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Ottilie Wildermuth

Aus dem Frauenleben. Zweiter Band.

1862

Ein Herbsttag bei Weinsberg

O, wie freut es mich mein Liebchen,
Daß Du so natürlich bist!

Göthe.

*

Weißt Du, was das Weib am meisten ziere? Nicht, daß das Haus mit Kraft und Umsicht sie regiere, Nicht, daß der Großen Art und Haltung sei die ihre, Auch nicht, daß sie den Mann mit Feinheit führe, Nein, daß Gemüth und Lieb' in Wort und That man spüre. A. Scholl.

Ein Weib, das ein beständiges Gemüth hat, ist wie die goldnen Säulen auf silbernen Stühlen. Sir. 26, 24. 25.

Um einen Herbsttag in Schwaben zu schildern, darf man freilich keinen Herbst der letzten sonnenlosen Jahre wählen, keinen erfrornen, verregneten, trübseligen Herbst, wo man die Trauben nach Pfunden kauft und den Herbstsegen im Korbe heimtragen kann. Auch keinen blassen, sentimentalen, hinwelkenden Herbsttag, an dem schwermüthige Dichter beim Geräusch der fallenden Blätter dem Weltschmerz nachhängen und resignirte Fräulein deklamiren und singen:

Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder! Mir hat er abgeblüht!

Nein, wir müssen um mehr als zwanzig Jahre zurückgreifen und einen reichen, gottgesegneten Herbst wählen, einen lichten, sonnenklaren Tag, wo die schöne Natur vor dem Scheiden noch ihre reichsten Schätze ausgießt und hinter buntfarbigem Schleier ihr Abschiedsleid verbirgt, wo der Mensch, am Ziele der mühsamen Arbeit des Jahres, sich des kargen Maßes entbunden fühlt und reichlich genießt, und reichlich spendet wie die Natur.

Die schöne, gastliche Reichsstadt Heilbronn steht von alten Zeiten her im Rufe, daß sie von allen weingesegneten Gauen Schwabens es am Besten verstehe, die fröhliche Herbstzeit würdig zu begehen. Auch heute lebten und wimmelten all die sonnenbeschienenen Berge vom frühen Morgen an von frohen, geschäftigen Menschen; da und dort tönte der muntere Gesang der Leserinnen, dazwischen der kräftige Baß der Buttenträger, die auf ihrem mühsamen Gang den Berg hinauf mit neckischem Zuruf von den Mädchen aufgehalten wurden. – Der Herbst ist fast die einzige Zeit im Jahre, wo der schwäbische Landmann seine Schwerfälligkeit etwas ablegt, wo Lust und Arbeit nicht zwei streng geschiedne Elemente sind. In der Stadt war wohl kein Haus, wo man nicht in irgend einer Weise sich rüstete zur Theilnahme an den Herbstfreuden; wer selbst nicht so glücklich war, einen Weinberg zu besitzen, war gewiß von guten Freunden eingeladen; die Allerärmsten noch waren als Hülfe willkommen, wo es so vieler Hände bedurfte.

Auch im Hause des Herrn Archivar Radius, der in seine Vaterstadt Heilbronn gezogen war, um seine alten Tage allda in Ruhe zu beschließen, wurden verschiedene Vorbereitungen getroffen, obgleich sein eigner, kleiner Weinberg längst abgelesen war. Sein Neffe Edmund, ein junger Mediciner, der den Onkel in den Ferien heimsuchte, putzte den ganzen Morgen Flinten und Pistolen und rüstete Vorräthe an Feuerwerk zur Verherrlichung des Herbstfestes, zu dem die Familie heute bei einem reichen Kaufherrn geladen war, wobei er emsig unterstützt wurde von Arthur Grote, einem jungen reichen Sachsen, der in Tübingen Humaniora und etwas Land- und Forstwirthschaft studirte und sich sehr gern dem Freunde angeschlossen hatte, um die erste Weinlese zu sehen. Mine, die Schwester des Herrn Radius, war eifrig beschäftigt, das Haus in Ordnung zu bringen und schon vorläufig Alles wohl zu verschließen, weil auch die Magd den Nachmittag im Weinberg eines befreundeten Mezgers zubringen wollte, und die Leute überhaupt, wie sie meinte, ›im Herbst rein für gar nichts‹ waren. Herr Radius selbst ruhte gemächlich in seinem Lehnstuhl und ging in Gedanken den Schatz von Anekdoten durch, die in seinem Gedächtniß aufgespeichert lagen; er liebte bei solchen Gelegenheiten ›eine solide Unterhaltung‹, wie er's nannte, man sollte nicht nur so in den Tag hinein plaudern, meinte er, sondern durch irgend welche Geschichte den Grundton der Unterhaltung anschlagen, so daß man auch wisse, von was man rede, und da er gern und gut, und doch nicht immer erzählte, so war er wirklich ein beliebter Gesellschafter. Manche Hausfrau, die angefochten war, wie sich Wohl die Unterhaltung bei einer eingeladenen Gesellschaft machen werde, deren einzelne Mitglieder nicht recht harmonirten, dachte getrost: man ladet Herrn Radius ein, der weiß immer etwas.

Auch Emma, das achtzehnjährige Töchterlein des Hauses, hatte das kornblaue Thibetkleid, das so sehr gut stand zu ihren blonden Haaren und blühenden Wangen, schon angezogen, den Strohhut und das blanke Häpchen bereitgelegt, aber das alles nicht fröhlich trällernd und singend, wie sonst; nur leise, leise summte sie Gretchens Lied vor sich hin:

Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer.

Die Sonne schien so golden, die Lüfte wehten so lind, sie war so jung, – warum doch sah die Welt heute so traurig aus? Es waren nun acht Tage, seit der junge Sachse mit Vetter Edmund in die Ferien gekommen war, acht fröhliche Tage! Es ist eine alte Schwäche, oder ein freundlich gastlicher Zug der Schwaben, daß das Fremde, eine ausländische Mundart, fremde Sitten, einen gewissen Reiz auf sie üben: der Sachse, obwohl vier Jahre älter als Vetter Edmund, hatte noch einen Ueberschwang jugendlicher Poesie, der heutigen Tages selten wird, und in den Augen eines achtzehnjährigen Mädchens kein Fehler ist. Emma hatte, seit sie Jean Paul gelesen, vergebens in ihrer Umgebung nach einem ächten Jüngling gesucht, der noch in die Mondnacht hinausstürmt, der weich ist wie ein Kind und daneben überströmend von zu jugendlichem Thatendrang. Sie hatte nur junge Herrn getroffen, keine Jünglinge, und mit Vetter Edmund stand sie auf dem schwesterlich neckischen Fuß, der nie ein Verständigen über tiefere und ernstere Dinge zuläßt. Arthur Grote nun war ein ächtes Exemplar eines solchen Jünglings, und daß er daneben ein wirklich gutes, tüchtiges Gemüth sei, rein und unverdorben, das sagte ihr nicht die Erfahrung, wohl aber der Instinkt eines reinen Mädchenherzens.

Sie waren so froh zusammen gewesen in diesen acht Tagen, auf ihren Spaziergängen über Hügel und Thäler, bei der fröhlichen Wasserfahrt, den blauen Neckar hinab, bei der Weinlese im eignen kleinen Weinberg, so kindlich glücklich! Es war freilich nicht ,viel Rechtes und Solides' nach des Papa's Geschmack verhandelt worden, aber Grote war eine so warme begeisterungsfähige Natur, daß auch durch das leichte fröhliche Plaudern tiefe, poesiereiche Klänge tönten. Emma war jung und unbefangen, sie war ein ächtes und stolzes Mädchen, und keineswegs in beständiger Erwartung, daß von irgend einer Seite her ,der Liebe heil'ger Götterstrahl' auf sie niederfallen müsse, sie hatte sich fröhlich und harmlos dem Eindruck der heitern Gegenwart hingegeben, ohne weiter zu denken, – ein Gespräch, das sie gestern Nacht angehört, hatte ihr mit Einemmale den Schleier von ihrem eigenen Herzen gezogen.

In der vergangenen Nacht war sie noch wach in ihrem Stübchen gewesen, hatte das Licht gelöscht, um sich so recht in den vollen Glanz des Mondes zu versenken, der in wolkenloser Klarheit hinter den Hügeln aufstieg, der alte Freund junger Herzen und süßer Träume.

Sie hörte Edmund und Arthur unten im Hausgärtchen und bedauerte, daß sie schon gute Nacht gesagt hatte, und so nicht mehr wohl mit lustwandeln konnte. Aber sie hörte unwillkürlich die Unterhaltung der Beiden, sie mußte sie hören, da sie laut genug geführt wurde.

»Du hast mich betrogen!« hörte sie Arthur, der stürmisch auf- und abging, mit seiner gewohnten Leidenschaftlichkeit ausrufen, »du hast mich getäuscht!« »So? mit was?« fragte phlegmatisch Edmund, der nach bekannter studentischer Unsitte in einem kattunenen Schlafrock behaglich auf der Gartenbank ruhte.

»Womit?« fragte noch heftiger Arthur, »hast du mir nicht gesagt, Heilbronn sei gerade so gut, wie Weinsberg?« »Für deine Zwecke allerdings,« sagte Edmund höchst gelassen, »du wolltest Schwaben kennen lernen, du wolltest eine Weinlese mitmachen, du wolltest nicht in einem Gasthof, sondern im Schooß einer Familie wohnen, und das alles vorzugsweise in Weinsberg; da du nun aber doch nicht in den nächsten besten Familienschooß zu Weinsberg hineinplatzen konntest, bot ich dir als sehr günstigen Zufall meines Onkels Haus an. Bei Justin Kerner hätte man dich freilich am Ende auch noch behalten, da aber dort gegenwärtig das ganze Haus nebst Geisterthurm und Gartenhaus vollsteckt von Norddeutschen, verwundeten Polen und sonstigen Besessenen, so wäre dein Zweck, Urschwaben kennen zu lernen, doch verfehlt worden. Was ist dir denn hier widerfahren, daß du mich mit so schnödem Undank überfällst? sind nicht die Dampfnudeln meiner Tante tadellos, ihre Mischung von altem und neuem Sauerkraut, nebst geprägelten Spätzlein so ächt schwäbisch, daß sie gar nicht deine norddeutsche Kehle hinunterwollen, ist mein Onkel mit seinem schnupftabaksfarbenen Rock nicht eine Art von Original und mein Bäschen ein ganz nettes Exemplar einer Schwäbin?«

»Das eben ists!« sagte wehmüthig der Sachse, »sieh, ich muß dir alles erklären, aber du darfst mich nicht auslachen.«

»Keineswegs,« sagte Edmund mit demselben alten Phlegma, »im Gegentheil, blutige Thränen könnte ich weinen über solch ein Ungeheuer von Undankbarkeit, ich glaube nicht, daß der Nero vor Zeiten so undankbar gewesen wäre, wie du.«

»Nun höre mich ohne Scherz!« bat Julius. »Ich weiß nicht mehr, wie jung ich war, als die liebliche Geschichte von der Weibertreue mir euer Schwaben lieb und anziehend machte; so unwürdig Bürger den edlen Stoff behandelt hat, so machte doch der Schluß seiner Ballade:

Fällt mir einmal das Freien ein,
So will ich Eins aus Weinsberg frei'n.

besondern Eindruck auf mich, und die Idee, mir einst meine Braut aus Weinsberg in Schwaben heimzuführen, wuchs allmälig mit mir groß, und machte mich gleichgültig gegen die Reize meiner Landsmänninnen.«

»Na, das nenn' ich eine reelle Wirkung eines Dichterworts,« rief lachend Edmund; »wie oft hab' ich in meiner Kindheit beim Handwerkerspiel auf die Frage: »Wo kommt Ihr her?« den Spruch hergeleiert:

Von Sichsen, von Sachsen,
Wo die schönen Jungfern auf den Bäumen wachsen.

und ist mir nie eingefallen, mein Liebchen dereinst aus Sachsen zu holen, was ich jetzt eigentlich zur Revanche deinen Landsmänninnen schuldig wäre.«

»Ach, ich wußte recht wohl, daß du mich verhöhnen würdest,« fuhr Arthur fort, »aber es ist nun so; der Gedanke an die Blume von Weinsberg ist mir an's Herz gewachsen. Mein Vater wünschte, daß ich mich bald verheirathe, um sein Gut zu übernehmen, ich aber erklärte, daß ich zuvor noch die Welt ansehen und mir einen Bildungsfond sammeln müsse, und bezog eure kleine Universität; allein in der stillen Hoffnung, hier eine Verbindung anzuknüpfen, die mich nach Weinsberg führe ...« »Und warst so glücklich, mich zu finden.« »Ja, dich, der du mich hieher locktest mit der Vorspiegelung, Heilbronn sei eigentlich ganz dasselbe, wie Weinsberg. – Und ich glaubte sie gefunden!« schwärmte Arthur, »die Rose von Schwaben, das Kind der Natur, unberührt vom Hauche der Welt, frei von jedem Firniß falscher Bildung, das unmittelbare Geschöpf eurer blauen Flüsse und grünen Hügel; o, ich glaubte sie schon mein eigen!«

»Ich auch,« sagte Edmund mit unerschütterlicher Ruhe, »und nun?«

»Und nun ist sie wie alle Andern: ein Geschöpf, behängt mit dem Flitterstaat moderner Bildung, mit angelernten Gefühlen, ohne Herz, ohne Natur, ohne häuslichen Sinn!«

»Höre, wenn du von meinem Bäschen sprichst,« sagte Edmund, indem er aufstand, seines Phlegma vergessend, »so verbitte ich mir eine solche Sprache. Es hat sie dir noch kein Mensch angetragen und steht noch sehr dahin, ob du sie bekämest, wenn du wolltest; so aber brauchst du nicht von ihr zu reden! Wer hat dir denn den Unsinn über Emma in den Kopf gesetzt?« fragte er etwas milder, da er die wirkliche Betrübniß des Freundes sah.

»Wer? ach, sie selbst! hat sie nicht gestern gestanden, daß sie, – als Kind eine französische Bonne hatte, daß sie früher eine höhere Töchterschule besucht hat, und später noch in einer französischen Pension war? daß sie französisch plaudert und englisch liest, daß sie Physik, Mythologie, Geologie, Astronomie, Zoologie, und wer weiß, was für abscheuliche Dinge noch gelernt hat. Was ist nun mein Schwabenkind? – eine Puppe der Civilisation. Sieh, darum hast du mich betrogen. Euer Heilbronn nimmt nun schon die Miene einer großen Handelsstadt an, wie konnt ich hier noch hoffen, ein Kind der Natur zu finden!«

»Also das ist's!« sagte lachend Edmund, »ja, darauf wär' ich nicht verfallen, ich muß gestehen, ich hätte dich für keinen solchen Narren gehalten. Weißt du was? laß mein Bäschen examiniren, so wirst du wohl finden, daß ihr von all diesen ungeheuerlichen Wissenschaften nur so viel geblieben ist, um, wie man sagt, ihren Kopf auszuputzen, und ihren Sinn zu wecken. Hat sie eine französische Bonne gehabt, so hatte sie daneben eine gute deutsche Mutter, auch versichere ich dich, sie versteht einen guten Pfannkuchen zu backen und ein Hemd zu nähen; und siehst du denn nicht mit eigenen Augen, daß sie ein ganz liebes, natürliches Mädchen ist?« »Wie kann ich wissen, was noch natürlich an ihr ist!« seufzte der Sachse, »es wird alles angebildet in diesen Pensionen, sogar die Natur.«

»Bist du denn schon in einer gewesen?« »Ich nicht, aber die erfahrensten Männer sagen das. Ich ein Geschöpf aus Pensionen heimführen! nein, ich muß sie aus dem Herzen reißen und wäre sie mit tausend Banden daran fest gebunden.«

»Du bist ein Narr,« sagte Edmund verdrießlich, »glaub was du willst, ich werde dir mein Bäschen wahrhaftig nicht antragen. Wenn dich aber nach einem Naturkind verlangt, so kommt morgen Minchen Eichelbeck, ein ganz unverfälschtes Produkt aus Weinsberg selbst, glaub' ich, oder aus der nächsten Umgegend, zu Bernhards, wohin wir geladen sind, da kannst du dein Glück versuchen.«

Die beiden jungen Männer gingen in's Haus. Emma machte leise, ganz leise ihr Fenster zu, und legte sich nieder, ach, mit so viel schwererem Herzen, als sie am Morgen aufgestanden war!

Zunächst empörte sich ihr beleidigter jungfräulicher Stolz, sich verschmäht zu wissen, eh' sie gewonnen war. »Mag er sein Naturkind suchen, wo er will,« sagte sie sich trotzig, »ich hätte ihn in keinem Fall genommen.« Aber andere weichere Gefühle gewannen wieder die Oberhand, liebliche Träume, die in den letzten Nächten ihr Lager besucht und sie wachend umschwebt hatten, Blicke, Worte, die die Ahnung einer Seligkeit in ihr geweckt, von der sie in all den fröhlichen Tagen ihrer ungetrübten Jugend doch noch nicht geträumt hatte, und – sie konnte den Trotz nicht festhalten; er ward zur schmerzlichen Wehmuth. So oft sie auch mit Edmund sagen wollte: ›er ist ein Phantast, ein Träumer,‹ eine andere Stimme in ihr sagte doch wieder: ›er ist ein reines, warmes Herz und hätte dich glücklich machen können, wenn du nicht von ihm verkannt würdest.‹ Das freilich hätte sie nie geträumt, daß ein Uebermaß von Bildung und Gelehrsamkeit sie um ihr Herzensglück bringen würde. Bei der guten Mamsell Suzon, die ihre Mutter aus Mitleid aufgenommen, hatte sie wahrhaftig nicht zu viel gelernt, und daß sie der Vater nach dem frühen Tode der Mutter nach Montmirail gesandt, das war doch auch nicht ihre Schuld. Bis jetzt hatte sie es in ihres Herzens Unschuld für Pflicht gehalten, alle Gelegenheit sich zu unterrichten fleißig zu benützen; hatte doch ihre selige Großmutter selbst, obgleich sie eine schlichte Bürgerfrau war, ihr oft gesagt: »lern', was du kannst, Mädchen, du trägst an nichts schwer; ich wollte, man hätte mir's meiner Zeit auch so kommod gemacht mit dem Lernen.« Und nun machte ihr der Eine, von dessen Lippen ihr ein Lob süß geklungen hätte, zum Verbrechen, was sie für recht und gut gehalten hatte! »Eine Puppe der Civilisation!« Das war ein hartes Wort; aber so oft sie sich trotzig abwenden wollte von dem, der ihr so bitter Unrecht that, immer wieder gewann ein milderer Geist die Oberhand; sie fand es süßer, zu vergeben, sie wollte ihm ja allen Segen wünschen zu der Wiesenblume, die er sich irgendwo am Fuß der Weibertreue pflücken würde, und sie war endlich eingeschlafen mit dem Reimlein auf der Lippe:

Daß du den Zorn im Busen stillst
Und deinem Feind vergeben willst,
Nennst du das schwerste Streben;
Weißt du denn auch, wie schwer es fällt,
Dem Allerliebsten auf der Welt
Ein Herzleid zu vergeben?

Daher kam's, daß Emma heute nicht fröhlich wie sonst sich zu dem Herbstfeste anschickte; erst als ihr einfiel, daß Edmund und Arthur am Ende auf die Vermuthung kommen könnten, daß sie ihr Gespräch belauscht, raffte sie sich gewaltsam auf und empfing Minchen Eichelbeck, die kam, um sich an sie anzuschließen, fast zu freundlich.

Edmund warf Arthur einen schelmischen Seitenblick zu, als er ihm Fräulein Eichelbeck aus Weinsberg vorstellte, die seine Verbeugung mit einem etwas ungeschickten Knicks erwiderte. Sie war in der That eine recht solide Wiesenblume in einem schönen grasgrünen Kleid und einem rosaseidenen Hut, der nicht so recht zu ihren röthlichen Haaren paßte. Fast unwillkürlich mußte Arthur ihre etwas eckigen Bewegungen mit Emma's natürlicher Grazie vergleichen; aber war diese denn auch natürlich? war nicht alles eingelernt in diesen französischen Pensionen?

Endlich war man fertig zum Abzug; ein Nachbarjunge trug den jungen Leuten ein ganzes Arsenal von Flinten, Pistolen, Pulverhörnern und Feuerwerk nach. Tante Mine rannte ganz athemlos durch Küche, Zimmer und Speisekammern, schloß die Thüren mehrmals zu und wieder auf, kehrte einmal auf der Treppe wieder um, weil sie den Schlüssel zum Mehlkasten hatte stecken lassen, das zweitemal unter der Hausthür, weil sie ihre Brille vergessen hatte, das drittemal auf der Straße, weil ihr einfiel, daß am Ende die Katze sich in den Aschenwinkel gelegt habe und durch etwaige glühende Kohlen, die ihr möglicher Weise am Schwanz hängen bleiben möchten, eine furchtbare Feuersbrunst veranlassen könnte, was sich schon mehrmals ereignet haben soll.

Zuletzt aber gesellte sie sich doch zu den ungeduldig Harrenden. Die beiden Mädchen, zwischen denen die Unterhaltung nicht recht in Fluß kommen wollte, gingen wie zwei Adjutanten zu ihrer Rechten und Linken. Arthur hatte jetzt Gelegenheit, die Natürlichkeit und den praktischen Sinn des Naturkindes zu bewundern in einem Streit, den sie mit Tante Mine über die Vorzüge eines schwarzen Katers und einer grauen Kätzin führte, und einer angehängten Abhandlung: ob die Katzen aus Hunger oder aus Uebermuth Mäuse fangen? Das Thema dünkte ihm doch zu prosaisch, und er wandte sich wieder zu Emma, die ganz stille dahin ging und leise vor sich summte:

Aug, mein Aug, was sinkst du nieder?
Goldne Träume, kommt ihr wieder?

mit der Frage: woher wohl die Sitte des Schießens bei der Weinlese stamme? »Vielleicht von den alten Bacchusfesten,« sagte Emma etwas gedankenlos. »Oho, Fräulein Base!« rief Edmund mit schallendem Gelächter; »ist das ein Pröbchen Pensionsgelehrsamkeit? Hatte man denn dazumal schon das Schießpulver erfunden?« »Vielleicht haben sie damals mit Pfeilen geschossen,« meinte begütigend der Papa, um der armen, erröthenden Emma aus der Verlegenheit zu helfen. »Na, da siehst du, daß es nicht zu gefährlich ist mit der Weisheit,« flüsterte Edmund seinem Freunde zu. »Eben das ist's ja,« sagte dieser mißmuthig, »alles oberflächlich, nichts Vernünftiges.«

»Aber um Gott!« rief er plötzlich erschrocken, »ist das etwa noch ein Ueberrest altheidnischer Herbstfeier?« »Was denn?« fragte Herr Radius. »Ach, der schmutzige Junge dort, der wie wahnsinnig in einer Kufe mit abscheulicher Brühe herumtanzt.« »Der träppelt Trauben,« belehrte ihn Minchen lakonisch. »Nicht möglich, ich bitte Sie! da leeren sie wirklich wieder eine Butte voll Trauben hinein und das kleine Ungethüm zerquetscht und zertritt sie mit seinen schmutzigen Stiefeln.« »Das ist das Loos des Schönen auf der Erde!« sagte scherzend eine Dame, die eben auch auf der mühsamen Wallfahrt zu der Höhe des Weinberges begriffen war. »Die gewöhnliche Art, hier die Trauben zu zerquetschen,« erklärte Herr Radius; »nur wenige Weinbergbesitzer, ich zum Beispiel, bedienen sich der rationelleren und reinlicheren Methode des Raspelns mittelst einer Maschine. Dies Zertreten schadet aber nichts, der Schmutz setzt sich und man merkt dem Wein nichts mehr an, wenn er einmal geklärt aus dem Fasse rinnt.« Nun war die Höhe erreicht; auf dem geräumigen grünen Platz zeigten die reichbedeckten Tische der offenen Laube lockende Zurüstungen zum solennen Herbstmahl. Alles war unter der Leitung der geschäftigen Hausfrau auf's Zierlichste geordnet, – im Hintergrund brodelte der Kaffeekessel; der klare Wein in weißen Flaschen mochte wohl auch der Tage seiner Jugend gedenken, wo er unter so fröhlichem Lärm wie heute seine sonnige Heimathstätte verlassen hatte, um sich im Keller zu einem kühlen besonnenen Herrn zu klären, dem aber der Schalk hinter den Ohren saß.

Bald sammelten sich die Gäste, die, von allen Seiten her kommend, in frischer, erwartungsvoller Stimmung sich mit fröhlichem Zuruf begrüßten. Der große alte Birnbaum vor der Laube sah, mit bunten Shawls, Hüten und Schleiern behängt, bald wie ein wunderlicher Weihnachtsbaum aus.

Wer Raum fand, setzte sich um den Tisch, förmliche Vorstellungen fanden nicht Statt, man überließ den Gästen, sich allmählich selbst kennen zu lernen.

Ein Kanzleirath von Stuttgart, der sich auch wollte vom frischen Herbstwind den Aktenstaub wegblasen lassen, setzte sich neben Frau Elsinger, einer ächten Heilbronnerin, bei der das rasche, bewegliche Pfälzerblut das bedächtigere schwäbische Element überwog, zu ihrer andern Seite nahm Herr Radius Platz, neben ihm Frau Cäcilie Lehrens, auch ein Heilbronnerkind, aber längst im Ausland verheirathet, die in starkem Verdacht stand, eine Dichterin zu sein, da sie schwarze Locken trug und den Hut auf Spaziergängen meist am Arm hängen hatte; dann kam der ›gar alte Herr Stadtschreiber,‹ der den letzten Zopf des Jahrhunderts als ganz kleines Zöpflein unter seinem grauen Härlein versteckt trug, die übrige Gesellschaft in buntem Durcheinander. Doktor Halm, ein werdender Hagestolz und bleibender Privatdocent, der in den Ferien war, hatte Emma unter seinen Schutz genommen. Die jungen Herrn nahmen nur flüchtig Platz in der Laube, sie luden Pistolen und boten sie den Damen zum Schießen an, was dem Sachsen als eine höchst verwunderliche Galanterie erschien; auch geberdeten sich die Damen zum Theil sehr scheu und erschrocken dabei, versicherten, daß sie sich entsetzlich vor dem Schießen fürchteten, hielten die Pistole mit abgewandtem Gesicht und ließen die Herrn losdrücken; wenn dann der Knall tausendstimmig von den Bergen wiederhallte, fuhren sie mit allerlei schrillenden und nervenschwachen Ausrufen zurück, sahen aber alsbald wieder hin, ob nicht auf's Neue ein aufmerksamer Kavalier ihnen die ritterliche Huldigung einer geladenen Pistole darbringe.

Minchens Scheu vor der Pistole, der Schrei, mit dem sie sie fallen ließ, nachdem sie losgegangen, schien eben so ungeheuchelt als ungraziös, auch ließ sie sich in der That nimmer zum Schießen bewegen und setzte sich in die Laube; Emma, für einen Augenblick von der allgemeinen Fröhlichkeit belebt, hielt ihre Pistole leicht und frei in eigner Hand und drückte los mit kindischer Lust am hellen Knall; da schien ihr aber, Arthur blicke mißbilligend auf solchen Heroismus, der ihm ein sträflicher Emanzipationsversuch däuchte, wenn er auch gerade nicht eingelernte Ziererei schien. Sie lehnte die nächste Pistole dankend ab und zog sich auch in die Laube zurück, obgleich sie sich wieder über sich selbst ärgerte, daß sie sich um den Sachsen und sein Urtheil überhaupt kümmere.

Arthur, um gewaltsam den Zauber abzuschütteln, den die ›Puppe der Civilisation‹ wider sein besseres Wissen noch über ihn ausübte, erging sich in lauter Verwunderung der anmuthigen Gegend, was ihn bei den Heilbronnern sehr empfahl. So ein bewundernder Fremder, der alles, was er bei uns sieht, schön und gut findet, ist für patriotische Gemüther eine rechte Erquickung; man fühlt sich ordentlich gehoben bei jedem Busch oder Bächlein, das er preist, und nimmt das Lob der heimischen Gegend mit bescheidenem Selbstgefühl auf, als ob man sie eigenhändig verfertigt hätte; wie eine junge Heilbronnerin einst einem Fremden den schönen Kirchthurm der Stadt zeigte, mit der rühmenden Bemerkung: »er isch von Stain und isch hier g'macht worden.«

Der Kaffee war getrunken, auch die schießende Jugend pausirte, und Aller Blicke schauten mit stiller Lust hinab auf das sonnenhelle, schöne, fröhlich belebte Landschaftsbild.

»Eine liebliche Gegend!« rief Arthur Grote immer wieder von Neuem aus, »ein anmuthiger Schauplatz für die schöne That der Frauentreue ...« »welche sich,« fiel Herr Radius ein, froh, etwas von seinem gesammelten Gesprächsstoffe an Mann zu bringen, »im Jahr elfhundert und vierzig zugetragen hat.« »Haben soll,« warf der Kanzleirath ein. »Die historische Richtigkeit der Geschichte ist bekanntlich keineswegs verbürgt und der Geschichtschreiber Kaiser Konrads erwähnt mit keiner Silbe dieser artigen Anekdote.«

»Fort! werft das Scheusal in die Wolfsschlucht!« deklamirte mit komischem Pathos der Hausherr; »unsre Frauen erwürgen dich eigenhändig, wenn du ihnen diese ruhmvolle Tradition raubst.« »Ich weiß auch in der That nicht,« begann Frau Cäcilie eifrig, warum man sich so emsig bemüht, jeden poetischen Zug aus der Geschichte zu verwischen, jede Blume auszureißen, auf der das Auge noch gern ausruht in dem Gewühl von Streiten und Kriegen, das sonst die Weltgeschichte bildet. So raubt man uns den heldenkühnen Tell, den interessanten Don Carlos macht man zu einem mißgeschaffenen Blödsinnigen, die gottbegeisterte Johanna zu einer Stallmagd und ...« sie konnte vor Bewegung gar nicht weiter reden, es standen ihr die hellen Thränen in den Augen.

Der Kanzleirath war ganz überrascht und betroffen über die Alteration, die seine Bemerkung hervorgebracht, die er dazu noch von seinem Freunde, dem Bibliothekar, gespickt hatte und meinte eingeschüchtert: der Wahrheit gebühre eben doch vor allem die Ehre, wenn auch selbige minder poetisch sei als Gedichte und Theaterstücke.

»Was mich betrifft,« sagte die Frau vom Hause begütigend, »so thäte mir's zwar leid, wenn unsre Weibertreue ihren schönen Namen verlieren sollte, aber die Geschichte selbst scheint mir mehr ein glücklicher Einfall von den Frauen, als eine außerordentliche Heldenthat.«

»Freilich,« meinte lachend Frau Karoline, »wenn man auch mit seinen Männern nicht zum Besten dran ist, todtschlagen ließe man sie doch nicht geradezu, wenn man's ändern könnte; ich hätte zuletzt Meinen auch heraus getragen, nur weiß ich nicht, ob ich von selbst darauf verfallen wäre, daß er meine größte Kostbarkeit sei.«

»So nahe scheint dieser Gedanke wirklich nicht zu liegen,« meinte Dr. Halm schelmisch lächelnd, »sonst hätte der Kaiser doch an die Möglichkeit dieses Auswegs gedacht.«

»Nur daß die Frauen so robust waren und es prestirt haben, wundert mich,« sagte die Jungfer Tante.

»Sie vergessen, daß die Männer durch die lange Belagerung abgemagert und ausgehungert waren,« bemerkte sehr verständig der Kanzleirath.

»So, meinen Sie?« rief entrüstet Frau Karoline, »die Weiber hätten sich allein herausgefüttert?«

»Es ist mir wirklich neu,« fiel der Doktor ein, »daß die Damen selbst den Werth der vielgepriesenen That herabsetzen; was sagen Sie dazu, Fräulein,« wandte er sich an Minchen, »Sie als Weinsbergerin haben die erste Stimme, glauben Sie wirklich, daß die That der Weinsberger Frauen so gering anzuschlagen ist?«

Minchen war eben in eine tiefsinnige Betrachtung des Kleides ihrer Nachbarin versunken, ob selbiges wohl halbseiden oder ganz seiden sei, und mußte sich die Frage wiederholen lassen. »Eine Kleinigkeit war's gewiß nicht,« entschied sie, »aber ich finde es ganz gescheidt; was hätten denn die vielen Frauen nachher alle anfangen sollen ohne Männer, besonders im Krieg, wo vorher schon so viele erschossen worden sind.«

Das laute Lachen der Herrn über dies naive Zugeständniß brachte Minchen in einige Verlegenheit; um ihr daraus zu helfen, bat Grote die Damen, höhere und schwerere Proben von Frauentreue zu erzählen und forderte Minchen auf, selbst den Anfang zu machen.

Minchen, die noch nie als Erzählerin aufgetreten war, kam in große Verlegenheit und mußte sich schrecklich lang besinnen; obgleich Grotens Erwartungen von dem Kind der Natur etwas herabgestimmt waren, so sah er doch gespannt auf sie, lauschend, in welch schlichtem, lieblichen Beispiel sich die holde, schwäbische Einfalt kund geben werde.

»Ich weiß selber nicht mehr so recht,« begann Minchen stockend, »aber das war doch ganz schön von der Mimili, daß sie fast gestorben ist, wie sie geglaubt hat, ihr Liebhaber wolle nichts mehr von ihr und sie ist ihm doch getreu blieben, bis sie sich zuletzt noch gekriegt haben.«

»Sehr schön, in der That,« sagte mit möglichster Ernsthaftigkeit der Doktor, während Arthur nicht recht wußte, was für ein Gesicht er dazu machen sollte, »und woher stammt denn dieses rührende, wenn auch mir noch etwas unklare Exempel von Frauentreue?«

»Aus einer schönen Geschichte: ›Mimili von Laurent‹,« berichtete Minchen, »die Frau Notarin hat sämmtliche Werke, es ist so unterhaltend.«

»O Natur, o Natur!« flüsterte Edmund seinem Freunde zu, »armer Arthur, die Schwabenkinder haben auch gelesen.«

Frau Cäcilie, die gern den komischen Eindruck verwischt, und das Gespräch auf ernsterem Grunde erhalten hätte, erbot sich, ein Beispiel von Frauentreue auch aus dem Mittelalter zu erzählen, das viel größer sei als die That der Weiber von Weinsberg.

»Und wie benennen Sie diese Wundergeschichte, etwa Treue bis zum Tod, oder sonst einen nagelneuen, nie gehörten Titel?«

»Treue durch mehr als Tod,« sagte Cäcilie etwas piquirt und begann:

»Eine Gräfin, Mathilde von Felseck, war vermählt an einen Grafen Hugo von ... ich entsinne mich des Namens nicht mehr genau.«

»Der Name thut nichts zur Sache,« sagte tröstend der Kanzleirath.

»Die Gräfin war wunderschön, ihr Gemahl aber dunkel und unschön von Angesicht. Er wußte, daß sie ihn nach ihres Vaters Willen gewählt und konnte trotz all ihrer Versicherungen nicht an ihre Liebe glauben; mehr und mehr quälte ihn der Gedanke, daß sie sich an seiner Seite nur unglücklich fühlen könne, und er beschloß zuletzt, von ihr in den Krieg zu ziehen. Im Kriege verlor er aber nicht sein Leben, wie er gehofft und gewünscht hatte, sondern nur sein rechtes Auge.

»Da sandte er der schönen Gräfin Botschaft: nun, da er noch seines Auges beraubt, und viel mehr wie zuvor entstellt sei, achte er sich auf ewig von ihr geschieden; er ziehe ins heilige Land; wenn er daselbst den Mühsalen des Krieges erlegen sei, solle es ihr sein Knappe berichten, damit sie dann frei einen Gatten von schöner Gestalt wählen könne, der ein würdiger Genossen für sie sei.

»Die Gräfin hieß den Knappen, der die Kunde gebracht, einige Tage verweilen; sie schloß sich in ihre Gemächer ein, und Niemand wußte, was sie daselbst that. Nach mehreren Tagen kam sie hervor, dicht in Schleier gehüllt, zur Reise gerüstet und gebot dem Knappen, sie zu seinem Herrn zu geleiten.

»Der Ritter saß in seinem Zelt finster und allein, als seine holdselige Frau mit verschleiertem Antlitz zu ihm eintrat und ihn grüßte. »Laß ab von mir,« rief er düster, »du folgst mir nur aus Pflicht, lieben kannst du mich nimmermehr!« Die Gräfin aber schlug ihren Schleier zurück und beugte sich liebevoll nieder auf den düstern Gemahl, er blickte auf und sah – in Eines ihrer schönen blauen Augen, das andre hatte sie selbst sich ausgestochen. »Nun sind wir einander gleich,« sagte sie lächelnd, »und du darfst nicht mehr fürchten, ich sei zu schön für dich.«

»Da erkannte er ihre unendliche Liebe, all seine Zweifel waren überwunden, er kehrte mit ihr heim, und sie lebten fortan glückselig zusammen.«

*

»Das ist Treue!« rief Grote begeistert. »Fast gar zu schön,« meinte lächelnd der Doktor, »und was die historische Wahrheit betrifft, so wird die höchst dubiös sein,« bemerkte der Kanzleirath. »Als Erfindung eines alten Minnesängers hat es vielleicht einigen Werth,« sagte Herr Radius anerkennend. »Sie hätte die Operation gar nicht selbst vollziehen und nicht so ohne Weiteres überstehen können,« warf wieder der Kanzleirath ein.

»Nicht gescheidt wäre sie gewesen!« platzte Frau Karoline heraus. »Na, auf solchen Beweis von Treue hätte ich auch keinen Anspruch gemacht,« sagte ihr Gemahl. »Ist auch nicht nöthig,« entgegnete sie lachend, »ich wäre meinetwegen zu dir gekommen mit allen zwei Augen, und hätte dir gesagt, du sei'st mir doch schön genug und ich wolle mit dir vorlieb nehmen, so wie du seist. Hättest du's dann doch nicht geglaubt, so wär's dein eigner Fehler gewesen. Wenn der Mann einäugig ist, so hat die Frau zwei Augen um so nöthiger.«

»Auch richtig,« gab der Kanzleirath zu; »aber Sie, Madame Elsinger, worin besteht denn Ihr Ideal von Weibertreue.« »Ach, ich habe nicht viel Zeit, mich mit Idealen abzugeben,« sagte diese, »aber ich meine die Bürgermeisterin von Schorndorf hatte ihrem Manne einen viel bessern Dienst gethan, als die Frau Mathilde dem ihren.«

»Wer war die Bürgermeisterin von Schorndorf?« fragte Arthur. »Ach, das ist eine bei uns wohlbekannte Geschichte,« sagte Herr Radius, recht vergnügt über den soliden Fortgang des Gesprächs, »die im Jahr 1688 passirte, wo der französische General Melac als Verderber und Mordbrenner durch unser Land zog. Die Festung Asperg hatten sie durch Gewalt und Drohungen schon besetzt und einen Befehl zur Uebergabe von Schorndorf bei der Regierung erschlichen.

»Mit diesem Befehl ward ein Regierungskommissär nach Schorndorf abgesandt. Der dortige Kommandant widersetzte sich der Uebergabe, ein Theil des Magistrats aber wurde bedächtig und schwankend und glaubte, es werde keine Wahl bleiben, als dem Befehl zu gehorchen. Die Frau Bürgermeister Künkelin von Schorndorf jedoch, die wußte, warum sich der Magistrat versammelt hatte und schöpfte Verdacht; da die Sitzungen des Rathes, wie billig und natürlich, für Frauen nicht zugänglich waren, so schlüpfte sie in höchsteigner Person in den großen Kachelofen der Rathsstube und hörte allda, daß, wenn auch mit schwerem Herzen, der Beschluß gefaßt wurde, sich in Gottes Namen dem herzoglichen Befehl und der Uebermacht des Feindes zu fügen, und die Stadt auf glimpfliche Bedingungen zu übergeben.«

»Die Frau Bürgermeisterin,« nahm Karoline eifrig das Wort, »schlüpfte wieder aus dem Ofen heraus, ob sie sich rußig gemacht, weiß ich nicht, rief, im Verein mit einer Freundin, alle Frauen der Stadt zusammen und sagte ihnen, welche Gefahr ihrer Stadt drohe.

»Ehe noch der wohlweise Magistrat seine Sitzung und Berathung vollendet hatte, da er sich wahrscheinlich nicht darüber vereinigen konnte, wer bei dem schmählichen Abzug aus den Thoren seiner Heimath den Vorrang haben solle, hatten sich sämmtliche Frauen vor dem Rathhause versammelt. Sie waren gerüstet mit allen Waffen, die Weibern zu Gebot stehen ...« »Also Lächeln, Thränen, süße Ueberredung, anmuthige List,« fügte der Doktor ein. »Keineswegs, Herr Doktor, zu süßen Worten war keine Zeit. Die Weiber hatten Besen, Ofengabeln und Feuerzangen und erklärten den Männern, wenn sie den Franzosen die Thore öffnen, so wollten sie, die Frauen, den Eingang noch vertheidigen, bis die Letzte von ihnen todt liegen bleibe; dieser Muth der Weiber beschämte die Männer; der herzogliche Kommissär wurde unverrichteter Dinge fortgeschickt und hatte zu thun, daß er mit heiler Haut davon kam. Als nach ein paar Tagen der Melac daher kam und geradezu einrücken wollte, – da fand er die Thore verschlossen und eine kampfbereite Bürgerschaft auf den Wällen, die sich zeigte, als die rechten und tüchtigen Männer ihrer muthigen Weiber.«

»Die Franzosen haben die Volkswaffen respektiren lernen, die nicht das Kommandowort eines Generals, sondern ein muthiges deutsches Herz in die Hand gibt,« fügte Herr Radius ein; »Melac mußte mit Schimpf und Schande abziehen und die Stadt blieb unser.«

»Die Frauen aber,« schloß Frau Karoline, »warfen Besen und Ofengabeln weg, kehrten in ihre Küche zurück und kochten ihren Männern ein gutes Mittagsmahl.« »Wovon zwar die Geschichte schweigt,« sagte Doktor Halm. »Allen Respekt vor der Bürgermeisterin, gewiß hat sie ein Beispiel weiblicher Energie gegeben; da wir aber just von Treue reden ...« »Und ist es nicht die höchste Treue, an des Mannes Werth und seine Kraft zu glauben und sie in ihm zu wecken, auch da noch, wo er sich selbst aufgegeben?« fragte Emma mit leuchtendem Blick, erröthete aber tief, als die Blicke sich auf sie wandten. »Eine recht poetische Verklärung der Frau Bürgermeisterin mit Besen und Ofengabel,« sagte der Doktor wieder, »aber ich beneide denn doch ihren Mann nicht, mein weibliches Ideal ist sanfte Hingebung, selbstvergessene Demuth ...« »Ein solches Beispiel,« meinte die freundliche Hausfrau, »könnte ich vielleicht anführen; wenn es auch kein historisches ist.« »Schön, schön,« stimmten alle bei, auch Arthur, der sich eben besonnen, ob ihm die Probe schwäbischer Frauentreue, die die Frau Bürgermeisterin ihm gegeben, nicht gar zu massiv wäre.

Opfer ohne Dank

»Eine Freundin meiner Mutter, ein schönes, liebenswürdiges, reichbegabtes Wesen, hatte, dem Wunsch ihrer Eltern zu lieb, einen etwas eigensinnigen, wunderlichen Mann geheirathet. Wenn sie aber auch nicht aus Liebe gewählt hatte, so war sie doch jederzeit heiter, liebevoll und aufmerksam auf die kleinsten Wünsche ihres Gatten. Nur an der großen Zärtlichkeit, mit der sie Blumen pflegte, ließ sich vielleicht vermuthen, daß ihr Herz nicht ganz ausgefüllt sei.

»Einst hatte sie von ihrem Bruder auserlesen schöne holländische Hyazinthenzwiebeln erhalten, die sie sehr glücklich machten; sie pflegte sie gehorsam und belauschte mit kindlicher Freude das Keimen der Pflanzen, das allmälige Schieben der Knospen.

»Im Februar, fast an einem Tag, gingen die Blumen alle auf: das Zimmer blühte und duftete wie der schönste Garten und glückselig zeigte sie ihrem Mann die herrliche Flora, als er von einer kleinen Geschäftsreise zurückkehrte. Er nahm wenig Notiz davon und bemerkte bald: »die Blumen riechen viel zu stark, ich bin überzeugt, daß ich Kopfweh davon bekomme.« »Ich fürchte, auf dem Gang außen wäre es zu kalt für sie,« sagte die Frau, ängstlich um das Schicksal ihrer Lieblinge besorgt, »sie sind ja nicht im Schlafzimmer, und dein Arbeitszimmer ist im obern Stock, so fürchte ich nicht, daß dir der Duft schade.« »Du weißt, daß bei unserer kleinen Wohnung der Geruch überall durchdringt,« entgegnete er gereizt, – er war jederzeit gereizt, – und verließ das Zimmer. Als er später die Treppe wieder herab kam, kam ihm die Frau entgegen, sie trug all ihre schönen Hyazinthen abgeschnitten in einem Körbchen. »Was willst du damit?« fragte er mit der halben Beschämung, die auch der gewalttätigste Mensch fühlt, wenn man plötzlich seiner Caprice nachgiebt. »Es ist heute Abend Ball, da will ich meine schönen Blumen den jungen Mädchen vertheilen,« sagte sie heiter; – »so haben sie doppelte Freude gemacht.«

*

»Das gebe ich zu,« sagte Herr Radius, »mag eine schwerere Probe sein, als den Mann auf dem Rücken zu tragen, zumal wenn die Geschichte noch versichern kann, daß die Dame nachher nicht in offener oder verblümter Weise dem Mann das Leben sauer gemacht hat wegen der geopferten Blumen.«

»Ein höchst unnöthiges Opfer!« rief Frau Karoline, »es geschieht den Männern ein schlechter Dienst damit, wenn man jeder ihrer wunderlichen Laune so nachgibt, den wollt' ich gelernt haben, meine Blumen zu riechen!« »Ja, ja,« lächelte der Doctor etwas spöttisch, »der Herr Gemahl darf sich vielleicht mehr auf die Schorndorfer als auf die Weinsberger Treue gefaßt machen.«

»Sie, Fräulein, sind uns Ihr Beispiel von Frauentreue noch schuldig,« sagte Arthur, den ein unwillkührlicher Zug doch immer in Emma's Nähe führte, deren stille Augen und gedämpfte Heiterkeit mehr Anziehung auf ihn übte als die laute Fröhlichkeit der jungen Mädchen draußen, unter denen er doch die schönste Gelegenheit gehabt hätte, sein Urbild einer Schwäbin zu suchen.

»Ach,« rief Frau Karoline, »das Ding wird am Ende einförmig, wir können uns nicht immer selbst loben; wie wär's, wenn die Herrn zur Abwechslung etliche Exempel von Männertreue brächten?«

Die Männer besannen sich. Keinem, selbst dem mundfertigen Sachsen wollte jetzt gerade ein solches Beispiel einfallen, und die Hausfrau sprach lachend: »ja, das wird eine vergebliche Forderung sein! Kennen Sie nicht das alte Liedchen vom muntern Ritter, der mit seinem Liebchen die Höhe von Weinsberg besteigt und bei den Trümmern der Weibertreue den Schwur ewiger Treue von ihr verlangt?

Bei diesen Trümmern der, – verzeih
Fast ganz verfallnen Weibertreu.

Das Liebchen verspricht zu schwören, wenn er ihr auch
nur einen einzigen Stein von Männertreue zeigen könne.

Nur Einen Stein, der, o verzeih,
Noch nie bestandnen Männertreu.

»Man sagt, daß der Ritter bis heutigen Tags den Stein noch nicht aufgefunden habe.«

»Ein eklatantes Beispiel von Männertreue ist auch mir im Augenblick nicht erinnerlich,« gab der geschichtskundige Herr Radius zu. »Weil bei Männern die Treue Regel ist, und die Untreue Ausnahme,« behauptete Arthur, wobei er einem ungläubigen Lächeln der Dame begegnete.

»Aus der Ritterzeit vielleicht,« meinte Frau Cäcilie. »O Ritterzeit!« rief der Doctor, »von keiner ist mehr gelogen worden; weiß nicht, ob die Treue unserer Damen heutzutage Stand hielte, wenn sie eine Behandlung erfahren müßten, wie die minniglichen Frauen des Mittelalters von den biderben Rittern, wie solches die schöne Chrimhilde noch ganz begreiflich fand.«

»Nun, dann waren die Damen des Mittelalters in ihrem guten Recht, daß sie den Männern oft die Werbung so sauer machten,« meinte die Hausfrau.

»Einen Ritter,« sagte Herr Radius, der endlich hoffte, seinen Unterhaltungsstoff anzubringen, »habe ich selbst noch in hiesiger Gegend gekannt, der zwar keiner Dame Treue beweisen konnte, da er Maltheser war, der aber doch einen Beweis gibt, daß die ritterliche Gesinnung deutscher Männer auch in der Ferne einen guten Klang hat.«

»Einen Ritter, den Sie noch gekannt?« fragte zweifelnd Frau Karoline.

»Allerdings,« versicherte Herr Radius, »es war zwar nicht der letzte Ritter von Marienburg, aber doch der letzte Ritter von Affaltrach. Freilich war es auch kein Ritter in silberblanker Rüstung wie der Otto von Trautwangen; es war ein alter behaglicher Herr von stattlicher Gestalt und ansehnlichem Bauch, mit einem Zopf und gepuderten Haaren, der immer im langen Frack ging, bei hohen Festen von scharlachrother Farbe, aber ein Ritter war es immerhin: der letzte Maltheser, Franz Karl, Freiherr von Truchseß zu Appenweiher, grand bailif und Commenthur. Er hatte seinen Ruhesitz in dem Dörfchen Affaltrach, unweit Weinsberg, das bis in die neueste Zeit dem Maltheserorden gehörte. In seiner Jugend war er auf Malta und Commodore einer Schiffsabtheilung des Ordens gewesen. Die Kriege mit den Saracenen hatten damals aufgehört und die Schiffe dienten nun dem friedlichen Zweck, Früchte von Sicilien nach Malta zu bringen. Eine Dürre auf Sicilien hatte den Commodore einst genöthigt, Getreide vom Dey in Algier zu kaufen, bei welcher Gelegenheit beide gut mit einander bekannt wurden.

»Im folgenden Jahr machte der Freiherr wieder eine Uebungsfahrt nach Algier; er hörte dort, daß der Dey auf seinem festen Schloß Lasauba von wilden Gebirgsvölkern belagert sei. Der bedrängte Dey sah die Schiffe der Maltheser; er sandte eine Botschaft an den Freiherrn, um ihn anzuflehen, sich seiner Frauen anzunehmen. Er wisse sie auf einem geheimen Wege zu flüchten, könne aber keine Männer zu ihrer Bedeckung entbehren; so bat er denn den ritterlichen Deutschen, sie sicher zum Pascha von Rhodus, seinem Freunde, zu führen. Er selbst wolle hier bleiben und kämpfen wie ein Mann.

»Er überschickte dem Ritter noch einen kostbaren Ring, mit dem er sich bei dem Pascha von Rhodus beglaubigen könne. Der Deutsche sagte seinen Schutz zu, und in tiefem Dunkel der Nacht, bei dem Schein weniger Fackeln, die Sclaven trugen, zogen die schüchternen Tauben des Harems herab auf die deutschen Schiffe.

»Treu seinem Ritterwort, ehrte der Commodore sogar die strengen Haremsgesetze und verlangte nicht einmal zum Dank das Antlitz seiner schönen Schützlinge zu sehen. Wohlbehalten nach glücklicher Fahrt übergab er sie dem Pascha von Rhodus, und nahm freundlich den leisen Dank, mit dem die scheuen Vögelein von ihrem edlen Beschützer schieden.

»Den Ring hat der Freiherr als Kleinod bewahrt so lang er lebte; er zeigte ihn noch als Greis seinen Freunden und erzählte lachend, wie sich wohl seine Maltheserschiffe damals gewundert hätten über die schöne Last, die sie nach Rhodus tragen mußten.«

*

»Aber, Herr Radius, über Ihrem letzten Ritter vergessen wir ganz das Gläschen Wein, dem doch die alten und neuen Ritter nie abgeneigt waren,« mahnte der Hausherr; »angestoßen, ihr Herrn! aufs Wohl aller Männer, die noch einen Funken alter Ritterlichkeit in sich tragen, hoch!« »Hoch!« rief die Gesellschaft und »hoch!« stimmten der Spur nach die Jünglinge ein, die sich mit vollen Gläsern um die Laube gruppirten.

Arthur verweigerte anzustoßen; »das erste Glas gebührt den treuen Frauen,« sagte er, »und Fräulein Emma hat uns ihr Ideal noch nicht genannt.« »Herr Doktor Halm ist ein Historiker, der weiß gewiß die schönsten Beispiele,« sagte ausweichend Emma, die durch das erste harte Urtheil, das sie überhaupt gehört, ganz um ihre sonstige Unbefangenheit gebracht war. »Ich!?« rief mit komischem Erstaunen der Doktor, »o ja, allerdings, die Historie bietet uns unterschiedliche glorreiche Beispiele getreuer und vortrefflicher Gattinnen und Mütter, wie in jedweder Grammatik, lateinischen oder französischen Chrestomathie zu lesen ist: eine Arria, Kornelia, und wie ähnliche Schulkamerädinnen von uns heißen, aber sie sind doch allzubekannt: ich bin gewiß, der Herr Stadtschreiber wüßte uns aus dem Schatz seiner Erinnerungen viel unbekanntere und pikantere Beispiele zu nennen.«

Der gar alte Herr Stadtschreiber hatte indeß wenig Theil an der Conversation genommen; er saß nur ganz behäglich, – in sich hinein vergnügt wie ein Maikäfer, sagt der Schwabe, schenkte seinen Nachbarn fleißig ein und versäumte nicht, nachher jedesmal sein eigen Gläschen zur Hälfte zu füllen, weshalb auch seine Augen immer heller glänzten und sein Zöpflein vergnüglich wackelte.

Als man ihm aber sagte, wovon die Rede sei, so meinte er, »wenn Sie von merkwürdigen Frauenzimmern sprechen, so dürfte wohl billig der Frau des Landschaftssekretarius Stockmeyer erwähnt werden, die im Jahr 1804 durch ihre Standhaftigkeit dem Lande einen großen Dienst erwies.« »Da haben Sie recht, Herr Stadtschreiber,« rief Radius, »daß Sie dieser Geschichte erwähnen, die zur Schande unsers Geschlechts schon jetzt fast vergessen ist, – über diese Geschichte würde am Besten die Ueberschrift passen:

»Ihres Mannes Herz darf sich auf sie verlassen.«

»Im Anfang dieses Jahrhunderts,« hub der Herr Stadtschreiber an, »machte der alte Herr, Gott hab' ihn selig, ein gescheidter, aber auch ein gewaltthätiger Fürst, verschiedentliche Versuche, die von ihm selbst beschwornen Rechte der Landschaft anzutasten. Wie aber jeder Regent unterthänige Diener und bereitwillige Hände zu jeder Gewaltthat findet, so hat es auch zu jeder Zeit gerade, redliche Männer gegeben, die es besser mit dem Fürsten gemeint haben als er mit sich selbst und die unerschütterlich der Wahrheit die Ehre gegeben haben. Unter diese gehörte der Landschaftssekretär Stockmeyer, der die widerrechtlich geforderten Sigille der Landschaft den Beamten des Kurfürsten verweigerte und deshalb von Amt und Familie fortgeführt und eingesetzt wurde.

»Obgleich er niemand sprechen sollte, so gelang es doch seiner Frau, zu ihm in's Gefängniß zu kommen und ihm Trost und Nachricht von den Seinigen zu bringen. Die treue Frau bemerkte aber bald, daß eine besonders schwere Sorge ihres Gatten Herz belaste. Auf ihr Drängen gestand er ihr, daß im Rathhause noch wichtige Papiere verwahrt seien, die der Landschaft gehören und daß es im höchsten Interesse der Rechte des Landes liege, solche in Sicherheit zu bringen, daß er aber keine Seele wisse, der er diesen wichtigen Auftrag vertrauen könnte.

»Die muthige Frau nun erklärte sich dazu bereit, und das war kein Spaß, wenn man den alten Herrn selig kannte und seinen Zorn.

»Sie brachte die Papiere mit großer Vorsicht aus dem Rathhaus während bereits die churfürstlichen Beamten im Hause waren und darnach suchten, verwahrte solche in einem verborgenen Kästlein und begrub die Schlüssel eigenhändig in ihrem Keller.

»Die That war ganz verborgen geblieben, die Papiere aber wurden bald vermißt und mit Ingrimm gesucht. Gegen ihre eigne Ansicht mußte Frau Stockmeyer auf Befehl ihres Mannes einem nahen Verwandten mittheilen, daß sie die Papiere verborgen; dieser Vetter war auf des Kurfürsten Seite, und Stockmeyer hoffte ihn durch diese Mittheilung zu seiner Pflicht gegen das Land zurückzuführen. Dieser, wegen der Sache verhört, lieferte alsbald den Brief der Frau aus, in dem sie sich zu der That bekannte.

»Alsobald wurde sie von hohen Beamten aufgefordert, zu sagen, wo sich die Akten befinden und die Schlüssel auszuliefern; sie erklärte zum unaussprechlichen Erstaunen der Herrn, daß sie dies weder könne noch wolle. Sie habe die Papiere im Auftrag ihres Mannes in Sicherheit gebracht, und nur wenn dieser ihr frei gegenübergestellt werde, und sie mit eignem Munde ihres Versprechens der Verschwiegenheit entbinde, so werde sie dieselben ausliefern. Bitten und Drohungen, gütliche und heftige Vorstellungen scheiterten an der ruhigen gelassenen Festigkeit der Frau.

»Am Ende sagte man ihr, daß sie zur Strafe ihrer Widerspenstigkeit, zur Beugung ihrer Hartnäckigkeit, gefänglich eingesetzt werde; sie blieb unerschüttert und bat nur, das Kind, das sie noch stillte, mit sich nehmen zu dürfen. Mit dem Kinde und einer treuen Magd, die sich freiwillig mit ihr einsperren ließ, wurde sie nun in ein Zimmer des Rathhauses eingeschlossen, mit dem Verbot, sich an keinem Fenster sehen zu lassen. Von ihrem Gatten, den sie leidend wußte, bekam sie nicht die geringste Kunde, von ihren vier Kindern daheim, denen die treue, besorgte Mutter so sehr fehlte, durfte sie keines sehen; die beständige stille Sorge, der ungewohnte, gänzliche Mangel an Luft und Bewegung machten sie am Ende ernstlich krank; von Zeit zu Zeit kamen immer wieder die kurfürstlichen Kommissarien, die vornehmsten Herren des Landes, um sie zu verhören, um zu sehen, ob sie noch nicht mürbe geworden sei; sie aber blieb fest, unbeweglich, eine treue Hüterin des Vertrauens ihres Gatten.

»Man sagte ihr endlich, ihr Mann habe den Verwahrungsort der Papiere angegeben, sie habe nur noch die Schlüssel abzuliefern; sie aber beharrte darauf: nur dem mündlichen Befehl ihres freigelassenen Gatten, als dessen Werkzeug sie gehandelt, werde sie Folge leisten.

»Und, ›Treue gewinnt,‹ hieß es zuletzt, der Churfürst gab energischen Vorstellungen anderer rechtschaffener Männer nach, der Sekretair ward seiner Familie zurückgegeben, die standhafte Frau in Freiheit gesetzt und die Rechte des Landes blieben für diesmal unangetastet.

»Die Frau Stockmeyer wurde von allen Seiten mit großen Ehren überhäuft; sämmtliche Prälaten und die Herrn von der Landschaft erließen ein feierliches Danksagungs- und Belobungsschreiben an sie, worin ihr eine lebenslängliche Pension zugesichert und ein Präsent angeboten wurde, welch letzteres sie aber ablehnte. Ein angesehener Prälat bestimmte ihr in seinem Testament eine goldne Medaille, die er selbst früher zum Dank für seine Verdienste von der Landschaft empfangen hatte; sie wurde in Prosa und Versen gepriesen. Sie aber kehrte in aller Stille in's Privatleben zurück, war nach wie vor eine emsige Hausfrau, eine sorgsame Mutter und eine liebevolle Ehefrau und suchte keinen Ruhm, als den stillen Ruhm vor Gottes Augen, daß sie als eine getreue Haushälterin erfunden werde.«

*

»Allen Respekt!« rief der Hausherr, »Gott gebe jedem Mann ein so zuverlässiges Weib, wenn sie auch nicht aus so schwere Proben gesetzt wird. Angestoßen! auf das Wohl aller treuen und starken Frauen!«

»Aber, Herr Doktor,« mahnte Radius, »es wäre doch fatal, wenn Sie als Historiker uns nicht auch mit einem Exempel regaliren wollten.«

»Der Beispiele des Guten,« meinte der Doktor, »könnten es doch am Ende zu viel werden: eine merkwürdige Frau aber, wenn auch nicht eben ein Exempel von Treue, schwebt mir im Augenblick vor, da sie einen Theil ihrer abenteuerlichen Lebensrolle auch in hiesiger Gegend spielte. Wenn ich Sie nicht langweile ...«

»O nein,« versicherte die Hausfrau, »wir haben noch eine schöne Pause, eh es dunkel genug wird, das Feuerwerk zu beginnen.« »Nun denn, so hören Sie die Geschichte der Frau von Krüdener. Sie wissen wohl besser als ich, daß im Juli 1815 der glorreiche Tag war, wo die russische und österreichische Armee sich in und um Heilbronn zum Zuge nach Frankreich sammelten, wo die alte Reichsstadt die zwei ersten Herrscher der Christenheit in ihren Mauern beherbergte: den Kaiser Franz von Oesterreich und den schönen ritterlichen Kaiser Alexander von Rußland.

»Kaiser Alexander hatte sich, müde von der Reise, von Audienzen und Huldigungen, in seine Gemächer zurückgezogen, als man eine Dame meldete, die ihn dringend zu sprechen wünsche. Der Kaiser ließ sie erst vor, nachdem sie sich als Frau von Krüdener genannt. Der Name war ihm nicht fremd; fast noch aus seiner Knabenzeit erinnerte er sich der jungen Frau des Freiherrn von Krüdener, deren anmuthige, feenhafte Erscheinung einst den Hof von St. Petersburg bezaubert hatte.

»Ein Herbstabend ist viel zu kurz, um auch nur einen Abriß des wechselvollen Lebens dieser abenteuerlichen Frau zu geben. Als Tochter eines reichen liefländischen Barons wurde sie von Anfang von allen Gaben der Natur und des Glücks überschüttet. An dem üppigen Hof zu Paris war sie zu allen Talenten und Künsten gebildet, die ihre natürliche Anmuth noch erhöhen konnten, von Vestris selbst im Tanz und graziösen Atituden unterrichtet, und lebte, als Kind schon ein Wunder ihrer Kreise, in einem endlosen Traum rauschender Feste und Freuden, eh sie auch nur einmal mit wachen Augen ins Leben gesehen hatte. Im fünfzehnten Jahre heirathete sie den edlen und hochgebildeten Freiherrn von Krüdener.«

»War sie schön?« unterbrach die Hausfrau den Doktor.

»Sie soll weniger schön, als außerordentlich fein, zierlich, geistvoll und anmuthig gewesen sein, voll Leben und Bewegung,« fuhr dieser fort. »Ihre Reisen, ihr Aufenthalt an Höfen, anfangs noch an der Seite des Gatten, am Hof von Petersburg, von Berlin, von Kopenhagen, in Paris, in Venedig, in deutschen Bädern, waren lauter Triumphzüge; überall glänzte sie als erster Stern, und so hinreißend ihre äußere Erscheinung war, unterstützt von den Geheimnissen einer feenhaften Toilette, die ihr niemand nachahmen konnte, so soll doch ihr Geist und Witz, ihr Talent in dramatischen Darstellungen, ihre lebendige Unterhaltungsgabe noch viel mehr gefesselt haben.«

»Der Doktor wird ganz feurig,« lächelte Frau Cäcilie. »Halten Sie inne, Doktor, mit Ihrer Schilderung, Sie verleiden sonst unsern Männern ihre guten, hausbackenen Frauen.«

»Weiß nicht,« sagte der Doktor lächelnd, »ob Einer aus unserer Gesellschaft das Verlangen hätte, Besitzer eines so vielbewunderten Prachtexemplars zu sein.« Es ließ keiner der Herren einen solchen Wunsch laut werden, und Frau Karoline fragte:

»Welche Rolle spielte denn ihr Mann, während sie ihre Triumphe feierte?«

»Er war ein Ehrenmann,« sagte der Doktor ernsthaft, »an Jahren und Erfahrung ihr weit überlegen, aber wie alle, hingerissen und geblendet von dem Zauber ihres Wesens. So war er ihr erster Anbeter und Bewunderer, ihr Freund und Beschützer, so lange sie sich von ihm beschützen ließ; aber er besaß nicht die Kraft, sie entschieden in die Schranken ihrer Pflicht zu weisen, als seine ernsten und liebevollen Vorstellungen erfolglos blieben. Sie selbst liebte und verehrte ihn, aber ihr rastloser Hang nach rauschenden Freuden und Zerstreuungen, ihre Sucht, zu glänzen und sich bewundern zu lassen, ließ sie kein häusliches Glück genießen oder bereiten. So war es ein wunderliches Verhältniß. Bald trennte sie sich von ihrem Mann und stürzte ihn durch rasende Verschwendung in Verlegenheit und Verzweiflung; dann schrieb sie ihm wieder die rührendsten Briefe voll schöner Gefühle und edler Vorsätze, dazwischen schloß und löste sie allerlei romantische und unromantische Herzensverhältnisse, bis sie ihren Mann nach seinem Tod in trostlosem Leid beklagte, um so heftiger, je kürzer es dauerte.

»Alles aber nimmt ein Ende, und obgleich die schöne Frau es verstand, ihren Frühling lange, bis in den Sommer auszudehnen, fand sie doch allmälich, daß der Zauber zu schwinden begann, und ihre Erscheinung kühler aufgenommen wurde. Sie ließ aber die Schwingen nicht sinken; als die Rosenkränze welkten, strebte sie nach dem Lorbeer der Schriftstellerin und suchte in Ruhm den Durst einer nicht gemeinen Seele zu stillen. Man sagt, daß sie ebensoviel Geist und Kunst aufgeboten, um ihren Werken Verbreitung zu gewinnen, als um sie zu schaffen. Sie hatte zuerst einen Roman unter dem Titel ›Valerie‹ geschrieben; nach seinem Erscheinen zog sie und ihre Vertrauten in allen Putzläden und Kaufgewölben der Stadt umher und fragten überall nach Hüten, Shawls, Tüchern u.s.w. à la Valerie. »Es ist uns nichts derart bekannt,« erwiederte man ihnen. »Was? noch nichts à la Valerie?« fragte sie erstaunt. »Ja, wer ist denn die Valerie?« »Ach, das ist ja der berühmte Roman der Frau von Krüdener, ist's möglich, daß Sie den noch nicht kennen?« Nun strömte und rannte alles nach dem Buch, und auf's Neue hatte Frau von Krüdener erreicht, daß ihr Name von tausend Lippen genannt wurde. Aber inmitten dieser neuen Erfolge bemächtigte sich, ohne alle äußere Veranlassung, eine trostlose Oede, eine unbesiegbare Schwermuth ihrer Seele, so daß sie matt und übersatt sich auf ein Gut ihrer Eltern zurückzog, und vergeblich nach einem Licht in die farblose Leere ihrer Seele suchte.

»In dieser Zeit brachte ihr ein armer Schuster Schuhe. Sein heitres Aussehen fiel ihr auf, und sie fragte ihn, wie es ihm gehe? »O, ich bin ein glückseliger Mensch,« antwortete ihr der aus vollem Herzen, »ich habe Frieden gefunden.« Er war Mitglied der böhmischen Brüdergemeinde und gab ihr in seiner schlichten Weise den Grund der Hoffnung an, die in ihm war. Da wurde ihr mit Einemmale die Ursache ihrer Herzensöde, das Elend ihrer verarmten, vertrockneten Seele, die Nichtigkeit ihrer glänzenden Vergangenheit klar, und mit aller Begeisterung einer feurigen Natur warf sie sich rückhaltlos dem Glauben in die Arme, mit Einem gewaltigen Stoß brechend mit aller Herrlichkeit der Welt. Aber es war nicht ihre Art, nun in Stille und Demuth dem neuerschienenen Stern nachzugehen; nein, sie glaubte sich alsbald zur Predigerin und Prophetin berufen. Aufs Neue durchzog sie alle Lande, nicht in den glänzenden Gewändern der Weltdame, auch suchte sie nicht mehr Paläste und Prunksäle, aber wie vor Zeiten als schimmerndes Weltkind, so sammelte sie jetzt als Bußpredigerin begeisterte Schaaren um sich, die an ihren Lippen hingen und ihren Schritten folgten.

»Wie weit sie wirklich eine Reuige und Gläubige, wie weit sie Schwärmerin war, und wie viel sie selbst von der ehemaligen Kokette in ihr neues Leben hinübergenommen, das ist wohl für menschliche Blicke schwer zu unterscheiden. In Paris hielt sie, außer ihren Vorträgen, auch Abendversammlungen, die nur stillem Gebet geweiht waren. Die andächtige Menge versammelte sich in einem matt erleuchteten Saale, durch dessen offne Thür man am Ende einer langen Zimmerreihe, von hellem Lampenlicht umflossen, Frau von Krüdener in priesterlichen Gewändern betend auf den Knieen liegen sah. In solchen Zügen glaubt man die Attituden von Vestris wieder zu erkennen. – Das aber glaube ich, daß man ihr entschieden Unrecht thut, wenn man sie für eine Betrügerin hält. Sie hat sich ihrer Überzeugung mit voller Seele hingegeben, hat ihr große Opfer gebracht und für sich nie einen Vortheil gekauft und errungen.

»Kurze Zeit vor dem Wiederausbruch des Krieges hatte sie sich auf einem Hof bei Weinsberg angekauft, wollte hier eine neue Gemeinde gründen und auf einem nahen Hügel eine Kirche bauen.«

»Doch nicht auf der Weibertreue?« fragte Frau Cäcilie.

»Nein, so anmaßend war sie nicht,« lächelte der Doctor, »aber auf dem Hügel dort, wo die Pappeln stehen; als sie aber die Ankunft des Kaisers erfahren, glaubte sie sich zu einer höhern Mission berufen, und, um diese zu erfüllen, verlangte sie die früher erwähnte Audienz.

»Der Kaiser, etwa auf die Bitte einer verarmten Hofdame gefaßt, war erstaunt, als die Frau, an der er keinen Zug der frühern Schönheit wieder fand, als begeisterte Bußpredigerin vor ihm stand, ihn, den Alleinherrscher aller Reußen, schalt um seiner Genußsucht, seines Stolzes und Leichtsinns willen, ihm aber zugleich verkündete, daß er zum Stifter eines neuen herrlichen Gottesreiches, zum Friedensfürsten Europa's berufen sei. Sie verhieß durch ihr Gebet den Sieg seiner Waffen, den Untergang Napoleons zu erflehen; dann aber sollte er mit den christlichen Fürsten Europa's sich zu einer heiligen Allianz verbinden und das Beispiel eines Kaisers geben, in dessen Landen Friede und Gerechtigkeit herrschen.

»Alexander wurde von den begeisterten Worten der Frau bewegt, erschüttert, hingerissen. Er ging in ihre Pläne ein, und diese Unterredung dauerte drei volle Stunden. Als später der Kaiser einige Zeit in Heidelberg verweilte, bewohnte Frau von Krüdener ein kleines Häuschen vor der Stadt, wohin sich Alexander jeden Abend begab, um sich mit ihr zu besprechen und mit ihr zu beten.

»Nach dem Sieg der verbündeten Waffen und ihrem Einzug zu Paris ließ Alexander, seines Versprechens eingedenk, nach eigner Angabe die Akte der heiligen Allianz abfassen und unterzeichnete sie am 26. September zu Paris, und alle christlichen Fürsten folgten seinem Beispiel. Der erste Gedanke dazu war aber das Ergebniß jener nächtlichen Stunde zu Heilbronn und darum hat diese Geschichte auch ihr Recht, wo es sich um die Denkwürdigkeiten dieser Gegend handelt.«

»Frau von Krüdener hat, so viel ich weiß, ihre Prophetenrolle noch lange gespielt?« fragte der Sachse. »Ja wohl,« entgegnete der Doktor, »es ist schwer, in chronologischer Ordnung ihren Zügen zu folgen, so viel ist gewiß, daß der alte Zauber ihres Wesens nicht gebrochen war. Wohin sie kam, versammelte sie Zuhörer aus allen Klassen um sich. Mehr noch freilich zog ihre mehr als fürstliche Freigebigkeit Schaaren von Armen nach. In den Theuerungsjahren 1817 bis 1818 speiste sie täglich große Schaaren armer Hungriger, so daß sie zuletzt dieses Gefolges wegen überall für einen gefährlichen Gast gehalten wurde. Zuerst wurde ihr der Aufenthalt in den deutschen Staaten verboten; die Schweiz gewährte ihr eine Zeitlang Asyl, bald aber wurde sie auch da fortgewiesen und zog nun mit ihren Anhängern wie ein gescheuchtes Wild von Ort zu Ort, von Land zu Land.

»Zuletzt wandte sie sich nach Petersburg zurück, aber auch ihr kaiserlicher Beschützer war mißtrauisch gegen sie geworden und gestattete ihr keinen Aufenthalt mehr. Endlich schien sie doch einzusehen, daß das Predigtamt kein Frauenberuf ist; müde, mit gebrochenem Körper, aber ungebeugter Seele, zog sie sich mit ihrer Tochter auf ein Landgut in der Krimm zurück, wo sie im sechzigsten Jahre an einer schmerzhaften Krankheit starb.«

»Ein trauriges Prophetenloos!« seufzte Arthur, »nach diesem zerfahrenen Leben und Gemüth thäte uns ein einfaches, klares Frauenbild wohl, wissen Sie uns wirklich nichts zu erzählen, Fräulein Emma?«

Treue im Tod

»Wenn ich von treuen Frauen höre,« sagte Emma etwas schüchtern, »so muß ich an Gertrude von Wart denken.« »Wer war die?« fragte Frau Karoline. »Die Frau eines deutschen Edelmannes, Rudolf von Wart, der der Mitschuld an Kaiser Albrechts Tod angeklagt und von der blutigen Rache der Königin Agnes zum Tod auf dem Rad verurtheilt wurde. Der Henker hatte sein blutiges Amt gethan, der Unglückliche lag noch lebend in furchtbarer Qual, und selbst das schaulustige Volk floh mit Entsetzen von der Jammerstätte. Gertrud, seine Frau, hielt bei ihm aus. Sie hatte nicht Macht genug gehabt, ihn von seinen finstern Planen abzuhalten, aber sie hatte die Kraft, bei ihm zu bleiben in seinem schrecklichsten Elend. Ob ihr auch sein namenloses Leiden das Herz zerriß und jede Fiber erbeben machte, sie wich und wankte nicht, sie netzte seine brennende Zunge mit frischem Trunk, sie sprach ihm Trost zu mit bleichen Lippen, sie hielt ihm das Bild des sterbenden Heilandes vor, der schuldlos gelitten und so schwer wie er; wenn er im Uebermaß der Qual in Flüche und Verwünschungen ausbrechen wollte, so schickte sie feurige Gebete für ihn zum Himmel und flehte zu Gott, daß er ihre heißen Thränen annehme zur Sühne für seine Schuld.

»Drei Tage und drei Nächte hat sie so bei ihm ausgeharrt, ohne andres Labsal, als den kühlen Trunk, mit dem sie auch seine Lippen netzte, – allein, mit dem Verzweifelten unter allen Schrecken des Hochgerichts; sie blieb ihm nahe, wo er verlassen schien von Gott und der Welt; so oft er noch aufblicken konnte, sah er in ihre treuen Augen und in sein qualvolles Stöhnen tönte ihre leise, süße Stimme. Da brach sein trotziger Sinn, sein Leiden verlor den Stachel, und mit seinem letzten Hauche stimmte er ein in ihr frommes Gebet.

»Am Morgen des vierten Tages war er verschieden und Gertrude wankte dem Kloster zu, wo sie ihre Tage verleben wollte. Es dauerte nicht lange mehr, bis das Kloster nur die Heimath für ihre Leiche war. Ich denke, das war Frauentreue!« schloß Emma leise, selbst tief bewegt von ihrer Geschichte.

»Ja, das war Frauentreue!« stimmte Arthur begeistert ein, »aber ein zweites Beispiel, wie dies, bietet die Geschichte nicht.« »Vielleicht nicht die Geschichte, aber das Leben,« sagte Cäcilie. »Die That der Rizpa,« sagte Emma, die allmälich lebendiger wurde, »ist fast eine ähnliche, nur ist es hier die treue Mutter, nicht die Gattin, was ein Weib so stark macht.«

»Rizpa? ist mir kein bekannter Name,« gestand Herr Radius.

»Sie war die Mutter von zwei Söhnen Sauls, die mit ihren fünf Stiefsöhnen als Opfer einer alten Blutschuld Sauls den Gibeonitern ausgeliefert und auf einer Höhe aufgehängt wurden. Um die Leichen zu schützen, nahm Rizpa, die Tochter Aja, ein Tuch und breitete es über den Fels, wo sie lagen und hielt die Wache bei ihnen. Sie hütete sie bei Tag vor den Vögeln des Himmels, bei Nacht vor den Thieren des Feldes, und so wachte sie einsam bei den Todten von dem Beginn der Erndte an bis zur Zeit der Spätregen. Endlich hörte David von der stillen That der Frau und gab den Leichen ein friedliches Grab, und die treue Wache war nicht vergebens gewesen.«

»Wirklich, es ist schade, daß man nie in der Bibel liest,« sagte naiv Frau Cäcilie, »es kommt doch manches Schöne darin.« »Ach, mir sind das grausige Geschichten von Geräderten und Gehängten,« sagte Minchen. »Ich habe zwar auch einmal mit zusehen wollen, wie man den Koseritz erschießen wollte, und Papa und ich haben uns recht geärgert, daß man ihn erst nicht erschossen hat; nachher aber bin ich wieder froh gewesen, es muß doch schauerlich sein, – das Ding hätte mir im Traum vorkommen können.«

Arthur hatte vor der Hand genug an dem Naturkind, er mußte auf Emma sehen, deren blaue Augen so schön glänzten, in tiefer innerer Erregung. Und sie las die Bibel, sie schien ganz daheim in den heiligen Blättern, nein, ihr Herz mußte warm und frisch geblieben sein! Nur gegen ihn selbst war sie heute so bedenklich kalt und fremd!

Nun aber war's vorüber mit Geschichten und Gesprächen; Kaiser und Ritter, Weinsberger und Schorndorfer Weiber wurden vergessen, da eben zischend eine prachtvolle Raketenreihe aufstieg. Die Gesellschaft gruppirte sich in Eile an sichere Stellen, wer mit Feuerwerk versehen war, eilte, es loszulassen, da ein Theil der Jugend noch Absichten auf den Ball auf dem Wartberg hatte. Mit lautem Zischen stiegen die Raketen, prasselnde Schwärmerkästen jagten da und dort die Gruppen auseinander, widerspenstige Feuerräder drehten sich rechts und links, es sprühten die Fontainen, in magischem Glanz leuchteten die farbigen Flammen romanischer Lichter, und stille bengalische Feuer beleuchteten verrätherisch heimlich flüsternde Pärchen.

Emma lehnte träumerisch an der Laube und schaute in die rasch verglühende Herrlichkeit; sie dachte an Jean Pauls Ausspruch: »Was ist das Leben und die Liebe? ein gutes rechtes Feuerwerk. Lange steht es da mit einem bunten, hohen Schaugerüst mit Statuen, kleinern Gebäuden und Säulen und verspricht noch mehr, als es schon verhüllt und verräth. Da springt ein Funken, die Formen reißen, es schweben Palmen und Pyramiden und eine hängende Sonnenstadt am Himmel, in der Nachtluft entfaltet sich gewaltig eine rege fliegende Welt zwischen den Sternen und füllt das Auge; und das arme Herz, und der glückliche Geist, selber ein Feuer zwischen Himmel und Erde, schwebt mit. – Einen ganzen Augenblick lang, – dann wird's Nacht und wüste, und am Morgen steht das Gerüste da, – dumm und schwarz.«

Er hatte Recht, – so war's ja ihr gegangen, sie hatte noch nicht einmal gewußt, daß sie glücklich sei, und nun war's schon vorüber.

Plötzlich hörte sie einen durchdringenden Schrei des Entsetzens, – Arthur stürzte aus dem Gewühl der Feuerwerkenden gegen die Laube, ein Funkenregen sprühte von ihm aus, er schien in hellen Flammen zu stehen, alles schrie und rannte durcheinander. Minchen namentlich rannte eiligst davon, den Weinberg hinab, immer mit dem Zetergeschrei: »Der Sachs brennt, der Sachs brennt!« »Wasser!« »Werft ihn in den Brunnen!« Emma schrie nicht; ohne sich zu besinnen, schneller als ein Gedanke, flog sie auf ihn zu, umfaßte ihn und drückte die brennende Seite fest an sich, – die sprühenden Funken versenkten sie, aber das Feuer erstickte. »Bravo, bravo, Fräulein Emma,« riefen ihr die Männer zu, die den betäubten Grote zu sich nahmen, während Emma, tief erröthend, sich rasch hinter die Frauen versteckte.

»Wie kam's denn?« schrie Alles zusammen. »Ach, das Unglückskind hatte Schwärmer in der Westentasche, er muß einen glimmenden Zunder dazu geschoben haben, der sie anzündete,« rief Edmund halb lachend, halb ärgerlich; »er kann von Glück sagen, daß er so davon kommt.« Wirklich hatten, da das Feuer mehr nach Außen gesprüht, außer einigen leichten Brandwunden am Kinn, nur Arthurs Rock und Weste Schaden gelitten.

Er hatte sich bald erholt und suchte nun seine Retterin, die sich, tief beschämt über die rasche That ihres Herzensinstinkts, weit von der Menge zurückgezogen hatte, wo sie die freundliche Frau Bernhard zu beruhigen suchte und ihr kühlende Umschläge über die Arme machte. Tante Mine war zum Glück früher nach Haus gegangen, die hatte den Schreck kaum überlebt.

»Darf ich Ihnen nicht meinen Dank sagen, Emma, liebe Emma!« fragte Arthur in tiefer Bewegung, indem er die verletzten Hände an seinen Mund zog, »o, wie viel Unrecht habe ich Ihnen gethan! wie kann ich Ihnen danken?« »Gar nicht,« erwiderte Emma in peinlicher Verlegenheit; sie hätte sich lieber in die Erde verborgen, als ihre That preisen hören. »Gar nicht?« sagte Arthur traurig und fuhr dann wieder mit allem Feuer seiner rasch erregten Natur fort: »Emma! als meine Retterin haben Sie mich umfaßt, wollen Sie mir nicht vergönnen, das Leben, das Sie mir gerettet, Ihnen zu weihen, Sie zu umfassen, zu stützen, zu tragen in treuer Liebe ein ganzes Lebenlang.« »Wir spielen keinen Roman,« sagte Emma, »was ich gethan, that ich ohne Besinnen und hätte es für Jedermann gethan, es legt Ihnen keine Pflicht auf und gibt Ihnen kein Recht.« Die Rose, die sich einen Augenblick erschlossen hatte, hüllte sich wieder dicht in Blätter ein und zeigte nur die schirmenden Dornen.

»Die Fackeln brennen!« rief es von der andern Seite, »nach Hause!« Arthur war etwas feuerscheu geworden, er nahm keine der brennenden Fackeln für sich, Emma aber ließ es doch geschehen, daß er ihren Arm nahm, und sich dem Zuge anschloß, der singend beim schwanken Fackellicht den Berg hinabzog.

Arthur hatte nicht mehr den Muth, mit ihr zu reden, nachdem sie ihn so kurz und spröde abgefertigt hatte, und Emma war dies am liebsten, sie fühlte sich angegriffen und das Weinen war ihr näher, als das Zürnen.

Die jugendliche Schaar vorn sang allerlei schöne alte und neue Lieder. Arthur war so verschüchtert durch die unerwartete Ungnade der erst Verschmähten, die ihm nun eine Perle sonder Preis erschien, daß er erst gegen das Ende einzustimmen wagte in den wehmüthigen Schluß des alten Wanderliedes:

Und soll ich dich nimmer wiedersehn, dich wiedersehn, dich wiedersehn.
Ade, ade, ade,
Ja Scheiden und Meiden thut weh.

Aber von Emma's Munde klang kein einziger Laut. Die Stadt war erreicht, die Fackeln wurden auf einen Haufen geworfen und loderten in gewaltigem Feuer auf, eh sie zusammensanken. Um das Feuer schallten noch die schönsten Gesänge. Emma's Lippe blieb stumm, ihr Auge tief gesenkt; Arthur konnte kein Wort mehr von ihr gewinnen, als sie im milden Mondlicht vollends die Heimath suchten.

An der Hausthüre erst trafen sie Papa Radius und Edmund, Jeden in seiner Art begeistert. Als die drei Männer zugleich eifrig der Jungfer Mine die große Begebenheit des Abends und Emma's besonnenen Heldenmuth verkündeten, war diese langst in ihrem Stübchen und fand endlich die Thränen, in denen sich all' die widerstrebenden Gefühle des Herbsttages lösten.

Der Sachse sprach nicht mehr von Schwabenkindern noch von Civilisationspuppen, er glaubte, die Eine gefunden zu haben, die er gesucht. Aber die Eine war nicht so leicht mehr zu gewinnen, nicht so leicht zu überzeugen, daß keine Art von Dankbarkeit oder Pflichtgefühl, sondern Liebe, wirkliche Liebe, ihn zu ihren Füßen führe; – er mußte noch abreisen ohne Hoffnung; Emma konnte den Gedanken nicht verwinden, daß sie sich ihm im buchstäblichen Sinn an den Hals geworfen.

»Aber 's ist nichts über's nicht nachlassen,« sagt ein schwäbisches Sprüchwort, und ein Jahr darauf ward auf den sonnigen Rebenhügeln bei Weinsberg ein zweites Herbstfest gefeiert, zu dem Arthur frei und öffentlich seine Emma führen durfte, – ein glückseliger Bräutigam, und Emma konnte es nun ertragen, daß man sie neckte mit der Lebensrettung vom vorigen Jahr und konnte lächelnd dem Geliebten erzählen, wie sie sein Gespräch in jener Nacht belauscht, das er ihr indeß viel tausendmal abgebeten hatte.

Auch ein junges Ehepaar stellte sich zur Vermehrung der Rührung der fröhlichen Gesellschaft dar. Minchen Eichelbeck, diesmal in amaranthrothem Gewand mit Dr. Halm, dem Privatdozenten der Weltgeschichte.

»Ich habe eine vortreffliche Hausfrau,« versicherte dieser mit einer für einen jungen Ehemann erstaunenswerthen Ruhe; »mit Geist und Reflexionen, ebenso mit unverstandnen Gefühlen belästigt sie mich nicht; ginge aber die Noth an Mann, so glaube ich, sie würde mich so gut, wie eine der alten Weinsberger Frauen heraustragen, vorausgesetzt, daß sie ihren neuen Sparherd auch mit aufladen könnte.«

Und Arthur hat den Krieg mit Töchterinstituten aufgegeben. Im frohen Besitz einer harmonischen, innerlich reichen Häuslichkeit, gibt er gerne zu, daß wahre Geistesbildung ein treues, gutes Frauenherz nicht verderbe, sondern nur schmücke, wie die edle Fassung einen ächten Diamant; nur darin wird er niemals ganz mit sich einig, ob seine Emma ein solches Kleinod sei, weil, oder obgleich sie in einer Töchterpension gewesen sei.