Wilhelm Busch
Die wunderbare Bärenjagd
Wilhelm Busch

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Wilhelm Busch

Die wunderbare Bärenjagd

Es war im Herbst des Jahres 1858, als sich das Gerücht verbreitete, es habe sich in dem nahe gelegenen Walde ein mächtig großer Bär gezeigt. Da ich nun ein eifriger und, ich darf wohl sagen, sehr geübter Jäger bin, so warf ich eines schönen Morgens meine Flinte über die Schulter, bewaffnete mich außerdem mit zwei Flaschen gutem Portwein, und, nachdem ich mir noch eine echte Havanna unter die Nase gepflanzt, zog ich guten Mutes waldeinwärts. – Eifrig, wie ich war, hatte ich noch nicht daran gedacht, zu frühstücken, lehnte darum meine Flinte an einen Baum und setzte mich auf einen Haufen Moos und Reisig, um das Versäumte nachzuholen. Kaum aber habe ich Platz genommen, so fühle ich mich emporgehoben und falle rücklings auf den Boden hin. Zugleich arbeitet sich aus dem Reisig ein brummendes Ungetüm hervor, welches ich sofort für einen Bären erkannte. Zum Glück hat mich die Natur mit großer Kaltblütigkeit ausgestattet, darum lief ich denn auch schleunigst davon, so schnell ich nur immer laufen konnte. Der Bär mir nach. – Plötzlich befinde ich mich, zu meinem Entsetzen, am Rande einer schroffen, mindestens 1000 Fuß hohen Felsenwand. Vor mir gähnt der Abgrund, hinter mir der grimmige Bär. Kurz entschlossen stürze ich mich, den einen meiner Frackschöße in den Zähnen des Bären hinterlassend, in die fürchterliche Tiefe. – Wie ich herunterkam, weiß ich nicht. – Mein erster Griff, als ich die Besinnung wiederfand, war nach den Weinflaschen; sie waren zu meiner unaussprechlichen Freude ganz unversehrt geblieben; zugleich fühle ich aber in meinem linken Schenkel einen solch durchdringenden Schmerz, daß es mir rein nicht menschenmöglich war, auch nur einen einzigen Schritt weiter zu gehen. –

Als ich nun so daliege und über meine hilflose Lage nachdenke, vernehme ich plötzlich dicht hinter mir ein Gebrumm. Eilig raffe ich mich auf, und, den Bären dicht auf der Ferse, laufe ich wohl eine Stunde lang, bis ich einen Baum finde, der mir seine hilfreichen Arme entgegenstreckt. Schon habe ich die ersten Zweige erfaßt, aber in demselben Augenblicke packt mich auch schon der fürchterliche Bär bei beiden Beinen an. Zum Glück hatte ich meine dicke Buckskinhose angezogen. Wir beide, der Bär und ich, tun einen heftigen Ruck – die Knöpfe springen –, er behält die Buckskinhose in den Krallen, während ich, beschirmt von meiner Unterhose, die Spitze des Baumes gewinne. Dieses Asyl hätte mir nun freilich wenig geholfen, wenn nicht glücklicherweise durch jenen heftigen Ruck eine meiner Weinflaschen sich losgemacht hätte und dem Bären auf die Hühneraugen gefallen wäre. Er hob sie mürrisch auf – besah sie – beroch sie – schüttelte sie; er brach ihr den Kopf ab – roch wieder – schmeckte und schmeckte noch einmal, und dann trank er sie schmunzelnd aus. Danach, als er sich den Bart gewischt, machte er Anstalt, zu mir den Baum heraufzusteigen. Ich dachte: »Sei's drum!« und warf ihm auch die zweite Flasche hinunter.

Diese soff das Vieh ebenfalls aus und tanzte dabei ganz lustig um den Baum herum, wobei ich zu meiner Freude die Bemerkung machte, daß es, trotz seiner Bärennatur, nicht mehr recht fest auf den Beinen war. – Aber o weh! Jetzt tappte der Bär aufs neue am Baume herauf – trotz seines Rausches immer höher und höher, immer näher und näher. Mein Wein war zu Ende, meine Lage verzweiflungsvoll. Da – auf einmal – knarr – bog sich der Baum – und knacks! brach er ab, und wir lagen unten. Zum Glück fiel ich sehr weich, weil ich unglücklicherweise auf den Bären fiel. Dieser umarmte mich sogleich mit seinen Vorderfüßen; ich hielt mich für verloren. Der Bär aber, welcher in dem zärtlichen Stadium seines Rausches angekommen sein mußte, beleckte mich auf das freundschaftlichste im ganzen Gesichte herum, drückte mich aber dabei so heftig an seine Brust, daß ich, um nicht zu ersticken, genötigt war, ihn unter den Armen zu kitzeln. Der Bär, welcher darüber in ein krampfhaftes Lachen geriet, ließ mich los und wälzte sich im Grase herum. Dann untersuchte er die beiden Flaschen, und als er sich überzeugt hatte, daß sie wirklich ganz leer, legte er sich unter den Baum und fing an zu schnarchen wie ein Bär. Dies war mir natürlich sehr angenehm. Ich dachte darüber nach, wie ich das Ungetüm am besten in meine Gewalt bekäme. Mein Taschenmesser war eine schlechte Waffe, und mein Gewehr stand wer weiß wo. Hier wäre nun wohl mancher andere ratlos dagestanden oder gar davongelaufen. Ich aber griff in meine linke Westentasche, nahm meinen Korkzieher hervor, zog durch den Griff desselben eine Schnur, die ich an dem verhängnisvollen Baum befestigte, und schraubte den Stöpselzieher sodann mit ein paar kräftigen Druckern dem Bären in das Nasenbein. Dies alles war das Werk eines Augenblicks. Der Bär, welchen das Ding zu genieren schien, grunzte höchst unwillig, nieste dreimal hintereinander, erwachte und wollte mir alsogleich auf den Leib rücken. Aber der Riß, den es ihm gab! –

Zwar sprang die Bestie noch einige Male gegen mich an, weil sie aber merkte, daß es wehe tat, so ergab sie sich endlich mit Fassung in ihr unvermeidliches Schicksal. Ich hatte während der Zeit ein wenig gefrühstückt. Als ich damit fertig, zündete ich mir eine neue Zigarre an, nahm meinen Bären, der ein äußerst katzenjämmerliches Gesicht schnitt, am Strick und brachte ihn unter dem Jubel einer großen Menschenmenge in die Stadt, wo ich ihn, trotz Frackschoß und Unterhose, an die dortige Behörde ablieferte. – Äußerst ermüdet nach allen diesen gefahrvollen Abenteuern, legte ich mich nun sogleich ins Bett. – Vierundzwanzig Stunden mochte ich wohl ganz sanft geschlafen haben, als mich ein unerträglicher Schmerz aus meinen süßesten Träumen weckte. – Ich schickte zum Arzt. – Und nun zeigte sich etwas, was ich in der Hitze der Aktion nicht beachtet hatte; durch den Sturz von der Felswand hatte ich mir zweimal den Schenkel gebrochen, der Bär aber hatte mir bei seiner zärtlichen Umarmung drei Rippen im Leibe zerdrückt.