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Ein Sommermärchen

Als ich noch ein kleiner Knabe war, ging ich gern hinaus in die Waldlichtung, wo die hohen einzelnen Buchen stehen, denn dort wußte ich die Stellen, wo die herrlichsten Erdbeeren im Grase wuchsen. Später kamen dann die Himbeeren, deren Sträucher wie kleine Wäldchen beieinanderstanden und rot von Früchten schimmerten, und noch weiterhin wurden im feuchten Grunde die Brombeeren reif, so daß die grünen Rankenhügel wie mit blauschwarzen Perlen übersät erschienen. Wenn ich jetzt an diesen lustigen Ort zurückdenke, so ist mir immer, als hätten nirgendwo die kleinen Vögel schöner gesungen als dort; das aber weiß ich gewiß: nirgendwo gab es so prächtige Schmetterlinge, so seltsame Käfer und so viel wilde Rosen, die mit dem apfelähnlichen Duft ihrer Laubblätter die Luft erfüllten.

Eines Tages im Sommer lag ich dort auf dem Rücken im Grase und schaute in die hohe grüne Krone einer Buche. Rings um mich war lauter Sommermusik. Die Hummeln brummten emsig um die weißblühende Taubnessel; mit feinerem Tone summten unzählige Bienen im duftigen Kraut, und überall wetzten und schwirrten unermüdlich die kleinen Grashüpfer. Die warme Luft und der einförmige Sommergesang machten mich schläfrig, und eben wollten mir die Augen zufallen, als ein Schmetterling über mich hinschwankte, desgleichen ich hier noch nie gesehen hatte. Ein großer weißer Sommerfalter mit roten Augen auf den Flügeln, er glich dem Apollo in der Sammlung meines Onkels, allein dieser Schmetterling kam ja in unserem Flachlande gar nicht vor. Als ich mich aufrichtete, um ihm nachzusehen, war er verschwunden und zeigte sich nicht wieder. Aber etwas anderes bemerkten meine erstaunten Blicke. Wo waren plötzlich all die anderen Schmetterlinge hergekommen?

Ein seltsames Leuchten war über dem Grase, daß es wie grünes Gold schimmerte und die Blumen wie Edelsteine flammten. Darüber lebte und webte die Luft von unzähligen Sommerfaltern, als hätten sie diese Waldlichtung zu einer großen Zusammenkunft auserlesen. Da waren Schillerfalter und Schwalbenschwänze, Segler, Distelfalter und Eisvögel in buntem Gewimmel, des niederen Volkes der Pfauenaugen, Füchse und Weißlinge gar nicht zu gedenken, ja die kleinen Feuervögel und Bläulinge schwebten in förmlichen Wolken um den blühenden Thymian.

»Wenn jetzt der Onkel hier wäre«, dachte ich. Ich wollte aufstehen, um ihn zu holen, allein als ich dabei den Stengel einer Glockenblume zufällig berührte, hörte ich ganz deutlich ein silberhelles Klingeln. Es war wie ein Signal, denn sofort antwortete die nächste, und bald lief ein liebliches Läuten, das mit jedem Windhauch anschwoll oder sich verlor, über das ganze Feld.

Mir ward ganz wunderlich zu Mute. »Du, was hat das zu bedeuten?«, fragte ich einen großen glänzenden Käfer, der behaglich auf einem grünen Blatte saß und sich sonnte. Dieser antwortete nicht, sondern hob und senkte plötzlich seine Flügel und fing an, heftig zu zählen. »Dumm... Dumm... Dumm... Dummkopf!« brummte er dann und flog davon. Über mir in der großen Buche raschelte es; drei Eichhörnchen spielten dort. Als sie bemerkten, daß ich aufblickte, schauten sie nebeneinander von einem Aste auf mich hernieder, und mir war, als kicherten sie fein und höhnisch.

Auf einmal ging ein sanftes Wehen und ein Duft von wilden Rosen über das Feld, und fern aus dem Walde schallte es wie die verhallenden Töne einer großen Kirchenglocke. Rosenrote Nebel zogen an meinen Augen vorüber, ich sah wie durch einen verschwommenen Dämmer das unendliche Schmetterlingsgeflatter um mich her und die blütenbestreute Grasflur, die im Windhauch Wellen schlug wie ein grünes Meer mit bunten Schaumkämmen. Die Sinne schwindelten mir, ich schloß die Augen, sank in das Gras zurück und lag ganz still da. Plötzlich fühlte ich, daß ein leichter Schatten über mein Gesicht fiel, und eine glockenhelle Stimme sprach:

»Ei, ei, wie wunderlich ist das!
Wer liegt denn hier im grünen Gras
Und schläft hier bei der Sonne Glühn,
Wenn rings die wilden Rosen blühn?«

Ich schlug die Augen auf und schaute in ein rosiges Mädchenantlitz, das sich über mich gebeugt hatte, so daß das goldglänzende Haar, das zu beiden Seiten herabfiel, fast mein Gesicht berührte. Das Mädchen richtete sich auf, warf die Haare in den Nacken und lachte. »Oh, was für ein dummes Gesicht kannst du machen!« sagte sie. Ich stand ganz verwirrt auf und starrte das zierliche Persönchen unverwandt an.

»Komm, tanz mit mir«, sagte sie und ergriff meine Hand. Ich stolperte recht unbeholfen neben ihr her, denn nun sah ich es wohl, sie hatte Schmetterlingsflügel an den Schultern, und ihre rosigen Füßchen berührten kaum die Spitzen der Gräser, so leicht schwebte sie dahin. Sie ließ mich los und lachte wieder. »O Menschenkind, was hast du für Trampelfüße!« rief sie. Dann schwebte sie auf einen moosigen Stein in der Nähe, klatschte dreimal in die Hände und rief: »Frau Eidechs! Frau Eidechs!«

Zwischen den Steinen kam eine große grüne Eidechse hervorgelaufen, hob den Kopf auf possierliche Weise und sah das Kind mit den klugen goldenen Augen an.

»Wir müssen schnell ein Paar schöner neuer Flügel haben«, rief das Mädchen, »lauf schnell, du alte Eidechse!« Diese verschwand eilfertig und kam bald mit großen bunten Schmetterlingsflügeln zurück, die mir angeheftet wurden. Nun kam ich mir so leicht vor wie ein Flöckchen Wolle, und die Spitzen des Grases bewegten sich kaum unter meinen Füßen, als ich jetzt wieder Hand in Hand mit dem kleinen Mädchen weiterschwebte.

»Kennst du mich?« fragte sie.

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich heiße Wieglinde«, sagte sie, »ich bin die Schmetterlingskönigin – siehst du mein Diadem?«

Ich hatte es schon bemerkt – in ihrem goldsonnigen Haar saß ein Kranz von Schillerfaltern, die fortwährend die Flügel auf und zu klappten, so daß sie in der Sonne wie lauter Edelsteine schimmerten.

Dann streckte sie den Zeigefinger aus, und aus dem Schwarm der Schmetterlinge setzte sich ein Segelfalter auf ihre Hand. Sie flüsterte ihm etwas zu, dann erhob er sich in die Luft und schoß in reißendem Taumelflug davon.

»Du sollst meinen königlichen Palast sehen«, sagte sie dann, »er ist nicht weit von hier.«

Sie schlang den Arm um meinen Leib, und nun erhoben wir uns in die Luft und schwebten hoch empor, immer umflattert von dem zahllosen Schwarm der Schmetterlinge. Über die besonnten Wipfel des Buchenwaldes, der zu unsern Füßen rauschte und wogte wie ein glänzend grünes Meer, ging es dahin; ringsum lag die Welt in goldenem Schimmer und bläulichem Duft, und bald tauchte vor uns ein mächtiger See auf, an dessen grünen Ufern wir uns niederließen.

Eine kleine Landzunge erstreckte sich in den See hinaus, von Blumen bedeckt und überrankt von Geißblatt, das ganz mit mächtigen Trauben seiner Röhrenblüten besät war. Wir setzten uns dorthin in das weiche Laubwerk, und nun geschah ein wunderliches Ding, denn als Wieglinde in die Hände klatschte, löste sich die Spitze der kleinen Halbinsel sanft vom Lande ab und schwamm mit uns in den See hinaus.

»Siehst du, wie meine Pferdchen ziehen?« fragte mich Wieglinde, und nun bemerkte ich erst, daß sich Hunderte von Schmetterlingen mit Spinnenfäden vor das Inselchen gespannt hatten und es davonzogen. Als wir nun so zurückgelehnt in den weichen Blumenkissen saßen, die Füße in den weichen Teppich von blühendem Thymian gestellt, der den Boden dicht bedeckte, geriet ich in Verwunderung über die riesigen Blüten des Geißblattes, die gleich Büscheln von goldenen Champagnergläsern beieinanderstanden. Wieglinde bemerkte das: »Willst du Schmetterlingswein trinken?« rief sie. Damit pflückte sie eine von den Röhrenblüten und reichte sie mir dar. Sie selbst setzte eine andere wie einen Becher an den Mund und trank sie leer. Welch ein süßes Feuer rieselte mir durch die Adern, als ich das gleiche tat; mir war, als tränke ich flüssigen Sonnenschein; es verbreitete sich eine Klarheit um mich, als wenn die Welt in goldenem Lichte stände, und meine Ohren wurden scharf, daß ich allerlei Dinge vernahm, die mir vorher verborgen geblieben waren. Ich hörte den leisen Gesang der kleinen Wellen, die plätschernd zu beiden Seiten des Inselchens auseinanderwichen, ich vernahm aus dem Gewimmel der Schmetterlinge ein zartes, wisperndes Klingen, und mir war selbst das sanfte Wehen des Windes wie eine liebliche Musik im Ohre: »Geschwinde, geschwinde, wiege Welle sanft dahin ... Wieglinde, Wieglinde ... unsere holde Königin. Über blanke Silberwogen ... Silberwogen ... kommt der Sommerwind geflogen ... Mit den Lüften ... süß von Düften ... für die holde Königin ... Geschwinde, geschwinde ... wiege Welle sanft dahin ... Wieglinde, Wieglinde ... unsere holde Königin.« So sang es und klang es, und ich saß und lauschte, und um uns her wirrte und schwirrte es von Schmetterlingen, deren immer mehr wurden, je weiter wir fuhren, so daß es zuletzt fast anzusehen war, als führen wir in einer Wolke von buntem Rauch dahin. Deshalb hatte ich auch so wenig auf unsere Fahrt geachtet, daß ich schier verwundert war, als das Blumenschiff auf einmal sanft in eine kleine Bucht hineinglitt und eine wunderbare Insel vor mir lag, die ganz mit farbig blühenden Sträuchern und Bäumen bedeckt war. Aber noch größere Farbenpracht trugen die Hunderte von kleinen Personen zur Schau, die auf dem weißen Sande des Ufers auf uns zu warten schienen. Man hätte sie für Schmetterlinge in Menschengestalt oder für wandelnde Blumen halten mögen, so herrlich waren sie gekleidet. Als sie das Schifflein erblickten, erhoben sie mit ihren feinen Stimmen ein herzhaftes Jubelgeschrei und sprangen an dem Ufer umher und gebärdeten sich schier wie toll vor Freude. Viele von ihnen waren mit bunten Schmetterlingsflügeln versehen, und diese erhoben sich in die Lüfte und flogen uns entgegen.

»Das sind meine lustigen getreuen Untertanen«, sagte Wieglinde, »und dies ist mein Königreich.«

Als wir das Ufer erreicht hatten, erfaßte Wieglinde meine Hand; die ganze Schar setzte sich alsbald in Bewegung und zog mit uns durch einen hochstämmigen Buchenwald, dessen weicher Laubboden mit Tausenden von blühenden Anemonen und Maiglöckchen bedeckt war. Die Blumen schienen an diesem seligen Orte keine Zeit zu kennen und alle gleichzeitig zu blühen.

Hat man wohl jemals einen lustigeren Zug gesehen? Die einen schweiften, sich haschend und jagend, den Boden kaum mit den Fußspitzen berührend, dahin, die anderen hoben sich bis zu den Wipfeln empor und schwangen sich um die Buchenstämme, tauchten hier in den dunklen Schatten des Waldes ein und leuchteten dort, von einem Sonnenstreifen getroffen, mit feurigen Farben wieder hervor. So gelangten wir bald an einen freien Platz, der mit unendlich vielen Blumen bedeckt war. In seiner Mitte erhob sich ein prächtiges Schloß mit Bogen, Kuppeln und Türmen, aber alles war aus Rosen und aber tausend Rosen zusammengewachsen. Zum Walde durch die Luft liefen von allen Seiten, von den Türmen und Altanen aus, farbige Blumenketten, die sich im leisen Winde schwankend wiegten. Als wir in das Schloß eingezogen waren, gelangten wir in einen riesigen Kuppelsaal, dessen Decke mit einem leichten Geranke aus blühenden Rosenzweigen überwölbt war, durch das das Blau des Himmels freundlich hereinschien und die Sonne reichliche Lichter sendete. Der größte Teil des Saales ward durch einen kristallklaren Teich eingenommen, den riesige Blüten und Blätter weißleuchtender Wasserrosen dicht bedeckten, und in der Wand gegenüber dem Haupteingange wölbte sich in der Höhe eine Laube, in der ein Thronsessel stand. Statt einer Treppe führten strahlenförmig eine Menge Blumenketten empor, alles aus Rosen und immer wieder aus Rosen. Als wir näher kamen, sah ich auch, daß Sitz und Lehne des Thrones aus Rosensträuchern zusammengewachsen waren, deren Purpurblüten so dicht beieinanderstanden, daß dadurch die weichsten Kissen der Welt gebildet wurden. Auf diesem köstlichen Sessel mußte ich neben Wieglinde Platz nehmen. Die andere lustige Gesellschaft hatte sich auf dem Veilchenteppich, der den Rand des Teiches umgab, gelagert, und nun schwatzten sie miteinander in munterer Erwartung der Dinge, die da kommen sollten.

Zuerst klatschte Wieglinde dreimal in die Hände. Auf dieses Zeichen setzten zwei sonderbare Herolde, die zu beiden Seiten des Thrones standen, lange goldene Trompetenblumen an den Mund und bliesen einen langen summenden Ton in die Luft hinaus, und seltsam klang es, als sie aufhörten, daß von ferne gleich einem Echo derselbe Ton zurückkam. Darauf blieb anfangs alles still, nur ein leises Klingen und Wispern ging draußen über die mit Blumen bedeckte Wiese. Zuvörderst kamen dann einige seltsame Männlein zu dem Haupttor hereinspaziert. Wahrhaftig, hätte es sich nicht alsbald herausgestellt, daß es Musikanten waren, man hätte sie für große Käfer und Heuschrecken halten mögen. Sie setzten sich unter ein riesiges Farnkraut am Rande des Teiches und begannen, in den sonderbarsten Manieren ihre Instrumente zu stimmen. Sie strichen ihre dünnen Arme und Beine zusammen und brachten verwunderliche Töne damit hervor. Ein ganz dickes Persönchen trommelte sich auf den Bauch in dumpfen Paukenschlägen, und andere verstanden, auf Blumenblättern und Grashalmen gar sonderlich zu blasen.

Unterdes ich diese spaßhafte Gesellschaft beobachtet hatte, war mir ganz entgangen, was sich außerhalb des Schlosses ereignete, und mit Verwunderung bemerkte ich nun, als ich die Augen wieder aufschlug und durch die großen Fenster blickte, daß sämtliche Blumenketten, die vom Walde auf das Schloß zuführten, mit Reihen von bunten und zierlichen Personen bedeckt waren, die eilfertig näher kamen und sich gar artig gegen den dunkelblauen Sommerhimmel abhoben. Und kaum hatte ich dies bemerkt, so strömten sie auch schon herein durch Tür und Tor und Fenster, ja, selbst durch die Lücken des leichten Rosengewölbes sanken sie hernieder und füllten den Raum wie durch einen Zauber.

Nun klatschte Wieglinde zum zweitenmal in die Hände, die Trompeter bliesen und in großer Geschwindigkeit hatte sich das ganze flüchtige Volk um den Rand des Teiches versammelt.

Nochmals klatschte Wieglinde, und wiederum bliesen die Herolde, und auf dies letzte Zeichen begannen die Musikanten, eine so lustige Musik zu machen, daß es selbst mir durch alle Glieder fuhr und meine Füße unwillkürlich den Takt dazu schlugen. Kaum erschallten die ersten Töne, als auch schon der ganze blätterbedeckte Wasserspiegel des Teiches in buntem Gewimmel mit tanzenden Personen erfüllt war, die in allerlei künstlichen Verschlingungen und Windungen einen anmutigen Reigen aufführten und dazu in abwechselnden Chören gar lieblich sangen:

»Es blühen die Blumen in buntem Schein;
Sie laden zum Flattern und Kosen uns ein!
So lieblich ihr Duft!
So linde die Luft!
Vergessen ist gestern,
Und morgen ist weit!
Laßt heut uns genießen
Die goldene Zeit!

Es duften die Blumen und blühen so bunt,
Und jegliche Blüt' ist ein rosiger Mund!

Wir flattern im Wind
Und küssen geschwind!
Vergessen ist gestern,
Und morgen ist weit!
Laßt heut uns genießen
Die goldene Zeit!«

Der Reigen ward wilder und rauschender, und plötzlich löste sich eines der Paare ab, tanzte zu uns den luftigen Pfad hinauf, drehte sich an dem Thronsessel vorüber und wirbelte an der anderen Seite hinab, wo es wieder in der Menge verschwand. So kamen mehr und immer mehr Paare, das Rauschen der leichten Gewänder umflatterte uns, und seltsam war es, daß jedesmal ein anderer Blumenduft von ihnen ausging. Plötzlich wehte es mich an wie ein Hauch von wilden Rosen, und in dem Arm eines stolzen Kavaliers, dessen Gewandung ganz mit leuchtenden Pfauenaugen bedeckt war, kam ein hellrosenfarb gekleidetes Mädchen daher. Die goldenen Locken umflatterten das erhitzte Gesichtchen, und die brennenden Augen hielt sie bei jeder Wendung auf mich gerichtet: »Ich bin die Flatterrose; morgen bin ich verblüht!« rief sie mir lachend zu und tanzte vorüber. Von der Haube, die ihren Kopf wie einen Blumenkelch umgab, löste sich ein rosenfarbiges Blatt und senkte sich flatternd auf das Gewässer des Teiches. Wieglinde erfaßte jetzt meine Hand; wir verließen die tanzende und lachende Menge und wandelten über einen der luftigen Fußsteige dem Walde zu. Wir schwebten über die glänzenden Wipfel hin, die von dem Scheine der untergehenden Sonne golden überstrahlt waren, und ließen uns am Ufer des Sees nieder. Ich sah dort das Blumenschiff halten, das auf uns zu warten schien.

»Deine Zeit ist um«, sagte Wieglinde, »ich will dir das Geleit geben. Vergiß nicht, was du erlebt hast, nur wenigen ist es vergönnt.«

»Nimmer kann ich das vergessen«, sagte ich. »Ach, könnte ich doch immer mit euch ein so herrliches Leben führen.« Sie schüttelte den Kopf: »Du hast nur die helle Seite unseres Lebens gesehen und kennst die Schatten nicht. Kurz nur ist der Sommer, und die schönen Tage sind selten. Wenn die Stürme brausen und der Regen rauscht, sitzen wir frierend und traurig in unseren Verstecken, und die Tage sind bitter. Denn unser Leben ist der Sonnenschein, unser Element die warme Sommerluft, und die Blumen sind unsere Gespielen.

Wir sind die Kinder des Tages; aber es gibt noch andere unseres Geschlechts, finstere, wüste Gesellen. Sie fliehen das Licht; die Dämmerung und die Nacht nur locken sie hervor aus ihren heimlichen Schlupfwinkeln. Haben sie dann die Finsternis durchtobt in wilden Schwärmen, so flattern sie taumelnd und matt am Morgen wieder in ihre Verstecke. Der ärgste dieser wüsten Gesellen, der König dieses unheimlichen Volkes, verfolgt mich und hat schon tausendmal versucht, mich in sein finsteres Reich zu ziehen, und mich bestürmt mit schmeichlerischen und glatten Reden, ja, kürzlich hat er sogar gedroht... horch!« rief sie plötzlich, »hörst du nichts?«

Durch die Stille vernahm man ganz gedämpft von ferne, vom Blumenschlosse her, zuweilen einen dumpfen Paukenschlag, ein abgerissenes Gelächter und dann ein stärkeres Aufschwirren der Musik, sonst nichts. Und doch, was war das für ein Summen, ein unheimlich tiefer schnurrender Ton, der allmählich näher kam und sich verstärkte? »Das ist er, der Fürchterliche!« rief Wieglinde in heller Angst. »Schütze mich, Heinrich!«

Und plötzlich, ehe ich mich dessen versah, schwang sich der Unhold hinter den Büschen hervor. Schwarzblau und gelb war seine Kleidung, und auf seiner Stirn trug er als Abzeichen einen häßlichen Totenkopf. Mit funkelnden Augen blitzte er mich höhnisch an und stürzte ohne weiteres auf Wieglinde, sie mit seinen mageren haarigen Armen umschlingend. »Heißa, mein Schätzchen!« keuchte er dabei, »jetzt bist du mein, jetzt lasse ich dich nicht wieder!«

Wieglinde rief: »Heinrich, Heinrich, rette mich!« Ich stürzte mich bebend vor Zorn auf das Scheusal; schon hatte ich die Hand an seiner wolligen Kehle und würgte es, schon fühlte ich, wie es seine Klauen zur Abwehr schmerzhaft in meine Arme schlug, als plötzlich ein langer blitzender Gegenstand – ich wußte nicht woher – den Räuber von hinten durchbohrte, so daß er ächzend mit grimmig verzerrtem Gesicht zusammenbrach. Ein blauer Nebel senkte sich vor meine Augen, alles verschwamm und verlief ineinander ... ich sah nur noch Wieglinde wie einen weißen Lichtschein davonschweben. Dann war alles dunkel.

Als ich die Augen öffnete, lag ich im Grase unter der hohen Buche; die Abenddämmerung war schon hereingebrochen. Vor mir stand mein Onkel, der Naturforscher, einen mächtigen Totenkopfschwärmer an seine Nadel spießend. Er sah ernst auf mich herab, schüttelte den Kopf und sagte: »Schlafmütze!« Dann wandte er sich von mir und ging mit langen Schritten durch das hohe Gras dem Dorfe zu.

Ich richtete mich auf, noch ganz betäubt, und blickte verwirrt umher.

Über mir sang ein einsames Rotkehlchen müde sein Abendlied; ein prachtvoller weißer Schmetterling schwebte in einiger Entfernung über das Feld und verlor sich im dämmernden Walde.


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