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Ich habe Schlegels Übersetzung von Shakespeares Romeo and Juliet nicht nur aus einer mir zur Verfügung stehenden Buchausgabe eingescannt und die OCR-Ausgabe nachkorregiert, sondern auch mit dem englischen Originaltext verglichen. Dabei ging es mir nicht darum, Ungenauigkeiten in der Übersetzung der Dialoge aufzuspüren, die bei einem solchen Werk selbstverständlich unvermeidbar sind, sondern nur darum, jene längeren Passagen, die die Übersetzung ausläßt, sowie andere schnell erkennbare Abweichungen zu finden.
Für den Vergleich habe ich die Version des Project Gutenberg Shakespeare Team's verwendet. Ich habe die Resultate dieses Vergleichs folgendermaßen in den Text eingebaut: Texte der Übersetzung ohne Entsprechung im Original erscheinen in grünen, eckigen Klammern [ ]. Zusätzliche Texte im Original erscheinen in grüner Schrift in meiner eigenen Übersetzung. Diese kann, da es sich oft um nicht nachahmbare Wortspiele handelt, an einigen Stellen nur unzureichend sein. Teils habe ich versucht durch dichterische Freiheiten noch etwas zu retten, teils aber auch Erläuterungen ergänzt. Diese Erläuterungen erscheinen dann sowohl in grün als auch in eckigen Klammern.
Die zahlreichen Abweichungen in den Regieanweisungen zwischen Schlegels Übersetzung und dem von mir betrachteten englischen Text, beruhen meist nicht auf einer Willkür des Übersetzers, sondern darauf, daß es gerade hier zahlreiche unterschiedliche Lesarten des englischen Textes gibt, wie man bereits an den verschiedenen, online verfügbaren Versionen des Originaltextes ersehen kann: Die drei Versionen, die im amerikanischen Project Gutenberg angeboten werden, the Complete Moby Shakespeare (als HTML-Datei beim MIT, als Textdatei auf dem English Server der Carnegie Mellon University) und die digitale Rekonstruktion einer Ausgabe von 1725 in der digitalen Bibliothek der Universität Bielefeld.
Einige Abweichungen zwischen Übersetzung und Original in den Bezeichnungen der Personen habe ich im folgenden Text nicht markiert. So hat Schlegel z.B. den Friar John in Bruder Markus umbenannt. Julia wird in Original fast immer Juliet, selten Jule, genannt. Ihre Amme wird in Schlegels Regieanweisungen immer und in den Dialogen manchmal als Wärterin bezeichnet, wohingegen es im Original immer nurse, also Amme, heißt. Zahlreiche englische Namen werden von Schlegel eingedeutscht oder italienisiert: Lorenzo (Lawrence), Simson (Sampson), Gregorio (Gregory), Rosalinde (Rosaline), Suschen (Susan), Schmorpfanne (Potpan), Suse Mühlstein (Susan Grindstone), Lene (Nell), Anton (Antony), Hans Kolophonium (Simon Catling), Michel Hackebrett (Hugh Rebeck), Jakob Gellohr (James Soundpost).
| ESCALUS, Prinz von Verona | ||
| [GRAF ] PARIS, ein junger Edelmann, Verwandter des Prinzen | ||
| MONTAGUE CAPULET  | 
} | Häupter zweier Häuser, welche in Zwist miteinander sind | 
| [Ein andrer CAPULET, des Vorigen Verwandter ] Ein alter Mann, ein Onkel von Capulet | ||
| ROMEO, Montagues Sohn | ||
| MERCUTIO, Verwandter des Prinzen und Romeos Freund | ||
| BENVOLIO, Montagues Neffe und Romeos Freund | ||
| TYBALT, Neffe der Gräfin Capulet | ||
| Bruder LORENZO, ein Franziskaner | ||
| Bruder MARKUS, von demselben Orden | ||
| ABRAHAM, Diener im Hause Montague | ||
| BALTHASAR, Romeos Diener | ||
| [SIMSON, GREGORIO, PETER und andere DIENER im Hause Capulet ] | ||
| SIMSON, Diener des Capulet | ||
| GREGORIO, Diener des Capulet | ||
| PETER, Diener von Julias Amme | ||
| Drei MUSIKANTEN | ||
| Ein PAGE des Paris ; ein weiterer Page | ||
| Ein APOTHEKER | ||
| CHORUS | ||
| Ein Offizier | ||
| Gräfin MONTAGUE , Ehefrau des Montague | ||
| Gräfin CAPULET , Ehefrau des Capulet | ||
| JULIA, Capulets Tochter | ||
| [WÄRTERIN, früher ] Juliens Amme | ||
| Bürger von Verona. Verschiedene Männer und Frauen, Verwandte beider Häuser. Masken, Garde, Wächter, Gefolge | ||
Die Szene ist den größten Teil des Stücks hindurch in Verona; zu Anfange des fünften Aktes in Mantua  | 
||
Der Chorus tritt auf.
CHORUS
      Zwei Häuser waren - gleich an Würdigkeit -
          Hier in Verona, wo die Handlung steckt,
      Durch alten Groll zu neuem Kampf bereit,
          Wo Bürgerblut die Bürgerhand befleckt.
      Aus dieser Feinde unheilvollem Schoß
          Das Leben zweier Liebender entsprang,
      Die durch ihr unglückselges Ende bloß
          Im Tod begraben elterlichen Zank.
      Der Hergang ihrer todgeweihten Lieb
          Und der Verlauf der elterlichen Wut,
      Die nur der Kinder Tod von dannen trieb,
          Ist nun zwei Stunden lang der Bühne Gut;
      Was dran noch fehlt, hört mit geduldgem Ohr,
      Bringt hoffentlich nun unsre Müh hervor.
ERSTE SZENE
Ein öffentlicher Platz
Simson und Gregorio, [zwei Bediente Capulets,] treten bewaffnet mit Schwertern und Schilden auf.
SIMSON
      Auf mein Wort, Gregorio, wir wollen nichts in die Tasche stecken.
GREGORIO
      Freilich nicht, sonst wären wir Taschenspieler.
SIMSON
      Ich meine, ich werde den Koller kriegen und vom Leder ziehn.
GREGORIO
      Ne, Freund, deinen ledernen Koller mußt du bei Leibe nicht ausziehen.
SIMSON
      Ich schlage geschwind zu, wenn ich aufgebracht bin.
GREGORIO
      Aber du wirst nicht geschwind aufgebracht.
SIMSON
      Ein Hund aus Montagues Hause bringt mich schon auf.
GREGORIO
      Einen aufbringen heißt: ihn von der Stelle schaffen. Um tapfer zu sein, muß man standhalten. Wenn du dich also aufbringen läßt, so läufst du davon.
SIMSON
      Ein Hund aus dem Hause bringt mich zum Standhalten. [Mit jedem Bedienten und jedem Mädchen Montagues will ich es aufnehmen.] Ich habe bei jedem Bedienten und Mädchen der Montagues den Vorrang und nehme also die Mauerseite ein, [so daß ich nicht auf die schmutzige Straßenmitte treten muß.]
GREGORIO
      Daran sieht man, daß du ein schwacher Sklave bist; denn der schwächste geht gegen die Mauer.
SIMSON
      Das ist wahr; und daher werden die Weiber, da sie die schwächeren sind, immer gegen die Mauer gedrückt: folglich werde ich Montagues Bediente von der Mauer wegstoßen und seine Mädchen gegen die Mauer drücken.
GREGORIO
      Der Streit ist nur zwischen unseren Herrschaften und uns, ihren Bedienten. [Es mit den Mädchen aufnehmen? Pfui doch! Du solltest dich lieber von ihnen aufnehmen lassen.]
SIMSON
      Einerlei! Ich will barbarisch zu Werke gehn. Hab ichs mit den Bedienten erst ausgefochten, so will ich mir die Mädchen unterwerfen. [Sie sollen die Spitze meines Degens fühlen, bis er stumpf wird.] Ich werde sie ihrer jungfräulichen Häupter berauben.
GREGORIO
      Die Jungfrauen enthaupten?
SIMSON
      Jawohl, die Jungfrauen enthaupten oder ihnen die Jungfräulichkeit nehmen, nimm es in dem einen oder anderen Sinn, ganz wie du willt.
GREGORIO
      Sie werden es sinngemäß aufnehmen müssen, die es zu spüren bekommen.
SIMSON
      Mich sollen sie zu spüren bekommen, solange ich noch standhalten kann: und es ist bekannt, daß ich ein hübsches Stück Fleisches bin.
GREGORIO
Nur gut, daß du nicht Fisch bist, sonst wärst du ein ärmlicher Dörr-Hering. - Zieh nur gleich vom Leder: Da kommen zwei aus dem Hause der Montagues.
 [Abraham und Balthasar treten auf.] 
SIMSON
      Hier, meine Waffe ist blank. Fang nur Händel an, ich will den Rücken decken.
GREGORIO
      Den Rücken? Willst du Reißaus nehmen?
SIMSON
      Fürchte nichts von mir!
GREGORIO
      Ne, wahrhaftig! Ich dich fürchten?
SIMSON
      Laß uns das Recht auf unsrer Seite behalten, laß sie anfangen!
GREGORIO
      Ich will ihnen im Vorbeigehn ein Gesicht ziehen, sie mögens nehmen, wie sie wollen.
SIMSON
      Wie sie wagen, lieber. Ich will ihnen einen Esel bohren; wenn sie es einstecken, so haben sie den Schimpf.
 Abraham und Balthasar treten auf. 
ABRAHAM
      Bohrt Ihr uns einen Esel, mein Herr?
SIMSON
      Ich bohre einen Esel, mein Herr.
ABRAHAM
      Bohrt Ihr uns einen Esel, mein Herr?
SIMSON
      Ist das Recht auf unsrer Seite, wenn ich ja sage?
GREGORIO
      Nein.
SIMSON
      Nein, mein Herr! Ich bohre Euch keinen Esel, mein Herr. Aber ich bohre einen Esel, mein Herr.
GREGORIO
      Sucht Ihr Händel, mein Herr?
ABRAHAM
      Händel, Herr? Nein, mein Herr.
SIMSON
      Wenn Ihr sonst Händel sucht, mein Herr: ich steh zu Diensten. Ich bediene einen ebenso guten Herrn wie Ihr.
ABRAHAM
      Keinen bessern.
SIMSON
      Sehr wohl, mein Herr!
 [Benvolio tritt auf.] 
GREGORIO
      Sag: einen bessern; hier kommt ein Vetter meiner Herrschaft.
SIMSON
      Ja doch, einen bessern, mein Herr.
ABRAHAM
      Ihr lügt!
SIMSON
      Zieht, falls ihr Kerls seid! Frisch, Gregorio! denk mir an deinen Schwadronierhieb.
Sie fechten. Benvolio tritt auf. 
BENVOLIO
      Ihr Narren, fort! Steckt eure Schwerter ein;
      Ihr wißt nicht, was ihr tut.
 Er schlägt ihre Schwerter nieder. Tybalt tritt auf.
TYBALT
      Was? Ziehst du unter den verzagten Knechten?
      Hieher, Benvolio! Biet die Stirn dem Tode!
BENVOLIO
      Ich stifte Frieden, steck dein Schwert nur ein!
      Wo nicht, so führ es, diese hier zu trennen!
TYBALT
      Was? Ziehn und Friede rufen? Wie die Hölle
      Haß ich das Wort, wie alle Montagues
      Und dich! Wehr dich, du Memme!
Sie fechten. Verschiedene Anhänger beider Häuser kommen und mischen sich in den Streit; dann Bürger mit Knütteln.
ERSTER BÜRGER
      He! Spieß' und Stangen her! - Schlagt auf sie los!
      Weg mit den Capulets! - Weg mit den Montagues!
Capulet im Schlafrock und Gräfin Capulet.
CAPULET
      Was für ein Lärm? - Holla, mein langes Schwert!
GRÄFIN CAPULET
      Nein, Krücken, Krücken! Wozu soll ein Schwert!
CAPULET
      Mein Schwert, sag ich! Der alte Montague
      Kommt dort und schwingt die Klinge mir zum Hohn.
Montague und Gräfin Montague.
MONTAGUE
      Du Schurke Capulet! - Laßt los, laßt mich gewähren!
GRÄFIN MONTAGUE
      Du sollst dich keinen Schritt dem Feinde nähern.
Der Prinz mit Gefolge.
PRINZ
      Aufrührische Vasallen, Friedensfeinde,
      Die ihr den Stahl mit Nachbarblut entweiht!
      Wollt ihr nicht hören? Männer, wilde Tiere,
      Die ihr die Flammen eurer schnöden Wut
      Im Purpurquell aus euren Adern löscht!
      Zu Boden werft, bei Buß an Leib und Leben,
      Die mißgestählte Wehr aus blutger Hand! -
      Hört eures ungehaltnen Fürsten Spruch!
      Drei Bürgerzwiste haben dreimal nun,
      Aus einem luftgen Wort von euch erzeugt,
      Du alter Capulet und Montague,
      Den Frieden unsrer Straßen schon gebrochen.
      Veronas graue Bürger mußten sich
      Entladen ihres ehrenfesten Schmucks
      Und alte Speer in alten Händen schwingen,
      Woran der Rost des langen Friedens nagte,
      Dem Hasse, der euch nagt, zu widerstehn.
      Verstört ihr jemals wieder unsre Stadt,
      So zahl eur Leben mir den Friedensbruch.
      Für jetzt begebt euch, all ihr andern, weg!
      Ihr aber, Capulet, sollt mich begleiten.
      Ihr, Montague, kommt diesen Nachmittag
      Zur alten Burg, dem Richtplatz unsers Banns,
      Und hört, was hierin fürder mir beliebt.
      Bei Todesstrafe sag ich: alle fort!
Der Prinz, sein Gefolge, Capulet, Gräfin Capulet, Tybalt, die Bürger und Diener gehen ab.
MONTAGUE
      Wer bracht aufs neu den alten Zwist in Gang?
      Sagt, Neffe, wart Ihr da, wie er begann?
BENVOLIO
      Die Diener Eures Gegners fochten hier
      Erhitzt mit Euren schon, eh ich mich nahte;
      Ich zog, um sie zu trennen. Plötzlich kam
      Der wilde Tybalt mit gezücktem Schwert
      Und schwang, indem er schnaubend Kampf mir bot,
      Es um sein Haupt und hieb damit die Winde,
      Die, unverwundet, zischend ihn verhöhnten.
      Derweil wir Hieb' und Stöße wechseln, kamen
      Stets mehr und mehr und fochten miteinander;
      Dann kam der Fürst und schied sie voneinander.
GRÄFIN MONTAGUE
      Ach, wo ist Romeo? Saht Ihr ihn heut?
      Wie froh bin ich! Er war nicht bei dem Streit.
BENVOLIO
      Schon eine Stunde, Gräfin, eh im Ost
      Die heilge Sonn aus goldnem Fenster schaute,
      Trieb mich ein irrer Sinn ins Feld hinaus.
      Dort, in dem Schatten des Kastanienhains,
      Der vor der Stadt gen Westen sich verbreitet,
      Sah ich, so früh schon wandelnd, Euren Sohn.
      Ich wollt ihm nahn, er aber nahm mich wahr
      Und stahl sich tiefer in des Waldes Dickicht.
      Ich maß sein Innres nach dem meinen ab,
      Das in der Einsamkeit am regsten lebt,
      Ging meiner Laune nach, ließ seine gehn,
      Und gern vermied ich ihn, der gern mich floh.
MONTAGUE
      Schon manchen Morgen ward er dort gesehn,
      Wie er den frischen Tau durch Tränen mehrte
      Und, tief erseufzend, Wolk an Wolke drängte.
      Allein sobald im fernsten Ost die Sonne,
      Die allerfreunde, von Auroras Bett
      Den Schattenvorhang wegzuziehn beginnt,
      Stiehlt vor dem Licht mein finstrer Sohn sich heim
      Und sperrt sich einsam in sein Kämmerlein,
      Verschließt dem schönen Tageslicht die Fenster
      Und schaffet künstlich Nacht um sich herum.
      In schwarzes Mißgeschick wird er sich träumen,
      Weiß guter Rat den Grund nicht wegzuräumen.
BENVOLIO
      Mein edler Oheim, wisset Ihr den Grund?
MONTAGUE
      Ich weiß ihn nicht und kann ihn nicht erforschen.
BENVOLIO
      Lagt Ihr ihm jemals schon deswegen an?
MONTAGUE
      Ich selbst sowohl als mancher andre Freund.
      Doch er, der eignen Neigungen Vertrauter,
      Ist gegen sich, wie treu, will ich nicht sagen,
      Doch so geheim und in sich selbst gekehrt,
      So unergründlich forschendem Bemühn
      Wie eine Knospe, die ein Wurm zernagt,
      Eh sie der Luft ihr zartes Laub entfalten
      Und ihren Reiz der Sonne weihen kann.
      Erführen wir, woher sein Leid entsteht,
      Wir heilten es so gern, als wirs erspäht.
 [Romeo erscheint in einiger Entfernung.] 
BENVOLIO
      Da kommt er, seht! Geruht, uns zu verlassen;
      Galt ich ihm je was, will ich schon ihn fassen.
MONTAGUE
      O beichtet' er für dein Verweilen dir
      Die Wahrheit doch! - Kommt, Gräfin, gehen wir!
Montague und Gräfin Montague gehen ab. Romeo tritt auf. 
BENVOLIO
      Ha, guten Morgen, Vetter!
ROMEO
                                 Erst so weit?
BENVOLIO
      Kaum schlug es neun.
ROMEO
                            Weh mir. Gram dehnt die Zeit.
      War das mein Vater, der so eilig ging?
BENVOLIO
      Er wars. Und welcher Gram dehnt Euch die Stunden?
ROMEO
      Daß ich entbehren muß, was sie verkürzt.
BENVOLIO
      Entbehrt Ihr Liebe?
ROMEO
                           Nein.
BENVOLIO
                                  So ward sie Euch zuteil?
ROMEO
      Nein, Lieb entbehr ich, wo ich lieben muß.
BENVOLIO
      Ach, daß der Liebesgott, so mild im Scheine,
      So grausam in der Prob erfunden wird!
ROMEO
      Ach, daß der Liebesgott, trotz seinen Binden,
      Zu seinem Ziel stets Pfade weiß zu finden!
      Wo speisen wir? - Ach, welch ein Streit war hier?
      Doch sagt mirs nicht, ich hört es alles schon:
      Haß gibt hier viel zu schaffen, Liebe mehr.
      Nun denn: Liebreicher Haß! Streitsüchtge Liebe!
      Du Alles, aus dem Nichts zuerst erschaffen!
      Schwermütger Leichtsinn! Ernste Tändelei!
      Entstelltes Chaos glänzender Gestalten!
      Bleischwinge! Lichter Rauch und kalte Glut!
      Stets wacher Schlaf, dein eignes Widerspiel!
      So fühl ich Lieb und hasse, was ich fühl!
      Du lachst nicht?
BENVOLIO
                        Nein, das Weinen ist mir näher.
ROMEO
      Warum, mein Herz?
BENVOLIO
                         Um deines Herzens Qual.
ROMEO
      Das ist der Liebe Unbill nun einmal.
      Schon eignes Leid will mir die Brust zerpressen,
      Dein Gram um mich wird voll das Maß mir messen.
      Die Freundschaft, die du zeigst, mehrt meinen Schmerz;
      Denn, wie sich selbst, so quält auch dich mein Herz.
      Lieb ist ein Rauch, den Seufzerdämpf erzeugten,
      Geschürt, ein Feur, von dem die Augen leuchten,
      Gequält, ein Meer, von Tränen angeschwellt;
      Was ist sie sonst? Verständge Raserei
      Und ekle Gall und süße Spezerei.
      Lebt wohl, mein Freund!
 Im Gehen. 
BENVOLIO
                               Sacht! Ich will mit Euch gehen;
      Ihr tut mir Unglimpf, laßt Ihr so mich stehen.
ROMEO
      Ach, ich verlor mich selbst; ich bin nicht Romeo.
      Der ist nicht hier: er ist - ich weiß nicht, wo.
BENVOLIO
      Entdeckt mir ohne Mutwill, wen Ihr liebt.
ROMEO
      Bin ich nicht ohne Mut und ohne Willen?
BENVOLIO
      Nein, sagt mirs ernsthaft doch!
ROMEO
      Bitt einen ernsthaft um sein Testament,
      Den Kranken quälts, wenn man das Wort ihm nennt!
      Hört, Vetter, denn im Ernst: Ich lieb ein Weib.
BENVOLIO
      Ich trafs doch gut, daß ich verliebt Euch glaubte.
ROMEO
      Ein wackrer Schütz! - Und die ich lieb, ist schön.
BENVOLIO
      Ein glänzend Ziel kann man am ersten treffen.
ROMEO
      Dies Treffen traf dir fehl, mein guter Schütz;
      Sie weicht dem Pfeil aus, sie hat Dianens Witz
      Umsonst hat ihren Panzer keuscher Sitten
      Der Liebe kindisches Geschoß bestritten.
      Sie wehrt den Sturm der Liebesbitten ab,
      Steht nicht dem Angriff kecker Augen, öffnet
      Nicht ihren Schoß dem Gold, das Heilge lockt.
      O sie ist reich an Schönheit; arm allein,
      Weil, wenn sie stirbt, ihr Reichtum hin wird sein.
BENVOLIO
      Beschwor sie der Enthaltsamkeit Gesetze?
ROMEO
      Sie tats, und dieser Geiz vergeudet Schätze.
      Denn Schönheit, die der Lust sich streng enthält,
      Bringt um ihr Erb die ungeborne Welt.
      Sie ist zu schön und weis', um Heil zu erben,
      Weil sie, mit Weisheit schön, mich zwingt zu sterben.
      Sie schwor zu lieben ab, und dies Gelübd
      Ist Tod für den, der lebt, nur weil er liebt.
BENVOLIO
      Folg meinem Rat, vergiß an sie zu denken!
ROMEO
      So lehre mich, das Denken zu vergessen.
BENVOLIO
      Gib deinen Augen Freiheit, lenke sie
      Auf andre Reize hin.
ROMEO
                            Das ist der Weg,
      Mir ihren Reiz in vollem Licht zu zeigen.
      Die Schwärze jener neidenswerten Larven,
      Die schöner Frauen Stirne küssen, bringt
      Uns in den Sinn, daß sie das Schöne bergen.
      Der, welchen Blindheit schlug, kann nie das Kleinod
      Des eingebüßten Augenlichts vergessen.
      Zeigt mir ein Weib, unübertroffen schön:
      Mir gilt ihr Reiz wie eine Weisung nur,
      Worin ich lese, wer sie übertrifft.
      Leb wohl! Vergessen lehrest du mich nie.
BENVOLIO
      Dein Schuldner sterb ich, glückt mir nicht die Müh.
Beide ab.
ZWEITE SZENE
Eine Straße
Capulet, Paris und ein Diener kommen.
CAPULET
      Und Montague ist mit derselben Buße
      Wie ich bedroht? Für Greise, wie wir sind,
      Ist Frieden halten, denk ich, nicht so schwer.
PARIS
      Ihr geltet beid als ehrenwerte Männer,
      Und Jammer ists um Euren langen Zwiespalt.
      Doch, edler Graf, wie dünkt Euch mein Gesuch?
CAPULET
      Es dünkt mich so, wie ich vorhin gesagt.
      Mein Kind ist noch ein Fremdling in der Welt,
      Sie hat kaum vierzehn Jahre wechseln sehn.
      Laßt noch zwei Sommer prangen und verschwinden,
      Eh wir sie reif, um Braut zu werden, finden.
PARIS
      Noch jüngre wurden oft beglückte Mütter.
CAPULET
      Wer vor der Zeit beginnt, der endigt früh.
      All meine Hoffnungen verschlang die Erde;
      Mir blieb nur dieses hoffnungsvolle Kind.
      Doch werbt nur, lieber Graf! Sucht Euer Heil!
      Mein Will ist von dem ihren nur ein Teil.
      Wenn sie aus Wahl in Eure Bitten willigt,
      So hab ich im voraus ihr Wort gebilligt,
      Ich gebe heut ein Fest, von alters hergebracht,
      Und lud darauf der Gäste viel zu Nacht,
      Was meine Freunde sind: Ihr, der dazu gehöret,
      Sollt hoch willkommen sein, wenn Ihr die Zahl vermehret.
      In meinem armen Haus sollt Ihr des Himmels Glanz
      Heut nacht verdunkelt sehn durch irdscher Sterne Tanz.
      Wie muntre Jünglinge mit neuem Mut sich freuen,
      Wenn auf die Fersen nun der Fuß des holden Maien
      Dem lahmen Winter tritt: die Lust steht Euch bevor,
      Wann Euch in meinem Haus ein frischer Mädchenflor
      Von jeder Seit umgibt. Ihr hört, Ihr seht sie alle,
      Daß, die am schönsten prangt, am meisten Euch gefalle.
      Dann mögt Ihr in der Zahl auch meine Tochter sehn,
      Sie zählt für eine mit, gilt sie schon nicht für schön.
      Kommt, geht mit mir! - Du, Bursch, nimm das Papier mit Namen,
      Trab in der Stadt herum, such alle Herrn und Damen,
      So hier geschrieben stehn,
 übergibt ein Papier 
                                  und sag mit Höflichkeit:
      Mein Haus und mein Empfang steh ihrem Dienst bereit.
Capulet und Paris gehen ab.
DIENER
      Die Leute soll ich suchen, wovon die Namen hier geschrieben stehn? Es steht geschrieben, der Schuster soll sich um seine Elle kümmern, der Schneider um seinen Leisten, der Fischer um seinen Pinsel, der Maler um seine Netze. Aber mich schicken sie, um die Leute ausfindig zu machen, wovon die Namen hier geschrieben stehn, und ich kann doch gar nicht ausfindig machen, was für Namen der Schreiber hier aufgeschrieben hat.
      Ich muß zu den Gelahrten! - Ah, gut Glück!
Benvolio und Romeo kommen.
BENVOLIO
      Pah, Freund! Ein Feuer brennt das andre nieder;
      Ein Schmerz kann eines andern Qualen mindern.
      Dreh dich in Schwindel, hilf durch Drehn dir wieder!
      Fühl andres Leid, das wird dein Leiden lindern!
      Saug in dein Auge neuen Zaubersaft,
      So wird das Gift des alten fortgeschafft.
ROMEO
      Ein Blatt vom Wegrich dient dazu vortrefflich.
BENVOLIO
      Ei sag, wozu?
ROMEO
                     Für dein zerschlagnes Bein.
BENVOLIO
      Was, Romeo, bist du toll?
ROMEO
      Nicht toll, doch mehr gebunden wie ein Toller,
      Gesperrt in einen Kerker, ausgehungert,
      Gegeißelt und geplagt, und -
 [zu dem Diener] 
                                     Guten Abend, Freund!
DIENER
      Gott grüß Euch, Herr! Ich bitt Euch, könnt Ihr lesen?
ROMEO
      Jawohl, in meinem Elend mein Geschick.
DIENER
      Vielleicht habt Ihr das auswendig gelernt. Aber sagt, könnt Ihr alles vom Blatte weglesen?
ROMEO
      Ja freilich, wenn ich Schrift und Sprache kenne.
DIENER
      Ihr redet ehrlich. Gehabt Euch wohl!
ROMEO
      Wart! Ich kann lesen, Bursch.
Er liest [das Verzeichnis].
      Signor Martino und seine Frau und Töchter; Graf Anselm und seine reizenden Schwestern; die verwitwete Freifrau von Vitruvio; Signor Placentio und seine artigen Nichten; Mercutio und sein Bruder Valentin; mein Oheim Capulet, seine Frau und Töchter; meine schöne Nichte Rosalinde; Livia; Signor Valentio und sein Vetter Tybalt; Lucio und die muntre Helena.
 [Gibt das Papier zurück.] 
      Ein schöner Haufe!
 Gibt das Papier zurück. 
                               Wohin lädst du sie?
DIENER
      Hinauf.
ROMEO
      Wohin?
DIENER
      Zum Abendessen in unser Haus.
ROMEO
      Wessen Haus?
DIENER
      Meines Herrn.
ROMEO
      Das hätt ich freilich eher fragen sollen.
DIENER
      Nun will ichs Euch ohne Fragen erklären. Meine Herrschaft ist der große, reiche Capulet, und wenn Ihr nicht vom Hause der Montagues seid, so bitt ich Euch, kommt, stecht eine Flasche Wein mit aus. Gehabt Euch wohl!
Geht ab.
BENVOLIO
      Auf diesem hergebrachten Gastgebot
      Der Capulets speist deine Rosalinde
      Mit allen Schönen, die Verona preist.
      Geh hin, vergleich mit unbefangnem Auge
      Die andern, die du sehen sollst, mit ihr;
      Was gilts? Dein Schwan dünkt eine Krähe dir.
ROMEO
      Höhnt meiner Augen frommer Glaube je
      Die Wahrheit so, dann, Tränen, werdet Flammen!
      Und ihr, umsonst ertränkt in manchem See,
      Mag eure Lüg als Ketzer euch verdammen!
      Ein schönres Weib als sie? Seit Welten stehn,
      Hat die allsehnde Sonn es nicht gesehn.
BENVOLIO
      Ja, ja, du sahst sie schön, doch in Gesellschaft nie,
      Du wogst nur mit sich selbst in jedem Auge sie;
      Doch leg einmal zugleich in die kristallnen Schalen
      Der Jugendreize Bild, wovon auch andre strahlen,
      Die ich dir zeigen will bei diesem Fest vereint;
      Kaum leidlich scheint dir dann, was jetzt ein Wunder scheint.
ROMEO
      Gut, ich begleite dich. Nicht um des Schauspiels Freuden:
      An meiner Göttin Glanz will ich allein mich weiden.
Beide ab.
DRITTE SZENE
Ein Zimmer in Capulets Hause
Gräfin Capulet und die Wärterin.
GRÄFIN CAPULET
      Ruft meine Tochter her; wo ist sie, Amme?
WÄRTERIN
      Bei meiner Jungfernschaft im zwölften Jahr,
      Ich rief sie schon. - He, Lämmchen! zartes Täubchen -
      Daß Gott! wo ist das Kind? He, Juliette!
Julia kommt.
JULIA
      Was ist? Wer ruft mich?
WÄRTERIN
      Eure Mutter.
JULIA
      Hier bin ich, gnädge Mutter! Was beliebt?
GRÄFIN CAPULET
      Die Sach ist diese! - Amme, geh beiseit,
      Wir müssen heimlich sprechen. - Amme, komm
      Nur wieder her, ich habe mich besonnen,
      Ich will dich mit zur Überlegung ziehn.
      Du weißt, mein Kind hat schon ein hübsches Alter.
WÄRTERIN
      Das zähl ich, meiner Treu, am Finger her.
GRÄFIN CAPULET
      Sie ist nicht vierzehn Jahre.
WÄRTERIN
      Ich wette vierzehn meiner Zähne drauf -
      Zwar hab ich nur vier Zahn, ich arme Frau -,
      Sie ist noch nicht vierzehn. Wie lang ists bis Johannis?
GRÄFIN CAPULET
      Ein vierzehn Tag und drüber.
WÄRTERIN
      Nun, drüber oder drunter. Just den Tag,
      Johannistag zu Abend, wird sie vierzehn.
      Suschen und sie - Gott gebe jedem Christen
      Das ewge Leben! - waren eines Alters.
      Nun, Suschen ist bei Gott;
      Sie war zu gut für mich. Doch wie ich sagte,
      Johannistag zu Abend wird sie vierzehn.
      Das wird sie, meiner Treu; ich weiß recht gut.
      Elf Jahr ists her, seit wir 's Erdbeben hatten;
      Und ich entwöhnte sie - mein Leben lang
      Vergeß ichs nicht - just auf denselben Tag.
      Ich hatte Wermut auf die Brust gelegt
      Und saß am Taubenschlage in der Sonne;
      Die gnädge Herrschaft war zu Mantua.
      Ja, ja! Ich habe Grütz im Kopf! Nun, wie ich sagte:
      Als es den Wermut auf der Warze schmeckte
      Und fand ihn bitter - närrsches, kleines Ding -,
      Wie's böse ward und zog der Brust ein Gsicht!
      Krach! sagt' der Taubenschlag; und ich, fürwahr,
      Ich wußte nicht, wie ich mich tummeln sollte,
      Und seit der Zeit ists nun elf Jahre her.
      Denn damals stand sie schon allein; mein Treu,
      Sie lief und watschelt' Euch schon flink herum.
      Denn tags zuvor fiel sie die Stirn entzwei,
      Und da hob sie mein Mann - Gott hab ihn selig!
      Er war ein lustger Mann - vom Boden auf.
      Ei, sagt' er, fällst du so auf dein Gesicht?
      Wirst rücklings fallen, wenn du klüger bist,
      Nicht wahr, mein Kind? Und liebe, heilge Frau!
      Das Mädchen schrie nicht mehr und sagte: Ja.
      Da seh man, wie so 'n Spaß zum Vorschein kommt!
      Und lebt ich tausend Jahre lang, ich wette,
      Daß ich es nie vergaß. Nicht wahr, mein Kind? sagt' er;
      Und 's liebe Närrchen ward still und sagte: Ja.
GRÄFIN CAPULET
      Genug davon, ich bitte, halt dich ruhig.
WÄRTERIN
      Ja, gnädge Frau. Doch lächerts mich noch immer,
      Wie 's Kind sein Schreien ließ und sagte: Ja,
      Und saß ihm, meiner Treu, doch eine Beule,
      So dick wie 'n Hühnerei, auf seiner Stirn,
      Recht gfährlich dick, und es schrie bitterlich.
      Mein Mann, der sagte: Ei, fällst aufs Gesicht?
      Wirst rücklings fallen, wenn du älter bist.
      Nicht wahr, mein Kind? Still wards und sagte: Ja.
JULIA
      Ich bitt dich, Amme, sei doch auch nur still.
WÄRTERIN
      Gut, ich bin fertig. Gott behüte dich!
      Du warst das feinste Püppchen, das ich säugte.
      Erleb ich deine Hochzeit noch einmal,
      So wünsch ich weiter nichts.
GRÄFIN CAPULET
      Die Hochzeit, ja, das ist der Punkt, von dem
      Ich sprechen wollte. Sag mir, liebe Tochter,
      Wie stehts mit deiner Lust, dich zu vermählen?
JULIA
      Ich träumte nie von dieser Ehre noch.
WÄRTERIN
      Ein Ehre! Hättst du eine andre Amme
      Als mich gehabt, so wollt ich sagen: Kind,
      Du habest Weisheit mit der Milch gesogen.
GRÄFIN CAPULET
      Gut, denke jetzt dran; jünger noch als du
      Sind angesehne Fraun hier in Verona
      Schon Mütter worden. Ist mir recht, so war
      Ich deine Mutter in demselben Alter,
      Wo du noch Mädchen bist. Mit einem Wort:
      Der brave Paris wirbt um deine Hand.
WÄRTERIN
      Das ist ein Mann, mein Fräulein! Solch ein Mann,
      Als alle Welt - ein wahrer Zuckermann!
GRÄFIN CAPULET
      Die schönste Blume von Veronas Flor.
WÄRTERIN
      Ach ja, 'ne Blume! Gelt, 'ne rechte Blume!
GRÄFIN CAPULET
      Was sagst du? Wie gefällt dir dieser Mann?
      Heut abend siehst du ihn bei unserm Fest.
      Dann lies im Buche seines Angesichts,
      In das der Schönheit Griffel Wonne schrieb,
      Betrachte seiner Züge Lieblichkeit,
      Wie jeglicher dem andern Zierde leiht.
      Was dunkel in dem holden Buch geblieben,
      Das lies in seinem Aug am Rand geschrieben.
      Und dieses Freiers ungebundner Stand,
      Dies Buch der Liebe braucht nur einen Band.
      Der Fisch lebt in der See, und doppelt teuer
      Wird äußres Schön' als innrer Schönheit Schleier.
      Das Buch glänzt allermeist im Aug der Welt,
      Das goldne Lehr in goldnen Spangen hält.
      So wirst du alles, was er hat, genießen,
      Wenn du ihn hast, ohn etwas einzubüßen.
WÄRTERIN
      Einbüßen? Nein, zunehmen wird sie eher;
      Die Weiber nehmen oft durch Männer zu.
GRÄFIN CAPULET
      Sag kurz, fühlst du dem Grafen dich geneigt?
JULIA
      Gern will ich sehn, ob Sehen Neigung zeugt;
      Doch weiter soll mein Blick den Flug nicht wagen,
      Als ihn die Schwingen Eures Beifalls tragen.
Ein Diener kommt.
DIENER
      Gnädige Frau, die Gäste sind da, das Abendessen auf dem Tisch; Ihr werdet gerufen, das Fräulein gesucht, die Amme in der Speisekammer zum Henker gewünscht, und alles geht drunter und drüber. Ich muß fort, aufwarten; ich bitte Euch, kommt unverzüglich!
GRÄFIN CAPULET
      Gleich! -
 Der Diener geht ab. 
                 Paris wartet; Julia, komm geschwind!
WÄRTERIN
      Such frohe Nacht auf frohe Tage, Kind!
Alle ab.
VIERTE SZENE
Eine Straße
Romeo, Mercutio, Benvolio mit fünf oder sechs Masken, Fackelträgern und anderen.
ROMEO
      Soll diese Red uns zur Entschuldgung dienen?
      Wie? Oder treten wir nur grad hinein?
BENVOLIO
      Umschweife solcher Art sind nicht mehr Sitte.
      Wir wollen keinen Amor, mit der Schärpe
      Geblendet, der den bunt bemalten Bogen
      Wie ein Tatar geschnitzt aus Latten trägt
      Und wie 'ne Vogelscheuch die Frauen schreckt;
      Auch keinen hergebeteten Prolog,
      Wobei viel zugeblasen wird, zum Eintritt.
      Laßt sie uns nur, wofür sie wollen, nehmen,
      Wir nehmen ein paar Tänze mit und gehn.
ROMEO
      Ich mag nicht springen; gebt mir eine Fackel!
      Da ich so finster bin, so will ich leuchten.
MERCUTIO
      Nein, du mußt tanzen, lieber Romeo.
ROMEO
      Ich wahrlich nicht! Ihr seid so leicht von Sinn
      Als leicht beschuht; mich drückt ein Herz von Blei
      Zu Boden, daß ich kaum mich regen kann.
MERCUTIO
      Ihr seid ein Liebender; borgt Amors Flügel
      und schwebet frei in ungewohnten Höhn.
ROMEO
      Ich bin zu tief von seinem Pfeil durchbohrt,
      Auf seinen leichten Schwingen hoch zu schweben.
      Gewohnte Fesseln lassen mich nicht frei;
      Ich sinke unter schwerer Liebeslast.
MERCUTIO
      Und wolltet Ihr denn in die Liebe sinken?
      Ihr seid zu schwer für ein so zartes Ding.
ROMEO
      Ist Lieb ein zartes Ding? Sie ist zu rauh,
      Zu wild, zu tobend; und sie sticht wie Dorn.
MERCUTIO
      Begegnet Lieb Euch rauh, so tut desgleichen!
      Stecht Liebe, wenn sie sticht; das schlägt sie nieder.
 [Zu einem andern aus dem Gefolge.] 
      Gebt ein Gehäuse für mein Antlitz mir:
 Eine Maske aufsetzend. 
      'ne Larve für 'ne Larve!
 [Bindet die Maske vor.] 
                                Nun erspähe
      Die Neugier Mißgestalt: was kümmerts mich?
      Erröten wird für mich dies Wachsgesicht.
BENVOLIO
      Fort! Klopft, und dann hinein! Und sind wir drinnen,
      So rühre gleich ein jeder flink die Beine!
ROMEO
      Mir eine Fackel! Leichtgeherzte Buben,
      Die laßt das Estrich mit den Sohlen kitzeln.
      Ich habe mich verbrämt mit einem alten
      Großvaterspruch: Wer 's Licht hält, schauet zu!
      Nie war das Spiel so schön; doch ich bin matt.
MERCUTIO
      Jawohl, zu matt, dich aus dem Schlamme - nein,
      Der Liebe wollt ich sagen - dich zu ziehn,
      Worin du leider steckst bis an die Ohren.
      Macht fort, wir leuchten ja dem Tage hier.
ROMEO
      Das tun wir nicht.
MERCUTIO
                          Ich meine, wir verscherzen,
      Wie Licht bei Tag, durch Zögern unsre Kerzen.
      Nehmt meine Meinung nach dem guten Sinn
      Und sucht nicht Spiele des Verstandes drin.
ROMEO
      Wir meinens gut, da wir zum Balle gehen;
      Doch es ist Unverstand.
MERCUTIO
                               Wie? Laßt doch sehen!
ROMEO
      Ich hatte diese Nacht 'nen Traum.
MERCUTIO
                                         Auch ich.
ROMEO
      Was war der Eure?
MERCUTIO
                         Daß auf Träume sich
      Nichts bauen läßt, daß Träume öfters lügen.
ROMEO
      Sie träumen Wahres, weil sie schlafend liegen.
MERCUTIO
      Nun seh ich wohl, Frau Mab hat Euch besucht.
[ROMEO
      Frau Mab, wer ist sie?
MERCUTIO]
      Sie ist der Feenwelt Entbinderin.
      Sie kommt, nicht größer als der Edelstein
      Am Zeigefinger eines Aldermanns,
      Und fährt mit 'nem Gespann von Sonnenstäubchen
      Den Schlafenden quer auf der Nase hin.
      Die Speichen sind gemacht aus Spinnenbeinen,
      Des Wagens Deck aus eines Heupferds Flügeln,
      Aus feinem Spinngewebe das Geschirr,
      Die Zügel aus des Mondes feuchtem Strahl;
      Aus Heimchenknochen ist der Peitsche Griff,
      Die Schnur aus Fasern; eine kleine Mücke
      Im grauen Mantel sitzt als Fuhrmann vorn,
      Nicht halb so groß als wie ein kleines Würmchen,
      Das in des Mädchens müßgem Finger nistet.
      Die Kutsch ist eine hohle Haselnuß,
      Vom Tischler Eichhorn oder Meister Wurm
      Zurechtgemacht, die seit uralten Zeiten
      Der Feen Wagner sind. In diesem Staat
      Trabt sie dann Nacht für Nacht; befährt das Hirn
      Verliebter, und sie träumen dann von Liebe,
      Des Schranzen Knie, der schnell von Reverenzen,
      Des Anwalts Finger, der von Sporteln gleich,
      Der Schönen Lippen, die von Küssen träumen;
      Oft plagt die böse Mab mit Bläschen diese,
      Weil ihren Odem Näscherei verdarb.
      Bald trabt sie über eines Hofmanns Nase,
      Dann wittert er im Traum sich Ämter aus,
      Bald kitzelt sie mit eines Zinshahns Federn
      Des Pfarrers Nase, wenn er schlafend liegt,
      Von einer bessern Pfründe träumt ihm dann;
      Bald fährt sie über des Soldaten Nacken,
      Der träumt sofort von Niedersäbeln, träumt
      Von Breschen, Hinterhalten, Damaszenern,
      Von manchem klaftertiefen Ehrentrunk;
      Nun trommelts ihm ins Ohr: da fährt er auf
      Und flucht in seinem Schreck ein paar Gebete
      Und schläft von neuem. Eben diese Mab
      Verwirrt der Pferde Mähnen in der Nacht
      Und flicht in struppges Haar die Weichselzöpfe,
      Die, wiederum entwirrt, auf Unglück deuten.
      Dies ist die Hexe, welche Mädchen drückt,
      Die auf dem Rücken ruhn, und die sie lehrt,
      Als Weiber einst die Männer zu ertragen.
      Dies ist sie -
ROMEO
                      Still, o still, Mercutio!
      Du sprichst von einem Nichts.
MERCUTIO
                                     Wohl wahr, ich rede
      Von Träumen, Kindern eines müßgen Hirns,
      Von nichts als eitler Phantasie erzeugt,
      Die aus so dünnem Stoff als Luft besteht
      Und flüchtger wechselt als der Wind, der bald
      Um die erfrorne Brust des Nordens buhlt
      Und, schnell erzürnt, hinweg von dannen schnaubend,
      Die Stirn zum taubeträuften Süden kehrt.
BENVOLIO
      Der Wind, von dem Ihr sprecht, entführt uns selbst.
      Man hat gespeist; wir kamen schon zu spät.
ROMEO
      Zu früh, befürcht ich; denn mein Herz erbangt
      Und ahnet ein Verhängnis, welches, noch
      Verborgen in den Sternen, heute nacht
      Bei dieser Lustbarkeit den furchtbarn Zeitlauf
      Beginnen und das Ziel des lästgen Lebens,
      Das meine Brust verschließt, mir kürzen wird
      Durch einen schnöd verwirkten frühen Tod.
      Doch er, der mir zur Fahrt das Steuer lenkt,
      Richt auch mein Segel! - Auf, ihr lustgen Freunde!
BENVOLIO
      Rührt Trommeln!
Alle ab.
FÜNFTE SZENE
Ein Saal in Capulets Hause
Musikanten warten. Diener kommen.
ERSTER DIENER
      Wo ist Schmorpfanne, daß er nicht abräumen hilft? Der wird Teller wechseln, Teller scheuern!
ZWEITER DIENER
      Wenn die gute Lebensart in eines oder zweier Menschen Händen sein soll, die noch obendrein ungewaschen sind: 's ist ein unsaubrer Handel.
ERSTER DIENER
      Die Klappstühle fort! Rückt den Schenktisch beiseit! Seht nach dem Silberzeuge! Kamerad, heb mir ein Stück Marzipan auf, und wo du mich liebhast, sag dem Pförtner, daß er Suse Mühlstein und Lene hereinläßt. Anton! Schmorpfanne!
 [Andre Diener kommen.] 
ZWEITER DIENER
      Hier, Bursch, wir sind parat.
ERSTER DIENER
      Im großen Saale verlangt man euch, vermißt man euch, sucht man euch.
ZWEITER DIENER
      Wir können nicht zugleich hier und dort sein. - Lustig, Kerle, haltet euch brav; wer am längsten lebt, kriegt den ganzen Bettel.
Sie ziehen sich in den Hintergrund zurück. Capulet etc. [und die Seinen] mit den Gästen und Masken [und Dienerschaft].
CAPULET
      Willkommen, meine Herrn! Wenn Eure Füße
      Kein Leichdorn plagt. Ihr Damen, flink ans Werk!
      He, he. Ihr schönen Fraun, wer von Euch allen
      Schlägts nun wohl ab zu tanzen? Ziert sich eine,
      Ich wette, die hat Hühneraugen. Nun,
      Hab ichs Euch nah gelegt? Ihr Herrn, willkommen!
      Ich weiß die Zeit, da ich 'ne Larve trug
      Und einer Schönen eine Weis' ins Ohr
      Zu flüstern wußte, die ihr wohlgefiel.
      Das ist vorbei, vorbei! Willkommen, Herren!
      Kommt, Musikanten, spielt! Macht Platz da, Platz!
      Ihr Mädchen, frisch gesprungen!
Musik und Tanz. [- Zu den Dienern:] 
      Mehr Licht, ihr Burschen, und beiseit die Tische!
      Das Feuer weg! Das Zimmer ist zu heiß. -
      Ha, recht gelegen kommt der unverhoffte Spaß.
      Na, setzt Euch, setzt Euch, Vetter Capulet!
      Wir beide sind ja übers Tanzen hin.
      Wie lang ists jetzo, seit wir uns zuletzt
      In Larven steckten?
ZWEITER CAPULET
                           Dreißig Jahr, mein Seel.
CAPULET
      Wie, Schatz? So lang noch nicht, so lang noch nicht.
      Denn seit der Hochzeit des Lucentio
      Ists etwa fünfundzwanzig Jahr, sobald
      Wir Pfingsten haben; und da tanzten wir.
ZWEITER CAPULET
      's ist mehr, 's ist mehr! Sein Sohn ist älter, Herr,
      Sein Sohn ist dreißig.
CAPULET
                               Sagt mir das doch nicht!
      Sein Sohn war noch nicht mündig vor zwei Jahren.
ROMEO
 [zu einem Diener aus seinem Gefolge.] 
      Wer ist das Fräulein, welche dort den Ritter
      Mit ihrer Hand beehrt?
DER DIENER
                              Ich weiß nicht, Herr.
ROMEO
      Oh, sie nur lehrt die Kerzen, hell zu glühn!
      Wie in dem Ohr des Mohren ein Rubin,
      So hängt der Holden Schönheit an den Wangen
      Der Nacht; zu hoch, zu himmlisch dem Verlangen.
      Sie stellt sich unter den Gespielen dar
      Als weiße Taub in einer Krähenschar.
      Schließt sich der Tanz, so nah ich ihr: ein Drücken
      Der zarten Hand soll meine Hand beglücken.
      Liebt ich wohl je? Nein, schwör es ab, Gesicht!
      Du sahst bis jetzt noch wahre Schönheit nicht.
TYBALT
      Nach seiner Stimm ist dies ein Montague.
 [Zu einem Diener.] 
      Hol meinen Degen, Bursch! - Was? Wagt der Schurk,
      Vermummt in eine Fratze, herzukommen
      Zu Hohn und Schimpfe gegen unser Fest?
      Fürwahr, bei meines Stammes Ruhm und Adel,
      Wer tot ihn schlüg, verdiente keinen Tadel!
CAPULET
      Was habt Ihr, Vetter? Welch ein Sturm? Wozu?
TYBALT
      Seht, Oheim, der da ist ein Montague!
      Der Schurke drängt sich unter Eure Gäste
      Und macht sich einen Spott an diesem Feste.
CAPULET
      Ist es der junge Romeo?
TYBALT
      Der Schurke Romeo!
CAPULET
      Seid ruhig, Herzensvetter! Laßt ihn gehn!
      Er hält sich wie ein wackrer Edelmann;
      Und in der Tat, Verona preiset ihn
      Als einen sittgen, tugendsamen Jüngling.
      Ich möchte nicht für alles Gut der Stadt
      In meinem Haus ihm einen Unglimpf tun.
      Drum seid geduldig; merket nicht auf ihn.
      Das ist mein Will, und wenn du diesen ehrst,
      So zeig dich freundlich, streif die Runzeln weg,
      Die übel sich bei einem Feste ziemen.
TYBALT
      Kommt solch ein Schurk als Gast, so stehn sie wohl.
      Ich leid ihn nicht.
CAPULET
                           Er soll gelitten werden,
      Er soll! - Herr Junge, hört Er das? Nur zu!
      Wer ist hier Herr? Er oder ich? Nur zu!
      So, will Er ihn nicht leiden? - Helf mir Gott! -
      Will Hader unter meinen Gästen stiften?
      Will sich als starken Mann hier wichtig machen?
TYBALT
      Ists nicht 'ne Schande, Oheim?
CAPULET
                                      Zu! Nur zu!
      Ihr seid ein kecker Bursch. Ei, seht mir doch!
      Der Streich mag Euch gereun; ich weiß schon was.
      Ihr macht mirs bunt! Ja, das käm eben recht! -
      Brav, Herzenskinder! - Geht, vorwitzig seid Ihr!
      Seid ruhig, sonst - Mehr Licht, mehr Licht, zum Kuckuck! -
      Will ich zur Ruh Euch bringen! - Lustig, Kinder!
TYBALT
      Mir kämpft Geduld aus Zwang mit willger Wut
      Im Innern und empört mein siedend Blut.
      Ich gehe. - Doch so frech sich aufzudringen!
      Was Lust ihm macht, soll bittern Lohn ihm bringen!
Geht ab.
ROMEO
 [tritt] zu Julien.
      Entweihet meine Hand verwegen dich,
      O Heilgenbild, so will ichs lieblich büßen.
      Zwei Pilger neigen meine Lippen sich,
      Den herben Druck im Kusse zu versüßen.
JULIA
      Nein, Pilger, lege nichts der Hand zuschulden
      Für ihren sittsam-andachtvollen Gruß.
      Der Heilgen Rechte darf Berührung dulden,
      Und Hand in Hand ist frommer Waller Kuß.
ROMEO
      Haben nicht Heilge Lippen wie die Waller?
JULIA
      Ja, doch Gebet ist die Bestimmung aller.
ROMEO
      O so vergönne, teure Heilge nun,
      Daß auch die Lippen wie die Hände tun.
      Voll Inbrunst beten sie zu dir: erhöre,
      Daß Glaube nicht sich in Verzweiflung kehre!
JULIA
      Du weißt, ein Heilger pflegt sich nicht zu regen,
      Auch wenn er eine Bitte zugesteht.
ROMEO
      So reg dich, Holde, nicht, wie Heilge pflegen,
      Derweil mein Mund dir nimmt, was er erfleht.
Er küßt sie.
      Nun hat dein Mund ihn aller Sünd entbunden.
JULIA
      So hat mein Mund zum Lohn Sünd für die Gunst?
ROMEO
      Zum Lohn die Sünd? O Vorwurf, süß erfunden!
      Gebt sie zurück!
 [Küßt sie wieder.] 
JULIA
                        Ihr küßt recht nach der Kunst.
WÄRTERIN
 [tritt heran.] 
      Mama will Euch ein Wörtchen sagen, Fräulein.
ROMEO
      Wer ist des Fräuleins Mutter?
WÄRTERIN
                                     Ei nun, Junker,
      Das ist die gnädge Frau vom Hause hier,
      Gar eine wackre Frau und klug und ehrsam.
      Die Tochter, die Ihr spracht, hab ich gesäugt.
      Ich sag Euch, wer ihr' habhaft werden kann,
      Ist wohl gebettet.
ROMEO
      Sie eine Capulet? O teurer Preis! Mein Leben
      Ist meinem Feind als Schuld dahingegeben!
BENVOLIO
      Fort, laßt uns gehn; die Lust ist bald dahin.
ROMEO
      Ach, leider wohl! Das ängstet meinen Sinn.
CAPULET
      Nein, liebe Herrn, denkt noch ans Weggehn nicht!
      Ein kleines, schlichtes Mahl ist schon bereitet. -
      Muß es denn sein? Nun wohl, ich dank Euch allen;
      Ich dank Euch, edle Herren: Gute Nacht! -
      Mehr Fackeln her! - Kommt nun, bringt mich zu Bett.
 Zum zweiten Capulet. 
      Wahrhaftig, es wird spät, ich will zur Ruh.
Alle ab, außer Julia und Wärterin.
JULIA
      Komm zu mir, Amme; wer ist dort der Herr?
WÄRTERIN
      Tiberios, des alten, Sohn und Erbe.
JULIA
      Wer ists, der eben aus der Türe geht?
WÄRTERIN
      Das, denk ich, ist der junge [Marcellin] Petruchio.
JULIA
      Wer folgt ihm da, der gar nicht tanzen wollte?
WÄRTERIN
      Ich weiß nicht.
JULIA
      Geh, frage, wie er heißt! - Ist er vermählt,
      So ist das Grab zum Brautbett mir erwählt.
WÄRTERIN
 [kommt zurück.] 
      Sein Nam ist Romeo, ein Montague
      Und Eures großen Feindes einzger Sohn.
JULIA
      So einzge Lieb aus großem Haß entbrannt!
      Ich sah zu früh, den ich zu spät erkannt.
      O Wunderwerk: ich fühle mich getrieben,
      Den ärgsten Feind aufs zärtlichste zu lieben.
WÄRTERIN
      Wieso, wieso?
JULIA
      Es ist ein Reim, den ich von einem Tänzer
      Soeben lernte.
Man ruft drinnen: Julia!
WÄRTERIN
                      Gleich, wir kommen ja!
      Kommt, laßt uns gehn; kein Fremder ist mehr da.
Ab.
 Der Chorus tritt auf. 
CHORUS
      Die alte Liebe stirbt in ihm dahin,
          Und junge Zuneigung beerbt sie da;
      Die Schöne, nach der schmachtend stand sein Sinn,
          Scheint nicht mehr schön nun neben Julia.
      Er wird geliebt und liebt nun auch zum Schluß,
          Ein Zauberblick kann beiderseits nicht fehln,
      Doch scheint als Feind sie, der ers klagen muß,
          Und seiner Falle Köder muß sie stehln.
      Als Feind gesehn, darf er nicht zu ihr her,
          Zu schwörn, wie wirs sonst bei Verliebten sehn;
      Auch sie liebt ihn, doch kann noch weniger
          Zum neu geliebten irgendwohin gehn:
      Doch Zeit schafft Rat, Verlangen leiht die Kraft
      Und lindert Leid durch süße Leidenschaft.
Geht ab.
ERSTE SZENE
Ein offner Platz, der an Capulets Garten stößt
Romeo tritt auf.
ROMEO
      Kann ich von hinnen, da mein Herz hier bleibt?
      Geh, frostge Erde, suche deine Sonne!
Er ersteigt die Mauer und springt hinunter. Benvolio und Mercutio treten auf.
BENVOLIO
      He, Romeo, he, Vetter!
MERCUTIO
                              Er ist klug
      Und hat, mein Seel, sich heim ins Bett gestohlen.
BENVOLIO
      Er lief hieher und sprang die Gartenmauer
      Hinüber. Ruf ihn, Freund Mercutio!
MERCUTIO
      Ja, auch beschwören will ich. Romeo!
      Was? Grillen! Toller! Leidenschaft! Verliebter!
      Erscheine du, gestaltet wie ein Seufzer;
      Sprich nur ein Reimchen, so genügt mirs schon;
      Ein Ach nur jammre, paare Lieb und Triebe;
      Gib der Gevattrin Venus ein gut Wort,
      Schimpf eins auf ihren blinden Sohn und Erben,
      Held Amor, der so flink gezielt, als König
      Kophetua das Bettlermädchen liebte.
      Er höret nicht, er regt sich nicht, er rührt sich nicht.
      Der Aff ist tot; ich muß ihn wohl beschwören.
      Nun wohl: Bei Rosalindens hellem Auge,
      Bei ihrer Purpurlipp und hohen Stirn,
      Bei ihrem zarten Fuß, dem schlanken Bein,
      Den üppgen Hüften und der Region,
      Die ihnen nahe liegt, beschwör ich dich,
      Daß du in eigner Bildung uns erscheinest.
BENVOLIO
      Wenn er dich hört, so wird er zornig werden.
MERCUTIO
      Hierüber kann ers nicht; er hätte Grund,
      Bannt ich hinauf in seiner Dame Kreis
      Ihm einen Geist von seltsam eigner Art
      Und ließe den da stehn, bis sie den Trotz
      Gezähmt und nieder ihn beschworen hätte.
      Das wär Beschimpfung! Meine Anrufung
      Ist gut und ehrlich; mit der Liebsten Namen
      Beschwör ich ihn, bloß um ihn aufzurichten.
BENVOLIO
      Komm! Er verbarg sich unter jenen Bäumen
      Und pflegt des Umgangs mit der feuchten Nacht.
      Die Lieb ist blind, das Dunkel ist ihr recht.
MERCUTIO
      Ist Liebe blind, so zielt sie freilich schlecht.
      Nun sitzt er wohl an einen Baum gelehnt
      Und wünscht, sein Liebchen wär die reife Frucht
      Und fiel ihm in den Schoß. Doch, gute Nacht,
      Freund Romeo! Ich will ins Federbett;
      Das Feldbett ist zum Schlafen mir zu kalt.
      Komm, gehn wir?
BENVOLIO
                       Ja, es ist vergeblich, ihn
      Zu suchen, der nicht will gefunden sein.
Beide ab.
ZWEITE SZENE
Capulets Garten
Romeo kommt.
ROMEO
      Der Narben lacht, wer Wunden nie gefühlt.
Julia erscheint oben an einem Fenster.
      Doch still, was schimmert durch das Fenster dort?
      Es ist der Ost, und Julia die Sonne! -
      Geh auf, du holde Sonn! Ertöte Lunen,
      Die neidisch ist und schon vor Grame bleich,
      Daß du viel schöner bist, obwohl ihr dienend.
      O da sie neidisch ist, so dien ihr nicht!
      Nur Toren gehn in ihrer blassen, kranken
      Vestalentracht einher; wirf du sie ab!
      Sie ist es, meine Göttin, meine Liebe!
      O wüßte sie, daß sie es ist! -
      Sie spricht, doch sagt sie nichts: was schadet das?
      Ihr Auge redt, ich will ihm Antwort geben. -
      Ich bin zu kühn, es redet nicht zu mir.
      Ein Paar der schönsten Stern am ganzen Himmel
      Wird ausgesandt und bittet Juliens Augen,
      In ihren Kreisen unterdes zu funkeln.
      Doch wären ihre Augen dort, die Sterne
      In ihrem Antlitz? Würde nicht der Glanz
      Von ihren Wangen jene so beschämen
      Wie Sonnenlicht die Lampe? Würd ihr Aug
      Aus luftgen Höhn sich nicht so hell ergießen,
      Daß Vögel sängen, froh den Tag zu grüßen?
      O wie sie auf die Hand die Wange lehnt!
      Wär ich der Handschuh doch auf dieser Hand
      Und küßte diese Wange!
JULIA
                                    Weh mir!
ROMEO
                                              Horch!
      Sie spricht. O sprich noch einmal, holder Engel!
      Denn über meinem Haupt erscheinest du
      Der Nacht so glorreich, wie ein Flügelbote
      Des Himmels dem erstaunten, über sich
      Gekehrten Aug der Menschensöhne, die
      Sich rücklings werfen, um ihm nachzuschaun,
      Wenn er dahin fährt auf den trägen Wolken
      Und auf der Luft gewölbtem Busen schwebt.
JULIA
      O Romeo! Warum denn Romeo?
      Verleugne deinen Vater, deinen Namen!
      Willst du das nicht, schwör dich zu meinem Liebsten,
      Und ich bin länger keine Capulet!
ROMEO
für sich.
      Hör ich noch länger, oder soll ich reden?
JULIA
      Dein Nam ist nur mein Feind. Du bliebst du selbst,
      Und wärst du auch kein Montague. Was ist
      Denn Montague? Es ist nicht Hand, nicht Fuß,
      Nicht Arm noch Antlitz, noch ein andrer Teil
      Von einem Menschen. Sei ein andrer Name!
      Was ist ein Name? Was uns Rose heißt,
      Wie es auch hieße, würde lieblich duften;
      So Romeo, wenn er auch anders hieße,
      Er würde doch den köstlichen Gehalt
      Bewahren, welcher sein ist ohne Titel.
      O Romeo, leg deinen Namen ab,
      Und für den Namen, der dein Selbst nicht ist,
      Nimm meines ganz!
ROMEO
 [indem er näher hinzutritt.] 
                         Ich nehme dich beim Wort.
      Nenn Liebster mich, so bin ich neu getauft
      Und will hinfort nicht Romeo mehr sein.
JULIA
      Wer bist du, der du, von der Nacht beschirmt,
      Dich drängst in meines Herzens Rat?
ROMEO
                                           Mit Namen
      Weiß ich dir nicht zu sagen, wer ich bin.
      Mein eigner Name, teure Heilge, wird,
      Weil er dein Feind ist, von mir selbst gehaßt;
      Hätt ich ihn schriftlich, so zerriss' ich ihn.
JULIA
      Mein Ohr trank keine hundert Worte noch
      Von diesen Lippen, doch es kennt den Ton.
      Bist du nicht Romeo, ein Montague?
ROMEO
      Nein, Holde; keines, wenn dir eins mißfällt.
JULIA
      Wie kamst du her? O sag mir, und warum?
      Die Gartenmaur ist hoch, schwer zu erklimmen;
      Die Stätt ist Tod - bedenk nur, wer du bist -,
      Wenn einer meiner Vettern dich hier findet.
ROMEO
      Der Liebe leichte Schwingen trugen mich,
      Kein steinern Bollwerk kann der Liebe wehren;
      Und Liebe wagt, was irgend Liebe kann,
      Drum hielten deine Vettern mich nicht auf.
JULIA
      Wenn sie dich sehn, sie werden dich ermorden.
ROMEO
      Ach, deine Augen drohn mir mehr Gefahr
      Als zwanzig ihrer Schwerter; blick du freundlich,
      So bin ich gegen ihren Haß gestählt.
JULIA
      Ich wollt um alles nicht, daß sie dich sähn.
ROMEO
      Vor ihnen hüllt mich Nacht in ihren Mantel.
      Liebst du mich nicht, so laß sie nur mich finden;
      Durch ihren Haß zu sterben wär mir besser
      Als ohne deine Liebe Lebensfrist.
JULIA
      Wer zeigte dir den Weg zu diesem Ort?
ROMEO
      Die Liebe, die zuerst mich forschen hieß;
      Sie lieh mir Rat, ich lieh ihr meine Augen.
      Ich bin kein Steuermann, doch wärst du fern
      Wie Ufer, von dem fernsten Meer bespült,
      Ich wagte mich nach solchem Kleinod hin.
JULIA
      Du weißt, die Nacht verschleiert mein Gesicht,
      Sonst färbte Mädchenröte meine Wangen
      Um das, was du vorhin mich sagen hörtest.
      Gern hielt ich streng auf Sitte, möchte gern
      Verleugnen, was ich sprach; doch weg mit Form!
      Sag, liebst du mich? Ich weiß, du wirsts bejahn,
      Und will dem Worte traun; doch wenn du schwörst,
      So kannst du treulos werden; wie sie sagen,
      Lacht Jupiter des Meineids der Verliebten.
      O holder Romeo, wenn du mich liebst:
      Sags ohne Falsch! Doch dächtest du, ich sei
      Zu schnell besiegt, so will ich finster blicken,
      Will widerspenstig sein und Nein dir sagen,
      So du dann werben willst; sonst nicht um alles.
      Gewiß, mein Montague, ich bin zu herzlich,
      Du könntest denken, ich sei leichten Sinns.
      Ich glaube, Mann, ich werde treuer sein
      Als sie, die fremd zu tun geschickter sind.
      Auch ich, bekenn ich, hätte fremd getan,
      Wär ich von dir, eh ichs gewahrte, nicht
      Belauscht in Liebesklagen. Drum vergib!
      Schilt diese Hingebung nicht Flatterliebe,
      Die so die stille Nacht verraten hat.
ROMEO
      Ich schwöre, Fräulein, bei dem heilgen Mond,
      Der silbern dieser Bäume Wipfel säumt -
JULIA
      O schwöre nicht beim Mond, dem wandelbaren,
      Der immerfort in seiner Scheibe wechselt,
      Damit nicht wandelbar dein Lieben sei!
ROMEO
      Wobei denn soll ich schwören?
JULIA
                                     Laß es ganz!
      Doch willst du, schwör bei deinem edlen Selbst,
      Dem Götterbilde meiner Anbetung;
      So will ich glauben.
ROMEO
                            Wenn die Herzensliebe -
JULIA
      Gut, schwöre nicht! Obwohl ich dein mich freue,
      Freu ich mich nicht des Bundes dieser Nacht.
      Er ist zu rasch, zu unbedacht, zu plötzlich,
      Gleicht allzusehr dem Blitz, der nicht mehr ist,
      Noch eh man sagen kann: es blitzt. - Schlaf süß!
      Des Sommers warmer Hauch kann diese Knospe
      Der Liebe wohl zur schönen Blum entfalten,
      Bis wir das nächste Mal uns wiedersehn.
      Nun gute Nacht! So süße Ruh und Frieden,
      Als mir im Busen wohnt, sei dir beschieden.
ROMEO
      Ach, willst du lassen mich so ungetröstet?
JULIA
      Welch Tröstung kannst du diese Nacht begehren?
ROMEO
      Gib deinen treuen Liebesschwur für meinen!
JULIA
      Ich gab ihn dir, eh du darum gefleht;
      Und doch, ich wollt, er stünde noch zu geben.
ROMEO
      Wolltst du mir ihn entziehn? Wozu das, Liebe?
JULIA
      Um unverstellt ihn dir zurückzugeben.
      Allein ich wünsche, was ich habe, nur.
      So grenzenlos ist meine Huld, die Liebe
      So tief ja wie das Meer. Je mehr ich gebe,
      Je mehr auch hab ich: beides ist unendlich.
      Ich hör im Haus Geräusch; leb wohl. Geliebter!
Die Wärterin ruft hinter der Szene.
      Gleich, Amme! Holder Montague, sei treu!
      Wart einen Augenblick; ich komme wieder!
Sie geht zurück.
ROMEO
      O selge, selge Nacht! Nur fürcht ich, weil
      Mich Nacht umgibt, dies alles sei nur Traum,
      Zu schmeichelnd süß, um wirklich zu bestehn.
Julia erscheint wieder am Fenster.
JULIA
      Drei Worte, Romeo, dann gute Nacht!
      Wenn deine Liebe tugendsam gesinnt
      Vermählung wünscht, so laß mich morgen wissen
      Durch jemand, den ich zu dir senden will,
      Wo du und wann die Trauung willst vollziehn.
      Dann leg ich dir mein ganzes Glück zu Füßen
      Und folge durch die Welt dir, meinem Herrn.
Die Wärterin hinter der Szene: Fräulein!
      Ich komme, gleich! - Doch meinst du es nicht gut,
      So bitt ich dich -
Die Wärterin hinter der Szene: Fräulein!
                          Im Augenblick, ich komme!
      - Hör auf zu werben, laß mich meinem Gram!
      Ich sende morgen früh.
ROMEO
                              Beim ewgen Heil!
JULIA
      Nun tausend gute Nacht!
Geht zurück.
ROMEO
      Raubst du dein Licht ihr, wird sie bang durchwacht.
      Wie Knaben aus der Schul eilt Liebe hin zum Lieben,
      Wie Knaben an ihr Buch wird sie hinweggetrieben.
Er entfernt sich langsam. Julia erscheint wieder am Fenster.
JULIA
      St! Romeo, st! O eines Jägers Stimme,
      Den edlen Falken wieder herzulocken!
      Abhängigkeit ist heiser, wagt nicht laut
      Zu reden, sonst zersprengt ich Echos Kluft
      Und machte heisrer ihre luftge Kehle
      Als meine mit dem Namen Romeo.
ROMEO
 [umkehrend.] 
      Mein Leben ists, das meinen Namen ruft.
      Wie silbersüß tönt bei der Nacht die Stimme
      Der Liebenden, gleich lieblicher Musik
      Dem Ohr des Lauschers!
JULIA
                              Romeo!
ROMEO
                                      Mein Fräulein!
JULIA
      Um welche Stunde soll ich morgen schicken?
ROMEO
      Um neun.
JULIA
                Ich will nicht säumen; zwanzig Jahre
      Sinds bis dahin. Doch ich vergaß, warum
      Ich dich zurückgerufen.
ROMEO
      Laß hier mich stehn, derweil du dich bedenkst.
JULIA
      Auf daß du stets hier weilst, werd ich vergessen,
      Bedenkend, wie mir deine Näh so lieb.
ROMEO
      Auf daß du stets vergessest, werd ich weilen,
      Vergessend, daß ich irgend sonst daheim.
JULIA
      Es tagt beinah, ich wollte nun, du gingst;
      Doch weiter nicht, als wie ein tändelnd Mädchen
      Ihr Vögelchen der Hand entschlüpfen läßt,
      Gleich einem Armen in der Banden Druck,
      Und dann zurück ihn zieht am seidnen Faden;
      So liebevoll mißgönnt sie ihm die Freiheit.
ROMEO
      War ich dein Vögelchen!
JULIA
                               Ach wärst du's. Lieber!
      Doch hegt und pflegt ich dich gewiß zu Tod.
      Nun gute Nacht! So süß ist Trennungswehe,
      Ich rief wohl gute Nacht, bis ich den Morgen sähe.
Sie geht zurück.
ROMEO
      Schlaf wohn auf deinem Aug, Fried in der Brust!
      O wär ich Fried und Schlaf und ruht in solcher Lust!
      Ich will zur Zell des frommen Vaters gehen,
      Mein Glück ihm sagen und um Hülf ihn flehen.
Ab.
DRITTE SZENE
 [Ein Klostergarten] Bruder Lorenzos Zelle 
Bruder Lorenzo mit einem Körbchen.
LORENZO
      Der Morgen lächelt froh der Nacht ins Angesicht
      Und säumet das Gewölk im Ost mit Streifen Licht.
      Die matte Finsternis flieht wankend, wie betrunken,
      Von Titans Pfad, besprüht von seiner Rosse Funken.
      Eh höher nun die Sonn ihr glühend Aug erhebt,
      Den Tau der Nacht verzehrt und neu die Welt belebt,
      Muß ich dies Körbchen hier voll Kraut und Blumen lesen,
      Voll Pflanzen giftger Art und diensam zum Genesen.
      Die Mutter der Natur, die Erd, ist auch ihr Grab,
      Und was ihr Schoß gebar, sinkt tot in ihn hinab,
      Und Kinder mannigfalt, so all ihr Schoß empfangen,
      Sehn wir, gesäugt von ihr, an ihren Brüsten hangen.
      An vielen Tugenden sind viele drunter reich,
      Ganz ohne Wert nicht eins, doch keins dem andern gleich.
      Oh, große Kräfte sinds, weiß man sie recht zu pflegen,
      Die Pflanzen, Kräuter, Stein in ihrem Innern hegen;
      Was nur auf Erden lebt, da ist auch nichts so schlecht,
      Daß es der Erde nicht besondern Nutzen brächt.
      Doch ist auch nichts so gut, das, diesem Ziel entwendet,
      Abtrünnig seiner Art, sich nicht durch Mißbrauch schändet.
      In Laster wandelt sich selbst Tugend, falsch geübt,
      Wie Ausführung auch wohl dem Laster Würde gibt.
      Die kleine Blume hier beherbergt giftge Säfte
      In ihrer zarten Hüll und milde Heilungskräfte!
      Sie labet den Geruch und dadurch jeden Sinn;
      Gekostet, dringt sie gleich zum Herzen tötend hin.
      Zwei Feinde lagern so im menschlichen Gemüte
      Sich immerdar im Kampf: verderbter Will und Güte,
      Und wo das Schlechtre herrscht mit siegender Gewalt,
      Dergleichen Pflanze frißt des Todes Wurm gar bald.
Romeo tritt auf.
ROMEO
      Mein Vater, guten Morgen!
LORENZO
                                 Sei der Herr gesegnet!
      Wes ist der frühe Gruß, der freundlich mir begegnet?
      Mein junger Sohn, es zeigt, daß wildes Blut dich plagt,
      Daß du dem Bett so früh schon Lebewohl gesagt.
      Die wache Sorge lauscht im Auge jedes Alten,
      Und Schlummer bettet nie sich da, wo Sorgen walten;
      Doch da wohnt goldner Schlaf, wo mit gesundem Blut
      Und grillenfreiem Hirn die frische Jugend ruht.
      Drum läßt mich sicherlich dein frühes Kommen wissen,
      Daß innre Unordnung vom Lager dich gerissen.
      Wie? Oder hätte gar mein Romeo die Nacht
      - Nun rat ichs besser - nicht im Bette hingebracht?
ROMEO
      So ists, ich wußte mir viel süßre Ruh zu finden.
LORENZO
      Verzeih die Sünde Gott! Warst du bei Rosalinden?
ROMEO
      Bei Rosalinden, ich? Ehrwürdger Vater, nein!
      Vergessen ist der Nam und dieses Namens Pein.
LORENZO
      Das ist mein wackrer Sohn! Allein wo warst du? Sage!
ROMEO
      So hör; ich sparte gern dir eine zweite Frage.
      Ich war bei meinem Feind auf einem Freudenmahl,
      Und da verwundete mich jemand auf einmal.
      Desgleichen tat ich ihm, und für die beiden Wunden
      Wird heilge Arzenei bei deinem Amt gefunden.
      Ich hege keinen Groll, mein frommer, alter Freund,
      Denn sieh, zustatten kommt die Bitt auch meinem Feind.
LORENZO
      Einfältig, lieber Sohn! Nicht Silben fein gestochen!
      Wer Rätsel beichtet, wird in Rätseln losgesprochen.
ROMEO
      So wiss' einfältiglich: Ich wandte Seel und Sinn
      In Lieb auf Capulets holdselge Tochter hin.
      Sie gab ihr ganzes Herz zurück mir für das meine,
      Und uns Vereinten fehlt zum innigsten Vereine
      Die heilge Trauung nur; doch wie und wo und wann
      Wir uns gesehn, erklärt und Schwur um Schwur getan,
      Das alles will ich dir auf unserm Weg erzählen;
      Nur bitt ich, willge drein, noch heut uns zu vermählen!
LORENZO
      O heiliger Sankt Franz! Was für ein Unbestand!
      Ist Rosalinde schon aus deiner Brust verbannt,
      Die du so heiß geliebt? Liegt junger Männer Liebe
      Denn in den Augen nur, nicht in des Herzens Triebe?
      O heiliger Sankt Franz! Wie wusch ein salzig Naß
      Um Rosalinden dir so oft die Wangen blaß!
      Und löschen konnten doch so viele Tränenfluten
      Die Liebe nimmer dir; sie schürten ihre Gluten.
      Noch schwebt der Sonn ein Dunst von deinen Seufzern vor,
      Dein altes Stöhnen summt mir noch im alten Ohr,
      Sieh, auf der Wange hier ist noch die Spur zu sehen
      Von einer alten Trän, die noch nicht will vergehen.
      Und warst du je du selbst und diese Schmerzen dein,
      So war der Schmerz und du für Rosalind allein.
      Und so verwandelt nun? Dann leide, daß ich spreche:
      Ein Weib darf fallen, wohnt in Männern solche Schwäche.
ROMEO
      Oft schmältest du mit mir um Rosalinden schon.
LORENZO
      Weil sie dein Abgott war, nicht weil du liebtest, Sohn.
ROMEO
      Und mahntest oft mich an, die Liebe zu besiegen.
LORENZO
      Nicht um in deinem Sieg der zweiten zu erliegen.
ROMEO
      Ich bitt dich, schmäl nicht! Sie, der jetzt mein Herz gehört,
      Hat Lieb um Liebe mir und Gunst um Gunst gewährt.
      Das tat die andre nie.
LORENZO
                              Sie wußte wohl, dein Lieben
      Sei zwar ein köstlich Wort, doch nur in Sand geschrieben.
      Komm, junger Flattergeist! Komm nur, wir wollen gehn;
      Ich bin aus einem Grund geneigt, dir beizustehn:
      Vielleicht, daß dieser Bund zu großem Glück sich wendet
      Und eurer Häuser Groll durch ihn in Freundschaft endet.
ROMEO
      O laß uns fort von hier! Ich bin in großer Eil.
LORENZO
      Wer hastig läuft, der fällt; drum eile nur mit Weil.
Beide ab.
VIERTE SZENE
Eine Straße
Benvolio und Mercutio kommen.
MERCUTIO
      Wo, Teufel, kann der Romeo stecken? Kam er heute nacht nicht nach Hause?
BENVOLIO
      Nach seines Vaters Hause nicht; ich sprach seinen Diener.
MERCUTIO
      Ja, dies hartherzge Frauenbild, die Rosalinde,
      Sie quält ihn so, er wird gewiß verrückt.
BENVOLIO
      Tybalt, des alten Capulet Verwandter,
      Hat dort ins Haus ihm einen Brief geschickt.
MERCUTIO
      Eine Ausforderung, so wahr ich lebe!
BENVOLIO
      Romeo wird ihm die Antwort nicht schuldig bleiben.
MERCUTIO
      Auf einen Brief kann ein jeder antworten, wenn er schreiben kann.
BENVOLIO
      Nein, ich meine, er wird dem Briefsteller zeigen, daß er Mut hat, wenn man ihm so was zumutet.
MERCUTIO
      Ach, der arme Romeo; er ist ja schon tot! Durchbohrt von einer weißen Dirne schwarzem Auge; durchs Ohr geschossen mit einem Liebesliedchen; seine Herzensscheibe durch den Pfeil des kleinen blinden Schützen mitten entzweigespalten. Ist er der Mann darnach, es mit dem Tybalt aufzunehmen?
BENVOLIO
      Nun, was ist Tybalt denn Großes?
MERCUTIO
      Kein papierner Held, das kann ich dir sagen! Oh, er ist ein beherzter Zeremonienmeister der Ehre. Er ficht, wie Ihr ein Liedlein singt, hält Takt und Maß und Ton. Er beobachtet seine Pausen; eins - zwei - drei; dann sitzt Euch der Stoß in der Brust! Er bringt Euch einen seidnen Knopf unfehlbar ums Leben. Ein Raufer, ein Raufer! Ein Ritter vom ersten Range, der Euch alle Gründe eines Ehrenstreits an den Fingern herzuzählen weiß. Ach die göttliche Passade! Die doppelte Finte! Der!
BENVOLIO
      Der - was?
MERCUTIO
      Der Henker hole diese phantastischen, gezierten, lispelnden Eisenfresser! Was sie für neue Töne anstimmen! - »Eine sehr gute Klinge« - »Ein sehr wohlgewachsener Mann!« - »Eine sehr gute Hure!« - Ist das nicht ein Elend, Urältervater! daß wir mit diesen ausländischen Schmetterlingen heimgesucht werden, mit diesen Modenarren, diesen Pardonnez-moi, die so stark auf neue Weise halten, ohne jemals weise zu werden?
 [Romeo tritt auf.] 
BENVOLIO
      Da kommt Romeo, da kommt er!
MERCUTIO
      Ohne seinen Rogen, wie ein gedörrter Hering. O Fleisch, Fleisch, wie bist du verfischt worden! Nun liebt er die Melodien, in denen sich Petrarca ergoß; gegen sein Fräulein ist Laura nur eine Küchenmagd - Wetter, sie hatte doch einen bessern Liebhaber, um sie zu bereimen! -, Dido eine Trutschel, Kleopatra eine Zigeunerin, Helena und Hero Metzen und lose Dirnen, Thisbe ein artiges Blauauge oder sonst so was, will aber nichts vorstellen.
 Romeo tritt auf. 
      Signor Romeo, bonjour! Da habt Ihr einen französischen Gruß für Eure französischen Pumphosen! Ihr spieltet uns diese Nacht einen schönen Streich.
ROMEO
      Guten Morgen, meine Freunde! Was für einen Streich?
MERCUTIO
      Einen Diebesstreich. Ihr stahlt Euch unversehens davon.
ROMEO
      Verzeihung, guter Mercutio. Ich hatte etwas Wichtiges vor, und in einem solchen Falle tut man wohl einmal der Höflichkeit Gewalt an.
MERCUTIO
      Das soll wohl heißen, daß in einem solchen Falle ein Mann dazu vergewaltigt wird, sich in den Schenkeln zu verbeugen.
ROMEO
      Das bedeutet, einen höflichen Knicks zu machen.
MERCUTIO
      Du hast es allergnädigst erfaßt.
ROMEO
      Eine äußerst höfliche Auslegung.
MERCUTIO
      Ich bringe die Höflichkeit zur höchsten Blüte.
ROMEO
      Blüte steht für Blume.
MERCUTIO
      Richtig.
ROMEO
      Nun, dann ist mein Tanzschuh gut geblümt.
MERCUTIO
      Gut gesagt: spinne mir nun diesen Scherz weiter, bis du deinen Tanzschuh abgenutzt hast; so daß, wenn seine einzige Sohle abgenutzt ist, der Scherz solo und einzigartig hernach übrig bleibe.
ROMEO
      Oh einfachbesohlter Scherz, einfach einzigartig in seiner Einfalt!
MERCUTIO
      Tritt zwischen uns, guter Benvolio; mein Witz schwindet mir.
ROMEO
      Dann gib ihm Peitsche und Sporen, Peitsche und Sporen; oder ich rufe mich zum Sieger aus.
MERCUTIO
      Nein, wenn dein Witz ebenso ziellos herumgaloppiert wie bei einer Wildgansjagd[Wildgansjagd (wild-goose chase): Ein Wettrennen zu Pferde, bei dem der führende Reiter die Strecke bestimmt. Im übertragenen Sinn: ein sehr wenig erfolgversprechendes Unternehmen.] , bin ich fertig; denn du hast mehr von einer schnatternden Wildgans in einem deiner Sinne, da bin ich mir sicher, als ich in meinen ganzen fünfen: bin ich Euch mit der Schnatterei zu nahe getreten?
ROMEO
      Du bist nie nahe zu mir getreten, außer mit Schnatterei.
MERCUTIO
      Für diesen Scherz werde ich dir am Ohr knabbern.
ROMEO
      Nein, guter Gänserich, beiß mich nicht.
MERCUTIO
      Dein Witz ist wie ein sehr bitterer Süßapfel; er ist eine äußerst scharfe Soße.
ROMEO
      Und ist er dann nicht genau die richtige Beilage zu einer süßen Gans?
MERCUTIO
      Oh, das ist ein Witz aus Glacéleder, der sich von einem kleinen Zoll auf eine große Elle dehnen läßt!
ROMEO
      Ich werde ihn durch das Wort »groß« ausdehnen, welches, wenn es der Gans hinzugefügt wird, dich weit und breit als eine große Schnattergans dastehen läßt.
MERCUTIO
      Wie nun? [Du sprichst ja ganz menschlich. Wie kommt es, daß du auf einmal deine aufgeweckte Zunge und deine muntern Augen wiedergefunden hast? So hab ich dich gern.] Ist das nicht besser als das ewige Liebesgekrächze? Jetzt bist du umgänglich, jetzt bist du Romeo; jetzt bist du was du bist, in deiner Kunst ebenso wie in deiner Natur, denn dieser faselnde Amor ist wie ein großer Einfaltspinsel, der lächsend auf und ab rennt, um sein Stöckchen in einem Loch zu verstecken.
BENVOLIO
      Halt ein, halt ein.
MERCUTIO
      Du wünschst, daß ich meine Ergüße unzeitig beende.
BENVOLIO
      Ansonsten wäre es dir zu lang geworden.
MERCUTIO
      O, du irrst dich; es wäre sogleich wieder kurz geworden, denn ich bin bereits in die volle Tiefe vorgedrungen und beabsichtigte in der Tat, auf dem Fall nicht länger herumzureiten.
ROMEO
      Seht den prächtigen Aufzug!
Die Wärterin und Peter hinter ihr.
MERCUTIO
      Was kommt da angesegelt?
BENVOLIO
      Zwei, zwei: ein Männerhemd und ein Unterrock.
WÄRTERIN
      Peter!
PETER
      Was beliebt?
WÄRTERIN
      Meinen Fächer, Peter!
MERCUTIO
      Gib ihn ihr, guter Peter, um ihr Gesicht zu verstecken. Ihr Fächer ist viel hübscher wie ihr Gesicht.
WÄRTERIN
      Schönen guten Morgen, Ihr Herren!
MERCUTIO
      Schönen guten Abend, schöne Dame!
WÄRTERIN
      Warum guten Abend?
MERCUTIO
      Euer Brusttuch deutet auf Sonnenuntergang.
WÄRTERIN
      Pfui, was ist das für ein Mensch?
ROMEO
      Einer, Verehrte, den Gott geschaffen hat, daß er sich selbst verderbe.
WÄRTERIN
      Schön gesagt, bei meiner Seele! Daß er sich selbst verderbe! Ganz recht! Aber, Ihr Herren, kann mir keiner von Euch sagen, wo ich den jungen Romeo finde?
ROMEO
      Ich kanns Euch sagen; aber der junge Romeo wird älter sein, wenn Ihr ihn gefunden habt, als er war, da Ihr ihn suchtet. Ich bin der Jüngste, der den Namen führt, weil kein schlechterer da war.
WÄRTERIN
      Gut gegeben.
MERCUTIO
      So? Ist das Schlechteste gut gegeben? Nun wahrhaftig: gut begriffen! Sehr vernünftig!
WÄRTERIN
      Wenn Ihr Romeo seid, mein Herr, so wünsche ich Euch insgeheim zu sprechen.
BENVOLIO
      Sie wird ihn irgendwohin auf den Abend bitten.
MERCUTIO
      Eine Kupplerin, eine Kupplerin! Ho, ho!
BENVOLIO
      Was witterst du?
MERCUTIO
[Neue Jagd, neue Jagd! -] Kein Häschen, mein Herr; außer vielleicht einer Häsin, mein Herr, in einer Fastenspeise, die schon etwas schal und schimmelig-grau geworden ist, bevor sie vernascht wurde.
Singt. 
|     Ein Has', ergraut[Es ist sicher kein Zufall, daß das Wort »hoar« (ergraut) genauso klingt wie »whore« (Hure) und daß die sprichwörtliche Vermehrungsfreudigkeit der Hasen auch eine Interpretation von »hare« (Hase) als Hure nahelegt. So lautet die erste Zeile wörtlich »Ein alter Hase, (der) ergraut (ist)«, doch der Zuhörer versteht »Eine alte Hure«.] , Und ein Has', ergraut, Welch sehr gute Fastenspeis'; Doch ein Has', der ergraut, Ist zu viel zugetraut, Wenns ergraut eh' ichs verspeis.  | 
ROMEO
      Ich komme euch nach.
MERCUTIO
      Lebt wohl, alte Schöne! Lebt wohl,
 Singt. 
      o Schöne - Schöne - Schöne!
Benvolio und Mercutio gehen ab.
WÄRTERIN
      Sagt mir doch, was war das für ein unverschämter Gesell, der nichts als Schelmstücke im Kopfe hatte?
ROMEO
      Jemand, der sich selbst gern reden hört, meine gute Frau, und der in einer Minute mehr spricht, als er in einem Monate verantworten kann.
WÄRTERIN
      Ja, und wenn er auf mich was zu sagen hat, so will ich ihn bei den Ohren kriegen, und wäre er auch noch vierschrötiger, als er ist, und zwanzig solcher Hasenfüße obendrein; und kann ichs nicht, so könnens andre. So 'n Lausekerl! Ich bin keine von seinen Kreaturen, ich bin keine von seinen Karnuten.
 [Zu Peter.] 
      Und du mußt auch dabeistehen und leiden, daß jeder Schuft sich nach Belieben über mich hermacht!
PETER
      Ich habe nicht gesehn, daß sich jemand über Euch hergemacht hätte, sonst hätte ich geschwind vom Leder gezogen, das könnt Ihr glauben. Ich kann so gut ausziehen wie ein andrer, wo es einen ehrlichen Zank gibt und das Recht auf meiner Seite ist.
WÄRTERIN
      Nu, weiß Gott, ich habe mich so geärgert, daß ich am ganzen Leibe zittre. So 'n Lausekerl! - Seid so gütig, mein Herr, auf ein Wort! Und was ich Euch sagte: Mein junges Fräulein befahl mir. Euch zu suchen. Was sie mir befahl. Euch zu sagen, das will ich für mich behalten; aber erst laßt mich Euch sagen, wenn Ihr sie wolltet bei der Nase herumführen, sozusagen, das wäre eine unartige Aufführung, sozusagen. Denn seht, das Fräulein ist jung, und also, wenn Ihr falsch gegen sie zu Werke gingt, das würde sich gar nicht gegen ein Fräulein schicken und wäre ein recht nichtsnutziger Handel.
ROMEO
      Empfiehl mich deinem Fräulein! Ich beteure dir -
WÄRTERIN
      Du meine Zeit! Gewiß und wahrhaftig, das will ich ihr wiedersagen. O jemine, sie wird sich vor Freude nicht zu lassen wissen!
ROMEO
      Was willst du ihr sagen, gute Frau? Du gibst nicht Achtung.
WÄRTERIN
      Ich will ihr sagen, daß Ihr beteuert, und ich meine, das ist recht wie ein Kavalier gesprochen.
ROMEO
      Sag ihr, sie mög ein Mittel doch ersinnen,
      Zur Beichte diesen Nachmittag zu gehn.
      Dort in Lorenzos Zelle soll alsdann,
      Wenn sie gebeichtet, unsre Trauung sein.
      Hier ist für deine Müh.
WÄRTERIN
      Nein, wahrhaftig, Herr, keinen Pfennig!
ROMEO
      Nimm, sag ich dir; du mußt!
WÄRTERIN
      Heut nachmittag? Nun gut, sie wird Euch treffen.
ROMEO
      Du, gute Frau, wart hinter der Abtei,
      Mein Diener soll dir diese Stunde noch,
      Geknüpft aus Seilen, eine Leiter bringen,
      Die zu dem Gipfel meiner Freuden ich
      Hinan will klimmen in geheimer Nacht.
      Leb wohl! Sei treu, so lohn ich deine Müh.
      Leb wohl! Empfiehl mich deinem Fräulein!
WÄRTERIN
      Nun, Gott der Herr gesegn es! - Hört, noch eins!
ROMEO
      Was willst du, gute Frau?
WÄRTERIN
      Schweigt Euer Diener? Habt Ihr nie vernommen:
      Wo zwei zu Rate gehn, laßt keinen dritten kommen?
ROMEO
      Verlaß dich drauf, der Mensch ist treu wie Gold.
WÄRTERIN
      Nun gut, Herr, meine Herrschaft ist ein allerliebstes Fräulein. O jemine, als sie noch so ein kleines Dingelchen war - Oh, da ist ein Edelmann in der Stadt, einer, der Paris heißt, der gern einhaken möchte; aber das gute Herz mag ebenso lieb eine Kröte sehn, eine rechte Kröte, als ihn. - Ich ärgre sie zuweilen und sag ihr: Paris wär doch der hübscheste; aber Ihr könnt mirs glauben, wenn ich das sage, so wird sie so blaß wie ein Tischtuch. Fängt nicht Rosmarin und Romeo mit demselben Buchstaben an?
ROMEO
      Ja, gute Frau; beide mit einem R.
WÄRTERIN
      Ach, Spaßvogel, warum nicht gar? Das schnurrt ja wie 'n Spinnrad. Nein, ich weiß wohl, es fängt mit einem andern Buchstaben an, und sie hat die prächtigsten Reime und Sprichwörter darauf, daß Euch das Herz im Leibe lachen tät, wenn Ihrs hörtet.
ROMEO
      Empfiehl mich deinem Fräulein!
 [Ab.] 
WÄRTERIN
      Jawohl, viel tausendmal!
 Romeo geht ab. 
      - Peter!
PETER
      Was beliebt?
WÄRTERIN
      Peter, nimm meinen Fächer und geh vorauf!
Beide ab.
FÜNFTE SZENE
Capulets Garten
Julia tritt auf.
JULIA
      Neun schlug die Glock, als ich die Amme sandte.
      In einer halben Stunde wollte sie
      Schon wieder hier sein. Kann sie ihn vielleicht
      Nicht treffen? Nein, das nicht. Oh, sie ist lahm!
      Zu Liebesboten taugen nur Gedanken,
      Die zehnmal schneller fliehn als Sonnenstrahlen,
      Wenn sie die Nacht von finstern Hügeln scheuchen.
      Deswegen ziehn ja leichtbeschwingte Tauben
      Der Liebe Wagen, und Cupido hat
      Windschnelle Flügel. Auf der steilsten Höhe
      Der Tagereise steht die Sonne jetzt;
      Von neun bis zwölf, drei lange Stunden sinds,
      Und dennoch bleibt sie aus. O hätte sie
      Ein Herz und warmes, jugendliches Blut,
      Sie würde wie ein Ball behende fliegen,
      Es schnellte sie mein Wort dem Trauten zu
      Und seines mir.
      Doch Alte tun, als lebten sie nicht mehr,
      Träg, unbehülflich, und wie Blei so schwer.
 [Die Wärterin und Peter kommen.] 
      O Gott, sie kommt!
 Die Amme und Peter treten auf. 
                          Was bringst du, goldne Amme?
      Trafst du ihn an? Schick deinen Diener weg!
WÄRTERIN
      Wart vor der Türe, Peter!
Peter ab.
JULIA
      Nun, Mütterchen? Gott, warum blickst du traurig?
      Ist dein Bericht schon traurig, gib ihn fröhlich,
      Und klingt er gut, verdirb die Weise nicht,
      Indem du sie mit saurer Miene spielst.
WÄRTERIN
      Ich bin ermattet; laßt ein Weilchen mich!
      Das war 'ne Jagd! Das reißt in Gliedern mir!
JULIA
      Ich wollt, ich hätte deine Neuigkeit,
      Du meine Glieder. Nun, so sprich geschwind!
      Ich bitt dich, liebe, liebe Amme, sprich!
WÄRTERIN
      Was für 'ne Hast! Könnt Ihr kein Weilchen warten?
      Seht Ihr nicht, daß ich außer Atem bin?
JULIA
      Wie außer Atem, wenn du Atem hast,
      Um mir zu sagen, daß du keinen hast?
      Der Vorwand deines Zögerns währt ja länger
      Als der Bericht, den du dadurch verzögerst.
      Gib Antwort: Bringst du Gutes oder Böses!
      Nur das, so wart ich auf das Nähere gern.
      Beruhge mich! Ists Gutes oder Böses?
WÄRTERIN
      Ei, Ihr habt mir eine recht einfältige Wahl getroffen; Ihr versteht auch einen Mann auszulosen! Romeo - ja, das ist der rechte! - Er hat zwar ein hübscher Gesicht wie andre Leute; aber seine Beine gehen über alle Beine, und Hand und Fuß und die ganze Positur - es läßt sich eben nicht viel davon sagen, aber man kann sie mit nichts vergleichen. Er ist kein Ausbund von feinen Manieren, doch wett ich drauf, wie ein Lamm so sanft. - Treibs nur so fort, Kind, und fürchte Gott! - Habt Ihr diesen Mittag zu Hause gegessen?
JULIA
      Nein, nein! Doch all dies wußt ich schon zuvor.
      Was sagt er von der Trauung? Hurtig: was?
WÄRTERIN
      O je, wie schmerzt der Kopf mir! Welch ein Kopf!
      Er schlägt, als wollt er gleich in Stücke springen.
      Da hier mein Rücken, o mein armer Rücken!
      Gott sei Euch gnädig, daß Ihr hin und her
      So viel mich schickt, mich bald zu Tode hetzt.
JULIA
      Im Ernst, daß du nicht wohl bist, tut mir leid.
      Doch, beste, beste Amme, sage mir:
      Was macht mein Liebster?
WÄRTERIN
      Eur Liebster sagt, so wie ein wackrer Herr - und ein artiger und ein freundlicher und ein hübscher Herr und, auf mein Wort, ein tugendsamer Herr. - Wo ist denn Eure Mutter?
JULIA
      Wo meine Mutter ist? Nun, sie ist drinnen;
      Wo wär sie sonst? Wie seltsam du erwiderst:
      Eur Liebster sagt, so wie ein wackrer Herr -
      Wo ist denn Eure Mutter?
WÄRTERIN
                                Jemine!
      Seid Ihr so hitzig? Seht doch! Kommt mir nur!
      Ist das die Bähung für mein Gliederweh?
      Geht künftig selbst, wenn Ihr 'ne Botschaft habt.
JULIA
      Das ist 'ne Not! Was sagt er? Bitte, sprich!
WÄRTERIN
      Habt Ihr Erlaubnis, heut zu beichten?
JULIA
                                             Ja.
WÄRTERIN
      So macht Euch auf zu Eures Paters Zelle,
      Da harrt ein Mann, um Euch zur Frau zu machen.
      Nun steigt das lose Blut Euch in die Wangen,
      Gleich sind sie Scharlach, wenns was Neues gibt.
      Eilt Ihr ins Kloster; ich muß sonst wohin,
      Die Leiter holen, die der Liebste bald
      Zum Nest hinan, wenns Nacht wird, klimmen soll.
      Ich bin das Lasttier, muß für Euch mich plagen,
      Doch Ihr sollt Eure Last zur Nacht schon tragen.
      Ich will zur Mahlzeit erst; eilt Ihr zur Zelle hin!
JULIA
      Zu hohem Glücke, treue Pflegerin!
Beide ab.
SECHSTE SZENE
Bruder Lorenzos Zelle
Lorenzo und Romeo.
LORENZO
      Der Himmel lächle so dem heilgen Bund,
      Daß künftge Tag' uns nicht durch Kummer schelten!
ROMEO
      Amen! So sei's! Doch laß den Kummer kommen,
      So sehr er mag; wiegt er die Freuden auf,
      Die mir in ihrem Anblick eine flüchtge
      Minute gibt? Füg unsre Hände nur
      Durch deinen Segensspruch in eins, dann tue
      Sein Äußerstes der Liebeswürger Tod;
      Genug, daß ich nur mein sie nennen darf.
LORENZO
      So wilde Freude nimmt ein wildes Ende
      Und stirbt im höchsten Sieg, wie Feur und Pulver
      Im Kusse sich verzehrt. Die Süßigkeit
      Des Honigs widert durch ihr Übermaß,
      Und im Geschmack erstickt sie unsre Lust.
      Drum liebe mäßig; solche Lieb ist stet;
      Zu hastig und zu träge kommt gleich spät.
 [Julia tritt auf.] 
      Hier kommt das Fräulein, sieh,
      Mit leichtem Tritt, der keine Blume biegt.
      Sieh, wie die Macht der Lieb und Wonne siegt!
 Julia tritt auf. 
JULIA
      Ehrwürdger Herr, ich sag Euch guten Abend.
LORENZO
      Für mich und sich dankt Romeo, mein Kind.
JULIA
      Es gilt ihm mit, sonst wär sein Dank zuviel.
ROMEO
      Ach Julia! Ist deiner Freude Maß
      Gehäuft wie meins und weißt du mehr die Kunst,
      Ihr Schmuck zu leihn, so würze rings die Luft
      Durch deinen Hauch; laß des Gesanges Mund
      Die Seligkeit verkünden, die wir beide
      Bei dieser teuern Näh im andern finden.
JULIA
      Gefühl, an Inhalt reicher als an Worten,
      Ist stolz auf seinen Wert und nicht auf Schmuck.
      Nur Bettler wissen ihres Guts Betrag;
      Doch meine treue Liebe stieg so hoch,
      Daß keine Schätzung ihre Schätz erreicht.
LORENZO
      Kommt, kommt mit mir, wir schreiten gleich zur Sache.
      Ich leide nicht, daß ihr allein mir bleibt,
      Bis euch die Kirch einander einverleibt.
Alle ab.
ERSTE SZENE
Ein öffentlicher Platz
Mercutio, Benvolio, Page und Diener.
BENVOLIO
      Ich bitt dich, Freund, laß uns nach Hause gehn!
      Der Tag ist heiß, die Capulets sind draußen,
      Und treffen wir, so gibt es sicher Zank:
      Denn bei der Hitze tobt das tolle Blut.
MERCUTIO
      Du bist mir so ein Zeisig, der, sobald er die Schwelle eines Wirtshauses betritt, mit dem Degen auf den Tisch schlägt und ausruft: Gebe Gott, daß ich dich nicht nötig habe! - und wenn ihm das zweite Glas im Kopfe spukt, so zieht er gegen den Kellner, wo er es freilich nicht nötig hätte.
BENVOLIO
      Bin ich so ein Zeisig?
MERCUTIO
      Ja, ja! Du bist in deinem Zorn ein so hitziger Bursch als einer in ganz Italien; ebenso ungestüm in deinem Zorn und ebenso zornig in deinem Ungestüm.
BENVOLIO
      Nun, was weiter?
MERCUTIO
      Ei, wenn es euer zwei gäbe, so hätten wir bald gar keinen, sie brächten sich untereinander um. Du! Wahrhaftig, du zankst mit einem, weil er ein Haar mehr oder weniger im Barte hat wie du. Du zankst mit einem, der Nüsse knackt, aus keinem andern Grunde, als weil du nußbraune Augen hast. Welches Auge sonst würde solchen Anlaß zum Streit ausspähen? Dein Kopf ist so voll Zänkereien wie ein Ei voll Dotter, und doch ist dir der Kopf für dein Zanken schon dotterweich geschlagen. Du hast mit einem angebunden, der auf der Straße hustete, weil er deinen Hund aufgeweckt, der in der Sonne schlief. Hast du nicht mit einem Schneider Händel gehabt, weil er sein neues Wams vor Ostern trug? Mit einem andern, weil er neue Schuhe mit einem alten Bande zuschnürte? Und doch willst du mich über Zänkereien hofmeistern!
BENVOLIO
      Ja, wenn ich so leicht zankte wie du, so würde niemand eine Leibrente auf meinen Kopf nur für anderthalb Stunden kaufen wollen.
MERCUTIO
      Auf deinen Kopf? O Tropf!
 [Tybalt und andre kommen.] 
BENVOLIO
      Bei meinem Kopf! Da kommen die Capulets.
MERCUTIO
      Bei meiner Sohle! Mich kümmerts nicht.
 Tybalt und andre kommen. 
TYBALT
 [zu seinen Leuten.] 
      Schließt euch mir an, ich will mit ihnen reden. -
      Guten Tag, Ihr Herrn! Ein Wort mit Euer einem!
MERCUTIO
      Nur ein Wort mit einem von uns? Gebt noch was zu, laßt es ein Wort und einen Schlag sein!
TYBALT
      Dazu werdet Ihr mich bereit genug finden, wenn Ihr mir Anlaß gebt.
MERCUTIO
      Könntet Ihr ihn nicht nehmen, ohne daß wir ihn gäben?
TYBALT
      Mercutio, du harmonierst mit Romeo.
MERCUTIO
      Harmonierst? Was? Machst du uns zu Musikanten? Wenn du uns zu Musikanten machen willst, so sollst du auch nichts als Dissonanzen zu hören kriegen. Hier ist mein Fiedelbogen, wart, der soll Euch tanzen lehren! Alle Wetter! Über das Harmonieren!
BENVOLIO
      Wir reden hier auf öffentlichem Markt;
      Entweder sucht Euch einen stillern Ort,
      Wo nicht, besprecht Euch kühl von Eurem Zwist.
      Sonst geht! Hier gafft ein jedes Aug auf uns.
MERCUTIO
      Zum Gaffen hat das Volk die Augen; laß sie!
      Ich weich und wank um keines willen, ich!
 [Romeo tritt auf.] 
TYBALT
      Herr, zieht in Frieden! Hier kommt mein Gesell.
 Romeo tritt auf. 
MERCUTIO
      Ich will gehängt sein, Herr, wenn Ihr sein Meister seid.
      Doch stellt Euch nur, er wird sich zu Euch halten;
      In dem Sinn mögen Eure Gnaden wohl
      Gesell ihn nennen.
TYBALT
      Hör, Romeo! Der Haß, den ich dir schwur,
      Gönnt diesen Gruß dir nur: Du bist ein Schurke!
ROMEO
      Tybalt, die Ursach, die ich habe, dich
      Zu lieben, mildert sehr die Wut, die sonst
      Auf diesen Gruß sich ziemt. Ich bin kein Schurke,
      Drum lebe wohl! Ich seh, du kennst mich nicht.
TYBALT
      Nein, Knabe, dies entschuldigt nicht den Hohn,
      Den du mir angetan; kehr um und zieh!
ROMEO
      Ich schwöre dir, nie tat ich Hohn dir an.
      Ich liebe mehr dich, als du denken kannst,
      Bis du die Ursach meiner Liebe weißt.
      Drum, guter Capulet, ein Name, den
      Ich wert wie meinen halte, sei zufrieden!
MERCUTIO
      O zahme, schimpfliche, verhaßte Demut!
      Die Kunst des Raufers trägt den Sieg davon. -
Er zieht.
      Tybalt, du Ratzenfänger, willst du dran?
TYBALT
      Was willst du denn von mir?
MERCUTIO
      Mein guter Katzenkönig, nichts als eins von Euern neun Leben; damit will ich mich nebenbei lustig machen, und wenn Ihr mir wieder über den Weg lauft, auch die andern acht ausklopfen. Wollt Ihr bald Euren Degen bei den Ohren aus der Scheide ziehn? Macht zu, sonst habt Ihr meinen um die Ohren, eh er heraus ist.
TYBALT
      Ich steh zu Dienst.
Er zieht.
ROMEO
      Lieber Mercutio, steck den Degen ein!
MERCUTIO
      Kommt, Herr! Laßt Eure Finten sehn!
Sie fechten.
ROMEO
      Zieh, Benvolio!
      Schlag zwischen ihre Degen! Schämt euch doch
      Und haltet ein mit Wüten! Tybalt! Mercutio!
      Der Prinz verbot ausdrücklich solchen Aufruhr
      In Veronas Gassen. Halt, Tybalt! Freund Mercutio!
Tybalt entfernt sich mit seinen Anhängern.
MERCUTIO
      Ich bin verwundet. -
      Zum Teufel beider Sippschaft! Ich bin hin.
      Und ist er fort? Und hat nichts abgekriegt?
BENVOLIO
      Bist du verwundet, wie?
MERCUTIO
      Ja, ja, geritzt, geritzt! - Wetter, 's ist genug. -
      Wo ist mein Page? - Bursch, hol einen Wundarzt!
Der Page geht ab.
ROMEO
      Sei guten Muts, Freund! Die Wunde kann nicht beträchtlich sein.
MERCUTIO
      Nein, nicht so tief wie ein Brunnen noch so weit wie eine Kirchtüre; aber es reicht eben hin. Fragt morgen nach mir, und Ihr werdet einen stillen Mann an mir finden. Für diese Welt, glaubts nur, ist mir der Spaß versalzen. - Hol der Henker eure beiden Häuser! - Was? Von einem Hund, einer Maus, einer Ratze, einer Katze zu Tode gekratzt zu werden! Von so einem Prahler, einem Schuft, der nach dem Rechenbuche ficht! - Warum zum Teufel kamt Ihr zwischen uns? Unter Eurem Arm wurde ich verwundet.
ROMEO
      Ich dacht es gut zu machen.
MERCUTIO
      O hilf mir in ein Haus hinein, Benvolio.
      Sonst sink ich hin. - Zum Teufel eure Häuser!
      Sie haben Würmerspeis aus mir gemacht.
      Ich hab es tüchtig weg; verdammte Sippschaft!
Mercutio und Benvolio ab.
ROMEO
      Um meinetwillen wurde dieser Ritter,
      Dem Prinzen nah verwandt, mein eigner Freund,
      Verwundet auf den Tod; mein Ruf befleckt
      Durch Tybalts Lästerungen, Tybalts, der
      Seit einer Stunde mir verschwägert war.
      O süße Julia, deine Schönheit hat
      So weibisch mich gemacht; sie hat den Stahl
      Der Tapferkeit in meiner Brust erweicht.
Benvolio kommt zurück.
BENVOLIO
      O Romeo, der wackre Freund ist tot,
      Sein edler Geist schwang in die Wolken sich,
      Der allzu früh der Erde Staub verschmäht.
ROMEO
      Nichts kann den Unstern dieses Tages wenden;
      Er hebt das Weh an, andre müssens enden.
 [Tybalt kommt zurück.] 
BENVOLIO
      Da kommt der grimmige Tybalt wieder her.
ROMEO
      Am Leben! Siegreich! Und mein Freund erschlagen!
      Nun flieh gen Himmel, schonungsreiche Milde!
      Entflammte Wut, sei meine Führerin!
 Tybalt kommt zurück. 
      Nun, Tybalt, nimm den Schurken wieder, den du
      Mir eben gabst! Der Geist Mercutios
      Schwebt nah noch über unsern Häuptern hin
      Und harrt, daß deiner sich ihm zugeselle.
      Du oder ich! sonst folgen wir ihm beide.
TYBALT
      Elendes Kind, hier hieltest du's mit ihm
      Und sollst mit ihm von hinnen.
ROMEO
                                      Dies entscheide!
Sie fechten; Tybalt fällt.
BENVOLIO
      Flieh, Romeo, die Bürger sind in Wehr
      Und Tybalt tot. Steh so versteinert nicht!
      Flieh, flieh, der Prinz verdammt zum Tode dich,
      Wenn sie dich greifen. Fort, nur fort mit dir!
ROMEO
      Weh mir, ich Narr des Glücks!
BENVOLIO
                                     Was weilst du noch?
Romeo ab. Bürger treten auf.
EIN BÜRGER
      Wo lief er hin, der den Mercutio totschlug?
      Der Mörder Tybalts? Hat ihn wer gesehn?
BENVOLIO
      Da liegt der Tybalt.
EIN BÜRGER
                            Auf, Herr, geht mit mir!
      Gehorcht! Ich mahn Euch von des Fürsten wegen.
Der Prinz mit Gefolge, Montague, Capulet, ihre Gemahlinnen und andre.
PRINZ
      Wer durfte freventlich hier Streit erregen?
BENVOLIO
      O edler Fürst, ich kann verkünden recht
      Nach seinem Hergang dies unselige Gefecht.
      Der deinen wackren Freund Mercutio
      Erschlagen, liegt hier tot, entleibt vom Romeo.
GRÄFIN CAPULET
      Mein Vetter! Tybalt! Meines Bruders Kind!
      O Fürst! O mein Gemahl! O seht, noch rinnt
      Das teure Blut! Mein Fürst, bei Ehr und Huld,
      Im Blut der Montagues tilg ihre Schuld! -
      O Vetter, Vetter!
PRINZ
      Benvolio, sprich, wer hat den Streit erregt?
BENVOLIO
      Der tot hier liegt, von Romeo erlegt.
      Viel gute Worte gab ihm Romeo,
      Hieß ihn bedenken, wie gering der Anlaß,
      Wie sehr zu fürchten Euer höchster Zorn.
      Dies alles, vorgebracht mit sanftem Ton,
      Gelaßnem Blick, bescheidner Stellung, konnte
      Nicht Tybalts ungezähmte Wut entwaffnen.
      Dem Frieden taub, berennt mit scharfem Stahl
      Er die entschloßne Brust Mercutios;
      Der kehrt gleich rasch ihm Spitze gegen Spitze
      Und wehrt mit Kämpfertrotz mit einer Hand
      Den kalten Tod ab, schickt ihn mit der andern
      Dem Gegner wieder, des Behendigkeit
      Zurück ihn schleudert. Romeo ruft laut:
      Halt, Freunde, auseinander! Und geschwinder
      Als seine Zunge schlägt sein rüstger Arm,
      Dazwischen stürzend, beider Mordstahl nieder.
      Recht unter diesem Arm traf des Mercutio Leben
      Ein falscher Stoß vom Tybalt. Der entfloh,
      Kam aber gleich zum Romeo zurück,
      Der eben erst der Rache Raum gegeben.
      Nun fallen sie mit Blitzeseil sich an,
      Denn eh ich ziehen konnt, um sie zu trennen,
      War der beherzte Tybalt umgebracht.
      Er fiel, und Romeo, bestürzt, entwich.
      Ich rede wahr, sonst führt zum Tode mich.
GRÄFIN CAPULET
      Er ist verwandt mit Montagues Geschlecht,
      Aus Freundschaft spricht er falsch, verletzt das Recht.
      Die Fehd erhoben sie zu ganzen Horden,
      Und alle konnten nur ein Leben morden.
      Ich fleh um Recht; Fürst, weise mich nicht ab:
      Gib Romeo, was er dem Tybalt gab!
PRINZ
      Er hat Mercutio, ihn Romeo erschlagen;
      Wer soll die Schuld des teuren Blutes tragen?
GRÄFIN MONTAGUE
      Fürst, nicht mein Sohn, der Freund Mercutios;
      Was dem Gesetz doch heimfiel, nahm er bloß:
      Das Leben Tybalts.
PRINZ
                          Weil er das verbrochen,
      Sei über ihn sofort der Bann gesprochen.
      Mich selber trifft der Ausbruch eurer Wut,
      Um euren Zwiespalt fließt mein eignes Blut;
      Allein ich will dafür so streng euch büßen,
      Daß mein Verlust euch ewig soll verdrießen.
      Taub bin ich jeglicher Beschönigung,
      Kein Flehn, kein Weinen kauft Begnadigung;
      Drum spart sie. Romeo flieh schnell von hinnen!
      Greift man ihn, soll er nicht dem Tod entrinnen.
      Tragt diese Leiche weg! Vernehmt mein Wort!
      Wenn Gnade Mörder schont, verübt sie Mord!
Alle ab.
ZWEITE SZENE
Ein Zimmer in Capulets Hause
Julia tritt auf.
JULIA
      Hinab, du flammenhufiges Gespann,
      Zu Phöbus' Wohnung! Solch ein Wagenlenker
      Wie Phaethon jagt' euch gen Westen wohl
      Und brächte schnell die wolkige Nacht herauf.
      Verbreite deinen dichten Vorhang, Nacht,
      Du Liebespflegerin, damit das Auge
      Der Neubegier sich schließ und Romeo
      Mir unbelauscht in diese Arme schlüpfe.
      Verliebten gnügt zu der geheimen Weihe
      Das Licht der eignen Schönheit, oder wenn
      Die Liebe blind ist, stimmt sie wohl zur Nacht.
      Komm, ernste Nacht, du züchtig stille Frau,
      Ganz angetan mit Schwarz, und lehre mich
      Ein Spiel, wo jedes reiner Jugend Blüte
      Zum Pfände setzt, gewinnend zu verlieren!
      Verhülle mit dem schwarzen Mantel mir
      Das wilde Blut, das in den Wangen flattert,
      Bis scheue Liebe kühner wird und nichts
      Als Unschuld sieht in innger Liebe Tun.
      Komm, Nacht! Komm, Romeo, du Tag in Nacht,
      Denn du wirst ruhn auf Fittichen der Nacht
      Wie frischer Schnee auf eines Raben Rücken.
      Komm, milde, liebevolle Nacht! Komm, gib
      Mir meinen Romeo! Und stirbt er einst,
      Nimm ihn, zerteil in kleine Sterne ihn:
      Er wird des Himmels Antlitz so verschönen,
      Daß alle Welt sich in die Nacht verliebt
      Und niemand mehr der eitlen Sonne huldigt. -
      Ich habe Lieb erworben wie ein Haus,
      Und durfte noch nicht einziehn; bin verkauft,
      Doch noch nicht übergeben. Dieser Tag
      Währt so verdrießlich lang mir wie die Nacht
      Vor einem Fest dem ungeduldgen Kinde,
      Das noch sein neues Kleid nicht tragen durfte.
 [Die Wärterin mit einer Strickleiter.] 
      Da kommt die Amme ja, die bringt Bericht,
      Und jede Zunge, die nur Romeo
      Beim Namen nennt, spricht so beredt wie Engel.
 Die Amme tritt auf mit einer Strickleiter. 
      Nun, Amme? Sag, was gibts, was hast du da?
      Die Stricke, die dich Romeo hieß holen?
WÄRTERIN
      Ja, ja, die Stricke!
Sie wirft sie auf die Erde.
JULIA
      Weh mir! Was gibts? Was ringst du so die Hände?
WÄRTERIN
      Daß Gott erbarm! Er ist tot, er ist tot, er ist tot!
      Wir sind verloren, Fräulein, sind verloren!
      O weh uns! Er ist hin! Ermordet! Tot!
JULIA
      So neidisch kann der Himmel sein?
WÄRTERIN
      Ja, das kann Romeo; der Himmel nicht.
      O Romeo, wer hätt es je gedacht?
      O Romeo, Romeo!
JULIA
      Welch Teufel bist du, daß du so mich folterst?
      Die grause Hölle nur brüllt solche Qual.
      Hat Romeo sich selbst ermordet? Sprich!
Und sagt du »Ja«, vergiftet dieser Laut
      Mehr als des Basilisks todbringend »Aug«.[Ein Wortspiel mit den Wörtern »aye« (ja), »I« (ich) und »eye« (Auge), die alle gleich ausgesprochen werden.] 
      Ich bin nicht »ich«, wenns gibt ein solches »Ja«,
      Dies Auge zu, das dich zwingt zu dem »Ja«.
      Ist er entleibt, sag ja, wo nicht, sag nein!
      Ein kurzer Laut entscheidet Wonn und Pein.
WÄRTERIN
      Ich sah die Wunde, meine Augen sahn sie
      - Behüte Gott! - auf seiner tapfern Brust;
      Die blutge Leiche, jämmerlich und blutig,
      Bleich, bleich wie Asche, ganz mit Blut besudelt,
      Ganz starres Blut - weg schwiemt ich, da ichs sah.
JULIA
      O brich, mein Herz, verarmt auf einmal, brich!
      Ihr Augen, ins Gefängnis! Blicket nie
      Zur Freiheit wieder auf! Elende Erde, kehre
      Zur Erde wieder! Pulsschlag, hemme dich!
Ein Sarg empfange Romeo und mich!
WÄRTERIN
      O Tybalt, Tybalt! O mein bester Freund!
      Leutselger Tybalt, wohlgesinnter Herr!
      So mußt ich leben, um dich tot zu sehn?
JULIA
      Was für ein Sturm tobt so von jeder Seite?
      Ist Romeo erschlagen? Tybalt tot?
      Mein teurer Vetter? Teuerster Gemahl?
      Dann töne nur des Weltgerichts Posaune!
      Wer lebt noch, wenn dahin die beiden sind?
WÄRTERIN
      Dahin ist Tybalt, Romeo verbannt;
      Verbannt ist Romeo, der ihn erschlug.
JULIA
      Gott! Seine Hand, vergoß sie Tybalts Blut?
WÄRTERIN
      Sie tats, sie tats! O weh uns, weh, sie tats!
JULIA
      O Schlangenherz, von Blumen überdeckt!
      Wohnt' in so schöner Höhl ein Drache je?
      Holdselger Wütrich! Engelgleicher Unhold!
      Ergrimmte Taube! Lamm mit Wolfesgier!
      Verworfne Art in göttlichster Gestalt!
      Das rechte Gegenteil des, was mit Recht
      Du scheinest: ein verdammter Heiliger,
      Ein ehrenwerter Schurke! - O Natur!
      Was hattest du zu schaffen in der Hölle,
      Als du des holden Leibes Paradies
      Zum Lustsitz einem Teufel übergabst?
      War je ein Buch, so arger Dinge voll,
      So schön gebunden? Oh, daß Falschheit doch
      Solch herrlichen Palast bewohnen kann!
WÄRTERIN
      Kein Glaube, keine Treu noch Redlichkeit
      Ist unter Männern mehr. Sie sind meineidig,
      Falsch sind sie, lauter Schelme, lauter Heuchler! -
      Wo ist mein Diener? Gebt mir Aquavit!
      Die Not, die Angst, der Jammer macht mich alt.
      Zu Schanden werde Romeo!
JULIA
                                Die Zunge
      Erkranke dir für einen solchen Wunsch!
      Er war zur Schande nicht geboren; Schande
      Weilt mit Beschämung nur auf seiner Stirn.
      Sie ist ein Thron, wo man die Ehre mag
      Als Allbeherrscherin der Erde krönen.
      O wie unmenschlich war ich, ihn zu schelten!
WÄRTERIN
      Von Eures Vetters Mörder sprecht Ihr Gutes?
JULIA
      Soll ich von meinem Gatten Übles reden?
      Ach, armer Gatte! Welche Zunge wird
      Wohl deinem Namen Liebes tun, wenn ich,
      Dein Weib von wenig Stunden, ihn zerrissen?
      Doch, Arger, was erschlugst du meinen Vetter?
      Der Arge wollte den Gemahl erschlagen.
      Zurück zu eurem Quell, verkehrte Tränen!
      Dem Schmerz gebühret eurer Tropfen Zoll,
      Ihr bringt aus Irrtum ihn der Freude dar.
      Mein Gatte lebt, den Tybalt fast getötet,
      Und tot ist Tybalt, der ihn töten wollte.
      Dies alles ist ja Trost: was wein ich denn?
      Ich hört ein schlimmres Wort als Tybalts Tod,
      Das mich erwürgte; ich vergäß es gern!
      Doch ach, es drückt auf mein Gedächtnis schwer
      Wie Freveltaten auf des Sünders Seele.
      Tybalt ist tot und Romeo verbannt!
      O dies »Verbannt«, dies eine Wort »Verbannt«
      Erschlug zehntausend Tybalts. Tybalts Tod
      War gnug des Wehes, hätt es da geendet!
      Und liebt das Leid Gefährten, reiht durchaus
      An andre Leiden sich, warum denn folgte
      Auf ihre Botschaft: tot ist Tybalt, nicht:
      Dein Vater, deine Mutter, oder beide?
      Das hätte sanftre Klage wohl erregt.
      Allein dies Wort: verbannt ist Romeo,
      Aus jenes Todes Hinterhalt gesprochen,
      Bringt Vater, Mutter, Tybalt, Romeo
      Und Julien um! Verbannt ist Romeo!
      Nicht Maß noch Ziel kennt dieses Wortes Tod,
      Und keine Zung erschöpfet meine Not. -
      Wo mag mein Vater, meine Mutter sein?
WÄRTERIN
      Bei Tybalts Leiche heulen sie und schrein.
      Wollt Ihr zu ihnen gehn? Ich bring Euch hin.
JULIA
      So waschen sie die Wunden ihm mit Tränen?
      Ich spare meine für ein bängres Sehnen.
      Nimm diese Seile auf. - Ach, armer Strick,
      Getäuscht wie ich! Wer bringt ihn uns zurück?
      Zum Steg der Liebe knüpft' er deine Bande,
      Ich aber sterb als Braut im Witwenstande.
      Komm, Amme, komm! Ich will ins Brautbett! Fort!
      Nicht Romeo, den Tod umarm ich dort.
WÄRTERIN
      Geht nur ins Schlafgemach! Zum Troste find ich
      Euch Romeo: ich weiß wohl, wo er steckt.
      Hört, Romeo soll Euch zur Nacht erfreuen;
      Ich geh zu ihm; beim Pater wartet er.
JULIA
      O such ihn auf! Gib diesen Ring dem Treuen;
      Bescheid aufs letzte Lebewohl ihn her!
Beide ab.
DRITTE SZENE
Bruder Lorenzos Zelle
 [Lorenzo und Romeo kommen.] Bruder Lorenzo tritt auf. 
LORENZO
      Komm, Romeo! Hervor, du Mann der Furcht!
      Bekümmernis hängt sich mit Lieb an dich,
      Und mit dem Mißgeschick bist du vermählt.
 Romeo tritt auf. 
ROMEO
      Vater, was gibts? Wie heißt des Prinzen Spruch?
      Wie heißt der Kummer, der sich zu mir drängt
      Und noch mir fremd ist?
LORENZO
                               Zu vertraut, mein Sohn,
      Bist du mit solchen widrigen Gefährten.
      Ich bring dir Nachricht von des Prinzen Spruch.
ROMEO
      Und hat sein Spruch mir nicht den Stab gebrochen?
LORENZO
      Ein mildres Urteil floß von seinen Lippen:
      Nicht Leibes Tod, nur leibliche Verbannung.
ROMEO
      Verbannung? Sei barmherzig! Sage: Tod!
      Verbannung trägt der Schrecken mehr im Blick,
      Weit mehr als Tod! - O sage nicht Verbannung!
LORENZO
      Hier aus Verona bist du nur verbannt;
      Sei ruhig, denn die Welt ist groß und weit.
ROMEO
      Die Welt ist nirgends außer diesen Mauern;
      Nur Fegefeuer, Qual, die Hölle selbst.
      Von hier verbannt ist aus der Welt verbannt,
      Und solcher Bann ist Tod. Drum gibst du ihm
      Den falschen Namen. - Nennst du Tod Verbannung,
      Enthauptest du mit goldnem Beile mich
      Und lächelst zu dem Streich, der mich ermordet.
LORENZO
      O schwere Sünd, o undankbarer Trotz!
      Dein Fehltritt heißt nach unsrer Satzung Tod;
      Doch dir zulieb hat sie der gütge Fürst
      Beiseit gestoßen und Verbannung nur
      Statt jenes schwarzen Wortes ausgesprochen.
      Und diese teure Gnad erkennst du nicht?
ROMEO
      Nein, Folter; Gnade nicht! Hier ist der Himmel,
      Wo Julia lebt, und jeder Hund und Katze
      Und kleine Maus, das schlechteste Geschöpf,
      Lebt hier im Himmel, darf ihr Antlitz sehn;
      Doch Romeo darf nicht. Mehr Würdigkeit,
      Mehr Ansehn, mehr gefällge Sitte lebt
      In Fliegen als in Romeo. Sie dürfen
      Das Wunderwerk der weißen Hand berühren
      Und Himmelswonne rauben ihren Lippen,
      Die sittsam in Vestalenunschuld stets
      Erröten, gleich als wäre Sünd ihr Kuß.
      Dies dürfen Fliegen tun, ich muß entfliehn;
      Sie sind ein freies Volk, ich bin verbannt.
      Und sagst du noch, Verbannung sei nicht Tod?
      So hattest du kein Gift gemischt, kein Messer
      Geschärft, kein schmählich Mittel schnellen Todes,
      Als dies »Verbannt«, zu töten mich? Verbannt!
      O Mönch! Verdammte sprechen in der Hölle
      Dies Wort mit Heulen aus; hast du das Herz,
      Da du ein heilger Mann, ein Beichtiger bist,
      Ein Sündenlöser, mein erklärter Freund,
      Mich zu zermalmen mit dem Wort Verbannung?
LORENZO
      Du kindisch blöder Mann, hör doch ein Wort!
ROMEO
      O du willst wieder von Verbannung sprechen!
LORENZO
      Ich will dir eine Wehr dagegen leihn,
      Der Trübsal süße Milch, Philosophie,
      Um dich zu trösten, bist du gleich verbannt.
ROMEO
      Und noch verbannt? Hängt die Philosophie!
      Kann sie nicht schaffen eine Julia,
      Aufheben eines Fürsten Urteilspruch,
      Verpflanzen eine Stadt, so hilft sie nicht,
      So taugt sie nicht, so rede länger nicht!
LORENZO
      Nun seh ich wohl. Wahnsinnige sind taub.
ROMEO
      Wärs anders möglich? Sind doch Weise blind.
LORENZO
      Laß über deinen Fall mit dir mich rechten!
ROMEO
      Du kannst von dem, was du nicht fühlst, nicht reden.
      Wärst du so jung wie ich und Julia dein,
      Vermählt seit einer Stund, erschlagen Tybalt,
      Wie ich von Lieb entglüht, wie ich verbannt,
      Dann möchtest du nur reden, möchtest nur
      Das Haar dir raufen, dich zu Boden werfen
      Wie ich und so dein künftges Grab dir messen.
 [Er wirft sich an den Boden.] Man klopft draußen.
LORENZO
      Steh auf, man klopft; verbirg dich, lieber Freund!
ROMEO
      O nein, wo nicht des bangen Stöhnens Hauch
      Gleich Nebeln mich vor Späheraugen schirmt.
Man klopft.
LORENZO
      Horch, wie man klopft! - Wer da? - Fort, Romeo!
      Man wird dich fangen. - Wartet doch ein Weilchen! -
      Steh auf
 Man klopft. 
                und rett ins Lesezimmer dich! -
 [Man klopft.] 
      Ja, ja! im Augenblick! - Gerechter Gott,
      Was für ein starrer Sinn! - Ich komm, ich komme:
 Man klopft. 
      Wer klopft so stark? Wo kommt Ihr her? Was wollt Ihr?
WÄRTERIN
draußen.
      Laßt mich hinein, so sag ich Euch die Botschaft.
      Das Fräulein Julia schickt mich.
LORENZO
                                        Seid willkommen!
Die Wärterin tritt herein.
WÄRTERIN
      O heilger Herr, o sag mir, heilger Herr:
      Des Fräuleins Liebster, Romeo, wo ist er?
LORENZO
      Am Boden dort, von eignen Tränen trunken.
WÄRTERIN
      Oh, es ergeht wie meiner Herrschaft ihm,
      Ganz so wie ihr!
LORENZO
                        O Sympathie des Wehs!
      Bedrängter Zustand!
WÄRTERIN
                           Gerade so liegt sie,
      Winselnd und wehklagend, wehklagend und winselnd.
      Steht auf, steht auf! Wenn Ihr ein Mann seid, steht!
      Um Juliens willen, ihr zulieb, steht auf!
      Wer wollte so sich niederwerfen lassen?
ROMEO
      Gute Frau!
WÄRTERIN
      Ach Herr, ach Herr! Im Tod ist alles aus.
ROMEO
      Sprachst du von Julien? Wie stehts mit ihr?
      Hält sie mich nicht für einen alten Mörder,
      Da ich mit Blut, dem ihrigen so nah,
      Die Kindheit unsrer Wonne schon befleckt?
      Wo ist sie? Und was macht sie? Und was sagt
      Von dem zerstörten Bund die kaum Verbundne?
WÄRTERIN
      Ach Herr, sie sagt kein Wort, sie weint und weint.
      Bald fällt sie auf ihr Bett, dann fährt sie auf,
      Ruft: Tybalt! aus, schreit dann nach Romeo
      Und fällt dann wieder hin.
ROMEO
                                  Als ob der Name,
      Aus tödlichem Geschütz auf sie gefeuert,
      Sie mordete, wie sein unselger Arm
      Den Vetter ihr gemordet. Sag mir, Mönch,
      O sage mir: in welchem schnöden Teil
      Beherbergt dies Gerippe meinen Namen?
      Sag, daß ich den verhaßten Sitz verwüste.
Er zieht den Degen.
LORENZO
      Halt ein die tolle Hand! Bist du ein Mann?
      Dein Äußres ruft, du seist es, deine Tränen
      Sind weibisch, deine wilden Taten zeugen
      Von eines Tieres unvernünftger Wut.
      Entartet Weib in äußrer Mannesart!
      Entstelltes Tier, in beide nur verstellt!
      Ich staun ob dir; bei meinem heilgen Orden,
      Ich glaubte, dein Gemüt sei bessern Stoffs!
      Erschlugst du Tybalt? Willst dich selbst erschlagen?
      Auch deine Gattin, die in dir nur lebt,
      Durch so verruchten Haß, an dir verübt?
      Was schiltst du auf Geburt, auf Erd und Himmel?
      In dir begegnen sie sich alle drei,
      Die du auf einmal von dir schleudern willst.
      Du schändest deine Bildung, deine Liebe
      Und deinen Witz. O pfui! Gleich einem Wuchrer
      Hast du an allem Überfluß und brauchst
      Doch nichts davon zu seinem echten Zweck,
      Der Bildung, Liebe, Witz erst zieren sollte.
      Ein Wachsgepräg ist deine edle Bildung,
      Wenn sie der Kraft des Manns abtrünnig wird,
      Dein teurer Liebesschwur ein hohler Meineid,
      Wenn du die tötest, der du Treu gelobt,
      Dein Witz, die Zier der Bildung und der Liebe,
      Doch zum Gebrauche beider mißgeartet,
      Fängt Feuer durch dein eignes Ungeschick
      Wie Pulver in nachläßger Krieger Flasche,
      Und was dich schirmen soll, zerstückt dich.
      Auf, sei ein Mann, denn deine Julia lebt,
      Sie, der zulieb du eben tot hier lagst;
      Das ist ein Glück. Dich wollte Tybalt töten,
      Doch du erschlugst ihn; das ist wieder Glück.
      Dein Freund wird das Gesetz, das Tod dir drohte,
      Und mildert ihn in Bann; auch das ist Glück.
      Auf deine Schultern läßt sich eine Last
      Von Segen nieder, und es wirbt um dich
      Glückseligkeit in ihrem besten Schmuck,
      Doch wie ein ungezognes, launsches Mädchen
      Schmollst du mit deinem Glück und deiner Liebe.
      O hüte dich, denn solche sterben elend.
      Geh hin zur Liebsten, wie's beschlossen war,
      Ersteig ihr Schlafgemach; fort, tröste sie!
      Nur weile nicht, bis man die Wachen stellt,
      Sonst kommst du nicht mehr durch nach Mantua.
      Dort lebst du dann, bis wir die Zeit ersehn,
      Die Freunde zu versöhnen, euren Bund
      Zu offenbaren, von dem Fürsten Gnade
      Für dich zu flehn und dich zurückzurufen
      Mit zwanzighunderttausendmal mehr Freude,
      Als du mit Jammer jetzt von hinnen ziehst.
      Geh, Wärterin, voraus, grüß mir dein Fräulein;
      Heiß sie das ganze Haus zu Bette treiben,
      Wohin der schwere Gram von selbst sie treibt;
      Denn Romeo soll kommen.
WÄRTERIN
      O je, ich blieb hier gern die ganze Nacht
      Und hörte gute Lehr. Da sieht man doch,
      Was die Gelahrtheit ist! - Nun, gnädger Herr,
      Ich will dem Fräulein sagen, daß Ihr kommt.
ROMEO
      Tu das und sag der Holden, daß sie sich
      Bereite, mich zu schelten.
WÄRTERIN
                                  Gnädger Herr,
      Hier ist ein Ring, den sie für Euch mir gab.
      Eilt Euch, macht fort, sonst wird es gar zu spät.
Ab.
ROMEO
      Wie ist mein Mut nun wieder neu belebt!
LORENZO
      Geh! Gute Nacht! Und hieran hängt dein Los:
      Entweder geh, bevor man Wachen stellt,
      Wo nicht, verkleidet in der Frühe fort.
      Verweil in Mantua; ich forsch indessen
      Nach deinem Diener, und er meldet dir
      Von Zeit zu Zeit ein jedes gute Glück,
      Das hier begegnet. Gib mir deine Hand!
      Es ist schon spät. Fahr wohl denn! Gute Nacht!
ROMEO
      Mich rufen Freuden über alle Freuden,
      Sonst wärs ein Leid, von dir so schnell zu scheiden.
      Leb wohl!
Beide ab.
VIERTE SZENE
Ein Zimmer in Capulets Hause
Capulet, Gräfin Capulet, Paris.
CAPULET
      Es ist so schlimm ergangen, Graf, daß wir
      Nicht Zeit gehabt, die Tochter anzumahnen.
      Denn seht, sie liebte herzlich ihren Vetter.
      Das tat ich auch; nun, einmal stirbt man doch. -
      Es ist schon spät, sie kommt nicht mehr herunter,
      Ich sag Euch, wärs nicht der Gesellschaft wegen,
      Seit einer Stunde läg ich schon im Bett.
PARIS
      So trübe Zeit gewährt nicht Zeit zum Frein;
      Gräfin, schlaft wohl, empfehlt mich Eurer Tochter!
GRÄFIN CAPULET
      Ich tu's und forsche morgen früh sie aus.
      Heut nacht verschloß sie sich mit ihrem Gram.
CAPULET
      Graf Paris, ich vermesse mich zu stehn
      Für meines Kindes Lieb; ich denke wohl,
      Sie wird von mir in allen Stücken sich
      Bedeuten lassen, ja ich zweifle nicht. -
      Frau, geh noch zu ihr, eh du schlafen gehst,
      Tu meines Sohnes Paris Lieb ihr kund
      Und sag ihr, merk es wohl: auf nächsten Mittwoch!
      Still, was ist heute?
PARIS
                             Montag, edler Herr.
CAPULET
      Montag? So, so! Gut, Mittwoch ist zu früh.
      Sei's Donnerstag! - Sag ihr: am Donnerstag
      Wird sie vermählt mit diesem edlen Grafen.
      Wollt Ihr bereit sein? Liebt Ihr diese Eil?
      Wir tuns im stillen ab: nur ein paar Freunde;
      Denn seht, weil Tybalt erst erschlagen ist,
      So dächte man, er läg uns nicht am Herzen,
      Als unser Blutsfreund, schwärmten wir zu viel.
      Drum laßt uns ein halb Dutzend Freunde laden
      Und damit gut. Wie dünkt Euch Donnerstag?
PARIS
      Mein Graf, ich wollte, Donnerstag wär morgen.
CAPULET
      Gut, geht nur heim! Sei's denn am Donnerstag. -
      Geh, Frau, zu Julien, eh du schlafen gehst,
      Bereite sie auf diesen Hochzeittag. -
      Lebt wohl, mein Graf!
 [Paris ab.] 
                             He! Licht auf meine Kammer!
      Nach meiner Weise ists so spät, daß wir
      Bald früh es nennen können. Gute Nacht!
 [Capulet und die Gräfin ab.] Alle ab. 
FÜNFTE SZENE
 Eine offene Galerie vor Juliens Zimmer mit Blick auf den Garten 
Romeo und Julia.
JULIA
      Willst du schon gehn? Der Tag ist ja noch fern.
      Es war die Nachtigall und nicht die Lerche,
      Die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang;
      Sie singt des Nachts auf dem Granatbaum dort.
      Glaub, Lieber, mir: es war die Nachtigall.
ROMEO
      Die Lerche wars, die Tagverkünderin,
      Nicht Philomele; sieh den neidschen Streif,
      Der dort im Ost der Frühe Wolken säumt.
      Die Nacht hat ihre Kerzen ausgebrannt,
      Der muntre Tag erklimmt die dunstgen Höhn;
      Nur Eile rettet mich, Verzug ist Tod.
JULIA
      Trau mir, das Licht ist nicht des Tages Licht,
      Die Sonne hauchte dieses Luftbild aus,
      Dein Fackelträger diese Nacht zu sein,
      Dir auf dem Weg nach Mantua zu leuchten.
      Drum bleibe noch; zu gehn ist noch nicht not.
ROMEO
      Laß sie mich greifen, ja, laß sie mich töten!
      Ich gebe gern mich drein, wenn du es willst.
      Nein, jenes Grau ist nicht des Morgens Auge,
      Der bleiche Abglanz nur von Cynthias Stirn.
      Das ist auch nicht die Lerche, deren Schlag
      Hoch über uns des Himmels Wölbung trifft.
      Ich bleibe gern; zum Gehn bin ich verdrossen.
      Willkommen, Tod, hat Julia dich beschlossen! -
      Nun, Herz? Noch tagt es nicht, noch plaudern wir.
JULIA
      Es tagt, es tagt! Auf, eile, fort von hier!
      Es ist die Lerche, die so heiser singt
      Und falsche Weisen, rauhen Mißton gurgelt.
      Man sagt, der Lerche Harmonie sei süß;
      Nicht diese: sie zerreißt die unsre ja.
      Die Lerche, sagt man, wechselt mit der Kröte
      Die Augen; möchte sie doch auch die Stimme!
Die Stimm ists ja, die Arm aus Arm uns schreckt,
      Dich von mir jagt, da sie den Tag erweckt.
      Stets hell und heller wirds: wir müssen scheiden.
ROMEO
      Hell? Dunkler stets und dunkler unsre Leiden!
Die Wärterin kommt herein.
WÄRTERIN
      Fräulein!
JULIA
      Amme?
WÄRTERIN
      Die gnädge Gräfin kommt in Eure Kammer;
      Seid auf der Hut; schon regt man sich im Haus.
Wärterin ab.
JULIA
 [das Fenster öffnend.] 
      Tag, schein herein, und Leben, flieh hinaus!
ROMEO
      Ich steig hinab; laß dich noch einmal küssen!
Er steigt [aus dem Fenster] herab.
JULIA
 [aus dem Fenster ihm nachsehend.] 
      Freund! Gatte! Trauter! Bist du mir entrissen?
      Gib Nachricht jeden Tag, zu jeder Stunde;
      Schon die Minut enthält der Tage viel.
      Ach, so zu rechnen bin ich hoch in Jahren,
      Eh meinen Romeo ich wiederseh.
ROMEO
 [außerhalb.] 
      Leb wohl! Kein Mittel laß ich aus den Händen,
      Um dir, du Liebe, meinen Gruß zu senden.
JULIA
      O denkst du, daß wir je uns wiedersehn?
ROMEO
      Ich zweifle nicht, und all dies Leiden dient
      In Zukunft uns zu süßerem Geschwätz.
JULIA
      O Gott, ich hab ein Unglück ahnend Herz,
      Mir deucht, ich säh dich, da du unten bist,
      Als lägst du tot in eines Grabes Tiefe.
      Mein Auge trügt mich, oder du bist bleich.
ROMEO
      So, Liebe, scheinst du meinen Augen auch.
      Der Schmerz trinkt unser Blut. Leb wohl, leb wohl!
Ab.
JULIA
      O Glück, ein jeder nennt dich unbeständig;
      Wenn du es bist: was tust du mit dem Treuen?
      Sei unbeständig. Glück! Dann hältst du ihn
      Nicht lange, hoff ich, sendest ihn zurück.
GRÄFIN CAPULET
hinter der Szene.
      He, Tochter, bist du auf?
JULIA
      Wer ruft mich? Ist es meine gnädge Mutter?
      Wacht sie so spät noch, oder schon so früh?
      Welch ungewohnter Anlaß bringt sie her?
Gräfin Capulet kommt herein.
GRÄFIN CAPULET
      Nun, Julia, wie gehts?
JULIA
                              Mir ist nicht gut.
GRÄFIN CAPULET
      Noch immer weinend um des Vetters Tod?
      Willst du mit Tränen aus der Gruft ihn waschen?
      Und könntest du's, das rief' ihn nicht ins Leben;
      Drum laß das! Trauern zeugt von vieler Liebe,
      Doch zu viel trauern zeugt von wenig Witz.
JULIA
      Um einen Schlag, der so empfindlich traf,
      Erlaubt zu weinen mir!
GRÄFIN CAPULET
                              So trifft er dich;
      Der Freund empfindet nichts, den du beweinst.
JULIA
      Doch ich empfind und muß den Freund beweinen.
GRÄFIN CAPULET
      Mein Kind, nicht seinen Tod so sehr beweinst du,
      Als daß der Schurke lebt, der ihn erschlug.
JULIA
      Was für ein Schurke?
GRÄFIN CAPULET
                            Nun, der Romeo.
JULIA
 [beiseit.] 
      Er und ein Schurk sind himmelweit entfernt. -
 [Laut.] 
      Vergeb ihm Gott! Ich tu's von ganzem Herzen;
      Und dennoch kränkt kein Mann, wie er, mein Herz.
GRÄFIN CAPULET
      Ja freilich, weil der Meuchelmörder lebt.
JULIA
      Ja, wo ihn diese Hände nicht erreichen! -
      O rächte niemand doch als ich den Vetter!
GRÄFIN CAPULET
      Wir wollen Rache nehmen, sorge nicht;
      Drum weine du nicht mehr. Ich send an jemand
      Zu Mantua, wo der Verlaufne lebt,
      Der soll ein kräftig Tränkchen ihm bereiten,
      Das bald ihn zum Gefährten Tybalts macht.
      Dann wirst du hoffentlich zufrieden sein.
JULIA
      Fürwahr, ich werde nie mit Romeo
      Zufrieden sein, erblick ich ihn nicht - tot -,
      Wenn so mein Herz um einen Blutsfreund leidet.
      Ach, fändet Ihr nur jemand, der ein Gift
      Ihm reichte, gnädge Frau; ich wollt es mischen,
      Daß Romeo, wenn ers genommen, bald
      In Ruhe schliefe. - Wie mein Herz es haßt,
      Ihn nennen hören - und nicht zu ihm können,
      Die Liebe, die ich zu dem Vetter trug,
      An dem, der ihn erschlagen hat, zu büßen!
GRÄFIN CAPULET
      Findst du das Mittel, find ich wohl den Mann.
      Doch bring ich jetzt dir frohe Zeitung, Mädchen.
JULIA
      In so bedrängter Zeit kommt Freude recht.
      Wie lautet sie, ich bitt Euch, gnädge Mutter?
GRÄFIN CAPULET
      Nun Kind, du hast 'nen aufmerksamen Vater:
      Um dich von deinem Trübsinn abzubringen,
      Ersann er dir ein plötzlich Freudenfest,
      Des ich so wenig mich versah wie du.
JULIA
      Ei, wie erwünscht! Was wär das, gnädge Mutter?
GRÄFIN CAPULET
      Ja, denk dir, Kind, am Donnerstag frühmorgens
      Soll der hochedle, wackre junge Herr,
      Graf Paris, in Sankt Peters Kirche dich
      Als frohe Braut an den Altar geleiten.
JULIA
      Nun, bei Sankt Peters Kirch und Petrus selbst,
      Er soll mich nicht als frohe Braut geleiten!
      Mich wundert diese Eil, daß ich vermählt
      Muß werden, eh mein Freier kommt zu werben.
      Ich bitt Euch, gnädge Frau, sagt meinem Vater
      Und Herrn, ich wollte noch mich nicht vermählen,
      Und wenn ichs tue, schwör ich: Romeo,
      Von dem Ihr wißt, ich haß ihn, soll es lieber
      Als Paris sein. - Fürwahr, das ist wohl Zeitung!
GRÄFIN CAPULET
      Da kommt dein Vater, sag du selbst ihm das,
      Sieh, wie er sichs von dir gefallen läßt.
Capulet und die Wärterin kommen.
CAPULET
      Die Luft sprüht Tau beim Sonnenuntergang,
      Doch bei dem Untergange meines Neffen,
      Da gießt der Regen recht.
      Was? Eine Traufe, Mädchen? Stets in Tränen?
      Stets Regenschauer? In so kleinem Körper
      Spielst du auf einmal See und Wind und Kahn,
      Denn deine Augen ebben stets und fluten
      Von Tränen wie die See; dein Körper ist der Kahn,
      Der diese salzge Flut befährt; die Seufzer
      Sind Winde, die, mit deinen Tränen tobend,
      Wie die mit ihnen, wenn nicht Stille plötzlich
      Erfolgt, den hin und her geworfnen Körper
      Zertrümmern werden. - Nun, wie steht es, Frau?
      Hast du ihr unsern Ratschluß hinterbracht?
GRÄFIN CAPULET
      Ja, doch sie will es nicht, sie dankt Euch sehr.
      Wär doch die Törin ihrem Grab vermählt!
CAPULET
      Sacht, rede deutlich, rede deutlich, Frau!
      Was? Will sie nicht? Weiß sie uns keinen Dank?
      Ist sie nicht stolz? Schätzt sie sich nicht beglückt,
      Daß wir solch einen würdgen Herrn vermocht,
      Trotz ihrem Unwert, ihr Gemahl zu sein?
JULIA
      Nicht stolz darauf, doch dankbar, daß Ihrs tatet.
      Stolz kann ich nie auf das sein, was ich hasse,
      Doch dankbar selbst für Haß, gemeint wie Liebe.
CAPULET
      Ei seht mir, seht mir! Kramst du Weisheit aus?
      Stolz - und ich dank Euch - und ich dank Euch nicht -
      Und doch nicht stolz! Hör, Fräulein Zierlich du,
      Nichts da gedankt von Dank, stolziert von Stolz!
      Rück nur auf Donnerstag dein zart Gestell zurecht,
      Mit Paris nach Sankt Peters Kirch zu gehn,
      Sonst schlepp ich dich auf einer Schleife hin.
      Pfui, du bleichsüchtges Ding, du lose Dirne!
      Du Talggesicht!
GRÄFIN CAPULET
                       O pfui! Seid Ihr von Sinnen?
JULIA
      Ich fleh Euch auf den Knien, mein guter Vater,
      Hört mit Geduld ein einzig Wort nur an!
CAPULET
      Geh mir zum Henker, widerspenstge Dirne!
      Ich sage dirs: zur Kirch auf Donnerstag,
      Sonst komm mir niemals wieder vors Gesicht.
      Sprich nicht! Erwidre nicht! Gib keine Antwort!
      Die Finger jucken mir. O Weib, wir glaubten
      Uns kaum genug gesegnet, weil uns Gott
      Dies eine Kind nur sandte; doch nun seh ich,
      Dies eine war um eines schon zuviel,
      Und nur ein Fluch ward uns in ihr beschert.
      Du Hexe!
WÄRTERIN
                Gott im Himmel segne sie!
      Eur Gnaden tun nicht wohl, sie so zu schelten.
CAPULET
      Warum, Frau Weisheit? Haltet Euern Mund,
      Prophetin! Schnattert mit Gevatterinnen!
WÄRTERIN
      Ich sage keine Schelmstück!
CAPULET
                                   Geht mit Gott!
WÄRTERIN
      Darf man nicht sprechen?
CAPULET
                                Still doch, altes Waschmaul!
      Spart Eure Predigt zum Gevatterschmaus;
      Hier brauchen wir sie nicht.
GRÄFIN CAPULET
                                    Ihr seid zu hitzig!
CAPULET
      Gotts Sakrament, es macht mich toll! Bei Tag,
      Bei Nacht, spät, früh, allein und in Gesellschaft,
      Zu Hause, draußen, wachend und im Schlaf,
      War meine Sorge stets, sie zu vermählen.
      Nun, da ich einen Herrn ihr ausgemittelt,
      Von fürstlicher Verwandtschaft, schönen Gütern,
      Jung, edel auferzogen, ausstaffiert,
      Wie man wohl sagt, mit ritterlichen Gaben,
      Kurz, wie man einen Mann sich wünschen möchte,
      Und dann ein albern, winselndes Geschöpf,
      Ein weinerliches Püppchen da zu haben,
      Die, wenn ihr Glück erscheint, zur Antwort gibt:
      Heiraten will ich nicht, ich kann nicht lieben,
      Ich bin zu jung, ich bitt, entschuldigt mich. -
      Gut, willst du nicht, du sollst entschuldigt sein;
      Gras', wo du willst, du sollst bei mir nicht hausen.
      Sieh zu! Bedenk! Ich pflege nicht zu spaßen.
      Der Donnerstag ist nah: die Hand aufs Herz!
      Und bist du mein, so soll mein Freund dich haben;
      Wo nicht, geh, bettle, hungre, stirb am Wege!
      Denn nie, bei meiner Seel, erkenn ich dich,
      Und nichts, was mein, soll dir zugute kommen.
      Bedenk dich! Glaub, ich halte, was ich schwur!
Ab.
JULIA
      Und wohnt kein Mitleid droben in den Wolken,
      Das in die Tiefe meines Jammers schaut?
      O süße Mutter, stoß mich doch nicht weg!
      Nur einen Monat, eine Woche Frist!
      Wo nicht, bereite mir das Hochzeitsbette
      In jener düstern Gruft, wo Tybalt liegt!
GRÄFIN CAPULET
      Sprich nicht zu mir, ich sage nicht ein Wort.
      Tu, was du willst, denn ich bin mit dir fertig.
Ab.
JULIA
      O Gott! Wie ist dem vorzubeugen, Amme?
      Mein Gatt auf Erden, meine Treu im Himmel -
      Wie soll die Treu zur Erde wiederkehren,
      Wenn sie der Gatte nicht, der Erd entweichend,
      Vom Himmel sendet? Tröste, rate, hilf!
      Weh, weh mir, daß der Himmel solche Tücken
      An einem sanften Wesen übt wie mir!
      Was sagst du? Hast du kein erfreuend Wort,
      Kein Wort des Trostes?
WÄRTERIN
                              Meiner Seel, hier ists:
      Er ist verbannt, und tausend gegen eins,
      Daß er sich nimmer wieder her getraut,
      Euch anzusprechen; oder tät ers doch,
      So müßt es schlechterdings verstohlen sein.
      Nun, weil denn so die Sachen stehn, so denk ich,
      Das beste wär, daß Ihr den Grafen nähmt.
      Ach, er ist solch ein allerliebster Herr!
      Ein Lump ist Romeo nur gegen ihn.
      Ein Adlersauge, Fräulein, ist so grell,
      So schön, so feurig nicht, wie Paris seins.
      Ich will verwünscht sein, ist die zweite Heirat
      Nicht wahres Glück für Euch; weit vorzuziehn
      Ist sie der ersten. Oder wär sie's nicht?
      Der erste Mann ist tot, so gut als tot;
      Denn lebt er schon, habt Ihr doch nichts von ihm.
JULIA
      Sprichst du von Herzen?
WÄRTERIN
                               Und von ganzer Seele,
      Sonst möge Gott mich strafen!
JULIA
                                     Amen!
WÄRTERIN
                                            Was?
JULIA
      Nun ja, du hast mich wunderbar getröstet.
      Geh, sag der Mutter, weil ich meinen Vater
      Erzürnt, so woll ich nach Lorenzos Zelle,
      Zu beichten und Vergebung zu empfangen.
WÄRTERIN
      Gewiß, das will ich; Ihr tut weislich dran.
Ab.
JULIA
      O alter Erzfeind, höllischer Versucher!
      Ists ärgre Sünde, so zum Meineid mich
      Verleiten, oder meinen Gatten schmähn
      Mit eben dieser Zunge, die zuvor
      Viel tausendmal ihn ohne Maß und Ziel
      Gepriesen hat? - Hinweg, Ratgeberin!
      Du und mein Busen sind sich künftig fremd. -
      Ich will zum Mönch, ob er nicht Hülfe schafft.
      Schlägt alles fehl, hab ich zum Sterben Kraft.
Ab.
ERSTE SZENE
Bruder Lorenzos Zelle
Lorenzo und Paris.
LORENZO
      Auf Donnerstag? Die Frist ist kurz, mein Graf.
PARIS
      Mein Vater Capulet verlangt es so,
      Und meine Säumnis soll die Eil nicht hemmen.
LORENZO
      Ihr sagt. Ihr kennt noch nicht des Fräuleins Sinn;
      Das ist nicht grade Bahn; so lieb ichs nicht.
PARIS
      Unmäßig weint sie über Tybalts Tod,
      Und darum sprach ich wenig noch von Liebe;
      Im Haus der Tränen lächelt Venus nicht.
      Nun hälts ihr Vater, würdger Herr, gefährlich,
      Daß sie dem Grame so viel Herrschaft gibt,
      Und treibt in weiser Vorsicht auf die Heirat,
      Um ihrer Tränen Ströme zu vertrocknen.
      Gesellschaft nimmt vielleicht den Schmerz von ihr,
      In den sie sich, allein, zu sehr vertieft.
      Jetzt wißt Ihr um die Ursach dieser Eil.
LORENZO
beiseit.
      Wüßt ich nur nicht, was ihr im Wege steht.
Laut.
      Seht, Graf, das Fräulein kommt in meine Zelle.
Julia tritt auf.
PARIS
      Oh, schön getroffen, meine liebe Braut!
JULIA
      Das werd ich dann erst sein, wenn man uns traut!
PARIS
      Man wird, man soll uns Donnerstag vermählen.
JULIA
      Was sein soll, wird geschehn.
LORENZO
                                     Das kann nicht fehlen.
PARIS
      Kommt Ihr, die Beicht dem Vater abzulegen?
JULIA
      Gäb ich Euch Antwort, legt ich Euch sie ab.
PARIS
      Verleugnet es ihm nicht, daß Ihr mich liebt.
JULIA
      Bekennen will ich Euch, ich liebe ihn.
PARIS
      Gewiß bekennt Ihr auch. Ihr liebet mich.
JULIA
      Tu ichs, so hat es, hinter Eurem Rücken
      Gesprochen, höhern Wert als ins Gesicht.
PARIS
      Du Arme, dein Gesicht litt sehr von Tränen.
JULIA
      Die Tränen dürfen sich des Siegs nicht rühmen;
      Es taugte wenig, eh sie's angefochten.
PARIS
      Dies Wort tut, mehr als Tränen, ihm zu nah.
JULIA
      Doch kann die Wahrheit nicht Verleumdung sein;
      Was ich gesagt, sagt ich mir ins Gesicht.
PARIS
      Doch mein ist das Gesicht, das du verleumdest.
JULIA
      Das mag wohl sein, denn es ist nicht mein eigen. -
      Ehrwürdger Vater, habt Ihr Muße jetzt?
      Wie, oder soll ich um die Vesper kommen?
LORENZO
      Jetzt hab ich Muße, meine ernste Tochter. -
      Vergönnt Ihr uns, allein zu bleiben, Graf?
PARIS
      Verhüte Gott, daß ich die Andacht störe! -
      Früh Donnerstags will ich Euch wecken, Fräulein;
      So lang lebt wohl! Nehmt diesen heilgen Kuß!
Ab.
JULIA
      O schließ die Tür, und wenn du das getan,
      Komm, wein mit mir; Trost, Hoffnung, Hülf ist hin.
LORENZO
      Ach Julia, ich kenne schon dein Leid,
      Es drängt aus allen Sinnen mich heraus.
      Du mußt, und nichts, so hör ich, kanns verzögern,
      Am Donnerstag dem Grafen dich vermählen.
JULIA
      Sag mir nicht, Vater, daß du das gehört,
      Wofern du nicht auch sagst, wie ichs verhindre.
      Kann deine Weisheit keine Hülfe leihn,
      So nenne weise meinen Vorsatz nur,
      Und dieses Messer hilft mir auf der Stelle.
      Gott fügt' in eins mein Herz und Romeos,
      Die Hände du; und ehe diese Hand,
      Die du dem Romeo versiegelt, dient
      Zur Urkund eines andern Bundes oder
      Mein treues Herz von ihm zu einem andern
      Verrätrisch abfällt, soll dies beide töten.
      Drum gib aus der Erfahrung langer Zeiten
      Mir augenblicklich Rat; wo nicht, so sieh,
      Wie dieses blutge Messer zwischen mir
      Und meiner Drangsal richtet, das entscheidend,
      Was deiner Jahr und deiner Kunst Gewicht
      Zum Ausgang nicht mit Ehren bringen konnte.
      O zaudre nicht so lang! Den Tod verlang ich,
      Wenn deine Antwort nicht zur Hülfe spricht.
LORENZO
      Halt, Tochter, ich erspähe was wie Hoffnung!
      Allein es auszuführen heischt Entschluß,
      Verzweifelt wie das Übel, das wir fliehn.
      Hast du die Willensstärke, dich zu töten,
      Eh du dem Grafen Paris dich vermählst,
      Dann zweifl ich nicht, du unternimmst auch wohl
      Ein Ding wie Tod, die Schmach hinwegzutreiben,
      Der zu entgehn du selbst den Tod umarmst;
      Und wenn du's wagst, so biet ich Hülfe dir.
JULIA
      Oh, lieber, als dem Grafen mich vermählen,
      Heiß von der Zinne jenes Turms mich springen,
      Da gehn, wo Räuber streifen, Schlangen lauern,
      Und kette mich an wilde Bären fest;
      Birg bei der Nacht mich in ein Totenhaus
      Voll rasselnder Gerippe, Moderknochen
      Und gelber Schädel mit entzahnten Kiefern,
      Heiß in ein frisch gemachtes Grab mich gehn
      Und mich ins Leichentuch des Toten hüllen.
      Sprach man sonst solche Dinge, bebt ich schon,
      Doch tu ich ohne Furcht und Zweifel sie,
      Des süßen Gatten reines Weib zu bleiben.
LORENZO
      Wohl denn! Geh heim, sei fröhlich, willge drein,
      Dich zu vermählen. Morgen ist es Mittwoch;
      Sieh, wie du morgen nacht allein magst ruhn,
      Laß nicht die Amm in deiner Kammer schlafen.
      Nimm dieses Fläschchen dann mit dir zu Bett
      Und trink den Kräutergeist, den es verwahrt.
      Dann rinnt alsbald ein kalter matter Schauer
      Durch deine Adern und bemeistert sich
      Der Lebensgeister, den gewohnten Gang
      Hemmt jeder Puls und hört zu schlagen auf;
      Kein Atem, keine Wärme zeugt von Leben,
      Der Lippen und der Wangen Rosen schwinden
      Zu bleicher Asche, deiner Augen Vorhang
      Fällt, wie wenn Tod des Lebens Tag verschließt;
      Ein jedes Glied, gelenker Kraft beraubt,
      Soll steif und starr und kalt wie Tod erscheinen.
      Als solch ein Ebenbild des dürren Todes
      Sollst du verharren zweiundvierzig Stunden
      Und dann erwachen wie von süßem Schlaf.
      Wenn nun der Bräutigam am Morgen kommt
      Und dich vom Lager ruft, da liegst du tot;
      Dann, wie die Sitte unsres Landes ist,
      Trägt man auf einer Bahr in Feierkleidern
      Dich unbedeckt in die gewölbte Gruft,
      Wo alle Capulets von alters ruhn.
      Zur selben Zeit, wenn du erwachen wirst,
      Soll Romeo aus meinen Briefen wissen,
      Was wir erdacht, und sich hieher begeben.
      Wir wollen beid auf dein Erwachen harren,
      Und in derselben Nacht soll Romeo
      Dich fort von hier nach Mantua geleiten.
      Das rettet dich von dieser drohnden Schmach,
      Wenn schwacher Unbestand und weibsche Furcht
      Dir in der Ausführung den Mut nicht dämpft.
JULIA
      Gib mir, o gib mir; rede nicht von Furcht!
LORENZO
      Nimm, geh mit Gott, halt fest an dem Entschluß!
      Ich send indes mit Briefen einen Bruder
      In Eil nach Mantua zu deinem Treuen.
JULIA
      Gib, Liebe, Kraft mir! Kraft wird Hülfe leihen.
      Lebt wohl, mein teurer Vater!
Beide ab.
ZWEITE SZENE
Ein [Zimmer] Saal in Capulets Hause
Capulet, Gräfin Capulet, Wärterin, Diener.
CAPULET
      So viele Gäste lad, als hier geschrieben!
Ein Diener ab.
      Du, Bursch, geh, miet mir zwanzig tüchtge Köche!
ZWEITER DIENER
      Ihr sollt gewiß keine schlechten kriegen, gnädger Herr; denn ich will erst zusehn, ob sie sich die Finger ablecken können.
CAPULET
      Was soll das für eine Probe sein?
ZWEITER DIENER
      Ei, gnädiger Herr, das wäre ein schlechter Koch, der seine eignen Finger nicht ablecken könnte. Drum, wer das nicht kann, der paßt mir nicht.
CAPULET
      Geh, mach fort!
 Zweiter Diener ab.
      Die Zeit ist kurz, es wird an manchem fehlen. -
      Wie ists, ging meine Tochter hin zum Pater?
WÄRTERIN
      Ja, wahrhaftig!
CAPULET
      Wohl! Gutes stiftet er vielleicht bei ihr;
      Sie ist ein albern, eigensinnig Ding.
 [Julia tritt auf.] 
WÄRTERIN
      Seht, wie sie fröhlich aus der Beichte kommt!
 Julia tritt auf. 
CAPULET
      Nun, Starrkopf? Sag, wo bist herumgeschwärmt?
JULIA
      Wo ich gelernt, die Sünde zu bereun
      Hartnäckgen Ungehorsams gegen Euch
      Und Eur Gebot, und wo der heilge Mann
      Mir auferlegt, vor Euch mich hinzuwerfen,
      Vergebung zu erflehn. - Vergebt, ich bitt Euch!
      Von nun an will ich stets Euch folgsam sein.
CAPULET
      Schickt nach dem Grafen, geht und sagt ihm dies.
      Gleich morgen früh will ich dies Band geknüpft sehn.
JULIA
      Ich traf den jungen Grafen bei Lorenzo,
      Und alle Huld und Lieb erwies ich ihm,
      So das Gesetz der Zucht nicht übertritt.
CAPULET
      Nun wohl, das freut mich, das ist gut. - Steh auf!
      So ist es recht. - Laßt mich den Grafen sehn.
      Potztausend, geht, sag ich, und holt ihn her! -
      So wahr Gott lebt, der würdge fromme Pater,
      Von unsrer ganzen Stadt verdient er Dank.
JULIA
      Kommt, Amme, wollt Ihr mit mir auf mein Zimmer?
      Mir helfen Putz erlesen, wie Ihr glaubt,
      Daß mir geziemt, ihn morgen anzulegen?
GRÄFIN CAPULET
      Nein, nicht vor Donnerstag; es hat noch Zeit.
CAPULET
      Geh mit ihr, Amme, morgen gehts zur Kirche.
Julia und die Wärterin ab.
GRÄFIN CAPULET
      Die Zeit wird kurz zu unsrer Anstalt fallen;
      Es ist fast Nacht.
CAPULET
                          Blitz! Ich will frisch mich rühren,
      Und alles soll schon gehn, Frau, dafür steh ich.
      Geh du zu Julien, hilf an ihrem Putz.
      Ich gehe nicht zu Bett; laß mich gewähren,
      Ich will die Hausfrau diesmal machen. - Heda! -
      Kein Mensch zur Hand? - Gut, ich will selber gehn
      Zum Grafen Paris, um ihn anzutreiben
      Auf morgen früh; mein Herz ist mächtig leicht,
      Seit dies verkehrte Mädchen sich besonnen.
Capulet und die Gräfin ab.
DRITTE SZENE
Juliens Kammer
Julia und die Wärterin.
JULIA
      Ja, dieser Anzug ist der beste. - Doch
      Ich bitt dich, liebe Amme, laß mich nun
      Für diese Nacht allein; denn viel Gebete
      Tun not mir, um den Himmel zu bewegen,
      Daß er auf meinen Zustand gnädig lächle,
      Der, wie du weißt, verderbt und sündlich ist.
Gräfin Capulet kommt.
GRÄFIN CAPULET
      Seid ihr geschäftig? Braucht ihr meine Hülfe?
JULIA
      Nein, gnädge Mutter, wir erwählten schon
      Zur Tracht für morgen alles Zubehör.
      Gefällt es Euch, so laßt mich jetzt allein
      Und laßt zu Nacht die Amme mit Euch wachen,
      Denn sicher habt Ihr alle Hände voll
      Bei dieser eilgen Anstalt.
GRÄFIN CAPULET
                                  Gute Nacht!
      Geh nun zu Bett und ruh; du hast es nötig.
Gräfin Capulet und die Wärterin ab.
JULIA
      Lebt wohl! - Gott weiß, wann wir uns wiedersehn.
      Kalt rieselt matter Schau'r durch meine Adern,
      Der fast die Lebenswärm erstarren macht.
      Ich will zurück sie rufen mir zum Trost.
      Amme! - Doch was soll sie hier?
      Mein düstres Spiel muß ich allein vollenden.
      Komm du, mein Kelch! -
      Doch wie, wenn dieser Trank nun gar nichts wirkte,
      Wird man dem Grafen mit Gewalt mich geben?
      Nein, nein! Dies solls verwehren. Lieg du hier! -
Sie legt einen Dolch neben sich.
      Wie? Wär es Gift, das mir mit schlauer Kunst
      Der Mönch bereitet, mir den Tod zu bringen,
      Auf daß ihn diese Heirat nicht entehre,
      Weil er zuvor mich Romeo vermählt?
      So, fürcht ich, ists! - Doch dünkt mich, kanns nicht sein,
      Denn er ward stets ein frommer Mann erfunden.
      Ich will nicht Raum so bösem Argwohn geben.
      Wie aber, wenn ich, in die Gruft gelegt,
      Erwache vor der Zeit, da Romeo
      Mich zu erlösen kommt? Furchtbarer Fall!
      Werd ich dann nicht in dem Gewölb ersticken,
      Des giftger Mund nie reine Lüfte einhaucht,
      Und so erwürgt da liegen, wann er kommt?
      Und leb ich auch, könnt es nicht leicht geschehn,
      Daß mich das grause Bild von Tod und Nacht
      Zusammen mit den Schrecken jenes Ortes
      Dort im Gewölb in alter Katakombe,
      Wo die Gebeine aller meiner Ahnen
      Seit vielen hundert Jahren aufgehäuft,
      Wo frisch beerdigt erst der blutge Tybalt
      Im Leichentuch verwest; wo, wie man sagt,
      In mitternächtger Stunde Geister hausen -
      Weh, weh! - könnt es nicht leicht geschehn, daß ich,
      Zu früh erwachend - und nun ekler Dunst,
      Gekreisch wie von Alraunen, die man aufwühlt,
      Das Sterbliche, die's hören, sinnlos macht -
      Oh, wach ich auf, werd ich nicht rasend werden,
      Umringt von all den greuelvollen Schrecken,
      Und toll mit meiner Väter Gliedern spielen?
      Und Tybalt aus dem Leichentuche zerren?
      Und in der Wut mit irgendeines Ahnherrn
      Gebein zerschlagen mein zerrüttet Hirn?
      O da! Mich dünkt, ich sehe Tybalts Geist!
      Er späht nach Romeo, der seinen Leib
      Auf einen Degen spießte. - Tybalt, halt! -
      Ich komme, Romeo! Dies trink ich dir!
 [Sie trinkt und] wirft sich auf das Bett.
VIERTE SZENE
Ein Saal in Capulets Hause
Gräfin Capulet und die Wärterin.
GRÄFIN CAPULET
      Da, nehmt die Schlüssel, holt noch mehr Gewürz!
WÄRTERIN
      Sie wollen Quitten und Orangen haben
      Für ihre Bäckerei.
Capulet kommt.
CAPULET
      Auf, rührt euch, frisch! Schon kräht der zweite Hahn,
      Die Morgenglocke läutet; 's ist drei Uhr.
      Sieh nach dem Backwerk, Frau Angelika,
      Spar nichts daran!
WÄRTERIN
                          Topfgucker! Geht nur, geht!
      Macht Euch zu Bett! Ja, Ihr seid morgen krank,
      Wenn Ihr die ganze Nacht nicht schlaf!
CAPULET
      Kein bißchen! Was! Ich hab um Kleiners wohl
      Die Nächte durchgewacht und war nie krank.
GRÄFIN CAPULET
      Ja, ja! Ihr wart ein feiner Vogelsteller
      Zu Eurer Zeit! Nun aber will ich Euch
      Vor solchem Wachen schon bewachen.
Gräfin und Wärterin ab.
CAPULET
      O Ehestand, o Wehestand! Nun, Kerle!
 Diener mit Bratspießen, Scheiten und Körben treten auf. 
      Was bringt ihr da!
 [Diener mit Bratspießen, Scheiten und Körben gehn über die Bühne.] 
ERSTER DIENER
      's ist für den Koch, Herr; was, das weiß ich nicht.
CAPULET
      Macht zu, macht zu!
 Erster Diener ab.
                           Hol trockne Klötze, Bursch!
      Ruf Petern, denn der weiß es, wo sie sind.
ZWEITER DIENER
      Braucht Ihr 'nen Klotz, Herr, bin ich selber da
      Und hab nicht nötig, Petern anzugehn.
 Ab. 
CAPULET
      Blitz! Gut gesagt! Ein lustger Teufel! ha,
      Du sollst das Haupt der Klötze sein. - Wahrhaftig,
      's ist Tag; der Graf wird mit Musik gleich kommen.
      Das woll er, sagt' er ja; ich hör ihn schon.
Musik hinter der Szene.
      Frau! Wärterin! He, sag ich, Wärterin!
Die Wärterin kommt.
      Weckt Julien auf! Geht, putzt sie mir heraus!
      Ich geh indes und plaudre mit dem Grafen.
      Eilt Euch, macht fort! Der Bräutgam ist schon da.
      Fort, sag ich Euch.
Beide ab.
FÜNFTE SZENE
Juliens Kammer
Julia auf dem Bett. Die Wärterin kommt.
WÄRTERIN
      Fräulein! - Nun, Fräulein! Julia! - Nun, das schläft!
      He, Lamm! He, Fräulein! Pfui, Langschläferin!
      Mein Schätzchen, sag ich! Süßes Herz! Mein Bräutchen!
      Was, nicht ein Laut? Ihr nehmt Eur Teil voraus,
      Schlaft für 'ne Woche; denn ich steh dafür,
      Auf nächste Nacht hat seine Ruh Graf Paris
      Daran gesetzt, daß wenig Ruh Ihr habt!
      Behüt der Herr sie! Wie gesund sie schläft!
      Ich muß sie aber wecken. - Fräulein! Fräulein!
      Laßt Euch den Grafen nur im Bett ertappen,
      Der wird Euch schon ermuntern; meint Ihr nicht? -
      Was, schon in vollen Kleidern? Und so wieder
      Sich hingelegt? Ich muß durchaus Euch wecken.
      He, Fräulein! Fräulein! Fräulein! -
      Daß Gott, daß Gott! Zu Hülfe! Sie ist tot!
      Ach, liebe Zeit! Daß ich je ward geboren!
      Bringt Weingeist, he! He, gnädger Herr! Frau Gräfin!
Grafin Capulet kommt.
GRÄFIN CAPULET
      Was ist das für ein Lärm?
WÄRTERIN
                                 O Unglückstag!
GRÄFIN CAPULET
      Was gibts?
WÄRTERIN
                  Seht, seht nur! O betrübter Tag!
GRÄFIN CAPULET
      O weh, o weh! Mein Kind, mein einzig Leben!
      Erwach, leb auf, ich sterbe sonst mit dir!
      O Hülfe, Hülfe! Ruft doch Hülfe!
Capulet kommt.
CAPULET
      Schämt euch! Bringt Julien her! Der Graf ist da.
WÄRTERIN
      Ach sie ist tot, verblichen, tot! O wehe!
GRÄFIN CAPULET
      O wehe, wehe, sie ist tot, tot, tot!
CAPULET
      Laßt mich sie sehn! - Gott helf uns! Sie ist kalt,
      Ihr Blut steht still, die Glieder sind ganz starr,
      Von diesen Lippen schied das Leben längst,
      Der Tod liegt auf ihr, wie ein Maienfrost
      Auf des Gefildes schönster Blume liegt.
      Fluch dieser Stund! Ich armer alter Mann!
WÄRTERIN
      O Unglückstag!
GRÄFIN CAPULET
                      O jammervolle Stunde!
CAPULET
      Der Tod, der mir sie nahm, mir Klagen auszupressen,
      Er bindet meine Zung und macht sie stumm.
Bruder Lorenzo, Graf Paris und Musikanten treten auf.
LORENZO
      Kommt! Ist die Braut bereit zur Kirch zu gehn?
CAPULET
      Bereit zu gehn, um nie zurückzukehren. -
      O Sohn, die Nacht vor deiner Hochzeit buhlte
      Der Tod mit deiner Braut. Sieh, wie sie liegt,
      Die Blume, die in seinem Arm verblühte.
      Mein Eidam ist der Tod, der Tod mein Erbe;
      Er freite meine Tochter. Ich will sterben,
      Ihm alles lassen; wer das Leben läßt,
      Der läßt dem Tode alles.
PARIS
      Hab ich nach dieses Morgens Licht geschmachtet,
      Und bietet es mir solchen Anblick dar?
GRÄFIN CAPULET
      Unseliger, verhaßter, schwarzer Tag!
      Der Stunden jammervollste, so die Zeit
      Seit ihrer langen Pilgerschaft gesehn.
      Nur eins, ein einzig armes, liebes Kind,
      Ein Wesen nur, mich dran zu freun, zu laben -
      Und grausam riß es nun der Tod mir weg!
WÄRTERIN
      O Weh! O Jammer - Jammer - Jammertag!
      Höchst unglückselger Tag, betrübter Tag!
      Wie ich noch nimmer, nimmer einen sah,
      O Tag, o Tag, o Tag, verhaßter Tag!
      Solch schwarzen Tag wie diesen gab es nie.
      O Jammertag, o Jammertag!
PARIS
      Berückt, geschieden, schwer gekränkt, erschlagen!
      Fluchwürdger, arger Tod, durch dich berückt!
      Durch dich so grausam, grausam hingestürzt!
      O Lieb, o Leben! Nein, nur Lieb im Tode!
CAPULET
      Verhöhnt, bedrängt, gehaßt, zermalmt, getötet!
      Trostlose Zeit, deswegen kamst du jetzt,
      Zu morden, morden unser Freudenfest! -
      O Kind, Kind! Meine Seel und nicht mein Kind!
      Tot bist du? Wehe mir, mein Kind ist tot,
      Und mit dem Kinde starben meine Freuden.
LORENZO
      Still! Hegt doch Scham! Solch Stürmen stillet nicht
      Des Leidens Sturm. Ihr teiltet mit dem Himmel
      Dies schöne Mädchen, nun hat er sie ganz,
      Und um so besser ist es für das Mädchen.
      Ihr konntet euer Teil nicht vor dem Tod
      Bewahren; seins bewahrt im ewgen Leben
      Der Himmel. Sie erhöhn war euer Ziel,
      Eur Himmel wars, wenn sie erhoben würde;
      Und weint ihr nun, erhoben sie zu sehn
      Hoch über Wolken, wie der Himmel hoch?
      O wie verkehrt doch euer Lieben ist!
      Verzweifelt ihr, weil ihr sie glücklich wißt?
      Die lang vermählt lebt, ist nicht wohl vermählt;
      Wohl ist vermählt, die früh der Himmel wählt.
      Hemmt eure Tränen, streuet Rosmarin
      Auf diese schöne Leich, und nach der Sitte
      Tragt sie zur Kirch in ihrem besten Staat.
      Denn heischt gleich die Natur ein schmerzlich Sehnen,
      So lacht doch die Vernunft bei ihren Tränen.
CAPULET
      Was wir nur irgend festlich angestellt,
      Kehrt sich von seinem Dienst zu schwarzer Trauer.
      Das Spiel der Saiten wird zum Grabgeläut,
      Die Hochzeitlust zum ernsten Leichenmahl,
      Aus Feierliedern werden Totenmessen,
      Der Brautkranz dient zum Schmucke für die Bahre
      Und alles wandelt sich ins Gegenteil.
LORENZO
      Verlaßt sie, Herr; geht mit ihm, gnädge Frau;
      Auch Ihr, Graf Paris: macht euch alle fertig,
      Der schönen Leiche hin zur Gruft zu folgen.
      Der Himmel zürnt mit euch um sündge Tat;
      Reizt ihn nicht mehr, gehorcht dem hohen Rat.
Capulet, Gräfin Capulet, Paris und Lorenzo ab.
ERSTER MUSIKANT
      Mein Seel, wir können unsre Pfeifen auch nur einstecken und uns packen.
WÄRTERIN
      Ihr guten Leute, ja, steckt ein, steckt ein!
      Die Sachen hier sehn gar erbärmlich aus.
Ab.
[ZWEITER] ERSTER MUSIKANT
 [zeigt auf sein Instrument.] 
      Ja, meiner Treu, die Sachen hier könnten wohl besser aussehen, aber sie klingen doch gut.
 [Im Original bezieht der Musiker den Ausspruch der Amme aufgrund der Doppeldeutigkeit des Wortes »case« (Sache, Kasten) auf den Kasten für sein Instrument: »Ja, bei meiner Treu, den Kasten kann man doch ausbessern.«] 
PETER
      O Musikanten, Musikanten, spielt:
      »Frisch auf, mein Herz! Frisch auf, mein Herz, und singe!«
      O spielt, wenn euch mein Leben lieb ist, spielt:
      »Frisch auf, mein Herz!«
ERSTER MUSIKANT
      Warum: »Frisch auf, mein Herz?«
PETER
      O Musikanten, weil mein Herz selber spielt: »Mein Herz voll Angst und Nöten.« O spielt mir eine lustige Litanei, um mich aufzurichten.
[ZWEITER] ERSTER MUSIKANT
      Nichts da von Litanei! Es ist jetzt nicht Spielens Zeit.
PETER
      Ihr wollt es also nicht?
[MUSIKANTEN] ERSTER MUSIKANT
      Nein.
PETER
      Nun, so will ich es euch schon [eintränken] gründlich geben.
ERSTER MUSIKANT
      Was wollt Ihr uns [eintränken] geben?
PETER
[Keinen Wein] Kein Geld, wahrhaftig; sondern Spott, - ich werde es euch geben, indem ich euch als Spielmänner beschimpfe.
ERSTER MUSIKANT
      Dann werde ich Euch eine Dienstboten-Kreatur nennen.
PETER
      Dann wird Euer Schädel den Dolch dieser Dienstboten-Kreatur zu spüren bekommen. Ich dulde solche Töne nicht: [ich will euch eure Instrumente um den Kopf schlagen.] Ich will euch befa-sol-laen. Das notiert euch!
ERSTER MUSIKANT
      Wenn Ihr uns befa-sol-laet, so notiert Ihr uns.
ZWEITER MUSIKANT
      Bitte steckt Euren Dolch ein und zieht Euren Witz hervor.
PETER
Dann legt euch mit meinem Witz an! Ich werde euch mit eisernem Witz verbleuen und meinen eisernen Dolch einstecken. - [Hört, spannt mir einmal eure Schafsköpfe wie die Schafsdärme an euren Geigen.] Antwortet verständlich:
| Wenn in der Leiden hartem Drang Das bange Herze will erliegen, Musik mit ihrem Silberklang -  | 
ERSTER MUSIKANT
      Ei nun, Musje, weil Silber einen feinen Klang hat.
PETER
      Recht artig! Was sagt Ihr, Michel Hackebrett?
ZWEITER MUSIKANT
      Ich sage »Silberklang«, weil Musik nur für Silber klingt.
PETER
      Auch recht artig! Was sagt Ihr, Jakob Gellohr?
DRITTER MUSIKANT
      Mein Seel, ich weiß nicht, was ich sagen soll.
PETER
      Oh, ich bitt Euch um Vergebung! Ihr seid der Sänger, Ihr singt nur; so will ich es denn für Euch sagen. Es heißt »Musik mit ihrem Silberklang«, weil solche Kerle wie Ihr kein Gold fürs Spielen kriegen!
| Musik mit ihrem Silberklang Weiß hülfreich ihnen obzusiegen.  | 
ERSTER MUSIKANT
      Was für ein Pestkerl ist das?
ZWEITER MUSIKANT
      Hol ihn der Henker! Kommt, wir wollen hier hineingehn, auf die Trauerleute warten und sehen, ob es nichts zu essen gibt.
Alle ab.
ERSTE SZENE
Mantua. Eine Straße
Romeo tritt auf.
ROMEO
      Darf ich dem Schmeichelblick des Schlafes traun,
      So deuten meine Träum ein nahes Glück.
      Leicht auf dem Thron sitzt meiner Brust Gebieter;
      Mich hebt ein ungewohnter Geist mit frohen
      Gedanken diesen ganzen Tag empor.
      Mein Mädchen, träumt ich, kam und fand mich tot
      - Seltsamer Traum, der Tote denken läßt! -
      Und hauchte mir solch Leben ein mit Küssen,
      Daß ich vom Tod erstand und Kaiser war.
      Ach Herz! Wie süß ist Liebe selbst begabt,
      Da schon so reich an Freud ihr Schatten ist!
Balthasar tritt auf.
      Ha, Neues von Verona! Sag, wie stehts?
      Bringst du vom Pater keine Briefe mit?
      Was macht mein teures Weib? Wie lebt mein Vater?
      Ist meine Julie wohl? Das frag ich wieder,
      Denn nichts kann übel stehn, gehts ihr nur wohl.
BALTHASAR
      Nun, ihr gehts wohl, und nichts kann übel stehn.
      Ihr Körper schläft in Capulets Begräbnis,
      Und ihr unsterblich Teil lebt bei den Engeln.
      Ich sah sie senken in der Väter Gruft
      Und ritt in Eil hieher, es Euch zu melden.
      O Herr, verzeiht die schlimme Botschaft mir,
      Weil Ihr dazu den Auftrag selbst mir gabt!
ROMEO
      Ist es denn so? Ich biet euch Trotz, ihr Sterne! -
      Du kennst mein Haus, hol mir Papier und Tinte
      Und miete Pferde; ich will fort zu Nacht.
BALTHASAR
      Verzeiht, ich darf Euch so nicht lassen, Herr!
      Ihr seht so blaß und wild, und Eure Blicke
      Weissagen Unglück.
ROMEO
                          Nicht doch, du betrügst dich.
      Laß mich und tu, was ich dich heiße tun.
      Hast du für mich vom Pater keine Briefe?
BALTHASAR
      Nein, bester Herr.
ROMEO
                          Es tut nichts; mach dich auf
      Und miete Pferd', ich komme gleich nach Haus.
Balthasar ab.
      Wohl, Julia, heute nacht ruh ich bei dir.
      Ich muß auf Mittel sinnen. - O wie schnell
      Drängt Unheil sich in der Verzweiflung Rat!
      Mir fällt ein Apotheker ein; er wohnt
      Hier irgendwo herum. - Ich sah ihn neulich,
      Zerlumpt, die Augenbrauen überhangend;
      Er suchte Kräuter aus; hohl war sein Blick,
      Ihn hatte herbes Elend ausgemergelt.
      Ein Schildpatt hing in seinem dürftgen Laden,
      Ein ausgestopftes Krokodil und Häute
      Von mißgestalten Fischen; auf dem Sims
      Ein bettelhafter Prunk von leeren Büchsen
      Und grüne Töpfe, Blasen, muffger Samen,
      Bindfaden-Endchen, alte Rosenkuchen,
      Das alles dünn verteilt, zur Schau zu dienen.
      Betrachtend diesen Mangel, sagt ich mir:
      Bedürfte jemand Gift hier, des Verkauf
      In Mantua sogleich zum Tode führt,
      Da lebt ein armer Schelm, ders ihm verkaufte.
      Oh, der Gedanke zielt' auf mein Bedürfnis,
      Und dieser dürftge Mann muß mirs verkaufen.
      Soviel ich mich entsinn, ist dies das Haus.
      Weils Festtag ist, schloß seinen Kram der Bettler.
      Hei Holla! Apotheker!
Der Apotheker kommt heraus.
APOTHEKER
                             Wer ruft so laut?
ROMEO
      Mann, komm hieher! - Ich sehe, du bist arm.
      Nimm, hier sind vierzig Stück Dukaten: gib
      Mir eine Dose Gift, solch scharfen Stoff,
      Der schnell durch alle Adern sich verteilt,
      Daß tot der lebensmüde Trinker hinfällt,
      Und daß die Brust den Atem von sich stößt,
      So ungestüm, wie schnell entzündet Pulver
      Aus der Kanone furchtbarm Schlunde blitzt.
APOTHEKER
      So tödliche Arzneien hab ich wohl;
      Doch Mantuas Gesetz ist Tod für jeden,
      Der feil sie gibt.
ROMEO
                          Bist du so nackt und bloß,
      Von Plagen so bedrückt, und scheust den Tod?
      Der Hunger sitzt in deinen hohlen Backen,
      Not und Bedrängnis darbt in deinem Blick,
      Auf deinem Rücken hängt zerlumptes Elend,
      Die Welt ist nicht dein Freund, noch ihr Gesetz;
      Die Welt hat kein Gesetz, dich reich zu machen;
      Drum sei nicht arm, brich das Gesetz und nimm!
APOTHEKER
      Nur meine Armut, nicht mein Wille weicht.
ROMEO
      Nicht deinem Willen, deiner Armut zahl ich.
APOTHEKER
      Tut dies in welche Flüssigkeit Ihr wollt
      Und trinkt es aus; und hättet Ihr die Stärke
      Von Zwanzigen, es hülf Euch gleich davon.
ROMEO
      Da ist dein Gold, ein schlimmres Gift den Seelen
      Der Menschen, das in dieser eklen Welt
      Mehr Mord verübt als diese armen Tränkchen,
      Die zu verkaufen dir verboten ist.
      Ich gebe Gift dir; du verkaufst mir keins.
      Leb wohl, kauf Speis und füttre dich heraus! -
      Komm, Stärkungstrank, nicht Gift! Begleite mich
      Zu Juliens Grab, denn dort bedarf ich dich.
Ab.
ZWEITE SZENE
Lorenzos Zelle
Bruder Markus kommt.
MARKUS
      Ehrwürdger Bruder Franziskaner, he!
Bruder Lorenzo kommt.
LORENZO
      Das ist ja wohl des Bruders Markus Stimme -
      Willkommen mir von Mantua! Was sagt
      Denn Romeo? Faßt' er es schriftlich ab,
      So gib den Brief.
MARKUS
                         Ich ging, um einen Bruder
      Barfüßer unsers Ordens, der den Kranken
      In dieser Stadt hier zuspricht, zum Geleit
      Mir aufzusuchen; und da ich ihn fand,
      Argwöhnten die dazu bestellten Späher,
      Wir wären beid in einem Haus, in welchem
      Die böse Seuche herrschte, siegelten.
      Die Türe zu und ließen uns nicht gehn.
      Dies hielt mich ab, nach Mantua zu eilen.
LORENZO
      Wer trug denn meinen Brief zum Romeo?
MARKUS
      Da hast du ihn, ich konnt ihn nicht bestellen;
      Ihn dir zu bringen, fand kein Bote sich,
      So bange waren sie vor Ansteckung.
LORENZO
      Unselges Mißgeschick! Bei meinem Orden,
      Nicht eitel war der Brief; sein Inhalt war
      Von teuren Dingen, und die Säumnis kann
      Gefährlich werden. Bruder Markus, geh,
      Hol ein Brecheisen mir und brings sogleich
      In meine Zell.
MARKUS
                      Ich geh und bring dirs, Bruder.
Ab.
LORENZO
      Ich muß allein zur Gruft nun. Innerhalb
      Drei Stunden wird das schöne Kind erwachen;
      Verwünschen wird sie mich, weil Romeo
      Vom ganzen Vorgang nichts erfahren hat.
      Doch schreib ich gleich aufs neu nach Mantua
      Und berge sie so lang in meiner Zell,
      Bis ihr Geliebter kommt. Die arme Seele!
      Lebendge Leich in dumpfer Grabeshöhle!
Ab.
DRITTE SZENE
Ein Kirchhof; auf demselben das Familienbegräbnis der Capulets
Paris und sein Page, mit Blumen und einer Fackel, treten auf.
PARIS
      Gib mir die Fackel, Bursch, und halt dich fern! -
      Nein, lösch sie aus! Man soll mich hier nicht sehn.
      Dort unter jenen Eiben streck dich hin
      Und leg dein Ohr dicht an den hohlen Grund,
      So kann kein Fuß auf diesen Kirchhof treten,
      Der locker aufgewühlt von vielen Gräbern,
      Daß du's nicht hörtest; pfeife dann mir zu,
      Zum Zeichen, daß du etwas nahen hörst.
      Gib mir die Blumen, tu, wie ich dir sagte!
PAGE
 beiseit. 
      Fast grauet mir, so auf dem Kirchhof hier
      Allein zu bleiben, doch ich will es wagen.
Entfernt sich.
PARIS
      Süße Blume, mit Blumen dein Brautbett ich bestreu.
      O weh, dein Baldachin ist Staub und Stein!
      Mit süßem Wasser nächtlich will ichs tauen,
      Und fehlts daran, mit schmerzzerpreßten Tränen.
      Die Totenfeier, nächtlich dir zu weihn:
      Dein Grab bestreun und weinen soll es sein.
Der Knabe pfeift.
      Der Bube gibt ein Zeichen; jemand naht.
      Welch ein verdammter Fuß kommt dieses Wegs,
      Und stört die Leichenfeier frommer Liebe?
      Mit einer Fackel? Wie? Verhülle, Nacht,
      Ein Weilchen mich.
Er tritt beiseite. Romeo und Balthasar, mit einer Fackel, Haue usw.
ROMEO
      Gib mir das Eisen und die Haue her!
      Nimm diesen Brief; frühmorgens siehe zu,
      Daß du ihn meinem Vater überreichst.
      Gib mir das Licht; aufs Leben bind ichs dir,
      Was du auch hörst und siehst, bleib in der Ferne
      Und unterbrich mich nicht in meinem Tun.
      Ich steig in dieses Totenbett hinab,
      Teils meiner Gattin Angesicht zu sehn,
      Vornehmlich aber einen kostbarn Ring
      Von ihrem toten Finger abzuziehn,
      Den ich zu einem wichtgen Werk bedarf.
      Drum auf und geh! Und kehrest du zurück,
      Vorwitzig meiner Absicht nachzuspähn,
      Bei Gott, so reiß ich dich in Stücke, säe
      Auf diesen giergen Boden deine Glieder.
      Die Nacht und mein Gemüt sind wütend wild,
      Viel grimmer und viel unerbittlicher
      Als durstge Tiger und die wüste See.
BALTHASAR
      So will ich weggehn, Herr, und Euch nicht stören.
ROMEO
      Dann tust du als mein Freund. Nimm, guter Mensch!
      Leb und sei glücklich und gehab dich wohl!
BALTHASAR
 [für sich.] 
      Trotz allem dem will ich mich hier verstecken;
      Ich trau ihm nicht, sein Blick erregt mir Schrecken.
Entfernt sich.
ROMEO
      O du verhaßter Schlund, du Bauch des Todes,
      Der du der Erde Köstlichstes verschlangst,
      So brech ich deine morschen Kiefer auf
 Er bricht die Tür des Grabmals auf. 
      Und will, zum Trotz, noch mehr dich überfüllen.
 [Er bricht die Tür des Gewölbes auf.] 
PARIS
      Ha, der verbannte, stolze Montague,
      Der Juliens Vetter mordete; man glaubt,
      An diesem Grame starb das holde Wesen.
      Hier kommt er jetzt, um niederträchtgen Schimpf
      Den Leichen anzutun; ich will ihn greifen!
Tritt hervor.
      Laß dein verruchtes Werk, du Montague!
      Wird Rache übern Tod hinaus verfolgt?
      Verdammter Bube, ich verhafte dich;
      Gehorch und folge mir, denn du mußt sterben.
ROMEO
      Fürwahr, das muß ich; darum kam ich her.
      Versuch nicht, guter Jüngling, den Verzweifelnden!
      Entflieh und laß mich; denke dieser Toten!
      Laß sie dich schrecken! - Ich beschwör dich, Jüngling,
      Lad auf mein Haupt nicht eine neue Sünde,
      Wenn du zur Wut mich reizest; geh, o geh,
      Bei Gott, ich liebe mehr dich wie mich selbst,
      Denn gegen mich gewaffnet komm ich her.
      Fort, eile, leb und nenn barmherzig ihn,
      Den Rasenden, der dir gebot zu fliehn!
PARIS
      Ich kümmre mich um dein Beschwören nicht
      Und greife dich als Missetäter hier.
ROMEO
      Willst du mich zwingen? Knabe, sieh dich vor!
Sie fechten.
PAGE
      Sie fechten! Gott, ich will die Wache rufen.
PARIS
      O ich bin hin! -
Fällt.
                        Hast du Erbarmen, öffne
      Die Gruft und lege mich zu Julien.
Er stirbt.
ROMEO
      Auf Ehr, ich wills. - Laßt sein Gesicht mich schaun.
      Mercutios edler Vetter ists, Graf Paris.
      Was sagte doch mein Diener, weil wir ritten,
      Als die bestürmte Seel es nicht vernahm?
      Ich glaube, Julia habe sich mit Paris
      Vermählen sollen: sagt' er mir nicht so?
      Wie, oder träumt ichs? Oder bild ichs mir
      Im Wahnsinn ein, weil er von Julien sprach?
      O gib mir deine Hand, du, so wie ich,
      Ins Buch des herben Unglücks eingezeichnet!
      Ich bette dich in eine stolze Gruft.
      Doch Gruft? Nein, helle Wölbung, Jungerschlagner!
      Denn hier liegt Julia: ihre Schönheit macht
      Dies Grab zur Feierhalle voll von Licht.
      Toter, lieg da, von totem Mann begraben!
Er legt Paris in das Begräbnis.
      Wie oft sind Menschen, schon des Todes Raub,
      Noch fröhlich worden! Ihre Wärter nennens
      Den letzten Lebensblitz. Wohl mag nun dies
      Ein Blitz mir heißen. - O mein Herz! Mein Weib!
      Der Tod, der deines Odems Balsam sog,
      Hat über deine Schönheit nichts vermocht.
      Noch bist du nicht besiegt; der Schönheit Fahne
      Weht purpurn noch auf Lipp und Wange dir;
      Hier pflanzte nicht der Tod sein bleiches Banner. -
      Liegst du da, Tybalt, in dem blutgen Tuch?
      O welchen größern Dienst kann ich dir tun,
      Als mit der Hand, die deine Jugend fällte,
      Des Jugend, der dein Feind war, zu zerreißen?
      Vergib mir, Vetter! - Liebe Julia,
      Warum bist du so schön noch? Soll ich glauben,
      Der körperlose Tod entbrenn in Lieb
      Und der verhaßte, hagre Unhold halte
      Als seine Buhle hier im Dunkeln dich?
      Aus Furcht davor will ich dich nie verlassen
      Und will aus diesem Palast dichter Nacht
      Nie wieder weichen. Hier, hier will ich bleiben
      Mit Würmern, so dir Dienerinnen sind.
      O hier bau ich die ewge Ruhstatt mir
      Und schüttle von dem lebensmüden Leibe
      Das Joch feindseliger Gestirne. - Augen,
      Blickt euer Letztes! Arme, nehmt die letzte
      Umarmung! Und, o Lippen, ihr, die Tore
      Des Odems, siegelt mit rechtmäßgem Kusse
      Den ewigen Vertrag dem Wuchrer Tod.
      Komm, bittrer Führer, widriger Gefährt,
      Verzweifelter Pilot! Nun treib auf einmal
      Dein sturmerkranktes Schiff in Felsenbrandung!
      Dies auf dein Wohl, wo du auch stranden magst!
      Dies meiner Lieben! -
Er trinkt.
                             O wackrer Apotheker,
      Dein Trank wirkt schnell. - Und so im Kusse sterb ich.
Er stirbt, Bruder Lorenzo kommt vom andern Ende des Kirchhofes mit Laterne Brecheisen und Spaten.
LORENZO
      Helf mir Sankt Franz! Wie oft sind über Gräber
      Nicht meine alten Füße heut gestolpert.
      Wer ist da?
Wer ists, der noch so spät zu Toten geht?[»Who is it that consorts, so late, the dead?« Dieser Vers findet sich in der Fassung des »Project Gutenberg Shakespeare Team's«, fehlt aber in allen anderen mir bekannten Ausgaben.] 
BALTHASAR
      Ein Freund, und einer, dem Ihr wohl bekannt.
LORENZO
      Gott segne dich! Sag mir, mein guter Freund,
      Welch eine Fackel ists, die dort ihr Licht
      Umsonst den Würmern leiht und blinden Schädeln?
      Mir scheint, sie brennt in Capulets Begräbnis.
BALTHASAR
      Ja, würdger Pater, und mein Herr ist dort,
      Ein Freund von Euch.
LORENZO
                            Wer ist es?
BALTHASAR
                                         Romeo.
LORENZO
      Wie lange schon?
BALTHASAR
                        Voll eine halbe Stunde.
LORENZO
      Geh mit mir zu der Gruft!
BALTHASAR
                                 Ich darf nicht, Herr.
      Mein Herr weiß anders nicht, als ich sei fort,
      Und drohte furchtbarlich den Tod mir an,
      Blieb ich, um seinen Vorsatz auszuspähn.
LORENZO
      So bleib, ich geh allein. - Ein Graun befällt mich;
      Oh, ich befürchte sehr ein schlimmes Unglück!
BALTHASAR
      Derweil ich unter dieser Eibe schlief,
      Träumt ich, mein Herr und noch ein andrer föchten,
      Und er erschlüge jenen.
LORENZO
                               Romeo?
Er geht weiter nach vorn.
      O wehe, weh mir! Was für Blut befleckt
      Die Steine hier an dieses Grabmals Schwelle?
      Was wollen diese herrenlosen Schwerter,
      Daß sie verfärbt hier liegen an der Stätte
      Des Friedens?
Er geht in das Begräbnis.
                     Romeo? - Ach, bleich! - Wer sonst?
      Wie? Paris auch? Und in sein Blut getaucht?
      O welche unmitleidge Stund ist schuld
      An dieser kläglichen Begebenheit? -
      Das Fräulein regt sich.
JULIA
erwachend.
      O Trostesbringer! Wo ist mein Gemahl?
      Ich weiß recht gut noch, wo ich sollte sein;
      Da bin ich auch. Wo ist mein Romeo?
Geräusch von Kommenden.
LORENZO
      Ich höre Lärm. - Kommt, Fräulein, flieht die Grube
      Des Tods, der Seuchen, des erzwungnen Schlafs;
      Denn eine Macht, zu hoch dem Widerspruch,
      Hat unsern Rat vereitelt. Komm, o komm!
      Dein Gatte liegt an deinem Busen tot,
      Und Paris auch; komm, ich versorge dich
      Bei einer Schwesternschaft von heilgen Nonnen.
      Verweil mit Fragen nicht; die Wache kommt.
      Geh, gutes Kind!
Geräusch hinter der Szene.
                        Ich darf nicht länger bleiben.
 [Ab.] 
JULIA
      Geh nur, entweich, denn ich will nicht von hinnen. -
 Bruder Lorenzo geht ab. 
      Was ist das hier? Ein Becher, festgeklemmt
      In meines Trauten Hand? - Gift, seh ich, war
      Sein Ende vor der Zeit. - O Böser! Alles
      Zu trinken, keinen gütgen Tropfen mir
      Zu gönnen, der mich zu dir brächt? - Ich will
      Dir deine Lippen küssen. Ach, vielleicht
      Hängt noch ein wenig Gift daran und läßt mich
      An einer Labung sterben.
Sie küßt ihn.
                                Deine Lippen
      Sind warm.
ERSTER WÄCHTER
hinter der Szene.
                  Wo ist es, Knabe? Führ uns!
JULIA
      Wie? Lärm? - Dann schnell nur!
 [Sie ergreift Romeos Dolch.] 
                                      O willkommner Dolch!
 Sie ergreift Romeos Dolch. 
      Dies werde deine Scheide.
Ersticht sich.
                                 Roste da
      Und laß mich sterben!
Sie fällt auf Romeos Leiche und stirbt. Wächter mit dem Pagen des Paris.
PAGE
      Dies ist der Ort, da, wo die Fackel brennt.
ERSTER WÄCHTER
      Der Boden ist voll Blut; durchsucht den Kirchhof,
      Ein paar von euch; geht, greifet, wen ihr trefft.
Einige von der Wache ab.
      Betrübt zu sehn! Hier liegt der Graf erschlagen,
      Und Julia blutend, warm und kaum verschieden,
      Die schon zwei Tage hier begraben lag. -
      Geht, sagts dem Fürsten! Weckt die Capulets!
      Lauft zu den Montagues! Ihr andern sucht!
Andre Wächter ab.
      Wir sehn den Grund, der diesen Jammer trägt;
      Allein den wahren Grund des bittern Jammers
      Erfahren wir durch näh're Kundschaft nur.
Einige von der Wache kommen mit Balthasar zurück.
ZWEITER WÄCHTER
      Hier ist der Diener Romeos; wir fanden
      Ihn auf dem Kirchhof.
ERSTER WÄCHTER
      Bewahrt ihn sicher, bis der Fürst erscheint!
 [Ein andrer] Andere Wächter kommen zurück mit Lorenzo.
DRITTER WÄCHTER
      Hier ist ein Mönch, der zittert, weint und ächzt;
      Wir nahmen ihm den Spaten und die Haue,
      Als er von jener Seit des Kirchhofs kam.
ERSTER WÄCHTER
      Verdächtges Zeichen! Haltet auch den Mönch!
Der Prinz und sein Gefolge.
PRINZ
      Was für ein Unglück ist so früh schon wach,
      Das Uns aus Unsrer Morgenruhe stört?
Capulet, Gräfin Capulet und andre kommen.
CAPULET
      Was ists, daß draußen so die Leute schrein?
GRÄFIN CAPULET
      Das Volk ruft auf den Straßen: »Romeo«
      Und »Julia« und »Paris«; alles rennt
      Mit lautem Ausruf unserm Grabmal zu.
PRINZ
      Welch Schrecken ists, das Unser Ohr betäubt?
ERSTER WÄCHTER
      Durchlauchtger Herr, entleibt liegt hier Graf Paris;
      Tot Romeo; und Julia, tot zuvor,
      Noch warm und erst getötet.
PRINZ
      Sucht, späht, erforscht die Täter dieser Greuel!
ERSTER WÄCHTER
      Hier ist ein Mönch und Romeos Bedienter;
      Man fand Gerät bei ihnen, das die Gräber
      Der Toten aufzubrechen dient.
CAPULET
                                     O Himmel!
      O Weib! Sieh hier, wie unsre Tochter blutet.
      Der Dolch hat sich verirrt; sieh seine Scheide
      Liegt ledig auf dem Rücken Montagues,
      Er selbst steckt fehl in unsrer Tochter Busen.
GRÄFIN CAPULET
      O weh mir! Dieser Todesanblick mahnt
      Wie Grabgeläut mein Alter an die Grube.
Montague und andre kommen.
PRINZ
      Komm, Montague! Früh hast du dich erhoben,
      Um früh gefallen deinen Sohn zu sehn.
MONTAGUE
      Ach, gnädger Fürst, mein Weib starb diese Nacht;
      Gram um des Sohnes Bann entseelte sie.
      Welch neues Leid bricht auf mein Alter ein?
PRINZ
      Schau hin, und du wirst sehn.
MONTAGUE
      O Ungeratner! Was ist das für Sitte,
      Vor deinem Vater dich ins Grab zu drängen?
PRINZ
      Versiegelt noch den Mund des Ungestüms,
      Bis wir die Dunkelheiten aufgehellt
      Und ihren Quell und wahren Ursprung wissen.
      Dann will ich Eurer Leiden Hauptmann sein
      Und selbst zum Tod Euch führen. - Still indes!
      Das Mißgeschick sei Sklave der Geduld. -
      Führt die verdächtigen Personen vor!
LORENZO
      Mich trifft, obschon den Unvermögendsten,
      Am meisten der Verdacht des grausen Mordes,
      Weil Zeit und Ort sich gegen mich erklärt.
      Hier steh ich, mich verdammend und verteidgend,
      Der Kläger und der Anwalt meiner selbst.
PRINZ
      So sag ohn Umschweif, was du hievon weißt!
LORENZO
      Kurz will ich sein, denn kurze Frist des Atems
      Versagt gedehnte Reden. Romeo,
      Der tot hier liegt, war dieser Julia Gatte,
      Und sie, die tot hier liegt, sein treues Weib.
      Ich traute heimlich sie, ihr Hochzeittag
      War Tybalts letzter, des unzeitger Tod
      Den jungen Gatten aus der Stadt verbannte;
      Und Julia weint' um ihn, nicht um den Vetter.
      Ihr, um den Gram aus ihrer Brust zu treiben,
      Verspracht und wolltet sie dem Grafen Paris
      Vermählen mit Gewalt. Da kommt sie zu mir
      Mit wildem Blick, heißt mich auf Mittel sinnen,
      Um dieser zweiten Heirat zu entgehn,
      Sonst wollt in meiner Zelle sie sich töten.
      Da gab ich, so belehrt durch meine Kunst,
      Ihr einen Schlaftrunk; er bewies sich wirksam
      Nach meiner Absicht, denn er goß den Schein
      Des Todes über sie. Indessen schrieb ich
      An Romeo, daß er sich herbegäbe
      Und hülf aus dem erborgten Grab sie holen
      In dieser Schreckensnacht, als um die Zeit,
      Wo jenes Trankes Kraft erlösche. Doch
      Den Träger meines Briefs, den Bruder Markus,
      Hielt Zufall auf, und gestern abend bracht er
      Ihn mir zurück. Nun ging ich ganz allein
      Um die bestimmte Stunde des Erwachens,
      Sie zu befrein aus ihrer Ahnen Gruft,
      Und dacht in meiner Zelle sie zu bergen,
      Bis ich es Romeo berichten könnte.
      Doch wie ich kam, Minuten früher nur,
      Eh sie erwacht', fand ich hier tot zu früh
      Den treuen Romeo, den edlen Paris.
      Jetzt wacht' sie auf; ich bat sie, fortzugehn
      Und mit Geduld des Himmels Hand zu tragen;
      Doch da verscheucht' ein Lärm mich aus der Gruft.
      Sie, in Verzweiflung, wollte mir nicht folgen
      Und tat, so scheints, sich selbst ein Leides an.
      Dies weiß ich nur; und ihre Heirat war
      Der Wärterin vertraut. Ist etwas hier
      Durch mich verschuldet, laßt mein altes Leben,
      Nur wenig Stunden vor der Zeit, der Härte
      Des strengsten Richterspruchs geopfert werden.
PRINZ
      Wir kennen dich als einen heilgen Mann. -
      Wo ist der Diener Romeos? Was sagt er?
BALTHASAR
      Ich brachte meinem Herrn von Juliens Tod
      Die Zeitung, und er ritt von Mantua
      In Eil zu diesem Platz, zu diesem Grabmal.
      Den Brief hier gab er mir für seinen Vater,
      Und drohte Tod mir, als er in die Gruft ging,
      Wo ich mich nicht entfernt und dort ihn ließe.
PRINZ
      Gib mir den Brief; ich will ihn überlesen. -
      Wo ist der Bub des Grafen, der die Wache
      Geholt? - Sag, Bursch, was machte hier dein Herr?
PAGE
      Er kam, um Blumen seiner Braut aufs Grab
      Zu streun, und hieß mich fern stehn, und das tat ich.
      Drauf naht' sich wer mit Licht, das Grab zu öffnen,
      Und gleich zog gegen ihn mein Herr den Degen;
      Alsbald lief ich davon und holte Wache.
PRINZ
      Hier dieser Brief bewährt das Wort des Mönchs,
      Den Liebesbund, die Zeitung ihres Todes;
      Auch schreibt er, daß ein armer Apotheker
      Ihm Gift verkauft, womit er gehen wolle
      Zu Juliens Gruft, um neben ihr zu sterben. -
      Wo sind sie, diese Feinde? - Capulet, Montague!
      Seht, welch ein Fluch auf eurem Hasse ruht,
      Daß Liebe eure Freuden töten muß!
      Und ich, weil ich dem Zwiespalt nachgesehn,
      Verlor auch zwei Verwandte. Alle büßen.
CAPULET
      O Bruder Montague, gib mir die Hand!
      Das ist das Leibgedinge meiner Tochter,
      Denn mehr kann ich nicht fordern.
MONTAGUE
                                         Aber ich
      Vermag dir mehr zu geben; denn ich will
      Aus klarem Gold ihr Bildnis fertgen lassen.
      Solang Verona seinen Namen trägt,
      Komm nie ein Bild an Wert dem Bilde nah
      Der treuen, liebevollen Julia.
CAPULET
      So reich will ich es Romeo bereiten.
      O arme Opfer unsrer Zwistigkeiten!
PRINZ
      Nur düstern Frieden bringt uns dieser Morgen;
      Die Sonne scheint, verhüllt vor Weh, zu weilen.
      Kommt, offenbart mir ferner, was verborgen,
      Ich will dann strafen oder Gnad erteilen,
      Denn nie verdarben Liebende noch so
      Wie diese: Julia und ihr Romeo.
Alle ab.