Ludwig Tieck
Fermer, der Geniale
Ludwig Tieck

Ludwig Tieck

Fermer, der Geniale

Erzählung

Als Fermer von der Universität zurückgekommen war, ging er zuerst mit hochklopfendem Herzen nach der Straße, in der seine Geliebte wohnte. Er gedachte auf diesem Gange zu verscheiden, so drängte sich ihm das Blut aus allen Adern nach dem Kopfe.

Die Straße war etwas entlegen, und er hatte Zeit, unterwegs einige nicht unwichtige Betrachtungen anzustellen. »Ist sie mir noch getreu geblieben?« sagte er zu sich selbst – »warum habe ich seit langer Zeit keine Briefe von ihr erhalten? – Bei Gott! wenn ich sie treulos fände! – –«

Mit einem erhitzten Gesicht lief er gegen ein langes Stück Bauholz, das ein Lastträger mit einer unverschämten Miene durch die Gasse trug: »Vorgesehn!« rief dieser, als er bemerkte, daß der junge Fermer eben in hitzige Vorwürfe ausbrechen wollte.

Fermer fluchte ein paarmal und fuhr dann in seinen Seufzern fort, denn er sah nun schon das Haus vor sich, ja er glaubte sogar am Fenster eine weibliche Gestalt zu bemerken.

Fermer hatte Vermögen, seine Eltern waren gestorben; er hatte nur, wie man zu sagen pflegt, zu seinem Vergnügen studiert, um in der Welt über manches mitsprechen zu können, denn das ist ein Nutzen, den man den Wissenschaften nie wird ableugnen können.

Fermer klingelte jetzt, ein Bedienter öffnete die Tür. – Er ging die Treppe hinauf, er fand Louisen in ihrem Zimmer.

Ohne weiter Umstände zu machen, sprang er auf sie zu und drückte sie herzhaft in seine Arme: dies ist von jeher ein Vorrecht der Verliebten gewesen. – Sosehr er trunken von Wonne war, so glaubte er dennoch zu bemerken, daß seine Geliebte seine Herzlichkeit nicht so erwiderte, als sie wohl hätte tun sollen; indessen die Szene war einmal zur Freude bestimmt, und so gab er sich denn darüber zufrieden.

»Warum hast du mir so lange nicht geschrieben, Teureste?« – rief er aus; – »Wie konntest du mich in dieser entsetzlichen Ungewißheit lassen? Du glaubst nicht, was ich gelitten habe, alle mein Glück, alle meine Plane lagen zerschlagen vor meinen Füßen, und der wütendste Schmerz fraß und nagte in meinem Herzen.«

Louise schlug die Augen nieder. – »Ich war nicht wohl, mein Vater war krank, unsre liebe Vertraute, durch die du immer meine Briefe bekommen hast, war verreist.«

Fermer: Louise, schreckliche Dinge gingen damals in meinem Innern vor, ich glaubte dich untreu, alles fiel mir bei, was ich je in Büchern von dem Leichtsinn der Mädchen gelesen hatte. Keine Nacht konnt ich schlafen. – Du glaubst nicht, was ich gelitten habe.

Louise: Unaussprechlich Teurer!

Fermer: Wie wohl ist mir, daß ich dich wiederhabe, daß ich mich wieder an diesen Augen erlaben kann, daß ich deine süße Stimme höre! Alle Harmonie in mir war zerrissen und verstummt, ich glaubte an keine Unsterblichkeit mehr, alle meine Nerven zitterten.

Louise: Schrecklich, schrecklich!

Fermer: Ja wohl schrecklich! – die getrennte Liebe ist die Hölle auf Erden. – Aber du bist nicht so froh, wie ich dich wünschte, um mich blühn alle Seligkeiten des Himmels und du –

Louise: Ich kann mich von dieser Freude noch gar nicht erholen.

Die Aufwärterin trat herein, um Louisen zu ihrem Vater abzurufen, die Lieben drückten sich noch einmal zärtlich an die Brust, dann schieden sie.

Fermer kam sich auf der Straße wie ein großer Held vor; er machte noch einen kleinen Spaziergang, redete einige Bekannten an, tat gegen andre, als hätte er sie nie gesehn, und ging dann nach Hause.

Er gehörte nicht zu den schönen Leuten, seine Augen waren nicht blau und sanft und klug, in denen aber doch das Feuer des Mutes aufleuchtete, auch nicht dunkelbraun, eine Farbe, die bei den Liebhabern und Helden von Geschichten auch sehr beliebt ist, sondern, wenn ich die Wahrheit sagen soll, so fielen sie mehr ins Graue. Er war klein von Person, sein Gesicht war gelblich und hatte häufige Pockennarben. –

Es braucht mir niemand zu sagen, daß ich hier gegen die ersten Regeln eines Schriftstellers anstoße; gegen Regeln, die sogar die Kinder auswendig wissen. Die Wahrheit aber ist mir teurer, als alles, und darum habe ich den jungen Geliebten so beschrieben. Der Leser darf nur die gangbaren Bücher zusammenrechnen, die Helden und Heldinnen summieren, so wird er erstaunen, welche Menge von Schönheitsidealen sich unter uns Deutschen herumtreiben, und dann die Klagen der Bildhauer und Maler gar nicht begreifen können, die unaufhörlich jammern, daß es ihnen so ganz an schönen Modellen fehle. Sooft ich gereist bin, habe ich mich in den Städten und auf dem Lande fleißig nach der unzähligen Menge von vortrefflichen Liebhabern und Liebhaberinnen umgesehn, die ich in den Büchern hatte kennen lernen; aber immer wurde ich getäuscht. Seit der Zeit mißfallen mir alle jene bezaubernde Schilderungen, jene Menge von Engels- und Adlersblicken, jene unbeschreiblich lieblichen Physiognomieen, weil ich nicht mehr daran glauben kann.

Als Fermer nach Hause gekommen war, war seine erste Frage, ob der Briefträger keinen Brief gebracht habe. Der Bediente überreichte ihm einen; er besah das Siegel und sagte: »Gottlob!« dann erbrach er ihn und las:

 

Geliebter meiner Seele!

Dich sollt ich vergessen können? – Unmöglich! – Schon seit anderthalb Tagen bist Du abgereist, und immer steht Dein Bild noch so lebendig vor mir, als wenn Du noch hier gegenwärtig wärst. Immer hör ich noch Deine süßen Schwüre, die gewaltigen Ausdrücke, die Deine Liebe suchte und so behende fand. Du hast recht, etwas Außerordentliches muß auch auf eine außerordentliche Art ausgesprochen werden. – Ich lese die Bücher, die Du mir empfohlen hast, und bin jetzt eben beim Turnier von Nordhausen; schreibe mir doch Deine Meinung darüber, die kühne Darstellung hat mich gewaltig ergriffen, wie ich denn überhaupt sehr für das Große bin.

Ich denke an Dich, ich träume von Dir; ich weiß nicht, wie es mit mir werden soll, in sechs Monaten wird eine schlimme Periode für mich eintreten. Doch ich kann mich dann vielleicht schon mit einem süßern Namen nennen, als ich mich jetzt unterschreibe

Deine Geliebte Nanette B.

 

Wie war Fermer von Nanettens Liebe, von ihrer Seelengröße gerührt! Er konnte vor Bewunderung gar nicht zu sich selber kommen, bis er bemerkte, daß er gähne, und sich daher sehr schnell niedersetzte, um diesen teuren Brief noch an diesem Abend zu beantworten. Er wunderte sich über seine seltsame romantische Lage, stand wieder auf, und ging in der Stube auf und ab. Aus seiner Büchersammlung nahm er ein Buch und fing den Clavigo an zu lesen, um sich wieder etwas zu beruhigen; der Stil war ihm nur nicht stark genug, er fing an zu seufzen, dachte recht inbrünstig an Nanette, suchte Louisen auf einige Augenblicke zu vergessen, und schrieb nun seinen Brief nieder:

 

Teureste meiner Seele!

Wie leer und nüchtern ist mir die Welt, seit ich Dich verlassen habe. Allenthalben steht mir Dein Bild noch vor den Augen. Soeben bin ich vom Wagen gestiegen, und soeben habe ich Deinen Brief gelesen; welche Wonne strömte durch alle meine Adern, als ich die Züge Deiner Hand gewahrte.

Das Turnier zu Nordhausen ist gewiß eins der kräftigsten deutschen Bücher. Welche Sympathie hat unsre Seelen so gleich gestimmt! – Ich bekomme eine hohe Achtung für Deutschland, wenn ich mich all der Helden, all der trefflichen Dichter erinnre. – Es ist Zeit, daß auch ich mich aufmache, ich bin lange genug müßig gewesen, und mein Vaterland hat Forderungen an mir.

Vergib die Kürze dieses Briefs, ich bin müde, die Uhr schlägt zwei in der Nacht, mit den Gedanken an Dich schläft ein

Leopold Fermer.

 

Er siegelte den Brief und setzte sich nieder, um den Genius weiterzulesen, auf dessen Schluß er sehr begierig war, denn es hatte eben erst sieben geschlagen. Dann verzehrte er ein sehr gutes Abendbrot, legte sich zu Bette, las im Genius weiter, schlug das Blatt ein und entschlief sanft.

Wenn er des Morgens aufstand, war gewöhnlich sein erstes Geschäft, einige Zeit aus dem Fenster zu sehn, er rauchte dabei seine Pfeife, und dachte an tausend Dinge, die ihm um keine andre Tageszeit einfielen. –

»Bin ich nicht ein Tor?« sagte er zu sich selber, nachdem ihn einige Vorübergehende höflich gegrüßt hatten: »- nicht im Clavigo, nein, in der Stella ist meine ganze Lage geschildert, gemalt zum Sprechen!«

Er ging zurück und las dies Stück, indem er seinen Kaffee trank. »Es ist gut«, dachte er dabei, »daß es doch Bücher und Gedichte für alle Menschen und für alle Situationen gibt; wie ich mich hier in jedem Zuge wiederfinde, es ist, als wenn der Verfasser mich vor Augen gehabt hätte; Nanette ist die Madame Sommer, Louise die Schwärmerin Stella. – Ach! was richten wir Männer nicht für Unheil in den Herzen der Weiber an!«

Er hatte geendigt, betrachtete das Kupfer vorn, stand auf, und stellte sich vor den Spiegel. – »Ja«, sagte er mit bedeutenden Gebärden, es geht den feurigen Gemütern nicht anders; – kann ein junger, hitziger, genievoller Mensch leben, wie ein sechzigjähriger Alter? Empfinden wie er? – Mir braust die Kraft in jeder Ader, meine Phantasie läuft mit meinem Kopfe davon: es müßte bei alledem ein interessantes Buch werden, wenn jemand mich so recht schildern könnte.«

Mit vielem Selbstbewußtsein sah er wieder aus dem Fenster und erblickte im gegenüberstehenden Hause ein sehr reizendes Gesicht; er betrachtete sie, sie ihn; er grüßte, sie dankte; er zog sich zurück, legte ein elegantes Nachtkamisol an, und kam dann mit diesem und seinem besten meerschaumnen Pfeifenkopfe wieder ans Fenster. Die unbekannte Schöne lächelte, er lächelte gleichfalls; wenn zwei Leute erst lächeln, ist es fast ebenso gut, als wenn sie sich lieben, so stand es wenigstens in Fermers Katechismus über die Menschenkenntnis, und er hatte diese Beobachtung bei allen Aufwärterinnen auf der Universität bestätigt gefunden.

Als er sich ankleidete, erkundigte er sich bei seinem Bedienten, wer die interessante Dame gegenüber sei; er erfuhr, sie sei die Frau eines Hauptmanns. Mit wunderlichen Planen ging er auf das nächste Kaffeehaus, um doch auch in der Politik und den dorthin einschlagenden Wissenschaften nicht zu sehr zurückzukommen. Er hatte schon mancherlei treffende Bemerkungen eingeerntet, als er in einem Winkel des Saals den Namen seiner geliebten Louise nennen hörte; er war aufmerksam, vergaß Pitts Plane, und näherte sich den Sprechenden.

Er glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, als er hörte, daß Louise verlobt sei, und in vierzehn Tagen ihre Hochzeit feiern würde; aber er blieb außer allem Zweifel, als sich ein großer, wohlgewachsener Mann näherte, die Sprechenden ihm gratulierten, und er ohne Umstände den Glückwunsch annahm.

Fermer steckte seine Pfeife ein, nahm Hut und Stock, ging fort, ohne, wie er sonst tat, mit dem Markör zu spaßen, und lief auf dem Spaziergange schnell auf und ab.

»Menschen! Menschen!« sprach er ganz laut, »heuchlerische, giftige Krokodilbrut! Ihre Augen sind Wasser, ihre Herzen sind Erz! Küsse auf den Lippen und Schwerter im Busen! – O Bosheit, hab ich dulden gelernt« u. s. w.

Er hielt die ganze Rede Karl Moors, und bemerkte in seiner Wut nicht, daß sie nicht ganz auf seinen Zustand passe; wer wird auch in der Leidenschaft auf solche Kleinigkeiten Rücksicht nehmen?

Die Leute betrachteten ihn sehr aufmerksam; er hatte einen großen Hut, klirrende Sporen, die er immer trug, obgleich er nie ritt, einen Knotenstock, wie es einem Biedermanne ziemt, dabei arbeitete er mit den Händen gewaltig in der Luft herum, so, daß es manchen Einfältigen wohl zu verzeihen war, die ihn für einen Wahnsinnigen erklärten.

Er ging nach dem Hause seiner Geliebten, stürmte die Treppe hinauf, und brach, ohne anzuklopfen, in ihr Zimmer. Sie frisierte sich eben und erschrak über seinen verwilderten Anblick.

»Grausame!« rief er, und stellte sich starr vor sie hin.

Louise wußte nicht, ob sie den Puderquast aus der Hand legen sollte. – »Was ist Ihnen«, fragte sie furchtsam.

Fermer: Oh! Nichts! nichts! – Das ist Weibertreue! Ha! Schlangenfalschheit! Du bist mir fremd, Louise.

Louise: So haben Sie vielleicht gehört –

Fermer: Alles! alles! – Und du wagst es noch, mir ins Gesicht zu sehn? Das Entsetzen, die Scham macht dich nicht zum Leichnam?

Louise: Lieber Fermer –

Fermer: Lügnerin! – O wie die Wut in mir tobt! – Ich kann mich nicht lassen –

Er nahm wütend die Puderschachtel, brach sie in Stücke und warf sie zum Fenster hinaus.

»Wie Sie auch sind!« sagte Louise, indem sie aufstand; »womit soll ich mich denn nun frisieren?«

Fermer stampfte gewaltig mit den Füßen, warf sich auf den Boden, erhob sich wieder und ging vor den Spiegel. – »Wie es mich angreift!« sagte er niedergeschlagen, »ich fühle, mein Ende ist nicht mehr weit, der Tod wird mitleidiger sein als Sie.«

»Aber«, sagte Louise sanftmütig, »es mußte ja doch einmal anders werden; man kann jedoch nicht ewig schwärmen; mein Vater hat recht, man muß doch auch auf eine Versorgung denken. Ich wollte Ihnen nur neulich nichts sagen, weil ich Ihre Hitze fürchtete. – Nun sehen Sie, da schwimmen die Stücke der Puderschachtel – was nur die Leute davon denken werden.«

Sie sah den Fragmenten wehmütig nach, und Fermer sah aus, als ob er den Tisch nachwerfen wollte.

»Ich glaubte, Sie hätten mich längst vergessen«, fuhr Louise fort –

»Aber, meine liebevollen Briefe. –«

»Ich dachte, Sie schrieben sie nur, um sich im Stil zu üben – und dann war ich immer in Angst, mein Vater würde endlich noch den ganzen Handel erfahren.«

»So müssen wir uns denn trennen?« sagte Fermer in einem weinerlichen Ton.

»Auf ewig!« sagte Louise sehr rasch.

»Auf ewig!« seufzte Fermer und lag in ihren Armen: »- wer weiß, ob wir uns nicht nach vielen Jahren einmal wiedersehn.«

»Wie würde mich das rühren«, sagte Louise, »wegen all der Erinnerungen. – Sie kennen ja wohl die schöne Szene in der Aussteuer von Iffland?«

»Ach ja!« – und damit schieden die Unglücklichen. – Er eilte so schnell die Treppe hinunter, daß er sich mit dem Sporn den einen Stiefel aufriß und beinahe gefallen wäre.

Als er wieder auf seinem Zimmer war, sagte er: »Teure Nanette! große Seele! Jetzt erst erkenne ich ganz deinen Wert.« – Er nahm sein Stammbuch und machte auf dem Blatte, auf das sich Louise geschrieben hatte, ein großes Kreuz mit Tinte; denn für ihn war sie ja gestorben. Es war ein rührender, ein großer Moment; er legte Löschpapier dazwischen, damit das unglückliche Zeichen nicht die gegenüberstehende Seite verderbe, und so ein übles Omen hervorbringe; denn Nanette hatte sich vis à vis eingeschrieben.

Es gibt Stunden im Leben, in denen sich der Mensch an Empfindungen so erschöpft hat, daß er notwendig einschlafen muß. Fermer zog sich also aus, schickte den Stiefel zum Schuster und legte sich trübselig aufs Bett. Der Bediente hörte ihn schnarchen, als er vom Schuhmacher zurückkam.

Louise saß indes an ihrem Schreibtisch und fertigte folgenden Brief an ihre Vertraute aus, die nach einer benachbarten kleinen Stadt verreist war, um unter Onkeln und Tanten auf Picknicks und einigen bevorstehenden Hochzeiten den Frühling auf dem Lande zu genießen.

 

Liebe Seele!

Fermer und ich sind geschieden, es war eine entsetzliche Szene; ich mußte ihn mit Gewalt und mit Tränen zurückhalten, daß er nur nicht aus dem Fenster hinaus in den Kanal sprang. Ich hätte nie geglaubt, daß er einer so unendlichen Liebe fähig sei. – Meine Seele ist jetzt beunruhigt und ruhig zugleich; die Szene ist vorüber; aber er irrt jetzt vielleicht verzweifelt in den Wäldern umher, haßt die Menschen und sich, und schlägt kein Auge auf, um die Natur nicht gewahr zu werden, die er an meiner Seite so oft bewunderte. Wir Weiber sind doch schwache Geschöpfe, das kann ich nun wohl mit Recht sagen; denn der Herr Walther gefällt mir im Grunde doch besser, er ist schöner; mein Vater sagt, er sei reich. – Ich habe mich darein ergeben; kommen Sie doch ja zu meiner Hochzeit zurück.

 

»Wie schön ist der Frühling hier auf dem Lande«, schrieb die Freundin zurück; aber schade, daß ich noch fast gar nicht aus der Stadt gekommen bin, und es auch noch nicht habe möglich machen können, die Lektüre des Matthison anzufangen. Aber meine Lust zu tanzen kann ich hier recht befriedigen, denn es wird alle Abend getanzt und gewalzt, und der Sohn des Bürgermeisters hier ist ein exzellenter Tänzer und auch sonst ein artiger Mensch; er hat erstaunlich viel von Marquis Posa, dessen Rolle er auch fast ganz auswendig weiß. – Leben Sie wohl, bis wir uns fröhlicher wiedersehn.«

 

Fermer erhob sich gestärkt und getröstet vom Lager; die Dame gegenüber sah wieder aus dem Fenster, er ging im Zimmer auf und ab; bald sah er nach ihr; dann grüßte er; dann setzte er sich in einer schwermütigen Stellung dicht an das offene Fenster, damit sie ihn gewahr werden möchte; ja er gab sich selbst alle mögliche Mühe, um zu weinen, bildete es sich auch endlich ein und trocknete zu wiederholten Malen die Augen. – Als er durchs Schnupftuch nach dem Frauenzimmer hinübersah, bemerkte er, daß sie wieder lächle, und er schloß daher, ihre Seelen müßten ungemein sympathisieren.

Als sich die Dame zurückgezogen hatte, fiel es ihm ein, daß seine Mitbürger, nachdem er von der Akademie wieder zurückgekommen, wahrscheinlich irgend etwas von ihm erwarten würden. Er dachte an seine Geschichte, seine Empfindungen, an sein Herz, und er beschloß, alles in einem gutgesetzten Ritterromane wieder anzubringen; er sah sich schon gedruckt, rezensiert, in Kupfer gestochen. Auf einem feinen Bogen Papier schrieb er den Titel nieder, seinen Namen und inwendig: Erste Szene, denn es sollte dialogiert werden; dann durchdachte er die Materie und Einkleidung etwas genauer, trat bald vor den Spiegel, bald ans Fenster, und arbeitete so den größten Teil des Tages.

Er erhielt am folgenden Tage wieder einen schmeichelhaften Brief von Nanetten, die die Tochter eines Handwerkers war, aber immer große Gesinnungen äußerte, so, daß sie ihn selbst zuweilen beschämt hatte. »Ideal!« rief er aus, »du sollst wahrlich in dem Buche nicht vergessen werden« (er küßte den Brief), »nein, ich mache dich aus Dankbarkeit zur Hauptheldin, alle deine Briefe sollen mit kleinen unbedeutenden Abänderungen gedruckt werden; Welt und Nachwelt sollen sie ebenfalls genießen, und die weibliche Tugend bewundern.«

Er antwortete, er bekam Briefe, Louise feierte ihre Hochzeit, er schrieb an seinem Buche, er las andre Bücher, um sich zu bilden, ging spazieren, und rauchte einen neuen Pfeifenkopf braun; sah die Frau des Hauptmanns täglich; und als so ein Vierteljahr vergangen war, und Nanettens Briefe ausblieben: so gestand er es sich endlich, daß er in die Dame im Fenster gegenüber sterblich und unsterblich verliebt sei.

Eine neue wunderbare Situation! Sie war verheiratet; aber sie liebte ihren Mann gewiß nicht; der Hauptmann war gewiß ein roher gefühlloser Mensch; die Frau schmachtete wahrscheinlich nach Liebe und Büchern, und edelmütigen Gesprächen; sie lächelte immer wenn sie ihn sah – warum sollte er nicht den kühnen Schritt wagen, ihr seine Liebe zu gestehn?

Er wagte ihn – und da er kein andres Mittel sah, warf er einen großen Brief in ihr Zimmer hinein, als das Fenster an einem warmen Tage offengelassen war; dieser Brief enthielt alle seine Empfindungen, seine ewige Liebe, ganz genau beschrieben, so, daß man hätte blind sein müssen, um sie zu verkennen.

Er wollte nun den Erfolg seiner Erklärung abwarten; aber die Frau ließ sich seit der Zeit gar nicht mehr am Fenster sehn, und indem er noch in der höchsten Ungewißheit war, erhielt er ein Billet, das nichts Geringeres als eine Ausforderung vom Hauptmann enthielt, der durchaus auf eine blutige Art die Beleidigung seiner Frau rächen wollte.

Fermer vergaß seine Bücher, seine Nanette, seine neue Geliebte, alles, über diese unvermutete Ausforderung. Er schloß sich ein, er setzte sich nieder, er las das Billet noch einmal, und der Inhalt war um nichts besser; er weinte, er beklagte sein grausames Schicksal und sein frühzeitiges Ende, den Verlust seines Vaterlandes, die Vernichtung aller großen Plane. Er beschloß, die Ausforderung nicht anzunehmen, denn die Gesetze hätten dergleichen mörderliche Duelle verboten, ein junger Mensch könne wohl einmal in Versuchung fallen, verdiene aber deswegen nicht, daß er gleich umgebracht werde. Kurz, er hatte ungemein moralische Gedanken; er beschloß, in die Gattin des Hauptmanns nicht weiter verliebt zu sein; denn es sei wirklich unrecht, aber auch nicht sich der Gefahr auszusetzen, die Spitze eines Degens in den Leib zu bekommen.

»Aber bin ich nicht ein Feigling?« rief er aus, indem ihm Friedrich mit der gebissenen Wange in die Augen fiel; »soll sich ein deutscher Mann so betragen? – Was ist denn der Mut anders, als eben die Verachtung der Gefahr? Wahrlich, wenn es keine Gefahr gäbe, würden wir alle ohne Umstände mutig sein. Jetzt nimmt vielleicht die größte Periode meines Lebens ihren Anfang, und ich ziehe mich selber schändlicherweise zurück; nein, ich will dem Abenteuer, ich will meinem Feinde entgegengehn.«

Er betrachtete seinen Degen, den er bis dahin noch nicht genau angesehn hatte, dann las er die Beschreibung einiger fürchterlichen Zweikämpfe, und hatte es noch nie so lebhaft empfunden, wie viel an Leib und Leben diese deutschen Helden gewagt hatten.

Er sah sich als Sieger aus dieser blutigen Fehde kommen, ein ganz neues, interessantes Kapitel in seiner Lebensgeschichte, er hörte sich bewundern, er war mit sich selber ungemein zufrieden.

»Aber«, unterbrach er diese angenehmen Vorstellungen, ich könnte mir denken, daß mein Gegner auch der Held einer interessanten Lebensgeschichte wäre, in der ich gleichsam als Episode erschiene, als Nebenperson, die nur aufgefüttert ist, um den Ruhm dieses mir fremden Menschen zu verherrlichen; denn hätten jene alten Helden keine tapfern Männer umgebracht: so hätten wir auch von jenen Gefallenen keine weitläuftigen Sagen der Vorzeit. – Wer steht mir für den Sieg?«

Dadurch wurde seine Heiterkeit wieder niedergeschlagen; er beschloß, niemand etwas von seiner Gefahr zu vertrauen, um sein gutes oder böses Schicksal in bestmöglichster Ruhe abzuwarten.

Der Bediente trug das Abendessen auf, aber der Herr hatte allen Appetit verloren; seine Schwermut war so merklich, daß ihn selbst Johann fragte, ob ihm etwas fehle. Fermer seufzte, drehte den Kopf von der Seite und sagte: ihm fehle nichts.

Der Bediente kam wieder, und nahm das Abendessen fast ganz so wieder mit, wie er es aufgetragen hatte, das war ein unerhörter Fall; er konnte unmöglich seinen Herrn allein leiden lassen. Fermer ward durch die Treue seines Dieners gerührt, er fiel ihm schluchzend um den Hals. »Johann!« rief er aus, »ich gehe in meinen Tod, mit dem Anbruch des Tages bin ich nicht mehr.«

Johann entsetzte sich; denn er hatte noch rückstehenden Lohn zu fordern; er suchte seinem Herrn begreiflich zu machen, daß er nicht recht bei Sinnen sei, wie er aus diesen Reden und aus dem wenigen Appetite ganz deutlich abnehme. Fermer aber blieb in seiner tragischen Laune; behauptete, er könne nichts entdecken, aber sein Tod sei ihm nur allzugewiß.

Die Beredsamkeit Johanns stockte endlich, und der Herr nahm nun von seinem Diener den rührendsten Abschied. Einer hing am Halse des andern, beide weinten; die Edeln litten gewaltig.

Johann ging endlich zu Bette; in der grausenden Mitternacht schrieb Fermer diesen kurzen Brief an Nanette:

 

Gute!

Lebe wohl, ewig wohl – ich danke Dir dafür, was Du mir in diesem Leben warst; die Erinnerung will ich mit in die Ewigkeit hinübernehmen. – Es ist schwarze Nacht, und der aufgehende Tag wird noch schwärzer sein – mein Schicksal ruft mit eherner Glockenstimme, ich muß ihm folgen – lebe wohl.

 

Es wurde wirklich Tag, woran Fermer immer noch im stillen gezweifelt hatte; er nahm seinen Degen unter seinen Überrock und verließ die Stadt. Es war ihm schauerlich, daß noch alle Leute schliefen, und er allein so früh aufgestanden sei, um sich abschlachten zu lassen.

An dem bestimmten Orte sah er den Hauptmann mit entblößtem Degen stehn – aller Mut verließ ihn, er näherte sich zitternd und sank auf ein Knie nieder.

»Großmütiger Feind!« rief er demütig – »schonen Sie einen Jüngling, dessen Unbesonnenheit –«

Der Hauptmann gab ihm ein paar Schläge mit der Klinge, die ziemlich empfindlich waren. »Sei Er künftig kein Narr«, sagte er, »alles war nur ein Spaß – ich mich schlagen mit einem solchen Schlucker? – Er ist jetzt genug gestraft, ich und meine Frau haben schon im voraus über diese Posse gelacht.« – Er steckte den Degen ein.

Fermer dankte in den rührendsten Ausdrücken, er flog zur Stadt zurück; Johanns Freude, daß er seinen Herrn wiedersah, war unbeschreiblich; Fermer zahlte ihm seinen Lohn aus, und gab ihm noch überdies ein Geschenk, dann legte er sich zu Bette und schlief einen vortrefflichen gesunden Schlaf.

Als er aufstand, war er ungewöhnlich froh; er aß stärker als gewöhnlich, rauchte mehr Tabak als gewöhnlich, zog sich besser an als gewöhnlich. Es war, als wenn er allen Gütern dieses Lebens seine Antrittsvisite abstatten wollte. Nachmittags schrieb er folgenden Brief an Nanetten:

 

Teure Seele!

Die Gefahr ist vorüber – ich bin dem Leben zurückgegeben. Beinahe wär ich Dir auf mehr als eine Art entrissen worden, aber der Himmel hat sich unsrer Liebe angenommen, nun bin ich ganz, ganz wieder Dein; alle Hindernisse sind gehoben. – jauchze mit mir, die Vernichtung hat nun weiter keinen Teil an mir, ich war der Gefahr zu stark; mein brausendes Blut, meine Nervenstärke hat den Tod zurückgeschreckt. Der Mann müßte kein Mann sein, der nicht einmal das Schicksal besiegen könnte. – Ich will in der Einsamkeit nun ganz Dir leben, nur Gedanken an Dich sollen mich beschäftigen.

Adieu.

 

Er gab beide Briefe zugleich auf die Post, der erste sollte mit der reitenden, der andere mit der fahrenden abgehn, so, daß sie ohngefähr zu gleicher Zeit ankamen.

Er wollte zum Fenster hinaussehn, zog aber den Kopf schnell wieder zurück, denn die Frau des Hauptmanns sah aus dem gegenüberstehenden.

Fermer machte nun ganz ernsthaft den Plan, die Stadt zu verlassen, und sich reizender auf einem Dorfe, den Rest des Sommers einzumieten. Es kam ihm so schön vor, sich als ein unbekannter Menschenhasser unter den Bauern umherzutreiben, die Neugier der Leute zu spannen, und jeden zu verwünschen, der nur ein menschliches Gesicht habe. Das ganze Menschengeschlecht sah er als eine Rotte von Verrätern an. Louise, die Hauptmännin, der Hauptmann, hatten sich treulos gegen ihn erwiesen, und auch von Nanetten war seit lange kein Brief angekommen. Hinlängliche Gründe, um die Welt zu verfluchen; viele tun es oft aus noch geringem Ursachen.

Er fand eine Wohnung die ihm gefiel, und zog mit seinem Bedienten hin, das Dorf war nur eine halbe Meile von der Stadt entfernt. Johann mußte nun viel leiden, weil er das Unglück hatte, auch zu den Menschen zu gehören; bald war das Essen schlecht, bald wurde seinem Herrn die Zeit lang, bald schimpfte er, daß auf dem Dorfe kein Kaffeehaus sei, und kein vernünftiger Mensch zum Umgang, um die Einsamkeit erträglich zu machen.

Er lernte Lieschen, die Tochter des Küsters, kennen. Sie war ein derbes, gesundes Mädchen, dem Fermer, seiner Sporen wegen, ganz außerordentlich gefiel. Er besuchte den Vater, sprach mit der Tochter, fluchte auf die Menschen, schalt sie alle Bösewichter, und machte Lieschen zu seiner Vertrauten.

Sie lernte bald von ihm die Menschen verwünschen und die Einsamkeit der Gesellschaft vorziehn, beide waren daher jetzt unzertrennlich. Fermer verliebte sich, er ward wiedergeliebt, und da Lieschen in Büchern nicht sehr belesen war, so ging diese Liebe bald aus dem Sentimentalen in die natürliche über. Der Vater bemerkte ihre Vertraulichkeiten und ward ergrimmt; um ihn zufriedenzustellen, ließ sich Fermer mit Lieschen aufbieten und versprach, die Hochzeit in vierzehn Tagen zu feiern.

Plötzlich erschien Nanette im Dorfe; sie hatte Fermern in der Stadt vergebens gesucht; sie war ihrem Vater entlaufen, um bei ihm Trost zu finden. – Alle waren in Verzweiflung.

Nanette warf sich auf die Kniee und schrie und heulte. – »Ich bin Mutter!« rief sie pathetisch – (und es wäre unnötig gewesen, es zu sagen; denn jedermann bemerkte es). – »Ums Himmels willen Leopold! gib diesem Kinde einen Vater, oder ich muß es mit diesen Händen umbringen, so leid es mir auch tun sollte. – Laß die Bitten einer Mutter an dein Herz ergehn.«

Lieschen wollte schon aus dem ähnlichen Tone zu sprechen anfangen, als sich Nanette endlich besänftigen ließ, und großmütig, nachdem ihr Fermer einige hundert Taler verschrieben hatte, zurückstand. – Sie entdeckte jetzt, daß sie einen Liebhaber habe, der sie heiraten wolle, wenn sie nur einiges Vermögen aufzuweisen habe; er war auf der Universität Hofmeister eines jungen Amtmannssohns gewesen, und bekam jetzt eine Stelle an der Schule in Fermers Geburtsstadt.

Alle waren zufrieden; Fermer zog mit seiner Frau in die Stadt, und brachte ihr Geschmack an Büchern bei; sie lernte Louisen kennen, diese mit der Vertrauten, die indessen ihren Marquis Posa geheiratet hatte, nebst Nanetten und ihrem Mann, machten einen vertraulichen Zirkel aus, in dem man las und sprach und gähnte. –

Fermer ist seitdem Schriftsteller geworden und bietet den Buchhändlern folgende Manuskripte an:

Löwenhelm der Bärenstarke, Vaterlandssage, in 3 Bänden.

Die Eroberung von Teltow, ein brandenburgisch-vaterländisches Schauspiel, in 6 Aufzügen.

Die unsichtbaren Sichtbaren, eine Geschichte, die man kürzlich in den Obelisken gefunden, 4 Bände.

Rudolph vom Kellersporn, gemeinhin genannt der Abgrundspringer, in 2 Bänden.