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13.

Giafar kam; der Khalife ließ ihn ein, befahl der Wache, ferne von dem Zimmer zu halten, schloß selbst die Thüre ab und wandte sich zu dem Barmeciden:

Warum verbargst du mir das wichtigste Geheimniß deines Lebens? Bin ich allein nicht werth, von dir übel Dinge belehrt zu werden, nach denen der Mensch so lüstern ist?

Giafar. Herr der Gläubigen, ich verstehe dich nicht.

Haroun. Du hast einen Geist – einen Genius – was weiß ich? gesehen? mit ihm gesprochen? durch ihn geträumt – Wo? Wenn? Wie?

Giafar. Einen Geist? Was ist ein Geist? Wer sieht einen Geist?

Haroun. Das will ich eben von dir erfahren, und darum ließ ich dich rufen. Ist das Märchen vielleicht nur für Weiberohren ersonnen? Es sei, wie es wolle, ich will es hören, von dir hören, ob ich gleich nicht an die Möglichkeit glaube. Aber wie daran zweifeln, da mir Zobaide betheuerte, dein Geist habe sie und deine Mutter vom Ertrinken errettet?

Giafar. Deine Gemahlin, Herr – deine Gemahlin sagte –

Haroun. Ja sie – sie hat durch Zufall entdeckt, was du mir so lange verschwiegen hast, was du mir, wie ich sehe, noch jetzt gerne verschweigen möchtest.

Giafar. Ich hatte so wenig Ursache, dir einen sonderbaren Zufall meines Lebens mitzutheilen, als ich nun habe, ihn dir zu verschweigen, da du mich darum fragst. Warum sollt' ich's? Was hätte ich dabei zu fürchten? Was es war, wie es zugegangen, was es ist, begreife ich nicht. Nur dies weiß ich, daß die Erscheinung ganz körperlich war, mit menschlicher Stimme sprach und folglich, so lange ich sie sah, kein Geist war.

Haroun. Und was sprach die Erscheinung?

Giafar. Sie sprach sehr gut über die unbegreiflichen Dinge, die ich von ihr wissen wollte, verstand sehr gut, sie mit einem schimmernden Glanze auszuschmücken. Sie erweckte mich aus meinem Trübsinn, indem sie mein Verlangen, gut und tugendhaft zu sein, auf einen zwar hohen, aber sichern Zweck hinspannte.

Haroun horchte lächelnd zu; er winkte dem Barmeciden, sich niederzulassen, und befahl ihm, umständlich den wunderbaren Zufall zu erzählen. Giafar ergriff mit Wärme die Gelegenheit, ihn ganz mit seiner Denkungsart bekannt zu machen. Er entwickelte ihm die Lage, worin er sich nach seines Vaters Tod befunden, die Erscheinung Ahmets, seine Unterhaltung, und hielt sich besonders bei dem Gedanken auf, was der Mensch dem Menschen sein sollte, wie nur durch ihre Schuld das moralische Böse entstände, und wie sie nur durch reinen Willen, durch das Gesetz der Vernunft, durch aus ihr bestimmte Wahl zwischen Gutem und Bösem den Endzweck des Ewigen befördern könnten. Dann berührte er das Gesicht – zeigte, welche Warnung ihm die Erscheinung durch Selbsterkenntniß gegeben hätte, und ließ nichts aus, als die Rolle, die Haroun im Traum gespielt hatte, weil er dabei Nachtheil für sich, ohne Vortheil für den Khalifen, sah. – Er verschwand – zerfloß in hellem Feuer vor meinen Augen, setzte er hinzu – deine Boten kamen, ich sah ihn nicht wieder. Ich dankte ihm für die Warnung; aber ich fühlte bald, daß mich meine Vernunft, das Gefühl meiner Freiheit ohne ihn durch das Leben führen könnten, daß sie allein mich führen müßten, wenn das Gute und das Böse, das ich wirke, mir zugerechnet werden soll.

Haroun. Giafar, und dies soll ich dir glauben?

Giafar. Kann ich es fordern, da ich es selbst nicht begreife?

Haroun. Und gleichwohl glaubst du, was du mir erzählt hast?

Giafar. Ich glaube es – fühle es durch die Wirkung.

Haroun. Du glaubst, du ständest mit höheren, unsichtbaren Wesen in Verbindung?

Giafar. Davon weiß ich nichts, auch bedarf ich ihrer nicht. Dieses erschien, ohne daß ich es gerufen habe, verschwand und ist nie wiedergekehrt.

Haroun. Und es war ein Geist – ein wahrer Geist – ein Genius?

Giafar. Wie kann ich sagen, was es war; ich sah ein Wesen meiner Art: aber Das, was dieses Wesen auf mich wirkte, mit mir vornahm, geht über unsre Kräfte, wie über unsre Erfahrung.

Haroun. Du bist ein Träumer, ein Schwärmer! Dich täuschte deine kranke Einbildungskraft, dann täuschtest du die Weiber, die so empfänglich für das Wunderbare sind, und nun täuschest du mich, um nicht als Lügner zu erscheinen und dich mir durch deine geträumte Verbindung mit Wesen höherer Art wichtiger zu machen. Sieh in meine Stirne und sage noch einmal, du ständest mit Geistern in Verbindung.

Giafar. Ich sagte es nicht und sage es nicht. Ich erzähle dir, was mir widerfahren ist, weil du es verlangst. Was sind mir Wesen einer andern Welt? So lange ich hier auf Erden bin, habe ich nur Sinn für Das, was ich begreife, leide, denke und wirke, beschränkt auf die Gegenwart. Ich erfülle den Kreis meines Wirkens, wie du; entfliehe ich einst dieser Welt und fühle und denke, bin noch, so geht für mich ein neues, mir jetzt ganz unbekanntes Dasein an. Alles, was ich jetzt zu thun habe, ist, dafür zu sorgen, daß mir alsdann die Erinnerungen von diesem kurzen Dasein hier nicht zur Bürde werden mögen. Vielleicht daß ich dann erfahre, was diese Erscheinung sagen wollte, vielleicht daß ich's noch hier erfahre; denn eben dieses Wesen drohte, mir einst wieder zu erscheinen.

Haroun. Ich wünschte, es mit dir zu sehen, denn nur meine Augen können mich davon überzeugen. – Wunderbar! zu deutlich und licht für einen Träumenden – zu unwahrscheinlich, zu dunkel für einen Wachenden. Meine Vernunft empört sich, und doch möcht' ich wissen – mehr wissen – tausend Fragen drängen sich nach meinen Lippen. Erinnerst du dich, wie dieses Wesen aussah?

Giafar. Sehr genau.

Haroun. Und wie? Wie? Wie war seine Kleidung? seine Miene?

Giafar. Seine erhabene Gestalt, seine nur ihm eigene Bildung, sein ernstes, ehrwürdiges Wesen, seine ausdrucksvollen bedeutenden Züge schweben lebendig vor meinem Geiste. Er war in ein graues, fliegendes Gewand gehüllt – ein feuerfarbener Gürtel umschloß sein Unterkleid – eine weiße Binde, in sonderbaren Biegungen, deckte sein dunkles Haar. – Durchdringendes Feuer strahlte aus den Augen, die dunkle, fein gezogene Braunen deckten. Tiefer, hoher Ernst saß auf seiner festen Stirne, Ueberredung floß von seinen Lippen, er unterjochte den Horcher, und der Ton seiner Stimme durchbebte die Nerven. Alles gewann er, nur das Herz nicht; denn um seinen Mund, der nur zum Genuß des Unsterblichen gebildet zu sein schien, spielte ein Lächeln, wenn er sanft sein wollte, das das Herz durchschnitt und mit kaltem, qualvollem Schauder füllte.

Haroun. So wie du das meine bei der Täuschung, die du mir vorgegaukelt hast; bei den Lügen, die du mir aus unedlem Zweck aufdringen willst. Wessen soll ich dich nun bezüchtigen? des Selbstbetrugs, der Schwärmerei, der Thorheit, einem Gaukler zum Spiel gedient zu haben – oder – geh, erzähle Weibern dein Hirngespinnst; Männer wissen nur allzu gut, was kluge Männer dadurch suchen. – Ha!

Bei diesem Schrei fuhr der Khalife plötzlich zurück; er sah Ahmet in dem Winkel des Sophas sitzen, mit den Geberden, in der Kleidung, wie ihn Giafar geschildert hatte.

Giafar. Was ist dir, Herr?

Haroun. Siehst du nicht? – Ist er's nicht? Dort – dort in dem Sopha.

Giafar. Ich sehe nichts.

Haroun. Ich sage dir, er ist's – Er! dein Geist, dein Genius – dein Er! Ha, so will ich einmal einen Geist in der Nähe sehen –

Er eilte nach dem Sopha, die Gestalt verschwand. – Unruhig, betroffen wandte sich Haroun zu Giafar? Hast du nichts gesehen?

Giafar. Nichts.

Haroun. Da! da saß es!

Giafar. Was? Wer?

Haroun. Dein Hirngespinnst – mein Hirngespinnst – dein Geist!

Er sprang nach der Thür, sah nach, ob sie noch verschlossen wäre – er fand sie fest geriegelt. Bedeutend sagte er zu dem Barmeciden: dein oder mein Hirngespinnst! Bist du ein Magus?

Giafar. Herr!

Haroun. Ha, sei es, was es wolle! – Der war es, der uns von einander riß, wenn wir uns nahen wollten. Dieser ernste Geist, mit dem kalten bedeutenden Blick, warf sich immer zwischen mich und dich.

Giafar. Welche fürchterliche Deutung gibst du dieser Erscheinung, die ich nicht begreife, die ich nur als eine Wirkung deiner durch meine Erzählung gespannten Einbildungskraft ansehe?

Haroun. Sprichst du nun so? Ich sage dir, ich sah ihn, wie du ihn maltest – hier – hier – er verschwand in Luft – und kalt, eiskalt blies mich die Luft an. Und du hast ihn nicht gesehen? Diese kalte Luft von ihm nicht empfunden?

Giafar. Ich sah und fühlte nichts.

Haroun. Es sei – Morgen früh reden wir von Geschäften. Die Nacht ist dunkel, der Tigris gefährlich reißend – dein Geist ist vielleicht nicht immer bereit, einen deiner Familie aus den Fluthen zu ziehen. Schlafe hier, auf dieser Stelle, wenn du kannst. (Er deutet auf den Sopha.)

Giafar. Was sollte mich daran stören?

Haroun. Zählst du so gewiß auf deinen Genius?

Giafar. Auf den deinen zähl' ich, Herr, und mehr noch auf den meinen, auf den, meine ich, der in mir wohnt.

Haroun. So gib jenem schnell den Abschied.

Giafar war mehr betroffen über das Betragen des Khalifen, als über die plötzliche Erscheinung des vermeinten Ahmets, die jener gesehen haben wollte. Harouns Worte klangen noch immer in seinen Ohren. Er sann der Erscheinung, ihrer Bedeutung, der Ursache nach, wodurch sie sich ihm entzogen hätte. Die Geschwätzigkeit Fatimens, die Wendung, welche der Vorfall genommen hatte, füllte seinen Geist mit einer Ahnung, die er sich nicht erklären konnte. Da er aber die Laune des Khalifen, von der er schon so viel gelitten, kannte und sein Bewußtsein ihn rechtfertigte, so schlief er bald unter diesen Betrachtungen auf eben der Stelle ein, wo Haroun den Geist gesehen haben wollte. Ganz anders war es mit dem Khalifen; ihn quälten Unruhe, Zweifel, Mißtrauen. Bald sah er Giafar als einen Schwärmer, bald als einen Zauberer, bald als einen Betrüger an, der seinen Verstand durch Vorspiegelungen unterjochen wollte; aber wenn er dachte, daß er so lange geschwiegen hatte, daß ein bloßer Zufall die Ursache der abgedrungenen Entdeckung war, mit welcher Gleichgültigkeit, Gewißheit der Barmecide ihm Alles mittheilte, wie sehr sein Leben und Wirken den vorgegebenen Inhalt der Unterredung mit dem Geist bestätigten – »und habe ich dieses ernste Wesen nicht selbst gesehen?« rief er laut: »schwebt es nicht noch jetzt vor meinen Augen in eben dem Gewande, mit eben der Geberde, eben den Zügen, wie ich's sah, und wie er's schilderte? Aber konnte es nicht meine erhitzte Einbildungskraft erzeugen? Konnte es nicht eben so entstehen, wie es nun aus dem Gehirn durch meine Augen hervortritt? Hätte nicht auch er es sehen müssen!« –

Diese Betrachtungen hinderten seinen Schlaf; er ergriff den Koran und wollte seinen Geist zur Ruhe lesen. Umsonst! – Plötzlich sprang er auf; er wollte Giafar noch einmal ausforschen, ihn listiger, kälter über jeden Umstand fragen. Er trat in das Zimmer, wo er ihn verlassen hatte, fand ihn auf eben der Stelle des Sophas ruhig schlafend. Heiter und glücklich war seine Miene, keine Spur von Sorge auf seinem Angesicht, der Athem floß unmerklich über seine Lippen. Lange betrachtete ihn Haroun, endlich murmelte er in sich: »Hier stehe ich als ein Thor vor ihm. In der Ueberzeugung, seine Rolle gut gespielt zu haben, schlief er ruhig ein. Furchtbar wollte er sich mir machen, ich sollte ihn unter dem Schutze, in der Verbindung mit höhern Geistern denken – so hoffte er durch diese Täuschung meiner gewissen Rache einst zuvorzukommen. Wag' es nur und reize sie. Haroun hat früh gelernt, die Tiefe des menschlichen Herzens zu ergründen.«

Er ging, bestärkt in seiner Meinung, in seinem Hasse. Verblendet von diesem bittren Gefühl, empfand er nicht, daß nur die Eifersucht, nur Giafars tadellose Tugend die ungerechten Ankläger in seinem Herzen waren; er wollte nicht fühlen, daß eben dieser ruhige Schlaf der sicherste Beweis von der Unschuld, der Reinheit des Gewissens des Angeklagten war.


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