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Puck vom Buchsberg und Wielands Schwert


Pucks Lied.

Siehst du? – wo dort sich am Weizenfeld
Der Hohlweg windet entlang.
Dort hatte einst England Kanonen gestellt,
Als Philipps Armada versank.

Siehst du am Bache die Mühle dort?
Wie hurtig das Rad sich dreht!
Wer kündet, wie lang' wohl an diesem Ort
Die alte Mühle schon steht?

Siehst du den düsteren Eichenhag,
Zur Seite das schaurige Moor?
Hier war's, wo das Heer der Sachsen erlag
Und Harold Fiel im Jahre 1066 in der Schlacht bei Hastings gegen Wilhelm den Eroberer. Anm. d. Übers. sein Leben verlor.

Und siehst du die Eb'ne, vom Winde durchbraust?
Zum Hafen hinunter sie biegt,
Dort haben normannische Räuber gehaust,
Bis sie Alfred der Große besiegt'.

Und dort, wo das einsame Weideland,
Von grasenden Herden bedeckt,
Hat, lange bevor noch London entstand,
Eine mächtige Stadt sich erstreckt.

Dann dort die Schanze, Graben und Stein,
Vom Regen zutage gebracht –
Das muß wohl der römische Lagerplatz sein,
Den Cäsars Truppen bewacht.

Und siehst du die seltsamen Male am Meer,
Die die Düne bald zeigt, bald begräbt?
Sie stammen von grauester Vorzeit her,
Die kaum noch die Sage umwebt.

Verschollene Städte, Schlingwuchs und Moos,
Wald, Lager und Ackerland,
Wo einstens nur Sümpfe: das ist der Schoß,
Aus welchem Alt-England entstand.

's ist kein gewöhnliches Land! Du weißt's,
Nicht Tal bloß und Berge und Hain –
Nein! Merlins Zauberinsel, so heißt's!
Auf, folge! ich führe dich ein! –

Puck vom Buchsberg und Wielands Schwert.

Die Kinder standen auf ihrem Theater und spielten den drei Kühen so viel aus dem »Sommernachtstraum« vor, als sie auswendig wußten. Vater hatte ihnen aus dem großen Stücke Shakespeares ein kleines zusammengestellt, und sie hatten es so lange mit ihm und der Mutter geprobt, bis sie es aus dem Kopfe vortragen konnten. Sie begannen bei der Stelle, wo Zettel, der Weber, mit einem Eselskopfe auf den Schultern aus dem Gebüsch vortritt und die Elfenkönigin Titania im Schlafe findet. Dann sprangen sie zu der Szene über, in der Zettel den drei Elfen befiehlt, ihm den Kopf zu kraulen und Honig zu bringen, und schlossen dort, wo er in Titanias Armen in Schlaf sinkt. Dan spielte den Puck, den Zettel und auch alle drei Elfen; als Puck trug er eine spitzzulaufende Tuchkappe, und als Zettel einen papiernen Eselskopf aus einem Knallbonbon vom letzten Christfest – man mußte nur acht geben, daß er keinen Riß bekam! Una war die Titania und hatte einen Kranz von Aklei und einen langgestielten Fingerhut als Stab. Das Theater befand sich auf einer Wiese, die sie den »langen Streifen« nannten. Ein kleiner Mühlbach, der einige Felder weiter die Mühle trieb, bog um die eine Ecke, und in der Mitte der Rundung lag ein großer, alter Elfenring von dunklerem Grase – das war die Bühne. Das Ufer des Baches, von Weiden, Haselstauden und Schneeballgebüsch bestanden, bot ein geeignetes Versteck, wo man warten konnte, bis man an die Reihe kam. Sogar ein Erwachsener, der zusah, hatte ihnen einmal gesagt, daß Shakespeare selbst sich keine bessere Inszenierung hätte wünschen können. Natürlich durften sie ihr Stück nicht in der Johannisnacht selbst spielen, aber am Vorabende nach dem Tee, als sich schon die Schatten dehnten, zogen sie hinaus und nahmen ihr Nachtmahl – harte Eier, Salz und Zwieback in einer Tüte – mit sich. Die drei Kühe waren eben gemelkt worden und grasten bedächtig, wobei man das Geräusch des Rupfens über die ganze Wiese hören konnte, und das Klappern der geschäftigen Mühle klang wie wenn bloße Füße über harten Boden laufen. Ein Kuckuck saß auf einem Torpfosten und sang ruckweise sein Junilied: »Kuck-u-ckuck!«, während ein hurtiger Eisvogel vom Mühlbache zum Flusse schoß, der an der anderen Seite der Wiese dahinfloß. Sonst herrschte überall greifbares, schläfriges Schweigen, und es roch von Spierstauden und trockenem Gras.

Das Stück ging vortrefflich. Dan konnte alle seine Rollen – Puck, Zettel und die drei Elfen – und Una hatte auch nicht ein einziges Wort der Titania vergessen, nicht einmal jene schwere Stelle, wo sie den Elfen sagt, wie sie Zettel »mit Aprikosen, reifen Feigen und Brombeeren« (und alle übrigen Zeilen mit »Beeren« am Ende) füttern sollten. Sie waren so zufrieden mit sich, daß sie es dreimal vom Anfang bis zum Schlusse durchspielten, bevor sie in der von Disteln freien Mitte des Ringes lagerten, um ihre Eier und den Zwieback zu essen. Da hörten sie auf einmal einen Pfiff unter den Erlen am Ufer und sprangen auf.

Die Büsche teilten sich. Genau am gleichen Orte, wo Dan als Puck gestanden, erblickten sie ein kleines, flinkes, breitschultriges Wesen mit eigenartiger Haartracht, stumpfer Nase, mit schielenden, blauen Augen und einem Grinsen, das über das ganze schelmisch-heitere Gesicht lief. Er beschattete die Augen, als wenn er Squenz, Schnauz, Zettel und den übrigen bei der Probe zu »Pyramus und Thisbe« zusähe und begann mit einer Stimme, so tief wie die der drei Kühe, wenn sie gemelkt sein wollten:

»Welch hausgebacknes Volk macht hier sich breit, So nah der Wiege unsrer Königin?«

Dann hielt er inne, legte eine Hand lauschend ans Ohr und fuhr mit schalkhaftem Augenzwinkern fort:

»Wie, gibt's ein Schauspiel? Ich will Hörer sein;

Mitspieler auch vielleicht, nachdem sich's fügt.«

Die Kinder starrten mit stockendem Atem. Der kleine Wicht – er reichte Dan kaum bis zur Schulter – stieg gelassen in den Kreis. »Ich bin ziemlich aus der Übung,« meinte er, »aber so müßte meine Rolle gespielt werden.«

Noch immer starrten ihn die Kinder an – von seiner eigentümlichen Haarzier, bis zu dem sonderbaren Schurz, den er trug, und zu den nackten, haarigen Füßen. Und schließlich brachen sie in Lachen aus.

»Bitte, schaut mich doch nicht so an! Ich kann ja nichts dafür. Was konntet ihr denn anderes erwarten?« sagte er.

»Wir haben gar niemand erwartet,« entgegnete Dan zögernd, »das ist unser Feld.«

»Wirklich?« erwiderte der Gast und streckte sich nieder. »Warum in aller Welt habt ihr dann den ›Sommernachtstraum‹ dreimal nacheinander gespielt, am Abend des Johannistags und mitten in einem Ringe und dazu gerade unter einem meiner ältesten Berge in Altengland? Buchsberg – Pucks Berg – Pucks Berg – Buchsberg! Das ist doch so klar wie nur etwas.«

Dabei wies er auf den baumlosen, von Farn überwucherten Abhang des Buchsbergs, der sich von der anderen Seite des Mühlbachs zu einem dunklen Forste erhob. Oberhalb des Forstes reckt sich das Gelände noch weitere 500 Fuß in die Höhe, bis man schließlich den kahlen Gipfel des Bakenberges erreicht, von wo der Blick über das Flachland von Pevensey Altes Städtchen, westlich von Hastings, wo Wilhelm der Eroberer landete. Anm. d. Übers., den Kanal und einen großen Teil der kahlen Süddünen schweift.

siehe Bildunterschrift

Sie erblickten ein kleines, flinkes, breitschultriges Wesen.

»Bei Eiche, Esche und Dorn!« rief er, noch immer lachend. »Hätte sich dies noch vor wenigen Jahrhunderten ereignet, das ganze Volk der Berge wäre euch hervorgeschwärmt, wie Bienen im Juni!«

»Wir wußten nicht, daß wir etwas Böses taten,« sagte Dan.

»Etwas Böses?« Der Wicht schüttelte sich vor Lachen. »Nein, das war es sicher nicht! Ihr habt etwas vollbracht, wofür Könige, Ritter und Gelahrte vor alters ihre Kronen, Sporen und Bücher gegeben hätten, wenn sie es vermocht hätten. Ja, wenn Merlin selbst euch geholfen hätte, es hätte euch nicht besser gelingen können. Ihr habt die Berge erschlossen, jawohl, die Berge erschlossen! Seit tausend Jahren war's nicht mehr der Fall!«

»Wir – wir haben's nicht mit Absicht getan!« bat Una.

»Natürlich nicht! Darum gerade ist's euch ja geglückt! Aber leider sind die Berge jetzt leer, und all das Volk, das in ihnen hauste, dahin. Ich allein bin übrig geblieben. Ich bin Puck, der älteste der Alten in England und euch vom Herzen zu Diensten, wenn – wenn ihr überhaupt mit mir etwas zu tun haben wollt. Wenn nicht, braucht ihr's natürlich nur zu sagen, dann gehe ich wieder.«

Er blickte die Kinder an, und diese ihn; eine halbe Minute lang. Und seine Augen zwinkerten nicht mehr. Sie blickten voll Güte, und ein freundliches Lächeln begann um seine Lippen zu spielen.

Una streckte ihm zuerst die Hand hin. »Bleib da!« sagte sie. »Du gefällst uns.«

»Nimm dir doch einen Zwieback,« fügte Dan hinzu und streckte ihm die weiche Tüte mit den Eiern entgegen.

Puck nahm seine blaue Kappe ab. »Bei Eiche, Esche und Dorn,« rief er, »ihr gefallt mir auch. Streu ein wenig Salz auf den Zwieback und ich will mit euch essen. Ihr könnt daran erkennen, von welcher Art ich bin. Manche von uns,« fuhr er mit vollem Munde fort, »können nämlich Salz oder Hufeisen über der Tür, Vogelbeeren oder fließendes Wasser, kaltes Eisen oder den Klang der Kirchenglocken nicht vertragen. Ich aber, ich bin Puck!«

Er führte eifrig den Zwieback zum Mund, aß mit Behagen und reichte beiden die Hand.

»Dan und ich,« begann Una stotternd, »wir haben immer gesagt, daß wir ganz genau wüßten, was wir tun würden, wenn wir es wirklich einmal erleben sollten – aber nun scheint das alles doch ganz anders.«

»Sie meint, wenn wir einer Elfe begegnen würden,« sagte Dan. »Ich habe ja nie an sie geglaubt – wenigstens nicht, seit ich sechs Jahre vorüber bin.«

»Ich schon,« fuhr Una fort, »halb und halb hab' ich wohl daran geglaubt, seit wir den ›Lohn der Zwerge‹ lernten. Kennst du das Gedicht?«

»Meinst du dieses?« fragte Puck, warf seinen großen Kopf zurück und begann:

»Mit Zwergenlohn ist's nun vorbei
Zu aller Hausfrau'n Jammer;
Jetzt ist's den Mägden einerlei,
Ob schmutzig Herd und Kammer.
Denn fegten sie auch ohne Ruh,

(Sprich's nur mit, Una!)

Wie's Brauch in alter Zeit,
Kein Groschen steckt mehr früh im Schuh
Als Lohn der Reinlichkeit.«

Das Echo hallte die flache Wiese entlang.

»Natürlich kenne ich es, und es ist schon eine schöne Zeit, seit ich es zuletzt singen hörte. Nun ist es vergeblich, die Büsche abzusuchen; das Volk der Berge ist nicht mehr. Ich habe sie nach Altengland kommen und habe sie wieder davonziehen sehen. Die Riesen und Trolle, Nöcke und Heinzelmännchen, die Gnomen und Kobolde; die Wasser-, Baum-, Erd- und Waldgeister; das Heidevolk, die Bergmännchen, die Schatzhüter, die guten und die kleinen Wichte, die Kobolde, Nachtmahre, Nymphen, Nixen und wie sie nur heißen – alle sind sie fort und verschwunden. Nur ich bin mit Eiche, Esche und Dorn nach England gekommen, und bis Eiche, Esche und Dorn nicht mehr sind, dann gehe auch ich.«

Dan blickte die Wiese entlang – auf Unas Eiche beim Hoftor, auf den Kreis von Eschen, die den »Otternpfuhl« beschatten, wohin sich das Mühlwasser ergießt, wenn die Mühle feiert, und auf den alten, knorrigen Weißdorn, an dem sich eben die drei Kühe den Nacken wetzten. »Dann ist's schon gut,« meinte er schließlich.

»Bist du denn da nicht ganz fürchterlich alt?« fragte Una.

»Nicht gerade alt – freilich auch kein Jüngling mehr, wie man zu sagen pflegt. Will mal gleich sehen – ja, als Stonehenge Ein vorgeschichtliches Bauwerk in der Ebene von Salisbury; es bestand aus mehreren Kreisen von gewaltigen Pfeilern und war vermutlich eine Begräbnis- und Kultusstätte. Anm. d. Übers. noch neu war, da stellten schon meine Freunde nächtens eine Milchschüssel für mich auf. Das war noch vor der Zeit, da die Menschen ihr Werkzeug aus Flintstein bereiteten.«

Una faltete die Hände, rief »O!« und nickte mit dem Kopfe.

»Nun hat sie sich was ausgedacht,« erklärte Dan, »da tut sie's immer so.«

»Ich dachte eben – könnten wir nicht immer ein wenig von unserer Suppe aufheben und in die Dachstube für dich stellen? Man würde es nämlich merken, wenn wir sie im Kinderzimmer ließen.«

»Im Studierzimmer!« verbesserte Dan schnell und Una errötete, denn sie hatten erst diesen Sommer einen feierlichen Vertrag geschlossen, das Studierzimmer von nun an nicht mehr Kinderzimmer zu nennen.

»Dank dir, du gutes Herz,« entgegnete Puck, »was du dereinst für ein kluges Prachtmädel sein wirst! Aber es ist wirklich nicht nötig, für mich eine Schüssel bereitzustellen; und wenn ich jemals ein Schlückchen brauchen sollte, dann will ich gewiß nur zu euch kommen.«

Er streckte sich der Länge nach ins trockene Gras, die Kinder lagerten sich neben ihm, und die bloßen Füße baumelten lustig in der Luft. Sie fühlten, daß sie sich vor ihm ebensowenig zu fürchten brauchten als etwa vor ihrem vertrautesten Freunde, dem alten Heckenmacher Hobden. Er belästigte sie nicht mit solchen Fragen, wie sie Erwachsene stellen, verlachte sie nicht wegen des Eselskopfes, sondern er lag einfach da und lächelte still und verständnisvoll.

»Du hast wohl ein Messer bei dir?« fragte er schließlich.

Dan reichte ihm sein großes Gartenmesser, das nur eine Klinge hatte, und Puck begann in der Mitte des Ringes ein Rasenstück auszuschneiden.

»Wozu ist das? Zum Zaubern?« fragte Una, als er eine schokoladenbraune Lehmplatte aushob, die sich wie ein Stück Käse schneiden ließ.

»Eine meiner kleinen Zauberkünste,« entgegnete er, ein zweites Stück herausholend. »Ihr müßt wissen, daß ich euch nicht in die Berge führen kann, weil das Volk der Berge fort ist. Wollt ihr aber durch mich euren Besitz ergreifen, dann vermag ich euch wohl Dinge zu zeigen, die nicht alltäglich auf Erden sind.«

»Was ist das, ›Besitzergreifen‹,« fragte Dan zögernd.

»Das ist eine alte Volkssitte beim Kauf und Verkauf von Land. Man pflegte eine Scholle auszubrechen und sie dem Käufer einzuhändigen, und dieser hatte von dem Grunde nicht rechtsgültig Besitz ergriffen – er gehörte ihm nicht völlig – bevor er nicht von dem andern ein solches Stück empfangen hatte. So wie ihr jetzt –« und damit hielt er ihnen die Rasenstücke hin.

»Aber die Wiese gehört uns doch?« meinte Dan, die Hand zurückziehend; »hast du etwa vor, sie wegzuzaubern?«

Puck lachte. »Ich weiß, es ist eure Wiese, aber es ist gar manches drin verborgen, was ihr und euer Vater nicht wißt. Versuch's nur!«

Er blickte Una an. »Ich tu's,« sagte sie, und sofort folgte Dan ihrem Beispiel.

»Somit seid ihr rechtsgültig Besitzer und Eigentümer von ganz Altengland,« begann Puck in singendem Tone. »Und steht euch zu, nach dem Rechte von Eiche, Esche und Dorn, zu kommen und zu gehen, zu sehen und zu wissen, wohin ich euch führe, und was immer euch beliebt. Ihr sollt sehen, was ihr sehen werdet und hören, was ihr hören werdet, und mag es sich vor drei Jahrtausenden zugetragen haben; und weder Zweifel noch Furcht soll euch nahen! Wohlan, haltet fest, was ich euch gebe!«

Die Kinder schlossen die Augen, aber – es geschah nichts.

»Nun?« meinte Una, enttäuscht aufblickend. »Ich glaubte, nun würden Drachen erscheinen?«

»Und mag es sich vor drei Jahrtausenden zugetragen haben,« wiederholte Puck, an den Fingern zählend, »nein, vor dreitausend Jahren gab es keine Drachen mehr.«

»Aber es ist ja gar nichts geschehen!« meinte Dan.

»Warte nur! Eichen wachsen nicht in einem Jahre – und Altengland ist älter als zwanzig Eichen zusammen. Wir wollen uns wieder setzen und träumen. Ich kann das ein ganzes Jahrhundert lang tun.«

»Du gewiß; du bist ja ein Feengeschöpf,« sagte Dan.

»Habt ihr mich dieses Wort je gebrauchen hören,« fragte Puck hastig.

»Nein!« entgegnete Una. »Du sprichst vom ›Volk der Berge‹, aber du sagst nie ›Fee‹. Ich hab' mir's schon gedacht. Hörst du's nicht gern?«

»Würdet ihr es gerne hören, wenn man euch fortwährend ›Sterbliche‹ oder ›Menschenkinder‹ oder ›Sohn Adams‹ und ›Evastochter‹ hieße?«

»Das würde mir gar nicht gefallen,« meinte Dan. »So sprechen ja die Djinns und Afrits in ›Tausendundeiner Nacht‹.«

»Und geradeso ist mir zumute, wenn man – das Wort sagt, das ich gar nicht aussprechen mag. Übrigens was ihr so nennt, sind erdachte Phantasiegestalten, von denen das Volk der Berge nie etwas gehört hat – kleine Brummfliegen mit Schmetterlingsflügeln und Gazeröckchen, mit glitzernden Sternen im Haar und einem Stäbchen, wie es der Lehrer in der Schule zur Bestrafung schlimmer Buben schwingt. Ach, geht mir mit denen!«

»Gewiß,« pflichtete Dan bei, »wir können sie auch nicht ausstehen.«

»So ist's! Könnt ihr euch wundern, daß das Volk der Berge mit dieser buntgeflügelten, stabwedelnden, süßlichen Betrügersippe nicht verwechselt werden will. Schmetterlingsflügel – was nicht gar! Ich war dabei, als Sir Hüon mit seinem Gefolge von Schloß Tintagel nach Brasilien in See stach, während gerade ein Südwest tobte, daß der Meeresschaum nur so über das Schloß hinwegfegte und die ›Rosse vom Berge‹ schier wild vor Entsetzen waren. Hei, wie sie da in einem Augenblick der Windstille hervorstürmten, wie Möwen kreischten und gleich fünf Meilen weit landeinwärts geworfen wurden, ehe sie dem Wind wieder die Stirne bieten konnten. Schmetterlingsflügel? Zauber war's – Zauber, so gewaltig, wie nur Merlin ihn wirken konnte, und das Meer war grünes Feuer und weiße Gischt, in der die Meerweiber sangen.«

»Herrlich!« flüsterte Dan; Una aber schauderte.

»Nun, ich bin froh, sie sind nicht mehr,« sagte sie dann. »Warum aber ist denn das Volk der Berge fortgezogen?«

»Aus mancherlei Gründen. Ich will euch ein andermal erzählen, was die meisten von ihnen zur Flucht bewog. Auch sind sie nicht alle auf einmal davon. Sie verschwanden, einer nach dem anderen, jahrhundertelang. Die meisten waren keine Einheimischen und vertrugen das Klima nicht. Die gingen zuerst.«

»Wie lange ist das her?« wollte Dan wissen.

»Wohl zweitausend Jahre und mehr. Es war so: zuerst waren sie Götter. Die Phönizier brachten einige mit, als sie herkamen, um Zinn zu kaufen. Und die Gallier, und die Jüten, und die Dänen und die Friesen brachten noch mehr mit, wenn sie herüberkamen. Damals faßten sie bald festen Fuß bei uns, bald wurden sie wieder auf ihre Schiffe getrieben, und stets brachten sie ihre Götter mit. England ist ein unwirtliches Land für Götter. Ich freilich – ich habe so begonnen wie ich es heute noch halte. Ein Teller Suppe, eine Schale Milch und zuweilen ein kleiner, harmloser Spaß mit den Bauern auf den Wegen, das genügte mir damals wie heute. Ich bin ja hier zu Hause und habe all mein Lebtag zum Volke gehalten. Die meisten anderen aber wollten durchaus Götter sein, Tempel, Altäre, Priester und ihre eigenen Opfer haben.«

»Wohl Menschenopfer, die man in Weidenkörben verbrannte, wie's unser Fräulein uns erzählt hat?« fragte Dan.

»Opfer aller Art. Waren es nicht Menschen, so waren's Pferde, Rinder, Schweine oder Meth; das ist ein dickes, süßes Bier. Mir hat es nie geschmeckt. Sie waren ein halsstarrig, hochmütig Göttergeschlecht, die Alten! Was aber war die Folge? Die Menschen lassen sich nicht gern in ihren besten Jahren opfern. Sie wollen auch ihre Ackergäule nicht schlachten lassen. So kehrten sie nach einiger Zeit den Alten einfach den Rücken, die Dächer der Tempel stürzten ein, und die Alten mußten nun ihre Ränzel schnüren und sich durchbringen, so gut es eben ging. Manche von ihnen pflegten nun auf Bäumen zu hocken, sich in Gräbern zu verbergen und nächtens zu stöhnen. Und wenn sie lange genug und laut genug stöhnten, gelang es ihnen wohl noch, ein Bäuerlein so zu schrecken, daß es ihnen ein Huhn opferte oder ein Pfund Butter aufstellte. Da kannte ich eine Göttin, namens Belisana; die wurde später ein gewöhnliches, triefendes Wassergespenst irgendwo in Lancashire. Und solcher Freunde hatte ich Hunderte. Zuerst waren sie Götter. Dann gehörten sie zum Volk der Berge und dann verzogen sie sich anderwärts, weil sie sich mit dem Volke hierzulande aus dem oder jenem Grunde nicht zu stellen wußten. Nur an einen unter den Alten erinnere ich mich, der erwarb sich ehrlich sein Brot, als es mit ihm so weit gekommen war. Er hieß Wieland und war der Schmied gewisser Götter. Ihre Namen habe ich vergessen; er schmiedete ihnen Schwerter und Speere. Ich glaube, er rühmte sich, mit Thor von Skandinavien verwandt zu sein.«

»Thor, der Gott aus Asgard?« fragte Una. Sie hatte erst kürzlich von ihm gelesen.

»Vielleicht. Trotzdem wollte er nichts von Betteln und Stehlen wissen, als für ihn schlimme Zeiten kamen. Er arbeitete. Einmal gelang es mir auch, ihm einen guten Dienst zu erweisen.«

»Erzähl' uns doch davon!« bat Dan, »ich höre gern von den Alten.«

Sie streckten sich noch behaglicher ins Gras und kauten jeder an einem Grashalm. Puck stützte sich auf seinen starken Arm und fuhr fort:

»Wie war es nur? Das erstemal traf ich Wieland bei Sturm und Hagel auf der Düne von Pevensey.«

»Meinst du unser Pevensey, jenseits des Berges?« fragte Dan, nach Süden weisend.

»Ja, in jenen Tagen war alles nur Marschland weit und breit. Ich stand eben am Bakenberge, als ich eine fahle Flamme gewahrte, wie sie brennendes Dachstroh verursacht; ich stieg also hinab, um zu sehen, was es gäbe. Und richtig – Seeräuber hatten ein Dorf auf der Düne in Brand gesteckt und Wielands Standbild – ein unförmiger schwarzer Holzklotz mit Bernsteinperlen um den Hals – lag im Bug eines mit 32 Rudern versehenen Bootes, das man eben an den Strand gezogen hatte. Es war bitter kalt. Eiszapfen hingen vom Deck, Eiskrusten glitzerten an den Rudern und selbst Wielands Lippen waren mit Eis überzogen. Als er mich erblickte, ließ er eine lange Geschichte in seiner Sprache los, erzählte mir, er sei eben auf dem Wege, sich zum Herrscher über England zu machen, und daß ich bald von Lincolnshire bis zur Insel Wight den Geruch vom Rauche auf seinen Altären spüren sollte. Aber mir konnte er nichts weismachen! Ich hatte schon zu viele Götter stolz nach Altengland einziehen sehen, die dann hier zu Falle kamen. So ließ ich ihn ruhig zu Ende prahlen, während seine Leute das Dorf einäscherten; dann sagte ich (ich weiß nicht, wie ich auf diesen Gedanken kam):

»Götterschmied, es kommt die Zeit, wo du im Straßengraben um Lohn deine Kunst übst!«

»Was sagte Wieland dazu?« fragte Una. »War er nicht böse?«

»Er rief mir Schimpfworte nach und rollte die Augen, ich aber eilte landeinwärts, um die Leute zu wecken. Doch die Seeräuber eroberten das Land, und jahrhundertelang war Wieland ein mächtiger Gott. Überall standen seine Tempel – von Lincolnshire bis zur Insel Wight, wie er es gesagt hatte – und gräßliche Opfer wurden ihm dargebracht. Ich will gerecht sein: er selbst zog Pferde den Menschen vor, aber ob Pferde oder Menschen, ich wußte, daß es mit ihm zu Ende gehen müsse, wie mit all den anderen Alten. Ich gab ihm eine lange Frist – etwa tausend Jahre – und nach dieser Zeit betrat ich einen seiner Tempel, um zu sehen, wie es mit ihm stünde. Da stand sein Altar und sein Bildnis, da waren seine Priester und seine Gemeinde, und alles schien glücklich und zufrieden – nur er und die Priester nicht. In alten Zeiten war die Gemeinde unglücklich, solange die Priester nicht ihr Opfer erkoren hatten (auch ihr wäret es gewesen!). Als nun der Gottesdienst begann, stürzte ein Priester vor, zog einen Mann zum Altar, tat, als treffe er ihn mit einer kleinen goldenen Axt auf den Kopf, der Mann fiel zu Boden und stellte sich, als ob er stürbe. Dabei riefen alle: ›Ein Opfer für Wieland! Ein Opfer für Wieland!‹«

»Der Mann war aber nicht wirklich tot?« fragte Una.

»Keine Spur! Es war alles nur Schein, wie bei einem Puppenspiel. Dann führte man ein schönes, weißes Roß heran, der Priester schnitt eine Handvoll Haare aus Mähne und Schweif und verbrannte sie mit dem Rufe: ›Ein Opfer!‹ auf dem Altare. Das galt nun so viel, als wären Mann und Roß geopfert worden. Ich sah das Gesicht des armen Wieland durch den Rauch und mußte lachen. Er sah so angewidert und hungrig drein, und der abscheuliche Geruch von verbranntem Haar war alles, was er genießen konnte. Die reinste Puppenkomödie!

Ich zog es damals vor, nichts zu sagen, (es hätte unschön ausgesehen,) aber, als ich das nächstemal, wenige hundert Jahre später, wieder an den Ort kam, da waren Wieland und sein Tempel verschwunden, dafür war eine christliche Kirche mit einem Bischof dort. Keiner vom Volke der Berge wußte mir etwas von ihm zu sagen; ich vermutete, er habe England verlassen.«

Puck drehte sich um, stützte sich auf den andern Arm und sann eine lange Zeit. »Wie war es nur weiter?« begann er schließlich wieder. »Richtig, es muß kurz darauf gewesen sein, wenige Jahre vor dem Normanneneinfall (glaube ich), als ich wieder einmal hierher zum Buchsberg kam; da hörte ich eines Abends den alten Hobden von der ›Wielandsfurt‹ reden.«

»Wenn du den alten Heckenmacher Hobden meinst,« unterbrach ihn Dan, »der ist erst 72. Er hat's mir selbst gesagt – ist unser bester Freund.«

»Ganz richtig,« erwiderte Puck, »ich meinte seinen Urahnen im neunten Geschlecht. Er war Freisasse und Kohlenbrenner hier. Ich kenne die Familie in allen Geschlechtern, solange, daß ich sie manchmal verwechsle. Hob, der Däne, war damals sein Name, und er lebte beim Schmiededorf. – Ich spitzte gleich die Ohren, als ich Wieland nennen hörte, und so trabte ich durch den Forst bis zur Furt dort, jenseits des Sumpfwaldes.« Dabei wies er mit dem Kopfe nach Westen, wo sich das Tal zwischen bewaldeten Hügeln und steilen Hopfenlehnen verengt.

»Das ist ja Willingford,« meinte Una. »Wir gehen oft hin; ein Eisvogel nistet dort.«

»Damals hieß es noch Wielandsfurt, mein Kind. Eine erbärmlich schlechte Straße führte von der Spitze des Bakenberges dorthin, und ringsum war dichter Eichenwald, in welchem Hochwild hauste. Nirgends war eine Spur von Wieland; aber plötzlich sah ich einen Bauern, der vom Leuchtfeuer herabgeritten kam. Sein Pferd hatte ein Hufeisen verloren, und als er zur Furt kam, stieg er ab, nahm einen Pfennig aus dem Beutel, legte ihn auf einen Stein, band sein Pferd an eine alte Eiche und rief: ›Schmied, Schmied, hier ist Arbeit für dich!‹ Dann setzte er sich nieder und schlief ein. Ihr könnt euch denken, wie mir zumute war, als ich sah, wie ein weißhaariger, gebückter, alter Hufschmied mit einer Lederschürze hinter der Eiche hervorkroch und das Pferd zu beschlagen begann. Es war Wieland! So erstaunt war ich, daß ich hervortrat und rief: ›Wieland, was in aller Welt tust du da?‹«

»Armer Wieland,« seufzte Una.

»Er strich sich die langen Haare aus der Stirn und erkannte mich anfangs nicht. Dann sagte er: ›Du weißt es nur zu gut! Du, Alter, hast mir's vorausgesagt. Ich beschlage jetzt Pferde für Bezahlung.‹ Was könnt' ich darauf erwidern? Den Fuß des Pferdes in seinem Schoße, blickte er lächelnd auf zu mir und meinte: ›Ich erinnere mich einer Zeit, da hätte ich dieses alte Knochengerippe als Opfer zurückgewiesen, und nun muß ich froh sein, es für einen Pfennig beschlagen zu dürfen.‹

›Hast du keine Möglichkeit, nach Walhalla zurückzukehren oder woher du sonst kamst?‹ wollte ich wissen.

‹Ich fürchte, nein,‹ versetzte er, am Hufe feilend. Er wußte mit Pferden wunderbar umzugehen. Die alte Mähre hatte wiehernd den Kopf auf seine Schulter gelegt. ›Du weißt wohl noch, daß ich zu meiner Zeit, in den Tagen meiner Macht, nicht zu den obersten Göttern gehörte. Drum kann ich nur dann erlöst werden, wenn mir einmal ein Mensch von Herzen wohl will.‹

›Nun, das ist doch das geringste, was du von dem Bauern hier verlangen kannst. Du beschlägst ihm ja das Pferd völlig neu.‹

›Das tue ich. Und meine Nägel halten das Eisen von einem Vollmond zum nächsten. Aber Bauern sind mal wie Wälderton, so eisig kalt und sauer.‹

Und würdet ihr es für möglich halten? Der Bauer erwachte, fand sein Pferd beschlagen und ritt ohne ein Wort des Dankes davon. Ich war so böse, daß ich das Pferd wenden ließ und ihn die drei Meilen bis zum Leuchtfeuer zurückführte, nur um den alten Sünder Mores zu lehren.«

»Warst du denn unsichtbar?« fragte Una, und Puck bejahte ernst.

»In jener Zeit war das Leuchtfeuer immer in Bereitschaft, angezündet zu werden, falls die Franzosen landen sollten, und die ganze, liebe Sommernacht trieb ich darum den Gaul im Kreise herum. Der Bauer meinte, er sei behext – nun, das war er ja auch – und begann zu beten und zu schreien. Ich ließ ihn zappeln, und ein so guter Christ wie er, war ich dabei noch immer. Am nächsten Morgen nun, so gegen vier Uhr, kam ein junger Novize von dem Kloster her, das damals noch auf dem Gipfel des Bakenberges stand.«

»Was heißt das, ein Novize?« forschte Dan.

»Das bedeutet eigentlich einen Mann, der die Absicht hat, Mönch zu werden, damals aber schickten alle Leute ihre Söhne ins Kloster, so wie heute in die Schule. Dieser junge Bursche hatte jedes Jahr einige Monate in einem Kloster Frankreichs zugebracht, und beschloß eben seine Studien in diesem Kloster hier, das nicht weit von seinem Vaterhaus war. Er hieß Ugo und war zeitlich aufgestanden, um in der Nähe zu angeln. Seinen Leuten gehörte nämlich das ganze Tal. Ugo hörte nun den Bauer schreien und fragte ihn, was denn um Himmels willen mit ihm los sei. Der Alte faselte ein Langes und Breites von Feen, Kobolden und Hexen und hatte doch, wie ich wußte, die ganze Nacht außer ein paar Kaninchen und Rehen nicht das geringste gesehen. (Das Volk der Berge ist nämlich wie die Ottern – sie zeigen sich nur, wenn es ihnen beliebt.) Der Novize aber kannte sich aus: er schaute dem Gaul auf die Hufe und sah die Eisen in einer Weise befestigt, wie nur Wieland es zu tun verstand. (Wieland hatte nämlich seine besondere Art, die Hufnägel nach unten zu biegen; die Leute nannten es die ›Schmiedeniete‹.)

»Aha,‹ meinte er dann, ›wer hat denn dein Pferd beschlagen?‹

Erst wollte der Bauer nicht herausrücken, denn die Priester sahen es ja nie gerne, wenn die Leute sich etwas mit den ›Alten‹ zu tun machten. Schließlich gestand er, daß es ›der Schmied‹ gewesen. ›Und was gabst du ihm?‹ fuhr der andere fort, ›'n Pfennig,‹ war die mürrische Antwort.

›Das ist weniger als jeder Christenmensch verlangt hätte. Ich hoffe, du hast wenigstens ein ›Vergelt's Gott‹ dazugegeben.‹

›Nein,‹ brummte der Bauer, ›der Schmied ist ein Heide.‹

›Ob Heide oder nicht, du hast seine Hilfe in Anspruch genommen und wenn man Hilfe findet, muß man Dank sagen.‹

›Was?‹ schrie der Bauer; er war wütend, denn ich trieb noch immer das Pferd im Kreise herum. ›Was, du junger Laffe! Ich müßte also, wenn es nach dir ginge, dem Satan selbst ›Dank schön‹ sagen, wenn er mir hilft?‹

›Hör' auf, da oben herumzutaumeln, und nun ohne Widerrede zurück zur Furt und dem Schmiede gedankt oder du sollst an mich denken!‹

Wohl oder übel mußte der Bauer zurück. Ich führte unsichtbar den Gaul, und uns zur Seite schritt der Novize; sein Mantel fegte über den glitzernden Tau, und gleich einem Speere trug er die Angelrute auf der Schulter. Als wir an die Furt kamen (es war fünf Uhr, und der Nebel wob noch immer in den Eichen), da wollte der Bauer sein ›Danke‹ durchaus nicht sagen. Er drohte, er wolle dem Abte melden, daß ihn der Novize gezwungen, Heidengötzen zu verehren. Da riß jenem die Geduld. ›Herunter,‹ rief er, faßte den Bauer mit einer Hand unter dem dicken Bein, hob ihn vom Pferde in den Rasen, und bevor der andere sich erheben konnte, hatte er ihn am Nacken gefaßt und schüttelte ihn wie eine Ratte, bis er ›Danke, Schmied!‹ ächzte.«

»Hat Wieland dies alles gesehen?« fragte Dan.

»Das will ich meinen! Der stieß seinen alten Schlachtruf aus, als der Bauer zu Boden plumpste. So außer sich war er vor Freude. Dann wandte sich der Novize zur Eiche und rief: ›Höre mich, Götterschmied! Ich schäme mich dieses groben Bauern. And für alle Güte und Hilfe, die du ihm und jedem anderen meines Volkes erwiesen, sag' ich dir Dank und will dir wohl!‹

Dann hob er seine Angelrute auf – sie glich nun noch mehr einem Speere – und schritt hurtig dem Tale zu.«

»Und der arme Wieland – was tat der?« war Unas Frage.

»Er lachte und weinte vor Freude, weil er nun endlich erlöst war und auswandern konnte. Aber er war ehrlich, der Alte! Er hatte sich stets sein Brot erarbeitet und wollte seine Schuld tilgen, ehe er ging. ›Ich will dem Novizen ein Geschenk machen, ein Geschenk, das ihm zum Heile gereichen soll, und Altengland nach ihm. Fach' mir das Feuer an, während ich zu meinem letzten Werk das Eisen hole.‹ Dann schuf er ein Schwert, dunkelgrau, mit wellenförmiger Rinne, und ich fachte das Feuer an, während er hämmerte. Bei Eiche, Esche und Dorn! Ich sage euch, Wieland war ein Götterschmied! Zweimal kühlte er die Klinge im fließenden Wasser und ein drittesmal im Abendtau, ließ sie im Winde trocknen und sprach Runen (Zaubersprüche heißt das!) darüber und grub Weissagungen in den Stahl. ›Alter!‹ meinte er schließlich und wischte sich die Stirn, ›das ist das köstlichste Schwert, das Wieland je geschmiedet. Selbst der es führt, wird nicht wissen, wie kostbar es ist. Nun komm mit zum Kloster!‹

siehe Bildunterschrift

Dann schuf er ein Schwert.

Wir kamen in den Schlafsaal, wo die Mönche lagen und fanden den Novizen in tiefem Schlaf auf seinem Lager, und ich sehe es noch, wie der Bursch im Schlafe den Griff umfaßte. Dann trat Wieland in die Kapelle, so weit als er zu gehen wagte, und warf all sein Schmiedegerät – Hämmer, Zangen und Feilen – auf den Boden, zum Zeichen, daß er sie nie wieder berühren wolle. Es klang, als ob eine ganze Rüstung zu Boden raßle und die Mönche stürzten verschlafen herbei, in der Meinung, das Kloster sei von Franzosen überfallen worden. Der Novize war der erste, er schwang sein neues Schwert und stieß sächsische Schlachtrufe aus. Wie erstaunt waren sie, als sie nichts als Werkzeuge erblickten! Dann aber nahm der Novize das Wort und erzählte, wie er dem Bauern mitgespielt, was er ›dem Schmiede‹ zugerufen habe und wie er, obgleich in dem Schlafsaale das Licht brannte, das wunderbare Runenschwert auf seinem Lager gefunden.

Der Abt schüttelte erst sein Haupt, dann aber lachte er und sagte: ›Ugo, mein Sohn, es bedurfte keines Zeichens von einem Heidengotte, um mir zu zeigen, daß aus dir nie ein Mönch werden wird. Nimm dein Schwert, trag es und zieh mit ihm von dannen. Bleibe so edel, wie du stark und wacker bist. Wir aber,‹ fuhr er fort, ›wollen die Geräte des Schmiedes am Altare aufhängen, denn, was immer der Götterschmied in alten Zeiten gewesen sein mag, wir wissen, er hat ehrlich um seinen Unterhalt gearbeitet, und hat jetzt der Mutterkirche eine Gabe dargebracht.‹ Dann legten sich alle wieder zur Ruhe, nur der Novize blieb wach, saß im Garten und liebkoste sein Schwert. Beim Stalle sagte Wieland zu mir: ›Leb wohl, Alter! Du hast recht behalten; du sahst mich nach England kommen, und siehst mich wieder davonziehen. Leb wohl!‹

Mit diesen Worten schritt er den Berg hinunter bis zum Rand des großen Forstes – es war dieselbe Stelle, an der er zuerst gelandet war –, eine Weile hörte ich ihn noch durchs Dickicht brechen, dann war er verschwunden. Seht ihr, so hat es sich zugetragen. Ich hab' es gesehen.« –

Beide Kinder atmeten tief auf.

»Was wurde aber aus Ugo, dem Novizen?« forschte Una.

»Und was geschah mit dem Schwerte?« fragte Dan.

Puck blickte die Wiese entlang, die im Schatten des Buchsberges kühl und friedlich dalag. Eine Wiesenknarre schnarrte im nahen Heufeld, und die kleinen Forellen im Bache begannen emporzuschnellen. Schwerfällig flatterte eine große, weiße Motte um die Erlen, taumelte dann den Kindern um die Köpfe, und ein ganz feiner Nebel erhob sich über dem Wasser.

»Möchtet ihr das wirklich gerne hören?«

»Ach ja!« riefen die Kinder, »schrecklich gern!«

»Na schön; ich versprach euch, ihr solltet sehen, was ihr sehen werdet und hören, was ihr hören werdet, und mag es sich auch vor drei Jahrtausenden zugetragen haben. Für heute aber, scheint mir, ist es Zeit, daß ihr heimgeht, sonst wird man euch suchen. Ich will euch bis zum Tore begleiten.«

»Du wirst doch hier sein, wenn wir wiederkommen?« fragten sie.

»Gewiß, seid unbesorgt! Ich hause hier schon seit langer Zeit. Einen Augenblick noch, bitte!«

Damit reichte er jedem der Kinder drei Blätter – ein Eichen-, ein Eschen- und ein Dornblatt – und sagte: »Beißt einmal da hinein! Sonst könntet ihr am Ende zu Hause ausplaudern, was ihr gesehen und gehört habt, und man würde – wie ich die Menschen kenne! – schleunigst nach dem Arzt schicken. Beißt nur zu!«

Sie bissen herzhaft in die Blätter, und fanden sich im nächsten Augenblicke Seite an Seite vor dem Hoftor stehen. Ihr Vater lehnte daran und fragte: »Na, wie ist euer Stück heute gegangen?«

»O, prachtvoll,« entgegnete Dan. »Nur nachher, da, glaube ich, sind wir eingeschlafen. Es war so heiß und stille. Weißt du noch, Una?«

Una schüttelte das Haupt und schwieg.

»Ich weiß schon,« spottete der Vater,

Es war gar spät am Abend, als Kilmeny heim sich fand;
Wo sie so lang verweilet, vermocht' sie nicht zu sagen,
Noch wußte sie zu künden, was sich dort zugetragen.

»Aber sag' mal, du großes Mädel, warum kaust du noch immer Blätter? Zum Spaß?«

»Nein – das hatte einen Grund – ach, nun kann ich mich gar nicht mehr erinnern!« sagte Una.

Und keins von beiden konnte sich entsinnen. –


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