Adalbert Stifter
Hagelwetter
Adalbert Stifter

Adalbert Stifter

Hagelwetter

Die Wolken hatten nach und nach die Sonne verschlungen. Die vielen Haseln auf dem Berge lagen im Schatten, die anstoßende Gegend war im Schatten, und nur noch die fernen Stoppeln gegen Morgen waren beleuchtet und schimmerten.

»Ich weiß nicht, liebe Kinder«, sagte die Großmutter, »ob es nun auch wirklich wahr ist, was meine Mutter oft erzählt hat, daß die heilige Mutter Maria, als sie zu ihrer Base Elisabeth über das Gebirge ging, unter einer Haselstaude untergestanden sei, und daß deshalb der Blitz niemals in eine Haselstaude schlage; aber wir wollen uns doch eine dichte Haselstaude suchen, deren Zweige gen Morgen hängen und ein Überdach bilden und deren Stämme gegen Abend stehen und den von daher kommenden Regen abhalten. Unter derselben wollen wir sitzen, solange der Regen dauert. Dann gehen wir nach Hause.«

»Ja, so tun wir, Großmutter«, riefen die Kinder, »so tun wir.«

Sie gingen nun daran, eine solche Staude zu suchen. Das braune Mädchen aber schoß in die Gebüsche und lief davon. Nach einem Weilchen kam es wieder und trug ein Reisigbündel in den Händen, wie man sie aus dünnen und dickern Zweigen und Stäben macht, aufschlichtet, trocken werden läßt und gegen den Winter zum Brennen nach Hause bringt. Es lief nun wieder fort und brachte zwei Bündel. Und so fuhr es mit großer Schnelligkeit fort, daß die braunblassen Wangen glühten und der Schweiß von der Stirne rann.

Während das braune Mädchen die Bündel trug und die Kinder und die Großmutter eine Haselstaude suchten, waren die Wolken, die früher so langsam gewesen waren, nun viel schneller näher gekommen, und der Donner rollte klarer und deutlicher.

Das braune Mädchen hörte endlich mit dem Herbeitragen von Bündeln auf und begann, aus denselben gleichsam ein Häuschen zu bauen. Es suchte eine Stelle aus, die gegen Abend mit dichten Haseln umstanden war, stellte Bündel gleichsam als Säulen auf, legte quer darüber Stangen und Stäbe, die es von dem Bündelstoße herbeigetragen hatte, bedeckte dieselben wieder mit Bündeln und häufte immer mehr und mehr Bündel auf, daß im Innern eine Höhlung war, die Unterstand bot.

Da es fertig war und da die Kinder und die Großmutter auch bereits eine taugliche Haselstaude gefunden hatten, unter derselben saßen und auf das Gewitter warteten, ging es zu ihnen hin und sagte etwas, das sie nicht verstanden. Darauf machte es ein Zeichen, weil es die Sache nicht mit Worten sagen konnte: es hielt die linke Hand flach auf, hob die rechte hoch, machte eine Faust und ließ diese auf die geöffnete Hand niederfallen. Dann schaute es auf die Großmutter und zeigte auf die Wolken.

Die Großmutter ging jetzt unter der Haselstaude hervor und stellte sich auf einen Platz, wo sie die Wolken sehen konnte. Dieselben waren grünlich und fast weißlich licht, aber trotz dieses Lichtes war unter ihnen auf den Hügeln eine Finsternis, als wollte die Nacht anbrechen. So wogten sie näher, und bei der Stille des Nußberges hörte man in ihnen ein Murmeln, als ob tausend Kessel sötten.

»Heiliger Himmel, Hagel!« schrie die Großmutter.

Sie begriff nun sogleich, was das Mädchen wollte, sie begriff die Kenntnis und Vorsicht des braunen Mädchens, die es mit den Reisigbündeln gezeigt hatte, sie lief gegen die Haselstaude, riß die Kinder hervor, bedeutete ihnen zu folgen, das fremde Mädchen lief voran, die Großmutter eilte mit den Kindern hinterher, sie kamen zu den Bündeln, das Mädchen zeigte, daß man hineinkriechen sollte, Sigismund wurde zuerst hineingetan, dann folgte Clemantia, dann folgten Emma und die Großmutter nebeneinander, und am äußersten Rande schmiegte sich das braune Mädchen an und hielt die blonden Locken Emmas in der Hand.

Die Kinder hatten kaum Zeit gehabt, sich unter die Bündel zu legen, und eben wollten sie lauschen, was geschehen würde, als sie in den Haselstauden einen Schall vernahmen, als würde ein Stein durch das Laub geworfen. Sie hörten später das noch einmal, dann nichts mehr. Endlich sahen sie, wie ein weißes blinkendes Geschoß einen Hagelkorn vor ihrem Bündelhause auf das Gras niederfallen, sie sahen ihn hoch emporspringen und wieder niederfallen und weiterkollern. Dasselbe geschah in der Nähe mit einem zweiten. Im Augenblicke kam auch der Sturm, er faßte die Büsche, daß sie rauschten, ließ einen Atemzug lang nach, daß alles totenstill stand, dann faßte er die Büsche neuerdings, legte sie um, daß das Weiße der Blätter sichtbar wurde, und jagte den Hagel auf sie nieder, daß es wie weiße herabsausende Blitze war. Es schlug auf das Laub, es schlug gegen das Holz, es schlug gegen die Erde, die Körner schlugen gegeneinander, daß ein Gebrülle wurde, daß man die Blitze sah, welche den Nußberg entflammten, aber keinen Donner zu hören vermochte. Das Laub wurde herabgeschlagen, die Zweige wurden herabgeschlagen, die Äste wurden abgebrochen, der Rasen wurde gefurcht, als wären eiserne Eggezähne über ihn gegangen. Die Hagelkörner waren so groß, daß sie einen erwachsenen Menschen hätten töten können. Sie zerschlugen auch die Haseln, die hinter den Bündeln waren, daß man ihren Schlag auf die Bündel vernahm.

Und auf den ganzen Berg und auf die Täler fiel es so nieder. Was Widerstand leistete, wurde zermalmt, was fest war, wurde zerschmettert, was Leben hatte, wurde getötet. Nur weiche Dinge widerstanden, wie die durch die Schloßen zerstampfte Erde und die Reisigbündel. Wie weiße Pfeile fuhr das Eis in der finsteren Luft gegen die schwarze Erde, daß man ihre Dinge nicht mehr erkennen konnte.

Was die Kinder fühlten, weiß man nicht, sie wußten es selber nicht. Sie lagen enge aneinandergedrückt und drückten sich immer noch enger aneinander. Die Bündel waren bereits durch den Hagelfall niedergesunken und lagen auf den Kindern, und die Großmutter sah, daß bei jedem heftigeren Schlag, den eine Schlosse gegen die Bündel tat, ihre leichten Körperchen zuckten. Die Großmutter betete. Die Kinder schwiegen, und das braune Mädchen rührte sich nicht.

Die Stumpfen der Haselnußstauden, die hinter den Bündeln waren, machten, daß der Wind nicht in die Bündel fahren und sie auseinanderwerfen konnte.

Nach längerer Zeit hörte es ein wenig auf, so daß man den Donner wieder hören konnte, der jetzt als ein mildes Rollen erschien. Die Schlossen fielen dichter, waren aber kleiner, und endlich kam ein Regen, der ein Wolkenbruch war. Er fiel nicht wie gewöhnlich in Tropfen oder Schnüren, sondern es war, als ob ganze Tücher von Wasser niedergingen. Es drang durch die Fugen und Zwischenräume der Bündel auf die Kinder hinein. Nach und nach milderte es sich, der Wind wurde leichter, und der Donner war entfernter zu hören. Das braune Mädchen kroch aus den Bündeln hervor, stand auf und sah mit den schwarzen Augen unter die Bündel hinein.

Die Großmutter stand auch auf und sah nach dem Himmel. Die Wolken hatten sich gegen Aufgang gezogen, dort war es finster, und man hörte das Niederfallen des Wassers und Eises herüber. Aber auf den Bergen gegen Untergang war es lichter, lichtere graue Wolken zogen herüber und zeigten, daß der Hagel nicht mehr zurückkehren würde. Der Regen hatte aufgehört, und es fiel nurmehr ein nasser Staub vom Himmel.

Die Kinder gingen unter den Bündeln hervor. Die Kleider klebten an ihren Körpern. Das braune Mädchen blutete an dem nackten rechten Arm. Weil es sich nicht ganz unter das Reisig hatte hineinlegen können, so war es von einem Eisstücke gestreift und geritzt worden. Da die Großmutter es untersuchen wollte, machte es eine Bewegung, als ob es sagen wollte, daß die Sache keine Mühe wert sei. Man richtete sich zum Fortgehen.