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III. Aufhebung und Wiederherstellung des Jesuitenordens.

. Im siebenzehnten und zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts übte der Jesuitenorden die höchste Macht aus, welche er jemals besessen hat.

Mit unglaublicher Gewandtheit wußten sich seine Mitglieder, die gläubige Schwärmerei des Stifters gegen kluge Berechnung vertauschend, in alle Verhältnisse hinein zu finden und überall einflußreiche Stellungen einzunehmen, als Beichtväter der Monarchen und ihrer Gattinnen, der Minister und Generale, als Erzieher der Prinzen, als Lehrer an den Universitäten und Vorsteher von Gymnasien, als Missionäre unter den Heiden und Gründer von Kolonien. Sie verstanden es, die Welt für sich zu gewinnen, in der Predigt, im Beichtstuhle, in den Salons, am Krankenbette und bei fröhlichen Gelagen, schmiegten sich den Ansichten der Menschen an, waren tolerant bei Protestanten, verwerteten den Buddhismus für den katholischen Gottesdienst in China, schwärmten mit dem Schwärmer, scherzten mit dem Lebemann, disputierten mit dem Grübler und trösteten den Betrübten. Sehr anzuerkennen ist, daß sie sich während des dreißigjährigen Krieges viele Verdienste um Linderung des von diesem verursachten Elends erworben haben, und daß sie bei verschiedenen herrschenden Seuchen mit großer Aufopferung die Kranken pflegten.

Eine schlimme Zeit erschien aber für den Orden, als in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die sog. Aufklärungsperiode begann. In den katholischen Ländern richtete sich diese Bewegung naturgemäß gegen das Papsttum und die Jesuiten. In diesem Beginnen schritt der äußerste Westen Europas voran; es war das kleine Portugal, wo sich der sogenannte katholische Liberalismus der neuern Zeit zuerst kundgab, und der Name, an den sich sein dortiges Auftreten knüpft, ist derjenige Sebastian Josef's von Carvalho und Melo, später Grafen von Oeyras und endlich Marquis von Pombal. Schon als Page des Königs Johann I. wurde er durch fortwährende Pläne und Entwürfe bemerkbar und lästig und deshalb in diplomatischen Aufträgen nach London und Wien gesandt, was jedoch nur die Folge hatte, ihn näher mit der europäischen, namentlich französischen Aufklärung bekannt zu machen. Durch die Gunst seiner Königin wurde Pombal 1750 als Minister nach Hause gerufen und regierte nun, da bald nach seiner Ankunft der König starb, an der Stelle des minderjährigen Nachfolgers Josef, eines feigen, wollüstigen und abergläubigen Menschen. Von Anfang an zur Rolle eines diktatorischen Reformators entschlossen, machte es indessen Pombal wie die übrigen Reformer des achtzehnten Jahrhunderts; er fing vieles an und führte wenig durch, kannte weder Rücksichten, noch Maß und Ziel, und bewirkte daher Gutes und Schlimmes untereinander. Sein erster Kampf galt dem Jesuitenorden, der Portugal damals ganz in den Händen hatte und den er über Alles haßte. Handhabe dazu boten die besonders seit Pascal bekannten Moralgrundsätze der Jesuiten, die weltliche Herrschaft, welche sie in Paraguay auf spanischem und portugiesischem Gebiete unter den Indianern errichtet hatten, und die unsaubern Handelsspekulationen des Paters Lavalette in Westindien, wodurch 1756 eine Menge der größten französischen Handelshäuser schwere Verluste erlitten, die der Orden durch – Seelenmessen zu ersetzen sich anbot, vom Pariser Parlament aber 1760 zum Schadensersatze verurteilt und von allen Handelsgeschäften ausgeschlossen wurde. Im Einklange damit hatte schon früher (im Febr. 1741) Papst Benedikt XIV. durch die Bulle » apostalicae servitutis« allen Ordensgeistlichen Handel und Gewerbe, jeden Erwerb weltlicher Herrschaft und jeden Kauf oder Verkauf von bekehrten Indianern verboten und in der Bulle Immensa pastorum vom 20. Dez. gl. J. der Jesuiten Treiben in fremden Erdteilen, ihren Ungehorsam gegen jenes Verbot verurteilt und ihnen unter Androhung des Bannes untersagt, »die Indianer zu Sklaven zu machen, sie zu verkaufen und zu vertauschen, von Weibern und Kindern zu trennen, ihnen ihr Eigentum zu nehmen oder sie aus ihrer Heimat zu entfernen,« was alles sie bis dahin gethan hatten. Bullarium Bened. XIV, t. I. p. 101. – Schlossers Geschichte des 18. Jahrhunderts, Heidelb. 1844. Bd. III, S. 12 ff. – Oncken, das Zeitalter Friedrichs des Großen, Berlin 1882, Bd. II, S. 357. Hierdurch war nun namentlich das Jesuitenreich in Paraguay betroffen, dessen patriarchalische Zustände damals so viel Aufsehen erregten und bald, sogar von Aufklärern, über alles Maß gepriesen, bald heftig angegriffen wurden.

Als sich nun die ihren jesuitischen Oberen blind ergebenen Indianer gegen einen in Paraguay stattgefundenen Gebietsaustausch zwischen Spanien und Portugal mit den Waffen, von Jesuiten kommandiert, erhoben, sandte Pombal 1753–55 ein Heer nach Südamerika mit dem Auftrage, die erwähnte Bulle des Papstes streng zu vollziehen und dem Jesuitenstaat ein Ende zu machen (Schlosser a. a. O. S. 17 ff). Zugleich hielt ihn das im Jahre 1755 Lissabon zerstörende furchtbare Erdbeben und das hierdurch verursachte namenlose Elend nicht ab, an die Durchführung seiner Pläne zu gehen. Er hob die Ketzerverbrennungen auf, beschnitt die Macht der Inquisition, wies jede Strafe überhaupt an die weltlichen Gerichte und beschränkte das Recht der Klöster, Novizen aufzunehmen. Gingen diese Maßregeln gegen die Kirche, so traf Pombal hinwieder auch den Adel mit der Aufhebung jener Schenkungen, durch welche die Krone Ländereien in ihren überseeischen Besitzungen an einzelne vornehme Familien vergabt hatte. Unzufriedenheit mit den Anordnungen des mächtigen Ministers wurde mit Kerker, ja mit dem Tode bestraft, und es herrschte eine wahre Schreckenszeit, während zugleich das blühende Jesuitenreich in Paraguay mit Feuer und Schwert unterworfen wurde. Aus Anlaß des Erdbebens ließ Pombal die Kornmagazine der Regierung öffnen, die Ausfuhr von Getreide verbieten und die Einfuhr vom Zolle befreien, sowie die eingestürzten Wasserleitungen wieder herstellen; die in Folge des Elends entstandenen Räuberbanden aber unterdrückte er durch massenhafte Hinrichtungen. Als nun die Geistlichen heftig gegen Pombal predigten und ihn als Urheber des Erdbebens hinstellten, auch Einfluß auf den König erlangen wollten, verbannte der Minister das einflußreichste Mitglied der Jesuiten in Portugal, den Pater Malagrida und darauf alle übrigen Jesuiten vom Hofe und ließ sie 1757 mit Gewalt fortbringen. Des bigotten Königs Unterschrift zu dieser Maßregel erlangte er durch die Vorgabe, derselbe sei durch die Jesuiten bedroht, und nur er, Pombal, könne ihn gegen sie schützen. Den übrigen Höfen gegenüber aber rechtfertigte er das Geschehene durch eine eigene an sie versandte Schrift. Vom Papste verlangte er eine Reform des Ordens, und dieser ordnete sie 1758 auch wirklich an. Der mit ihrem Vollzuge beauftragte Kardinal Saldanha verbot den Jesuiten allen Handel, sowie das Predigen und Beichtehören. Ein Attentat auf den König, von einer Familie veranstaltet, von deren weiblichen Mitgliedern der lüderliche König zwei, unter Vorwissen ihrer Gatten, seiner Liebe gewürdigt hatte, welche Familie aber mit den Jesuiten eng verbunden war, gab Pombal Veranlassung zu grausamem Einschreiten gegen die Familienglieder und zugleich gegen die Jesuiten, deren Häuser bewacht wurden. Nach einer an Folterungen und anderen Gräueln reichen Untersuchung folgten schauderhafte Hinrichtungen. Die Güter der Jesuiten wurden mit Beschlag belegt, wogegen der Papst, die Kardinäle und hunderte von Bischöfen umsonst protestierten. Dann ließ Pombal (1759) 113 Jesuiten auf ein Schiff bringen und nach Rom führen und alle Glieder des Ordens bei Todesstrafe aus Portugal verbannen. Es folgte bald eine zweite Fracht, ohne die geringste Schonung gegen die zum Teil alten und gebrechlichen Männer anzuwenden. Darauf suchte Pombal Streit mit dem Nuntius und ließ ihn 1760 durch Dragoner an die Grenze bringen. Malagrida, als angeblicher Haupturheber des Attentats, obschon jetzt ein schwacher Greis, wurde von dem aufgeklärten Minister den Dominikanern übergeben und von diesen als – Ketzer verbrannt. Alle diese grausamen, aber, mit Ausnahme der letztgenannten, der Aufklärung dienenden Thaten, ließ Pombal stets durch Flugschriften begründen und rechtfertigen, welche in Spanien nicht gelesen werden durften, in Österreich aber, auf Veranlassung von Kaunitz, sogar in den Zeitungen erwähnt und erklärt wurden. Nun sorgte der revolutionäre Minister für bessern Unterricht an Stelle des jesuitischen, für Errichtung von Volksschulen, deren es beinahe keine gab, für Reform der Universität Coimbra, für ein neues Kollegium zur Ausbildung vornehmer Söhne und für eine Gewerbeschule, in welche arbeitscheue Burschen mit Gewalt gebracht wurden. Er schaffte die Monopolien ab, nahm den Getreideverkauf als Staatsregal in Anspruch und gab den aus fremden Erdteilen nach Portugal gebrachten Sklaven die Freiheit. Er reformierte mehrere Mönchsorden, schaffte Feiertage und überflüssige Gebräuche ab und begünstigte Litteratur und Buchhandel, während er jedoch die Zensur, freilich in seinem Sinne, fortbestehen ließ, welche Gunst merkwürdiger Weise auch der Inquisition, ja sogar den Autos da fé wieder gewährt wurde; doch fanden sie seit Malagrida keinen Vollzug mehr. Vieles that er auch für Ackerbau, Handel und Verkehr, für Schönheit und Reinlichkeit der Hauptstadt, doch nichts für bessere Wohnungen der Armen. Ein Heer schuf er eigentlich erst, wozu ihm das mit Portugal gegen Spanien verbündete England einen deutschen Organisator, den Grafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe sandte, der fast in ganz Europa gedient hatte und nun die Portugiesen nach preußischem Muster drillte. Als der Graf wieder heimreiste, übernahm Pombal, der vorher nie eine Uniform getragen, selbst den Oberbefehl. Bei allen diesen Reformen aber schmachtete Portugal unter der furchtbarsten Despotie, die um so ungerechtfertigter war, als sie aufgeklärt sein sollte; die Kerker wimmelten von Gefangenen, deren Überfluß man nach den mörderischen Klimaten von Afrika und Brasilien brachte, und eine politische Inquisition pflanzte Mißtrauen in alle Kreise des Landes. – Als der König gefährlich erkrankte, gab Pombal, beinahe achtzig Jahre alt (1777), sein Schicksal voraussehend, seine Entlassung ein und überlieferte dem Staate einen reichgefüllten Schatz. Dem Könige folgte seine Tochter Maria I., welche mit päpstlicher Dispensation ihrem leiblichen Oheim, wie hinwieder ihr Sohn ihrer eigenen Schwester angetraut war. Da sie sehr fromm, sogar abergläubig war, hob sie nach und nach die Reformen Pombal's wieder auf und befreite sofort alle seine Opfer aus ihren Kerkern. Den Jesuitenorden konnte sie nicht zurückrufen, weil er inzwischen vom Papste aufgehoben war. Es fehlte nicht an heftigen Anklagen gegen den abgetretenen Minister. Seine Verteidigungsschrift wurde öffentlich verbrannt und eine Untersuchung gegen ihn angehoben, von der Königin aber das strenge Urteil kassiert, worauf er bald (1782) starb.

Das Beispiel Portugals in Verfolgung der Jesuiten wurde merkwürdiger Weise ansteckend für alle Staaten, in denen damals das sonst so gut katholische Haus Bourbon regierte, und es war, als ob noch einmal der Geist des Ahnherrn Heinrich IV. über seine Enkel oder vielmehr über deren Minister gekommen wäre.

Frankreich ging voran. Wir erwähnten bereits des Prozesses Lavalette, welcher zur Folge hatte, daß der Orden gerichtlich außer das Gesetz gestellt, durch die Regierung aber noch anerkannt war. Das Urteil des Parlaments ging dahin, alle die Jesuiten schützenden Bullen und andere päpstliche Verordnungen als Verletzungen der französischen Gesetze zu erklären; es verbot dem Orden die Novizenaufnahme und das Schulhalten, verurteilte seine Schriftsteller als Sittenverderber und Hochverräter und ihre Bücher zum Feuer. Ludwig XV. schützte aber die Verurteilten, gewährte ihnen für ein Jahr Aufschub des Urteils, holte ein Gutachten der Geistlichkeit ein, welches den Jesuiten günstig war, und nun arbeiteten bei ihm die Geistlichen für, der Minister Choiseul und die königliche Maitresse, Marquise Pompadour aber gegen den Orden. Der König wußte sich nicht anders zu helfen als durch ein Gesuch an den Jesuitengeneral Ricci, die anstößigsten Punkte der Ordensverfassung abzuändern, erhielt aber nur die bekannte Antwort: » Sint ut sunt, aut non sint.« Nun ließ Ludwig der Sache ihren Lauf. Im Jahre 1762 wurden alle Archive und Bibliotheken der Jesuiten in Frankreich versiegelt und der Vermögensstand aller Kollegien aufgenommen, worauf sich die als ungeheuer reich bekannten Jesuiten zahlungsunfähig erklärten. Dann verfügte das Parlament, das Fortbestehen des Ordens sei mit dem Wohle des Reiches unverträglich, verbot den Jesuiten das Tragen ihrer Ordenskleidung, entband sie vom Gehorsam gegen ihren General und löste ihre Kollegien und Häuser insgesamt auf. Gegen den die Jesuiten durch einen Hirtenbrief in Schutz nehmenden Erzbischof von Paris, Beaumont, leitete das Parlament einen Prozeß ein, während es zugleich Rousseau's Emil durch den Henker verbrennen ließ, gegen welches Buch derselbe Erzbischof ebenfalls einen Hirtenbrief geschrieben hatte. Als auch der Papst für die Jesuiten auftrat, verdammte und unterdrückte das Parlament 1764 seine Breven. Da suchte der König durch einen tollen Widerspruch den Streit zu beendigen; er kassierte alle Verfügungen des Parlaments gegen die Jesuiten, hob aber zugleich den Orden in Frankreich auf!

Zunächst folgte Spanien. Karl III., der 1759 den Thron Neapels gegen den des Mutterlandes vertauscht hatte, war in seiner neuen Stellung von Männern umgeben, welche der Aufklärung anhingen und den französischen Minister Choiseul bewunderten. Der Genuese Grimaldi, ganz Choiseul's Werkzeug und ein Anhänger der Grundsätze Diderot's, war Minister des Auswärtigen. Ihm standen zur Seite der charakterfeste Schriftsteller Campomanes, der gebildete und patriotische Aranda, der im Staatskirchenrechte bewanderte Figueroa, dann aber auch der egoistische Olavides und der schwankende Manino (später Graf von Florida-Blanca). Durchaus ein Mann des aufgeklärten Despotismus (doch nicht in Glaubenssachen), ließ sich Karl III. leicht gegen die Jesuiten, als die gefährlichsten Nebenbuhler jeder Macht, einnehmen, worin er sogar mit ausgezeichnet frommen Männern einig ging, wie z. B. mit dem Erzbischof Palafox von Mejiko, der die Jesuiten Amerikas entlarvt hatte und für den nichtsdestoweniger die Heiligsprechung verlangt worden war. Sein Generalvikar hatte schon 1747, unter Beistimmung des Volkes, den Jesuiten, welche ohne Vorweisung von Vollmachten waren, die Beichte und die Predigt untersagt, wofür die frommen Väter den Erzbischof so verfolgten, daß er fliehen mußte und dann seine Heiligsprechung hintertrieben. Karl III. ließ die Erlasse, mittels welcher die Inquisition auf Verlangen der Jesuiten Briefe von Palafox gegen Letztere zum Feuer verurteilt hatte, aufheben und ordnete dann eine Untersuchung gegen das Treiben des Ordens in Amerika an. Als nun 1766 der Finanzminister Squillace, schon als Ausländer und Aufklärer verhaßt, durch die Verwandlung des Handels mit Öl und anderen Lebensmitteln in ein Monopol, zu Madrid einen Volksaufstand hervorgerufen hatte, bei welchem der Pöbel sein Haus stürmte, die Jesuiten hoch leben ließ und den König in dessen Palast belagerte, bis dieser gezwungen die Entlassung Squillace's versprach, was er dann auch ungern genug hielt, ließ Karl, aus Rachedurst wegen dieses Zwanges, durch Aranda eine Untersuchung gegen die Anstifter des Aufstandes anheben, welche man dann glücklich in den Jesuiten entdeckte. Nach gehöriger Vorbereitung wurden 1767 alle Jesuiten Spaniens, über fünftausend, in einer Nacht verhaftet, unter Beschlagnahme ihrer Güter eingeschifft und nach Rom geführt, – ganz wie unter Pombal, nur schneller und umfassender. Dann wurde durch königliches Edikt der Orden in Spanien aufgehoben und seine Mitglieder als Verbrecher erklärt, aber zugleich mit einer ärmlichen Pension bedacht. Die grausam zusammengepferchten Patres wollte Clemens XIII. nicht einmal landen lassen, so betroffen war er über das Schicksal seiner Schützlinge und über den von Spaniens Regierung in ihrer Anzeige von der gesandten »Ladung« an den Tag gelegten Hohn. In Spanien aber fuhren Aranda, Campomanes und ihre Genossen, so sehr ihnen auch der Beichtvater des Königs entgegenarbeitete, – mit Reformen fort. Das oberste geistliche Appellationsgericht wurde vom Nuntius unabhängig gemacht, sowie die klösterlichen Orden von deren römischen Generalen, die kirchlichen Asyle beschränkt, so auch die Censur, und für päpstliche Breven das königliche Placet eingeführt. Den Unterricht in den Schulen erhielten statt der Kloster- die Weltgeistlichen (damals ein Fortschritt!), und neue Seminarien traten an die Stelle der jesuitischen. Im Jesuitencollegium fand eine Anstalt für Ökonomie und Industrie Platz. Zum ersten Male wurden Volkszählungen angeordnet. Als aber der König älter, den Einflüsterungen seines Beichtvaters zugänglicher und gegen Aranda's Richtung mißtrauischer wurde und als des Letztern Freund Olavides, geborener Peruaner, als Generalintendant von Andalusien deutsche und andere Kolonisten, ohne Auswahl noch Rücksicht auf ihre Befähigung, nach der öden Sierra Morena lockte, unter welchen sich auch Protestanten befanden, griff die Inquisition letztern Punkt auf und hob, nachdem Aranda glücklich als Gesandter nach Paris gebracht worden, einen Prozeß gegen Olavides an, in welchem einer der Kolonisten, ein bairischer Kapuziner, den Ankläger spielte. Olavides wurde 1776 als Ketzer in das Gefängnis der Inquisition gesteckt, das Theater, welches er, um den blutigen Stiergefechten entgegenzuarbeiten, in Sevilla eingerichtet, geschlossen, nach längerer Unterbrechung wieder Autos de fè gehalten, die Bannflüche gegen die Ketzer wieder öffentlich verlesen, jeder Spanier über zehn Jahre gezwungen, beizuwohnen und endlich Olavides nach zweijähriger Haft zu einem öffentlichen Widerrufe gebracht. Er konnte zwar der Einsperrung in ein Kloster durch die Flucht entgehen, trat aber während der französischen Revolution aus Furcht vor derselben freiwillig zur katholischen Orthodoxie zurück. Aranda, von Paris aus, und Campomanes als Minister wirkten zwar noch einige Zeit in bisheriger Weise, wenn auch vorsichtig fort, namentlich für bessere Rechtspflege; aber unter dem nächsten Könige Karl IV. ging es, nicht ohne Mitwirkung des neuen Ministers Grafen von Florida-Blanca, wieder rückwärts.

Was Spanien that, durfte damals Neapel nicht lassen. Seit dem fünfzehnten Jahrhundert ein Vasallenreich der westlichern Halbinsel, war es seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts eine Sekundogenitur derselben. Als der erste selbständige König Neapels seit der Fremdherrschaft, Karl IV. (als Karl III.) zur Krone Spaniens befördert wurde (1759), ließ er dort seinen bewährten Minister Tanucci als Regenten für seinen noch jungen Sohn Ferdinand zurück, welcher Letztere zu nichts Anlagen zeigte, als zu einem tüchtigen Lazzarone. Das Reich, welches das südliche Italien einnahm, zählte damals 22 Erzbischöfe, 116 Bischöfe, 56 500 Priester, 31 800 Mönche, zusammen 112 000 Geistliche, und 23 000 Nonnen, in der Stadt Neapel allein 16 000 geistliche Personen. Alle waren von weltlichen Gerichten befreit, und sonach auch Jene, welche sich in ihre Asyle flüchteten. Schon als Karl noch in Neapel regierte, hatte man, um diesen Übelständen zu steuern, ein Konkordat mit Rom eingeleitet, die Regierung aber, als dasselbe für sie ungünstig ausfiel, die Bestimmungen desselben zu ihren Gunsten zu deuten begonnen. Sie verfügte, um die Zahl der geistlichen Schmarotzer zu vermindern, daß auf je 1000 Seelen nicht mehr als ein Priester geweiht, daß päpstliche Bullen nicht ohne königliches Placet veröffentlicht werden, daß die Geistlichkeit keine neuen Güter erwerben dürfe und der bischöfliche Bann gegen königliche Verordnungen ohne Wirkung sei. In diesem Geiste fuhr Tanucci auch nach dem erwähnten Regierungswechsel fort zu handeln. Er zog auf dem Festlande zehn, in Sicilien achtundzwanzig Klöster ein, deren Güter er zum Vorteile des Staates verwendete; er schränkte die geistlichen Zehnten ein und schaffte sie dann ab; verbot der Geistlichkeit den Erwerb liegender Güter, beschränkte die geistliche Gerichtsbarkeit, setzte die Zahl der erlaubten Geistlichen (einer auf Tausend) um die Hälfte herab und entzog die Giltigkeit auch älteren Bullen, welche nicht vom Staate bestätigt waren. Endlich wurde noch in demselben Jahre, da die Jesuiten aus Spanien vertrieben worden (1767), in Neapel ein Gleiches gethan. Sie wurden aus dem ganzen Reiche an die römische Grenze geschafft, und hier fand man nicht einmal eine Anzeige an den Papst oder eine Entschuldigung notwendig.

Nun durfte auch der vierte bourbonische Staat Europa's (oder die spanische Tertiogenitur in Italien), das kleine Parma, nicht zurückbleiben. Der minderjährige Herzog, welcher seit 1765 regierte, stand unter französischer Vormundschaft, da Ludwig XV. sein mütterlicher Großvater war. Auch hier schaffte der Regent Du Tillot die Appellation in geistlichen Gerichtssachen nach Rom und die Giltigkeit der päpstlichen Bullen ab (1768). Da erließ der Papst, was er gegen die größeren Staaten nicht gewagt hatte, ein heftiges Breve gegen Parma, berief sich auf die gegen alle Ketzer, Schismatiker und ihre Beschützer gerichtete (im vierzehnten Jahrhundert unter Urban V. entstandene, aber von Pius V. 1567 und Urban VIII. 1627 erweiterte) Bulle In coena Domini, welche vorschreibe, »daß die Geistlichkeit der weltlichen Macht nicht gehorchen dürfe, wenn es die Rechte der Kirche gelte,« exkommunizierte den Herzog und drohte dem Lande mit dem Interdikt, dem Herzog aber, dem Minister und allen Beteiligten mit dem Banne, wenn jene Verfügung nicht zurückgenommen werde. Du Tillot antwortete mit einer höhnischen Proklamation und mit der Verhaftung der Jesuiten, welche auch hier wieder nach Rom gesandt wurden. Alle bourbonischen Staaten aber traten für Parma und gegen die Abendmahlsbulle ein, ihre Gesandten verlangten vom Papste die Aufhebung jenes Exkommunikationsbreves, und ihre Minister ergriffen neue Maßregeln gegen die geistliche Gerichtsbarkeit in ihren Staaten, ja das königliche Gericht in Neapel verfügte wegen der Eingriffe des Papstes in die weltliche Gerichtsbarkeit die Einziehung der päpstlichen Enklaven Benevento und Pontecorvo. Tanucci machte bekannt, der Papst sei nicht mehr als ein anderer Bischof, und das Pariser Parlament verfügte die Unterdrückung des Breves gegen Parma. Ja es gesellten sich noch andere Staaten der Bewegung bei. Der Großmeister von Malta vertrieb die Jesuiten ebenfalls, Venedig verdammte die Abendmahlsbulle und Modena hob Klöster auf.

Nun regten sich auch Österreich und das katholische Deutschland. Josef II., Mitregent seiner Mutter, und der mächtige Kaunitz waren ohnedies Gegner der Jesuiten und ihres Beschützers Clemens XIII., und ähnlicher Ansicht war auch van Swieten, der Ratgeber der Kaiserin, so daß sich Maria Theresia bestimmen ließ, die bis dahin vom Papste und den Bischöfen in der Lombardei ausgeübten Rechte über Personen und Güter der Geistlichkeit einer eigenen Oberbehörde in Mailand zu übertragen, die Geistlichkeit zum Verkauf aller seit 1722 erworbenen Güter anzuhalten und die Appellation nach Rom abzuschaffen. Zu derselben Zeit war in Deutschland ein Kirchenrechtslehrer aufgetreten, welcher im wesentlichen alles, was in den Ländern bourbonischer Fürsten und in Portugal gegen die kirchliche Hierarchie unternommen worden, in ein System brachte. Es war Johann Nikolaus von Hontheim, Weihbischof von Trier, gerade so alt wie das Jahrhundert, welcher im Jahre 1765 unter dem Pseudonym »Justinus Febronius« das Werk » des tatu praesenti ecclesiae et legitima potestate Romani pontificis« (in Bouillon) herausgab. Die weltlichen Regierungen katholischer Länder und ihre zahlreichen Anhänger, d. h. damals alle Gebildeten weltlichen und sehr viele geistlichen Standes begrüßten das »Evangelium des liberalen Katholizismus« mit Jubel; in Portugal wurde eine besondere Ausgabe davon veranstaltet; der Spanier Campomanes berief sich in allen seinen kirchenrechtlichen Handlungen darauf; namentlich aber machte es Josef II. so sehr zu seiner Richtschnur, daß man seitdem das darin verfochtene System mit Vorliebe den » Josefinismus« genannt hat. Hontheim aber, dessen Autorschaft nicht geheim blieb, wurde von den Dunkelmännern und von seinen Oberen, namentlich auf Betrieb des jesuitischen Beichtvaters des Erzbischofs von Trier, so lange gepeinigt, bis er eine Erklärung abgab, welche einem Widerrufe ähnlich war, während er die Nichtigkeit dieser erzwungenen Formel in einer gleichzeitigen, seine Ansichten bestätigenden Druckschrift darthat. Er starb in hohem Alter 1790.

Inzwischen lenkte sich der Unwille der aufgeklärten Katholiken auch in Deutschland gegen das römische System, vorzüglich aber gegen die Jesuiten. Sogar in dem damals bigotten Baiern brach sich dieser Geist Bahn. Unter dem Kurfürsten Maximilian Josef wirkte der Tiroler Ferdinand Sterzinger, ähnlich wie Thomasius, gegen die Hexenprozesse, welche noch um 1750 unter anderen zwei Mädchen von dreizehn Jahren zu Opfern hatten und von den Jesuiten aufrecht erhalten wurden. Der Kurfürst schützte den von den frommen Vätern angegriffenen Sterzinger und errichtete um 1769 das geistliche Ratscollegium in München unter der Direction seines Geheimrates Peter von Osterwald, mit dem Zwecke, die Welt- und Klostergeistlichkeit zu den Steuern an den Staat herbeizuziehen und die Novizenaufnahme zu beschränken. Auch schrieb Osterwald, wie Hontheim, aber deutsch, gegen die Unthätigkeit und Habsucht der Geistlichen, welches Buch die Geistlichen verdammten, der Kurfürst aber billigte. Auch hier wurde das Placet eingeführt und die Jesuiten, zu gleicher Zeit sogar im geistlichen Kurfürstentum Mainz, als Feinde des Staates erklärt, weil sie Bellarmin's aufrührerische Schriften in tendenziöser Weise auffrischten.

Unter diesen Verhältnissen starb der jesuitenfreundliche Papst Clemens XIII. 1769 und ihm folgte als Clemens XIV., sein Gegenpol, Lorenzo Ganganelli. Die Wahl war das Werk Josef's II. im Vereine mit den jesuitenfeindlichen Regierungen Südeuropa's; der Kaiser hatte persönlich mit Choiseul, Aranda und Pombal korrespondiert, und Maria Theresia, wenn auch ungern, mußte sich fügen. Die Intriguen des Erzbischofs von Wien, Migazzi, scheiterten, und die Kasuisten der Gesellschaft Jesu wurden in Österreich verboten. Es war hohe Zeit, den Bestand der katholischen Kirche zu retten; denn wenn der neue Papst nicht gegen die Jesuiten eingeschritten wäre, so hätten die Regierungen, welche sie bereits vertrieben hatten, ohne Zweifel sofort oder bald ihre Länder von der römischen Kirchenhoheit losgerissen. Ganganelli hatte daher bei seiner Wahl den angedeuteten Schritt zusagen müssen, begann aber seine Wirksamkeit mit anderen Reformen, z.B. mit Abschaffung des Verlesens der Abendmahlsbulle und Zurücknahme des Breves gegen Parma, wodurch er jene Regierungen zu beschwichtigen und sich den Schritt zu ersparen hoffte, für den er die Rache der Jesuiten fürchtete. Aber es half nichts; Frankreich erklärte Avignon und Venaissin und Neapel Benevento und Pontecorvo zu behalten, bis das Verlangte erfüllt sein würde. Ganganelli mußte gehorchen. Er schloß 1772 das römische Seminar, dann die übrigen Kollegien des Kirchenstaates, und erließ endlich am 23. Juli, beziehungsweise 19. August 1773 das welthistorische Breve » Dominus ac redemptor noster,« durch welches der Orden aufgehoben wurde. Man sah es als Klugheit oder gar Arglist an, daß die wichtigsten Beschuldigungen gegen die Jesuiten in dem Breve übergangen wurden. Es waren dies: das despotische System und die mechanische oberflächliche Methode im Schulunterricht, die Herrschaft des Ordens durch affiliierte Laien in allen Ländern, Orten und Ständen, das Spionierwesen in der Beichte und deren Mißbrauch, dessen sich die Väter notorisch schuldig machten, die in ihren Schriften gelehrte schlechte Moral und ihr reich begüterter, blindgehorsamer und daher der politischen Ordnung höchst gefährlicher Staat im Staate. Diese Vorsicht nützte aber Ganganelli nichts; er starb ein Jahr nach seiner That, wohl der kühnsten eines Papstes.

Die Jesuiten zählten zur Zeit der Aufhebung ihres Ordens 24 Profeßhäuser, 669 Kollegien, 176 Seminarien, 61 Novizenhäuser, 335 Residenzen, 273 Missionen und 22600 Mitglieder, wovon die Hälfte Priester, – die kurzröckigen Jesuiten nicht gerechnet.

Die Aufhebung des Ordens erwies sich indessen als zwecklos; denn sein Geist, der Obskurantismus, treffend auch Jesuitismus genannt, bestand fort. Sogar das Personal selbst erhielt sich als solches in den Ländern altkatholischer Regierungen, wie im griechisch-orthodoxen Rußland, wo Katharina in der Frivolität des Ordens nichts abstoßendes finden konnte, und im protestantischen Preußen, wo Friedrich es sich nicht hätte nachsagen lassen, daß sich der Sieger von Roßbach vor den Vertriebenen seiner Besiegten fürchte. Aber auch dort, wo der Orden aufgehoben, war seine Abwesenheit dem Fortschritte nicht nur nicht förderlich, sondern es war nichtsdestoweniger eine allgemeine, fast epidemische Neigung zum Rückschritt eingerissen. Der beinahe unumschränkten Herrschaft, welche die Aufklärung noch in der Mitte des Jahrhunderts in den gebildeten Kreisen Europa's ausübte, war nach und nach, namentlich seit dem Anfange der siebenziger Jahre, doch ohne daß deshalb die Äußerungen des fortschrittlichen Geistes an Kraft und Verbreitung abgenommen hätten, eine bedenkliche Reaktion zur Seite getreten. Es gehören hierher: das Wiederauftauchen der Kabbala, das Wirken Lavater's, welchem das ähnliche Hamann's und Jacobi's zur Seite ging, die Gaukeleien, Teufelsbeschwörungen und Geistersehereien Mesmer's und Gaßner's, Saint-Germain's und Cagliostros, Swedenborg's und Jung-Stillings, denen in Frankreich der schwärmerische Seher Saint-Martin entsprach, endlich der fantastische oder geradezu jesuitische Mißbrauch der Freimaurerei durch die Rosenkreuzer. Zugleich gelang, wie wir bereits gesehen, in Portugal der Sturz Pombal's, in Spanien Aranda's, ferner in Baiern die Unterdrückung der Illuminaten, in Östereich der Freimaurer; denn die Exjesuiten schlichen emsig umher und wühlten rastlos, um ihre verlorene Macht wieder zu gewinnen, und wurden hierdurch gefährlicher, als je vorher die anerkannten Jesuiten gewesen waren. In Baiern diktierten die Exjesuiten seit 1780 bereits wieder die Katechismen und Schulbücher, verdrängten auch den schwächsten Schimmer von Licht und wollten z.B. nicht dulden, daß man sage: an Gott glauben, statt » in Gott.« Ja, es kamen damals »Verurteilungen« zum Unterrichte in der christlichen Sitten- und Glaubenslehre vor! –

Als im Jahre 1814 alle durch die französische Revolution und ihre Folgen beseitigten Einrichtungen im wesentlichen wieder hergestellt wurden, setzte Papst Pius VII. auch den Jesuitenorden in sein Dasein und seine Rechte wieder ein. Seitdem hat sich der Orden wieder etwas vermehrt, aber sehr langsam, und die Stärke, die er vor seiner Aufhebung hatte, ist noch lange nicht erreicht. Im Jahre 1844 zählte er 4133, 1857: 6303, 1860: 7144 (darunter 2939 Priester), 1865: 7956 (3389 Priester) und 1872 (vor seiner Ausweisung aus Deutschland) 8809 Mitglieder, hat sich also in nicht ganz dreißig Jahren mehr als verdoppelt, was immerhin beachtenswert ist. Auch ist sein Einfluß durchaus nicht zu unterschätzen. Es ist demselben offenbar zu verdanken, daß das Institut der »katholischen Universitäten,« d.h. höherer Lehranstalten, an welchen nur gelehrt werden darf, was der Papst und die Jesuiten erlauben, – eine Erscheinung, welche lächerlich wäre, wenn nicht die Möglichkeit ihres Daseins etwas so unendlich Beschämendes hätte – außer der klerikalen Universität im belgischen Löwen, 1875 auch in Frankreich Fuß gefaßt hat, wo bereits mehrere Anstalten dieser Art entstanden sind; doch scheint die Sache, in Folge veränderter politischer Strömung, nicht nach Wunsch der Partei gedeihen zu wollen. In der Schweiz ist bereits eine »katholische« Universität, welcher aber noch die medizinische Fakultät fehlt, zu Freiburg in's Leben getreten. In Deutschland und Österreich hoffen die Ultramontanen auf klerikale Hochschulen in Fulda und Salzburg. Sogar in Nordamerika gelang die Stiftung einer solchen Anstalt und zwar in der Bundeshauptstadt Washington.

Daß das ganze System der Verketzerung jedes freien Gedankens, ja des Denkens überhaupt und seiner Ersetzung durch einen mechanischen geistlosen Glauben, welches in der katholischen Kirche immer festern Boden gewinnt und ihr jeden unbefangenen Denker entfremdet, kein anderes ist, als das des Jesuitenordens, geht schon aus seiner allgemeinen Charakterisierung hervor; denn es erniedrigt den Katholiken wirklich, wie die jesuitische Vorschrift will, zum Leichnam in der Hand des geistlichen »Hirten.« Es wird dies aber noch deutlicher, wenn wir die Thatsache vor Augen halten, daß das System der Jesuitenmoral mit Bewilligung der höchsten kirchlichen Behörden in neuen Lehrbüchern zusammengefaßt und in seiner ganzen sittenlosen Nacktheit dargestellt ist. Diese Lehrbücher, das eine von dem belgischen Jesuiten Pater Gury, das andere von dem amerikanischen Bischof Kenrick, sind thatsächlich an katholischen Priesterseminarien eingeführt, und die werdenden Beichtväter werden nach denselben angeleitet, sich mit dem ganzen Schmutze der Sittenlosigkeit bis in die kleinsten haarsträubenden Details bekannt zu machen.

Wie sich hierin die jesuitische Moral oder vielmehr Kasuistik verrät, so schaut die scholastische Logik oder vielmehr Dialektik dieses Ordens aus den neuesten Thaten des von ihm geleiteten heiligen Stuhles deutlich genug hervor. Der letzte Papst Pius IX. war ein guter Mann, von den besten Absichten erfüllt, die sein Standpunkt zuließ; aber er hatte die Schwäche, daß er jede Gelegenheit ergriff, um seine Macht und seine Würde hervortreten zu lassen. Dies hatten die Jesuiten längst durchschaut und ließen ihn daher, auf seine Liebhaberei eingehend und ihn glauben machend, daß er aus eigenem Willen handle, diejenigen Maßregeln ausführen, welche ihr System für passend hält, um dem Orden die unbedingte Herrschaft über die Kirche und damit über die größten Volksmassen der Christenheit zu sichern. Wir verstehen darunter: 1) die Dogmatisierung der unbefleckten Empfängnis Marias, 2) die Encyklika, welche die »Irrtümer der Zeit verdammt,« mit dem angehängten Syllabus, und 3) den Konzilbeschluß über die päpstliche Unfehlbarkeit.

Daß diese letztere Entscheidung der Zeit nach mit der Kriegserklärung Frankreichs an Deutschland zusammenfiel, halten wir für keinen Zufall. Freilich wurde jenes Unternehmen mit der Auflösung des Kirchenstaates und dieses mit der Zertrümmerung des Kaiserreiches und der Demütigung der angreifenden Macht beantwortet. Aber daß die Ultramontanen überall mit Frankreich sympathisieren, daß sie überall Deutschland und diejenigen dieses Landes wenigstens dessen Regierung hassen und anfeinden, ist bekannt. Auch ist es gewiß kein zufälliges Zusammentreffen, daß, während Frankreich um ein Bündnis mit Rußland gegen Deutschland buhlt und diesem zulieb seine früheren Sympathien mit den Polen weggeworfen hat, die österreichischen Ultramontanen mit den dortigen Slawen zusammenhalten, deren Ideal die Losreißung von Österreich und die Vereinigung mit Rußland ist, und daß der kroatische Bischof Stroßmayr, dieser ehemalige Gegner der päpstlichen Unfehlbarkeit, an die russische Kirche eine Glückwunschadresse senden durfte, ohne vom Papste auch nur eine Zurechtweisung zu erhalten. Es ist auch bezeichnend, daß im Jahre 1872 die Ultramontanen und die wälschen Schweizer in der Verwerfung des freisinnigen Entwurfes einer Bundesverfassung ihres Landes einig gingen und jetzt die Ersteren in mannigfacher Verbindung mit den Socialdemokraten stehen, mit deren Hilfe sie den verhaßten konfessionslosen oder vielmehr von den Konfessionen unabhängigen Staat zu untergraben hoffen. Damit stimmt es vollkommen überein, daß die deutschen Socialdemokraten den berüchtigten, hoffentlich folgenlosen jesuitenfreundlichen Reichstagsbeschluß herbeiführen geholfen haben.


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