Ludwig Tieck
Der Naturfreund
Ludwig Tieck

Ludwig Tieck

Der Naturfreund

Um die Zeit im Sommer, in der ein Teil der schönen Welt gewöhnlich seine Zuflucht nach einem Bade nimmt, setzte sich auch ein Kriegsrat Kielmann in einen Wagen, um die Stadt zu verlassen. Er war nicht krank, und wollte auch kein Bad besuchen, sondern eine Zeitlang in der Nähe eines Gesundbrunnens wohnen, um die schöne Natur zu genießen.

Der Kriegsrat Kielmann war ohngefähr dreißig Jahre alt uns ein sehr brauchbarer Geschäftsmann, er hatte eine Erholung nötig, weil er eine lange Zeit strenge gearbeitet hatte, und er jetzt selbst für seine Gesundheit fürchtete. Er wollte daher mehrere Wochen auf dem Lande zubringen, um sich und einer schönen Muse zu leben: denn der Kriegsrat war zugleich ein Mann von Empfindung, der in seinen jüngern Jahren die schönen Wissenschaften studiert hatte. Daraus wollten ihm manche Leute in der Stadt einen Vorwurf machen; ja manche gingen gar so weit, ihn einen Narren zu schelten: diese aber waren meist mit dem Kriegsrate Weller verwandt, dessen Tochter Herr Kielmann nicht geheiratet hatte, ohngeachtet es ihm angeboten und sie das reichste Mädchen in der Stadt war. Kielmann achtete wenig auf dieses Gerede, denn er war zu sehr Philosoph, um sich um Stadtgeschwätz zu kümmern; er fuhr jetzt mit frohem Sinne durch das Tor, und steckte seinen Kopf lächelnd weit aus der Chaise heraus, um sogleich das freie, sonnige Feld in Augenschein zu nehmen.

Jetzt will ich dich nun auch recht genießen o Natur, dachte der Kriegsrat bei sich selber; alle meine Arbeiten und Geschäfte will ich nun vergessen und nur für dich Augen und Gedächtnis haben. Ich will zu den Empfindungen meiner poetischen Kinderjahre zurückkehren, ich will mein Dasein verjüngen und wie ein Kind an den Händen der Schönheit und der Natur einhergehen.

Der Wagen fuhr indessen weiter, und der Kriegsrat gab sich große Mühe, ja keinen Berg oder kein Dorf mit seinen Augen zu versäumen, damit er nichts vom Genuß der ländlichen Natur verliere. – Wie glücklich bin ich, fuhr er dann mit seinem Selbstgespräche fort, daß ich noch so frei und ledig bin, ganz meinen eigenen Einfällen folgen kann und nicht von den Launen einer Frau abhänge; die Mademoiselle Weller ist ein ganz hübsches Mädchen, sie hat viel Geld, aber wenig Verstand und noch weniger Empfindung, keine Lektüre und keine Liebe für die Poesie; aus der Natur macht sie sich gar nichts, sie lacht zu viel, sie scherzt über alles. – Es ist überhaupt besser, daß ich mich nicht mit dem Heiraten übereile; denn wie selten ist es, daß wir eine Seele finden, die mit uns sympathisiert und ohne die reinste Sympathie der Seelen fühlt man in der Ehe nur die Fesseln, und den Verlust der Freiheit.

Kielmann hatte während diesen Betrachtungen einen See, der links an der Straße lag, zu bewundern vergessen; er ließ daher den Kutscher still halten, und stieg aus, um das Versäumte nachzuholen. Dann ging er einen Fußsteig über eine Wiese und ließ den Wagen langsam weiter fahren; er betrachtete nun jede Gruppe von Bäumen sehr genau, und suchte sie seiner Phantasie einzuprägen; er empfand ungemein viel, und stieg nur erst wieder in den Wagen, als ihn das Gehen ermüdet hatte.

Als er wieder im Wagen saß, freute er sich auf den Anblick einiger Ruinen, die in einer halben Stunde erscheinen würden, und bei denen er schon in der bloßen Vorstellung einen kleinen Schauder empfand. – Bäume und Häuser gingen nun rasch seinen Augen vorüber, der Gesang der Vögel, das Rasseln der Räder, das Rauschen der Bäume und die wiegende Bewegung des Wagens versetzen ihn bald in eine gewisse Trunkenheit, er rieb die Augen zu widerholtenmalen, gähnte dann, und nach einiger Zeit akkompagnierte er das Konzert der Natur mit einem lauten Schnarchen.

Der Fuhrmann rief: Brrr!! – Die Pferde standen, der Wagen hielt; der Kriegsrat dehnte sich, gähnte und rieb die Augen mit seinen ausgespreiteten Händen. – Wo sind wir denn? rief er jetzt dem Fuhrmann zu.

Beim Wirtshause, Herr Kriegsrat, hier wollen wir füttern. – die letzte halbe Meile hieher. – Aber wo sind denn die Ruinen? O Gottlob, da sind wir schon seit einer Stunde vorbei. Schon seit einer Stunde? fragte der Kriegsrat und stieg noch halb schlaftrunken aus dem Wagen.

Ei! ei! sagte er zu sich selber, das ist nicht fein! Pfui! in der schönen offenen Natur einzuschlafen! Auf einer Reise, auf die du dich schon seit so lange gefreut hast! – Wenn das so fortginge, so würden wir mit dem Genuß der Natur nicht weit kommen.

Man bereitete das Mittagessen, das unsern Reisenden wieder stärkte; der Wirt unterhielt ihn dabei mit den Namen der Brunnengäste, die schon durchgereist wären; Kielmann aß und trank und wiederholte sich die schönen Szenen in seiner Phantasie, die ihm auf dem Lande bevorstünden; die rauschenden Wälder, der Gesang der Nachtigallen und Lerchen, die schöne Unschuld von Dorfbewohnern, die Simplizität ihrer Lebensart usw. – Es mißfiel ihm die Geschwätzigkeit des Wirts und er trieb den Fuhrmann und seinen Bedienten an, um so geschwind wie möglich, wieder anzuspannen.

Die Reise ging weiter. Der Kriegsrat labte sich wieder an den schönen Aussichten und schlief dann zur Abwechselung wieder ein; auf jeder Meile nahm er sich fest vor, munter zu bleiben, aber seine Natur überwand jedesmal seinen Vorsatz; dann ward er auf sich selbst böse und war am Ende doch genötigt, sich wieder mit sich auszusöhnen. – Spät in der Nacht hielt der Wagen in dem Dorfe, in welchem der Kriegsrat seinen Wohnsitz aufschlagen wollte. Er aß nur wenig und legte sich bald schlafen.

Der Gesundbrunnen war nur eine halbe Meile von diesem Dorfe entfernt, und hier wohnte neben andern für uns uninteressanten Gästen die Geheimrätin Langhoff mit ihrer Tochter Caroline; der Mann war schon seit einigen Jahren tot, und sie lebten von einer Pension und den unbedeutenden Renten eines kleinen Vermögens. Die Tochter ward in jedem Sommer krank, und die Mutter wandte einen großen Teil ihres jährlichen Einkommens darauf, um mit Carolinen eine Zeitlang auf dem Brunnen zu wohnen, um sie dort mit allen Gästen bekannt zu machen; der Zweck davon war: Mademoiselle Langhoff war schon fünfundzwanzig Jahr alt und doch noch nicht verheiratet. Man war in der Gesellschaft, man tanzte und lachte und die Mutter glaubte, daß sich die Tochter doch wohl irgendeinmal einen reichen, angesehenen Mann antanzen würde, den ihre schönen Augen oder ihr noch schönerer Wuchs auf ewig zu ihrem Sklaven, oder was noch schlimmer und bedeutender war, zu ihrem rechtmäßigen Manne machen würde.

Der Leser, der so gütig ist, diese kleine und unbedeutende Erzählung Wort für Wort zu lesen, wird uns nun erlauben, mit Briefen fortzufahren, die wir neben einander stellen wollen, damit die Verschiedenheit des Stils und der Charaktere desto mehr in die Augen falle.

Beim Sonnenaufgang saß der Kriegsrat schon an einem Tisch und schrieb einen Brief an einen Freund in der Stadt, den er aber nicht sogleich abschickte, sondern in der Form eines kleinen Tagebuches fortsetzen wollte; die schöne Caroline schrieb fast um dieselbe Stunde an eine Freundin, und der Leser erhält nun hier die Parallelbriefe:

Brief des Kriegsrats Kielmann.

am 3ten Juli.

Liebster Freund,

O wie glücklich, wie außerordentlich glücklich bin ich! – Ich schreibe Ihnen aus meinem Dorfe, indem die Sonne eben aufgeht und rote feurige Strahlen über mein Papier wirft. – Ein schöner Hügel mit Bäumen bekränzt steht vor meinen Augen, und mir ist so frisch und leicht, daß ich es Ihnen gar nicht beschreiben kann.

Weiche reine gesunde Luft atme ich hier ein! – Wie froh werde ich nach einigen Wochen zur Stadt und zu meinen Geschäften zurückkehren! – Hier brauche ich nun nach keinem Rathause zu gehen. Hier ängstigen mich nicht die vollgestopften Repositorien mit ihren bestäubten Akten. Ich will oft an diese Qualen zurückdenken, um die kurze Zeit, die ich hier zubringe, desto mehr zu genießen.

Brief der M. Caroline.

am 3ten Juli.

Liebe Louise,

Ich bin heut früher als gewöhnlich aufgestanden, und es scheint heute recht schönes Wetter zu werden. – Was das hier angenehm ist, daß man sich nicht so wie in der Stadt zu genieren braucht. – Ich habe nun endlich meine elegante Morgenhaube fertig, und ich trage sie heute im Negligé zum erstenmale. – Das öftere Umkleiden, die Pläsiers, das Brunnentrinken macht, daß die Zeit vergeht, man weiß selbst nicht wie. Alles ist hier so lustig und munter, besonders ein gewisser Herr Brand die Seele der ganzen Gesellschaft. Er ist lauter Leben. Bald springt er herum, bald gibt er Rätsel auf, bald neckt er einige aus der Gesellschaft; er hat ein erstaunliches Gedächtnis. – Manche wollen es ihm nachmachen, aber es gelingt doch keinem so recht.

Brief des Kriegsrats Kielmann

am 4ten Juli nachmittags.

Ich habe gestern und heut die schönen Gegenden umher besucht. Da ist ein kleiner Wasserfall hier ganz in der Nähe, der mich heut morgen entzückt hat.

Das Mittagessen, das ganz einfach war, hat mir heute köstlicher geschmeckt, als je in der Stadt, und die Menschen, bei denen ich wohne, sind so simpel und so gut, daß mich ihre Gespräche mehr unterhalten, als bei mit jenen verfeinerten Stadtmenschen, die nie wissen, was sie glauben oder sagen sollen.

Brief der M. Caroline.

nachmittags am 4ten Juli.

Ich kann immer noch vor Lachen nicht zu mir selber kommen. Herr Brand hatte heute mittag einen Bauern zum besten, der Erdbeeren zum Verkauf brachte. Die ganze Tischgesellschaft wollte sich vor Lachen ausschütten. Es ist ein allerliebster Mensch, der Brand! die Frauenzimmer hier reißen sich auch um ihn; wie wenige Männer gibt es doch, die ihm ähnlich sind. Wie stechen die alten, steifen Offiziere, die hier sind, gegen ihn ab!

Brief des Kriegsrats Kielmann

am 5ten Juli.

In dieser Nacht ist plötzlich Regenwetter eingefallen, und es scheint anhalten zu wollen. – Das macht mir freilich einen großen Strich durch meine schöne Rechnung; ich muß mich aber trösten und meine Zuflucht zur Lektüre nehmen. Es ist denn doch gut, daß ich einige von meinen Lieblingsdichtern mitgenommen habe. Ich habe Thomsons Jahrszeiten schon angefangen und lese dies schöne Gedicht immer wieder mit großem Interesse von neuem.

Brief der M. Caroline

am 5ten Juli.

Es ist um zu verzweifeln! Es war so eine schöne Landpartie arrangiert, und nun fällt es dem Himmel ein, zu regnen. – Da ist nun die liebe Frau von Lemstein und Herr Mannert gebeten, und nun werden wir uns heute an den langweiligen l'Hombretisch setzen müssen. Ich werde Langeweile haben und vielleicht noch mein Geld verlieren, denn ich gebe gewiß auf das Spiel nicht Achtung. – Ist es nicht um zu verzweifeln, liebe Louise.

Brief des Kriegsrats Kielmann

am 7ten Juli.

Immer noch Regen und schwarz bezogener Himmel! – Das Wetter macht mich ganz unbegreiflich träge und schläfrig. Ich lese fast unaufhörlich; aber das Lesen spannt mich zu sehr an.

Statt selbst in der goldenen Zeitenwelt zu leben, lese ich jetzt Gesners göttliche Schilderungen davon. Es will mir nur alles nicht recht behagen, weil ich mich auf die Natur selbst zu sehr gefreuet habe.

Brief der M. Caroline

am 7ten Juli.

Jetzt ist mir bei dem schlechten Wetter doch besser, wenigstens etwas. Herr Brand hat uns schon einigemal recht lustige Anekdoten vorgelesen, wir kommen dabei im Saale zusammen; heute abend wollen wir ein Pfänderspiel versuchen.

Das schlechte Wetter ist doch immer hier noch eher zu ertragen, als in der Stadt, man ist doch ungeniert und dabei in Gesellschaft.

Wie ich es sagte! ich habe gestern einen Taler und drei Groschen verloren.

Brief des Kriegsrats Kielmann

am l0ten Juli.

Es ist doch zu arg! Denken Sie nur lieber Freund, das Regenwetter will immer noch nicht aufhören. Die Zeit meines Urlaubs verstreicht indes, und ich sitze hier in einem schmutzigen elenden Dorfe gefangen, ohne Beschäftigung, ohne Gesellschaft. – Soll man dabei nicht unzufrieden werden? Wenn ich wüßte, daß das Wetter so bliebe, ließe ich gleich anspannen und führe wieder nach der Stadt zurück. – Alles macht mir hier Langeweile; da ich nicht mehr spazieren gehen kann. Die Leute hier sind zwar auf den ersten Anblick recht gut; aber zum Umgang sind sie doch ganz unbrauchbar. Das Essen hier ist auch meistensteils sehr schlecht, und was das Schlimmste ist, die Menschen wissen es nicht zuzurichten. – Ich bin ordentlich auf Neuigkeiten aus der Stadt begierig; aber man erfährt hier nichts, ich lebe hier, wie in der Arabischen Wüste.

Brief der M. Caroline

am l0ten Juli.

Wir sind jetzt immer alle recht vergnügt. Es ist nur ärgerlich, daß mir Mama jetzt immer Streiche spielt. Sie mag den Herrn Brand nicht gerne leiden, und darum soll ich auch nicht viel mit ihm umgehen. Die Pfänderspiele haben uns alle recht amüsiert, und der kleine Brand wußte es so einzurichten, daß ich ihm durchaus ein paar Küsse geben mußte. Es ist recht schade, daß der hübsche Mensch nicht mehr Vermögen hat; denn so sagt man von ihm, daß er viel schuldig sein soll. Ein paar allerliebste Sprüchwörter hat er auch erfunden und aufgeführt; in dem einen mußte ich seine Frau vorstellen; das gab denn zu allerhand Neckereien Gelegenheit, die Mama viel zu ernsthaft genommen hat. Ich wette, wenn der junge Mensch reicher wäre, Mama würde ihn selber gern sehn. – Aber so, – ach, ich weiß nicht, was ich alles schwatze! –

Brief des Kriegsrats Kielmann

am 11ten Juli.

Ich bin mit dem Prediger des Dorfes, einem alten wunderlichen Manne, bekannt geworden. Er hat eine außerordentliche Leidenschaft fürs Kartenspiel, versteht aber kein anderes als das gemeine alte fränkische Mariage. Er lenkte bald darauf ein, und ihm zu Gefallen habe ich heute fast den ganzen Tag an dem Spieltisch versessen. – Was sagen Sie dazu, mein Freund? Aber was soll man auch bei dem abscheulichen Wetter anfangen?

Brief der M. Caroline

am 11ten Juli.

Ich kann doch den Herrn Brand nicht vermeiden, ohne die ganze Brunnengesellschaft aufmerksam zu machen, nicht wahr, liebe Louise? Und doch will es Mama durchaus so haben. Und ich weiß es, daß es den armen Menschen betrübt, wenn ich mich jetzt mehr zurückziehe. Er geht mir immer nach und sucht recht geflissentlich meine Gesellschaft, – ja Mama mag es ihm selber verbieten! was geht es mich an?

Brief des Kriegsrats Kielmann

am 14ten Juli.

Ich finde doch, daß man bei jedem Spiele mehr Feinheit anbringen kann, als man im Anfange glaubt. Der Prediger hatte bisher immer von mir gewonnen; aber jetzt ist oft der Sieg zweifelhaft. Das Spiel interessiert mich ordentlich lebhaft; der sonderbare Mann hat mich mit seiner Leidenschaft angesteckt.

Brief der M. Caroline

am 14ten Juli.

Denken Sie nur, man sagt sich ins Ohr: Brand würde die dicke Frau von Lemstein heiraten. Er spricht zwar viel mit ihr, aber das kann ich denn doch unmöglich von ihm glauben. Sind Sie nicht auch meiner Meinung, liebe Louise? Sie kennen ja auch das häßliche Weib.

Brief des Kriegsrats Kielmann

am 20ten Juli.

Ich bin recht böse auf mich, und ich denke, ich habe Ursache dazu. Schon seit vier Tagen ist das schönste Wetter von der Welt, und ich habe sie am Spieltische zugebracht, mit dem abgeschmackten Prediger und seinem kläglichen Spiele habe ich sie verschwendet. Erst heute bin ich wieder ausgegangen. Wie kann der Mensch so schwach sein? – Ich begreife mich selbst nicht.

Brief der M. Caroline

am 20ten Juli.

Es ist gewiß mit der Frau von Lemstein. O der Windbeutel! – Aber die ganze Gesellschaft hier verachtet ihn auch, und das mit Recht; der Harlekin kömmt einem gar nicht wie ein ordentlicher Mann vor. Bloß des Vermögens wegen ein altes, häßliches Weib zu heiraten?

Wie kann ein Mensch so elend sein? – Ich kann es nicht begreifen.

Brief des Kriegsrats Kielmann

am 21ten Juli.

Ich habe den benachbarten Brunnen heute besucht, und ich finde, daß uns selbst auf dem Lande Gesellschaft unentbehrlich ist. Es sind viele Bekannte hier, als die Geheimrätin Langhof mit ihrer Tochter, die Frau von Lemstein und andre. Pharao wird hier hoch gespielt. Ich werde öfter herkommen.

Brief der M. Caroline

am 21ten Juli.

Ich wünsche, wir möchten wieder bald nach der Stadt zurückreisen. Alles wird hier so langweilig; man amüsiert sich jetzt mit Hasardspielen. – Da war heute der unausstehliche Kriegsrat Kielmann hier, der empfindsame Narr. Sie müssen ihn auch kennen, der einmal eine Liebschaft mit der Mamsell Weller hatte.

Brief des Kriegsrats Kielmann

am 22ten Juli.

Bin ich nicht ein rechter Narr, daß ich meine Zeit verderbe und mein Geld verspiele? – Ich habe heute im Pharao sehr ansehnlich verloren; ich will es auch künftig unterlassen.

Brief der M. Caroline

am 22ten Juli.

Mama hat auch Lust, nach der Stadt zurückzukehren, und ich wünsche, es würde nur erst angespannt, dann könnt' ich mit Ihnen, liebe Louise, über dies und jenes weitläufig sprechen.

Brief des Kriegsrats Kielmann

am 23ten Juli.

Die Gegend um den Brunnen und die Gesellschaft dort gefällt mir außerordentlich. Ich habe heute nicht gespielt und mich doch sehr unterhalten. Sie werden die Tochter der Rätin Langhof kennen, es ist ein sehr liebenswürdiges Mädchen; ich habe mit ihr und der Mutter viel gesprochen, wir gingen ziemlich lange miteinander spazieren. Man hat mich eingeladen.

Brief der M. Caroline

am 23ten Juli.

Das fehlt uns noch, daß uns die langweiligen Narren auf den Hals kommen! Da hat sich der pinselnde Kielmann den ganzen Tag mit uns herum getrieben und mir vollends alle Laune verdorben. Mama ist von dem vernünftigen Manne ganz charmiert und hat ihn auf morgen gebeten. – Alles ist mir entgegen! – Ich möchte manchmal toll werden!

Brief des Kriegsrats Kielmann

am 24ten Juli.

Die Mademoiselle Langhof ist nicht nur ein schönes, sondern auch ein überaus verständiges Mädchen, sie spricht auch mit vielem Gefühl. Ein affektiertes Windspiel strich heut viel bei ihr herum; sie begegnete ihm aber, zu meiner großen Freude, mit der gehörigen Verachtung. Etwas, das man selbst bei den klügsten Frauenzimmern nur sehr selten findet, denn fast alle lieben bei den Mannspersonen die Affenmanieren.

Die Rätin selbst ist eine hochachtungswürdige Frau; sie scheint von mir eine sehr gute Meinung zu haben. Sie äußerte heut, daß sie wünschte, ich möchte sie öfter besuchen, damit sie sich etwas mehr von der uninteressanten Brunnengesellschaft entfernen könne. – Wenn ich der Tochter nur nicht zur Last falle! Mir schien es heut, als wenn sie mich nicht besonders gerne sähe. – Es tut mir fast leid, daß ich nicht selbst auf dem Brunnen wohne: der Weg nach dem Dorfe ist doch etwas beschwerlich.

Brief der M. Caroline

am 24ten Juli.

Einen so verdrießlichen Tag habe ich seit langem nicht erlebt. Der Kriegsrat ist fast bis um Mitternacht geblieben, und auch der elende Brand war impertinent genug, uns auf eine Stunde zu besuchen. Ich denke aber, ich bin ihm so begegnet, daß er nicht wieder kommen soll. Recht das Gegenteil von ihm ist der Kriegsrat, mit dem Mama außerordentlich höflich und freundschaftlich ist, weil er Vermögen hat; er findet sich dadurch sehr geschmeichelt.

Es war gestern ein Gewitter, und ich glaubte gewiß, daß uns der Kriegsrat verschonen würde; aber er kam dennoch. – Mama meint, er wäre in mich verliebt; je nu, als Mann wäre er wohl noch zu ertragen. Wir wollen sehen, wie es sich fügt; ich will wenigstens von nun an freundlicher gegen ihn sein; sollte es auch nur deswegen geschehen, um den jämmerlichen Brand recht empfindlich zu kränken. – Wenn der Kriegsrat nur nicht so ganz außerordentlich langweilig wäre.

Brief des Kriegsrats Kielmann

am 27ten Juli.

Ich bin jetzt den ganzen Tag auf dem Brunnen. Morgen wird hier ein Zimmer leer, und ich will nun noch auf einige Tage hier wohnen.

Die Rätin hat mir erzählt, daß ihre Tochter mich sehr gerne sähe, daß sie oft nach mir frage, und daß sie nur zu blöde und bescheiden sei, um etwas von ihrer Zuneigung in meiner Gegenwart zu äußern. Ich habe es nie recht glauben können, aber jetzt bin ich davon überzeugt. Sie ist seit zwei Tagen sehr freundlich gegen mich, und als ich ihr heut aus dem Klopstock etwas vorlas, bemerkte ich plötzlich, daß Tränen aus ihren Augen brachen. – Wenn ich aufrichtig sein soll, lieber Freund, so muß ich Ihnen sagen, daß das mein Herz gebrochen hat; ich fühle es jetzt, daß ich sie liebe, die Natur umher hat neue Reize für mich, ich bin glücklich. – Wenn sie mich nur wieder liebte, so wie ich sie liebe!

Brief der M. Caroline

am 27ten Juli.

Der Kriegsrat wohnt jetzt auf dem Brunnen, so sehr hat er sich an uns attachiert.

Ich möchte jetzt mehr darauf wetten, daß er wirklich in mich verliebt ist. Unaufhörlich betrachtet er mich mit sehr zärtlichen Augen; er seufzt und ist oft in Gedanken. Ich begegne ihm freundlicher, und er ist dadurch sehr glücklich. Er las uns heute aus dem Klopstock etwas vor; liest sehr schlecht, und dann machte mir auch der unaufhörliche Kram von Engeln und bösen Geistern, die unverständlichen Verse, und daß das Gedicht durchaus nicht spaßhaft war, so viel Langeweile, daß mir die Kinnbacken vom verbißnen Gähnen weh taten; meine Augen gingen endlich davon über, und er hielt es für Rührung.

Seit diesem Augenblicke wurde er noch weit zärtlicher gegen mich; meine Mutter ist sehr zufrieden, und ich bin es beinahe auch.

Brief des Kriegsrats Kielmann

am 28ten Juli.

Ich habe mich erklärt, ich habe die Einwilligung. – Beschuldigen Sie mich keiner Übereilung, teurer Freund; wie selten findet man jetzt ein fühlendes Herz? man achte es köstlich, wenn man es gefunden hat.

Brief der M. Caroline

am 28ten Juli.

Er hat sich erklärt, er hat die Einwilligung. – Nennen Sie mich nicht rasch, liebe Louise, denn meine Mutter hat recht. Die reichen Männer sind jetzt selten, und man schlage schnell zu, wenn sich einer anbietet.

Brief des Kriegsrats Kielmann

am 2ten August

Morgen reise ich von hier ab, und zwar in Gesellschaft meiner Braut und meiner Schwiegermutter; ich glaube, es wird nun gerade ein Monat sein, daß ich die Stadt verlassen habe. – Wie freue ich mich darauf, Sie wieder zu sehn und Ihnen meine künftige Gattin vorzustellen.

Brief der M. Caroline

am 2ten August.

Ich komme zurück, und zwar mit einem Bräutigam. – Endlich werde ich Sie nun wiedersehn, liebe Louise, und Sie müssen gleich in den ersten Tagen den Kriegsrat, meinen zukünftigen Mann, kennen lernen. – Leben Sie bis dahin recht wohl.

Und weiter? – Alle kamen glücklich zur Stadt zurück, es ward eine gewöhnliche Heirat geschlossen. Der Kriegsrat ward ein Ehemann; die ganze Stadt lachte, selbst die Braut lachte ein Duett mit ihrer Mutter. Und der Kriegsrat Kielmann? – je nun, der sah ein, daß er sich geirrt habe. – Aber ist nicht all unser Wissen in dieser Welt nur ein Irrtum? – Er tröstete sich mit diesem Gedanken.