Christoph Martin Wieland
Auszüge aus Jakob Forsters Reise um die Welt
Christoph Martin Wieland

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Christoph Martin Wieland.

Auszüge aus Jakob Forsters Reise um die Welt.

Als diese Auszüge im Jahr 1778 im Mercur erschienen, hatten sie allen Reiz der Neuheit, sind aber auch jetzt noch, zumal in dem Zusammenhange, in welchen sie hier gestellt sind, interessant. Des Originals Titel ist: G. Forster, Voyage round the world. 2 Bde. Lond. 4. 1776, übers. von G. Forster selbst. (Berlin 1779 und 1783.) Aus Versehen wird Georg Forster, der Sohn, von Wieland hier Jakob genannt. Der Vater (Joh. Reinhold) schrieb Observations during a Voyage round the world Lond. 1778 4. (übers. Berl. 1783 8.). Die Reise unter dem Capitain Cook wurde von Vater und Sohn gemeinschaftlich gemacht.

1778.

 


 

»Drei verschiedene Seereisen waren unter Georg des III. Regierung bereits aus der edeln Absicht, Entdeckungen zu machen, gethan, als die vierte, auf seinen Befehl, nach einem vollkommnern Plan unternommen ward. Der erfahrenste Seemann unserer Zeiten, der Capitain Cook, zwei geschickte Sternkundige, die HH. Wales und Bayly, ein Gelehrter, der die Natur in ihrem Heiligthum studiren, Dr. Johann Reinhold Forster, und ein Maler, der die schönsten Formen derselben nachahmen sollte, Herr Hodges wurden auf Kosten der Nation dazu erlesen.« Sie haben ihre Reise in den Jahren 1772–75 vollbracht und die unmittelbar darauf folgenden Jahre dazu angewandt, die Welt an ihren verschiedenen Entdeckungen Antheil nehmen zu lassen.

»Die britische Regierung schickte und unterhielt den Herrn Dr. Forster auf dieser Reise als einen Naturkundiger, aber nicht etwa blos dazu, daß er Unkraut trocknen und Schmetterlinge fangen, sondern, daß er alle seine Talente in diesem Fache anwenden und keinen erheblichen Gegenstand unbemerkt lassen sollte. Mit einem Wort, man erwartete von ihm eine philosophische Geschichte der Reise, frei von Vorurtheil und gemeinen Trugschlüssen, worin er seine Entdeckungen in der Geschichte des Menschen und in der Naturkunde überhaupt, ohne Rücksicht auf willkürliche Systeme, blos nach allgemeinen menschenfreundlichen Grundsätzen darstellen sollte, d. h. eine Reisebeschreibung, dergleichen der gelehrten Welt bisher noch keine war vorgelegt worden.«

354 Es scheint nicht, daß dieser Plan und diese Absicht, weder was die Reise selbst, noch was die Beschreibung derselben betrifft, in ihrem ganzen Umfang und in der Vollkommenheit, die man sich gedacht, ausgeführt worden sey. Aber welcher Mensch, welcher Künstler, welcher andere Unternehmer, von dem, der es versucht, einen blosen Traum seiner Seele im Vorübergehen zu haschen und, was er auf einmal gesehen und gefühlt, uns stückweise in Worten vorzubilden, bis zu dem, der auf Entdeckung neuer Welten oder auf philosophische Berichtigung älterer Entdeckungen ausgeht, hat jemals seine Idee vollkommen ausgeführt, seinen Zweck ganz erreicht? Besonders ist das Vorhaben des letzten so unendlich complicirt, hängt von Augenblick zu Augenblick von so unendlich vielen Umständen, die zum Theil außer den Grenzen menschlicher Gewalt oder Klugheit liegen, ab und stößt bei jedem Schritt auf so unsäglich viele Schwierigkeiten, daß es ihm schlechterdings unmöglich ist, sich anders als bedingungsweise zu Ausführung irgend eines vorgezeichneten Plans anheischig zu machen.

Ohne in die besondern Umstände des in dem Vorbericht erwähnten Verfahrens der englischen Admiralität, welche dem Herrn Dr. Forster das Recht, diese Reise zu beschreiben, absprach, eindringen zu wollen, freuen wir uns, daß sein würdiger Sohn, Herr Jakob Forster, der auf der ganzen Reise ein geschickter und muthvoller Gefährte seines Vaters gewesen war, sich entschlossen, an dessen Stelle und mit Zuziehung seiner Tagebücher die gegenwärtige philosophische Beschreibung dieser merkwürdigen Seereise zu verfertigen.

Es ist immer der Mühe werth, jedem Manne zuzuhören, der uns seine Reise um die Welt erzählt. Wenn seine Entdeckungen an sich selbst auch nicht sehr wichtig wären, so 355 ist's uns doch, als ob sie dadurch einen größern Werth erhielten, daß sie ihm so viel gekostet haben, und daß er oft seine ganze Existenz daran setzen mußte, uns etwas Neues erzählen zu können. Ist aber der so weit gereisete Mann noch dazu ein Mann von vorzüglichen Fähigkeiten, aufgeklärtem Geist und Kenntnissen, die ihn in den Stand setzen, besser zu sehen, scharfsinniger zu vergleichen, richtiger zu schließen, als gemeine Seefahrer, um so schätzbarer werden uns seine Nachrichten; und ist es vollends noch ein junger Mann, dessen warmes Herz jeden Eindruck der Natur desto reiner und tiefer auffaßt, den neuen Gegenständen, die sie ihm darstellt, noch mit Liebe entgegen schlägt, und der, wenn er sich des Schönen und Großen, so er nicht nur gesehen, sondern auch genossen hat, wieder erinnert, mit Feuer und Begeisterung davon spricht: so weiß ich nicht, welches Gedicht, wenn auch das Werk der reichsten und glänzendsten Einbildungskraft, uns so viel Vergnügen machen könnte als eine solche Reisebeschreibung; zumal wo das Neue und Wunderbare, das Erstaunliche und Schreckliche, das Schöne und Anmuthige, kurz, Alles, wodurch der epische und dramatische Dichter die Seele seiner Hörer faßt und in alle Arten sympathetischer Leidenschaften setzt, hier immer abwechselnd sich vereinigen, lebhafte Eindrücke auf uns zu machen und das Gemüth beständig in einer theilnehmenden Stimmung zu halten.


Die Hauptabsicht der englischen Regierung bei dieser Entdeckungsreise war, sich gänzlich zu vergewissern, ob der fünfte, australische Welttheil, dessen Daseyn schon so lange als höchst 356 wahrscheinlich vorausgesetzt worden, wirklich vorhanden sey oder nicht. Zu diesem Ende war der Capitain Cook angewiesen, vom Vorgebirg der guten Hoffnung aus südwärts zu laufen und wo möglich Cap de la Circoncision zu finden, welches Herr de Loziers-Bouvet den ersten Jänner 1730 im vier und fünfzigsten Grad südlicher Breite und eilften östlicher Länge von Greenwich gesehen zu haben geglaubt hatte. Fände er solches, so sollte er untersuchen: ob es nur ein Theil einer Insel sey oder ob es zu dem in Hypothesi vorausgesetzten festen Lande gehöre. Im letzten Falle sollte er von diesem neuen Welttheil alle nur mögliche Erkundigungen einziehen, und besonders auch mit den Einwohnern freundlichen Umgang pflegen. Ließe es der Zustand der Schiffe und Lebensmittel zu, so sollte er die Entdeckung fortsetzen und so weit als nur möglich gegen den Südpol zu dringen suchen. Wäre aber jenes Bouvetsche Vorgebirg nur Theil einer Insel, oder könnt' es gar nicht gefunden werden: so sollte er, solang er noch Hoffnung hätte, ein großes oder festes Land zu finden, südwärts steuern, alsdann aber seinen Lauf nach Osten richten, um in hohen südlichen Breiten, so nah am Pol als thunlich, rund um die Welt zu segeln. Uebrigens war ihm, wie natürlich, überlassen, so oft die Jahrszeit den längern Aufenthalt in hohen Breiten gefährlich machte, sich unter milde Himmelsstriche an irgend einen bekannten Ort zurück zu ziehen, und überhaupt, in allen äußersten Nothfällen nach Gutdünken zu verfahren.

Das Unternehmen, im Bauch des künstlichen hölzernen Sturmvogels, den wir ein Schiff nennen, durch unbekannte, nie befahrene Meere auf Entdeckung einer neuen Erde, neuer Menschen, einer vielleicht in allen ihren Producten neuen Natur auszureisen, hat in der blosen Idee etwas so über 357 Alles, was wir kennen, Großes und Anziehendes, daß man sich nicht enthalten kann, die Glücklichen, denen ein solcher Vorzug vor so vielen Millionen Menschen zu Theil wird, mit beneidenden Augen anzusehen. In dem blosen Umstand, nach Vollendung des großen Abenteuers sich all der überstandnen unsäglichen Beschwerden und Gefahren wieder zu erinnern und sich selbst sagen zu können: Das Alles hast du erfahren – das Alles hast du ausgehalten, liegt eine Quelle von Vergnügen und herzerhöhendem Selbstgefühl, die allein hinreichend ist, einen Mann auf sein ganzes Leben glücklich zu machen, werth, durch edles Daransetzen seines Lebens erkauft zu werden! Indessen ist all das Ungemach, das unseren neuen Argonauten auf dieser kühnen Fahrt nach dem südlichen Polarcirkel aufstieß, das, was sie, aller zum voraus genommenen Verwährungsmittel ungeachtet, in diesen sturmvollen, kalten, unwirthlichen Weltgegenden wirklich zu leiden hatten (die immer neuen, immer wachsenden Gefahren und fürchterlichen Aussichten in ungewisse, aber doch immer vorschwebende noch größere Uebel nicht gerechnet), ich sage, dieß Ungemach, diese Beschwerlichkeiten und Leiden von so mancherlei Art sind gleichwohl so beschaffen, daß bei ihrer blosen Vorstellung den Herzhaftesten ein Grauen ankommen muß. Wir können unserem Autor auf diesem Theil seiner Reise, den er, nicht wie ein Seemann, sondern wie ein Naturforscher und wie ein Mensch (mitunter auch wie ein junger Mann, dem das Lesen der alten und neuern Dichter noch in frischem Andenken liegt) beschreibt, nur von fern und gleichsam mit einem Blicke folgen; wir müßten Alles abschreiben, wenn wir alles Bemerkenswürdige ausheben sollten. Seeleute von Profession sind der Stürme und alles Ungemachs, dem sich ein Landthier, wie der Mensch ist, in diesem 358 furchtbaren Element aussetzt, zu gewohnt und überdieß im Schreiben meistens zu wenig geübt, um uns Landleuten von solchen Scenen so lebhafte und detaillirte Schilderungen zu machen, wie wir sie verlangen. Hier einer aus unserem Mittel, der uns beschreibt, wie einem Jeden von uns an seinem Platze zu Muthe gewesen wäre; dieser Umstand macht allerdings für Leser von Gefühl jeden Zug seiner Erzählung doppelt interessant. Schon am zweiten Tage nach ihrer Abreise aus der Tafelbay (den vierundzwanzigsten November) gingen die Stürme an, vor denen sie nun vier Monate lang wenige einzelne Tage oder Stunden Ruhe haben sollten. Man stelle sich unsern Philosophen vor, dem in dem friedlichen Meere zwischen dem Wendecirkel die Reise um die Welt so leicht und angenehm vorgekommen war – jetzt, wie auf einmal in den ewigen Sitz heulender Winde und rasender Stürme versetzt, mitten unter fürchterlichen Wogen, die das Schiff aufs heftigste hin und wieder schaukeln und, indem sie sich häufig über demselben brechen, Alles mit einem Platzregen von Seewasser überschwemmen. Wer kein Seemann war (sagt Herr Forster mit aller Naivetät eines Erdesohnes, der die Linie zum ersten Male passirt hatte), wußte sich in diese neue Lage gar nicht zu schicken. Zwar gab es, aus Gelegenheit des heftigen Schwankens, wodurch täglich unter den Tassen, Gläsern, Weinflaschen, Schüsseln, Tischen und übrigem Hausgeräthe der Herren Reisenden gräuliche Verwüstung angerichtet wurde, mitunter noch Scenen, wobei sie lachen mußten; das war im Grunde doch nur ein schwacher Ersatz für einen Verlust, der in ihrer Lage eben so wichtig als unersetzlich war. »Das Uebelste dabei war, daß die Decken und Fußboden in allen Kajüten gar nicht trocken wurden, und das Heulen des Sturms im Tauwerk, das Brausen der Wellen, nebst 359 dem gewaltigen Hin- und Herwerfen des Schiffes, welches fast keine Beschäftigung verstattete, waren neue fürchterliche und höchst beschwerliche Scenen. Hierzu kam noch, daß ungeachtet sie sich erst im 42° südlicher Breite befanden, die Luft doch schon sehr kalt und scharf zu werden anfing, gleichwie auch der häufige Regen dem Schiffsvolk den Dienst noch schwerer machte.« – Indessen war das Alles nur Spielwerk gegen das, was ihnen noch bevorstand. Nachdem sie bis zum fünften December immer stürmisches Wetter, an diesem Tage aber, zum ersten Male seit ihrer Abreise vom Cap, wieder so gemäßigten Wind gehabt hatten, daß die höchsten Bramsegel aufgesetzt werden konnten, fiel am nämlichen Nachmittag schon wieder Regenwetter ein: in der Nacht ward es so kalt, daß der Thermometer von vierundvierzig auf 38° fiel, und Morgens früh gab's etwas Schnee; der Wind nahm zu und stürmte den siebenten so heftig, daß sie, wiewohl unter Begleitung immer zunehmender Schaaren von Sturmvögeln, nur noch mit einem Segel fahren konnten. Am achten gab ihnen der sogenannte See-Bambu (fucus buccinalis Linnei) der sich in Haufen um das Schiff sehen ließ, und verschiedne Pinguins, die unter einer Menge Pintaden und Albatrossen erschienen, Hoffnung, bald Land zu finden. Denn von dergleichen Felsenkraut und besonders von den Pinguins hatte man sonst immer geglaubt, daß sie niemals fern von der Küste angetroffen würden. Aber die Erfahrung bewies jetzt die Unzuverläßigkeit dieser Zeichen. In der Nacht vom neunten fing das Wasser in den Gefässen schon an am Rande zu gefrieren, wiewohl sie noch nicht weit über den fünfzigsten Grad südlicher Breite waren. Den folgenden Morgen war ein großer Eisklumpen, dem sie kaum noch ausweichen konnten, das Erste, was ihnen in die Augen fiel. Ein andrer 360 von gleicher Größe lag dicht vor ihnen, und ein dritter ragte ungefähr zwei Seemeilen vor dem Wind wie ein weißes Vorgebirg aus dem Meer hervor. Nachmittags fuhren sie bei einem andern Eisberge vorbei, der ungefähr zweitausend Fuß lang, vierhundert breit und zweihundert hoch war. Da die Masse des Eises über dem Wasser sich zu jener, die unter dem Wasser bleibt, wie eins zu neun verhält; so müßte dieß Stück, gesetzt, daß es ein regelmäßiges Viereck gewesen, im Ganzen zwei tausend Fuß hoch gewesen seyn und solchemnach eintausend sechshundert Millionen Cubikfuß Eis enthalten haben. Am eilften liefen sie an einer Eisinsel vorbei, die wenigstens eine halbe englische Meile lang war. Das Thermometer war vorher, wegen des schönen Sonnenscheins, von 36° auf einundvierzig gestiegen; wie sie aber dem Eis gegenüber kamen, sank es nach und nach auf 37½ herab, und, sobald sie vorbei waren, stieg es wieder zu 41. Die Wellen brachen sich mit solchem Ungestüm gegen diese Eisinsel, als ob es ein unbeweglich stehender Felsen gewesen wäre, und schlugen, ungeachtet sie nicht viel niedriger als die vorgedachte Eismasse war, dennoch so hoch hinan, daß der Schaum noch weit über sie hinaus spritzte, welches bei dem schönen Wetter einen herrlichen Anblick gab. Das Seewasser, das solchergestalt aufs Eis gejagt wird, friert wahrscheinlich dort fest, und dieß kann, wie Forster glaubt, zu Erklärung der Entstehungsart und Anhäufung desselben viel Licht geben.


Der Mensch glaubt leicht, was er hofft, und sieht bald, was er sehen will. Unsere Abenteurer sollten und wollten ein neues Land entdecken, und wenn es auch nur ein südliches 361 Grönland wäre, wozu ihnen einige Wallfische, die sich zwischen dem Eise zeigten, große Hoffnung machten. Sie befanden sich nun gerade unter der Polhöhe, in welcher Bouvet das Cap de la Circoncision gefunden haben wollte. Die Menge der Eismassen hatte bisher täglich zugenommen, und die Einbildung des Schiffvolkes stieg in gleicher Progression. Der geringste Umstand (sagt Herr Forster), wenn es auch nur ein schwarzer Fleck am Eise war, machte unsere ganze Aufmerksamkeit rege. Die vor uns liegenden Wolken wurden alle Augenblicke sorgfältig beobachtet, ob nicht irgend eine Bergspitze zum Vorschein käme; denn Jeder wollte gern der Erste seyn, Land! zu rufen. Unter Andern hatte der Glaube an Bouvets Entdeckung die Einbildungskraft eines Schiffslieutenants so erhitzt, daß er ein Mal übers andere auf den Mastkorb kletterte und endlich am vierzehnten December, Morgens sechs Uhr, dem Capitain sehr ernsthaft entdeckte, er sehe ganz deutlich Land. Alles kam aufs Verdeck. Wie man aber recht schaute, fand sich, daß es nichts als ein großes flaches Eisfeld war, hinter welchem, so weit das Auge reichte, eine Menge Eisinseln von allerlei Größe und Figuren emporstiegen; und, was Einigen Berge schienen, war ein bloser Effect der Strahlenbrechung. Indessen konnte doch Vielen die Einbildung, daß sie hier Land gesehen hätten, nicht eher benommen werden, als bis Capitain Cook im Februar 1775, auf seinem Wege vom Cap Horn nach dem Vorgebirg der guten Hoffnung, just über diesen nämlichen Fleck wegsegelte, wo aber damals weder Land noch Eis mehr zu sehen war.

Da unsere Seefahrer nunmehr gegen Süden hin nichts als große Eisfelder vor sich fanden und also, ungeachtet verschiedener, immer vergeblicher Versuche, sich zwischen dem Eise durchzuarbeiten, alle Hoffnung aufgeben mußten, auf diesem 362 Striche weiter vorzudringen: so steuerten sie nun, oft mitten durch große Strecken Packeis (gebrochenes Eis), gegen Osten. Schwere Hagel- und Schneeschauer verdunkelten die Luft beständig, und sie sahen sich überall von großen Eisinseln umgeben, daß dieser Anblick ihnen nun schon eben so gemein war, als Wolken und See. Indessen verloren sie doch ihre Bestimmung nie aus den Augen und lenkten ihren Lauf, sobald die See nur irgendwo etwas freier und offner war, wieder mehr nach Süden; aber immer mit einerlei Erfolg. Den siebzehnten Jänner 1773 passirten sie endlich den antarktischen Cirkel und traten also in den eigentlichen kalten Erdgürtel der südlichen Halbkugel, der bis dahin noch allen Seefahrern verschlossen geblieben war. Hier fanden sie eine neue Art von Sturmvögeln (Petrels), braun von Farbe, mit weißem Bauch und Rumpf und mit einem weißen Fleck auf den Flügeln gezeichnet, nicht mehr einzeln, wie etliche Tage zuvor, sondern bei Zwanzigen und Dreißigen auf einmal; daher sie ihnen den Namen des antarktischen Sturmvogels beilegten. Um fünf Uhr Nachmittags sahen sie mehr als dreißig große Eisinseln vor sich und am Horizont einen starken weißen Schein in der Luft, der noch mehr dergleichen verkündigte. Kurz nachher passirten sie durch viel kleines Brucheis, das löcherig, schwammig und schmutzig aussah und sich endlich so sehr anhäufte, daß, ungeachtet eines sehr frischen Windes, die wellenförmige Bewegung des Meeres dadurch gehemmt ward und die See ganz eben zu seyn schien. Ueber dieses Brucheis hinaus aber erstreckte sich gegen Süden, soweit das Auge vom Mast reichen konnte, ein unabsehliches Feld von festem Eis. Da nun keine Möglichkeit war, auf diesem Striche weiter durchzudringen, ließ Capitain Cook unter dem 67° 15' südlicher Breite die Schiffe umwenden und 363 gegen Nordost zu Nord steuern. Sie hatten also auf dieser ganzen südlichen Fahrt nirgends Land und außer Albatrossen, Pintaden, Pinguins, Sturmvögeln und Wallfischen keine Spur von lebendigen Wesen angetroffen.

Zwischen dem neunzehnten und neun und zwanzigsten Jänner zeigten sich ihnen wieder einige zweideutige Anzeigen, daß Land in der Nähe seyn könnte, z. B. die große nördliche Möve (Larus Catarrhactes) und ein kleiner schwarz und weißer Vogel, der eine Art von Eisvogel schien. Weniger zweideutig schien der Umstand, daß die See, ungeachtet des frischen Windes, ziemlich ruhig und eben war. Da nun zwei französische Seefahrer, die Herren von Kerguelen und St. Allouar im Januar 1772 in dieser Gegend Land entdeckt haben sollten, so gab sich Capitain Cook viel Mühe, sich von der Richtigkeit dieser Entdeckung zu überzeugen. Wiewohl aber alle seine Versuche fruchtlos abliefen, so scheint doch so viel daraus mit Gewißheit geschlossen werden zu können: daß jene französische Entdeckung nichts weiter als eine kleine Insel und nicht, wie man vermuthet, die nördliche Spitze eines unter diesem Himmelsstriche liegenden großen festen Landes sey.

Am achten Jänner verloren sie in einem außerordentlich dicken Nebel ihre bisherige treue Gefährtin, die Adventure, und sahen sich, nach zwei zum Aufsuchen derselben vergebens angewandten Tagen genöthigt, in dem wieder begonnenen beschwerlichen und gefahrvollen Lauf nach Süden allein fortzufahren.

In der Nacht vom sechzehnten und verschiedene folgende Nächte hinter einander gab ihnen die Natur, zu einiger Versüßung ihres Kummers, ein schönes Feuerwerk zum Besten. Es bestand in langen Säulen eines hellen weißen Lichts, die 364 sich am östlichen Theile des Gesichtskreises fast bis zum Scheitelpunkt herauf erhoben und nach und nach über den ganzen südlichen Theil des Himmels verbreiteten. – Kurz, es war eine (noch von keinem Reisenden, wie Forster glaubt) bemerkte Aurora australis, und von unsern Nordlichtern blos darin, daß sie nie eine andere als weißliche Farbe hatte, verschieden. Die Sterne sah man, wiewohl bei klarem Himmel, entweder gar nicht oder nur ganz blaß durchschimmern; und die Luft war dabei so scharf, daß das Thermometer gemeiniglich auf dem Gefrierpunkt stand.

Den vier und zwanzigsten Februar beschloß Herr Cook endlich, da sie unterm 62° südlicher Breite abermals nichts als Eisfelder antrafen, und die nunmehrige Jahreszeit fernern Entdeckungen in diesen Meeresgegenden allzu ungünstig war, für dieß Mal nicht weiter nach Süden zu gehen; doch steuerte er bis zum siebzehnten März zwischen dem 61 und 58° noch immer ostwärts, während welcher Zeit ein Ostwind, der gemeiniglich Nebel und Regen brachte, sie mehr als einmal in Gefahr setzte, an den hohen Eisinseln zu scheitern. Diese machten jetzt ihren beinahe einzigen, zwar gefährlichen und schauervollen, aber eben dadurch desto interessantern Zeitvertreib aus. »Ihre Gestalt (sagt Herr Forster) war mehrentheils sonderbar und des zertrümmerten Ansehns wegen oft malerisch genug. Unter andern kamen wir an einer vorbei, die von außerordentlicher Größe war und in der Mitte ein grottenähnliches Loch hatte, das durch und durch ging, so daß man das Tageslicht an der andern Seite sehen konnte. Einige waren wie Kirchthürme gestaltet; noch andre gaben unsrer Einbildungskraft freies Spiel, daraus zu machen, was sie wollte, und dienten uns, die Langeweile zu vertreiben, weil der tägliche Anblick von Seevögeln, Meerschweinen, 365 Seehunden und Wallfischen den Reiz der Neuheit längst verloren hatte.«

Ungeachtet aller der guten (im Vorberichte dieses Werks umständlich angegebenen) Präservative, womit sie sich auf die Reise ausgerüstet, namentlich des Sauerkrauts und der Bierwürze, wovon sie die besten Dienste erfahren hatten, zeigten sich nun bei einigen ihrer Leute starke Symptome von Scharbock, und alle waren des Ungemachs, das sie seit ihrer Abreise vom Vorgebirg in diesen stürmischen und kalten Himmelsgegenden ausgestanden, von Herzen überdrüssig. Auch die Landthiere, die sie am Bord hatten, konnten's nicht länger ausdauern. Ihre Schafe, die zum Geschenk an die Einwohner der Südseeinseln bestimmt waren, waren krätzig geworden und wollten nicht mehr fressen, und die Ziegen und Schweine hatten zwar geworfen, aber die Jungen kamen entweder todt zur Welt oder verklammten bald darauf vor Kälte. Da es bei so bewandten Umständen hohe Zeit für sie war, die höhern südlichen Breiten zu verlassen und einem Erfrischungsorte zuzueilen: so richteten sie ihren Lauf nordostwärts, in der Absicht, das Südende von Neu-Seeland zu erreichen.

Herr Forster stellt hier alle die Mühseligkeiten, die sie auf dieser ihrer ersten Fahrt gegen den Südpol überstanden, so zusammen, daß sie die Skizze zu mehr als einer großen Schilderei für künftige Maler und Dichter enthalten, die sich diese Reise zu Nutze zu machen wissen werden, um die Natur von ganz neuen Seiten darzustellen. – Wir wollen ihn wieder selbst reden lassen. – »Die schrecklichen Wirkungen und Folgen fürchterlicher Stürme, die der treffliche Geschichtschreiber von Ansons Reisen mit so natürlichen schwarzen Farben geschildert hat, waren gewisser Maßen nur die geringsten 366 unserer Plagen. Noch außer diesen mußten wir mit der Strenge eines ungewöhnlich rauhen Klimas kämpfen; Matrosen und Officiere waren beständig Regen, Hagel oder Schnee ausgesetzt; das Tau- und Takelwerk war durchaus mit Eis überzogen, und wehe den Händen, die daran arbeiten mußten! Unser Vorrath von frischem Wasser konnte nicht anders als mit Treibeis ersetzt werden, und das Aufnehmen desselben aus eiskaltem Seewasser ging ohne erfrorne und blutige Hände nicht ab. Unaufhörlich mußten wir befürchten, gegen die hohen Eismassen anzulaufen, womit der unermeßliche südliche Ocean gleichsam angefüllt ist; und dergleichen Gefahr kam oft so schnell und vielfältig, daß die Leute selten ihre gewöhnlichen Ruhestunden genießen konnten, sondern den Wachthabenden alle Augenblicke zu Hülfe kommen mußten. – Zu diesen Unannehmlichkeiten gesellte sich noch die düstre Traurigkeit, die unter dem antarktischen Himmel herrscht, wo sie oft ganze Wochen lang in undurchdringliche Nebel verhüllt zubringen mußten und des erfreulichen Anblicks der Sonne nur selten theilhaft wurden; ein Umstand, der allein schon vermögend ist, den Entschlossensten und Lebhaftesten niedergeschlagen zu machen« u. s. w.

Man kann sich also leicht vorstellen, wie entzückend ihnen nach einer mit so viel Mühseligkeit und Elend verknüpften Fahrt von hundert und zwanzig Tagen der Anblick der Küste von Neu-Seeland seyn mußte, an deren äußerster nordwestlichen Spitze (der einzigen, welche Capitain Cook auf seiner ersten Reise noch nicht untersucht hatte), sie den 26. März 1773 anlangten. Die Scene, die uns Herr Forster hier schildert, durch das Medium der vorherigen Beschreibung und also aus der Seele unsrer Seefahrer gesehen und gefühlt, hat (nach meinem Gefühl wenigstens) so viel Anziehendes, und beide 367 zusammen machen, ohne Kunst der Composition, durch die blose Wahrheit der Natur ein so großes rührendes Ganzes, daß wir uns nicht enthalten können, die ganze Stelle abermals mit den eignen Worten unsers Geschichtschreibers herzusetzen.

»Das Wetter war schön und in Verhältniß zu demjenigen, das wir bisher hatten empfinden müssen, recht erquickend warm. Sanft wehende Winde führten uns nach und nach bei vielen felsichten Inseln vorbei, die alle mit Bäumen und Buschwerk überwachsen waren, deren mannigfaltiges dunkleres Immergrün mit dem durch die Herbstzeit verschiedentlich schattirten Grün des übrigen Laubes malerisch vermischt war und sehr angenehm gegen einander abstach. Ganze Scharen von Wasservögeln belebten die felsichten Küsten, und das Land ertönte überall vom wilden Gesang der gefiederten Waldbewohner. Je länger wir uns nach Land und frischen Gewächsen gesehnt hatten, desto mehr entzückte uns nun dieser Prospect, und die Regungen der innigsten Zufriedenheit, welche der Anblick dieser neuen Scene durchgängig veranlaßte, waren in eines Jeden Augen deutlich zu lesen. Um drei Uhr Nachmittags kamen wir endlich unter der Spitze einer Insel vor Anker – wo wir der Küste so nah waren, daß man sie mit einem kleinen Tau erreichen konnte. Kaum war das Schiff in Sicherheit, als unsre Matrosen ihre Angeln auswarfen; und in wenig Augenblicken sah man an allen Seiten des Schiffs eine Menge vortrefflicher Fische aus dem Wasser ziehen, deren vielversprechender Anblick die Freude über unsre glückliche Ankunft in der Dusky-Bay ungemein vermehrte. Da wir so lange darauf gefastet hatten, so war es kein Wunder, daß uns diese erste neuseeländische Mahlzeit als die herrlichste in unserm ganzen Leben vorkam. Zum 368 Nachtisch ergetzte sich das Auge an der vor uns liegenden wildnißartigen Landschaft, die Salvator Rosa nicht schöner hätte zusammensetzen können. Sie war ganz im Geschmack dieses Künstlers und bestand aus Felsen, mit Wäldern gekrönt, deren Alter in die Zeiten vor der Sündfluth hinauf zu reichen schien, und zwischen welchen sich aller Orten Wasserbäche mit schäumendem Ungestüm herabstürzten. Doch hätte es bei Weitem nicht so vieler Schönheiten bedurft, um uns zu entzücken; denn nach einer langen Entfernung vom Lande ist es wahrlich sehr leicht, selbst die ödeste Klippe für das herrlichste Land in der Schöpfung anzusehen. Und aus diesem Gesichtspunkte muß man auch die feurigen Beschreibungen der wilden Klippen von Juan Fernandez und der undurchdringlichen Wälder von Timan in Ansons Reise um die Welt betrachten.«

Da die an Dusky-Bay angrenzende Gegend ihnen alle ihrem gegenwärtigen Bedürfnisse angemessene Bequemlichkeiten anbot, so beschloß Capitain Cook, hier einige Zeit zu verweilen. Unsre Naturforscher wandten diese Zeit an, sich mit den Reichthümern der Natur so bekannt zu machen, als es die schon ziemlich weit fortgerückte herbstliche Jahreszeit zuließ.

Der Hafen, wo sie vor Anker lagen, war eine kleine Bucht, so nah am Ufer, daß es mit einem Gerüste von wenigen Planken erreicht werden konnte. Die Natur selbst schien ihnen den Zugang durch einen großen Baum erleichtern zu wollen, der vom Ufer aus, in horizontaler Richtung, schief über das Wasser hin gewachsen war. Am Ufer selbst fanden sie nicht weniger Bequemlichkeit für das, was jetzt ihre dringendsten Bedürfnisse ausmachte. Die Bäume standen so nah am Schiffe, daß die Aeste bis an die Masten 369 hinreichten, und ein schöner Strom frischen Wassers floß nur einen Pistolenschuß weit hinter dem Schiffe. Sie ließen es nun ihre erste Arbeit seyn, einen nahgelegenen Hügel von Holz kahl zu machen, um die Schmiede und Sternwarte daselbst aufzustellen, und zugleich wurden für die Segelmacher, Böttcher, Wasserträger und Holzhauer am Wasserplatz Zelte aufgeschlagen. Diese Arbeiten gaben ihnen Gelegenheit, bald genug von der allzu günstigen Meinung zurückzukommen, die sie in der Entzückung des ersten Anblicks von diesem Lande gefaßt hatten. Denn die ungeheure Menge von Schlingstauden, Dornen, Strauchwerk und Farnkraut, womit die Wälder überall durchwachsen und überlaufen waren, machte es ungemein mühsam, ein Stück Landes zu reinigen. In der That (sagt unser A.) ist es nicht nur historisch wahrscheinlich, daß in diesem südlichen Theile von Neu-Seeland die Wälder noch unangetastet in ihrem ursprünglich wilden ersten Stande der Natur geblieben sind; sondern der Augenschein beweist solches beinahe unleugbar. Wir fanden es nicht nur, des obgedachten überhandgenommenen Unkrauts wegen, fast unmöglich, darin fortzukommen; sondern es lag auch überall eine Menge von verfaulten Bäumen im Wege, die entweder vom Wind umgeworfen oder vor Alter umgefallen und durch die Länge der Zeit zu einer fetten Holzerde geworden waren, aus welcher bereits neue Generationen von jungen Bäumen, parasitischen Pflanzen, Farnkräutern und Moosen reichlich wieder aufsproßten. Oft bedeckte eine täuschende Rinde das innere verfaulte Holz eines solchen umgefallnen Stammes, und, wer es wagte, darauf zu treten, fiel gemeiniglich bis mitten an den Leib hinein. Auch das Thierreich lieferte seiner Seits einen Beweis, daß dieser Theil des Landes bis jetzt noch keine 370 Veränderung von Menschen erlitten haben müsse; denn eine Menge kleiner Vögel schienen noch nie eine menschliche Gestalt gesehen zu haben, so unbesorgt blieben sie auf den nächsten Zweigen sitzen oder hüpften wohl gar auf den äußersten Enden unsrer Vogelflinten herum und betrachteten uns als fremde Gegenstände mit einer Neugierigkeit, die der unsrigen einiger Maßen gleichkam.«

Es ist leicht zu erachten, daß es in einem so beschaffnen Lande an neuen Gegenständen für unsre Naturforscher nicht fehlen konnte. Zwar setzten ihnen theils eben diese Wildheit desselben (indem das ganze Land um die Dusky- oder Dämmerungs-BayCapitain Cook hatte ihr diesen Namen schon auf seiner ersten Reise um Neu-Seeland, wo er sie nur gesehen, beigelegt. An der Stelle, wo das Schiff jetzt vor Anker lag, verursachte das vom Ufer herabhängende Buschwerk eine solche Dämmerung, daß es in den Kajüten, selbst bei hellem Wetter, immer dunkel blieb, und man bei bewölktem Himmel oft am Mittage Licht anstecken mußte. W. aus steilen felsigen Bergen besteht, die durch Klüfte von einander abgesondert und unterhalb mit dicken Wäldern bewachsen sind), theils die Jahrszeit und das fast immer nasse Wetter große Schwierigkeiten entgegen. Indessen wurde ihre Mühe doch durch Entdeckung vieler neuer Pflanzen- und Vögel-Arten und durch den Anblick großer herrlicher Naturscenen belohnt, unter denen wir, unsrer Absicht gemäß, nur die malerische Beschreibung eines Wasserfalls mit den Worten des Verfassers mittheilen wollen.

Als sie nach einem Wege von anderthalb englischen Meilen bei demselben angelangt waren, mußten sie den Berg, von welchem er sich stürzte, sechshundert Fuß hoch hinanklettern, ehe sie ihn völlig zu Gesichte bekamen. Von dort aus fanden sie die Aussicht groß und prächtig. Das Erste, was ihnen in die Augen fiel, war eine klare Wassersäule, die etwa vier und zwanzig bis dreißig Fuß im Umfang hält und sich mit reißendem Ungestüm über einen senkrechten Felsen aus einer Höhe von ungefähr dreihundert Fuß herabstürzt. Am vierten Theile der Höhe trifft diese Wassersäule auf ein hervorstehendes Stück desselben Felsen, 371 der von da an etwas abhängig wird und schießt sodann, in Gestalt einer durchsichtigen, ungefähr fünf und siebzig Fuß breiten Wasserwand, über den durchscheinenden flachen Felsenrücken hinweg. Während des schnellen Herabströmens fängt das Wasser an zu schäumen und bricht sich an jeder hervorragenden Ecke der Klippe, bis es unterhalb in ein schönes Becken stürzt, das ungefähr hundert und achtzig Fuß im Umfang hält und an drei Seiten durch eine ziemlich senkrechte Felswand, vorn aber von großen unordentlich über einander gestürzten Steinmassen eingeschlossen ist. Zwischen diesen drängt es sich wieder heraus und fällt am Abhang des Berges schäumend in die See herab. Mehr als dreihundert Fuß weit (fährt Herr Forster fort) fanden wir die Luft umher mit Wasserdampf und Dunst angefüllt, der von dem heftigen Fall entsteht und so dicht war, daß er unsre Kleider in wenigen Minuten dermaßen durchnäßte, als ob wir in dem heftigsten Regen gewesen wären. Wir ließen uns aber durch diese kleine Unannehmlichkeit nicht abhalten, ein so schönes Schauspiel von mehreren Seiten zu betrachten, und stiegen zu solchem Ende auf die höchsten Steine vor dem Bassin. Wenn man von hier aus in dasselbe herabsah, so zeigte sich ein vortrefflicher Regenbogen, der bei hochstehender Mittagssonne in den Dünsten der Cascade völlig cirkelrund und sowohl vor als unter uns zu sehen war. Außer und neben diesem Licht- und Farbenkreise war der Wasserstaub mit prismatischen Farben, aber in verkehrter Ordnung gefärbt. Zur Linken dieser herrlichen Scene stiegen schroffe braune Felsen empor, deren Gipfel mit überhängendem Buschwerk und Bäumen gekrönt waren. Zur Rechten lag ein Haufen großer Steine, den allem Ansehn nach die Gewalt des vom Berge herabströmenden Wassers zusammen 372 gethürmt hatte. Ueber diesem hinaus erhob sich eine abhängige Felsenschicht zu einer Höhe von hundert und fünfzig Fuß, und auf dieser war eine fünf und siebzig Fuß hohe senkrechte Felsenwand mit Grün und Buschwerk überwachsen. Weiter zur Rechten sah man Gruppen von gebrochnem Felsen, durch Moos, Farnkraut, Gras und allerlei Blumen verschiedentlich schattirt, den dort herkommenden Strom aber zu beiden Seiten mit Bäumen eingefaßt, die vermöge ihrer Höhe von ungefähr vierzig Fuß das Wasser deckten. Das Getöse des Falls war so heftig und hallte von den benachbarten Felsen so stark zurück, daß man keinen andern Laut davor unterscheiden konnte. Die Vögel schienen sich deßhalb etwas davon entfernt zu halten; weiter hin aber ließ sich die durchdringend helle Kehle der Drosseln, die tiefere Stimme des Bartvogels (Wattle Bird) und der bezaubernde Gesang verschiedner Baumläufer an allen Seiten hören und machte die Schönheit dieser wilden romantischen Gegend vollkommen. Als wir uns umwandten, sahen wir die weite Bay, mit kleinen waldigen Inseln besät, unter uns; über sie hinaus an der einen Seite das feste Land, dessen hohe mit Schnee bedeckte Berge bis an die Wolken reichten; an der andern aber verlor sich das Auge in den unabsehlichen Flächen des Oceans. Dieser Prospect (setzt Herr Forster hinzu) ist so bewundernswürdig groß, daß es der Sprache an Ausdrücken fehlt, die Majestät und Schönheit desselben der Natur gemäß zu beschreiben, und daß nur der künstliche Pinsel des auf die Reise mit ausgeschickten Malers Hodges im Stande war, dergleichen Scenen mit meisterhafter Täuschung nachzuahmen.

Die Kenntniß, die wir von den Einwohnern von Neu-Seeland durch Capitän Cooks erste Reise bekommen, hat durch diesen zweiten Besuch keinen sonderlichen Zuwachs erhalten. Die Dusky-Bay, in deren Gegend sie sich meistens aufhielten, macht einen Theil des südlichen Endes der Insel Tovy-Poännemu oder der südlichen Hälfte von Neu-Seeland aus, auf welcher man im Jahre 1770 größtentheils gar keine Einwohner angetroffen hatte. Dieser Umstand, nämlich die wenige Bevölkerung dieses wilden und gebirgigern Theiles von Neu-Seeland, hat sich auch durch diesen zweiten Besuch bestätigt. Unsre Reisenden faßten zwar anfangs eine bessre Hoffnung, da sie wenige Tage nach ihrer Ankunft ein paar Kähne mit Indianern zu sehen bekamen; allein diese, deren Zahl sich zusammen nicht über vierzehn erstreckte, waren so scheu, daß sie weder durch Freundschaftszeichen zum Annähern, noch durch die in ihren Hütten und Kähnen zurückgelassnen Geschenke zum Wiederkommen zu bewegen waren. Einige Tage hernach aber kam der Capitain, da er mit den beiden Herren Forster und dem Maler Hodges in einem Boot ausgefahren war, um die Nordseite der Bay genauer zu untersuchen und Zeichnungen aufzunehmen, bei einer kleinen Insel, die eine weit hervorragende Felsenspitze hatte, vorbei, wo sie einen Menschen sehr laut rufen hörten. Dieß bewog sie, näher zu kommen, und da zeigte sich's, daß er ein Indianer war, der, mit einer Streitaxt bewaffnet, auf der Felsenspitze stand; und hinter ihm erblickten sie in der Ferne am Eingang eines Waldes zwei mit Speeren bewaffnete Frauenspersonen. Sie riefen ihm in der Sprache von O-Tahaiti (von welcher die neuseeländische nur ein Dialekt ist) freundschaftlich zu, näher zu kommen; er blieb aber unbeweglich auf seine Keule gelehnt stehen und hielt in dieser Stellung eine lange Rede, die er bei verschiednen Stellen mit großer Heftigkeit aussprach und alsdann auch zugleich 374 die Keule um den Kopf schwenkte. Herr Cook fuhr fort, ihm sein Tayo, harre mai (Freund, komm her) zuzurufen und ihm zugleich einige Schnupftücher zuzuwerfen; aber ohne Wirkung. Endlich stieg Cook unbewaffnet und blos mit einigen Bogen weißem Papier in der HandDenn die weiße Farbe ist auch in Neu-Seeland ein Friedenszeichen, wovon Herr Forster verschiedene Beispiele anführt. W. auf den Felsen und reichte dem Wilden das Papier hin. Dieser zitterte nun am ganzen Leibe, nahm zwar das Papier an, verlor aber seine Furcht nicht eher, als bis der Capitän seine, des Indianers Nase, mit der seinigen berührte, welches in Neuseeland die Art, einander zu grüßen ist. Dieses Merkmal von Freundschaft machte den Wilden auf einmal so zahm und zutrauisch, daß er sogleich den beiden Weibern rief, herbeizukommen. Dieß thaten sie auch ungesäumt, und es erhob sich nun zwischen den Indianern und Herrn Cook und seinen Begleitern eine Unterredung, die um so viel interessanter war, weil – kein Theil den andern recht verstand. Herr Hodges zeichnete indessen ihre Gesichter ab. Der Mann hatte ein ehrliches gefälliges Ansehen, und die eine von den beiden Frauenspersonen, die sie für seine Tochter hielten, sah gar nicht so unangenehm aus, als sich's Herr Forster von einer Neuseeländerin vermuthet hatte; die andere hingegen war desto häßlicher und hatte ein ungeheures garstiges Gewächs an der Oberlippe. Sie waren Alle olivenfarbig, schwarz und lockig von Haaren und am obern Theile des Körpers wohl gebildet; die Beine hingegen außerordentlich dünne, übelgestaltet und krumm – welches sie in der Folge bei allen andern Neuseeländern, die ihnen zu Gesicht kamen, eben so fanden. Man bot den Indianern einige Fische und Enten an, sie warfen solche aber zurück und gaben zu verstehen, daß sie daran keinen Mangel hätten. Da die anbrechende Nacht unsre Reisenden zum Abschied nöthigte, sah ihnen 375 der Mann in ernsthafter Stille und mit einer Aufmerksamkeit nach, welche tiefes Nachdenken anzuzeigen schien; das junge Mädchen hingegen, die während ihrer Anwesenheit in Einem fort und mit so geläufiger Zunge, als Keiner von ihnen je gehört zu haben sich erinnerte, geplaudert hatte, fing nunmehr an zu tanzen und fuhr fort, eben so laut zu seyn als vorher. Des folgenden Tages kehrten sie mit Geschenken von Beilen, Nägeln und andern Sachen zu diesen Indianern zurück. Der Mann begriff nicht nur beim ersten Anblick den vorzüglichen Werth und Gebrauch der Beile und großen Nägel, sondern sah auch überhaupt Alles mit Gleichgültigkeit an, was ihm keinen Nutzen zu haben schien. Ein Zeichen einer vorzüglichen Sagacität und Beurtheilungskraft: uns dünkt es blos ein Zeichen, daß ihm der Gebrauch der Beile und Nägel schon bekannt war. Denn aus Allem, was Herr Forster von ihm erzählt, ist zu vermuthen, daß er sich in dieser wilden Gegend blos als ein Flüchtling aufhielt, der vor seinen Feinden sonst nirgends sicher war. Sie lernten bei diesem Besuche seine ganze Familie kennen, die aus zwei Frauen (worunter die mit dem Gewächs an der Lippe war), dem obgedachten jungen Mädchen, einem Knaben von etwa fünfzehn Jahren und drei kleinen Kindern bestand, wovon das jüngste noch an der Brust lag. Es wäre zu wünschen, daß unser Philosoph diese kleinen Kinder werth geachtet hätte, sie genauer zu besehen; wäre es auch nur gewesen, um uns deutlicher zu machen, ob die Ungestalt der Neuseeländer an den Schenkeln, Knieen und Beinen ein Werk der Natur oder zufälliger Umstände sey. Sie gingen mit diesen Indianern nach ihrer Wohnung, die wenige Schritte im Walde lag und aus zwei Hütten von der simpelsten und primitivsten Bauart bestand. Denn es waren 376 blos etliche pyramidenförmig in der Spitze zusammengelehnte Stangen, mit Blättern ihrer Flachspflanze und drüberher mit Baumrinde gedeckt. Um die Geschenke des Herrn Cook zu erwiedern, ließen sie sich's etliche Streitäxte kosten; von den Speeren, die ihnen das Unentbehrlichste scheinen mochten, wollten sie keinen abgeben. Die zwischen dieser indianischen Familie und unsern Seefahrern angefangene Freundschaft wurde durch verschiedene Besuche und Gegenbesuche fortgesetzt; sie konnten es aber, ungeachtet einer ihrer Seesoldaten ziemlich viel von der Landessprache verstehen wollte, nie bis zu einer mündlichen Unterredung bringen, weil diese Familie eine besonders harte und unverständliche Aussprache hatte. Vielleicht war es ein besonderer Dialekt, der in einer Gegend gesprochen wurde, wohin Herr Cook auf seiner ersten Reise nicht gekommen war, und wo das Haupt dieser Familie vor der Revolution, die vielleicht seine Horde zerstört und ihn selbst in diese kleine Insel am wildesten und unbewohntesten Ende des Landes zu flüchten gezwungen, eine angesehene Person oder gar einen Anführer vorgestellt hatte. Vielleicht hatten die Feinde seines Hippäh oder seiner Horde den über sie erlangten Sieg den Beilen und Nägeln zu danken, die sie bei Cooks erstem Aufenthalt in Neu-Seeland bekommen; und so erklärte sich dann auf eine ganz natürliche Art sowohl sein oben bemerktes nachdenkendes Wesen, als der Werth, den er sogleich beim ersten Anblick auf Beile und Nägel zu setzen schien. Ein Umstand, der die Vermuthung, daß dieser Neuseeländer kein gemeiner Mann gewesen, wahrscheinlicher macht, scheint dasjenige zu seyn, was Herr Forster bei Gelegenheit eines Besuchs, den er auf dem Schiffe ablegte, von seiner natürlichen Unerschrockenheit erzählte: da er nämlich, wie er ihre Leute schießen sah, Lust 377 bekam, es auch zu versuchen, und, ungeachtet das junge Mädchen, seine vermeinte Tochter, ihn fußfällig mit den größten Zeichen der Angst davon abzuhalten suchte, das Gewehr drei- oder viermal hinter einander abfeuerte, ohne einige Furcht blicken zu lassen. Auch von diesem Mädchen, das er damals ganz allein mit sich auf das Schiff genommen hatte, und das, so wie er selbst, mit einem Speer bewaffnet war, erzählt uns der Verfasser einen merkwürdigen Zug. Sie hatte verschiedene Tage zuvor, als unsre Reisenden zu ihnen an ihr Ufer hinübergekommen waren, eine besondere Neigung und Zudringlichkeit zu einem jungen Matrosen gezeigt, den sie ihrem Betragen nach für eine Person ihres Geschlechts zu halten schien; nachher aber wollte sie ihm, ohne daß man eine andre Ursache errathen konnte, als daß er sich vielleicht einige Freiheiten bei ihr herausgenommen, nie wieder erlauben, ihr nahe zu kommen. An Menschen, mit denen man nicht reden kann, wird Alles zu Räthsel. Was unsre obige Vermuthung am meisten zu bekräftigen scheint, ist dieß, daß diese Familie mit allen von den Europäern empfangenen Geschenken eines Morgens, in Abwesenheit des Capitains Cook, auf einmal unsichtbar wurde. Der Mann (sagte das Schiffsvolk) hätte bei seinem Abzug durch Zeichen zu verstehen gegeben, er wolle aufs Todtschlagen ausgehen und dazu die Beile gebrauchen. Vermuthlich glaubte er sich nun im Stande, seine zerstreuten Anhänger wieder zusammen zu bringen, sie vortheilhafter zu bewaffnen und solchergestalt wieder die Oberhand über seine Feinde zu erhalten.

Außer dieser Familie kamen unsern Abenteuern nur wenige andre Eingeborne zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten zu Gesichte, so daß die ganze Bevölkerung der Dusky-Bay sich vielleicht nicht über drei oder vier 378 Familien erstreckte. Ungeachtet dieser geringen Anzahl schienen diese Indianer den Gedanken, »daß sie sich verkriechen müßten,« nicht ertragen zu können; wenigstens verstecken sie sich nicht, ohne vorher versucht zu haben, ob sie mit den Fremden in Verbindung kommen und erfahren können, wie sie gesinnt sind. Bei der Menge von Inseln und Buchten und der dicken Wälder wegen, die es hier gibt, würde es uns (sagt Herr Forster) unmöglich gewesen seyn, die Familie ausfindig zu machen, die wir auf der kleinen Insel sahen, wenn sie sich nicht selbst entdeckt und die ersten Schritte zur Bekanntschaft gethan hätte. Auch würden wir diese Bucht hier (diejenige, wo sie noch mit zwei oder drei Familien bekannt wurden) verlassen haben, ohne zu wissen, daß sie bewohnt sey, wenn die Einwohner bei Abfeurung unsers Gewehrs uns nicht zugerufen hätten. In beiden Fällen ließen sie meines Erachtens eine offenherzige Dreistigkeit und Ehrlichkeit blicken, die ihrem Charakter zur Empfehlung gereicht; denn, hätte selbiger die mindeste Beimischung von heimtückischem Wesen gehabt, so würden sie (was ihnen sehr leicht gewesen wäre) gesucht haben, uns unversehens zu überfallen u. s. w. In der That läßt sich aus Allem, was man uns von den Neuseeländern meldet, der Schluß ziehen, daß eine Anlage in ihnen liegt, aus welcher durch Cultur eine sehr edle Art von Menschen werden könnte. Indessen wissen wir doch von ihren dermaligen Sitten und Gebräuchen unsern verfeinerten Landsleuten kaum etwas Anderes zur Nachahmung anzupreisen, als die Mode, einander mit Berührung der Nasen zu grüßen oder, wie es die englischen Matrosen nennen, einander zu nasen; und wir können nicht umhin, anstatt des minder ehrerbietigen und allzuvertraulichen Küssens (welches überdieß zuweilen noch andere Unbequemlichkeiten hat) die 379 Einführung des Nasens beim Grüßen und Abschiednehmen in Vorschlag zu bringen.

Eh wir Dusky-Bay verlassen, sey uns erlaubt, noch ein Gemälde von derjenigen Art, worin unser Verfasser ein Meister ist, auszuziehen, das die Veränderung betrifft, die ein einziges europäisches Schiff in wenigen Tagen in der Gestalt dieses wilden Heiligthums der Natur hervor brachte. Ein Gemälde, das uns dadurch um so viel lieber wird, weil es, beinahe sollte man denken, ohne Absicht des Verfassers, ein wahres Bild der großen menschlichen Vanitas Vanitatum und gleichsam ein kurzer Auszug ist der ganzen Geschichte unsrer hochgerühmten Künste und des ewigen Entstehens und Verschwindens aller Werke, womit Menschenwitz und Menschenhände den Erdboden zieren und – verunzieren.

»Die Vorzüge einer civilistrten Verfassung über den rohen Zustand des Menschen fielen durch nichts deutlicher in die Augen (sagt unser Verfasser), als durch die Veränderungen und Verbesserungen, die auf dieser Stelle (die sie nun im Begriff waren wieder zu verlassen) vorgenommen worden waren. In wenig Tagen hatte eine geringe Anzahl unserer Leute das Holz von mehr als einem Morgen Landes weggeschafft, welches fünfzig Neu-Seeländer mit ihren steinernen Werkzeugen in drei Monaten nicht würden zu Stande gebracht haben. Den öden wilden Fleck, wo sonst unzählbare Pflanzen sich selbst überlassen wuchsen und wieder vergingen, hatten wir zu einer lebendigen Gegend umgeschaffen, in welcher hundert und zwanzig Mann unablässig auf verschiedene Weise beschäftigt waren:

quales apes aestate nova etc.   Virgil.Wie Bienen im neuen Frühling – Das Gleichniß thut hier unstreitig das Beste – und beweist am Ende doch, daß die Menschen, um das Gemälde ihrer künstlichen Geschäftigkeit zu verschönern, der Natur die Farben abborgen müssen. W.

Wir fällten Zimmerholz, das ohne uns durch Zeit und Alter umgefallen wäre und verfault seyn würde, und unsere 380 Bretschneider sägten Planken daraus, oder es ward zu Brennholz gehauen. Hier, an einem rauschenden Bache, dem wir einen bequemen Ausfluß in die See verschafften, stand die Arbeit unserer Böttcher, ganze Reihen von neuen oder ausgebesserten Fässern, um mit Wasser gefüllt zu werden. Dort dampfte ein großer Kessel, in welchem aus inländischen, bisher nicht geachteten Pflanzen ein gesundes, wohlschmeckendes Getränke für unsere Arbeiter gebrauet wurde. Unweit davon kochten unsere Leute vortreffliche Fische für ihre Cameraden, die zum Theil an den Außenseiten und Masten des Schiffes arbeiteten, um solches zu reinigen, zu kalfatern und das Tauwerk wieder in Stand zu setzen. So verschiedene Geschäfte belebten die Scene und ließen sich mit mannigfaltigem Geräusche hören, indeß der benachbarte Berg von den abgemessenen Schlägen der Schmiedehämmer laut wiederhallte. Selbst die schönen Künste blühten in dieser neuen Colonie auf. Ein Anfänger in der Kunst zeichnete hier in seinem Noviziat die verschiednen Thiere und Pflanzen dieser unbesuchten Wälder; die romantischen Prospecte des wilden rauhen Landes hingegen standen mit den glühenden Farben der Schöpfung geschildert da, und die Natur verwunderte sich gleichsam, auf des Künstlers Staffelei so richtig nachgeahmt zu erscheinen. Auch die höhern Wissenschaften hatten diese wilde Einöde mit ihrer Gegenwart beehrt. Mitten unter den mechanischen Werkstätten ragte eine Sternwarte empor, die mit den besten Instrumenten versehen war, durch welche der Sternkundigen wachender Fleiß den Gang der Gestirne beobachtete. Die Pflanzen, die der Boden hervorbrachte, und die Wunder des Thierreichs in Wäldern und Seen beschäftigten die Weltweisen, deren Stunden bestimmt waren, ihren Unterschied und Nutzen auszuspähen. Kurz, überall, wo wir nur hin 381 blickten, sah man die Künste aufblühen, und die Wissenschaften tagten in einem Lande, das bis jetzt noch eine lange Nacht von Unwissenheit und Barbarei bedeckt hatte. – Allein dieß schöne Bild der erhöhten Menschheit und Natur war von keiner Dauer. Gleich einem Meteor verschwand es fast so geschwind, als es entstanden war. Wir brachten unsere Instrumente und Werkzeuge wieder zu Schiffe und ließen kein Merkmal unseres Hierseyns, als – ein Stück Land, das von Holz entblöst war. Zwar hatten wir eine Menge von europäischem Gartengesäme der besten Art daselbst ausgestreut; allein das Unkraut umher wird jede nützliche Pflanze bald genug wieder ersticken, und in wenig Jahren wird der Ort unseres Aufenthalts nicht mehr zu kennen, sondern zu dem ursprünglichen chaotischen Zustande des Landes wieder herabgesunken seyn. Sic transit gloria mundi! Augenblicke oder Jahrhunderte der Cultur machen in Betracht der vernichtenden Zukunft keinen merklichen Unterschied.«


Den fünften Mai 1773 segelten unsere Abenteurer aus Dusky-Bay in Neu-Seeland nach dem aus Capitain Cooks erster Reise bekannten Charlotten-Sund, wo sie den achtzehnten anlangten und die nicht mehr gehoffte Freude hatten, die Adventure, von der sie den achten Jänner während eines außerordentlichen Nebels getrennt worden waren, wieder zu finden. Sie hielten sich nicht länger hier auf, als vonnöthen war, um beide Schiffe wieder segelfertig zu machen.

Das Meiste, was Herr Forster während dieses kurzen Aufenthalts von den Einwohnern dieses merkwürdigen Landes wahrgenommen, bestätiget das Gute, was im neunten 382 Hauptstück des III. Bandes des Hawkeswortischen Werkes von ihnen gesagt wird.

So nachtheilig eine größere Cultur und Bekanntschaft mit unseren Künsten und feinern Bedürfnissen den glücklichen, nichtsbedürfenden Lieblingskindern der Natur in O-Tahiti und den übrigen Gesellschafts-Inseln aller Wahrscheinlichkeit nach seyn möchte: so viel hätten hingegen die Neu-Seeländer dabei zu gewinnen, gegen welche sich die Natur so karg erwiesen hat, daß sie sich, ohne Hülfe unserer Künste und Einrichtungen, unmöglich jemals aus ihrem armseligen Zustande empor arbeiten können. Denn eben dieser allzu dürftige Zustand scheint die einzige, aber ohne fremde Beihülfe unüberwindliche Ursache zu seyn, warum dieß Volk, in welchem so viel herrliche Kräfte und Fähigkeiten zu schlummern scheinen, nie zur Entwicklung derselben gelangen wird, solange es sich selbst überlassen bleibt. Es ist wirklich ein trauriger Anblick, wenn wir ein Volk, das sich, unter günstigern Umständen und mit den gehörigen Hülfsmitteln, in wenigen Jahrhunderten vielleicht zu etwas Besserm als Spartaner und Römer ausbilden könnte, durch die blose Schwierigkeit, ihr Leben zu erhalten, genöthigt sehen, sich selbst unter einander aufzureiben und gerade durch die daher entstehende Entvölkerung ihres Landes und Trennung der Einwohner in lauter sehr kleine, in ewigem Kriege unter einander lebende Gesellschaften die Möglichkeit eines glücklichern Zustandes sich selbst immer an der Wurzel abzuschneiden. Was die Erfahrung längst als eine große Wahrheit bestätigt hat, daß Noth und Dürftigkeit auch die edelsten Naturen endlich zusammendrückt, abwürdiget, kleinmüthig, mißtrauisch und der niedrigsten Handlungen fähig macht, zeigt sich vielleicht nirgends in einem stärkern Licht als unter den Indianern von Neu-Seeland. 383 Von Natur herzhaft, unerschrocken, großmüthig und zutraulich, macht sie das Gefühl ihrer Schwäche feig, mißtrauisch und menschenscheu. Sie scheinen den Werth der friedsamen häuslichen Glückseligkeit so stark zu fühlen, als irgend ein Volk in der Welt, und leben immer unsicher, in einem ewigen Hobbesianischen Kriegsstande. Ihr Herz ist offen, treu, dankbar, gefühlvoll für Ehre und Schmach, mit einem Wort, edel und menschlich – und sie sind Menschenfresser. Ungeachtet ihre sittlichen Gefühle nicht zu deutlichen Begriffen und zusammenhangenden Grundsätzen entwickelt seyn können, so glaubt man doch, selbst durch die Hülle der höchst unvollkommnen Nachrichten, die uns unsre europäischen Abenteurer von ihnen geben können, das Selbstgefühl einer edlern Natur durchscheinen zu sehen, die unwillig darüber ist, sich durch die Noth erniedrigt zu sehen, zu thun oder zu leiden, was eines Menschen unwürdig ist. Der unendliche Nutzen, den ihnen in ihrem armseligen Zustande das europäische Eisenwerk, Beile, Messer, große Nägel und dergleichen schaffen können, setzt zwar ihre erregte Begierlichkeit der Verführung unserer Seefahrer aus; sie geben, um dieses Gewinnstes willen, ihre Schwestern und Töchter PreisMan vergesse gleichwohl nicht, daß ein paar große Nägel für eine Neu-Seeländerin wenigstens eine eben so große Versuchung sind, als eine Riviere von Diamanten für eine hübsche Putzmacherin in Paris oder London. W.: aber man sieht, daß sie es ungern thun, und nichts kann sie dahin bringen, auch ihre verheiratheten Frauen der Entehrung zu überlassen; und Herr Forster (der überhaupt nicht dazu gestimmt scheint, die Neu-Seeländer in einem verschönernden Lichte zu sehen) gesteht, daß auch unter jenen Weibsbildern manche nicht anders, als mit dem äußersten Widerwillen und durch ihre eigenen Verwandten gezwungen, dahin zu bringen gewesen, »sich den Begierden solcher Kerle preiszugeben, die ohne Empfindung ihre Thränen sehen und ihr Wehklagen hören konnten.«

384 Die empfindsame Anmerkung, welche Herr Forster bei dieser Gelegenheit macht, über den moralischen Schaden, womit die Neu-Seeländer die wenigen Vortheile, so sie von dem Besuch der engländischen Seefahrer gezogen, bezahlen müßten, ist nur zu sehr begründet – und, wenn wir uns nicht sehr irren, kann das ihnen dadurch zugefügte Unrecht auf keine andere Weise vergütet werden, als daß man sich ein ernstliches Geschäfte daraus mache, sie nun völlig zu policiren und ihnen, da sie doch einmal etwas von unsern gefährlichen Gaben gekostet haben, lieber vollends Alles gebe – die ganze Büchse der Pandora mit allem Guten und Bösen, was sie enthält. In ihren Umständen haben sie nichts mehr dabei zu verlieren, hingegen sehr viel zu gewinnen. Aber was ficht die Europäer der Zustand eines armen rohen Volkes am Ende der Welt an, bei dem nichts zu holen ist, als, wenn es hoch kommt, Mastbäume und ein paar Raritäten für Kunst- und Naturalien-Cabinete, deren man um eine Hand voll Nägel genug von ihnen haben kann.


Wir eilen mit unseren Argonauten nach diesem berühmten O-Tahiti, welches seit der ersten Nachricht, die uns Herr von Bougainville davon gegeben, eine Art von Schlaraffenland oder Pays de Cocagne für unsere Europäer geworden ist – nach dieser glücklichen Insel, wo wir mit Recht so erstaunt sind unsere Lieblingsträume von arkadischer Unschuld, Einfalt, Ruhe und kummerfreiem Wohlleben eines Volkes, das in ewiger, unbesorgter, lieblicher Kindheit an den Brüsten der Natur hängt – realisirt zu sehen – nach dieser Insel, wo der weniger dichtrische Menschenforscher selbst, so 385 unbefriedigend er alle bisherige Nachrichten von ihren Bewohnern findet, doch immer genug sieht, um nach einer genauen, vollständigen, durchaus wahren Kenntniß derselben lüstern zu werden. Was uns Herr Forster nach einem blos vierzehntägigen Aufenthalt davon sagt und sagen kann, ist zwar ein bloßer Nachtrag zu dem ausführlichern Bericht, den wir dem Herrn von Bougainville und dem Beschreiber der ersten Reise des Capitain Cook zu danken haben. Denn Herr Forster wollte nichts wiederholen, was man dort schon gelesen hat – aber unterhaltend und schätzbar ist dieser Nachtrag durch viele kleine Anekdoten und individuelle Züge, die uns diesen holden Geschöpfen, in denen wir die Natur sich verjüngern und das kindliche Alter der Menschheit wiederkehren sehen, näher bringen, und die dem Weisen unendlich willkommner sind, als abgezogene Resultate, studirte Hypothesen und idealisirte Abbildungen oder vielmehr Vorspieglungen, womit wir uns so oft anstatt echter Geschichtserzählungen und lebendiger Bilder abspeisen lassen müssen.


»Ein Morgen war's! (singt Herr Forster im höhern Ton) schöner hat ihn schwerlich je ein Dichter beschrieben, an welchem wir die Insel O-Tahiti zwei Meilen vor uns sahenHerr Forster (damals noch ein sehr junger Mann) war noch ganz voll von seinen Dichtern und bedachte wohl nicht, als er diese Zeile hinschrieb, daß seine Dichter sich glücklich geachtet haben würden, einen solchen Morgen, wie ihm hier zu Theil ward, wirklich zu sehen – und daß die Einbildungskraft in solchen Dingen immer unter der Natur bleibt. W.. Der Ostwind, der uns bis hierher begleitet, hatte sich geleget; ein vom Lande wehendes Lüftchen führte uns die erfrischendsten und herrlichsten Wohlgerüche entgegen und kräuselte die Fläche der See. Waldgekrönte Berge erhoben ihre stolzen Gipfel in mancherlei majestätischen Gestalten und glühten im ersten Morgenstrahl der Sonne. Unterhalb derselben erblickte das Auge Reihen von niedrigern sanft abhängenden 386 Hügeln, die, den Bergen gleich, mit Waldung bedeckt und mit verschiedenem Grün und herbstlichem Braun schattiret waren. Vor diesen her lag die Ebne, von tragbaren Brodfruchtbäumen und unzählbaren Palmen beschattet, deren königliche Wipfel weit über jene hervorragten. Noch erschien Alles im tiefsten Schlaf; kaum tagte der Morgen, und stille Schatten schwebten noch auf der Landschaft dahin. Allmählig aber konnte man unter den Bäumen eine Menge von Häusern unterscheiden und Kanots, die auf dem sandigen Strand herauf gezogen waren. Eine halbe Meile vom Ufer lief eine Reihe niedriger Klippen parallel mit dem Lande hin, und über diese brach sich die See in schäumender Brandung; hinter ihnen aber war das Wasser spiegelglatt und versprach den sichersten Ankerplatz. Nunmehr fing die Sonne an, die Ebene zu beleuchten. Die Einwohner erwachten, und die Aussicht begann zu leben.«

Kaum war das Schiff bemerkt, so eilte Alles dem Strande zu, und einige Kähne stießen ab, um die Neuangekommenen mit Darbietung eines grünen Pisang-Schosses und häufigem Zuruf des Worts Tayo (Freund) zu begrüßen und sich ihrer Freundschaft zu versichern. Der grüne Pisangzweig wurde auf ihr Verlangen an das Tauwerk des Hauptmasts befestiget, wo er von Jedermann gesehen werden konnte und das Zutrauen der Insulaner zu den Fremden unverletzlich befestigte. Die zuerst Herbeigekommnen kehrten zu den Ihrigen ans Land zurück, und bald war das ganze Ufer mit Menschen bedeckt. Das Schiff sah sich in kurzer Zeit von einigen hundert Kähnen umgeben, in jedem zwei, drei bis vier Mann, Alle, zum Beweis ihres ganz argwohnlosen Vertrauens, unbewaffnet. Von allen Seiten her erschallte das süße freundschaftliche Tayo und wurde von den Neuangekommenen so gut erwiedert, als sie konnten und wußten.

387 Mich, ich gesteh' es unverhohlen, wenn ich mir den Contrast denke zwischen der offnen, warmen, kunstlosen Gutherzigkeit dieser Kinder der Natur und aller der Freundlichkeit und Gutartigkeit, deren ein Schiff voll – englischer Seeleute fähig ist – mich wandelt dabei ein Schauder an; und es ist mir ungefähr eben so dabei zu Muthe, als wenn ich einen Zieraffen von einer wohldressirten und auf ihre Kunst einstudirten französischen Gouvernante einem holden deutschen Mädchen von dritthalb Jahren liebkosen sehe.


Herr Forster fing sogleich an, durch die Kajütenfenster mit seinen neuen Freunden – um Naturalien zu handeln. In einer halben Stunde hatte er schon etliche Vögel und eine Menge Fische. Die Farben der letzten waren, solange sie lebten, von ausnehmender Schönheit; daher Herr Forster auch sogleich diesen Morgen dazu anwendete, sie zu zeichnen und die hellen Farben aufzulegen, eh sie mit dem Leben verschwanden. – Ich bemerke diesen Umstand nicht, um Herrn Forster zu tadeln; er war nun einmal ein Naturalienforscher und Sammler; Fische und Pflanzen nach der Natur abzuzeichnen, war ein wesentlicher Theil seiner Bestimmung und Pflicht. Ich bedaure nur, daß bei einer solchen Reise nicht auch einmal Einer bestellt wird, der keine andere Pflicht noch Bestimmung hat, als die neuen Menschen, die ihm vorkommen, zu forschen und nach dem Leben abzuzeichnen. Menschen sind doch wohl auch Naturalien, was auch die königliche Gesellschaft zu London davon denken mag.

Indessen ließ Herr Forster gleichwohl die Menschen nicht ganz aus der Acht, und, was er von ihnen sagt, bestätiget 388 den liebenswürdigen Charakter, der den Einwohnern der Societäts-Inseln von allen Europäern, die zu ihnen gekommen, beigelegt wird und sie von allen Völkern der Welt unterscheidet. Die Leute, die uns umgaben, sagt er, hatten so viel Sanftes in ihren Gesichtszügen als Gefälliges in ihrem Betragen. – Es dauerte nicht lange, so kamen verschiedene dieser guten Leute an Bord. Das ungewöhnlich sanfte Wesen, der Hauptzug ihres Nationalcharakters, leuchtete sogleich aus allen ihren Geberden und Handlungen hervor. Die äußeren Merkmale, wodurch sie uns ihre Zuneigung zu erkennen zu geben suchten, waren von verschiedener Art; Einige ergriffen unsere Hände, Andere lehnten sich auf unsere Schultern, noch Andere umarmten uns. Zu gleicher Zeit bewunderten sie die weiße Farbe unserer Haut und schoben uns zuweilen die Kleider von der Brust, als ob sie sich erst überzeugen wollten, daß wir eben so beschaffen wären, als sie.

Man erinnere sich aus Bougainville's und D. Hawkesworths Nachrichten, daß eben diese so ungemein sanften Menschen die empfindlichsten Geschöpfe von der Welt sind, daß es ihnen nicht an Muth fehlt, Beleidigungen zu rächen, daß sie mit ihren Waffen sehr wohl umzugehen wissen und mit einigen Völkerschaften benachbarter Inseln in beständiger Fehde leben. Ihre Sanftheit und Güte ist also nicht phlegmatische Schwäche. Diese höchste Sanftheit, mit so reizbaren Sinnen, solchem Feuer der Leidenschaft, so viel Herz und Unerschrockenheit, macht zusammen den schönsten, menschlichsten Geschlechtscharakter aus, den ich – der die weite Welt nur aus Büchern kennt – in allen Zeiten und Strichen des Erdbodens jemals gefunden habe.


389 Hundertmal, wenn ich die unaussprechliche Liebenswürdigkeit der menschlichen Natur im zweiten und dritten Jahre der Kindheit – diese so wunderbar angenehme und reizvolle Composition von Unwissenheit und Neugierde, Sorglosigkeit und Aufmerksamkeit, Liebe und Selbstheit, traulicher Gutherzigkeit und äußerster Zornfähigkeit, Nachgiebigkeit und Eigensinn, Schlauheit und Einfalt, diese offne Unbefangenheit der Seele; dieses Aufdämmern der Vernunft aus dem dunkeln Gewirr des Gefühls; diese zarte Beweglichkeit aller Sinne; diese lautre Reinheit jedes Naturtriebs, diese Wahrheit und Innigkeit aller Begierden, Zuneigungen und Bewegungen des Herzens, in Lust und Schmerz, Freude und Betrübniß, Liebe und Haß; diese glückliche Geneigtheit, alles Uebel, sogleich wie es nicht mehr gegenwärtig gefühlt wird, alle Beleidigungen im Moment, wie sie aufhören, wieder zu vergessen; diese reine Stimmung aller Saiten des Gefühls zu Allem in der Natur, was Beziehung auf sie hat; diese beständige Aufgelegtheit, sich zu freuen, zu genießen; dieses ewige Leben im Augenblick, diese gänzliche Verschlossenheit für die Zukunft; dieß nichts Böses Wollen, nichts Böses Ahnen – wenn ich, sag' ich, das Alles, in der so unbeschreiblich feinen und lieblichen Mischung, wie es in den ersten Jahren des kindischen Lebens sich äußert, sah und es zu einer Zeit sah, da – noch von keinem O-Tahiti die Rede war – wie oft dacht' ich dann: was für Geschöpfe wären wir, wenn wir zur Blüthe und Kraft des Jünglingsalters heranwachsen und die Vollkommenheit unserer Natur erreichen könnten, ohne von Allem, was die Kindheit so liebenswürdig, so glücklich macht, mehr zu verlieren, als vermöge der absoluten Nothwendigkeit der Sache verloren gehen muß, wenn Dämmerung zum Morgen und Knospe zur Blume wird!

390 Ich weiß, wenn ich wieder kalt bin, so gut als ein Anderer, in welche Classe ein solcher Wunsch gehört, und was mir jeder hoch gelehrte Knabe, der so eben seinen Cursus von Logik, Metaphysik, Moral, Dogmatik u. s. f. absolvirt hat, dagegen einwenden kann – Aber ich freue mich doch, zu denken, daß wenigstens der beste und glücklichste Theil der Bewohner der Gesellschaftsinseln lebendige Beweise sind, daß die Natur in einigen kleinen Inselchen der Südsee gewisser Maßen wirklich gemacht hat, was bei mir und andern ehrlichen Wünschern und Träumern bloser Wunsch und Traum der freundlichen Einbildung war. – Freilich geht etwas und ziemlich viel davon ab, daß Wirklichkeit je so schön, so glänzend, so erwünscht sey, als was Fee Mab mit einem Schlag ihres Mohnstengels vor unserm innern Sinn vorbeizaubert. Die Kinder von O-Tahiti sind freilich keine Halbengel aus einer idealischen Unschuldswelt – Aber, so wie sie sind, wer ist der Mensch, der sie nicht lieben muß? Wo die gute Seele, die sich nicht zu ihnen wünscht?


Herr Forster war kaum in O-Tahiti angekommen, als er schon die Wirkungen der leutseligen und gefälligen Gemüthsart der Einwohner erfuhr. »Da sie merkten, sagt er, daß wir Lust hätten, ihre Sprache zu lernen, weil wir uns nach den Benennungen der gewöhnlichsten Gegenstände erkundigten oder sie aus den Wörterbüchern voriger Reisenden hersagten: so gaben sie sich viel Mühe, uns zu unterrichten, und freuten sich, wenn wir die rechte Aussprache eines Wortes treffen konnten.« – Herr Forster setzt Verschiedenes, was jedoch aus seinen Vorgängern schon bekannt war, zum Lobe 391 dieser Sprache hinzu. Sie besteht aus lauter reinen Sylben und hat noch viel weniger Mitlauter, als die griechische; sie ist noch singbarer, als die italienische, oder vielmehr, sie ist an sich selbst schon Gesang. – Auch erinnert er ausdrücklich, daß der wahre Name dieser Insel nicht Otaheite (wie die Engländer ihn schreiben und aussprechen), sondern O-Tahiti sey, und daß also, da die Vorsylben O und E Artikel sind, Herr von Bougainville den wahren Namen, Tahiti richtig angegeben; nur daß die Einwohner es mit einer leichten Aspiration ungefähr wie Tahiti aussprechen.

Bougainville, in dessen Ausdrücken von dieser Zauberinsel und ihren Bewohnern man Schwärmerei einer verschönernden Imagination vermuthete, hat nicht zu viel gesagt, wenn er jene als ein Paradies und diese als glückliche Geschöpfe beschreibt. Herr Forster fühlte es gerade eben so, und die Gemälde, die er davon macht, sind sehr geschickt, auch uns etwas von seinem Genusse mitzutheilen. –»Ungeachtet, der späten Jahrszeit wegen, Laub und Gras schon durchgehends mit herbstlichem Braun gefärbt war, so bemerkten wir doch bald, daß diese Gegenden in der Nähe nichts von ihren Reizen verloren. – Wir befanden uns in einem Walde von Brodfruchtbäumen, auf denen aber bei dieser Jahrszeit keine Früchte mehr waren, und beim Ausgang des Gehölzes sahen wir einen schmalen, von Gras entblösten Fußpfad vor uns, vermittelst dessen wir bald zu verschiednen Wohnungen gelangten, die unter mancherlei Buschwerk halb versteckt lagen. Hohe Cocospalmen ragten weit über die andern Bäume empor und neigten ihre hängenden Wipfel auf allen Seiten gegen einander hin. Der Pisang prangte mit seinen schönen breiten Blättern und zum Theil auch noch mit einzelnen traubenförmigen Früchten. Eine schattenreiche Art von Bäumen, 392 mit dunkelgrünem Laube, trug goldgelbe Aepfel, die den würzhaften Geschmack und Saft der Ananas hatten. Der Zwischenraum war bald mit jungen chinesischen Maulbeerbäumen bepflanzt, deren Rinde von den Einwohnern zu Verfertigung der hiesigen Zeuge gebraucht wird, bald mit verschiednen Arten von Arum- und Zehrwurzeln, mit Yams, Zuckerrohr und andern nutzbaren Pflanzen besetzt. Die Wohnungen der Indianer lagen einzeln, jedoch ziemlich dicht neben einander, im Schatten der Brodfruchtbäume, auf der Ebne umher und waren mit mancherlei wohlriechenden Stauden umpflanzt. Die einfache Bauart und die Reinlichkeit derselben stimmte mit der kunstlosen Schönheit des um sie her liegenden Waldes überaus gut zusammen. – Sie bestanden mehrentheils nur aus einem Dach, das auf etlichen Pfosten ruhte, und pflegten übrigens an allen Seiten offen und ohne Wände zu seyn – (glücklicher Beweis, daß die Einwohner weder Schirm vor der Ungunst der Witterung und des Klima, noch die mindeste Verwahrung gegen einander selbst vonnöthen haben!) – Vor jeder Hütte sah man eine kleine Gruppe von Leuten, die sich ins weiche Gras gelagert hatten, oder mit kreuzweis über einander geschlagenen Beinen beisammen saßen und ihre glücklichen Stunden entweder verplauderten oder ausruhten. Einige standen bei unserer Annäherung auf und folgten dem Haufen, der mit uns ging; Viele aber, besonders Leute von reiferem Alter, blieben unverrückt sitzen und begnügten sich, uns im Vorübergehen ein freundschaftliches Tayo zuzurufen. Da unsere Begleiter gewahr wurden, daß wir Pflanzen sammelten, so waren sie sehr emsig, dieselben Sorten zu pflücken und herbei zu bringen, die sie von uns hatten abbrechen sehen. Es gab auch in diesen Plantagen in der That eine Menge von allerhand 393 wilden Arten, die untereinander in jener schönen Unordnung aufsprossen, die über das steife Putzwerk künstlicher Gärten immer unendlich erhaben ist. – Vornehmlich fanden wir verschiedene Grasarten, die, ungeachtet sie zarter und feiner als unsere nördlichen waren, dennoch, weil sie im Schatten wuchsen, ein sehr frisches Ansehen hatten und einen weichen Rasen ausmachten. Sie dienten zugleich, das Erdreich feucht zu erhalten und solchergestalt den Bäumen Nahrung zu verschaffen, die auch ihrerseits im vortrefflichsten Stande waren. Mancherlei kleine Vögel wohnten in ihren Zweigen und sangen sehr angenehm, dem Wahn zu Trotz, den man in Europa hegt, als ob es den Vögeln in den heißen Ländern an harmonischen Stimmen fehle. In den Gipfeln der höchsten Cocosbäume pflegte sich eine Art kleiner schöner saphirblauer Papagaien aufzuhalten, und eine grünliche Art mit rothen Flecken sah man häufig unter den Pisangbäumen. – Ein Eisvogel von dunkelgrünem Gefieder und rings um den weißen Hals mit einem ringförmigen grünen Streif gezeichnet, ein großer Kuckuk und verschiedene Arten von Tauben hüpften fröhlich auf den Zweigen herum, indeß ein bläulicher Reiger gravitätisch am Seeufer einhertrat, um Muscheln, Schnecken und Würmer aufzulesen. Ein schöner Bach, der über ein Bette von Kieseln rollte, kam in schlängelndem Lauf das schmale Thal herab und füllte beim Ausfluß in die See unsere Fässer mit silberhellem Wasser.« – Ich besorge nicht, daß meine Leser diese ausgeschriebene Stelle zu lang finden werden. Solche individuelle Gemälde geben eine lebendigere Vorstellung als allgemeine Beschreibungen; und wem muß es nicht angenehm seyn, zu sehen, mit welcher Liebe die Natur an der Wiege ihrer Schooßkinder gearbeitet hat?


394 Desto verdrießlicher ist gleich darauf zu lesen, wie der Capitain Cook, vermuthlich in einem Anstoß übler seemännischer Laune, fähig war, um eines sogenannten Diebstahls willen, dessen sich einer von den beiden Söhnen ihres bisherigen Begleiters O-Pue, von seiner kindischen Begierlichkeit verleitet, schuldig gemacht hatte, d. i. um einer Beleidigung willen, die in O-Tahiti gar keine Beleidigung war, den Frieden dieser glücklichen Wohnungen zu stören und die trauliche Sorglosigkeit dieses Volks von Kindern durch Flintenkugeln und Vierpfünder zu schrecken. O ihr hassenswürdige Europäer mit eurem zur Unzeit angebrachten Puffendorf! – »Was? (wendet man ein) man hatte dem Kerl schon unentgeltlich eine Menge Sachen gegeben, und er hat noch die Unverschämtheit, die Gesetze der Gastfreiheit auf eine so häßliche Art zu übertreten« und – ein Messer und einen zinnernen Löffel zu mausen! War es bei solcher Bewandtniß des Herrn Capitains Hochwohlgeboren zu verdenken, daß Wohlderselbe »aus Unwillen über das schändliche Betragen dieses Kerls« sich nicht enthalten konnte, ihm eine Flintenkugel über dem Kopf hinzufeuern – und, als sogar der dritte Schuß nichts fruchten wollte, und die entfernten Indianer (die von alle dem Spuk nichts begriffen und nur einige der Ihrigen mit Flintenschüssen von den fremden Herren verfolgt sahen) vom Strand aus mit Steinen nach den Herren zu werfen anfingen, sie durch einen Vierpfünder in Respect zu setzen, auch ihnen zu wohlverdienter Strafe und Andern zum Schrecken für Kosten, Schaden und Genugthuung zwei doppelte Kanots wegnehmen zu lassen? – O des herrlichen europäischen Natur- und Völkerrechts! – Ei, ei, lieber Forster! – wo war in diesem Augenblick Ihre Philosophie? – Wie können Sie von dem jungen Menschen verlangen, daß er Ihren Puffendorf 395 und Barbeyrac gelesen haben soll? Wie können Sie sich einbilden, daß er das Messer und den zinnernen Löffel aus einer andern Ursache als aus kindischem Instinct oder höchstens aus unbesonnenem, arglosem Muthwillen genommen hat? Was würden Sie dazu sagen, wenn ein Friedensrichter in England ein Kind von zwei oder drei Jahren, weil es einen Löffel, oder was Sie sonst wollen, gemaust hätte, pillorisirenPillorisiren – An den Pranger (Pillori) stellen lassen wollte? Der O-Tahitische Junge hier verstand wahrlich von der Moralität seiner Handlung, die Sie ein schändliches Betragen nennen, nicht mehr, als das vorbesagte Kind. Das Kind und der junge Kerl von O-Tahiti hat einen Naturtrieb zu Allem, was ihm gefällt, und weiß nichts Anderes, als daß die ganze Welt mit Allem, was darin ist, ihm gehört. Du sollst nicht stehlen! ist ein positives bürgerliches Gesetz, zu dessen Beobachtung wir erzogen werden müssen. Man hat an dessen Uebertretung in den meisten bürgerlichen Gesellschaften Schande und entehrende Strafe hängen müssen; aber was geht das die Bewohner von O-Tahiti an? Und wenn es, der Folgen wegen, nöthig war, dem kindischen Trieb dieses Völkchens zu Allem, was ihnen ansteht, Einhalt zu thun, konnte das nicht auf eine freundlichere Art und ohne Vierpfünder geschehen?

Man kann sich des Unwillens schwerlich enthalten, wenn man (wie nur zu oft Gelegenheit ist) dergleichen Probestückchen liest von dem herrischen Betragen, das die europäischen Seemänner sich über Menschen herausnehmen, die von ihnen nicht abhängen und nur durch den Vorzug tödtlicherer Waffen gezwungen sind, sich von ihnen mißhandeln zu lassen. Aber freilich ist es – ihrer würdig und ganz aus einem Stücke mit der Unverschämtheit, womit diese Herren, im Namen ihrer allergnädigsten Könige, von jeder Insel und Halbinsel 396 der Südsee, auf die sie Wind und Wetter oder Bedürfniß, sich zu erfrischen, verschlägt, feierlich Besitz nehmen, ohne daß es ihnen einfällt, die uralten Einwohner derselben zu fragen, was sie zu dieser Besitznehmung zu sagen haben. Ein herrliches Völkerrecht! Und das sind die aufgeklärten, philosophischen, rechtshochgelahrten Herren, die einen weggemausten zinnernen Löffel mit Vierpfündern rächen!

Der Vierpfünder indessen wirkte. Die Herren erreichten ihren großen Zweck; denn er jagte den O-Tahitern ein solches Schrecken ein, daß sie sich zwei doppelte Kanots (und wahrscheinlich noch zehnmal so viel, wenn die Herren Vierpfünder gewollt hätten) ohne Widerrede wegnehmen ließen. Freilich war nun das Vertrauen der guten Insulaner verscherzt – und das hatten die europäischen Herren gleichwohl noch vonnöthen, weil sie wenigstens eben so großen Appetit zu den Hühnern und Schweinen der Indianer hatten, als diese zu ihren Messern und Löffeln. Aber das war ja auch leicht wieder zu gewinnen. Die Bewohner waren »so freundschaftliche, gutherzige Leute!« – Gleichwohl waren sie, sagt Herr Forster, wegen des Vorgefallnen etwas scheuer und zurückhaltender als zuvor (sie hatten wohl groß Unrecht daran?). Es währte etliche Tage, bis man sie wieder zutraulich machen konnte, und Herr Cook mußte sich am Ende doch entschließen, die genommenen Kähne wieder zurückzugeben.

Doch – weg von diesen unangenehmen Betrachtungen! Herr Forster versöhnt uns wieder mit sich durch ein paar ziemlich getreu, wie es scheint, und nicht ohne Liebe nach dem Leben gemalte O-Tahitische Familienstücke, die ich nicht um das Beste von Greuze geben möchte. Hier hätte der Maler Hodges, den unsre Seefahrer bei sich hatten, wenn etwas von Greuzens Geist in seinen Augen und in seinem 397 Herzen gewesen wäre, Stoff zu Bildern und Gruppen bekommen können, womit er mehr Dank von uns verdient hätte, als mit den reichen, idealisirten, griechenzenden Compositionen, die er uns für Natur, und Natur aus den Südseeinseln aufheften will.

Die Herren Forster waren mit einigen Begleitern früh Morgens aufs Botanisiren gegangen. Zufälliger Weise bekamen sie im Walde Gelegenheit, einigen Weibern von der niedrigsten Classe zuzusehen, wie sie den in diesen Inseln gewöhnlichen Zeug aus der fasrigen Rinde junger Maulbeerbäume bereiteten. Von da gelangten sie zuletzt in ein schmales Thal. Ein wohl aussehender Mann, bei dessen Wohnung sie vorbeikamen, lag im Schatten da und lud sie ein, neben ihm auszuruhen. Sobald er sah, daß sie dazu nicht abgeneigt schienen, streute er Pisangblätter auf einen mit Steinen gepflasterten Fleck vor dem Hause und setzte einen kleinen Stuhl hin, auf welchen er denjenigen, der ihm der Vornehmste unter ihnen schien, niederzusitzen bat. Nachdem auch die Uebrigen sich ins Gras gelagert hatten, lief er ins Haus, holte eine Menge gebackner Brodfrucht und setzte ihnen solche auf den Pisangblättern vor. Nächst diesem brachte er noch einen Mattenkorb voll Tahitischer Aepfel, einer Frucht, die der Ananas im Geschmack ähnlich ist, und nun bat er sie, zuzulangen. Die Herren ließen sich's wohl schmecken, fanden die Früchte vortrefflich und die tahitische Art, die Brodfrucht vermittelst heißer Steine in der Erde zu backen, unendlich besser, als ihre eigene Art, sie zu kochen, weil bei jener aller Saft beisammenbleibt und durch die Hitze noch mehr verdickt wird, beim Kochen hingegen sich viel Wasser in die Frucht saugt, und von Geschmack und Saft viel verloren geht. Zum Nachtisch brachte ihnen 398 der freundliche Wirth fünf Cocosnüsse; er öffnete sie, goß den kühlen hellen Saft in eine reine Cocosschale und reichte sie einem Jeden nach der Reihe zu. Unsre Reisenden wurden von der zuvorkommenden und uneigennützigen Gastfreiheit dieses Mannes sehr eingenommen, schenkten ihm das Beste, was sie von Korallen und Nägeln bei sich hatten, und begaben sich nun wieder an ihre botanische Arbeit, die zwar nicht ganz unbelohnt blieb, aber doch, theils wegen der schon vergangnen Jahrszeit, theils aus einem andern wesentlichen Grunde, nicht sehr ergiebig war. Dieser war, wie Herr Forster sehr richtig zu urtheilen scheint, die hohe Cultur der Insel O-Tahiti. Wäre sie weniger angebaut, sagt er, so würde das Land dem herrlichen Boden und Klima nach überall mit hunderterlei Arten von Kräutern wild überwachsen gewesen seyn, anstatt daß jetzt dergleichen kaum hie und da einzeln aufsprossen.

Bei Anbruch des folgenden Tages gingen sie wieder ans Land und ostwärts den Gegenden um den Hafen Aitepieha zu, wo die Ebne immer breiter, die Pflanzungen immer ansehnlicher, und die Wohnungen zahlreicher wurden, auch reinlicher und neuer aussahen, als in der Gegend des Ankerplatzes. Sie spazierten ungefähr zwei Meilen weit beständig in den anmuthigsten Wäldern und Pflanzungen von Cocos- und Brodfruchtbäumen fort und sahen, wie die Leute aller Orten wieder an ihr Tagwerk gingen; vornehmlich hörten sie die Zeugarbeiter fleißig klopfen. Gleichwohl sammelte sich, wo sie hinkamen, bald ein großer Haufen um sie her, der ihnen den ganzen Tag so unermüdet folgte, daß Manche darüber ihr Mittagsbrod versäumten. »Doch gingen sie (sagt Herr Forster) nicht so ganz ohne Nebenabsicht mit. Im Ganzen war ihr Betragen allemal gutherzig, freundschaftlich 399 und dienstfertig; aber sie paßten auch jede Gelegenheit ab, eine oder die andre Kleinigkeit zu entwenden, und damit wußten sie ausnehmend gut Bescheid. Wenn wir sie freundlich ansahen oder sie anlächelten, so hielten Manche es für die rechte Zeit, von unserm guten Willen Gebrauch zu machen und in einem bittenden Tone ein: Tayo, poe! (Freund, ein Korallchen?) hören zu lassen.«

Ich, meines Orts, sehe in diesem kinderhaften Zug nichts als die klare ungeschminkte Menschheit, wie wir sie alle Tage an unsern Kindern von zwei oder drei Jahren sehen und auch an denen von fünf und sechs noch sehen würden, wenn wir nicht genöthigt wären, ihnen baldmöglichst beizubringen, daß es unanständig sey, seine guten Freunde anzubetteln. Warum übrigens die Leute von O-Tahiti die Einzigen in der Welt seyn sollten, die ohne alle Rücksicht auf sich selbst gutherzig, freundschaftlich und dienstfertig wären – oder mit welchem Recht diese Rücksicht auf sich selbst den Werth ihrer Gutherzigkeit in unsern Augen verringern sollte, seh' ich nicht; zumal da Herr Forster selbst hinzusetzt: wir mochten ihnen willfahren oder nicht, so brachte dieß doch niemals eine Aenderung in ihrem Betragen hervor, sondern sie blieben so aufgeräumt und freundlich als vorhin. Ich dächte, dieß wäre wirklich mehr, als man von den meisten unter den wohlerzogensten und moralisirtesten von uns Europäern sagen kann.