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Johann Gottfried Seume

Das polnische Mädchen

Eine Erzählung aus dem letzten Kriege.

Ihr wollt also durchaus, ich soll erzählen,
Ich mag nun wollen oder nicht;
Das hochansehnliche Gericht
Hat ausgesprochen. Gut! und nun befehlen
Despotisch hier die sanften Weiberseelen:
Das Thema, ja, das Thema sei von Liebe;
Als ob ein Kriegsknecht, der nur Eisen kennt,
Der selten nur die Charitinnen nennt
Und nur nach Trommeltacten rennt,
So etwas Euch so leicht beschriebe.
»Mein Herr, hier gilt die Ordonnanz
So gut als beim Kanonentanz!«
Ruft mir vom hohen Commandantenstuhle
Die schöne Königin der Schule
Und treibet mit der härtsten Strenge,
Als hätte sie, wie sich's gebührt,
Die Kriegsartikel alle durchstudirt,
Mich armen Teufel in die Enge.
Muß ist gezwungen; nun, so höret dann!
Ein Schelm macht's besser, als er kann.

Es sind nun ohngefähr zwei Jahr,
Daß sich in Polen die Geschichte,
Die ich hiermit pflichtmäßigst Euch berichte,
Als noch in Polen Polen war,
In voller Wahrheit zugetragen.
Der Name hat zur Sache nichts zu sagen.
Drum bitt' ich Euch, mir günstigst zu erlauben,
Daß nach der Sitte, wenn man solche Dinge schreibt,
Er diesmal auch verschwiegen bleibt,
Und mir auf Wort und Treu' zu glauben.
Nicht weit davon, wo zwischen fetten Schollen
Der Bug und Narew feierlich,
Von zwanzig Bächen angeschwollen,
Zum Wogensturz hinab zum Belte sich
Ins Fluthenbett der Weichsel rollen --
Ich kann es weiter nicht erklären,
Mehr von der Gegend mag Herr Büsching lehren --
So ohngefähr in dieser Gegend lag
Vom Hochweg seitwärts unter den Bezirken
Wildaufgeschossner junger Birken
Ein Mädchen wie der junge Tag.
Vom leichten Zephyrhauch umflossen
Und süßen Blumenduft umwallt,
Lag ihre herrliche Gestalt
Wie Gottes Odem hingegossen.
Sie hatte sich die Füße wund
Auf ihrer Flucht vom Tod' gegangen.
Und bitter rann von ihrer Gluth der Wangen
Der Schweiß herab an ihrem Purpurmund;
Sie hatte lechzend wie ein Reh
Erquickung aus dem Kieselbach getrunken
Und war ermattet an der sanften Höh'
Auf Thymian und jungem Klee
Schon halb verzweifelnd in den Schlaf gesunken.
Dort war damals ein Gegenbild der Ruh',
Und wie Ihr wißt, ging es in Polen
Zum letzten Mal noch Alles polnisch zu;
Ein Jeder suchte noch zu holen,
Und holte, bis dann ganz und gar
Nichts mehr zu holen übrig war.
Der Ort, aus welchem Soska sich
Mit Todesangst um Mitternacht geflüchtet.
Lag gegen Morgen, fürchterlich
In Feuerfluthen hingerichtet,
Und schnaubend warfen noch zusammen
Der bärtigen Kosacken Heer,
Von Blut gefärbt, von Beute schwer,
Was sie nicht raubten, in die Flammen.
Jetzt schlief das gute, sanfte Kind
So süß auf weichem, jungen Moose,
Als ruht' es in der Mutter Schooße,
Um ihre Schläfe strich der Abendwind,
Und ihren Busen hob gelind
Ein Gaukelspiel von ihrem schön'ren Loose:
Da schoß durch das Gebüsche pfeilgeschwind
Ein großer schwarzer Hund heran,
Blieb vor der schönen Schläferin
Erschrocken stehn und schnaubte her und hin,
Als spionirt' er durch die Luft, und schlug
Mit fürchterlichem Bellen an,
Daß stracks der Laut die Blumenbahn
Daher im Adlerflug
Den wilden Trupp Corsaren trug.
Das Mädchen sprang mit Schrecken auf;
Sie zog den Mund zum Schrei, der Schrei verschwand;
Sie hob den Fuß zur Flucht, er war gebannt;
Und in dem schnellsten Farbenlauf
Flog Tod und Leben auf dem Angesicht.
So steht die Unschuld an dem Hochgericht,
Wenn Bosheit ihr das Urtheil spricht.
Der Hufschlag tönt, die Lanze klirrt,
Der Säbel blitzt, des Schusses Donner schwirrt
Dumpf durch den Wald; schon ist die Rotte nah.
Schon steht ein Halbmensch vor ihr da,
Und wie ein Knäuel rollen sich
Die scheußlichen Figuren fürchterlich
Im Augenblicke Mann bei Mann
Zu einem vollen Dutzend an.
Wie um ein reines Kind des Lichts
Ein Klubb verdammter Engel rauchet
Und nur Verderben um ihn hauchet,
So standen grimmigen Gesichts,
Mit ihrem Raub dahinzufahren,
Die rohen bärtigen Barbaren.
Das Mädchen rang die zarten Hände
Und rief, wie die Verzweiflung ruft,
Gebrochne Töne durch die Luft,
Daß selbst der Grimm für sie Erbarmen fände.
Der Raubsucht wäre sie entgangen,
Allein der Wollust zu entgehn,
War sie zu herrlich und zu schön;
Schon kochte thierisches Verlangen
Wie glühend Erz mit gift'ger Lauge
In jedes Wüthrichs Feuerauge.
Mit einer Melodieenstimme
Bat sie die Wilden um Barmherzigkeit,
Wenn noch ein Funke Menschlichkeit
In ihrer Menschenseele glimme;
Sie flehte mit so himmlischen Geberden,
Von Teufeln selbst erhört zu werden.
Allein der Zauber ihrer Bitte
War Oel für eine hohe Gluth,
War Sturm für eine Wasserfluth;
Und hohles Murmeln stieg aus der Kosacken Mitte.
Es hob sich schnell ein heißer Streit
Bei den Gesellen gröbster Sinnlichkeit,
Wer die Gefundne opfern sollte,
Weil Jeder Hoherpriester werden wollte.
Ein Jeder that mit einem Fluch
Und einem Säbelschlage seinen Spruch;
Ein Jeder führte seine Gründe
Mit kerniger Kosackenlogik an
Und schwur hoch als ein Ehrenmann,
Er wolle Jedem, der sich unterstünde,
Noch zu bezweifeln, was er dargethan,
Sogleich mit Pulver, Blei und Eisen
Die Giltigkeit der Forderung beweisen.
Schon der Besonnenheit beraubt,
Stand Soska mit dem schwachen Haupt,
Wie zu des Todes Schlummer hingedehnet,
An einen Birkenstamm gelehnet.
Schon gohr die Wuth in dem berauschten Vieh;
Denn scheußlicher als alle Unvernunft
Ist eine solche Brutenzunft:
Erst schänden und dann morden sie.
Schon blitzten alte Damascenerklingen,
Des Feindes Schädel durchzudringen,
Um diesem oder jenem Sündenknecht
Das höllische verdammte Recht
Des ersten Raubes zu gewinnen;
Da trat ein alter, grauer Thor,
Ein Bösewicht von Sechzigen hervor
Und murmelte nach Zauberart
Dumpf durch den jetzt noch rothen Bart.
Er hatte von der Oder bis zum Jaik,
Seitdem er seinen Lauf begonnen,
Der Schurkereien viel ersonnen,
Bei manchem Edelmann und manchem Scheik,
Und war an Seel' und Leibe so verdorben,
Daß außer heißer Gier nach Gut
Und Freude über Türkenblut
Sonst alle Sünden schon in ihm gestorben.
»Was alle Teufel!« grunzt er tief beiseite,
»Was sollen sich hier brave Leute
Den Hals um eine Dirne brechen!
Stracks will ich lieber als Starost
Der Dirne, mir und meinem Trupp zum Trost,
Mit einem Schuß das Urtheil sprechen.«
Er sah mit einem Molochsblick
Das Opfermädchen an; und als er schaute,
War's doch, als ob die That ihm graute.
Als ob ihm doch die eis'ge Seele thaute,
Und bebend zog er seinen Arm zurück.
Hoch aber stürmte seiner Brüder Wuth
Und kochte durch das wilde Blut;
Da sprach er knirschend zu sich selbst: »Ich schwöre
Dann bei Zaremba's und Mazeppa's Ehre,
Ich will Euch gleich befriedigen, Ihr Kinder!
Das Mädchen ist für diese Welt zu schön,
Drum soll sie in den Himmel gehn;
Und dafür dankt mir altem Sünder!«
Spricht, greift zum Gürtel, spannt den Hahn
Und legt zum Tod des Mädchens an.
Sie sah's und schrie: »O Gott, erbarme!« --
Und sank. -- Da stürzt im hohen Zorn
Der Hauptmann durch den Hagedorn
Dem rothen Mörder in die Arme.
Der Schuß ging durch die leere Luft.
Als öffnete sich eine Todtengruft,
Wenn Mitternachts die Geisterglocke ruft,
Stand vor Entsetzen stumm die Rotte da,
Als sie sich fürchterlich verrathen
Und als den Zeugen ihrer Gräuelthaten
Den braven Hauptmann vor sich sah.
»Ha,« rief er grimmig, »ha, Ihr Schurkenseelen!
Die Kaiserin schickt uns zum Sieg,
Und Ehre zu erfechten, in den Krieg,
Und Ihr, Ihr schändet Euch durch Morden und durch Stehlen!
Ihr machet unsre Nation
Der ganzen Welt zum Spott und Hohn.
Wo habt Ihr Menschen Menschensinn?
So wahr, so wahr ich Euer Hauptmann bin! --«
Hier wendeten sich seine Blicke
Zuerst auf unsre Soska hin,
Und seine Drohung fuhr zurücke.
Er kam und fand sie ohne Leben
Und sah nun selbst die wilde Brut,
Vor wenig Augenblicken noch voll Wuth,
Rund um das schöne Mädchen beben.
Als hätte sie des Himmels Schlag gelähmt,
Stand Bart an Bart so still gezähmt
Und schien die Unthat zu vertreten,
Die neue Göttin anzubeten.
Schon drängten funfzig Männer sich
Um Soska her, und Einer brachte,
Als eben von der Ohnmacht sie erwachte,
Indem er sich den Schweiß vom Schlafe strich,
Die volle Flasche rein und hell
Aus einem nahen Silberquell.
Nun mischten sich die schönen Farben,
Die kurz vorher ihr vom Gesichte starben,
Mit holder Scham zum Leben wieder,
Und neue Stärke floß durch ihre Glieder.
Da stand sie, wie sie rund umher
Die Männer sich zu fassen baten,
Ihr Herz von Schreck und Angst noch schwer,
Die reizendste der Töchter der Sarmaten;
Als hätte sie zum Ruhm für seine Polen
Ein Mann von Griechenform und Griechengeist,
Der alle Kunstgefilde durchgereist,
Apellens Pinsel abgestohlen:
So stand sie wie Urania,
Als sie zuerst die Haine Paphos' sah,
Und wagte nicht, um ihre Furcht zu sagen,
Die blauen Augen aufzuschlagen.
Ein leichtes, sittiges Gewand,
Das gnüglich sehen ließ und gnüglich deckte,
Gedanken scheuchte und Gedanken weckte,
War ihre Hülle, wie sie bebend stand.
So bildet eine Künstlerhand,
Mit Sittsamkeit und mit Natur im Bunde,
In der Empfindung Feuerstunde
An eines Paradieses Rand
Im Wirbelschlag der Nachtigallentöne
Das Ideal zu einer Schöne.
Mit männlicher Bescheidenheit,
Schon selbst mit sich in innerm Streit,
Trat Ghenkis' Enkel nun heran und sprach
Mit offner, edler Zuversicht,
Was Edelmuth bei solchen Scenen spricht,
Und alle Seelensaiten bebten nach.
»Vergebt mir, schönes Mädchen,« hob er an,
»Was meine Wilden hier gethan!
Ich danke meinem günstigen Geschick,
Daß ich zu meinem und zu Euerm Glück
Noch eben, Euch zu retten, kam;
Erlaubt mir nun, Euch zu beschützen
Und Euch, so lang ich kann, zu nützen!«
Und als er dieses sagte, nahm
Er furchtsam ihren Arm und bat,
Wie selten ein Kosack gebeten hat,
Jetzt aller Furcht sich zu entschlagen
Und ihm allein getrost und frei,
Was nun ihr Wunsch und ihre Hoffnung sei
Und ihre Heimath anzusagen.
Er wage nie sich aufzudringen,
Doch jetzt im Krieg sei rund umher
Kein Dorf, kein Weg von wilden Leuten leer,
Drum müss' er sie, sei es auch noch so schwer,
In Sicherheit nach Hause bringen.
Hier sahe Soska erst den feinen Mann
Mit thränenvollen Augen an
Und lächelte, wie nach dem Wetter
Der Regenbogen auf die Fluren blickt,
Mit banger Freude ihrem edlen Retter.
Der Hauptmann strich sich hoch entzückt
Mit flacher Hand nach seiner Art
Die Wimper und den Knebelbart;
Und wie die junge Hebe hing,
Wenn sie dem frohen Chor der Götter
Den Nektar reicht, und selbst der alte Spötter
Herr Momus schweigt, das Mädchen ihm am Arm und ging
Das Thal hinab, und ruhig fing
Das Herz ihr wieder an zu schlagen
Und neue bessre Hoffnung aufzutagen.
Der junge Krieger fragte nach dem Ort,
Wohin er sie begleiten sollte.
Und nach dem heißen Herzen rollte
Der Blutschlag stärker; auf des Mädchens Wort
Flog pfeilschnell ein Commando fort,
Dem alten Onkel, nur zwei Meilen weit,
Der lieben Soska Sicherheit
Und ihre Ankunft mit dem jungen Helden
In Eile voraus anzumelden.
Des Hauptmanns Order von dem General --
Und jetzo hätt' er für sein Leben
Den Auftrag keinem Andern abgegeben --
War, in der Gegend überall,
So weit er könnte, meilenweit
Mit allerstrengster Wachsamkeit
Von dem Starostenhaus bis zu den Bauern
Des Feinds Bewegung abzulauern.
Er führte seine schöne Beute
Dem alten braven Onkel zu,
Der in des Landmanns stiller Ruh'
Für sich nur lebte und für seine Leute,
Mit ihnen litt und sich mit ihnen freute.
Hier war er mitten in dem Krieg in Frieden,
Von allen Händeln abgeschieden
Und hörte selten nur von dem Getümmel
Der Residenz; und seine Weizenflur
War ihm das achte Wunder der Natur,
Und nur sein Eichenwald und nur
Sein kleiner Garten war sein Himmel,
Und seine schöne Nichte drin
Des Paradieses Priesterin.
Nur dann und wann, wenn er beim Glas
Die Thaten seiner Väter las,
Und muthig meine Schritte nehmen.
Zwar sagt der Spötter Klubb, man soll in Polen
Geliebten, doch nicht Weiber holen.
Doch Spötter lügen: jede Stadt
Und jedes Land der Erde hat
Zwar mehr der Bösen, aber viel der Guten.
Wer Eine von den Letzten trifft,
Dem schreibt sein Loos mit schöner, goldner Schrift;
Und wer sie fehlt, muß in den Fluthen
Der Angst des Lebens Glück verbluten.
Wenn Soska nicht den ächten Stempel
Der wahren Weibertugend trägt,
Sind alle Farben falsch gelegt,
Und selbst Natur schreibt Konterbandexempel.
Reich bin ich, aber rein vom Raube;
Kein Fluch, kein schwerer Seufzer ruht
Auf meiner Väter altem Gut,
Und ruhig kann ich in der Laube
Bei meinem kleinen Abendmahle stehn
Und heiter in des Himmels Bläue sehn.
Wie wird es meine Mutter rühren,
Wenn ihres Alters einziger Sohn
Für seine Kriege diesen schönen Lohn,
So eine Tochter zu ihr hin kann führen!
Ja, ja, es soll, es wird, es muß;
Nie find' ich wieder eine solche Braut.
Was meinst Du, Alter?« rief er laut
In seines Herzens Hocherguß.
»Ich?« sah der Kerl verblüfften Angesichts
Ihn an und sprach: »ich, Herr, ich meine nichts.«
»Ich frage, Narr, was Du von unserm Alten
Und seiner Nichte -- denn Du scheinst
Gedankenvoll --, was Du von Beiden meinst!«
Der Kerl zog sein Kosackenmaul in Falten
Und faßte philosophisch seinen Bart.
»Vergangenheit und Gegenwart«,
Hob er mit weisen Mienen an,
»Und Zukunft sind drei sehr verschiedne Dinge --«
»Kurz, Fedor,« rief der Hauptmann, »bringe
Ein andermal Dein Schwatzwerk an!
Jetzt ist damit hier nichts gethan.«
»Nun,« sprach der Kerl, »mich soll der Teufel holen,
Der Alte, ja, der Alte scheint
Die allerbeste Haut von Polen;
Ich merke doch wohl, was Ihr meint;
Und dann die allerliebste Nichte --
Da man so viel im Weiberangesichte
Des bunten Zeugs zusammenliest,
So bin ich jetzt mit mir im Zweifel,
Ist sie ein Engel oder Teufel;
Und damit Punctum, daß Ihr's wißt!«
Da sah der junge, heißverliebte Mann
Den alten Griesgram zornig an;
Und langsam ging's nun faul und stumm
Zwei Stunden noch in Wald und Flur herum,
Bis selbst der Schimmel rechtsum bog,
Wohin ein anderer Magnet den Reiter zog.
Schnell waren sie nunmehr zurücke;
Wer fliegt nicht gern zu einem solchen Glücke,
Wie unser junge Krieger flog?
Schon donnerte der Hufschlag auf der Brücke,
Da fing der Puls mit rascherm Beben,
Halb Muth, halb Furcht, sich wieder an zu heben
Und Soska ging im Morgenkleide
Dem schönen, ernsten, edlen Mann,
So reizend wie Natur nur malen kann,
Mit heller, unverstellter Freude,
Auf ihrer Lippe Dank und Segen,
In ihrem Auge Freundlichkeit, entgegen.
Von seligen Gefühlen warm,
Ergriff der Gast des Mädchens Arm,
Und Beide wallten wie auf Rosen
Zum Onkel hin, der an des Gartens Rand,
Mit seinem Gärtner Eins zu kosen
Und seinen Morgen zu genießen, stand.
Der gute Graubart hatte fast
Sich heisch gelobt an seinem braven Gast,
Und Soska hatte mit Vergnügen
Sein Lob gehört und still geschwiegen.
Der Hauptmann glaubt' in ihrem Blick --
Was können nicht Verliebte spähen? --
Noch etwas mehr als Freundlichkeit zu sehen
Und träumte dann sich Glück auf Glück:
So daß gar bald die Phantasie den Damm
Der nüchternen Vernunft durchstürmte
Und rund umher ein Freudenmeer sich thürmte,
In dem er wonnetrunken schwamm.
Und trunken war' er fortgeschwommen
Und hätte für des Mädchens Hand
Des heiligen Georgen erstes Band
Von der Monarchin nicht genommen.
Schon war des Herzens Huldigung geschehen,
Und aus dem glühnden Auge stahl
Sich mancher Blick, der ihr sein Herz empfahl,
Doch wagt' er kaum sie bittend anzusehen,
Und an der heißen Lippe hing
Schon manche Silbe, die zurücke ging.
Er hatte doch es oft schon kühn gewagt
In mancher Stadt und manchem Städtchen,
Und mancher Frau und manchem Mädchen
Wol Schmeicheleien vorgesagt
Und hier und da die schönen Stunden
Der Schäferinnen aufgefunden.
Jetzt stand er stumm wie ein Rekrute da,
Der, wenn der Stockmann flucht und schwöret,
Das Donnerwort mit Angstschweiß höret,
Und wußte nicht, wie ihm geschah.
Sein Auge blitzte hundert Farben,
Und alle Worte, die er suchte, starben.
Die Hermeneutik aus dem Blicke
War zweifelhaft für den Verstand,
Und wagt' er einen Druck der Hand,
So gab ihn Soska nicht zurücke.
Sonst war ihr Ton melodisch süße
Und alle Worte, die sie sprach,
Wie eines Seraphs Engelgrüße,
Und Harmonieen hallten nach;
Und wenn ihr Finger durch die Saiten
Im Zauber auf dem Flügel lief.
Schien alle Sympathie, die tief
Geheim nur in der Seele schlief,
Zur Seligkeit heraufzugleiten;
Kern hätt' er dann zu ihren Füßen,
So voll und weich und tief bewegt,
Zur Huldigung sich hingelegt,
Um ihr den Kuß der Treu' zu küssen.
So wandelt er zwei Tage lang
Den stillen Eremitengang;
Und immer ward das Herz ihm lauter
Und immer Soska ihm vertrauter.
Er sah dem Feind in vollem Lichte
Auf manchem fürchterlichen Zug
Von Assow's Wassern bis zum Bug
Schon starr und fest ins Angesichte
Und sprach in tödtlichen Gefahren
Mit Spahis oft und mit Husaren;
Und jetzo hielt ein Mädchenblick
Mit einem unbekannten Feuer
Den blöden kriegerischen Freier
In ungewohnter Furcht zurück.
Doch als er endlich eines Tages
Sie ungewöhnlich ernsthaft fand
Und er so selig heißen Herzensschlages
In süßem Anschaun vor ihr stand,
Wagt' er es rasch, und plötzlich überwand
Er zur Entscheidung seines Lebens
Die Fluth des innerlichen Bebens.
Er sah mit einem Seelenblick sie an
Und sprach dann fest ihr wie ein Mann:
»Hört, schönes Mädchen, höret mir mit Ruh',
Mit Nachsicht und mit Güte zu!
Gewiß, daß ich nichts Neues Euch erzähle;
Mein Antlitz hat Euch längst gesagt
Die tiefste Regung meiner Seele,
Und welche Hoffnung schon mein Herz gewagt.
Nie werd' ich eine Maske borgen,
Und offen bin ich Jedermann,
Der Menschenseelen lesen kann;
Und wie ich gestern war, so bin ich morgen.
So feierlich, als ob ein Engel schriebe,
Betheur' ich Euch, daß Ihr mir Alles seid;
Des Edlen Wort ist mehr als Eid:
Nehmt, nehmt mich hin und gebt mir Eure Liebe!«
Hier sah mit einem schönen Blick
Ihn Soska an, und ängstlich zog,
Als ihr sein Aug' entgegenflog,
Sie den Verräther schnell zurück.
Von Hoffnung trunken schon als Sieger,
Fuhr nun schon mehr der junge Krieger
Mit sanfter, süßer Bitte fort:
»Wohl, gute Soska, glaubet meinem Wort --
Der Ton der Zeit giebt Euch das Recht -- nicht gleich,
Und prüft mich erst, und nur die Probe
Sei Zeuge dann zu meinem Lobe!
Nur glaubt mir dieses, dieses schwör' ich Euch
Bei meiner unbescholtnen Ehre,
An Eurer Seite, Soska, wäre
Das Erdenleben mir ein Himmelreich.«
Hier glänzte wie ein Regenbogen
Des Mädchens Auge sanft empor.
Und zwei geperlte Thränen zogen
An ihrer Wimper heiß hervor.
»Seid,« sprach er, »seid Gebieterin!
Der Krieg ist nahe seinem Ende,
Und mit dem Frieden hab' ich freie Hände;
Dann ist mein Sinn nur Euer Sinn.
Frohlockend flieh' ich das Getümmel;
An einer guten Gattin Hand
Ist, wo sie will, mein Vaterland,
Und wo sie lächelt, ist mein Himmel.
Wollt Ihr die Tochter meiner Mutter sein,
So lebt die würdige Matrone
Noch einmal auf in ihrem Sohne;
Ich fleh' Euch, Soska, fleh' Euch treu und rein,
Beglückt mich mit dem schönen Lohne!
Ich bin ein Mann und jammre nicht;
Doch halt' ich in dem heißen Blicke
Den hellen Tropfen kaum zurücke;
Und sehet, ob nicht diese Thräne spricht!«
Voll Rührung sah den jungen Mann
Das tiefbewegte Mädchen an;
Ihr Busen hob in großen Schlägen
Sich seinem trunknen Aug' entgegen.
Ihr ganzes schönes Angesicht
War glühend wie Aurorens Purpurlicht.
Da flog er, seiner Seligkeit
Noch zögernde Momente zu beflügeln,
Auf ihre Lippen seinen Bund zu siegeln,
Als wär' Elysium bereit.
Doch als er sie zu fassen meinte,
Wand sie mit einem Blick, so warm,
So rein und flehend, schnell aus seinem Arm
Sich schluchzend los und floh und weinte.
Wie wenn beim heitern Sonnenlicht
Ein Donner durch den Aether bricht,
Der Landmann an dem Pfluge bebet
Und furchtsam rund umher sein Auge hebet,
So stand der Hauptmann schweigend da,
Als wär' er von den Himmeln allen
Ans Hochgericht herabgefallen;
Und wie ein Schrecktraum war ihm, was er sah.
»So hab' ich also mich betrogen;
So hab' ich aus der Freundlichkeit,
Die die Natur dem Weiberantlitz leiht,
Mir selbst nur Hoffnung vorgelogen;
Was ich als Zärtlichkeit gewogen,
War nur des Herzens Dankbarkeit.
Nein, nein! das Auge, das so himmlisch blickt,
So warm beseelt, so hoch entzückt,
Ist nicht, wenn auch Sanct Niklas selbst es schriebe,
Nicht unerfahren in der Liebe.
Ein Glücklicher hat schon ihr Herz gewonnen
Und hält sich fest in dem Besitz.
Ich hab' also umsonst begonnen,
Umsonst geträumt, umsonst gesonnen,
Ich, hier der Herr? -- Ha, welchen Aberwitz
Schlägt Leidenschaft in mein Gehirne!
Will ich auch wie ein andrer Sündenknecht
Gewaltsam brechen Tugend, Ehr' und Recht?
Mir stürmt das Herz, mir glüht die Stirne.
Nein, nein, es soll mich keine Rosendirne
Mich meiner einst zu schämen zwingen,
Und hätte sie ein Paradies
Von Zauberkraft, wie je Natur es wies!
Ich will der Pflicht ihr Opfer bringen.
Fort, fort von ihr, die meiner Seele Schwingen
Mit süßer Macht zusammenhält,
Eh ich in Amor's rosigem Reviere
Den Muth zu stehen und zu fliehn verliere!
Der Krieg sei wieder meine Welt!
Ha, Zauberin, mit welchem Blicke
Wirfst Du mich selbst von Deinem Blick zurücke!
Als zögen hundert Deiner Stricke
Unwiderstehlich mich zu Dir,
Steh' ich fast weinend wie ein Knabe hier.«
Nun schlich er still wie ein Verräther
Hinaus ins Feld und quälte sich
Mit eignen Qualen fürchterlich
Wie vor dem Hochgericht ein Missethäter.
Er zog mit wucherischem Geize
Des zauberischen Mädchens Reize
Im Traume wieder zu sich hin
Und wog den köstlichen Gewinn,
An ihrer Hand das Erdenleben
Ganz paradiesisch hinzuschweben,
Zurück mit liebetrunknem Sinn,
Und leise wob sich Hoffnung wieder
Durch schmeichelnde Sirenenlieder
In seine Seele magisch ein.
Es könnte wol ein Irrthum sein.
Es war ihm noch kein Mann mit Mienen
Des Nebenbuhlers hier erschienen.
Vielleicht war Soska nur im Streit,
Wie mehrere der jungen Schönen
Bei solchen feierlichen Scenen,
Mit Herz und Mädchensittsamkeit.
So fing er Alles an zu deuten
Und sich mit gaukelnder Magie
Am Faden seiner Phantasie
Den Blumenpfad hinaufzuleiten.
Schon wiegt' er sich wie Birkenwipfel
Im Abendroth der Morgenluft,
Wenn nach dem Wetter Alles Freude ruft,
Leicht auf der Hoffnung goldnem Gipfel
Und schlich in süß erträumter Ruh'
Dem nahen Hofe wieder zu.
Da sah er durch das offne Fenster
Im hohen vollen Abendlicht
Ein schönes, herrliches Gesicht;
Ihm aber war es ein Gesicht Gespenster.
Ein junger, schön gebauter Mann,
Stumm staunte der Kosack ihn an,
Ein Mann von Miene kriegrisch und von Farbe,
Auf seiner Stirn mit einer frischen Narbe,
Stand in der Abendsonne Schimmer
Mit Soska traulich in dem Zimmer,
Um ihre Schultern seinen Arm geschlungen;
Und lieblich flüsterte zu seinem Ohr
Die süße Schmeichlerin empor,
Als redte sie mit Engelzungen.
So selig hing sie fest an seinem Nacken,
Strich mit der weichen Rosenhand
Die Locken von den braunen Backen
Und küßte, wenn er schweigend stand
Und sanft auch ihr die leisen Worte starben,
Des jungen Kriegers neue Narben.
Nun ward dem Russen auf der Stelle
Des Mädchens ganze Stimmung helle.
In schmerzliches Gefühl verloren,
Stand er und sah, als laut sein Sporentritt
Den Liebenden den Gast verrieth.
Als wäre schnell sein Herz zu Eis gefroren,
Flog er vorüber vor dem Hause
Und warf sich auf das Bette seiner Klause.
Es hatte Vater Suwaroff
Mit einem Mal des Krieges ganzen Stoff
Bei Prag jetzt fürchterlich verzehret.
Und aus den Trümmern war sogleich
Des Friedens holder Ruf für manches Reich
Mit Segen wieder heimgekehret;
In dem Gewirr der heißen Schlacht
War Soska's Liebling seinem Tod entkommen
Und war den Morgen und die Mitternacht
Die Weichsel zweimal durchgeschwommen
Und ward, als er mit hoher Scham
Von dem Verderben heut zurücke kam,
Vom Onkel weinend liebreich aufgenommen.
Noch war mit tiefem, tiefem Schmerz
Des Patrioten altes Herz
Nur eine Stunde schwer beklommen,
Dann zwang er, in des Schicksals Schluß
Ergeben, Kummer und Verdruß.
»Was«, sprach er, »können Klagen frommen?
Du bist dem Untergang entflohn;
Nun bleib bei mir und sei mein Sohn!«
Wer sieht nicht, daß die jungen Anverwandten,
Die ihrer Jugend Rosenzeit
Einst hier mit Blumen überstreut,
Längst Herz und Herz zusammenfanden,
Und daß, die sich in ihren Frühlingsspielen
So einzig, einzig wohl gefielen,
Weit näher schon und zärtlicher sich kannten?
Das Mädchen hatt' ihm, als den Ruf zum Leben,
Da mit der tödlichsten Gefahr
Das Vaterland rundum belagert war,
Ihr Herz mit in den Krieg gegeben
Und manchen Abend in dem Haine
Bei Lunens stillem Silberscheine
In tiefem, heiligem Gebet
Zum Himmel heiß für ihn gefleht.
Er hatte Wunden sich erfochten
Und an Bellonens Eisenhand
Den letzten Bluttanz für das Vaterland
Zum letzten Gang mit ausgeflochten
Und war mit einer Thrän' aufs Schwert
Zu seinen Laren heimgekehrt,
Als schon der Tod den Köcher ausgeleert
Und Kopf und Arm nichts mehr zu retten mochten.
Der Alte stand an seines Lebens Abend,
Sich an dem Glück der Kinder labend,
Und sprach, als er der Herzen Kettung sah,
Schnell mit der frohsten Seele Ja.
»He, Fedor! sattle!« rief der Hauptmann laut,
Und murmelnd ging der alte Knappe;
Gesattelt kam der Schimmel und der Rappe;
Und wie der Mai stand dort die junge Braut,
Mit Freundlichkeit, obgleich nicht unter Küssen,
Den edlen Mann zum Abend zu begrüßen.
Doch der Kosack schritt schwer vorbei
Mit einem ernsten, stillen Gruße,
Als ging' er hin und thäte Buße,
Schwang sich aufs Pferd und blickte frei
Ins Abendroth und strich mit flacher Hand
Zweimal die Augen und verschwand.
Und auf dem kleinen Tische fand
Man nur dies Blättchen, flüchtig hingeschrieben:
»Ich gehe fort, und mir ist leicht und schwer;
Lebt wohl! Ihr sehet mich nicht mehr.
Mag Soska sagen, was mich fortgetrieben.
Ihr kanntet mich als guten Mann;
Wo man Gefahren nicht besiegen kann,
Ist Flucht der Sieg; und ich entrann.
Stein ist der Mann, der nicht darf lieben;
Drum tadelt nicht! Auf lange Zeit
Ist hier in der Erinnrung Seligkeit
Mein bester Theil zurückgeblieben.«
Der junge Mann sah kraus und quälte
Sich in der Leber schon mit Eifersucht,
Bis Soska den Zusammenhang der Flucht
Und Schritt vor Schritt getreu erzählte;
Und da erschien in der Geschichte
Der Hauptmann ihm in einem andern Lichte.
Der Alte stimmte feierlich
Mit manchem Kernfluch ein und wischte sich
Ob seines Flüchtlings guter, weicher Seele
Zwei Tropfen aus der Augenhöhle.
Nun ist nicht nöthig, daß ich noch erzähle,
Was weiter an dem Hof geschah.
Entzückt stand auch der junge Pole da
Und setzte zu des Hauptmanns Lobe,
In dem er solche Großmuth sah,
Die ganze Dialektik auf die Probe,
Und Alle schickten, wie er sprach,
Dem edlen Manne Segen nach;
Doch kam der Vetter aus dem Sturm von Prag,
Wenn ich mich auf den Seelenpuls verstehe,
Zu rechter Zeit noch eben vor dem Schlag;
Die Krise stand auf ihrer Höhe.
Und wär' er nicht zu Beider Frommen
Jetzt auf dem Punkte wieder angekommen,
Mit Soska's Herzen hätt' es baß gehapert,
Und der Kosack hätt' es gewiß,
So viel sich aus dem Anschein sehen ließ,
Mit seiner Ehrlichkeit gekapert.