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I. Einleitung in die Geschichte des Jesuitenordens.

. Daß der sich in Deutschland (und ebenso in der Schweiz) kundgebende Widerstand gegen die Aufhebung des Jesuitengesetzes, welches diesen Orden aus dem Reiche (in der Schweiz gegen die Aufhebung des Verfassungsartikels der ihn aus der Eidgenossenschaft) verbannt, lediglich oder auch nur vorzugsweise einer Angst der Protestanten vor den Jesuiten entspringe, halten wir für durchaus falsch, ja nicht nur für dies, sondern für eine totale Verkennung des Charakters des deutschen Volkes (bez. des Schweizervolkes). Nicht nur die Protestanten, soweit sie nicht für Rom gewonnen oder auf dem Wege sind, es zu werden, sondern auch alle gebildeten Katholiken, welche nicht von der ultramontanen Partei irgendwie abhängig sind, hassen die sog. Gesellschaft Jesu grundsätzlich; nur dürfen es die Letzteren, soweit sie in der römischen Kirche verbleiben wollen, nicht sagen, weil diese Kirche seit geraumer Zeit, d. h. seit der Abwendung Pius IX. von liberalen Ansichten (1849), von den Jesuiten beherrscht wird. Dieser Haß hat nichts mit Angst oder Furcht zu thun; er ist ein echt germanischer gesunder Haß, ein Haß gegen diejenige Gesellschaft, welche mit der größten Ausdauer alles das befehdet und herabwürdigt, was der deutschen Nation (als Ganzes genommen) teuer und heilig ist. Es handelt sich dabei durchaus nicht um den Protestantismus, obschon es die Jesuiten waren, welche ihn im 16. und 17. Jahrhundert von neun Zehntel der Deutschen auf die Hälfte herabgebracht haben. Es handelt sich auch nicht um Mißkennung der Verdienste des Jesuitenordens in Ausbreitung des Christentums, in manchen Zweigen der Wissenschaft, in Armen- und Krankenpflege u. s. w. Es handelt sich vielmehr um das System der Jesuiten, welches erstens den Fortschritten der Wissenschaft im ganzen und großen, zweitens der Gedankenfreiheit und drittens der deutschen Kultur durchaus feindlich ist. Wir wollen hier nicht von der Moral sprechen, in welchem Fache die meisten derjenigen Jesuiten, die darüber mit Bewilligung der Oberen geschrieben, dem unsittlichen Probabilismus huldigen, und zwar deshalb nicht, weil der in allzu freier Ausdrucksweise ihr System zeichnende Wahlspruch »der Zweck heiligt die Mittel« auch derjenige der meisten Nichtjesuiten und sogar vieler Jesuitengegner ist. Es darf aber daran erinnert werden, daß die Jesuiten die Urheber jenes päpstlichen Syllabus sind, welcher alle Errungenschaften der neueren Zeit, namentlich aber die Unabhängigkeit der Staaten und die Gewissensfreiheit verdammt, daß sie noch heute am Teufels-, Hexen- und Zauberglauben festhalten und daß sie es sind, welche den ohnehin allzu materiellen Glauben des ungebildeten Volkes durch den Herz-Kultus und andere geistlose Gebräuche noch materieller und ideenloser zu gestalten suchen. Um die Geschichte der Entstehung des Jesuitenordens richtig zu würdigen, müssen wir einige Blicke auf die allgemeine Geschichte der christlichen Völker vor jenem Ereignisse werfen, ohne welche das letztere nicht völlig verständlich wäre. –

Das Christentum fand bei seiner Einführung in Europa bereits den Antagonismus der romanischen und der germanischen Völker vor, – Jene ohne gemeinsame Abstammung, lediglich durch die römische Sprache und Kultur zusammengehalten, – Diese von gemeinsamer Abkunft, noch frisch an Kraft, noch unangefressen durch die Überfeinerung und Entartung der römischen Sitten und Unsitten. Es konnte nicht fehlen, daß das Christentum bei den Romanen und Germanen ebenso verschiedene Gestaltungen annahm, wie dies bei den Völkern von griechischer Sprache und Kultur im Osten Europa's und in Vorderasien der Fall war. Während jedoch Letztere ein abgeschlossenes Gebiet bewohnten, lebten Germanen und Romanen seit der großen Völkerwanderung nicht nur hart neben, sondern zum Teil auch untereinander. Soweit dies letztere der Fall war, durchdrangen sich natürlich germanische und romanische Auffassung des Christentums; soweit aber beide Stämme gesondert wohnten, machte sich die besondere Auffassung beider mehr geltend. Im skandinavischen Norden erhielten sich die Erinnerungen an das germanische Heidentum noch lange, und noch unter der Herrschaft des Christentums wurden sie in der Edda gesammelt. In Deutschland wurden diese Erinnerungen durch die romanischen Apostel, besonders durch den romanisierten Angelsachsen Bonifatius, bis auf wenige Reste, die sich in die heimliche Welt des Märchens und der Volksgebräuche flüchteten, zerstört; dennoch blieben die Benennungen der meisten Wochentage nach den alten Asen im Gebrauche. Ebenso behielten in den romanischen Ländern die Wochentage die Namen der römischen Götter, und zwar mit Zustimmung der Kirche, und blieben römische Sitten vielfach mit christlicher Färbung bestehen.

Seitdem der große Kaiser Karl, ungeachtet mancher Blößen einer der hervorragendsten Kulturhelden in der Weltgeschichte, den altgermanischen Überlieferungen seine Aufmerksamkeit zuwandte, hatten dieselben, unbeirrt durch seines Sohnes, Ludwigs des Frommen, Eifer in Unterdrückung derselben, unter den Deutschen wieder Fuß gefaßt. Obschon diese mit allen Abendländern den Primat des Bischofs von Rom anerkannt hatten, weil man einmal gewohnt war, Rom als die Hauptstadt der Welt zu betrachten, behaupteten sie doch das Recht, das Christentum in ihrer Weise aufzufassen. Das Kaisertum, welches sie an ihren Stamm gefesselt hatten, machte dem romanischen Papsttum gegenüber den germanischen Geist geltend, welcher im »heiligen römischen Reiche deutscher Nation« die Oberhand über das Römertum behauptete, bis der schwache Heinrich IV., den sein Unglück schon als Kind mit der Krone geschmückt, sein Träger wurde, und erhob sich, nach seinem Fall unter diesem Schwächling, unter den gewaltigen Staufern von neuem. Die deutsche Dichtung des Mittelalters bewahrte in ihren bedeutendsten Werken eine von Rom unabhängige Gesinnung. In dem Gedichte »Heljand«, obschon es bereits unter Ludwig dem Frommen entstand, erscheint Christus nicht etwa wie ein Papst, Kardinal oder Bischof, sondern wie ein königlicher Held, seine Jünger wie sein Gefolge und das Abendmahl wie ein Heldengastmahl. Nach Äußerungen des Extrems christlicher Demut sucht man darin vergebens, und die heidnischen Vorstellungen werden so viel als möglich geschont. Im gewaltigen Nibelungenliede der Staufenzeit kommt nur sehr wenig christliches, vom Papsttum gar nichts vor. Noch auffallender aber ist im Parzival, diesem Werke von durchaus christlich-frommer Färbung, die vollständige Abwesenheit jeder Erwähnung der römischen Hierarchie. Nicht einmal die Dreieinigkeit wird genannt; das Geheimnis vom Opfertode des Menschensohnes wird nicht von Geistlichen in einer Kirche, sondern von Rittern in einer wunderbaren Burg gehütet, und ein »Heide«, d. h. Mohammedaner, ist der Bruder des christlichen Helden.

Mit der kaiserlosen, der schrecklichen Zeit brach die Herrlichkeit des Reiches zusammen, in welchem die Zeitgenossen ein christliches Weltreich erblickt hatten. Die Verbindung eines Teiles der Deutschen mit dem Papsttum gegen das Kaisertum, d. h. mit dem romanischen gegen den germanischen Geist, hatte dieses traurige Ergebnis einer ruhmvollen Geschichte herbeigeführt. Aber das Papsttum hatte sich dieses Erfolges nicht zu freuen. In eben jener Zeit tauchten auch die Anzeichen einer Zersetzung der Kirche auf. Satirische Anspielungen auf Papsttum und Geistlichkeit fanden sogar an den gotischen Domen in Bildhauerarbeiten der Steinmetzen ihren Platz. Zahlreiche Sekten entstanden mit der Tendenz, der römischen Hierarchie gegenüber die altchristliche Einfachheit wieder einzuführen. Im vierzehnten Jahrhundert zerfiel sogar das Papsttum in feindliche Parteien unter zwei bis drei Päpsten. Es war eine allgemeine Reaktion gegen die Einheitsbestrebungen sowohl des Reiches als der Kirche eingebrochen.

Ihren Gipfel erreichte die Zersplitterung des Reiches und der Kirche in der Kirchentrennung oder Reformation. Die unter diesem Namen bekannte politisch-religiöse Bewegung des 16. Jahrhunderts ist kein zu dieser Zeit plötzlich und unerwartet auftauchendes Ereignis, durch welches die Kirche Christi frevelhafter und tückischer Weise zerrissen worden, sondern einfach der einstweilige Schlußpunkt einer seit den ersten Jahrhunderten der Existenz des Christentums beharrlich fortgeführten, in den politischen, kirchlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Verhältnissen, besonders in den zahlreichen Sekten klar genug ausgesprochenen Opposition gegen das in der Kirche herrschend gewordene System und dessen Glaubenszwang. Nicht die Reformatoren haben die Reformation gemacht, um heiraten zu können, wie oft behauptet wird, obschon in diesem Wunsche durchaus nichts Unrechtes liegt, derselbe vielmehr als ein sehr tugendhafter erscheinen muß gegenüber dem kurz vor der Reformation herrschend gewordenen Konkubinenleben der Geistlichen, bei dem man allen Lüsten fröhnen konnte, ohne zu heiraten, wie die Urkunden jener Zeit und die Berichte strengkatholischer Zeitgenossen (wie Sebastian Brant, Thomas Murner, Erasmus von Rotterdam u. a.) genugsam darthun. In der Reformation ist vielmehr zum Ausbruche gekommen, was längst vorbereitet und reif dazu war, nämlich die Empörung des germanischen Geistes gegen das herrschend gewordene romanische Element. Das Ansehen der Kirche war durch ihre Entartung im fünfzehnten Jahrhundert so tief gesunken, daß mit der neuen Bewegung die mannigfaltigsten Ausschreitungen verbunden waren, von denen jede den herrschenden Übelständen auf einem andern Wege beizukommen suchte. Die alte Autorität war gebrochen, vorzugsweise durch ihre eigene Schuld, und eine neue war noch nicht an ihre Stelle getreten. Dies rächte sich sowohl auf politischem Gebiete durch den blutigen Bauernkrieg von 1525, als auf dem religiösen Felde durch unheilvolle Zersplitterungen. Zahlreiche Reste jener Gemeinden, welche während des Mittelalters den urchristlichen Gedanken fortzuführen gesucht hatten und dafür als Ketzer verfolgt worden waren, verschmähten es, sich an die Reformation anzuschließen, weil diese lediglich eine Staatskirche statt der freien Gemeindekirche anstrebte, und wurden deshalb sowohl von katholischen als von protestantischen Machthabern blutig unterdrückt. Unter diese Leute, welche man irrig Wiedertäufer nannte, weil sie in altchristlicher Weise nicht Kinder, sondern nur Erwachsene, Gläubige tauften, drängten sich allerlei unlautere Elemente, welche die freiere religiöse Richtung durch ihren religiös-politischen Wahnsinn in den Augen der Nachwelt in einen unverdienten Mißkredit brachten. Von diesen Elementen aber wurde ein Ereignis in Scene gesetzt, welches jenen Wahnsinn auf die Spitze trieb, nämlich die Errichtung des »Königreichs Zion« in der westfälischen Stadt Münster, das so blutig unterging, – und diese Thatsache erscheint um so bemerkenswerter, als damit in merkwürdiger Weise von Seite des Wahnwitzes derselbe Grundgedanke zu verwirklichen gesucht wurde, welchen die Jesuiten von Seite der äußersten Klugheit verwirklichten, nämlich die Gründung eines geistlichen Reiches mit dem Ziele, die gesamte Menschheit zu umfassen.


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