Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8.

Tiefe Traurigkeit herrschte in Bagdad, bald im ganzen Lande. Jeder seufzte im Stillen über den Tod des Gerechten, über den Tod des Wohlthäters des Menschengeschlechts, und Jeder zitterte, den Namen des Mannes auszusprechen, den er beweinte. Nur ein einziger Alter, Namens Mondir, hingerissen von Bewunderung und Schmerz, achtete den Befehl des gefürchteten Khalifen nicht. Er stellte sich, dem verlaßnen Paläste über, auf eine Anhöhe und brach in laute Klagen über das Schicksal Giafars und der Barmeciden aus. Das Volk versammelte sich um ihn her; und begeistert von seinem Gefühle, von dem Schluchzen, den Thränen der Umstehenden, hielt er eine Lobrede auf Giafar und sein Geschlecht. Mit der rührenden wahren Beredtsamkeit des Herzens schilderte er ihre großen Thaten, die unzähligen Wohlthaten, die sie Persien und ganz Asien erwiesen haben, dann streckte er die Arme gegen den Palast Giafars und ihr Geschlechtshaus aus und rief: »Und diese Häuser, in denen jeder Unglückliche Zuflucht, jeder Arme Hilfe und Trost, jeder Hungrige Speise, jede Waise einen Vater fand, sind öde und verlassen! Ihr edelster Bewohner ist nicht mehr – ist ermordet! Und Er, der alle seine Väter übertroffen hat, hat kein Grab, auf dem wir weinen, auf dem wir für ihn beten können!«

Thränen, Murren und Seufzen und Wehklagen begleiteten diese Worte des Alten. Der Kadi, der von dem Zusammenlaufe Nachricht erhalten hatte, eilte mit einer Wache herbei, trieb das Volk auseinander, riß den Redner herunter und schleppte ihn nach dem Palaste des Khalifen. Der Khalife ergrimmte, ließ ihn vor sich bringen, und als er ihn erblickte, schrie er ihm zu: »Verwegener, hast du meinen Befehl nicht gehört?«

Mondir (gelassen). Ja!

So tödtet den Kühnen, den Andern zum Schrecken, sprach Haroun.

Mondir Ich danke dir, Nachfolger des erhabenen Propheten! Erlaube mir nur aus Gnade, bevor du mich tödten lässest, einige wenige Worte, und ich eile dem Barmeciden nach.

Haroun winkte ihm die Erlaubniß zu.

Mondir Herr der Gläubigen, wer wird wohl darüber erstaunen, daß du den armen Mondir tödten lässest, nachdem du den Gerechtesten in Asten zum Tod verurtheilt hast? Dein Volk ist nach dieser That auf das Schrecklichste vorbereitet; denn um sie begehen zu können, muß der gute Geist, der dich bisher geleitet hat, von dir gewichen sein. Nur wenig Athem habe ich noch; aber ich will ihn anwenden, um dir zu sagen: du hast die Zierde deines Throns, den Vater deines Volks, deinen weisen Freund in Giafar ermordet! die künftigen Freunde und Lehrer deiner Kinder in seinem Geschlecht verbannt. Freilich kannst du mich tödten und hast, so mächtig du auch bist, kein anderes Mittel, mich alten Mann verstummen zu machen. Aber kannst du auch den Ruhm seiner und seiner Väter Thaten tödten? Kannst du den Dank deiner Völker, den Segen der durch sie Glücklichen schweigen heißen? Kannst du die heimlichen Thränen über ihren Verlust in deiner Unterthanen Augen zurückhalten? Kannst du gebieten, ihre Herzen sollten dich nicht im Stillen verwünschen? Tödte nur und wüthe! die Barmeciden sind unsterblich, sie leben durch ihre Wohlthaten, durch ihre Tugend. Sie leben fort in den Gebäuden, die sie als Denkmäler ihrer Menschlichkeit aufgeführt haben. Zerstöre sie, und die Trümmer werden dann noch bezeugen, was ich sage, wenn von dir nichts mehr übrig ist, als das Andenken der schrecklichen That, die du begangen hast. Dein Bruder Hadi tödtete den edlen Vater, du den noch edlern Sohn, den Sohn des Mannes, dem du das Leben dankst! »Unter solchen Herrschern ist der Tod Gewinn!«

Harouns Wangen glühten, seine Augen wurden feucht. Vergebens erwachte Groll in seinem Geiste. Die Worte des Alten, seine Vorwürfe, das Andenken Hadis, das er ihm so plötzlich vorhielt, die Erinnerung der Tugenden Giafars, das Bewußtsein: die Stimme des Volks sei gerecht; das Gefühl: der Mann, der alle diese Vorzüge besessen, sei nicht mehr, er habe seine Rache an ihm gesättigt, seine Macht durch seinen Fall bewiesen, die Klugheit des Herrschers stimmten ihn zum Mitleid mit dem Alten. Er rief einem seiner Diener, sprach leise zu ihm; dieser trat ab. Die Umstehenden sahen den Tod Mondirs als gewiß an. Der Diener kam zurück mit einer goldnen Schüssel voll Derhem. Haroun ließ sie dem Alten reichen und sagte:

Haroun ist gerecht; Asien nennt ihn Alraschid, und so wird ihn die Nachwelt nennen. Nimm hin, und Friede sei mit dir!

Mondir empfing die goldne Schüssel, hielt sie gegen die Anwesenden hin und rief: Seht hier noch eine Wohlthat des edlen Barmeciden!

Diese Worte wurden zum Sprüchwort in ganz Asien, und Jeder, der noch heute unvermuthet eine Wohlthat empfängt, ruft Mondir nach: Seht hier noch eine Wohlthat des edlen Barmeciden!


 << zurück weiter >>