Zephyrin Zettl
Der Mühlsepperl
Zephyrin Zettl

Zephyrin Zettl

Der Mühlsepperl

Eine Dorfgeschichte aus dem Böhmerwalde

(1901)

Der Mühlsepperl war im ganzen Dorf recht wohl gelitten, denn er war ein herzensguter Bursche, der mit Ängstlichkeit vermied, jemand etwas zuleide zu tun. Im Gegenteil, wo es nur anging, tat er den Leuten allerlei kleine Gefälligkeiten. Er wäre beleidigt gewesen, wollte man ihm seine Dienste irgend entlohnen und wenn einer zu ihm sagte »dank dir schön«oder »Gelt dir's Gott«, so stieg ihm die Röte ins Gesicht, als schäme er sich, daß es aussah, als habe er ein gutes Werk des Dankes halber getan.

Er war beim Müller als Knecht bedienstet, schon seit sechs oder sieben Jahren. Wie er 14 Jahre alt und schon ein kräftiger Bursch war, hatte ihn der Müller in Kost und Lohn genommen. Lohn konnte man eigentlich nicht sagen, denn Sepperl bekam höchstens zu den Kirchweihtagen oder, wenn die Maria Schnee-Wallfahrt war, und zu Neujahr immer ein paar Sechser, die aber dem Burschen Vermögens genug schienen.

Früher hatte ihn der Ortsvorsteher als ein »Gemeindekind« in Pflege gehabt. Bei dem wars dem Jungen herzlich schlecht gegangen. Früh morgens mußte er als der erste auf und in den Stall. War der in Ordnung, so durfte er erst seine Morgensuppe essen. Dann mußte er das Vieh zur Weide treiben, aber nicht nur seines Bauers Kühe, sondern auch die dessen Schwagers und dann noch die Kälber. Da hat es genug Herumhetzen gesetzt den lieben Tag, denn so eine Herde vierbeiniger Racker im Zaum zu halten reicht weder ein Zuruf noch auch ein kräftig Fluchen aus. Da muß man schon gut springen können, um die Felder vor Schaden zu bewahren. Oft genug trat sich unser Sepperl einen Dorn, einen Span oder einen scharfen Stein in den Fuß, aber das durfte nichts machen. »Gibst halt ein andermal besser acht», das war der ganze Trost. Und es verheilte und vernarbte, wie alles verheilt und vernarbt mit der Zeit. Und wenn er spät abends in sein Höh kroch, da dachte er oft mit Wehmut, wie schön es wäre, wenn er nur einmal seine Mutter oder seinen Vater sehen könnte und daß er auch jemand hätte, der freundlich mit ihm wäre und ihn vielleicht ein bißchen liebhätte, ihn, der doch allen so gut sei und niemand Böses tue.

Wie er acht Jahre alt war, da ist dem Jungen die Sehnsucht nach seinen ihm unbekannten Eltern erwacht. Und so oft er allein war mit sich selber, hing er dieser Sehnsucht nach mit aller Zähigkeit eines Kindergemütes, das gleichwohl einsieht, es könne seinen Wunsch nie erfüllt sehen.

Mit acht Jahren wars – und das kam so:

Bis dahin hatte er zu seinem Pflegevater Vater und zu dessen Weib Mutter gesagt.

Da kam oftmal einer zu der Bäuerin, der kaufte Butter, Eier, auch Geflügel zusammen. So verkaufte ihm diese einmal einiges Federvieh und ließ sich das Geld auf den Tisch hinzählen, es war nicht viel mehr als ein Gulden, und ließ es liegen. Als sie es aber zu sich nehmen wollte, war das Geld fort. Man durchsuchte alles und fand's nicht. Das konnte nur einer gestohlen haben. Der Sepperl war in der Stube zur Zeit, darum wurde er befragt, jedoch er leugnete. Man glaubt aber nicht, wenn der Verdacht schon rege ist, so durchsuchte man seine Taschen und fand – das Geld. Der Bursche wurde bleich, zitterte am ganzen Leib. Sein Pfleger, über die Undankbarkeit des Burschen erbost, versetzte ihm eine derbe Maulschelle. Der Junge fiel hin wie ein Stück Holz, seine Augen kehrten das Weiße heraus, Hände und Füße krampften und Schaum trat ihm aus dem Munde. Dann lag er still und regungslos, von Zeit zu Zeit die Brust schwer hebend und senkend.

»Um Gott's Christi Willen, du wirst doch den Buben nicht erschlagen haben«, jammerte die Bäuerin.

»Wird schon wieder munter werden«, sagte der Bauer ruhig und ging seine Pfeife rauchen.

Man wusch den Sepperl und er kam wieder zu sich. Wie er die Leute um sich stehen sah, wunderte er sich und fragte was es denn eigentlich gäbe.

»Das hätt'st doch nicht tun sollen«, sprach leise und vorwurfsvoll die alte Dienstmagd zu ihm.

»Was?«fragte Sepperl verwunderlich.

»An fremder Sach' soll man sich nicht vergreifen.«

»Weiß nicht, was geschehen ist.«

»Du hast der Bäuerin das Geld genommen.«

»Ich? Du wirst dich wohl irren.«

»Ich wollte, daß ich mich irrte, aber in die Säcke wird dir's wohl keiner gesteckt haben.«

»Wenn du so sagst, so wird's wohl auch so sein«, seufzte der Junge, dann schwieg er.

Von da ab durfte er zu seinem Ziehvater nicht mehr Vater sagen, sondern Bauer und zu dessen Weib nicht mehr Mutter, sondern Bäuerin. Und da wurde die Sehnsucht wach nach seinen Eltern, die er nie gekannt.

Hatte man früher dem Burschen durch Aufbürdung aller erdenklichen Arbeiten das Leben sauer zu machen versucht, so begegnete man ihm jetzt auch noch mit Verachtung.

Aber wie er früher nie gegrollt, so ertrug er auch jetzt sein Schicksal.

Der Bauer, der lange kein Wort zu ihm geredet hatte, tat ihm einmal recht weh, indem er sagte zum Sepperl, die Diebsfinger hätte er von seiner Mutter geerbt, die eine Zuchthäuslerin gewesen wäre und wenn er sich wieder einmal vergesse, so würde er mit der Peitsche vom Hofe gejagt.

Nicht so sehr die Drohung als die Verunglimpfung seiner Mutter war es, was das Herz des armen wehrlosen Jungen zusammenkrampfen machte und das Ohnmachtsgefühl, den Lästerer nicht mit der Faust ins Gesicht schlagen zu können, den Lästerer, der sich noch auf den Wohltäter hinausspielte. Sepperl tat nach wie vor seine Arbeit und mußte wohl auch trotz seiner Jugend dort zugreifen, wo eigentlich der Knecht hingehörte. Aber er tat alles, was man ihn hieß und arbeitete, um zu vergessen, daß man ihn einen Dieb und seine Mutter eine Zuchthäuslerin schelte. Und wenn dann endlich für ihn Feierabend wurde, da alle schon im Bette lagen, da vergrub er sich ins rauschende Heu und manche stillgeweinte Träne rieselte ihm über die Wangen, bis er endlich müde einschlummerte, um mit dem ersten Hahnenruf wieder aufzuschrecken.

Seit jenem Diebstahl hat sich's noch öfter wiederholt, daß dem einen ein Messer, dem andern ein Tabaksbeutel, dem dritten andere Sachen plötzlich wegkamen. Aber die vermißten Gegenstände wurden immer wieder an einem Orte gefunden, auf den der Verlustträger bestimmt kommen mußte. Es fiel auf, man redete davon. Wenn man aber in Sepperl's Gegenwart Erwähnung tat, so errötete er, schlich weg und sprach oft tagelang kein Wort.

So waren wieder etliche Jahre vergangen.

Da geschah es, als Sepperl einmal abends in der Gesindestube weilte, daß der Bauer in dem Momente eintrat, als Sepperl vor dem Kleiderrechen stand, sämtliche Röcke visitierte und den Inhalt ohne Wahl zu sich steckte.

Der Bauer blieb erstaunt stehen, doch der Bursche, der ihn nicht zu bemerken schien, ließ sich in seinem Geschäfte nicht stören. Erbost trat der Bauer auf ihn zu, riß ihn am Arme herum und schrie den gedankenlos vor sich hin Glotzenden an:

»Lumpenbub, was treibst denn da?« Sepperl stierte ihn an, als wüßte er nicht, worum es sich handle und steckte beide Hände in die gefüllten Taschen.

»Ah, glaubst mit dem Dummstellen geht's bei mir? Du weißt, was ich dir gesagt habe, Bub. Hast die längste Zeit umsonst mein Brot gefressen.«

Damit langte der Bauer nach einem Peitschenstiel und schlug ohne Erbarmen auf den regungslosen Jungen zu. »So, da hast deinen Lohn für die vierzehn Jahr, die du mir zur Last gelegen bist.«

»Jesses, Mann, was hast du denn mit dem Buben«, schrie die herzueilende Bäuerin, die ihres Mannes Stimme bis ins Vorhaus gehört hatte.

»Gestohlen hat der Lump! Der Bub muß fort, ich laß ihn in den Arrest stecken, einen Dieb brauch ich nicht im Haus.«

Zitternd, bald bleich wie die Wand, bald glührot im Gesichte stand der Junge da. Furchtbar klang ihm das Wort Dieb in den Ohren wider.

In seiner Erinnerung stieg die Szene auf, die sich damals wegen des Geldes abgespielt, dann die rohen Worte, die das Andenken der Mutter beleidigten. Und jetzt stand er wieder da, jetzt ward ihm der gleiche Vorwurf ins Gesicht geschleudert – und er konnte nicht leugnen, gestohlen zu haben, fühlte er doch die fremden Gegenstände in seiner Tasche. Eine furchtbare Ahnung fing an ihm allmählich aufzudämmern.

Schon oft hatte er ihm nicht gehörige Gegenstände in seinen Kleidern vorgefunden. Er hielt es für eine böswillige Neckerei seiner Kameraden und legte alles wieder an seinen Ort zurück. Sollte er jene Sachen wirklich im Taumel, im Anfall eines krankhaften Zustandes zu sich genommen haben, ohne daß er etwas wußte? Sollte er damals mit dem Gelde gerade so gewesen sein? Es mußte so sein. Denn eben jetzt hatte ihn ja der Bauer ertappt und sein Gedächtnis wußte nichts davon, was vor wenigen Augenblicken geschehen war. Ja, er war ein Dieb, er hat gestohlen – aber wer glaubt ihm, dem elternlosen Burschen, dem Sohn der Zuchthäuslerin, daß er nicht wußte, gestohlen zu haben?

Erschöpft, halb ohnmächtig war er auf die Ofenbank gesunken.

Der Bauer aber riß den Willenlosen auf und stieß ihn die Türe hinaus.

Auch seine andere Androhung hat der sonderbare Erzieher wahr gemacht, denn bald holte den Burschen ein Gendarm, der, ohne Geschichten zu machen, Handschellen hervorzog, sie dem Burschen anlegte und ihn so durchs Dorf führte nach dem nicht weit entlegenen Marktflecken, wo sich das Gericht befand. Sepperl gab alles zu, was man ihm vorlegte, und so wurde er aus besonderer Gnade wegen Hausdiebstahles nur zu einem Monate Arrest verurteilt.

Als er die Strafe abgesessen hatte, wurde er der Gemeinde wieder zugestellt. Aber den Dieb wollte keines ins Haus nehmen. Das Gericht behielt ihn auch nicht, denn die Strafe war verbüßt.

»Warten bis er wieder stiehlt«, rief der gutgelaunte Gendarm. »Vielleicht werdet ihr ihn dann länger los.«

Schließlich traf der Gemeindevorsteher die Anordnung, jeder Bauer habe ihn je 14 Tage zu behalten, ihm Kost zu geben und tüchtig zur Arbeit anzuhalten. So trieb sich denn eine Zeit der vierzehnjährige Bursche unter den Leuten herum, verachtet, verspottet, ausgestoßen und ein Genosse der Tiere, im Stalle auf der Streu mit den Rindern lagernd und im Vorhaus wie die Hunde aus dem schlechtesten Geschirre das schlürfend, worin die andern den Löffel gelassen. Wenn er nirgends hineingelassen würde, dachte man, so wird er doch um Gotteswillen nichts stehlen können.

Er hatte schon bald die Runde durch das größere Dorf der Gemeinde gemacht, bald schlecht, bald noch schlechter gehalten, bis er endlich zum Müller kam. Der brauchte gerade einen Burschen. Als er sah, daß der Sepperl fleißig und nicht ungeschickt war, dachte er er sich: »Nun, vielleicht läßt er das Stehlen, wenn er sieht, daß man ihm auf die Kappe geht.« Nach den vierzehn Tagen, in denen es ihm besser ging als überall anders, fragte ihn der Müller:

»Da, Bub, willst bei mir bleiben?« Der Sepperl, dem diese Sprache etwas verwunderlich vorkam, sah den Müller groß an.

»Also sag' ja oder nein, denn deine Zeit wär' aus bei mir.«

»Wenn ihr mich behalten wollt – bis jetzt hat keiner noch Verlangen gehabt, im Haus einen D...«. Es verschlug ihm die Rede und Tränen standen dem armen verfolgten Burschen im Auge.

»Na also. Essen wird dir bei mir nicht abgehen und dein Bett sollst auch haben und ein ordentliches Gewand, denn bei mir mußt sauber daherkommen. Nur das eine sag' ich dir: du hast gesehen, was es für Frucht bringt, wenn man sich an fremdem Gut vergreift. Ich mach' dir keinen Vorwurf, du hast's abgebüßt; aber hüt' dich, da könnt ich dich nimmer brauchen!«

Weinend sank der Sepperl vor dem behäbigen Müller in die Knie und versuchte dessen Hände an den Mund zu drücken, aus dem er nur mühevoll ein »Vergelts Gott« hervorpreßte.

»Na, na, laß das«, sagte der Müller und ging.

Der Sepperl blieb also in der Mühle. Die Bauern wunderten sich baß darüber und freuten sich, daß sie den Burschen, den sie für eine Landplage hielten, los waren. Diejenigen nur, die dem Müller nicht recht gut waren und ihm nachredeten, er liefere weniger Mehl, als ihm Korn zur Mühle gebracht würde, die meinten spöttisch: »Na, ja, gleich und gleich verträgt sich. Wird sich den Burschen schon abrichten, wie er ihm zum Mahlen brauchen kann.«

So gut wie jetzt beim Müller hat's der Sepperl früher nie gehabt. Das erstemal im Leben, daß er in einem Bett schlafen durfte. Wenn er auch nur wenige Stunden der Ruhe pflegen konnte, so waren ihm diese Stunden ein doppelter Genuß. Mit allen Leibeskräften trachtete er sich dem Müller dankbar zu zeigen dafür, daß er ihn behalte und ordentlich behandle. Necken durfte ihn niemand, denn da wurde sein Herr furchtbar zornig. Hat's auch nur einmal einer probiert, dem mußten's seine Backen entgelten.

Verschiedenemale hatte der Müller auch dem Sepperl Fallen gestellt und Geldstücke hingelegt. Aber selbst in Momenten, wo sich dieser ganz unbeachtet fühlen konnte, ließ er dieselben ganz unbekümmert liegen. Das freute seinen Herrn, welcher vermutete, daß sich Sepperl wirklich gebessert habe. So ging eine gute Zeit herum.

Die Dorfleute wichen ihm jetzt nicht mehr so aus wie früher und die Dirndln wispelten einander heimlich zu, daß der Sepperl gar kein übler Bursch werden tät – aber heimlich nur, denn mit einem, der wegen Stehlens eingesperrt war, wollte doch keine ins Geschrei kommen. Der Müller war recht zufrieden mit ihm; denn Sepperl war fleißig, verträglich und genügsam, also das Muster von einem Dienstboten.

Da kam wieder etwas vor, was Sepperls gegenwärtigem Glücke einen argen Stoß versetzen könnte. Es fehlte nämlich seinem Herrn eines Morgens die Taschenuhr. Derjenige, der einmal seine Neckerei mit einem Backenstreich büßen mußte, lief zum Müller und meldete ihm, daß der Sepperl zur Nachtzeit ins Werk hinuntergegangen wäre, wo der Meister meist seine Uhr an einem Nagel aufgehängt hatte. Der Müller hieß den Angeber schweigen und gehen. Mittags hing richtig die Uhr wieder an ihrem Nagel. Der Müller war erzürnt. Er rief den Sepperl und führte ihn ins Werk.

»Gefällt dir diese Uhr?«fragte er ihn, auf diese hinweisend.

Keine Antwort. Des Burschen Gesicht erglühte.

»Du hast die Uhr gehabt!«

»Ja, Meister!«

»So – wozu?«

»Ich weiß nicht.«

»Du hast sie also von da weggenommen?«

»Es wird so sein.«

»Warum hast du sie nicht behalten oder versteckt, wenn du sie schon wegnimmst?«

»Sie gehört nicht mir und fremde Sachen behalte ich nicht.«

»So nimm's auch nicht!«

Jetzt traten Tränen in die Augen des Burschen.

»Meister«, stammelte er, »glaubt nicht, ich wollte euch bestehlen. Ich weiß nicht, wie das gekommen ist, aber heute vormittags habe ich plötzlich eine Uhr in meiner Tasche gefühlt. Ich hab' sie gleich hingegeben, wo sie immer ist, aber stehlen wollt ich sie nicht. Ich bitt' euch, jagt mich nicht fort! Ich bin ein unglückseliger Mensch. Kann auch sein, daß wieder so was geschieht, aber glaubt mir, ich gebe ja alles wieder zurück, ich habe ja nicht den Willen zu stehlen, und ich weiß nicht, wie es kommt. ich bin oft ganz verloren und verweiß mich nicht und dann geschieht's. Bin ich aber wieder bei mir selber, so gebe ich alles gleich wieder hin, wo es hingehört. Jagt mich nicht fort, Meister, sonst muß ich in den Mühlbach gehen –«

Der Bursche hatte in seinem Schmerz so überzeugend gesprochen, daß der Müller sagte:

»Vom Fortjagen hab' ich noch nichts gesagt. Wenn das wahr ist, was du vorbringst, so ist das für dich ein großes Unglück und für die andern auch nicht besonders annehmlich, aber einen Unglücklichen wird der Müller nie vor die Türe stoßen. Geh an deine Arbeit.«

Die Sache war beigelegt.

Aber den einen Burschen schmerzte seine Maulschelle noch immer. Er lief also wieder zum Meister und beteuerte lang und breit, die anderen Dienstleute fühlten sich nicht sicher vor dem Hausdiebe. So hätte dieser sogar einmal der Magd einen Rosenkranz gestohlen, aber weil geweihtes Gut beim Dieb nicht verbleiben könne, so wäre der Rosenkranz wieder vorgefunden worden. Statt der erhofften Belohnung fuhr ihn jedoch der Meister grob an und schaffte ihm kurz, den Mund zu halten, sonst – er wußte schon was das »sonst« bedeute.

Es war wieder Ruhe. Fehlte einmal was, so konnte man sicher gehen, daß es bald wieder an seinem Platze lag. Der Müller konnte in allen Dingen auf Sepperls peinliche und felsenfeste Ehrlichkeit vertrauen, was er auch rückhaltlos gegen jedermann äußerte, und nie fand er sich getäuscht oder auch nur zu Mißtrauen veranlaßt.

So ward Sepperl nachgerade zum Liebling seines Herrn.

Die Bauern, die den armen Teufel seinerzeit zu den Rindern in den Stall gesperrt hatten, wunderten sich und schüttelten die harten Köpfe, aus denen das, was einmal darinnen sitzt, nicht leicht herauszubringen ist. Am meisten wohl wunderte sich der Ortsvorsteher, der den Burschen hatte in Arrest setzen lassen. Doch niemand sah mehr den Sepperl deswegen über die Schulter an, man kam ihm sogar mit besonderer Freundlichkeit entgegen, um ihm das Unrecht zu entgelten, das man ihm angetan hatte.

Der Mühlsepperl gesellte sich jetzt auch zu den Burschen des Dorfes, die gerne Sonntags nachmittags auf der Kegelbude beisammen waren und schoben, rauchten, sangen, lachten und Spitzbübereien ausdachten und einige Krüge Bier dazu tranken.

Trotzdem er nun weder beim Kegelschieben noch beim Biertrinken viel mittat, so war er doch recht wohl gelitten, denn er verdarb nie einen Spaß, es wäre denn ein schlechter gewesen, war bescheiden und tat sich in nichts hervor, außer etwa durch seine schöne helle Singstimme.

Wie er bei seinem Pflegevater Hirtbub war, da hatten die Wälder oft von seiner klaren Stimme widerhallt, doch wie die bösen Zeiten kamen, verlernte er auch das Singen. Jetzt aber, da er in sich selbst den Menschen wieder gefunden, regte sich in dem zum strammen hübschen Jüngling herangereiften Burschen auch wieder die Sangesfreude.

Wenn die Burschen abends durchs Dorf schritten und einen »Vierspannigen« jodelten und die helle Oberstimme des Mühlsepperls hervorschlug, wer weiß, ob nicht im stillen Kämmerlein manches Dirnleins Herz wohl höher schlug, ob nicht manches Dirnlein ihm das Fensterl aufgetan hätt', unbekümmert, ob den Sepperl nicht seine Krankheit packe und er was mit fortnähme, wär's auch nichts als ein klein warmes Herzlein voll Lieb.

Und wenn sich die Burschen allgemach zu den Fenstern der Liebsten verloren, so schritt Sepperl langsam über die Wiesensteige nach der Mühle hinunter und suchte sein Lager auf. Er hatte keine Herzliebste, weil er es nicht wagte, sein braves Herz und seine fleißige Hand einem Mädel darzubieten, denn er hielt sich wegen seiner Abkunft einerseits und seines Gebrechens anderseits doch nicht mit anderen gleichwertig, sondern fühlte sich immer nur mehr als Geduldeter. Aber ganz im geheimen erschien ihm oft so wie im Traum ein hellblondes Mägdelein mit braunen Augen und vollem frischen Gesichte. Um sie, die zweitjüngste Tochter eines kleineren Bauers, würde Sepperl geworben haben, wäre er so wie die anderen Burschen gewesen. So aber bewarb sich der zweite Mühlknecht um sie, derselbe, der Sepperl beim Meister anschwärzen wollte. Sie mochte den heimtückischen Gesellen eben nicht leiden, und je zudringlicher er wurde, desto ablehnender verhielt sie sich.

Für Sepperl nahte indessen die Zeit, in der die Jugend für Kaiser und Vaterland den Tribut zu leisten hat. Er hatte begreiflicherweise eine große Scheu vor dem Militär, denn da stand ihm wieder nach seiner Voraussicht bevor, für das als Dieb bestraft zu werden, was er in seinem allerdings nur zeitweilig auftretenden Zustande unbewußt vollführte.

Es war Fasching. In den ersten Fastentagen sollte mit der Assentierung begonnen werden.

Bei den Faschingsnarreteien tat alles junge und auch vieles alte Volk tapfer mit, man ging in die Maskerade, aß Fleisch und Krapfen, trank mehr als gut war, mit einem Worte, die Tollwut, die in dieser Zeit recht häufig auszubrechen droht, stand bei den Menschenkindern in vollster Blüte.

Am Faschingsonntag war im Gemeindewirtshause großer Ball. Früh am Nachmittage schon stimmten die Klarinetten den ersten Rundum an, dem bald ein Landler folgte und ein G'strampfter und dann wieder ein G'hupfter. Die Paare wirbelten über den holprigen Tanzboden, als wäre er so eben wie die Tenne. Von der Dorfjugend fehlte keines und auch der Sepperl war schon da. Er saß in der Trinkstube am Burschentisch, hatte seine Halbe vor sich stehen und gab Gesänge an. Dann trank man einander zu und sang wieder. Zeitweise stand einer auf, führte sein Schätzel zum Tanz. Dann führte er sie an den Tisch, ihr einen Trunk Bier zum Dank anzubieten.

Sepperls feindseliger Kamerad war auch da. Er war bemüht, auf das blonde Mädel neben ihm einzureden, die horchte aber lieber auf den Gesang hin. Schließlich bat er sie zum Tanz. Sie lehnte jedoch ab mit dem Bemerken, ihre Füße schmerzten.

Die Burschen, die das beobachtet hatten, lachten den Zurückgewiesenen tapfer aus.

»Weil du halt zu wenig Schneid hast, drum schicken dich die Dirndln weg.«

Dem Mühlburschen war's recht unlieb, plötzlich das Stichblatt der anderen geworden zu sein, drum gedachte er die Stichelreden auf einen anderen abzulenken und sagte:

»Sie tanzt halt nicht früher mit ein' andern, bevor nicht ihr Schatz mit ihr getanzt hat.«

»Ja, bist das nicht du«, riefen die anderen.

»Ich, keine Rede, die mag mich nicht, das seht ihr ja, und der, den sie mag, der traut sich wieder nicht, sie zum Tanz zu führen, weil er fürchtet, am Ende mit ihr der Länge nach hinzufallen.«

»Wer wird's denn sein. Der ärger' Bursch unter uns allen, der kecker', der sich allerhand traut, was sich die anderen nicht trauen, nur dirndlscheu ist er.«

»Jetzt ist's genug!«rief der Sepperl und sprang auf. »Oder hast die Lehr' vom Meister schon vergesssen? Ich könnt' dir vielleicht dieselbe Lehr' geben, aber – auf die andere Seite, verstehst mich!«

Der Spötter war verstummt. Er wußte, wenn's zu Handgreiflichkeiten komme und ihn der Sepperl gleich schonen würde, so hätte er die anderen Burschen gegen sich, und das wäre schlimm genug für ihn ausfallen.

Der Sepperl stand auf und trat auf das Bauerndirndl zu, das den Mühlburschen eben abbedankt hatte. Eine leichte Röte stieg in beider Gesicht, als sich ihre Blicke trafen, dann führte er sie in den Tanzsaal.

Und wie er, das hochgerötete Dirnlein um die Hüften haltend, wieder zurückschritt vom Tanzboden und ihr den Bescheidtrunk anbot, da traf beide ein giftiger Blick aus des Mühlburschen Augen.

Der Mühlsepperl setzte sich wieder an den Tisch und sang und trank, bis seine geringe Barschaft gar war. Dann drangen die Burschen auf ihn ein, noch länger zu bleiben und ließen ihm Bier hinstellen, und so wurde gesungen und getrunken bis spät in die Nacht hinein und jeder, Sepperl nicht ausgenommen, seinen »Spitz«hatte.

Die Musikanten hatten große Pause angesagt, denn sie wollten etwas ausruhen und auch essen. Sie hatten darum ihre Instrumente auf die Stühle am Musikantentisch gelegt und waren ins Gastzimmer getreten. Die Mädel und die Burschen hatten das Tanzlokal verlassen und schäkerten in dem langen, holzgedeckten Gang vor dem Wirtshause oder ergingen sich am mondbeschienenen Platze, um sich ein wenig zu erfrischen.

Der Sepperl war plötzlich schweigsam geworden. Man meinte, das Bier wäre ihm in den Kopf gestiegen. Er stand auf und verließ die Stube. Sein Kamerad, der etwa seinen Zustand zu erkennen glaubte oder befürchtete, Sepperl könne sich etwa ans Fenster des Dirnleins, das unterdessen schon heimgegangen war, wagen, schlich ihm unbemerkt nach. Es waren nicht viele Minuten vergangen, als er wieder in der Tür der Gaststube erschien, die Musikanten herzuwinkte und ihnen etwas zuflüsterte. Diese folgten in den Tanzsaal, wo vor der offenen Lade des Musikantentisches der Mühlsepperl stand und – mit dem Gelde, das darin lag, sich die Taschen anfüllte.

Die Musikanten, meist aus den Nachbardörfern, die den Zustand dieses merkwürdigen Diebes nicht kannten, stürzten erbost auf ihn und hätten ihn vielleicht zu Tode gedroschen, wären nicht die Dorfburschen herbeigeeilt, die ihn befreiten und riefen:

»Laßt ihn! Es hat ihn seine Krankheit gepackt, er gibt alles wieder zurück!«

Sie nahmen ihm das Geld wieder aus der Tasche, was er willig geschehen ließ, und dann legten sie ihn im Nebengemach auf ein Bett, denn die Musikanten hatten ihn arg untergehabt.

»Hab' ich wieder gestohlen?« fragte er einen Burschen, welcher ihm den Kopfpolster zurechtrückte.

»Nein, nein, Sepperl, ist alles wieder gut. Hast einen sauberen Kameraden, der dir die Prügel zugebracht hat. Haben ihn schon hinausgeworfen. Wenn er sich nicht all' zwei Beine gebrochen hat, so ist ein Wunder gescheh'n.

Sepperl antwortete nichts und blieb regungslos liegen.

»Also mach' jetzt die Augen zu und schlaf'. Ist jetzt für dich das beste«, gemahnte der Bursche, dann ließ er den Sepperl allein.

Die Musikanten hatten den klingenden Lohn für ihr klingendes Spiel wieder vollzählig zurück. Sie saßen auch wieder an ihren Plätzen und bliesen und strichen, daß es eine Art hatte. Die Paare drehten sich im Reigen, jauchzten und strampften, daß es weit in die Nacht hinaushallte, und drinnen am Burschentisch scholl rohes Singen. Es fehlte wohl der beste der Sänger, aber da jeder trachtete sein Bestes zu tun, so fiel das nicht so sehr auf.

Dann ließen sich die Ballgäste einer nach dem andern heimspielen. Wer einen größeren Betrag spendierte, dem wurde bis an sein Wohnhaus das Geleite gegeben, wer weniger hergab, wurde bis auf den Kirchplatz hinausgespielt. Und zum Schlusse gingen auch die Musikanten heim, schon recht früh am Morgen.

Nur in der Schankstube saß noch ein kleines Häuflein Burschen, denen es der Gambrinus schon stark angetan hatte.

»Sakerdi! was ist's mit dem Sepperl?«rief einer.

»Drin in der Kammer liegt er.«

»Der muß heraus! Wir werden ihn mit Bier kurieren, er muß uns noch eins singen.«

Sie sahen in der Kammer nach, das Bett war leer.

»Wird schon heimgegangen sein«, meinte der eine.

»Heimgegangen – ja – ja – heimgegangen«, wiederholt ein anderer lallend.

Daß am anderen Morgen nicht der Sepperl wie immer der erste auf war, wunderte den Müller nicht, denn es war ja Faschingmontag. Aber da kam auch schon der zweite Mühlbursche und meldete pflichtschuldigst, der Sepperl sei noch nicht heimgekommen, er werde jedenfalls im Dorfe wo geblieben sein.

»Was kümmert's dich«, sagte der Müller, »er wird schon kommen.«

Aber zu Mittag war der Sepperl noch nicht da, und im Dorfe hatte ihn auch niemand gesehen. Alle Leute waren auf, und man erzählte sich von Mund zu Mund, daß der Mühlsepperl verschwunden sei.

»Der liegt wo im Heu und schläft sich gut aus«, meinte einer.

»O nein«, versicherte ein anderer, »da kenn' ich den Sepperl zu gut, der geht nirgends anders hin ausschlafen als heim in die Mühl'. Aber ich mein' allweil, er wird auf und davon gegangen sein, daß er nicht zu den Soldaten muß. Ob er nicht ins Amerika ist.«

»Paperlapa, ins Amerika geh'n, das kann man nicht mit zwei Sechsern tun. Und ich glaub', er wird nicht einmal die mehr im Sack gehabt haben.«

Während die Dorfleute so standen und herumredeten, kam eins von der Mühle herauf.

»Um Christes Willen, den Sepperl haben's aus dem Mühlbach ‘zogn.«

»Ist er ertrunken?«fragte alles erregt.

»Maustot und ganz blau vor Kälten, scheusam zum Anschau'n«

»Wie ist denn das geschehen?«

»Wird halt zuviel trunken haben. Und der Mühlsteg ist schmal und hat kein Geländer -«

»Den hat was anders in den Mühlbach trieben«, sagte ein älterer Bauer, der auch dabei stand und in vergangener Nacht Zeuge der Szene im Tanzsaale war. »Das war dem Mühlsepperl seine Krankheit, weiter nichts.«

Am Aschermittwoch ging von der Mühle aus ein langer, trauriger Zug nach der Dorfkirche. Sechs kräftige, schmucke Burschen trugen einen braunen Holzsarg, vor dem der alte Pfarrer einherschritt.

Und als man den Sarg in die geweihte Friedhofserde bettete und die ersten Schollen darauf polterten, klang aus den Kehlen der Dorfburschen ein sanftes Lied zum Scheidegruß, und manche Träne rieselte dem guten Burschen, dem Mühlsepperl, nach, manche ehrliche und aufrichtige Träne; und viele beklagten laut das Unglück dessen, den sie einst gemieden und verstoßen. Abseits hinter einem großen Grabkreuz stand ein blondhaarig Dirnlein, das Tuch vor die Augen gepreßt.