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10.

Haroun hatte sich seit der Entfernung Abbassas in Kälte und Ernst gehüllt. Täglich vernahm er von seinen Kundschaftern das Betragen Giafars, erfreute sich der Pein, in der er ihn gedachte, und je mehr er sich davon überzeugte, je gefälliger, freundlicher ward er gegen ihn: aber in seinem Herzen blutete die Wunde, wüthete der Haß. Alles fehlte ihm, sein Palast schien ihm leer, träumend durchirrte er seiner Schwester Zimmer, lagerte sich gedankenvoll und seufzend auf den Sopha, wo er so viele Stunden an ihrer Seite zugebracht hatte. Todt wie die Laute, die vor ihm lag, der nur ihr Spiel und Gesang entzückendes Leben gab, schien ihm nun sein Herz. Nur ihre Stimme hören zu können, nur eine Stunde des Tags an ihrer Seite zu sitzen, ihre geistvollen Blicke zu beobachten, die Empfindungen ihres Herzens von ihren Lippen zu belauschen, nur eine Sekunde zu denken, sie sei noch sein, sie habe sich für keinen Andern erklärt, schien ihm der seligste Genuß des Lebens. Diese Unruhe, diese qualvolle, Leere, die er Tag und Nacht, zum erstenmal, bei den wichtigsten Geschäften, selbst in den Armen seiner liebkosenden Weiber empfand, würden ihn endlich gegen seinen festen Entschluß zu ihr geführt haben, wenn nicht der Bericht einiger unbedeutender Vorfälle mit den Griechen auf den Grenzen seinem Geiste plötzlich eine andere Richtung gegeben hätte. Kaum hatte er die Botschaft gehört, so entflammte sich sein Herz. Krieg, Ruhm, Eroberung, Ausbreitung des Glaubens, seinem Geiste angemessene Beschäftigungen, erfüllten auf einmal seine ganze Seele. Der Divan ward versammelt, die Berichte vorgelegt, zum Schein berathschlagt, und nur Giafar meinte, die Ursachen der Beschwerden seien nicht hinreichend, das Blut des Muselmanns aufzuopfern; es ließen sich vielleicht von der schwachen Regierung des griechischen Kaisers die Vortheile, die man suchte, durch Unterhandlungen erhalten, und um menschlich zu sein, müßte man wenigstens dieses erst versuchen. Khozaima rief: »Das Gesetz des Propheten will's!« Der Divan hallte nach: »Der Prophet will's! Zu lange haben die Waffen des Muselmanns geruht, und nach des Propheten Willen sollen sie nicht ruhen, bis sie seiner Lehre die Erde unterworfen haben!« Der Khalife hielt eine Rede in demselben Geist; der Krieg ward beschlossen, durch ein Wort über das Schicksal so vieler tausend Schlachtopfer entschieden, weil Haroun die Leidenschaft, die sein Herz verzehrte, nicht überwinden, die Leere des erzwungenen, des notwendigen Verlusts nicht ertragen konnte. Die Zurüstungen wurden schnell gemacht; die Statthalter bekamen Befehl, die Völker an den Grenzen zu sammeln; und Haroun begab sich bis zur Zeit seiner Abreise in seinen Palast jenseits des Tigris, weil ihm sein gegenwärtiger Aufenthalt verhaßt war.


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