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Die Ritter vom lustigen Wagnis


Das Harfenlied der dänischen Frauen.

Kann dich die Gattin, Heim und Herd nicht halten?
So gehst du wieder, zu der grauen, alten
Zerstörerin des Eheglücks zu flieh'n?
Sie nennt kein Haus, kein gastlich Dach ihr eigen,
Ein eisig Bett nur, drin im Todesschweigen
Die Männer ruh'n, die blindlings zu ihr zieh'n!

Sie wird dich nicht mit weißem Arm umfangen:
Von hundertarm'gem Tang gefesselt, hangen
Die Opfer an dem Riff, dran sie zerschellt!
Und doch – kaum daß den Lenz wir froh begrüßen,
Das Eis zergeht, die ersten Knospen sprießen,
Treibt's dich hinweg! Weil dich die Sucht befällt,

Die Sucht nach Kriegsgeschrei und kühnen Zügen;
Du schleichst zur Bucht hin, wo die Schiffe liegen,
Gewiegt vom lockend-leisen Wellenspiel.
Nichts gilt dir Heim und häusliches Behagen,
Nichts Roß und Herde, noch der Gattin Klagen:
Du teerst den Bord, prüfst Taue, Mast und Kiel,

Dann stößt du ab, dem Meeressturm entgegen!
Der letzte Klang von deiner Ruder Schlägen
Verhallt! Zu langer Fahrt ziehst du dahin!
Kann dich die Gattin, Heim und Herd nicht halten?
So gehst du wieder, zu der grauen, alten
Zerstörerin des Eheglücks zu flieh'n? –

Die Ritter vom lustigen Wagnis.

Es war zu heiß, um im Freien herumzutollen, und so hatte Dan den alten Freund Hobden gebeten, ihr Boot aus dem Teiche in den Bach am Ende des Gartens hinüberzutragen. Es trug den Namen »Maßliebchen«, aber bei ihren Entdeckungsreisen nannten sie es »die goldene Hirschkuh«, oder die »lange Schlange«, oder sie gaben ihm sonst einen geeigneten Namen. Dan stieß und schob mit einem Bootshaken – denn der Bach war für Ruder zu schmal – und Una half mit einer Hopfenstange nach. Als sie an eine ganz seichte Stelle kamen (die »goldene Hirschkuh« hatte nur drei Zoll Tiefgang), gingen sie ans Land, zogen das Boot an einem Taue über den Kies, und nachdem sie die mit Gebüsch bewachsenen Ufer jenseits des Gartens erreicht hatten, zogen sie sich an den tiefer hängenden Zweigen flußaufwärts.

Diesmal hatten sie sich vorgenommen, den Nordpol zu entdecken, wie »Othere, der alte Seekapitän« Ein norwegischer Reisebericht, von König Alfred ins Angelsächsische übersetzt. Anm. d. Übs. in dem Gedichtband, den Una mitgenommen hatte. Da es aber so heiß war, änderten sie ihren Plan und fuhren den Amazonenstrom hinauf und zu den Quellen des Nil. Selbst auf dem beschatteten Wasser war die Luft drückend und erfüllt von einschläfernden Düften, während draußen, durch die Baumlücken sichtbar, die Sonne den Rasen wie Feuer versengte. Der Eisvogel schlief auf seinem Wachtposten, und die Amseln nahmen sich kaum die Mühe, in den nächsten Busch zu schlüpfen. Die Libellen, die summend ihre Kreise zogen, waren die einzigen Geschöpfe in Tätigkeit, abgesehen von den Moorhühnern und einem großen roten Admiral, der aus der Sonnenglut flatterte, um sich da unten einen Trunk zu holen.

Als die Kinder den Otternpfuhl erreicht hatten, fuhr die »goldene Hirschkuh« sacht auf einer Sandbank auf, und sie lagerten sich nun unter dem dichten Laubdache und sahen zu, wie das Wasser über die Schleusen in den mit Moos bedeckten Kanal tröpfelte, der den Mühlarm mit dem Bache verband. Eine große Forelle – die Kinder kannten sie schon – schnellte Kopf und Schultern nach einer Fliege, die eben um die Ecke kam, während gerade in diesem Augenblicke das Wasser ein ganz klein wenig gegen die feuchten Kieselsteine anstieg. Dann lauschten sie wieder dem leisen Luftzug, der um die Gipfel säuselte; und gleich darauf aufs neue den hellen Stimmchen der Wassertropfen.

»Es ist, wie wenn die Schatten miteinander redeten, nicht wahr?« begann Una, die es aufgegeben hatte zu lesen. Dan lag im Bug des Kahns und ließ die Hände in die Strömung hängen. Da hörten sie Schritte auf der Kiesbank, die sich ein gutes Stück in den Pfuhl erstreckt, und Ritter Richard Dalyngridge stand vor ihnen.

»Ihr hattet wohl eine gefährliche Fahrt?« fragte er lächelnd.

»Wir sind oft aufgefahren,« war Dans Antwort. »Wir haben dieses Jahr fast gar kein Wasser.«

»Ja, der Bach war tiefer und breiter, als meine Buben hier dänische Seeräuber spielten. Seid ihr auch Seeräuber?«

»O nein, Raubzüge haben wir schon vor Jahren aufgegeben,« erklärte Una. »Wir machen jetzt fast immer Entdeckungsfahrten; Reisen um die Welt also.«

Ritter Richard setzte sich auf den Knorren einer alten Eschenwurzel am Ufer. »Um die Welt?« fragte er. »Sie kann doch nicht rund sein?«

»Habt Ihr das nicht in Euren Büchern gelernt?« meinte Dan, der erst in der letzten Stunde Geographie gehabt hatte.

»Ich kann nicht lesen noch schreiben,« erwiderte jener. »Kannst du es, Kind?«

»Natürlich,« versicherte Dan, »das heißt, von den ganz langen Worten abgesehen.«

»Unglaublich! Lies mir vor, damit ich es selbst höre.«

Dan errötete, öffnete das Buch und begann: »Der Entdecker des Nordkaps« Dan liest Longfellows Umdichtung des angelsächsischen Reiseberichtes. Anm. d. Übers.

»Othere, der alte Seekapitän,
Der in Helgoland daheim war,
Brachte Alfred, dem wahrheitsliebenden,
Einen schneeweißen Walroßzahn,
Den er in der Rechten hielt.«

»Aber – das – das kenn' ich ja! Das ist ein altes Lied! Ich hab' es selbst singen hören! Das ist ein Wunder!« unterbrach ihn der Ritter. »Nein, bitte weiter!« Er lehnte sich vor, und die Schatten der Blätter huschten spielend über seinen Kettenpanzer.

»Ich pflügte mit Gäulen den Acker,
Doch mein Herz fand keinen Frieden,
Denn immer wieder kamen Seefahrer
Und erzählten Meersagen.«

Seine Hand faßte den Schwertgriff. »Das stimmt,« rief er. »So ist's mir auch gegangen!« und mit Begeisterung klopfte er den Takt zu den folgenden Versen.

»Nun kehrte sich das Land, sagte Othere,
plötzlich nach dem Süden;
Ich folgte der Küste im Bogen
Und hielt immer südwärts
Ins namenlose Meer.«

»Ins namenlose Meer!« wiederholte der Ritter. »Ganz so wie ich – wie Ugo und ich.«

»Wohin fuhrt Ihr? Erzählt uns!« bat Una.

»Gleich, laß mich erst zu Ende hören.« So las Dan das Gedicht bis zum Schluß.

»Gut! Das ist Otheres Bericht – ganz so wie ich es auf Dänenschiffen singen gehört. Nicht in denselben markigen Worten, aber doch ähnlich.«

»Hast du auch einmal den Norden erforscht?« fragte Dan, das Buch schließend.

»Nein, mein Ziel war der Süden. Weiter südwärts als je ein Mensch gelangte, drang ich und Ugo mit Witta und seiner heidnischen Mannschaft.« Er schob das Schwert vor und lehnte mit beiden Händen darauf, seine Augen aber blickten über sie ins Weite.

»Ich dachte, du habest immer hier gelebt?« fragte Una schüchtern.

»Ja, solange Lady Alueva, meine Frau, lebte. Aber sie starb. – Sie starb mir. Dann – mein Ältester war schon erwachsen – bat ich De Aquila, daß er mein Lehen verwalten dürfe, während ich eine Reise oder eine Pilgerfahrt unternähme – um zu vergessen. De Aquila, den Wilhelm&;nbsp;II. an des Grafen Mortains Stelle zum Statthalter von Pevensey gemacht hatte, war schon sehr alt. Noch immer aber ritt er seine gewaltigen Rotschimmel und sah im Sattel wie ein weißer Falke aus. Und als Ugo, auf Dallington drüben, von meinem Vorhaben hörte, sandte er um meinen zweiten Sohn (den er, der Unbeweibte, stets wie das eigene Kind betrachtet hatte), und machte ihn mit De Aquilas Zustimmung zum Verwalter von Dallington bis zu seiner Rückkehr. So fuhr Ugo mit mir.«

»Wann geschah das?« wollte Dan wissen.

»Das kann ich auf den Tag genau sagen, denn als wir mit De Aquila in Pevensey zu dem Schiffe aus Bordeaux ritten, das ihm jährlich seine Weine von Frankreich brachte, kam ein Mann aus den Marschen gerannt und rief, er habe eine große schwarze Ziege gesehen, die habe den Körper unseres Königs getragen und mit menschlicher Stimme zu ihm geredet. Und am selben Tage starb unser König Wilhelm der Rote, der Sohn des Eroberers, auf der Jagd im Walde durch einen rätselhaften Pfeilschuß. Da meinte De Aquila: ›Das trifft sich übel für den Beginn einer Reise! Wenn Wilhelm der Rote tot ist, dann werde ich wohl um mein Land zu kämpfen haben. Warte noch einige Zeit.‹

Aber da meine Frau tot war, kümmerten mich üble Zeichen und Omen wenig und Ugo desgleichen. Wir gingen an Bord des Weinschiffes, um nach Bordeaux zu gelangen; aber – Pevensey war noch in Sicht – da setzte auf einmal der Wind aus; dann umhüllte uns dichter Nebel, und die Strömung trieb uns die Klippen entlang gegen Westen. Unsere Gesellschaft bestand zum größten Teile aus Kaufleuten, die nach Frankreich heimkehrten, wir hatten Wolle geladen, und überdies waren drei Koppel großer Jagdhunde ans Geländer gebunden, die einem Ritter aus Artois gehörten. Wie er hieß, habe ich nie erfahren, aber sein Schild zeigte Goldstreifen auf rotem Grunde und (so wie ich) hinkte er nach einer Wunde, die er in der Jugend bei der Belagerung von Mantes erhalten hatte. Er diente dem Herzog von Burgund gegen die Mauren in Spanien und kehrte eben mit seinen Hunden in den Krieg zurück. Er sang uns am ersten Abend seltsame maurische Lieder vor und hatte uns schon halb überredet, mit ihm zu gehen. Ich war ja auf einer Pilgerfahrt nach dem Vergessen (das doch keine Pilgerfahrt erreicht!), und ich denke, ich wäre mit ihm gezogen, aber – – und nun könnt ihr sehen, wie Leben und Glück der Menschen sich ändern! Gegen Morgen stieß im Nebel ein dänisches Schiff, das lautlos ruderte, gegen das unsre, und während wir hin und her schwankten, fiel Ugo, der an der Brüstung lehnte, über Bord. Ich sprang ihm nach und so gerieten wir an Bord des Dänen, wo man uns packte und fesselte, ehe wir uns erheben konnten. Unser eigenes Schiff verschwand im Nebel. Ich glaube, der Ritter von Artois hatte seine Hunde mit dem Mantel zum Schweigen gebracht, damit sie nicht durch ihr Bellen die Kaufleute verrieten, denn ich hörte noch, wie sie plötzlich verstummten. So lagen wir gefesselt zwischen den Bänken bis zum Morgen; dann schleppten uns die Dänen auf das Hochdeck zum Steuer, und ihr Kapitän – Witta nannte man ihn – wandte uns mit seinem Fuße um.

Er trug Goldreifen vom Ellbogen bis an die Achsel, sein rotes Haar war lang wie das eines Weibes und hing in Flechten über die Schultern. Er war dick, hatte krumme Beine und lange Arme; er nahm uns alles, was wir besaßen, doch als er an Ugos Schwert Hand anlegen wollte und die Runen auf der Scheide erblickte, schob er es hastig zurück. Aber seine Habgier überwand ihn, und er versuchte es nochmals; beim dritten Male aber schrie es laut und zornig auf, daß die Ruderer innehielten und lauschten. Dann beredeten sie sich untereinander, wie Möwen kreischend, und ein gelber Mensch, wie ich nie einen gesehen hatte, kam und zerschnitt unsere Fesseln. Er war gelb wie Honig, nicht durch Krankheit, sondern von Natur aus, und seine Augen standen schräg im Kopfe. So!« (Ritter Richard legte einen Finger in jeden Augenwinkel und schob sie nach oben, bis sie sich schlitzförmig verengten.)

»Nun siehst du wie ein Chinese aus!« rief Dan. »War der Mann ein Chinese?«

»Ich weiß nicht, was das ist. Witta hatte ihn an der Küste von Muskoviten halbtot auf dem Eise gefunden. Wir hielten ihn für einen Teufel. Er kroch vor uns, brachte uns Speise auf einer Silberschüssel, die diese Meerwölfe wohl einem reichen Kloster geraubt hatten, und Witta schenkte uns eigenhändig Wein ein. Er sprach ein wenig Französisch, ein wenig Südsächsisch und viel Normännisch. Wir verlangten, er solle uns ans Land setzen und versprachen ihm eine größere Summe zum Lösegeld, als er erhalten konnte, wenn er uns an die Mauren verkaufte – wie es einem Ritter meiner Bekanntschaft ergangen war, der von Vlissingen eine Reise angetreten hatte.

›Nicht um das Haupt meines Vaters Guthrum!‹ war die Antwort. ›Die Götter haben dich mir als Glückspfand ins Schiff geschickt.‹

siehe Bildunterschrift

»– und so gerieten wir an Bord des Dänen –«

Bei diesen Worten erbebte ich, denn es war, wie ich wußte, noch immer bei den Dänen Sitte, ihre Gefangenen den Göttern zu opfern, um gutes Wetter zu erlangen.

›Die Pest in deine vier langen Glieder!‹ fuhr Ugo auf. ›Welchen Vorteil kannst du aus armen, alten Pilgern ziehen, die weder arbeiten noch fechten können?‹

›Die Götter verhüten, daß ich gegen dich kämpfen sollte, armer Pilger mit dem tönenden Schwerte! Schließ dich uns an, und du sollst nicht mehr arm sein. Deine Zähne stehen weit auseinander, ein sicheres Zeichen, daß du Fahrten machen und reich werden wirst.‹

›Und wenn wir nicht mit wollen?‹ fragte Ugo.

›So schwimmt nach England oder Frankreich. Wir sind in der Mitte zwischen beiden. Wenn ihr euch nicht selbst ertränken wollt – auf meinem Schiff wird euch kein Haar gekrümmt werden. Wir glauben, daß ihr uns Glück bringt, und ich weiß, daß die Zeichen auf deinem Schwerte Glücksrunen sind.‹ Damit wandte er sich zu den Seinen und befahl das Segel zu hissen. Von nun an machten uns alle Platz, wenn wir durch das Schiff gingen; und es war voll von Wundern.«

»Wie sah es aus?« forschte Dan.

»Lang, niedrig und schmal, hatte einen Mast mit einem roten Segel, und fünfzehn Ruder auf jeder Seite. Vorn am Bug war ein Deck, unter dem die Leute schlafen konnten, und ein zweites im Achterschiff, das durch eine bemalte Tür von den Ruderbänken geschieden war. Hier schlief ich mit Ugo, Witta und dem Gelben auf Teppichen, die weich wie Wolle waren. Ich erinnere mich,« fuhr er lachend fort, »als wir das erstemal eintraten, schrie eine laute Stimme: ›Waffen! Waffen! Tötet! Tötet!‹ und Witta lachte, als er unseren Schreck sah und zeigte uns, daß es bloß ein grauer Vogel mit großem Schnabel und rotem Schwanze gewesen war. Er setzte sich ihn auf die Schulter, und das Tier schrie heiser nach Brot und Wein und wollte von seinem Herrn geküßt werden. Und doch war es nur ein dummer Vogel. Aber – ihr kennt das?« Er hielt inne und blickte auf die lachenden Gesichter.

»Wir haben nicht über dich gelacht,« sagte Una. »Das muß ein Papagei gewesen sein. Auch unsere Lora tut das.«

»Das erfuhren wir erst später. Aber es gab noch ein Wunder: der Gelbe, sein Name war Kitai, besaß eine braune Schachtel. In dieser Schachtel war eine blaue Schüssel mit roten Zeichen am Rande, und in der Schüssel hing an einem feinen Faden ein Stückchen Eisen, nicht dicker als ein Grashalm und etwa so lang wie mein Sporn, aber gerade. In diesem Eisen, sagte Witta, wohne ein böser Geist, den Kitai, der Gelbe, durch Zauberkunst aus seiner Heimat entführt habe. Nun strebe der böse Geist bei Tag und Nacht nach seinem Lande, das so weit sei, daß man drei Jahre nach Süden fahren müsse, um hinzugelangen und deshalb, wißt ihr, zeige die Eisennadel immerfort nach dem Süden.«

»Nach Süden?« fragte Dan plötzlich und griff in die Tasche.

»Ich sah es mit eigenen Augen. Täglich und den ganzen Tag, wie sehr auch das Schiff rollte, wenn auch Sonne, Mond und Sterne verhüllt waren, wußte der blinde Geist in dem Eisen, wohin er gehen wollte und strebte nach Süden. Witta nannte es das ›weise Eisen‹, denn es zeigte ihm den Weg durch unbekannte Meere.« Und wieder blickte der Ritter scharf die Kinder an. »Was sagt ihr dazu? War das ein Zauber?«

»Sah es etwa so aus?« Dan fischte seinen alten Taschenkompaß aus der Tasche, die gewöhnlich noch das Messer und den Schlüsselring enthielt. »Das Glas ist zerbrochen, aber die Nadel bewegt sich noch ganz richtig.«

Der Ritter hielt vor Staunen den Atem an. »Ja, ja! Das ›weise Eisen‹ schwankte und drehte sich ganz so! Jetzt steht es still, nun zeigt es südwärts.«

»Nordwärts,« verbesserte Dan.

»Nicht doch, südwärts; hier ist Süden!« sagte Ritter Richard. Dann lachten beide, denn wenn das eine Ende einer ruhenden Magnetnadel nach Norden zeigt, muß natürlich das andere nach Süden weisen.

»Tja!« meinte der Ritter, mit der Zunge schnalzend, »da kann wohl kein Zauber dabei sein, wenn ein Kind es besitzt. Aber warum zeigt es immer nach Süden – oder Norden?«

»Vater sagt, das weiß niemand,« sagte Una.

Der Ritter blickte befriedigt. »Dann kann es also doch ein Zauber sein. Für uns war es ein Zauber! – So fuhren wir weiter; war der Wind günstig, so hißten wir das Segel und lagerten uns alle längs des dem Winde zugekehrten Bordes, die Schilde auf unserem Rücken, um die Gischt abzuwehren. Bei Windstille saßen sie an den langen Rudern. Der Gelbe saß bei dem ›weisen Eisen‹ und Witta steuerte. Zuerst fürchtete ich die gewaltigen, schaumgekrönten Wogen, als ich aber sah, wie geschickt Witta sein Schiff hindurchsteuerte, faßte ich Mut. Ugo hatte es von allem Anfang an gefallen. Ich fühle mich nicht auf dem Wasser zu Hause; und Klippen und Strudel wie etwa der bei den Westinseln Frankreichs, wo uns ein Ruder an einem Fels zerbrach, sind mehr, als mein Magen vertragen kann. So zogen wir gen Süden durch eine stürmische See und sahen einmal, als der Mond aus den Wolken tauchte, wie gerade ein flandrisches Schiff gänzlich umgedreht wurde und sank. Und während Ugo die ganze Nacht mit Witta arbeitete, lag ich unter Deck mit dem sprechenden Vogel und achtete des nicht, ob ich lebte oder stürbe. Es gibt eine Krankheit des Meeres, die, wenn sie drei Tage währt, der reine Tod ist. Als wir wieder Land erblickten, sagte Witta, es sei Spanien, und wir lagen nach See zu. Die Küste wimmelte nämlich von Schiffen, die im Dienste des Herzogs gegen die Mauren standen, und wir fürchteten, von seinen Leuten aufgeknüpft oder von den Mauren in die Sklaverei verkauft zu werden. So hielten wir in einem kleinen Hafen, den Witta kannte; zur Nachtzeit kamen Leute mit bepackten Maultieren, und Witta tauschte nordischen Bernstein gegen Eisenbarren und Perlensäckchen in Tontöpfen. Die Töpfe verwahrte er unter Deck, und die Eisenbarren legte er in den Grund des Schiffes, nachdem die Steine und der Kies entfernt worden waren, die bisher unseren Ballast gebildet hatten. Auch Wein kaufte er für Stückchen wohlriechenden, grauen Bernsteins – ein kleines Stückchen, nicht größer wie ein Daumennagel, wurde mit einem Fäßchen Wein bezahlt. Aber ich rede da wie ein Krämer!«

»Nein, nein!« rief Dan. »Erzählt uns doch, was hattet Ihr zu essen?«

»Fleisch, in der Sonne gedörrt, gedörrte Fische und gemahlene Erbsen nahm Witta an Bord, und verschnürte Körbe mit einer süßen, weichen Frucht, welche die Mauren essen und die wie der Brei von Feigen schmeckt, aber mit schmalen, langen Kernen. Richtig, Datteln heißen sie.

›Nun,‹ sagte Witta, als alles im Schiffe verladen war, ›jetzt rate ich euch Fremdlingen, zu euren Göttern zu beten; denn nun geht unser Weg dahin, wo nie ein Mensch gefahren.‹ Er und seine Leute opferten einen schwarzen Bock am Buge, und der Gelbe brachte ein kleines, grinsendes Götterbild aus mattgrünem Steine herbei und verbrannte Weihrauch davor. Ugo und ich befahlen uns Gott, Sankt Barnabas und der heiligen Jungfrau, unserer Himmelskönigin, die meiner Gattin stets besonders teuer war. Wir waren nicht mehr jung, und doch schäme ich mich nicht, zu sagen, als wir bei Sonnenaufgang aus jenem versteckten Hafen in See stachen, da frohlockten wir und sangen, wie jene Ritter dazumal, die unserem großen Herzog nach England folgten. Und doch war unser Führer ein Seeräuber und Heide; unsere Flotte ein Schifflein, das überdies bedenklich belastet war; und die Führung hatten wir einem heidnischen Zauberer anvertraut. Witta erzählte, sein Vater sei einmal in seinem Leben die Küste Afrikas entlang zu einem Lande gesegelt, dessen nackte Bewohner Gold für Eisen und Perlen verkauften. Hier habe er viel Gold erstanden und zahlreiche Elefantenzähne, und dorthin wollte nun auch Witta mit Hilfe seines ›weisen Eisens‹. Er fürchtete nichts – außer die Armut. ›Mein Vater erzählte mir,‹ meinte Witta, ›eine mächtige Sandbank erstrecke sich drei Tagereisen lang von jenem Lande, und südlich davon liege ein Wald, der bis ins Meer hinein wächst. Östlich von diesem Walde kam mein Vater an ein Land, wo die Menschen Gold im Haar trugen. Aber das ganze Land, sagte er, sei voll von Teufeln, die auf Bäumen hausten und die Menschen in Stücke rissen. Was sagt ihr dazu?‹

›Gold hin, Gold her,‹ rief Ugo, mit seinem Schwerte spielend. ›Es ist ein lustiges Wagnis. Los auf deine Teufel, Witta!‹

›Was, Wagnis!‹ brummte dieser. ›Ich bin nur ein armer Seedieb. Nicht aus Vergnügen oder Abenteuerlust gebe ich mein Leben auf dieser Planke den Wellen preis. Wenn ich nur wieder daheim zu Stavanger Anker werfe und die Arme meines Weibes um meinen Hals fühle, dann will ich nie wieder auf Abenteuer ausfahren! Ein Schiff macht größere Sorgen als ein Weib oder eine Herde.‹

Er sprang hinunter zu den Ruderern, schalt sie wegen ihrer geringen Kraft und ihres großen Hungers. Ja – Witta war ein Wolf im Kampfe und ein wahrer Fuchs an Schlauheit.

Ein Sturm trieb uns südwärts, und drei Tage und Nächte lang wich er nicht vom Steuerruder und zwang sein Langschiff durch die Wogen; als diese allzu hoch wurden, schüttete er ein Faß Walfischtran ins Wasser, das auf einmal wie durch ein Wunder ruhiger wurde, und an dieser ölbedeckten Stelle richtete er das Schiff mit der Spitze dem Wind entgegen und warf Ruder an langen Tauen aus, um sie, wie er sagte, als Anker zu benützen, daran wir denn auch in heftiger Bewegung aber unversehrt hingen. Dieses Kunststück hatte ihn sein Vater Guthrum gelehrt. Auch in der Arzneikunde war er ebenso bewandert wie in allen Kenntnissen, die zur Seefahrt gehören.

Nach dem Sturm erblickten wir einen Berg, dessen schneebedeckter Gipfel die Wolken überragte. Das Gras am Fuße des Berges war, gekocht genossen, ein gutes Mittel gegen Schwellungen des Zahnfleisches und der Knöchel. Wir hielten hier drei Tage lang, bis Menschen in Fellen mit Steinen nach uns warfen. Als die Hitze zunahm, spannte Witta ein Tuch auf gebogenen Stangen über die Ruderer, denn zwischen der Insel mit dem Berge und der Küste Afrikas, die östlich davon liegt, setzte der kühlende Wind aus. Dieses Ufer ist sandig, und wir fuhren, etwa drei Bogenschüsse entfernt, daran entlang. Hier erblickten wir Wale und Fische von der Gestalt eines Schildes, aber größer als unser Schiff. Einige schliefen, andere sperrten den Rachen gegen uns auf oder tanzten auf den heißen Wogen. Man konnte mit den Händen fühlen, wie warm das Wasser war, der Himmel barg sich hinter grauen, heißen Nebelwänden, aus denen morgens ein feiner Staub wehte, der uns Haupt und Bart weiß färbte. Hier gab es auch Fische, die wie Vögel in der Luft flogen. Sie fielen nicht selten auf die Ruderblätter, und wenn wir ans Land gingen, pflegten wir sie zu rösten und zu essen.«

Der Ritter hielt inne, um zu sehen, ob ihm die Kinder auch glaubten, diese aber nickten bloß und baten: »Weiter!«

»Zu unserer Linken lag das gelbe Land, zur Rechten die graue See. Obgleich Ritter, führte ich mein Ruder neben den anderen, fischte Seetang, den wir getrocknet zwischen die Perlentöpfe stopften, um sie ganz zu erhalten. Ritterschaft gilt eben nur zu Lande. Auf See jedoch, wißt ihr, sind wir nur Reiter ohne Sporen auf zügellosem Pferde! Ich lernte auch starke Knoten in Taue schürzen und zwei Taue so mit den Enden verknüpfen, daß selbst Witta kaum sehen konnte, wo sie verbunden waren. Und Ugo war noch zehnmal seekundiger als ich. Witta hatte ihm den Befehl über die linken Ruderer übertragen. Thorkild von Borkum, ein Mann mit gespaltener Nase, der einen normannischen Stahlhelm trug, befehligte die Ruderer zur Rechten, und jede Seite arbeitete und sang mit der anderen um die Wette. Die beiden achteten darauf, daß keiner feierte. ›Wahrlich,‹ meinte Ugo, ›ein Schiff macht mehr Sorge als ein Herrengut,‹ wozu Witta stets beifällig lachte.

Wieso? Nun denkt einmal: Wir mußten Wasser von der Küste holen, wenn wir welches fanden, ferner Früchte und Gras, dann auch Sand zum Scheuern der Bänke und des Decks. Auch zogen wir das Schiff an flachen Inseln aufs Land, leerten es völlig bis auf die Eisenbarren, brannten mit Binsenfackeln die Gräser ab, die sich am Holze festgesetzt hatten und räucherten die Räume unter Deck mit Fackeln, die wir in Seewasser getaucht hatten, ganz so wie es die Arzneibücher vorschreiben. Und einmal, als alles so zerlegt war, und das Schiff gestützt auf seinem Kiele stand, schrie auf einmal unser Vogel: ›Waffen!‹ obgleich kein Feind zu sehen war. Witta schwur, er wolle ihm den Hals umdrehen.«

»Arme Lora! Tat er's?« fragte Una.

»Nein. Er war der Vogel des Schiffes und rief alle Ruderer beim Namen. – – Ja, das waren glückliche Tage für einen Witwer – bei Witta und seinen Heiden – jenseits der Enden der Welt ... Nach vielen Wochen gelangten wir an die große Bank, die sich weit ins Meer erstreckte, ganz wie Wittas Vater es gesagt hatte. Wir hielten immer längs des Randes, bis uns ganz schwindlig war vom Anblicke der Riffe und Brandungen und uns das Tosen nahezu betäubt hatte. Als wir wieder ans Land stießen, fanden wir nackte, schwarze Menschen, die im Gebüsch hausten; sie gaben uns Früchte, Gräser und Eier für einen Eisenbarren. Witta kratzte den Kopf, um ihnen zu zeigen, daß er Gold kaufen wolle. Sie hatten keins, verstanden jedoch das Zeichen (denn alle Goldhändler bergen es in ihrem dichten Haar) und wiesen die Küste entlang. Dabei schlugen sie mit geballter Faust an die Brust; das sollte eine Warnung bedeuten, doch wir verstanden es nicht.«

»Was wollten sie damit sagen?« fragte Dan.

»Geduld, ihr sollt es gleich hören. Wir folgten sechzehn Tage der Küste nach Osten (wir bezeichneten die Zeit durch Schwertkerben an der Brüstung des Bugs), bis wir zu dem Walde im Meer gelangten. Hier erhoben sich die Bäume auf hohen, schmalen Wurzeln aus dem Schlamme, und manches schlammige Rinnsal verlor sich allenthalben im Dunkel unter den Stämmen. Die Sonne verschwand für uns. Wir folgten den gekrümmten Kanälen zwischen den Bäumen, und wo wir nicht rudern konnten, zogen wir uns an dem mit Krusten bedeckten Wurzelwerk vorwärts. Das Wasser war faulig, und große, glitzernde Fliegen quälten uns. Blauer Nebel lagerte früh und abends über dem Sumpfe, der Fieber brütete. Vier unserer Ruderer erkrankten, und wir banden sie an die Bänke, damit sie nicht über Bord sprangen und von den Untieren des Schlammes gefressen würden. Siech lag der Gelbe bei seinem ›weisen Eisen‹, wälzte den Kopf hin und her, und redete in seiner Sprache. Nur unser Vogel gedieh. Der saß auf Wittas Schulter und kreischte in das widerliche, stille Dunkel. Ja, es war die Stille, die wir fürchteten.«

Er hielt inne, um der trauten, heimatlichen Stimme des Baches zu lauschen. »Als wir in diesen schwarzen Rinnen und Wasserfurchen alle Zeitrechnung verloren hatten, hörten wir in der Ferne, als ob eine Trommel geschlagen würde, folgten dem Klange und gelangten in einen breiten, braunen Fluß bei einer Hütte, die in einer Lichtung mitten unter Kürbisfeldern stand. Wir dankten Gott, da wir wieder die Sonne sahen! Die Bewohner des Dorfes boten uns friedlichen Willkomm und Witta kratzte den Kopf (des Goldes wegen) und zeigte ihnen unser Eisen und die Perlen. Da kamen sie ans Ufer (wir waren noch auf dem Schiffe) und wiesen auf unsere Schwerter und Bogen; denn nahe der Küste trugen wir stets unsere Waffen. Hierauf brachten sie Gold in Barren und einige große, geschwärzte Elefantenzähne aus ihren Hütten. Dies alles häuften sie am Ufer auf, wie um uns zu versuchen, und machten Zeichen des Kampfes, wobei sie auf die Baumgipfel und rückwärts in den Wald wiesen. Ihr Häuptling oder oberster Zauberer schlug dabei mit den Fäusten an die Brust und knirschte mit den Zähnen.

Drauf Thorkild aus Borkum: ›Soll das heißen, daß wir um diesen Schatz mit ihnen kämpfen müßten?‹ und lockerte schon sein Schwert.

›Nein,‹ erklärte Ugo. ›Ich glaube, sie wünschen sich mit uns gegen irgendeinen Feind zu verbünden.‹

›Das gefällt mir nicht,‹ rief Witta auf einmal. ›Zurück in die Mitte des Stromes.‹

Das taten wir auch, lagen still und betrachteten das schwarze Volk und die Goldhaufen am Ufer. Wieder hörten wir Trommelklang, und die Leute flohen in ihre Hütte, ihr Gold unbehütet hinter sich lassend.

Da deutete Ugo vorn am Bug sprachlos zum Walde, und wir sahen einen großen Teufel herauskommen. Er beschattete die Augen mit der Hand und befeuchtete seine rote Zunge zwischen den Lippen. Seht ihr, so

»Ein Teufel also,« flüsterte Dan im Genusse des Entsetzens.

»Ja. Größer als ein Mensch; von rötlichen Haaren bedeckt. Als er unser Schiff genug gemustert hatte, schlug er seine Brust mit der Faust, daß es wie Trommelschlag klang, kam ans Ufer, wobei er den Körper zwischen den langen Armen schwingen ließ und fletschte die Zähne auf uns. Ugos Pfeil zischte und durchbohrte ihm die Kehle. Er fiel mit Brüllen, und da kamen drei andere Teufel aus dem Walde und zerrten ihn auf einen hohen Baum, wo wir ihn nicht sehen konnten. Gleich darauf warfen sie den blutigen Pfeil herab und wehklagten gemeinsam im Laube. Witta blickte auf das Gold; er konnte es nicht über sich bringen, es im Stiche zu lassen.

›Hört, Leute,‹ hub er an (bisher hatte keiner ein Wort gesprochen), ›drüben liegt, worum wir die Fahrt gemacht und weswegen wir so viel erduldet. Dort – wir brauchen nur die Hand auszustrecken. Wir wollen hinrudern, solange die Teufel klagen und wenigstens so viel davontragen, als wir können.‹

Kühn wie ein Wolf war Witta und schlau wie ein Fuchs. Er stellte vier Bogenschützen aufs Vorderdeck, um die Teufel zu erschießen, wenn sie von den nahen Bäumen auf uns herabspringen sollten; er setzte zehn Ruderer auf beide Seiten, die mußten auf die Zeichen seiner Hand achten, ob sie vorwärts oder rückwärts rudern sollten; so lockte er uns zum Ufer. Aber keiner wollte das Land betreten, obgleich das Gold nur zehn Schritte weit lag. Keiner sucht gerne den Tod! Sie winselten an ihren Rudern wie geschlagene Hunde, und Witta biß in seine Finger vor Wut.

Da sagte Ugo plötzlich: ›Horcht!‹ Und zuerst meinten wir, es sei das Summen der glitzernden Fliegen auf dem Wasser; aber der Ton wurde laut und wild, daß alle es hören konnten.«

»Was?« fragten Dan und Una.

»Es war sein Schwert.« Der Ritter streichelte die glatte Scheide: »Es sang, wie der Däne vor der Schlacht singt. ›Ich gehe,‹ sagte Ugo, sprang vom Buge und fiel mitten unter das Gold. Der Schreck griff mir ans Herz, aber ich folgte ihm um meiner Ehre willen, und Thorkild sprang mir nach. Keiner sonst folgte. ›Scheltet mich nicht,‹ rief Witta hinter uns, ›ich muß auf meinem Schiffe bleiben!‹ Wir drei aber hatten keine Zeit zu Lob oder Tadel. Wir bückten uns nach dem Golde, warfen es über die Schulter nach rückwärts; dabei hielt eine Hand das Schwert umfaßt, ein Auge war auf die Bäume gerichtet, die uns fast beschatteten.

Ich weiß nicht, wie die Teufel herabsprangen, noch, wie der Kampf begann. Ich hörte nur Ugo: ›Los! Drauf!‹ rufen, als wäre er wieder bei Santlache; dann sah ich, wie Thorkild von einer großen, haarigen Faust die Stahlkappe vom Kopfe geschlagen wurde und fühlte einen Pfeil vom Schiffe her an meinem Haupte vorübersausen. Nachher erzählte man mir, Witta habe das Schwert ziehen müssen, damit seine Leute das Schiff ans Ufer ruderten; und jeder der vier Schützen wollte später den Teufel durchbohrt haben, mit dem ich kämpfte. Ich weiß von all dem nichts. Ich hatte mich im Panzerhemd, die Haut zu schützen, in den Kampf gestürzt. Mit Langschwert und Messer kämpfte ich um mein Leben; mit einem Teufel, der auch die Füße als Hände gebrauchte, und der mich wie ein Stück Holz umherwirbelte! Schon hielt er mich umklammert, ohne daß ich die Arme regen konnte, als ihm vom Schiffe her ein Pfeil zwischen die Schultern fuhr und seine Arme sich lockerten. Da stieß ich ihm zweimal das Schwert durch den Leib, und ächzend und winselnd schleppte er sich zwischen den langen Armen davon. Das nächste, dessen ich mich entsinne, war, daß Thorkild aus Borkum barhäuptig und grinsend vor einem Teufel auf und nieder tanzte, der gleichfalls in die Höhe sprang und mit den Zähnen knirschte. Darauf stürzte Ugo an mir vorüber, das Schwert in der Linken schwingend und ich wunderte mich noch, nicht früher bemerkt zu haben, daß Ugo Linkshänder sei. Dann erinnerte ich mich an nichts weiter, bis ich Wogenspritzer auf meinem Gesicht fühlte und im Sonnenschein auf hoher See erwachte. Das war zwanzig Tage später.«

»Was war geschehen? War Ugo gestorben?« fragten die Kinder.

»Nie hat ein Christenmensch solchen Kampf bestanden! Ein Pfeil vom Schiffe her hatte mich vor meinem Teufel gerettet, und Thorkild war vor seinem Gegner zurückgewichen, bis die Schützen am Schiffe den Teufel aus der Nähe mit Pfeilen überschütten konnten. Ugos Gegner jedoch war schlau und hielt sich hinter Bäumen, wo ihn kein Pfeil erreichen konnte. Körper an Körper, dank dem Schwerte und der eigenen Leibeskraft, hatte ihn Ugo dort bezwungen, und noch im Sterben biß sich das Unding an seinem Schwerte fest. Seht selbst, was das für Zähne waren.«

Ritter Richard wies den Kindern das Schwert, damit sie die beiden großen ausgemeißelten Rinnen auf beiden Seiten der Klinge sehen konnten.

»Und dieselben Zähne,« fuhr er fort, »schlossen sich über Ugos rechtem Arm und Hüfte. Mir war ja nichts geschehen: ein gebrochener Fuß und ein bißchen Fieber; auch Thorkild war nur ein Ohr zerbissen worden; Ugos Arm und Seite aber waren völlig eingeschrumpft. Ich sah ihn neben mir liegen und mit der Linken eine Frucht zum Munde führen. Das Fleisch war von den Knochen abgefallen, sein Haar stellenweise gebleicht und seine Hand blaugeädert wie die eines Weibes. Er schlang die Linke um meinen Hals und flüsterte: ›Nimm mein Schwert! Seit Hastings, o mein Bruder, war es rechtlich dein Eigen; nun kann ich nicht mehr die Klinge führen.‹ So lagen wir auf Deck, sprachen von Santlache und (ich glaube sicher!) von jedem einzelnen Tage seither, und es kam dazu, daß wir beide weinten. Denn ich war schwach, und er kaum mehr als ein Schatten.

›Ach was! Gold ersetzt jedem die Rechte! Hier – blickt auf das Gold!‹ rief Witta und ließ uns durch Thorkild das Gold und die Elefantenzähne zeigen, als ob wir Kinder wären. Er hatte alle Schätze von jenem Ufer mitgeführt und noch zweimal mehr, da ihn die Leute für die Tötung der Teufel überdies reich beschenkt hatten. Sie hatten uns wie Götter verehrt, erzählte mir Thorkild, und eine ihrer alten Frauen war es auch, die Ugos Wunden geheilt hatte.«

»Wieviel Gold habt ihr bekommen?« fragte Dan.

siehe Bildunterschrift

Thorkild war vor seinem Gegner zurückgewichen, bis die Schützen am Schiffe den Teufel aus der Nähe mit Pfeilen überschütten konnten.

»Wie kann ich das sagen? Wo bei der Ausfahrt Eisenbarren unter den Ruderbänken gelegen hatten, da waren bei der Rückfahrt Goldbarren verborgen; Säcke mit Goldstaub lagen in unserem Schlafraum und längs des Bordes, und die schwarzen Elefantenzähne hatten wir kreuzweis unten an die Ruderbänke angebunden.

Ugo sah das alles an und seufzte: ›Hätt' ich lieber meinen rechten Arm!‹

›Wehe mir! Es ist meine Schuld,‹ rief Witta. ›Ich hätte euer Lösegeld annehmen und euch in Frankreich landen sollen, als ihr vor zehn Monaten auf mein Schiff kamt.‹

›Das ist nun freilich zu spät,‹ lachte Ugo.

Witta zupfte an seinen langen Locken. ›Aber bedenke doch! Hätte ich euch ziehen lassen – doch ich schwöre, das hätte ich nie getan, denn ich liebe euch mehr als Brüder! – hätt' ich euch ziehen lassen, so lägt ihr jetzt vielleicht erschlagen von den schrecklichen Mauren, gegen die der Herzog von Burgund Krieg führt oder wär't vielleicht in einer Taverne an der Pest gestorben. Daran denke, Ugo, und schilt mich nicht zu sehr. Seht, ich will euch die Hälfte des Goldes geben.‹

›Ich schelte dich nicht, Witta,‹ war Ugos Antwort. ›Es war ein lustiges Wagnis, und wir Fünfunddreißig hier haben etwas geleistet, was die Menschen noch nie zuwege gebracht. Komme ich lebend nach England, so will ich mir von meinem Anteil eine starke Feste zu Dallington bauen.‹

›Ich kaufe Rinder und Bernstein und warme, rote Stoffe für meine Frau,‹ sagte Witta, ›und will alles Land am Eingange des Stavanger-Fjords erringen, denn nun werden viele in meinem Solde für mich kämpfen können. Doch erst müssen wir nach Norden gelangen, und mit solchen Schätzen an Bord mögen die Götter uns vor Seeräubern bewahren!‹

Da lachten wir nicht mehr; wir wurden vorsichtig und lebten in Furcht, auch nur ein Körnchen des Goldes zu verlieren, für das wir mit Teufeln gekämpft hatten.

Einmal fragte ich, wo denn unser Zauberer sei, denn ich bemerkte, daß Witta auf das ›weise Eisen‹ sah und konnte den Gelben nirgends erblicken.

›Er ist in sein Vaterland zurückgekehrt,‹ war die Antwort. ›Eines Nachts, als wir uns durch den Wald im Sumpfe hindurcharbeiteten, sprang er empor und rief, er sehe seine Heimat zwischen den Bäumen. So sprang er in den Sumpf und antwortete nicht, als wir ihn riefen. Wir ließen ihn ziehen, denn er ließ uns das ›weise Eisen‹ zurück, was für mich das wichtigste ist – und seht ihr, der Geist weist noch immer nach Süden?

Erst fürchteten wir, daß das ›weise Eisen‹ nach der Flucht des Gelben versagen würde; als wir sahen, daß uns der Geist noch immer diente, fürchteten wir Stürme und Klippen, und Meeresungeheuer und alle Leute an allen Küsten, wo wir landeten.«

siehe Bildunterschrift

Wir ließen ihn ziehen –

»Warum denn?« fragte Dan.

»Des Goldes wegen – des Goldes wegen. Gold verwandelt die Menschen völlig. Nur Thorkild aus Borkum änderte sich nicht. Er verlachte Witta ob seiner Furcht, und uns, wenn wir Witta rieten, das Segel einzuziehen, sowie unser Schiff ein wenig stampfte. Er meinte: ›Besser kurzerhand zu ersaufen, als fortwährend an einen Haufen gelben Staubes gefesselt zu sein.‹ Er war ein Mann ohne Grundbesitz, der einst Sklave irgendeines Königs im Osten gewesen war. Wäre es nach ihm gegangen, so hätte man das Gold zu starken Bändern schlagen und um die Ruder und den Schiffsbug schmieden müssen.

Nun, obgleich das Gold Wittas höchste Sorge war, so pflegte er Ugo doch wie eine Frau; er stützte ihn mit seiner Schulter, wenn das Schiff rollte, und knüpfte Taue von einer Seite zur andern, damit sich Ugo an ihnen halten könne. Denn wäre Ugo nicht gewesen, so sagte er, und so sagten alle, hätten sie nimmer das Gold erbeutet. Auch machte er einen kleinen, dünnen Goldreifen für unseren Vogel, damit er sich darauf schaukeln könnte. Drei Monate ruderten und segelten wir weiter und gingen nur ans Land, um Früchte zu holen oder das Schiff zu säubern. Als wir wilde Reiter erblickten, die auf den Sanddünen einherjagten und Speere schwangen, da wußten wir, daß wir an der maurischen Küste waren und hielten nördlich auf Spanien zu; und dann trieb uns ein steifer Südwester in zehn Tagen zu einer Küste von hohen, roten Felsen, oben mit gelbem Ginster bedeckt, wir hörten ein Jagdhorn herüberschallen und wußten nun, daß es England war.

›Nun müßt ihr euch selbst euer Pevensey finden,‹ meinte Witta, ›ich liebe diese engen, von Schiffen wimmelnden Meeresstraßen nicht.‹

Er befestigte das gedörrte, gesalzene Haupt des Teufels, den Ugo erschlagen hatte, hoch oben am Buge, und alle Schiffe flohen vor uns. Wir aber waren unseres Goldes wegen in größerer Furcht als sie; wir stahlen uns nächtens die Küste entlang, bis wir zu den Kreidefelsen östlich von Pevensey gelangten. Witta wollte nicht mit uns an Land, obgleich ihm Ugo Wein zu Dallington versprach, genug, um darin zu schwimmen. Denn er brannte darauf, sein Weib zu sehen, und so landete er nach Sonnenuntergang an der Marsche, ließ uns hier mit unserem Anteile zurück und stach mit derselben Flut wieder in See. Er hat uns keine Versprechungen gemacht, hatte uns keine Eide geschworen und konnte auf keinen Dank rechnen, und doch: Ugo, dem Armlosen, und mir, dem alten Krüppel, den er mühelos hätte ins Meer werfen können – uns reichte er Barren auf Barren und Sack auf Sack ans Ufer und hielt erst inne, bis wir uns weigerten, noch mehr anzunehmen. Und als er sich über die Brüstung beugte, um uns Lebewohl zu sagen, da streifte er alle Goldreifen vom rechten Arme, legte sie an Ugos Linke und küßte ihn auf die Wange. Ja, als Thorkild aus Borkum den Ruderern den Befehl gab, vom Lande zu stoßen, da – glaube ich – waren wir dem Weinen nahe! – Es ist ja wahr: Witta war ein Heide und Seeräuber, er hatte uns gewaltsam monatelang auf seinem Schiffe gehalten und doch liebte ich den krummbeinigen, blauäugigen Mann um seiner großen Kühnheit, seiner Schlauheit und Erfahrung, besonders aber um seines ehrlichen Sinnes willen.«

»Ist er wohlbehalten heimgekommen?« wollte Dan wissen.

»Das hab' ich nie erfahren. Wir sahen noch im Mondenscheine, wie er das Segel hissen ließ und auf die hohe See zu hielt. Aber ich betete, daß er Weib und Kinder wiedersehen möge.«

»Und was habt ihr dann getan?«

»Wir erwarteten in der Marsche den nächsten Tag; dann wachte ich bei unserem Golde, das wir in ein altes Segel gebunden hatten, während Ugo nach Pevensey eilte, um von De Aquila Rosse zu erbitten.«

Ritter Richard kreuzte die Hände über seinem Schwerte und blickte den Bach entlang in die weichen, warmen Schatten.

»Eine ganze Schiffsladung Goldes!« flüsterte Una, auf ihre kleine »goldene Hirschkuh« blickend. »Und doch bin ich froh, daß ich die Teufel nicht gesehen habe.«

Darauf Dan leise: »Ich glaube, daß es gar keine Teufel waren.«

»Wie?« fragte der Ritter, »Wittas Vater hatte es ihm ja vorausgesagt, daß es zweifellos Teufel seien. Man muß seinen Vätern glauben, nicht seinen Kindern. Wofür hältst du also meine Teufel?«

Dan wurde puterrot. »O – ich dachte nur,« stotterte er, »ich habe ein Buch, die ›Gorillajäger‹ heißt's, weißt du, eine Fortsetzung der ›Koralleninsel« und darin steht, daß die Gorillas (so heißen diese großen Affen doch!) selbst Eisen stets zerbeißen.«

»Nicht stets, nur zweimal,« verbesserte Una; sie hatten es erst kürzlich im Garten zusammen gelesen.

»Schon gut, das ist ganz gleich; jedenfalls schlugen sie an ihre Brust, ganz wie es die von Ritter Richard taten, bevor sie die Menschen angreifen. Auch bauten sie ihre Häuser auf den Bäumen.«

»Stimmt!« bestätigte der Ritter erstaunt. »Auch unsere Teufel bauten ihre Häuser wie flache Nester auf den Bäumen; ihre Jungen lagen darin und starrten auf uns herunter. Ich selbst habe sie nicht gesehen (ich war ja siech nach dem Kampfe), doch Witta erzählte es, und nun wißt ihr es gleichfalls? Wunderbar! So waren unsere Teufel nur nistende Affen? Gibt es keine Wunder mehr auf Erden?«

»Das weiß ich nicht,« meinte Dan zögernd. »Ich sah einmal, wie ein Mann Kaninchen aus einem Hute hervorholte, und er meinte, wir könnten sehen, wie er es mache, wenn wir gut aufpaßten. Das taten wir nun –«

»Aber umsonst. Ach, da kommt Puck!« unterbrach Una.

Der braune Wicht lugte lächelnd zwischen zwei Eschenstämmen hervor, nickte und huschte zu ihnen in die Kühle des Ufers herab.

»Es gibt also keine Wunder mehr, Ritter Richard?« lachte er und blies eine Löwenzahnblüte in die Luft.

»Sie sagen, daß Wittas ›weises Eisen‹ ein Spielzeug ist. Der Bursche hat selbst eins bei sich. Und sie meinen,« setzte er unwillig hinzu, »daß unsere Teufel Affen seien und Gorillas hießen.«

»Das ist die Zauberei der Bücher,« sagte Puck. »Ich sagte dir im voraus, sie seien weise Kinder. Alle Menschen können jetzt durch das Lesen von Büchern weise werden.«

»Aber reden die Bücher auch die Wahrheit?« versetzte jener stirnrunzelnd. »Mir gefällt dieses ganze Lesen und Schreiben nicht.«

»Das stimmt,« meinte Puck, mit dem leeren Stengel der Blüte spielend. »Aber wenn man alle hängen sollte, die Lügen schreiben, warum begann De Aquila nicht bei Gilbert dem Schreiber damit? Der war doch falsch genug!«

»Der arme, falsche Gilbert! Und doch war er in seiner Art ein kühner Mann,« entgegnete der Ritter.

»Was war's mit ihm? Was tat er?« forschte Dan.

»Er schrieb –« erwiderte Ritter Richard. »Glaubst du, daß die Geschichte für Kinder paßt?« Er blickte Puck an, doch Dan und Una drängten gemeinsam. »Bitte, ach bitte, erzähl' uns!«


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