel so viel zu erzählen und die Naturgeschichte manches zu sagen hat. Wäre ich nicht allein gewesen, oder hätte mehr Zeit, oder stände mit meiner Börse nicht in so genauer Rechnung, so hätte ich ihn aufgesucht.

Von hier aus wollte ich nun nach Syrakus. Einer der überraschendsten Anblicke für mich war, als ich aus Palagonia heraustrat. Vor mir lag das ganze, große, schöne Tal Enna, das den Fablern billig so wert ist. Rechts und links griffen rundherum die hohen felsigen Bergketten, die es einschließen und von Noto und Mazzara trennen; und in dem Grunde gegenüber stand furchtbar der Aetna mit seinem beschneiten Haupte, von dessen Schädel die ewige lichte Rauchsäule in der reinen Luft emporstieg, und sich langsam nach Westen zog. Ich hatte den Altvater wegen des dunkeln Wetters noch nicht gesehen, weder zu Lande, noch auf dem Wasser. Nur auf der südlichen Küste in Agrigent, vor dem Tore des Schulgebäudes, zeigte man mir den Riesen in den fernen Wolken; aber mein Auge war nicht scharf genug, ihn deutlich zu erkennen. Jetzt stand er auf einmal ziemlich nahe in seiner ganzen furchtbaren Größe vor mir. Katanien lag von seinen Hügeln gedeckt; sonst hätte man es auch sehen können. Ich setzte mich unter einen alten Ölbaum, welcher der Athene Polias Ehre gemacht haben würde, auf die jungen wilden Hyazinthen nieder, und genoß eine Viertelstunde eine der schönsten und herrlichsten Szenen der Natur. Das war wieder Belohnung, und ich dachte nicht weiter an die Schnapphähne und das Examen von Terra Nuova. Ich würde rechts hinaufgestiegen sein in die Berge, wo viele Höhlen der alten sikanischen Urbewohner in Felsen gehauen sein sollen; aber ich konnte dem Orientieren und der müßigen Neugierde in einer sehr wilden Gegend nicht so viel Zeit opfern. Ich verirrte mich abermals, und kam, anstatt nach Syrakus, nach Lentini. Es war mir indessen nicht unlieb, die alte Stadt zu sehen, die zur Zeit der Griechen keine unbeträchtliche Rolle spielte. Sie ist in dem Mißkredit der schlechten Luft, weswegen auf einer größern Anhöhe Karl der Fünfte, deucht mir, Carlentini anlegte. Ich spürte nichts von der schlechten Luft; aber freilich kann man vom Ende des März keinen Schluß auf das Ende des Juli machen. Der See gibt der Gegend ein heiteres, lachendes Ansehen, und die Luft würde sich sehr bald sehr gesund machen lassen, wenn man nur fleißiger wäre. Um die Stadt herum ist alles ein wahrer Orangengarten; und Du kannst denken, daß ich mit den schönen Hesperiden nicht ganz enthaltsam war, da ich doch nun nicht hoffen durfte, Syrakusertrauben zu essen. Mir hat es gefallen in Lentini; und wenn die Leute daselbst krank werden, so sind sie wahrscheinlich selbst Schuld daran, nach allem was ich davon sehe. Ich war nun zwei Mal irregegangen, und hielt es daher doch für besser, einen Mauleselführer zu nehmen. Er erschien, und wir machten bald den Handel, da ich nicht viel merkantilisches Talent habe, und gewöhnlich gleich zuschlage. Nun wollte der Mensch die ganze Summe voraus haben; das fand ich etwas sonderbar und meinte, wenn er mir nicht traute, so müßten wir teilen, und ich würde ihm die Hälfte vorauszahlen. Damit war er durchaus nicht zufrieden; aber noch drolliger war sein Grund. Er meinte, wenn ich geplündert oder erschlagen würde, wie sollte er sodann zu seinem Gelde kommen? Das war mir zu toll; ich schickte ihn ärgerlich fort, und ging mit meinem Schnappsack allein.

Von hier wollte ich endlich nach Syrakus; aber ich ging in den Mauleseltriften der Bergschluchten und Höhen und Täler abermals irre, und kam, anstatt nach Syrakus, nach Augusta. Das erste Stündchen Weg war schön und ziemlich gut bebaut: aber sodann waren einige Stunden nichts als Wildnis, wo rund umher Oleaster, fette Asphodelen und Kleebäume wuchsen. Eine starke Stunde vor Augusta fing die Kultur wieder an, und hier ist sie vielleicht am besten auf der ganzen Insel. Der Wein, den ich hier sah, wird ganz dicht am Boden alle Jahre weggeschnitten, und die einzige Rebe des Jahres gibt die Ernte. Das kann nun wohl nur hier in diesem Boden und unter diesem Himmel geschehen. Es ist ein eigenes Vergnügen, die Verschiedenheit des Weinbaues von Meißen bis nach Syrakus zu sehen; und wenn ich ein weingelehrter Mann wäre, hätte ich viel lernen können. Die Landzunge, auf welcher Augusta liegt, mit der Gegend einige Stunden umher, gehört zu dem üppigsten Boden der Insel. Vor der Stadt machte man Salz aus Seewasser, zu welcher Operation man einen großen Strich totes Erdreich brauchte. Nirgends habe ich so schwelgerische Vegetation gesehen, als in dieser Gegend. Die Stadt ist ringsum vom Meere umgeben, und es führt nur eine ziemlich feste Brücke hinüber. Von der Landseite ist der Ort also gut genug verteidigt, und es würde eine förmliche Belagerung dazu gehören, ihn zu nehmen. Von der Seeseite scheint das nicht zu sein. Die wenigen Werke nach dem Wasser zu wollen nicht viel sagen. Die Stadt selbst ist nicht viel kleiner als die Insel Ortygia oder das heutige Syrakus. Ich wurde zu dem Stadthauptmann geführt, der meinen Paß besah, und mir ihn sogleich ohne Umstände mit vieler Höflichkeit zurückgab. Hier wurde ich, aus meinem Passe, Don Juan getauft, welchen Namen ich sodann auf dem übrigen Wege durch die ganze Insel bei allen Mauleseltreibern durch Überlieferung behielt. Der Gouverneur oder Stadthauptmann, was er sein mochte, denn ich habe mich um seinen Posten weiter nicht bekümmert, bewirtete mich mit dem berühmten syrakusischen Muskatensekt, den endlich dieser Herr wohl gut haben muß, und mit englischem Ale und Biskuit. Das Ale war gut, und das Biskuit besser; und über den Wein habe ich keine Stimme. Mir war er zu stark und zu süß. Ein Peruckenmacher, der in dem Hause des Stadthauptmanns war, führte mich gerades Weges in sein eigenes, bewirtete mich ziemlich gut, und ließ mich noch besser bezahlen. Dafür wurde ich aber so viel beexzellenzt, als ob ich der erste Ordensgeneral wäre, der den großen päpstlichen Ablaß auf hundert Jahre herumtrüge. Man erzählte mir, daß vor einigen Monaten ein Deutscher mit seiner Frau aus Malta durch Sturm hier einzulaufen genötigt worden sei, und, da er keinen Paß gehabt, zwanzig Tage habe hierbleiben müssen, bis man Befehl von Palermo eingeholt habe. Solche Guignons können eintreten.

Um nicht noch einmal in den Bergen herumzuirren, nahm ich nun endlich einen Maulesel mit einem Führer hierher nach Syrakus. Ich hatte eine große Strecke Weges an dem Meerbusen wieder zurückzumachen. So lange ich mich in der Gegend von Augusta befand, war die Kultur ziemlich gut; aber sowie wir Syrakus näher kamen, ward es immer wüster und leerer. Der Aetna, der über die andern Berge hervorragte, rauchte in der schönen Morgenluft. Der Mauleseltreiberpatron hatte mir zum Führer einen kleinen Buben mitgegeben, der sich, sobald wir heraus waren, auf die Kruppe schwang, mir einen kleinen eisernen Stachel zum Sporn gab, und so mit mir und dem Maulesel über die Felsen hintrabte. Diese Tiere hören auf nichts als diesen Stachel, der ihnen, statt aller übrigen Treibmittel, am Halse appliziert wird. Wenn es nicht recht gehen wollte, rief der kleine Mephistophiles hinter mir: Pungite, Don Juan, sempre pungite. Siehst Du, so kurz und leicht ist die Weisheit der Mauleseltreiber und der Politiker. Das scheint das Schiboletchen aller Minister zu sein. Wie der Hals des Staats sich bei dem Stachel befindet, was kümmert das die Herren? Wenn es nur geht, oder wenigstens schleicht. Mein kleiner Führer erzählte mir hier und da Geschichten von Totschlägen, so wie wir an den Bergen hinritten. Rechts ließen wir die Stadt Melitta liegen, die auf einer Anhöhe des Hybla noch eine ziemlich angenehme Erscheinung macht. Sonst ist der Berg ziemlich kahl. Acht Millien von Syrakus frühstückte ich an der Feigenquelle, wo der Feigen sehr wenig, aber viel sehr schöne Ölbäume waren, fast der Halbinsel Thapsus gegenüber. Nun trifft man schon hier und da Trümmern, die zwar noch nicht in dem Bezirk der alten Stadt selbst, aber doch in ihrer Nähe liegen. Noch einige Millien weiter hin ritt ich den alten Weg durch die Mauer des Dionysius herauf, und befand mich nun in der ungeheueren Ruine, die jetzt eine Mischung von magern Pflanzungen, kahlen Felsen, Steinhaufen und elenden Häusern ist. Als ich in der Gegend der alten Neapolis zwischen den Felsengräbern war, dankte ich meinen Führer ab, und spazierte nun zu Fuße weiter fort. Der Bube war gescheit genug, mir einen Gulden über den Akkord abzufordern. In Syrakus ging ich durch alle drei Tore der Festung als Spaziergänger, ohne daß man mir eine Silbe sagte: auch bin ich nicht weiter gefragt worden. Das war doch noch eine artige stillschweigende Anerkennung meiner Qualität. Den Spaziergänger läßt man gehen.


 << zurück weiter >>