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Die rote Zeit


Feldkirch

Sturmsatter Berg; von matten Gräsern
Grüßt Fugenwind im Verwitterhaus.
Glocken betäuben kahle Kirchen,
Und Tag und Abend fallen aus.

Nicht fühl ich,
Fahldämmerung umnachtet,
Urzwielicht nie im Nebel bebt.
Lawine schmilzt zur Schneeruine,
Grauleich nach weißem Sterben strebt.

Unter dem Wandrer murren Steine,
Viel Äste winken seinem Hals;
Schmeißfliegen auf dem gelben Schädel
Im Beinhaus weint der Tod beim Weine.

 

Gottes Tod

Schnee begräbt das Immergrün,
Heiße Eisenwolken ziehn
Über alle Jugend hin.

In schalem Schall seid ihr ertaubt,
Siegglocken schlagen euch aufs Haupt,
Metall hat euch den Gott geraubt.

Zeit der eisernen Ameisen,
Die auf ewig blutenden Gleisen
Nichtig, vernichtend nichtswärts reisen.

Trost gebiert ein Mädchenschoß,
Doch so wirst du Gott nicht los,
Ihn mordet der Kanonenkloß.

Gott rief »Hilfe!« eine gute Weile.
Nun liegt er längst gefangen,
Wundverstümmelt, totengroß,
Erschlagen, unbestattet, nackt und bloß
Allnächtig im Kriegsberichte: schwarze Zeile.

Die Bäume auf allen Inseln
Wissen im Trauerwindwinseln:
Der alte Weltvater ist tot.

 

Predigt

Ihr seid nicht wert
Den Wald der tausend Wipfel,
Ihr verdient nicht Glanz der Gipfel,
Verneigt euch kreischend allen Winden
Wie die Möwe auf dem Pfahl.
Ihr verdient das Augenlicht nicht, blinden
Bergblick nicht, noch Tanz im Tal.
Streiter ihr um Höllenwege,
Betet nicht zum Gotte Wendeleid.
Vulkan der Untererde Feuer speit:
Lavawut dem Mann der Keule.

Blutschwamm verschluckt die Donnerrohre,
Die Länder eitern: Modermoore –
Dies ist die Zeit der Drachenfäule!

 

Fleisch

Nacht umwölkt das verstockte Hirn,
Den steinernen Schlaf zerbricht ein Gesicht.
Im Traum der vergessene, tote
Freund mich ans Telephon rief:

»Kennst du mich nicht, Unbegrabener?
Ich heiße Begrabener,
Ich heiße Mensch,
Man hat mich verschüttet.
Du hast mich verscharrt.
Hunde beschnuppern mich,
Karten um den deutsch-gelehrigen Hals.
Es gilt das Fleisch meiner Leiche.
Ich, Max, dein ältester Freund,
Komme zu dir im Traum
Und bring dir ein Stück von mir zum Kosten.«

 

Sieg

Abends kühl ein Windchen strich
Über U-Boot-Bahn,
Verwehte in ein Kindchen mich
Froh mit Kahn und Schwan.

Seele wiegt auf Welle sich
Traumbefreit vom Krieg;
Seerosen geselle dich,
Werde Schilfblatt, flieg

Über Stahl und über Stein
Als Libelle rein im Hain.
Fehler ist es: Mensch zu sein,
Flieg, Libelle, flieg.

 

Zu Hilfe!

Was nützt es, wundzubeten hinfälligen Mund?
Wo, wo ist die Urposaune des ehernen Engels,
Zerdonnernder Schlund?
Wo, wo ist die schweigende Wucht,
Gewalthand des Erzschildners,
Der die Kampfzwerge zerschmeißt
Unter dem sieben tötenden Rand
Seines niedersausenden Grimms?
Noch, noch zerreißt
Myriaden
Im Blutsumpf stummes Ersticken,
Gasgiftiger Schwaden.
Ihr Geier ohne Maß
Immer nur Haß und Aas?

 

An den Tod

Pestgreis an der Menschheitsbahre,
Lege weg rostrote Sense,
Sichel du verjährter Jahre;
Reitend auf des magern, hagern
Alterpferdes Messerrücken
Wird Erdernte dir mißglücken.
Mäher jener Ehrenheere –
U-Boot, Tank und Überdreadnought
Ziemen eher dem Bezwinger
Stramm entstürmter Sturmarmeen.
Überhand nahm Handgranate,
Schnattern der Maschingewehre.
Pfeilwindschneller Flammenwerfer,
Reger Regimententraffer,
Allen Landes Elend, Lindwurm,
Fahlgedunsen, Blutwucherer,
Rippenloser Gasmaskierter,
Satan: General Messias,
Tod der Töter, Mors der Mörser –
Ich dursthunger nach dem Ende,
Hund, zerbeiß deinen Erdapfel!

 

Schwäche

Schwarzflamme des Worts –
Ohnmächtiger Efeu,
Uhu und Unke wider der Teufel Bluttunke.

Draußen ausbraust Krieg,
Der verlauste Wüterich,
Der in Fleisch und Bein haust, Länder maust,
Denen vor der gepanzerten Faust graust.

Wir gingen hin
Die grillensingende Waldwiese –
Unsere Freunde fing,
Verknallt der männerfressende Gewaltriese!
Säumige Rächer, Irrichter[???Irrlichter?]
Vergaßen wir den Minentrichter,
Zum Gipfel gefallen
Schneestrahlenden Blaubergs.
Lüstern lungernd wie Huren
Durchfuhren wir trunken
Abendwehdunkelnden See.
Vom Tod unserer Brüder rot
Droht Heimkehr in den Kehricht.
Wie Wasser schmatzt an Ufersteine
Unwert des Lichtregens sinken wir sündig,
Faulend ins Bettgrab;
Eh wir gestürmt die Türme der Bürger,
Eh wir zerkracht das Rückgrat der Würger,
Schlachtet uns Nacht.

 

Das sterbende Europa

Und Sonne gebar sich,
Mond entwurde,
Sternweb klang leis im Gewölk.
Wozu?
Wüstes Gewirr der vier Wirbelwinde
Über Wutwassern dahin.

Der Urmensch – aushob er Angststeine
Wider das wilde Wild,
Bis der Tod ihm die Augen austrank.
Die Affenkönige schlugen die Zorntrommel,
Fraßen Opfer ihrem guten Gott Haubenstock,
Ihre Krieger bellten in die Schlacht.

Und dreimal scholl Gorgadenschrei.
»Ich zermörser alles«,
Kreischte die Kruppgeburt.
In Berges Wald
Von düstrer Ulmen Brand verflucht
Leichennickende Ragestirn
Trägt eines Griechengottes
Kühnen Heldenhelm
Und ist der Mord.

Fortflog melodischer Schatten der Amsel,
Süß umnachteter Ton,
Schwarzer Vogel Musik.
Ihr Höhen und Häuser der uferlosen Zeit,
Ihr Nachtigall-Hügel
Schneesilberner Stadt voll Wehwinselgesang!

Aus leidgeöffneten Fenstern
Aller Frauen Sehnsucht
Schreckt mich aus dem Schlaf.
Nicht mehr zwitschert die Mädchen-Lerche
Auf deinem Lager, armer Kriegsjüngling!

Das Land blüht auf in Wiese, Lichthain –
Aber Abel tötet den Kain,
Goliath tötet den David,
Nestor tötet den Memnon,
Christus tötet den Judas,
Jeder tötet den Menschen.

Das Wasser blüht auf,
Der selig grünen Wellen Umarmung.
Opfer fallen den Schwertfischen,
Auf den mordenden Meeren
Hallen Heulegebete
Zum unbekannten U-Gott.

Über den eisenzerhackten,
Feuerzerfeuerten Heeren
Versiegter Sieger
Die adlerschändenden Flieger,
Über Stadtdörfern,
Kreuzen im Kreuzfeuer verbrannten,
Der tierischen Fahne, Dschingiskhane
Blutrot.

Ihr werfet immer Schein.
Wozu die heißen Fanale,
Wem opfert ihr euer Verderben?
Wem gibt der Donner Signale?
Wem gilt der Menschheit Zersterben
Im Teufelstod?!

Aus Grab und Grabengewimmel
Hungert's um Hilfe zum Himmel,
Aber derlei bläht sich hoch über dem Blei,
Heute grau, morgen blau,
Blind über dem kurzen Mückengetümmel.

O Erde, wo Leiche der Leiche den Staub raubt,
O Finsterer der Finsternisse,
Du Bitterster der Bitternisse,
Todhimmel, pestschwarzer und lastender,
Dir brüll ich Armer und Fastender:

»Erdgott, flüchte nicht in deinen Bart
Vor der Kanonen Donner!
Was tränkst du Menschen
Mit den ätzenden Abwässern der Schakale?
Schufst du den Wirbelschlangen
Weg im Sturm,
Dumpf-Schlaf in den Ämtern?
Bist du der Fluch:
Die mondgeschwängert fremde Wolke,
Geist uns ansprühend mit Gift?
Umwimmelt von weißen Haaren,
Den Boten der Würmer,
Du bist nicht Gott,
Du bist der Ergrauer,
Der Brüste Zertrümmerer,
Du bist der Tod.
Gramverheert von Dämonsjahren
Zu Asche verkohlten
Die Wächter der sieben heiligen Sternmeere,
Die Sonne verglüht vor Scham!
Und du?«

 

Stimme über Barbaropa

Du leuchtest, Sonne, dralles Licht,
Begrünst das Kahle,
Spatzen essen dir schneefröhlich Körner,
Nur im Menschen warfst du nicht Anker,
Er mengt deine Tagessaat
Seinem Dunkel, schattender Zwerg.

Der in die morgende Allnacht
Den Urnebel hauchte,
Die Sternbilder mischte,
Den Feuerfluß ballte zur Sonne,
Seines Affen hatt er nicht acht,
Der Pulverlaus, gierbäuchigen Menschtiers,
Das in Gefilden, Lüften, meereinher
Selbstzerfleischendes Fleisch
In sich sein Geprank schlägt,
Brüllend im Erdversteck
Zum Tod seinesgleichen sucht mit Wut.

O ihr sonnengoldenen Abende,
Dämmerung – wo ist die Brücke des Stroms?
Nebel dräut Graustraße unter der Übernacht,
Verschüttete Gleise, verschwemmt
Die Furten im Überschwall aller Fluten!
Wir taumeln einher im Blutregenmeer,
Säumen im Sumpfwasser des Schlafs
Und wissen nicht Ufer.

Wann endet die Nacht
Euerer Schlacht,
Die Barbaropa, Eurasien durch
Donnert Mordjahre lang!?

Ihr ertränkt euch, ersäuft
Von den Brunnen eures Versiegens,
Matt sinkt Flügelschlag
Der Schwarzschwäne auf Blutflussesflut.
Hört ihr die stillen
Lachen versickernden Eiters
Himmelhinbrüllen?
Hat sein Maul aufgetan der Sand
Und kann nicht mehr.
Weh über das Mutterland,
Gebiert Kampffelder, wo das Gebein ragt –
Krieg zu erklären dem Kriegserklärer.

Ihm grünt das milde Gefild,
Des grünen Vor-Hangs samtnes Fluten.
In den schallenden Hallen
Prahlt beim Mahle
Großkönig der Qualen.

Aas, durch die Weiten und Breiten nur Aas!
Anschwebt, Adler, stoßt die Klauen
Kriegsgekröntem, friedenkrähendem Dämon
Ins Gekrös!

 


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