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An der Römermauer


Ein britisch-römisches Lied.

Was meine Ahnen nie gesehen.
Wer weiß, ob mir das Glück es fügt:
Auf dem geweihten Grund zu stehn,
                        Wo Roma liegt.

Gekrönt von Zeit und Macht und Kunst,
Du Stadt, aus deren heil'gem Schoß
Durch Menschenkraft und Göttergunst
                        Ein Reich entsproß!

Nun zeigen Deine Söhne weit
In aller Welt, in Kampf und Müh
Roms sturmerprobte Festigkeit
                        Und wanken nie.

Du Herz, das harter Stahl umschließt,
O Herz des Reichs, schlag fest und gut
Denn uns, die Söhne Roms, durchfließt
                        Dein Lebensblut!

Ja, wir, den sieben Hügeln fern,
Wir schirmen dich mit starker Land
Und lieben dich – und dulden gern
                           Für's Vaterland!

An der Römermauer.

Als ich um Lalage Rom verließ
Auf der Heeresstraße nach Rimini,
Mit Schwüren sie ewige Treue verhieß!
(Ihr Herz ziehe mit nach Rimini,
Bleibe immerdar mein zu Rimini!)
Dann mußt' ich durch Gallien, durch England marschieren,
Im Schnee am Gestade des Pontus frieren,
Der weiß wie der Hals meiner Lalage –
Und so kalt wie das Herz meiner Lalage!
So verlor ich Gallien und England zumal,

(Nun erklang die Stimme immer lustiger.)

Und das ewige Rom und – oh, welche Qual! –
                        Und Lalage auch dazu!

Die Kinder standen vor dem Tore, das in den Wald führt, als sie dieses Lied hörten. Wortlos stürzten sie zu ihrem geheimen Durchlaß, zwängten sich durch die Hecke und traten fast auf Puck, der eben einen Eichelhäher fütterte.

»Leise!« sagte er. »Wen sucht ihr?«

»Parnesius natürlich,« antwortete Una. »Erst gestern haben wir uns erinnert – das ist nicht schön von dir!«

Puck erhob sich kichernd. »Es tut mir leid, aber Kinder, die den Nachmittag mit mir und einem römischen Centurio verbringen, müssen eine kleine, beruhigende Zauberdosis erhalten, ehe sie mit ihrer Erzieherin den Tee nehmen. – Heiho, Parnesius!«

»Hier, Faun!« schallte es von Volaterrä zurück. Sie sahen das Schimmern seiner Bronzerüstung in der Gabelung einer Buche, und das lustige Blitzen des hochgehobenen Schildes.

»Ich habe die Britannier davongejagt!« Parnesius lachte wie ein junger Bursch. »Ich halte ihre Burgen besetzt! Aber Rom ist gnädig – ihr dürft hereinkommen!« Und hurtig klommen die drei zur Höhe.

»Was war das für ein Lied, das du gerade gesungen hast?« fragte Una, als sie sich niedergelassen hatte.

»Das war ›Rimini‹. Eines von den Liedern, wie sie täglich im römischen Reiche entstehen. Sie ziehen wie eine Landplage ein halbes oder ganzes Jahr lang von einer Legion zur anderen, bis ein anderes den Soldaten besser gefällt, dann singen sie dieses beim Marschieren.«

»Erzähle doch von deinen Märschen, Parnesius,« riet Puck. »Heutzutage gibt es wenige, die das ganze Land zu Fuß durchqueren.«

»Um so schlimmer für sie. Ich kenne nichts Feineres, als einen tüchtigen Marsch, wenn die Füße einmal abgehärtet sind. Man zieht aus, wenn noch die Nebel steigen und hält vielleicht erst eine Stunde nach Sonnenuntergang inne.«

»Und was habt ihr da zu essen?« war natürlich Dans nächste Frage.

»Fetten Speck, Bohnen, Brot und Wein, wie er gerade in den Einkehrhäusern zu haben ist. Aber Soldaten sind mal geborene Raunzer: schon am ersten Tage unseres Marsches brummten meine Leute über das britische Mehl, das noch in Wassermühlen gemahlen wird. Sie meinten, es sättige nicht so wie das grobkörnige Mehl aus den römischen Mühlen, die von Ochsen getrieben werden. Doch blieb ihnen eben nichts anderes übrig, als es zu holen und zu essen.«

»Woher holten sie es?« forschte Ana.

»Aus jener neuerfundenen Wassermühle unterhalb der Schmiede.«

»Aha, das ist die Schmiedemühle – unsere Mühle.« Una blickte fragend auf Puck.

»Jawohl, eure Mühle,« bestätigte dieser. »Wie alt, glaubst du wohl, daß die ist?«

»Ich weiß nicht – hat nicht auch Ritter Richard Dalyngridge von ihr gesprochen?«

»Natürlich, und schon damals war sie alt, Hunderte von Jahren alt!«

»Zu meiner Zeit war sie neu,« sagte Parnesius. »Meine Leute sahen das Mehl in ihren Helmen an, als ob es ein Schlangennest wäre. Das taten sie, um meine Geduld auf die Probe zu stellen; aber ich – sagte ihnen meine Meinung, und wir wurden wieder Freunde. Um ehrlich zu sein – sie erst haben mich den römischen Marschschritt gelehrt. Ich hatte bloß bei den schnell gehenden Hilfstruppen gedient; der Schritt einer Legion jedoch ist ganz anders. Es ist ein langsames, langausgreifendes Schreiten, das sich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gleichbleibt. ›Den Römer erkennt man am Schritte,‹ wie das Sprichwort sagt. Vierundzwanzig Meilen in acht Stunden, nicht mehr, nicht weniger. Kopf und Speer hoch, den Schild auf dem Rücken, die Halsschnalle des Brustpanzers eine Hand breit offen – so tragen wir die Adler durch Britannien.«

»Und habt ihr irgendwelche Abenteuer gehabt?« fragte Dan.

»Südlich der Mauer gibt es keine Abenteuer. – Das ärgste, was mir geschah, war, daß ich weiter im Norden vor dem Richter erscheinen mußte, weil ein wandernder Philosoph unsere Adler verhöhnt hatte. Ich konnte beweisen, daß uns der Alte mit Absicht den Weg versperrt hatte. Und der Richter verkündete ihm aus seinem Gesetzbuch, daß er Cäsar den gehörigen Respekt zu erweisen habe, welche Götter er auch immer anerkennen möge.«

»Was habt ihr dann getan?« fragte Dan.

»Wir sind weitermarschiert. Was gingen mich diese Dinge an? Meine Aufgabe war, unser Quartier zu erreichen. Und das dauerte zwanzig Tage.

Je weiter wir nordwärts kamen, desto einsamer wurden natürlich die Wege. Schließlich geht es aus dem Walde heraus und über kahle Hügel, wo Wölfe in den Ruinen heulen, wo einstens unsere Städte standen. Keine hübschen Mädchen mehr – keine lustigen Magistratsherren, die meinen Vater von früher her kannten und mich zu sich einluden – keine Neuigkeiten mehr bei den Tempeln und Herbergsrasten außer schlimmer Kunde von wildem Getier. Jetzt trifft man nur noch Jäger und Fallensteller für Zirkusse, die Bären und Wölfe mit Maulkörben an Ketten vor sich hertreiben. Da scheut dir dein Pferd vor ihnen – und deine Leute lachen dich aus.

Aus den Villen mit Garten werden allmählich verschlossene Forts mit grauen, steinernen Wachttürmen und großen, von Mauern umgebenen Schafhürden, wo bewaffnete Britannier von der Nordküste Wache halten. Über den nackten Hügeln, wo sich das Spiel der Wolkenschatten wie ein Reiterangriff ausnimmt, sieht man Schwaden schwarzen Rauches von den Erzgruben aufsteigen. Und die harte Straße dehnt sich weiter und weiter – der Wind pfeift durch den Helmbusch – an Altären für längst vergessene Generäle geht's vorüber – an geborstenen Standbildern von Göttern und Heroen – und an Tausenden von Gräbern, wo Bergfüchse und Hasen einen anstarren. Glühendrot im Sommer, eisigkalt im Winter ist dieses große, purpurne Heideland von zerstückeltem Felsgestein.

Und wenn man schon am Ende der Welt angelangt zu sein vermeint, sieht man Rauch aufsteigen, von Ost bis West, so weit das Auge reicht und darunter, gleichfalls, so weit das Auge reicht, Häuser und Tempel, Kaufläden und Theater, Kasernen und Kornspeicher; sie alle liegen, wie aus einem Würfelbecher hingestreut, hinter (immer nur hinter!) der langen, niedrigen, über Hügel und Tal sich streckenden, bald sichtbaren, bald versteckten Kette von Wachttürmen. Das ist die Römermauer!«

»Ah!« Die Kinder holten tief Atem.

»Ihr mögt wohl staunen! Alte Leute, die von Kindesbeinen den Adlern gefolgt sind, sagen, es gäbe im ganzen Reiche nichts Wunderbareres als den ersten Anblick der Mauer. Über sie erheben sich Türme mit Wachtstuben, dazwischen kleinere Türmchen; selbst dort, wo sie am schmalsten ist, können drei Soldaten mit ihren Schilden Seite an Seite von einem Wachtturm zum anderen gehen. Ein kleiner Mittelwall, etwa bis zur Brusthöhe reichend, erhebt sich noch auf der breiten Mauer, so daß man von der Ferne die Helme der Posten wie Kugeln hin und her gleiten sieht. – Die Mauer ist dreißig Fuß hoch, und an der Pictenseite, der Nordseite also, zieht sich ein Graben, der mit alten Schwertklingen und Speerspitzen bestreut und außerdem durch Radreifen an Eisenketten unzugänglich gemacht ist. Manchmal schleicht sich das kleine Volk heran und stiehlt Eisen für seine Pfeilspitzen.

Aber ein noch größeres Wunder als der Wall ist die Stadt dahinter. Vor alters gab's auch an der Südseite nur Schutzwehre und Gräben und niemand durfte sich da ansiedeln. Nun aber sind diese Wälle zum Teil eingerissen, und von einem Ende der Mauer zum anderen verbaut, so daß eine Stadt von 80 Meilen Länge entstand. Stellt euch das vor! Eine Stadt voll Lärm, Schwelgereien, Hahnenkämpfen, Wolfshetzen, Pferderennen, von Ituna im Westen bis nach Segedunum an der kalten Ostküste! Auf der einen Seite Heideland, Wälder und Ruinen, in denen sich die Picten verstecken, und auf der anderen Seite eine gewaltige Stadt – lang wie eine Schlange – und wie eine Schlange verrucht. Ja, eine Schlange, die sich an einer warmen Mauer sonnt.

siehe Bildunterschrift

» – Das ist die Römermauer!«

Man sagte mir, meine Kohorte liege in Hunno, wo die große Nordstraße durch die Grenzmauer in die Provinz von Valentia führt.« Er lachte zornig auf. »Die Provinz von Valentia! – Wir folgten also der Straße bis nach Hunno und blieben vor Staunen stehen. Der Ort glich einem Jahrmarkt, zu welchem die Völker aus allen Ecken des Reichs herbeigeströmt waren. Einige ritten Pferde zu; andere saßen in Weinschenken; wieder andere sahen einer Bärenhetze mit Hunden zu, und viele versammelten sich in einem Graben, um einen Hahnenkampf anzusehen. Ein junger Bursch, nicht viel älter als ich, der aber doch schon Offizier war, hielt sein Pferd an und fragte mich, wen ich suchte.

›Mein Quartier,‹ gab ich zur Antwort und wies ihm meinen Schild, der die drei X meiner Legion zeigte.

›Ein gutes Omen!‹ meinte der andere, ›deine Kohorte liegt im Turme neben dem unseren; aber heute ist alles beim Hahnenkampf. Hier ist eine fidele Station! Komm, befeuchte die Adler!‹ Er wollte mir mit diesem Ausdruck einen Trunk anbieten.

›Bis ich meine Leute übergeben habe,‹ antwortete ich ärgerlich und beschämt.

›Ach, diese Kindereien wirst du dir hier bald abgewöhnen! – Nun, ich will dir deine Hoffnungen nicht rauben! Dieser Weg führt zum Standbild der Roma Dea – du kannst nicht fehlgehen, es ist der gerade Weg nach Valentia!‹ Lachend ritt er von dannen. Ich sah die Statue in der Ferne und marschierte auf sie zu. In früherer Zeit muß die große Nordstraße an dieser Statue vorüber nach Valentia geführt haben; doch nun war das Ende der Picten wegen vermauert, und in das Pflaster hatte jemand das Wort ›Finis‹ eingegraben. Man marschierte da förmlich in eine Höhle hinein. Mein Häuflein stieß die Speere aneinander, daß die Wölbung widerhallte, aber niemand ließ sich blicken. Schließlich gewahrten wir eine Tür mit unserer Nummer an der Seite. Wir krochen hinein, fanden einen schlafenden Koch und bestellten unser Essen. Dann stieg ich auf die Mauer, blickte hinaus ins Pictenland und da mußte ich – – wißt ihr, die vermauerte Straße mit dem Worte ›Finis‹ hatte mich so verstört; ich war ja kaum mehr als ein Knabe.«

»Das ist eine Schande!« meinte Una. »Und fühltest du dich zufriedener, nachdem du dich gehörig ausge – –« Dan hatte sie gestoßen, und sie schwieg.

»Zufrieden? Als die Leute der mir unterstellten Kohorte ohne Helm vom Hahnenkampfe zurückkamen, die Hähne unter dem Arm, und mich fragten, wer ich sei? Nein, ich war gar nicht zufrieden! Und meine Kohorte war mit mir ebenso unzufrieden; wohl schrieb ich der Mutter, wie glücklich ich sei, aber, meine Freunde (er erhob die Arme über die bloßen Knie), »meinem ärgsten Feinde wünsche ich es nicht, das zu dulden, was ich während der ersten Monate an der Mauer erduldet habe! Denkt nur einmal: unter allen Offizieren war kaum einer außer mir (und auch ich glaubte, mir die Gunst Maximus', meines Generals, verscherzt zu haben), der nicht irgendein Verbrechen oder eine Torheit angestellt hatte. Entweder hatte er einen Menschen getötet, oder sich bestechen lassen oder die Obrigkeit verletzt oder auch die Götter gelästert und war an die Mauer kommandiert worden, als den Zufluchtsort für Schande und Furcht. Und bedenkt ferner, daß an dem Walle alle Nationen und Völker des Reiches versammelt waren. Kaum zwei Türme gab's, die die gleiche Sprache redeten oder dieselben Götter verehrten. Nur in einem waren alle gleich: welche Waffe wir auch früher geführt haben mochten, hier an der Mauer waren wir alle nur Bogenschützen – wie die Skythen! Denn dem Pfeile kann der Picte nicht entrinnen, noch auch unter ihm wegkriechen; und das weiß er! Er ist selbst Bogenschütze.«

»Nun habt ihr wohl fortwährend die Picten bekämpft?« fragte Dan.

»Die Picten kämpfen selten! Ein halbes Jahr lang sah ich keinen einzigen Kampf mit einem Picten. Die gezähmten Picten erzählten uns, sie seien höher nach dem Norden gezogen.«

»Was sind das ›gezähmte Picten‹?« fragte Dan.

»Das sind solche – es gab ihrer viele – die ein paar Worte in unserer Sprache reden können und durch die Mauer schlüpfen, um uns Ponies und Wolfshunde zu verkaufen. Ohne Pferd und Hund und einen Freund überdies müßte man verkommen. Die Götter gewährten alles dies, und es gibt keine herrlichere Gabe als die Freundschaft! Merk' dir's, Dan, bis du einmal groß bist! Denn dein Schicksal entscheidet sich mit der ersten wahren Freundschaft, die du schließt!«

»Er meint,« warf Puck lächelnd ein, »du mußt in der Jugend ein tüchtiger Kerl zu werden trachten, dann wirst du später tüchtige Menschen zu Freunden haben; bist du aber ein Tunichtgut, dann hast du auch bloß Taugenichtse zu Freunden. Also merk' auf, was Parnesius, der Fromme, über Freundschaft zu predigen weiß!«

»Ich bin nicht fromm,« versetzte der Römer, »aber ich weiß, was ein gutes Herz wert ist; und mein Freund war trotz seinem Elend tausendmal besser als ich. – Laß dein Lachen, Faun!«

»O du unvergängliche, leichtgläubige Jugendzeit!« rief Puck und schüttelte sich oben auf seinem Aste vor Lachen. »Nun, erzähle ihnen nur von deinem Herzens-Pertinax!«

»Er war der Freund, den mir die Götter gesandt hatten – der Jüngling, der mich bei meiner Ankunft angesprochen hatte; ein wenig älter als ich, befehligte er die Augusta-Viktoria-Kohorte in dem Turme neben uns und den Numidiern. An Tugenden war er mir weit überlegen.«

»Warum mußte er dann am Walle dienen?« fragte Una hastig. »Alle hatten doch etwas angestellt – so hast du selbst erzählt.«

»Sein Vater war tot, und er war der Neffe eines reichen, mächtigen Herrn in Gallien, der gegen seine Mutter oft unfreundlich gewesen war. Das merkte Pertinax, als er heranwuchs, und sein Onkel verstand es, ihn durch List und Gewalt aus dem Wege zu räumen, indem er ihn an den Grenzwall bringen ließ. Wir lernten einander in unserem Tempel kennen – im Dunkel; es war beim Stieropfer.«

»Ich weiß schon,« unterbrach ihn Puck und wandte sich an die Kinder: »Das werdet ihr wohl nicht so ganz verstehen; Parnesius meint, er habe Pertinax in der Kirche kennen gelernt.«

»Ja – in der Mithrasgrotte trafen wir uns zum ersten Male, als uns beiden der unterste Grad im Dienste der Gottheit verliehen ward. Damals war er bereits zwei Jahre an dem Walle und kannte die Picten gut. Er war es auch, der mich zuerst lehrte, wie man die Heide besucht.«

»Wie ist das?« fragte Dan.

»Wenn man ins Pictenland jagen geht – in Begleitung eines gezähmten Picten natürlich. Man ist so lange sicher, als man sein Gast ist und einen Zweig von Heidekraut sichtbar trägt. Wenn einer allein hinausziehen wollte, würde er unfehlbar erschossen werden, es sei denn, er ersticke zuvor in den Sümpfen. Nur ein Picte kennt die Wege durch das schwarze, versteckte Moor. Der alte Allo, der einäugige, dürre, kleine Picte, von dem wir Pferde kauften, war unser besonderer Freund. Anfangs zogen wir bloß hinaus, um der schlimmen Stadt zu entfliehen, und uns von der Heimat zu erzählen. Dann aber zeigte er uns, wie man den Wolf jagt und jenes gewaltige Rotwild, dessen Hörner wie jüdische Armleuchter aussehen: die aus Rom gebürtigen Offiziere blickten darob verächtlich auf uns herab, wir zogen aber doch die Heide ihren Vergnügungen vor. Glaub' mir,« wandte er sich an Dan, »der Mensch ist vor allen wahren Übeln gefeit, wenn er auf dem Pferde sitzt oder das Wild verfolgt. Erinnerst du dich, Faun, an den kleinen Altar, den ich Pan, dem Gott des Waldes, beim Tannenforst jenseits des Baches errichtete?«

»Welcher? Der steinerne mit dem Spruche aus Xenophon?«

»Nein, was weiß denn ich von Xenophon! Den baute Pertinax – als er seinen ersten Berghasen mit dem Pfeil erlegt hatte – durch Zufall nämlich. Meinen Altar baute ich aus runden Kieseln, zur Erinnerung an meinen ersten Bären. Ich brachte einen glücklichen Tag damit zu! –

So lebten wir also zwei Jahre lang auf dem Walle – zuweilen ein kleines Geplänkel mit den Picten, meist aber auf der Jagd mit dem alten Allo im Pictenland. Er pflegte uns seine Kinder zu nennen, und wir liebten ihn und seine Barbaren – wiewohl wir uns nie von ihnen nach ihrer Sitte färben ließen, denn das bleibt einem bis zum Tode.«

»Wie wird's denn gemacht?« forschte Dan. »So wie das Tätowieren?«

»Sie stechen in die Haut, bis das Blut kommt, dann reiben sie farbige Flüssigkeiten ein. Allo war blau, grün und rot gefärbt, vom Kopf bis zu den Fersen. Er sagte, es sei dies ein Teil seiner Religion. Auch erzählte er uns von seinem Glauben (Pertinax interessierten solche Dinge stets!), und als wir mit ihm enger befreundet waren, berichtete er uns gar manches, was in Britannien, jenseits des Walles, vorging. Mancherlei trug sich damals zu; und, beim Licht der Sonne!« versicherte Parnesius ernst, »es gab wenig, was das kleine Volk nicht gewußt hätte! Von ihm erfuhren wir es, als Maximus nach Gallien segelte, nachdem er sich zum Kaiser von Britannien gemacht hatte, und welche Truppen und Auswanderer er mit sich genommen hatte. Wir am Walle erfuhren dies erst volle vierzehn Tage später! Er wußte, welche Truppen Maximus jeden Monat aus Britannien zog, um Gallien zu unterwerfen. Und stets fand ich seine Angaben bestätigt. Wunderbar! Und noch etwas Merkwürdiges muß ich euch erzählen!«

Er verschränkte die Arme über den Knien und legte den Kopf nach rückwärts in die Krümmung des Schildes.

»Im Spätsommer, wenn die ersten Fröste einsetzen, und die Picten ihre Bienen töten, ritten wir drei wieder einmal mit neuen Hunden auf die Wolfsjagd. Rutilianus, unser General, hatte uns zehn Tage Urlaub gegeben, und wir waren über die zweite Römermauer, jenseits der Provinz Valentina, vorgedrungen, bis in jenes Gebirge, wo es selbst keine römischen Ruinen mehr gibt. Am Vormittag erlegten wir eine Wölfin, und während ihr Allo das Fell abzog, sah er zu mir auf und meinte: ›Wenn du mal Hauptmann bist, mein Sohn, dann ist's aus mit diesen Jagden!‹

Hätte er mir den Statthalterposten von Gallien prophezeit, ich hätte nicht herzlicher lachen können! Ich erwiderte: ›Wir wollen warten, bis ich es bin!‹

›Nein, warte nicht! Laßt euch raten und kehrt beide heim!‹ ›Wir haben kein Heim!‹ meinte Pertinax. ›Das weißt du so gut wie wir. Mit uns ist es aus – wir sind Verurteilte! Nur Leute ohne jegliche Hoffnung setzen ihr Leben auf euren Ponies aufs Spiel!‹ Der Alte lachte auf, kurz, wie die Picten lachen – wie wenn ein Fuchs in kalter Winternacht bellt. ›Ich hab' euch gern,‹ versetzte er, ›und hab' euch bereits das bißchen beigebracht, was ich von der Jagd verstehe. Folgt meinem Rate und kehret heim!‹

›Das ist unmöglich,‹ beharrte ich, ›ich bin bei meinem General in Ungnade, und Pertinax' Onkel lebt noch.‹

›Von Pertinax' Onkel weiß ich nichts; was aber dich angeht, steht die Sache leider so, daß Maximus dir wohlgesinnt ist.‹

›Roma Dea!‹ rief Pertinax, sich aufrichtend, ›was weißt du alter Roßtäuscher von Maximus' Gesinnung?‹

Gerade in diesem Augenblicke (ihr wißt, wie nahe diese Tiere herankriechen, während man ißt!) sprang ein Wolf hinter uns auf, und im Nu rasten unsere ausgeruhten Hunde hinter ihm her – und wir ihnen nach! So hetzten wir ihn, bis wir in völlig fremdes Land geraten waren, schnurgerad' wie ein Pfeil gegen Sonnenuntergang vordringend. Schließlich kamen wir an ein langes Vorgebirge, das von einem Flusse umkreist wurde, und erblickten unter uns, auf dem grauen Strande, Schiffe, welche man ans Land gezogen hatte. Wir zählten siebenundvierzig – keine römischen Galeeren, sondern Schiffe mit schwarzen Segeln – aus dem hohen Norden, wohin Roms Macht nicht reicht. Menschen tummelten sich auf ihnen, und wir sahen ihre Helme in der Sonne funkeln – Flügelhelme auf den Köpfen jener rothaarigen Männer aus dem Norden, wohin Roms Macht nicht reicht. Wir beobachteten, wir zählten, wir staunten: wohl hatten wir Gerüchte von diesen ›Kriegern im Flügelhelm‹ vernommen, wie sie von den Picten genannt wurden, aber nie zuvor hatten wir sie gesehen.

›Kommt fort! Kommt!‹ drängte Allo. ›Hier schützt euch meine Heide nicht mehr! Wir werden alle getötet!‹ Seine Knie bebten wie seine Stimme. Zurück also – zurück durch die Heide im Mondenschein, bis fast der Morgen graute, und unsere armen Tiere über Ruinen strauchelten. – Als wir aufwachten, steif und durchfroren, bereitete Allo gerade das Frühstück. Man kann dazu auf der Heide kein Feuer anzünden – außer nahe einem Dorfe. Denn die Picten gaben einander Zeichen mittels Rauchs, und ein Rauch an ungewöhnlichem Orte bringt sie in wahren Bienenschwärmen zur Stelle, und sie stechen auch gerade so!

›Was wir gestern abend sahen, war wohl eine Handelsstation, sicherlich nichts anderes‹, begann Allo.

›Nur keine Lügen auf leeren Magen!‹, versetzte Pertinax. ›Dann ist das dort wohl auch nur eine Handelsstation?‹ Er wies auf eine Rauchsäule in weiter Ferne (er hatte Augen wie ein Adler!), die sich nach der Art des sogenannten ›Pictenrufs‹ erhob: ein Rauchstoß – dann zwei! Zwei und wieder einer! Das bewirken sie durch Auflegen und Wegziehen eines nassen Felles.

›Nein‹, sagte Allo und schob die Schüssel in den Sack zurück. ›Das gilt euch und mir. Euer Schicksal, Römer, ist entschieden! Auf!‹

Wir gehorchten – auf der Heide heißt's den Anordnungen des begleitenden Picten Folge leisten! – Wenngleich der Rauch zwanzig Meilen zur Ostküste zu entfernt und der Tag so heiß wie ein Bad war.

›Was auch immer geschieht‹, bat Allo, ›vergeßt mich nicht!‹

›Ich will mich deiner wohl erinnern,‹ brummte Pertinax, ›du hast mich um mein Frühstück betrogen!‹

›Was bedeutet eine Handvoll gemahlenen Hafers gegen das Leben eines Römers,‹ meinte Allo und stieß sein Lachen aus, das keines war. ›Was tätest du, wenn du die Handvoll Hafer wärest, die zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben wird?‹

›Ich bin Pertinax und kein Rätsellöser!‹ war die mürrische Antwort.

›Du bist ein Narr!‹ gab Allo zurück. ›Deine Götter und die meinen werden von fremden Göttern bedroht, und du weißt nichts als zu lachen. – Ich bitte euch nochmals, vergeßt mich nicht.‹

Wir erklommen den letzten steilen Hügel und blickten hinaus über das östliche Meer, das noch drei oder vier Meilen entfernt war. Eine kleine Segelgaleere, der Form nach aus Nordgallien, lag vor Anker, die Landungsbrücke war ausgeworfen und das Segel zur Hälfte gerefft. Und unter uns, in einer Vertiefung saß, sein Ponie haltend – Maximus, der Kaiser von Britannien! Er war als Jäger gekleidet und lehnte sich auf seinen kurzen Stock; ich aber erkannte ihn von rückwärts, trotz der Entfernung und sagte es meinem Freunde.

›Du bist noch toller als Allo!‹ rief dieser. ›Das muß von der Sonne kommen!‹ Maximus rührte sich nicht, bis wir vor ihm standen. Er musterte mich von oben bis unten und sagte dann: ›Wieder einmal hungrig? Es scheint mein Schicksal zu sein, dich speisen zu müssen, so oft ich dir begegne. Ich habe Essen mit. Allo soll es zubereiten!‹

›Nein!‹ versetzte Allo. ›Ein Prinz im eigenen Land bedient keinen herumwandernden Kaiser! Ich will für meine beiden Kinder sorgen, ohne dich um Erlaubnis [zu] bitten.‹ Damit fachte er die glimmende Asche an.

›Ich war im Irrtum – wir alle sind toll geworden!‹ klagte Pertinax. ›Rede zu, du Narr, der du dich Kaiser nennst!‹

Maximus lächelte mit zusammengepreßten Lippen sein entsetzliches Lächeln, wenn einer aber zwei Jahre am Walle verbracht hat, dann erschreckt ihn kein Antlitz mehr – ich fürchtete mich nicht mehr.

›Ich hatte vor, dich, Parnesius, dein Leben als Centurio an der Mauer beenden zu lassen. Doch nach diesem hier‹ (er griff in die Brusttasche) ›scheint es, daß du ebenso gut zu zeichnen als zu denken verstehst.‹ Er zog eine Rolle von Briefen hervor, die ich an meine Eltern geschrieben hatte und die mit Bildern von Picten, Bären und Soldaten bedeckt waren. Mutter und Schwester waren stets von meinen Zeichnungen entzückt gewesen. Er zeigte mir eine mit der Überschrift ›Maximus' Soldaten‹. Es stellte eine Reihe dicker Weinschläuche vor, die unser alter Doktor aus dem ›Hunnospital‹ beschnüffelte. Wenn Maximus nämlich Soldaten aus Britannien zog, um sie im Kriege gegen Gallien zu verwenden, pflegte er stets den zurückbleibenden Garnisonen Wein zu senden – ich glaube, damit sie Ruhe hielten. Ein Weinschlauch hieß am Walle immer ein ›Maximus‹. Ja – und ich hatte ihnen überdies kaiserliche Helme aufgesetzt!

›Es gab eine Zeit‹ fuhr Maximus fort, ›da wurden dem Cäsar harmloserer Scherze wegen die Menschen angezeigt!‹

›Das stimmt!‹ rief Pertinax. ›Aber das war, bevor ich, der Freund deines Freundes, ein so vorzüglicher Speerschütze wurde! Das vergiß nicht.‹ Er richtete dabei allerdings die Spitze seines Speeres nicht geradewegs auf Maximus, aber er wiegte ihn andeutend in der Faust – so etwa!

›Ich spreche von vergangenen Zeiten,‹ meinte Maximus, ohne mit der Wimper zu zucken. ›Heute ist man froh, Leute zu finden, die für sich selbst denken können und ihre Freunde dazu!‹ Er nickte Pertinax zu. ›Dein Vater, Parnesius, hat mir die Bilder geliehen, du hast also nichts von mir zu fürchten. – Ich war genötigt, die britischen Garnisonen zu reduzieren, weil ich in Gallien Truppen brauchte. Nun komme ich, um auch vom Walle Truppen zu ziehen.‹

›Ich gratuliere dir zu uns!‹ sagte Pertinax. ›Wir sind der letzte Abschaum des Reichs – Menschen ohne Hoffnung. Ich für meinen Teil würde lieber verurteilten Verbrechern vertrauen.‹

›Glaubst du?‹ erwiderte jener sehr ernst. ›Nun, das soll nur für die Zeit sein, bevor ich Gallien erobert habe. Man muß stets sein Leben oder seine Seele oder seine Ruhe – oder sonst eine Kleinigkeit aufs Spiel setzen!‹

Nun kam Allo mit dem zischenden Wildbraten vom Feuer. Er bot uns zuerst an.

Maximus wartete, bis er an die Reihe kam. ›Ich sehe,‹ meinte er, ›du fühlst dich im eigenen Lande! Aber du verdienst es auch, Parnesius; ich höre, du hast geradezu eine Anhängerschaft unter den Picten.‹

›Ich habe mit ihnen gejagt. Kann sein, daß ich ein paar Freunde in der Heide habe.‹

›Er ist von euch allen der einzige Soldat, der uns versteht,‹ bemerkte Allo und begann nun eine lange Lobrede über unsere Tugenden und wie ich vor Jahresfrist eines seiner Enkelkinder vor einem Wolfe errettet hatte.«

»Das hast du wirklich getan?« fragte Una.

»Ja; aber das gehört nicht zur Sache! Der kleine Mann predigte wie ein – wie Cicero. Er stellte uns als prächtige Kerle dar. Maximus wandte inzwischen keinen Blick von unseren Gesichtern.

›Genug!‹ meinte er schließlich. ›Jetzt habe ich Allos Meinung über euch gehört. Sagt mir nun eure Meinung über die Picten.‹

Ich berichtete, so viel ich wußte, und Pertinax half mir. Der Picte sinnt nie Übles gegen einen, wenn man sich die Mühe nimmt, seine Wünsche zu verstehen. Was er uns ernstlich verübelt, ist, daß wir die Heide verbrennen. Zweimal im Jahre rückt die Garnison des Walles aus und steckt feierlich auf eine Entfernung von zehn Meilen die Heide in Brand. Unser General Rutilianus nannte das ›das Land säubern‹. Die Picten flüchteten natürlich und der ganze Erfolg war, daß wir im Sommer die Bienenblüte, im Winter das Futter für ihre Schafe vernichteten.

›Sehr richtig!‹ bestätigte Allo. ›Wie sollen wir den heiligen Blütenwein gewinnen, wenn ihr uns die blühende Heide zerstört?‹

Wir sprachen lange; Maximus stellte verständige Fragen, welche zeigten, daß er viel wußte und oft über die Picten nachgedacht hatte. Plötzlich richtete er die Frage an mich: ›Was tätest du, wenn ich dir die Regierung über die alte Provinz Valentia übertrüge – könntest du die Picten im Zaume halten, bis ich Gallien bezwungen habe? Kehrt euch zur Seite, daß ihr Allos Gesicht nicht sehet; sprich offen!‹

›Nein!‹ erwiderte ich. ›Diese Provinz können wir nicht wiedergewinnen. Zu lange schon sind die Picten frei gewesen!‹

›Lassen wir ihnen ihre ländliche Verfassung – auch ihre Soldaten mögen sie selbst stellen – ich weiß, du würdest ein mildes Regiment führen.‹

›Auch dann nicht! Jetzt wenigstens nicht! Wir haben sie zu lange bedrückt, als daß sie zu irgendeiner Sache, die römischen Namen führt, Vertrauen fassen könnten.‹

›Du guter Junge!‹ hörte ich Allo hinter mir murmeln.

›Welchen Weg würdest du also raten, um im Norden den Frieden zu bewahren, bis Gallien mein ist?‹

›Laß die Picten in Ruhe,‹ riet ich. ›Verbiete sofort das Verbrennen der Heide, und sende ihnen – sie sind ein sorgloses Völklein! – hie und da ein paar Schiffsladungen Getreide.‹

›Aber ihre eigenen Leute müssen es verteilen – nicht jene betrügerischen griechischen Rechenkünstler,‹ fügte Pertinax hinzu.

›Jawohl – und gewähre ihnen Zulaß in unsere Spitäler, wenn sie krank sind,‹ sagte ich.

›Da würden sie doch wohl lieber den Tod vorziehen?‹ meinte Maximus.

›Nicht wenn Parnesius sie hereinbringt,‹ versetzte Allo. ›Ich könnte dir im Umkreis von zwanzig Meilen ebenso viele Picten zeigen, die von Wölfen zerbissen oder von Bären zerfleischt wurden. Und Parnesius müßte im Spital bei ihnen sein, sie stürben sonst vor Furcht.‹

›Ich sehe schon,‹ meinte Maximus, ›es ist hier wie überall in der Welt: der richtige Mann allein vermag es. Ich glaube, du bist hier der richtige.‹

›Pertinax und ich sind eins,‹ sagte ich.

›Wie es euch beliebt, wenn ihr euch nur bewährt. – Allo, du weißt nun, daß ich euch nicht übel will. Laß uns nun allein beraten!‹

›Das ist nicht nötig,‹ war Allos Antwort. ›Wir sind ja doch das Korn zwischen zwei Mühlsteinen – ich muß wissen, was der untere Mühlstein zu tun gedenkt. Die Burschen haben dir die Wahrheit gesagt, soweit sie sie wußten; ich aber, ein Prinz, will dir nun das übrige sagen.‹ Er duckte sich wie ein Hase in der Heide und blickte über die Schultern nach rückwärts: ›Mir machen die Männer aus dem Norden Sorge!‹

›Mir auch,‹ erwiderte Maximus, ›sonst wäre ich nicht hier!‹

›Höre!‹ fuhr Allo fort. ›Vor langer, langer Zeit kamen die Männer im Flügelhelm‹ – er meinte die Normannen – ›an unsere Küste und sagten: ›Rom fällt! Werft es nieder!‹ Wir bekämpften euch. Ihr schicktet Truppen. Wir wurden geschlagen. Drauf sagten wir zu den Männern im Flügelhelm: ›Ihr seid Lügner! Macht uns die Männer lebendig, die uns die Römer erschlagen haben, so wollen wir euch glauben!‹ Da zogen sie beschämt von dannen. Nun sind sie voll Trotz wiedergekommen und erzählen aufs neue die alte Kunde, die wir nochmals zu glauben anfangen – daß Rom fällt!‹

›Gib mir drei Jahre Frieden am Walle,‹ rief Maximus, ›und ich will euch und allen Raben des Schlachtfeldes beweisen, daß jene lügen!‹

›Ach, ich wollt', es wäre so! Wie gerne möcht' ich den Rest meines Kornes vor den Mühlsteinen bewahren! Aber ihr schießt auf uns Picten, wenn wir an den Graben kommen, um uns ein wenig Eisen zu borgen; ihr verbrennt unsere Heide, die unsere einzige Ernte ist; ihr peinigt uns mit den großen Katapulten. Dann bergt ihr euch hinter der Mauer und verbrennt uns mit griechischem Feuer! Wie soll ich da meinen jungen Kriegern wehren, auf die Männer im Flügelhelm zu hören – besonders im Winter, wenn wir alle Hunger leiden? Meine Krieger drängen: ›Rom kann nicht mehr kämpfen noch herrschen! Es zieht fortwährend Truppen aus Britannien. Die Männer im Flügelhelm wollen uns helfen, die Mauer niederzureißen. Auf, laßt uns ihnen die geheimen Wege durch die Sümpfe zeigen!‹ Will ich das? Ich möchte das Geheimnis meines Volkes wahren und sollt' ich bei lebendigem Leibe verbrannt werden! Meine beiden Kinder hier sprachen die Wahrheit. Laßt uns Picten in Ruhe! Tröstet uns, seid gut zu uns, schickt uns Nahrung aus der Ferne – ja, Parnesius versteht uns! Gib ihm den Oberbefehl über die Mauer, und ich will meine Krieger zügeln, für –‹ (er zählte an den Fingern) ›– für ein Jahr mit Leichtigkeit, im zweiten Jahre schon nicht mehr so leicht, im dritten, wohl möglich! Siehe, ich geb' dir drei Jahre! Zeigst du bis dahin nicht, daß Rom stark und schrecklich an Mann und Waffen ist, dann werden die Männer im Flügelhelm den Wall von beiden Seiten abfegen, bis sie in der Mitte zusammentreffen, und euer Ende ist gekommen! Ich werde mich darüber nicht grämen, aber ich weiß wohl, daß ein Volk dem anderen nie Hilfe bringt, es sei denn um einen Preis: auch uns werden sie vernichten. Die Männer im Flügelhelme werden uns so zu Staub zermalmen!‹ Damit warf er eine Handvoll Sandes in die Luft.

›O Roma Dea!‹ rief Maximus halblaut. ›Es ist immer das Werk eines einzelnen – immer und überall!‹

›Und der spielt um sein Leben!‹ setzte Allo hinzu. ›Du bist wohl Kaiser, ein Gott bist du nicht!! Du bist sterblich!‹

›Auch das hab' ich bedacht. – Gut also! Hält dieser Wind an, so bin ich morgen früh am Ostende der Mauer. Ich sehe also euch beide morgen bei der Truppenschau und will euch zu Befehlshabern des Walles machen.‹

›Einen Augenblick, Cäsar,‹ warf Pertinax ein. ›Jeder Mensch hat seinen Preis. Noch hast du mich nicht gewonnen.‹

›Auch du beginnst schon zu feilschen?‹ sagte Maximus. ›Was verlangst du?‹

›Gerechtigkeit gegen meinen Oheim Icenus, Duumvir in Divio in Gallien!‹

›Nur ein Leben? Ich erwartete, du würdest Geld oder ein Amt verlangen. Du sollst ihn haben. Schreibe seinen Namen auf dieses Täfelchen – auf die rote Seite – die andere ist für Lebende.‹ Maximus hielt ihm eine Tafel entgegen.

›Sein Tod nützt mir nichts,‹ entgegnete Pertinax. ›Meine Mutter ist Witwe. Ich bin in der Ferne. Ich zweifle, daß er ihr die rechtmäßige Erbschaft herausgibt.‹

›Das wird sich finden. Mein Arm reicht weit genug. Wir wollen die Rechnungen deines Oheims zu gelegener Zeit schon prüfen. Also, lebt wohl bis morgen, Befehlshaber des Walles!‹ –

Wir sahen, wie er auf dem Wege zum Schiffe immer kleiner wurde. Scharen von Picten lagen zu beiden Seiten zwischen Steinen verborgen. Er aber schaute weder rechts noch links. Dann entfaltete sich das Segel im Abendwinde, und das Schiff hielt gegen Süden. Wir blickten ihm nach, bis es auf hoher See war, und standen schweigend. Wir fühlten, die Erde hat wenige Männer seinesgleichen hervorgebracht. –

Dann führte uns Allo die Pferde vor und hielt sie, während wir aufstiegen – was er früher nie getan hatte.

›Wartet ein wenig,‹ sagte Pertinax; er baute einen Altar aus Grasstücken, streute Heideblüte darauf und legte oben einen Brief von einem Mädchen aus Gallien hin.

›Was tust du, mein Freund?‹ fragte ich.

›Ich opfere meiner entschwundenen Jugend,‹ war die Antwort, und als die Flammen den Brief verzehrt hatten, trat er sie mit dem Fuße aus. Dann ritten wir zur Mauer, deren Befehlshaber wir morgen sein sollten.« – –

Parnesius schwieg. Lautlos saßen die Kinder und fragten nicht einmal, ob die Geschichte zu Ende sei. Puck machte ihnen ein Zeichen und wies auf den Weg aus dem Walde. »Nun müßt ihr leider gehen,« flüsterte er.

»Wir haben ihn doch nicht böse gemacht, nicht wahr?« fragte Una. »Er schaut in die Weite – so – so traurig.«

»Ach nein, mein Kind! Wart' nur bis morgen! Das ist nicht lang! Und vergeßt nicht, daß ihr ›altrömische Heldenlieder‹ gespielt habt!«

Und kaum waren sie durch die Öffnung geschlüpft, wo Eiche, Esche und Dorn wuchsen, da war dies auch wirklich alles, dessen sie sich entsannen.


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