Wilhelm Busch
Hänschen Däumeling
Wilhelm Busch

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Wilhelm Busch

Hänschen Däumeling

Es lebt' ein Schneider leicht und dünn
Mit seiner Frau gemütlich hin.
Sie hatten auch ein Söhnlein schon.
Sehr klein und zierlich von Person.
Er war nicht dicker wie die Pflaumen
Und grad so lang als wie mein Daumen.
Drum, weil er so ein kleines Ding,
Nennt man ihn Hänschen Däumeling.
Sein Mut jedoch ist ohne Tadel,
Sein Degen spitz wie eine Nadel;
Damit hat er an einer Wand
Drei Fliegen durch und durch gerannt.

Drauf legt er sich im grünen Grase,
Um auszuruhn, auf Bauch und Nase.

Ein Rabe, der spazierengeht,
Hat ihn mit einem Aug' erspäht.
Er denkt: Was ist das für ein Käfer?

Und rupft und zupft den kleinen Schläfer.

Der dreht sich um und will den Frechen
In seine dürren Waden stechen.
»Kraha!« lacht dieser. »Wär' nit übel!
Gottlob! Ich habe dicke Stiebel!«

Grapps! – packt er ihn, fliegt in die Höh'
Und weit, weit über einen See.

Die Eltern aber fragen bange:
Wo bleibt denn Hänschen nur so lange?
Sie suchen ihn in allen Taschen
In Stiefeln, Hauben, Büchsen, Flaschen.
Sie rufen: »Herzchen!« – rufen: »Liebchen!« –
Allein es kommt und kommt kein Bübchen.

Der Rabe mit dem Hänschen flog
Auf einen Baum, erschrecklich hoch.
Hier wünscht er ihm recht guten Morgen
Und läßt ihn für sich selber sorgen.

Uhu! Im Astloch mit Geheule
Hockt eine alte Schleiereule.

Und über ihm die dicke Spinne
Hat auch nichts Guts mit ihm im Sinne.

Schon sträubt die Eule sich und droht,
Das Hänschen sticht die Spinne tot.

Schnell läßt er sich an ihrem Faden
Vom Baum herunter ohne Schaden.

Juchhe! Hier unten in dem Moos
Geht's lustig her und ist was los.

Drei muntre Käfer trinken Met
Von allerbester Qualität.

Da heißt es: »Prost!« und: »Was wir lieben!«
Das Hänschen trinkt so viel wie sieben.
Der Kopf wird schwer, die Beine knicken,

Bums! liegt das Hänschen auf dem Rücken.

Das gibt 'n Spaß! Die Käfer laufen
Mit ihm zu einem Ameishaufen.

So was macht munter. O wie schnelle
Verläßt er diese Wimmelstelle.

Er läuft und schlupft mit großer Freude
In ein sehr enges Wohngebäude.

Nun ja! denkt sich der Jägersmann.
Jetzt zieh' ich meine Handschuh an!

Auweh! Was war das für ein Stich?!
Der Jägersmann schreit jämmerlich.

Dem Hänschen wird's bedenklich doch;
Er möchte in ein Mäuseloch.
»Ein Dieb, ein Dieb!« – So schreit die Maus
Und zieht ihn hinterwärts heraus.

Und plötzlich geht's: »Kraha! Kraha!«
Der böse Rab' ist wieder da.
Er faßt die Maus bei ihrem Schwänzchen
Und flattert weg mit Maus und Hänschen.

»Die« ruft der Jäger – »muß ich haben!«
Bauz! Richtig trifft er Maus und Raben.

Und Rabe, Maus und Hänselein
Plumbumsen in den See hinein.

Sofort erscheint die kleine Sylphe
Zephire, Königin im Schilfe,
Reicht ihm die Hand und lispelt fein:
»Sprich, Prinz, willst du mein Liebster sein?«

»Schön' Dank!« spricht er. »O Königin!
Ich muß zu meinen Eltern hin!«

»So geh' ich mit dir!« haucht Zephire.
»Mein Schifflein wartet vor der Türe!«

Und wie sie so dahingefahren
Und mitten auf dem Wasser waren,
Da kommt ein dicker Hecht und schwapp!
Schluckt er sie in den Bauch hinab.

Ein Fischer, welcher grade fischt,
Hat aber gleich den Hecht erwischt.

Er überbringt ihn Hänschens Mutter,
Die denkt: Den braten wir in Butter!

Ratsch, wird der Bauch ihm aufgeschnitten,
Und sieh, wer kommt herausgeschritten?

Ei! Unser Hänschen, und galant
Führt er Zephiren an der Hand.

Das wurde mal ein hübsches Paar!
Sie lebten fröhlich manches Jahr.
Und Hänschen ward ein Damenschneider
Und machte wunderschöne Kleider;
Und was er machte, saß.
Er stieg auf eine Leiter
Und nahm genau das Maß.