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Der alte Turm hinten an unsrer Stadtmauer beschäftigte meine Phantasie, soweit ich zurückdenken kann. Die Erklärung mag in der frühesten Erinnerung an ihn liegen, die schauerlich genug ist. Eine Feuersbrunst wütete im Städtlein und gefährdete auch unser Haus. Lange hatte ich, durch den roten Schein aufgeweckt, in meinem Bettchen geschrieen. Da kam mein Vater, wickelte mich in einen Teppich und trug mich zum Hause hinaus. Ich sah ihm über die Schulter in den Wellenschlag des Feuers hinein, das um den Turm brandete. Jetzt hüllten Rauch und Qualm ihn ein. Samt dem Städtlein war er vergraben in greifbare Nacht, die aus dem verwundeten Schoße des düster glühenden Himmels herabgestürzt schien. Jetzt mußte sich mitten in der verdeckten Feuerstätte eine Windsbraut gebildet haben. Jach wurde der Qualm durch einen weißgelben Blitz zerrissen; man sah in die Hölle hinein. Oben über die Glut hin wirbelten Rauchballen, Flammenzungen, brennende Kugeln; die aufsteigenden Feuersäulen wurden vom Sturme niedergedrückt, und hoch und grell stand er da, der alte Turm, in der flammenklaren Luft zwischen Glut und Glut.

Dieses Bild mußte es mir angethan haben. Der alte Turm war mir der Inbegriff des Unversehrlichen und Ehrwürdigen. Als ich in unsrer Bibel einen Holzschnitt betrachtete, der die Schöpfung des Lichtes darstellte, fragte ich meine Mutter: Ist der liebe Gott so alt wie der alte Turm? Und als die Mutter lachen mußte, fügte ich hinzu: Aber der alte Turm ist viel älter als die Welt!

Später erfuhr ich von meinem Vater, daß der Turm zwar erheblich jünger sei, aber immerhin ein halbes Jahrtausend habe durchs Städtlein schreiten sehen. Als ich einmal mit meinen Eltern in der Kirche gewesen war, wies mein Vater beim Herausgehen auf den steinernen Ritter, der seit Jahrhunderten entblößten Hauptes im Brustharnisch und Panzerhemd neben der Kanzel steht und mit einem Zuge finstern Nachsinnens im Angesicht in die Kirchstühle hineinblickt. Der hat den alten Turm gebaut! sagte mein Vater zu mir. Da blieb ich stehen und schaute dem steinernen Herrn in die weitgeöffneten Augen. Der Lehrer hatte bereits die Klaviatur der Orgel zugeschlossen und war mit einem Seitenblicke an mir vorübergegangen, der Pfarrer und der das »Opfer« zählende Älteste hatten sich unter der Kirchhofspforte gesegnete Mahlzeit gewünscht, und alle Thüren bis auf eine waren zugeschlossen worden, als der Meßner, im Begriff, die Kirche zu verlassen, mir zurief: Heda, Kleiner, willst du hier bleiben?

Daheim beim Mittagessen fragte ich meinen Vater, warum das Schwert des Ritters abgebrochen sei. Das haben wohl dieselben gethan, die den Engeln im Chor die Hände und Köpfe abgehauen haben! sagte er. Wer war denn das? fragte ich entsetzt. Wahrscheinlich die Kroaten, die während des dreißigjährigen Krieges ein paar Tage lang im Städtchen gehaust haben.

Von dieser Zeit an wurden mir die Rotmäntel zum Typus alles Scheußlichen und Verbrecherischen. Als ich zum erstenmal den Wallenstein las, schien es mir ein großer Fehler des Stückes zu sein, daß die Kroaten als harmlose Kerle geschildert sind, die Perlenhalsbänder gegen blaue Mützen vertauschen und den braven Kapuziner beschützen, und daß gar der Kroatengeneral Isolani nicht die personifizierte Teufelei ist, sondern nur eine alte Kriegsgurgel ohne Würde und Charakter, das konnte ich lange nicht begreifen.

Nach jenem Kirchgang plagte ich einige Tage hindurch meinen Vater sehr mit Fragen, bis ich alles wußte, was die Kirchenbücher und Chroniken über jenen Einbruch der Kroaten berichteten.


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