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Leopold von Ranke

Politisches Gespräch

1836

Friedrich: Die Namen der beiden Gesprächsteilnehmer bilden zusammen die Vornamen von Rankes Freund Savigny, dem Begründer der historischen Rechtsschule. Mit ihm kam Ranke in jener Zeit fast täglich zusammen. In »Friedrich« kommt Ranke selbst zu Wort. Bei ihm sucht der Staatsrat Karl gegenüber dem zerstreuenden Leben der hohen Politik und der großen Gesellschaft Besinnung und Einsicht in die Staat und Politik bestimmenden Kräfte. So glänzend kommst du zu mir, in der Staatsratsuniform, sogar mit deinen ausländischen Orden?

Karl: Ich wette, du hast nicht einmal die Wagen vorbeirollen hören; wolltest du aber zwei Schritte mit mir gehen, so würde ich dir die hellerleuchteten Fenster zeigen, von denen ich herkomme. Sie strahlen über die ganze Straße daher.

Friedrich: Und aus alle dem Glanze stiehlst du dich in die Einsamkeit dieser Studierstube?

Karl: Um meinem benediktinischen Dem heiligen Benedikt gleichend, der 529 den Mönchsorden der Benediktiner gründete. Bruder guten Abend zu wünschen. Nachdem man Welt gesehen, sucht man auch einen Menschen auf; nachdem man Konversation geführt, will man auch eines Gespräches genießen.

Friedrich: Ich kann mir den Unterschied, den du da machst, schon gefallen lassen; sei mir desto herzlicher willkommen!

Karl: Du glaubst ja ohnehin nicht, daß es mich befriedigen könnte, mich unter alle den Herrschaften zu bewegen, die mancherlei Meinungen und Notizen, die einen Salon beherrschen, mit der Nuance der meinigen zu versetzen.

Friedrich: Du redest, wie die meisten Weltkinder reden, von Byron an; du fühlst dich ermüdet, abgespannt.

Karl: Welt und Konversation geben doch nur eine Berührung im Elemente des Allgemeinen, an der Oberfläche des Geistes: man sieht Menschen, welche die Gunst der Umstände oder die Geburt auf die Höhe der Gesellschaft gehoben; man hört von den Dingen, auf welche der Augenblick die Aufmerksamkeit gelenkt hat; es ist eine Gemeinschaft der flüchtigsten Art, die sich unaufhörlich verwandelt und dabei doch jahraus jahrein die nämliche bleibt. Es gibt Leute, die darin ihre Befriedigung sehen; mir ist dieses abwechselnde Einerlei etwas drückend.

Friedrich: Gleichwohl wirst du es nicht völlig entbehren wollen. Es müssen in der vornehmen Gesellschaft doch zugleich die Interessen der Welt, durch welche sie wirklich in Bewegung gesetzt wird, wäre es auch nur flüchtig und, wie du sagst, an der Oberfläche, zutage kommen. Es muß euch interessant sein, sie hervortauchen, immer stärker werden, zur Herrschaft gelangen, wieder verschwinden zu sehen. Wovon sprach man heute vorzüglich?

Karl: Mein Gott, es wiederholt sich die Zeitung, wie ein jeder sie auffaßt: Spannung zwischen England und Rußland; Portfolio; Rückgabe von Silistria; Rußland hatte 1828 die Donaufürstentümer, 1829 Silistria besetzt. Nach dem Defensivvertrag, den es 1833 mit der Türkei schloß, wurden die Donaufürstentümer zurückgegeben, Silistria aber blieb in den Händen der Russen. Dies führte zu Spannungen mit England. – Dort erschien das Portfolio, eine von dem Rußland feindlichen David Urquhart herausgegebene Sammlung »geheimer zeitgeschichtlicher Aktenstücke zum Teil abenteuerlicher Herkunft, die die russische Politik belasten, die verborgenen Risse in der Allianz der konservativen Ostmächte enthüllen und der Sache des Liberalismus dienen sollte« (Meinecke). die Reise der französischen Prinzen; Alibaud; Verübte im Juni 1836 ein Attentat auf den französischen König und wurde am 11. Juli 1836 hingerichtet. die geringe Aufmerksamkeit, welche man heutzutage den Kammerverhandlungen widmet; Eisenbahnen und Perkussionsgewehre; Krieg und Friede: mit einem Worte alles, was du willst.

Friedrich: Aber einige Gesichtspunkte, einige Meinungen walteten vor?

Karl: Nach den verschiedenen Ständen. Den jungen Offizieren leuchten die Augen bei dem bloßen Gedanken an Krieg, ohne daß sie viel danach fragen sollten, gegen wen es gehe; – sie ergreifen die Feindseligkeiten des Portfolio; – sie glauben, man wolle es in England ernstlich zum Bruche bringen; – sie zweifeln nicht, daß das Feuer dann unverzüglich das übrige Europa und die Welt ergreifen werde.

Friedrich: Was wäre es auch für eine Armee, die den Krieg nicht von Herzen herbeiwünschte: Tätigkeit, Geltung, Avancement? Ich verdenke es keinem.

Karl: Es ist nur sonderbar, daß man niemals gewaltiger und allgemeiner gerüstet war als jetzt, und daß man niemals längeren Frieden hatte.

Friedrich: Das bedingt sich nun wohl. Der Krieg wurde sonst mit dem Überschuß der Kräfte geführt, mit den Leuten, die man entbehren konnte, mit dem Gelde, das sich entweder im Schatze fand oder doch ohne allzu große Anstrengung aufzubringen war; jetzt schlagen die Nationen, bewaffnet wie sie sind, beinahe Mann bei Mann, mit aller ihrer Kraft; die Kosten der ersten Ausrüstung schon sind unerschwinglich; zu einem Kampfe auf Leben und Tod müßte man sich gefaßt machen; kein Wunder, daß man sich ein wenig besinnt. – Aber du wolltest noch von einer andern Meinung reden.

Karl: Die Administration dagegen sieht mit Vergnügen den langen Frieden kommen. Man hört auf, den Gegensatz der absoluten und konstitutionellen Monarchien zu fürchten, der die Aussicht alle die Jahre daher bewölkte und so gefährlich schien. Justemilieu, Die Politik der »richtigen Mitte«. Nach der Julirevolution 1830 versuchte der Bürgerkönig Louis Philipp eine vorsichtige Politik der Mitte zwischen den Ultraroyalisten und den Revolutionären. das sich so lange ruhig halten mußte, schöpft wieder Atem. Man hofft, alles werde die Unmöglichkeit einsehen, in den Extremen zu regieren.

Friedrich: Und zu dieser Meinung, dünkt mich, wirst auch du dich halten.

Karl: Wie könnte ich anders? Darf sich die Politik der unaufhörlichen Bewegung der populären oder den retardierenden Prinzipien der aristokratischen Tendenzen ergeben? Und muß man nicht in ihrem Kampfe eine Stellung zwischen ihnen ergreifen, schon darum, um ihnen nicht dienstbar zu werden und sich nicht durch ihren Impuls von dem, was man will, zu dem, was man nicht will, fortreißen zu lassen?

Friedrich: Sehr weise.

Karl: Und sehr notwendig. Wo wäre auch ein Staat, der sich nicht in der Notwendigkeit sähe, diesen Ausweg zu ergreifen? Man hätte glauben sollen, nach der letzten französischen Revolution würden Bewegung und Liberalismus ein unwiderstehliches Übergewicht davontragen; aber die aus dem Umsturz hervorgegangene Regierung selbst sah sich nach wenig Tagen gezwungen, sich in den Widerstand zu werfen, und es liegt vor Augen, welche Rückwirkung dies, wie auf das gesamte Europa, so besonders auf unser konstitutionelles Deutschland ausgeübt hat. Die Whigs Parteiname für die Liberalen zuerst in England (Ende des 17. Jahrhunderts), dann oft auch allgemein. schiffen zwischen Radikalismus und konservativen Prinzipien: sie mögen jenen noch so sehr zu begünstigen scheinen, so haben sie diese nicht aufgegeben.

Friedrich: Glaubst du in der Tat, daß sich auf solche Weise regieren läßt?

Karl: Wärst du nicht dieser Meinung?

Friedrich: Ich befinde mich in dem besonderen Falle, dir im ganzen beizustimmen und dabei doch widersprechen zu müssen.

Karl: Was kannst du aber dagegen sagen? Erkläre mir deine Meinung!

Friedrich: Hast du auch Neigung, indem du aus einer heiteren Gesellschaft kommst, geduldig auf die Erörterung einer sehr ernsten Frage einzugehen? Denn tiefer, als du denkst, möchten wir fortgezogen werden.

Karl: Wie sollte ich nicht: auf diese Weise gelangen wir ja allein von der Konversation zum Gespräch, von dem Abgemachten zu dem Suchen und Finden.

Friedrich: Antworte mir denn zunächst auf eine Frage: hast du wohl je bestätigt gefunden, was so häufig ausgesprochen wird, die Wahrheit liege in der Mitte?

Karl: Ich habe wenigstens immer bemerkt, daß sie nicht in den Extremen zu suchen ist.

Friedrich: Aus den Extremen aber wirst du nicht auf die Wahrheit schließen können. Die Wahrheit liegt überhaupt außer dem Bereiche des Irrtums. Aus allen Gestalten des Irrtums zusammengenommen könntest du sie nicht abstrahieren: sie will gefunden sein, angeschaut, an und für sich, in ihrem eigenen Kreise. Aus allen Ketzereien der Welt könntest du nicht entnehmen, was das Christentum ist; du mußt das Evangelium lesen, um es kennenzulernen. Ja, wir dürfen behaupten, aus allem Lob und Tadel der Welt wird sich noch kein gesundes Urteil bilden lassen, so gewissenhaft du auch die Mitte zwischen beiden aufsuchen magst.

Karl: Ich will deinen Satz fürs erste gelten lassen; was hat das aber mit dem Justemilieu zu schaffen?

Friedrich: Auch in dem Staat nimmst du Extreme der Meinung wahr. Ich gebe dir zu, daß sie die rechte nicht enthalten mögen; wer sagt dir aber, daß diese in der Mitte liegt?

Karl: Der Staat ist kein Doktrin. Die Parteien verteidigen nicht bloß Meinungen: sie selbst sind Kräfte, Gewalten, die einander gegenüberstehen, einander bekämpfen, sich aus der Stelle treiben, wie wir ja täglich wahrnehmen.

Friedrich: Und zwischen denen nun, meinst du, soll die Regierung das Gleichgewicht erhalten?

Karl: Jawohl. Regieren ist Führen, Lenken.

Friedrich: Ich frage dich aber, wie sie das vermag? Wo nimmt sie die Kraft dazu her?

Karl: Es gibt in unserer Zeit keine Verfassung, welche der Regierung, auch einer beschränkten, nicht ein bedeutendes Maß von Macht zugestünde.

Friedrich: Erlaub mir! Macht an sich tut es nicht; sie ist ein Instrument, bei dem es erst darauf ankommt, wozu man es braucht, ob man es überhaupt zu brauchen versteht. Deine Regierung würde keine Bedeutung in sich selbst haben.

Karl: Wieso das? Hat es keine Bedeutung, den Kampf zu verhüten, das allgemeine Beste zu befördern? – Höre mich an! – Wie wir auch Staat und Gesellschaft definieren mögen, so bleibt immer ein Gegensatz zwischen Obrigkeit und Untertan, zwischen der Masse der Regierten und der kleinen Zahl der Regierenden. Die Dinge mögen nun stehen, wie sie wollen, so wird sich allemal finden, daß zuletzt das Interesse der großen Zahl überwiegt, der Regierende sich auf eine oder die andere Weise unterordnet. In der Masse aber wird es immer Entzweiungen geben, verschiedene Parteien, was wir nicht eben allemal als Desorganisation betrachten dürfen; es ist häufig nur eine Lebensform, bei welcher das allgemeine Wohl recht gut gedeiht. Was kann da die Regierung Besseres tun, als daß sie die Übermacht der einen und der andern oder ein gefährliches Zusammentreffen beider vermeidet?

Friedrich: Du entschlüpfst mir damit nicht. Auf diese Weise wird die Welt den Parteien gehören; in ihnen wird das Leben liegen, die Regierung wird nur der Punkt der Indifferenz sein; eben dies kann ich dir nicht zugeben.

Karl: Und warum nicht?

Friedrich: Du wirst mir zugestehen, und es liegt in deinen Worten, daß die Parteien, von denen du redest, geistige Kräfte repräsentieren, nicht allein ein gewisses Maß von Macht.

Karl: Ohne Zweifel Kräfte und Tendenzen.

Friedrich: Muß nicht die Regierung, um diese Kräfte zu bekämpfen, in Zaum zu halten, selber eine stärkere geistige Kraft sein? Du schreibst ihr eine Handlung zu: was ist das Agens, das Wirksame? Mit dem bloßen guten Willen der Vermittlung wirst du es nicht ausrichten. Eine Wesenheit, ein Selbst mußt du haben.

Karl: Wie dem auch sei, soviel bleibt immer wahr, daß die Regierung die Mitte zwischen den Parteien wird behaupten müssen.

Friedrich: Eben hier liegt unsere Übereinstimmung und unsere Differenz. Es gibt, deucht mich, eine doppelte Vorstellung von Justemilieu. Nach der einen ist es eigentlich negativer Art: da machen die Parteien den Staat aus; die herrschende Gewalt ist nur beflissen, keiner unrecht zu tun, sich zwischen ihnen zu halten. Das schien mir deine Vorstellung zu sein. Nach der andern aber ist es vielmehr positiv: es stößt allerdings die Parteien, die Extreme von sich aus, aber nur darum, weil es seinen eigenen positiven Inhalt hat, seine natürliche eigentümliche Tendenz, die es vor allem durchsetzen muß.

Karl: Insofern hast du freilich recht, daß diese Frage uns tiefer führen wird. Es ist das Wesen des Staates überhaupt, zu dem unser Gespräch – und ich gestehe, zu meiner Genugtuung – sich wendet. Schon öfter habe ich empfunden, daß du dir darüber eine von der meinen abweichende Vorstellung gebildet hast. Wenn dich nichts abhält, so stehe mir heute ausführlicher Rede. Was verstehst du unter dem positiven geistigen Inhalt des Staates? Gehen sie nicht alle von demselben Anfang aus? Haben sie nicht alle die nämlichen Pflichten? Ist ihre Verschiedenheit nicht zufälliger Art?

Friedrich: In der Tat, alle diese Fragen, die du zu bejahen scheinst, beantworte ich mit einem entschlossenen Nein. Wenn wir uns verstehen wollen, müssen wir allerdings einen Schritt weiter gehen.

Kennst du das kleine Buch, das da auf dem Tische liegt?

Karl: Les deux derniers chapitres de ma philosophie de la guerre. Von wem?

Friedrich: Lies auch den innern Titel.

Karl: Ah! von Chambray, G. de Chambray schrieb eine Geschichte der russischen Expedition (1812), die 1823 in Paris erschien und 1814 bereits in zwei deutschen Ausgaben vorlag. dem fleißigen und einsichtsvollen Geschichtschreiber des Feldzuges in Rußland. Auch den Inhalt gibt sogleich der Titel an: Chap. IX. Des institutions militaires dans leurs rapports avec les constitutions politiques et avec les institutions civiles. Schon ein glücklicher Gedanke! – Ich wäre begierig, zu erfahren, wohin seine Meinung geht.

Friedrich: Er findet, daß die militärischen Einrichtungen mit innerer Notwendigkeit dem Zustande der Gesellschaft, der bürgerlichen Verfassung entsprechen.

Karl: Führe mir ein Beispiel an.

Friedrich: Die englische Armee entspricht dem unreformierten Parlament. Die Aristokratie, welche beide Häuser erfüllte, votierte jährlich die Existenz derselben; wie es das Interesse der Aristokratie war – denn sie machte ja im Grunde den Staat aus –, die bestehende Ordnung der Dinge zu erhalten, so hatte sie infolge einiger eigentümlicher Einrichtungen die Offizierstellen eingenommen und hat sie noch behauptet. Unteroffiziere und Gemeine dagegen werden angeworben; durch bessere Löhnung und sorgfältigere Pflege, als irgendeine andere europäische Truppe genießt, wie sie aber der Zustand der Nation fordert und möglich macht, werden sie bei gutem Willen und zugleich durch die strengste Zucht, durch die härtesten Strafen in Unterordnung gehalten.

Karl: Daraus scheint sich zu ergeben, daß, wenn die Verfassung fernere Abänderungen erfährt, solche auch in der Armee nicht ausbleiben werden.

Friedrich: Ich zweifle nicht, sowie die Abänderungen nur noch tiefer eingreifen.

Karl: Auch leitet sich der Gegensatz daher ab, in welchem die englische mit der preußischen Armee steht.

Friedrich: Auch in Preußen findet der Autor militärische und bürgerliche Institutionen in vollkommener Übereinstimmung; die allgemeine Dienstpflicht mit der individuellen Freiheit und der Teilung des Eigentums; die Einrichtung der Landwehr mit den munizipalen Berechtigungen; die Bevorzugung der gebildeten Klassen beim einjährigen Dienst mit der Stellung, welche diese überhaupt einnehmen. Daß der Unteroffizier Aussicht auf Versorgung habe, knüpfe ihn um so enger an den Staat. »Ein Land«, ruft er aus, »welches eine Miliz hat, wie die Landwehr, und Institutionen, wie die Städteordnung, besitzt die Freiheit in der Tat«.

Karl: Wie waren es zwei so durchaus verschiedene Armeen, welche Napoleon bei Waterloo überwanden, von nahe verwandten Nationen, aber nach verschiedenen inneren Motiven gebildet, die eine angeworben, wohlverpflegt, ausharrend, aristokratisch, die andere national, beweglich, bereit, auch allenfalls Mangel zu leiden, unermüdlich. Es ist recht bedeutend, daß die Vereinigung zwei so entgegengesetzter Waffenbrüderschaften, von denen die eine den alten, die andere den neuen Zustand des germanischen Europa in sich schloß, den letzten entscheidenden Sieg erfocht. Man begreift es, daß Wellington damals die Verfolgung ablehnte und daß er auch seitdem keine Lust bezeigt, die Institutionen seiner Armee zu verändern. Er ist eben auch hier ein Antireformer. Von seinen Mitstreitern vermochte er sich nicht einmal einen Begriff zu verschaffen. – Spricht Chambray auch von der französischen Armee nach Napoleon?

Friedrich: Er ist nicht gerade ihr Bewunderer. Er kann es nicht vertragen, daß ein General, der zwanzig Schlachten gewonnen, nicht soviel politische Rechte ausüben soll, als ein Krämer, welcher ein paar hundert Franken Steuer zahlt. Das Avancement findet er bei weitem mehr von der Empfehlung eines Deputierten abhängig, der doch nur ein persönliches Interesse an dem Empfohlenen nimmt, als von dem Oberbefehlshaber, der denselben in den verschiedensten Lagen neben seinen Mitbewerbern geprüft hat. Die Offiziere scheinen zum Teil sogar ein Interesse bei einer Staatsveränderung zu haben, weil sich voraussehen läßt, daß viele dann nicht weiter dienen, sondern sich zurückziehen und mithin zahlreiche Avancements eintreten werden.

Karl: Sonderbar, wie der Zustand der Gesellschaft mit den Elementen, die in ihr vorherrschen, jedes einzelne Institut erfüllt. Es ist das doppelt merkwürdig bei der bewaffneten Macht, die einen so unbedingten und von dem Gange der inneren Staatsverwaltung unabhängigen Zweck hat, wo man von jeher sich alles anzueignen befleißigte, was sich bei dem Nachbar oder dem Feinde brauchbar erwies. –

Friedrich: Eben das ist meine Bemerkung. Die das Ganze belebende, beherrschende Idee, der vorwaltende Zug des Geistes, der allgemeine Zustand bedingen Bildung und Wesen jedes Institutes. Man könnte freilich sagen, das Institut habe ganz für sich eine unabhängige Bedeutung. Insofern aber, in der Tat, sehe ich darin wenig mehr als eine Forderung, eine Möglichkeit; erst in der Ausführung erhält es geistige Realität; dann aber treten auch sofort die Unterschiede hervor.

Karl: Ich gestehe, ich habe schon öfter etwas Ähnliches wahrzunehmen geglaubt. Man rät uns oft an, eine oder die andere Einrichtung aus einem andern Lande aufzunehmen; aber wer steht uns dafür, daß sie bei uns nicht in etwas anderes umschlägt? Die Franzosen wünschten, sich das deutsche Unterrichtssystem anzueignen. Dies System beruht jedoch so sehr auf den Bedürfnissen, Gedanken und der Entwicklung der deutschen protestantischen Kirche, es ist so ganz vom Geiste derselben durchdrungen und getränkt, daß sie wohl nur die äußersten Umrisse, nur die Anschauung der zur Erscheinung gebrachten Idee an sich bringen können. Welch einen Unterschied nehmen wir zwischen den Universitäten der verschiedenen Länder wahr, obwohl sie in allen auf derselben historischen Grundlage beruhen!

Friedrich: Nun wohl! mit Vergnügen sehe ich, daß du hierin mit mir übereinstimmst. Es ist ein wesentliches Stück der Vorstellung, die wir zur Klarheit zu bringen haben. Dieselben Institute, mit demselben Zwecke, die auf den nämlichen historischen Grundlagen beruhen, sehen wir doch in den verschiedenen Ländern die abweichendsten Gestalten annehmen. – Woher, meinst du, daß dies abzuleiten ist?

Karl: Ich zweifle nicht, von den verschiedenen Verfassungen. – Die englische Kirche bringt die englischen Universitäten hervor, die Verfassung des Parlaments bestimmt die militärischen Institute; – mit unsrer Kirche und unserm Staate hängen alle Einrichtungen unsres Landes auf das genaueste zusammen.

Friedrich: Zugestanden: aber ich frage weiter, wovon hängt die Verfassung ab?

Karl: Du wirst nicht fragen, wie sich eine jede im Laufe der Zeit entwickelt hat. Nur darauf, dächt' ich, käme es an, worin sie besteht. Der Gegensatz der Staatskörper, das Verhältnis der Gewalten, das Übergewicht der einen oder der andern, die ganze innere Ökonomie eines Landes, endlich die Bildungsstufe, auf der sich die Nation befindet.

Friedrich: Wäre dem so, so müßtest du ja Konstitutionen kopieren und nach einiger Vorbereitung und Heranbildung auf einen andern Boden übertragen können. Ist es aber, wie du zugestehst und dir praktisch einleuchtet, schon so schwierig, einzelne Einrichtungen zu verpflanzen, wird es nicht in Hinsicht der allgemeinen Verfassung geradezu unmöglich sein? Selbst wenn dir das besser gelänge, als es gelingen kann, so würde doch etwas anderes, Verschiedenes entstehen.

Karl: Nach den verschiedenen Modifikationen der Zustände, wie ja auch eine lebendige Verfassung in dem eigenen Lande unaufhörliche Abwandlungen erfährt.

Friedrich: Täuschen wir uns nicht mit Möglichkeiten, an die wir doch eigentlich nicht glauben. Die Formen lassen sich verpflanzen; das aber, woher dieselben ihren Ursprung haben, nicht allein historische Grundlagen, sondern der Geist, welcher Vergangenheit und Gegenwart verbindet, und der auch die Zukunft beleben muß, wie wollt ihr den kopieren? Oder vielmehr – denn das würde nicht einmal etwas helfen – ihr müßtet euch seiner bemächtigen und ihn selbst eurer neuen Schöpfung einhauchen.

Karl: Ich sollte doch glauben, es wäre ohnehin eine innere Verwandtschaft da. Allenthalben sehe ich die drei Stände, ähnliche Formen, korrespondierende Parteien, die den wärmsten Anteil an Interessen nehmen, von denen sie unmittelbar gar nicht berührt werden. Es gibt einen Geist der Aristokratie, der Demokratie, der gemischten oder der reinen Monarchie. Ich will nicht sagen, daß alles gleich sein müsse, ich bin weit davon entfernt. Aber eine Verfassung hat an der einen, eine andere an der andern Stelle eine vollkommenere Ausbildung: warum soll man nicht dieses Vollkommenere nachahmen, sich aneignen können?

Friedrich: Du scheinst mir diese Verfassungsarten zu hoch anzuschlagen. Es sind Klassifikationen, wie in der Botanik; aber glaubst du, daß ein Liebhaber seine Blumen an den Staubfäden erkennt? Man machte jene Unterscheidungen im Altertum, und so haben sie sich in Geltung erhalten. Jedoch noch etwas anderes lebte in Athen, als der demokratische Geist. Die Demokratie hat die Ideale der schönen Kunst nicht hervorgebracht: Plato war ein schlechter Demokrat. Denke dir die Aristokratie nach allen ihren Prädikaten, niemals könntest du Sparta ahnen, ich will nicht sagen, seine Taten und Sitten, sondern nur die Art und Weise seiner Verfassung, nur das Verhältnis zwischen Spartiaten, Lacedämoniern und Heloten.

Karl: Doch wirft du diese Unterscheidungen nicht für unwichtig erklären. Du wirst nicht leugnen, daß die verschiedenen Staaten etwas Gemeinschaftliches haben.

Friedrich: Mich deucht aber, wir müssen das Formelle und das Reale unterscheiden. Das Formelle ist das Allgemeine, das Reale ist das Besondere, Lebendige. Gewisse Formen der Verfassung, – namentlich die, welche eine Beschränkung der persönlichen Willkür bezwecken, – Festsetzungen der Standesverhältnisse mögen allen Staaten notwendig sein. Aber sie sind nicht das ursprüngliche Leben, durch welches vielmehr alle Formen erst ihren Inhalt bekommen. Es gibt etwas, wodurch jeder Staat nicht eine Abteilung des Allgemeinen, sondern wodurch er Leben ist, Individuum, er selber.

Karl: Verstehe ich dich recht, so weicht deine Ansicht dadurch von andern ab, daß man gewöhnlich von den Verschiedenheiten der Form ausgeht und aus den Gattungen, die man annimmt, das Individuelle hervortreten läßt; du dagegen betrachtest die Formen mehr als ein zweites, untergeordnetes Element: als ursprünglich setzest du das eigentümlich geistige Dasein des individuellen Staates, sein Prinzip.

Friedrich: Wir können es uns an dem Beispiele der Sprache deutlich machen. Die Formen, in denen sich die Grammatik bewegt, haben eine allgemeine Übereinstimmung: sie kehren immer und überall auf gewisse Weise wieder. Aber der Geist jeder besonderen Sprache bringt eine unendliche Mannigfaltigkeit von Modifikationen hervor. Unter dem Prinzip des Staates haben wir nicht eine Abstraktion der Meinung, sondern sein inneres Leben zu verstehen; dies Prinzip verleiht jenen Formen der menschlichen Gesellschaft, die, ich leugne es nicht, ihr unentbehrlich sind, erst ihre bestimmende Modifikation, die Erfüllung der Realität.

Karl: Du setzest demnach gleichsam verschiedene geistige Substanzen, welche alle Modalitäten der Verfassung und der Gesellschaft erst beleben. Aber sprichst du damit nicht aller allgemeinen Politik Hohn? Du scheinst mir die ersten Grundfragen, von denen die Doktrin über den Staat auszugehen pflegt, zu übersehen.

Friedrich: Du meinst die Fragen über die ursprüngliche Bildung der Staaten, das Pactum unionis et subjectionis.

Die Staatslehre des Naturrechts leitete den Staat aus Urverträgen ab. Sie unterschied einen Gesellschafts- oder »Vereinigungsvertrag« ( pactum unionis), auf Grund dessen sich die Menschen zum Staat zusammenschlossen, und einen »Unterwerfungsvertrag« ( pactum subjectionis), durch den sie bestimmten Organen die Herrschaft übertrugen. Siehe O. Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. 1880.

Karl: Welches der Anfang des Staates überhaupt war, Gewalt oder Vertrag, ob die Regierung eine ihr delegierte oder ursprünglich inhärierende Befugnis ausübt.

Friedrich: Verzeih mir, es ist ein Gebiet, das ich ungern berühre. Es liegt jenseit unserer Wahrnehmung. Hast du wohl vor kurzem die Sternwarte besucht und unsern neuen Fraunhofer Der Astronom und Physiker Joseph von Fraunhofer (1787–1826) war zuerst Spiegelschleifer, konstruierte dann in der optischen Werkstätte von Reichenbach in Benediktbeuren moderne Fernrohre und wurde 1823 Professor an der Universität München. Der berühmte Entdecker der Fraunhoferschen Linien im Sonnenspektrum.] erprobt?

Karl: Wie kommst du darauf?

Friedrich: Wenn man den ganzen Himmel betrachtet hat, selbst die unermeßlichen Sterngruppen, die die Milchstraße ausmachen, und den Blick immer tiefer in den unendlichen Raum versenkt, so begegnet uns in letzter Entfernung gleichsam eine zweite Nacht, noch tiefer und dunkler, auf deren Boden wir eine neue Welt, wunderbarere Gebilde wahrnehmen.

Karl: Die Nebelflecke meinst du.

Friedrich: Schwachleuchtende flüssige Meteore, bald Scheiben, bald Bogen, bald Ringe, und doch eine Sternenwelt, von der man glauben möchte, sie wäre noch in ihrer Bildung begriffen. Ich frage dich, soll man wohl die Astronomie auf die unsichern Beobachtungen gründen, die wir in jenem Gebiete machen können?

Karl: Und scheinen dir die Theorien über den Staat, die sich in so strenger Form darstellen, wirklich mit einem so chimärischen Beginnen verglichen werden zu können?

Friedrich: Man übersieht das, was man zunächst hat, und aus der dunkelsten Ferne sucht man zerstreute Tatsachen auf, um sie doch auf das Nächste anzuwenden. Aber Kepler entdeckte die Gesetze, die nach ihm den Namen führen, nur nach den genauesten, sorgfältigsten Beobachtungen eines wirklich zu erreichenden, zu berechnenden Himmelskörpers.

Karl: Wolltest du der allgemeinen Politik, wie wir sie jetzt haben, ihre Gültigkeit überhaupt ableugnen?

Friedrich: Sie ist mir so problematisch wie der Wert der sogenannten philosophischen Grammatik. Auch diese führt mit der logischen Erörterung allgemeiner Sprachformen niemals zum Ziele. Jede Sprache stellt tausend besondere Modifikationen derselben dar. Erst durch umfassende historische Untersuchung und Kombination wird man sich zu ahnender Erkenntnis der in der Tiefe waltenden, alle beherrschenden geistigen Gesetze erheben. Wie mit jener Grammatik, so steht es mit der Politik, die von der leeren Idee des Staates ausgeht. Erinnere dich an Fichte. »Da die Oberfläche der Erde zerschnitten ist,« sagte er, »durch Meere, Flüsse, Gebirge, und durch sie die Menschen getrennt, so ward es auch dadurch notwendig, daß verschiedene Staaten entstunden.« Glaubst du, daß man von einem solchen Anfang aus wirklich zur Anschauung und Würdigung des Ursprünglichen und in dem Geiste Verschiedenen gelangen kann?

Karl: Unerläßlich aber bleibt immer die allgemeine Erörterung. Der Mensch muß doch wissen, warum er im Staate ist, warum er gehorcht.

Friedrich: Du hast recht, daß die Theorie von diesem Bedürfnis ausgeht. Sie ist eine Vermittlung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht. Jenes sucht in diesem seinen Schutz, seine letzte Gewährleistung; dieses nimmt die Elemente des ersten in sich auf.

Karl: Und kommt es nicht in der Tat auf diese Vermittlung an? Ist nicht die allgemeine Sicherheit eines der vorzüglichsten Resultate moderner Staatsverwaltung?

Friedrich: Ich leugne das nicht. Aber es wird sich aus dieser allgemeinen Forderung, die doch nur eine Rücksicht des Privatlebens ausmacht, höchstens auf die Notwendigkeit gewisser Formen und Bildungen schließen lassen, so wie dort in jenem Nebelmeere die ätherischen, flüssigen Gestalten sich auch hie und da wieder kompakter zeigen, sich um einen Kern gruppieren. Die frühesten Anfänge der Bildung kann man auf diese Weise erläutern, nicht aber zur Anschauung und Beurteilung der vollendeten Wesenheiten gelangen.

Karl: Und so leugnest du, daß sich mit dem Begriffe des Staates im allgemeinen viel anfangen lasse.

Friedrich: Ich halte dafür, die echte Politik muß eine historische Grundlage haben, auf Beobachtung der mächtigen und in sich selbst zu namhafter Entwicklung gediehenen Staaten beruhen.

Karl: Wird man nicht aus dem Allgemeinen zu dem Besonderen fortgehen können?

Friedrich: Ohne Sprung, ohne neuen Anfang kann man aus dem Allgemeinen gar nicht in das Besondere gelangen. Das Real-Geistige, welches in ungeahnter Originalität dir plötzlich vor den Augen steht, läßt sich von keinem höheren Prinzip ableiten. Aus dem Besonderen kannst du wohl bedachtsam und kühn zu dem Allgemeinen aufsteigen; aus der allgemeinen Theorie gibt es keinen Weg zur Anschauung des Besonderen.

Karl: Worin setzest du aber dies Besondere?

Friedrich: Laß uns von dem Allergeringsten anfangen. Sieh da unsern Jacques, Hier als Figur des Dieners eingeführt. eine Art von dienendem Kosmopoliten, der sein Talent der Dienstbarkeit schon in Italien, in Konstantinopel und Petersburg versucht hat und durch ungünstige Winde endlich in diese Einsiedelei eines deutschen Gelehrten verschlagen worden, – ist er nicht in jeder seiner Bewegungen ein alter Franzos?

Karl: So bewegt er die Arme, wenn er auf der Straße geht, so faßt er die Lampe an; so gebärdet er sich, wenn ihm etwas Unerwartetes begegnet; so sind seine Gefühle, vielleicht seine Gedanken.

Friedrich: Nicht dort ist unser Vaterland, wo es uns endlich einmal wohl ergeht. Unser Vaterland ist vielmehr mit uns, in uns. Deutschland lebt in uns; wir stellen es dar, mögen wir wollen oder nicht, in jedem Lande, dahin wir uns verfügen, unter jeder Zone. Wir beruhen darauf von Anfang an und können uns nicht emanzipieren. Dieses geheime Etwas, das den Geringsten erfüllt, wie den Vornehmsten, – diese geistige Luft, die wir aus- und einatmen, – geht aller Verfassung vorher, belebt und erfüllt alle ihre Formen.

Karl: Es scheint, als fielen dir Nationalität und Staat zusammen.

Friedrich: Das ist doch weniger der Fall, als man glauben sollte. Die Nationen haben eine Tendenz, Staat zu sein; doch wüßte ich keine einzige, die es wirklich wäre. Frankreich, das diesem Ziele vielleicht am nächsten kommt, umfaßt lange nicht alle Franzosen, weder jene Kanadier, welche in ihrer Entfernung und Absonderung, wie man sagt, das alte feudale Frankreich zu repräsentieren fortfahren, noch auch seine nächsten Nachbarn in Savoyen und der Schweiz. Noch weiter entfernt davon ist England. Seine Kolonien haben sich in Masse von ihm abgesondert und in einer dem Mutterlande entgegengesetzten Bewegung entwickelt. Von Deutschland braucht man gar nicht zu reden. Wollte man selbst den deutschen Bund als eine Art von Staat betrachten, was sich doch nur in einem sehr uneigentlichen Sinne verteidigen ließe, so wären doch lange nicht alle Deutsche darunter begriffen.

Karl: Woher leitest du diese Erscheinung ab? Auf Nationalität müßte doch, deiner Idee zufolge, der Staat sich gründen.

Friedrich: Der Staat ist seiner Natur nach bei weitem enger geschlossen als die Nation; er ist eine Modifikation wie des menschlichen so auch des nationalen Daseins.

Karl: Und wodurch kommt diese Modifikation zustande?

Friedrich: In die Zeiten der Urwelt können wir nicht hinabsteigen. Unsere Geschichte umfaßt eine kurze Spanne Zeit, und auch diese wie unvollständig und zweifelhaft! Was wollte es uns auch helfen, zu Epochen zurückzukehren, wo andere Vorstellungen von Erde und Himmel, andere Religionen die Welt beherrschten, wo dann andere Bedürfnisse, Fehler und Tugenden auf Einrichtungen führten, welche ihnen entsprachen. Wir finden die Welt von bürgerlichen Verfassungen eingenommen. Aber darum hört die Produktion keinen Augenblick auf. Aus dem Unscheinbaren erhebt sich durch eine neue Belebung das Gewaltige; aus der Zerstörung selbst erwachsen, es ist wahr, unter Zuckungen, aber doch haltbar neue Formen. Dies zu beobachten, die Regel des Werdens zu finden, halte ich für wichtiger und ist mir wenigstens interessanter als alle von ihrem Gegenstande getrennte Reflexion.

Karl: Du wirst schon angefangen haben, Beobachtungen anzustellen. Ich will sie dir heute nicht abverlangen. Aber im allgemeinen, wie findest du, daß diese neuen Gestaltungen entspringen?

Friedrich: Natur der Dinge und Gelegenheit, Genius und Glück wirken zusammen.

Karl: Das Glück? Du meinst den Ausschlag der Begebenheit, den Sieg.

Friedrich: Den Moment, in welchem die Unabhängigkeit erkämpft und in Besitz gebracht ist.

Karl: In deiner Politik, scheint es, werden die auswärtigen Verhältnisse eine große Rolle spielen.

Friedrich: Die Welt, wie gesagt, ist eingenommen. Um etwas zu sein, muß man sich erheben aus eigener Kraft, freie Selbständigkeit entwickeln, und das Recht, das uns nicht zugestanden wird, müssen wir uns erkämpfen.

Karl: Würde dann nicht alles auf die rohe Gewalt ankommen?

Friedrich: Nicht so viel, als das Wort Kampf anzudeuten scheinet. Die Grundlage ist vorhanden, eine Gemeinschaft geschlossen; soll sie sich aber zu universaler Bedeutung erheben, so ist vor allem moralische Energie vonnöten. Durch diese allein können die Nebenbuhler, die Feinde im Wettstreit überwunden werden.

Karl: Du betrachtest das blutige Kriegshandwerk als einen Wettstreit der moralischen Energie. Hüte dich, daß du nicht zu sublim wirst!

Friedrich: Du weißt recht wohl, daß ihn unsere Altvordern, die wahrhaftig nicht sublim waren, auch so faßten. So boten jene Tencterer, jene Amsivarier den Römern Wettstreit um das leerstehende Land an. Aber in der Tat, du wirst mir wenig wichtige Kriege nennen können, von denen sich nicht nachweisen ließe, daß die wahre moralische Energie den Sieg behauptete.

Karl: Und von dem Kampfe, dem Siege willst du nun auch die Formen der inneren Organisation herleiten.

Friedrich: Nicht durchaus, nicht ursprünglich, aber wohl die Modifikation derselben. Das Maß der Unabhängigkeit gibt einem Staate seine Stellung in der Welt; es legt ihm zugleich die Notwendigkeit auf, alle inneren Verhältnisse zu dem Zwecke einzurichten, sich zu behaupten. Dies ist sein oberstes Gesetz.

Karl: Du scheinst eine militärische Tyrannei zu begünstigen.

Friedrich: Wie wäre es möglich, daß jemals eine großartige Stellung erworben würde ohne freiwilliges und vollkommenes Zusammenschließen aller Glieder! Durch die geheime Wirksamkeit zusammenhaltender Ideen bilden sich allmählich die großen Gemeinschaften. Glücklich, wenn einer den Genius hat, sie zu leiten! Die Kraft, sie zu zwingen, würde er niemals besitzen.

Karl: Und so wäre es höchstens ein freiwilliger Militärstaat, den du gründest.

Friedrich: Du scheinst mir vorzuwerfen, was Aristoteles an einigen alten Gesetzgebern tadelt: ich denke mehr darauf, den Staat groß und mächtig zu machen, als die Bürger weise und gut, und mehr auf Kampf und Bewegung gehe mein Absehen als auf Frieden und Muße. Für den Anfang des Daseins, für die Epoche, wo es die Erkämpfung der Unabhängigkeit gilt, hast du nicht unrecht. Allmählich aber werden alle friedlichen Bedürfnisse der menschlichen Natur sich geltend machen; dann muß sich alles ausgleichen. Wir sprechen wohl hernach noch davon. Jetzt laß uns nur bei unserm bisherigen Ergebnis stehenbleiben, um es nur erst einmal zusammenzufassen. Nicht die entfernten Ursprünge so sehr, als das Gewordene, was wir vor Augen haben, fesselt unsere Aufmerksamkeit.

Karl: Und wie siehst du dies an?

Friedrich: Alle die Staaten, die in der Welt zählen und etwas bedeuten, sind erfüllt von besonderen, ihnen eigenen Tendenzen. Es würde lächerlich sein, sie für ebenso viele Sicherheitsanstalten für die Individuen, die sich zusammengetan, etwa für ihr Privateigentum, zu erklären. Vielmehr sind jene Tendenzen geistiger Art, und der Charakter aller Mitbürger wird dadurch bestimmt, ihnen unauslöschlich aufgeprägt. Durch die Verschiedenheiten, welche hieraus entspringen, werden die Formen der Verfassung, die allerdings eine gemeinschaftliche Notwendigkeit haben, allenthalben anders modifiziert. Von der obersten Idee hängt alles ab. Das will es sagen, wenn auch die Staaten ihren Ursprung von Gott herleiten. Denn die Idee ist göttlichen Ursprungs. – Jeder selbständige Staat hat sein eigenes ursprüngliches Leben, das auch seine Stadien hat und zugrunde gehen kann, wie alles, was lebt, aber zunächst seinen ganzen Umkreis erfüllt und beherrscht und mit keinem andern gleich ist.

Karl: In diesem Sinne verstehst du es, daß die Staaten Individuen seien.

Friedrich: Individualitäten, eine der andern analog, – aber wesentlich unabhängig voneinander. Statt jener flüchtigen Konglomerate, die sich dir aus der Lehre vom Vertrag erheben wie Wolkengebilde, sehe ich geistige Wesenheiten, originale Schöpfungen des Menschengeistes, – man darf sagen, Gedanken Gottes.

Karl: Ich will dir nicht widersprechen: zu fest scheint mir deine Ansicht, und ich bekenne, ich fühle mich von ihr angesprochen. Aber steigen wir ein wenig herab aus der allgemeinen Betrachtung. Sage mir, hältst du dafür, daß auch die heutigen Staaten diesen Ursprung und Inhalt haben?

Friedrich: Eben von ihnen nehme ich meine Behauptung her. Sie ließe sich, deucht mich, auf das vollkommenste nachweisen; doch würde die Abendstunde nicht ausreichen.

Karl: Eine Frage aber muß ich dir vorlegen. Wäre dem so, wie du sagst, so würde ein jeder Staat seine Bahn gehen, wir würden nicht die europäischen Reiche hauptsächlich im Kampfe über innere Einrichtungen in zwei feindselige, einander unaufhörlich bedrohende Hälften zerfallen sehen.

Friedrich: Allerdings gibt es eine europäische Gemeinschaftlichkeit. Nichtsdestominder war jeder Staat in seiner besonderen Entwicklung begriffen, und ein jeder wird, ich zweifle nicht, in dieselbe zurücktreten, sowie die Nachwirkungen der Revolutionskriege aufhören.

Karl: Eben diese aber sind es, welche deinen Satz zu erschüttern scheinen. Hat nicht das gesamte Europa gegen die Revolution Krieg erhoben? Wie würde es sich verständigt haben, wenn es nicht gemeinschaftliche Interessen wider dieselbe genährt hätte?

Friedrich: Du erinnerst dich recht wohl, wie schwer die Verständigung vonstatten gegangen ist. Auch war, wenn du in der Erinnerung weiter zurückgehen willst, der Fall nicht eigentlich, wie du ihn bezeichnest. Einmal, man war angegriffen; sodann wie lange dauerte es, ehe man sich vereinigte! Es gehörte die ganze Gefahr dazu, mit welcher eine neuentstandene Gewalt jede Unabhängigkeit bedrohte, um endlich, gleichsam im Angesichte der Vernichtung, eine gemeinschaftliche Verteidigung hervorzurufen.

Karl: Aber noch in diesem Augenblick, welch eine Animosität zwischen den Verfechtern des liberalen und des absoluten Prinzips! Man sprach auch heute wieder von den neuesten Nummern des Portfolio. Kennst du es?

Friedrich: Hier liegt es; aber wenn wir nun einmal nach so universalen Betrachtungen auf das vor uns liegende Konkrete eingehen und beide verknüpfen wollen, ich schließe daraus auf das Gegenteil von dem, was die Zeitungen gemeinhin darin wahrnehmen.

Karl: Findest du es so friedfertig?

Friedrich: Es ist ohne Zweifel die gehässigste, feindseligste Schrift, die seit langer Zeit publiziert worden ist; aber daß die großen Kontinentalmächte dadurch graviert würden, kann ich nicht einsehen.

Karl: Was sagst du von den Depeschen von Pozzo di Borgo? Bis 1834 russischer Gesandter am französischen Hof († 1842).

Friedrich: Wahre Meisterstücke sind es. Ich hätte nicht geglaubt, daß die moderne Diplomatie so ausgezeichnete Arbeiten hervorbrächte.

Karl: Billigst du auch ihren Inhalt?

Friedrich: Wir kommen damit wenigstens über manchen Irrtum hinweg. Wie oft hat man die drei Kontinentalmächte angeklagt, an den Übertreibungen und dem einseitigen Verfahren der Anhänger des monarchischen Prinzips in Frankreich oder in Spanien Anteil genommen, ja es angeraten, provoziert zu haben! Ich wüßte nichts, wodurch diese Behauptungen so schlagend widerlegt würden, wie die Depeschen Pozzo di Borgos vom Jahr 1826, die hier mitgeteilt werden.

Karl: Hältst du sie für echt?

Friedrich: Man kann darüber noch nicht entscheidend aburteilen; ein gutes Gepräge wenigstens haben sie, und selbst ihr vernünftiger Inhalt spricht für ihre Echtheit.

Karl: Du hast, wie es scheint, besonders die Depesche über Ferdinand VII. Unter Ferdinand VII. kam es in Spanien Infolge Willkür und Mißwirtschaft zu dauernden Unruhen und Verfassungskämpfen, die die Mächte der Heiligen Allianz zum Einschreiten veranlaßten. Frankreich besetzte 1823 Madrid, Ferdinand VII, wurde trotz seiner Unfähigkeit wieder eingesetzt. Auch Portugal befand sich zum Teil durch Einwirkung Spaniens ständig in Verfassungsunruhen. 1826 verlieh Don Pedro dem Land eine Verfassung, erregte aber dadurch die Feindschaft Spaniens und der Allianzmächte. 1828 ließ sich unter Aufhebung des legitimen Rechtes Don Miquel zum König proklamieren. Hinter diesen Kämpfen stand der große Gegensatz der absolutistischen Mächte und des liberalen England. im Sinne, in welcher allerdings der Ursprung der portugiesisch-spanischen Irrungen recht klar hervortritt, in der endlich zugestanden wird, daß jene Expedition des Marquis von Chaves nach Portugal, welche die Quelle so vielen Unheils geworden ist, von einer Faktion herrührte, welche Ferdinand VII. beherrschte.

Friedrich: Sei gerecht. Nicht allein dies, sondern auch daß sie wider den ausdrücklichen Rat der großen Mächte, ja wider das ihnen gegebene Wort geschah.

Karl: Du wirst nicht behaupten, daß man der Konstitution Don Pedros sehr günstig gewesen sei.

Friedrich: Gewiß nicht; aber hat sich diese Konstitution wohl seitdem so geeignet gezeigt, das Glück von Portugal zu machen? Übrigens wollte man, wie es hier heißt, ihr Zeit lassen, ihre Natur zu entwickeln: ich gebe zu, in der Meinung, sie müsse durch ihre Fehler zugrunde gehen. Eine solche Feindseligkeit jedoch finde ich so gefährlich nicht. Eben diese Zeit mußte ja auch ihre Vorzüge entwickeln, wenn sie deren hatte. Auf keinen Fall hieß man die überdies schlecht berechnete Gewaltsamkeit gut, zu welcher sich Ferdinand verleiten ließ.

Karl: Auch Frankreich erwähntest du.

Friedrich: Mit wahrhafter Überlegenheit und durchdringender Einsicht werden die Fehler geschildert, welche Karl X. Karl X., 1824–1830 französischer König, setze mit allen Mitteln unter der Leitung des schon seit 1821 die Geschäfte führenden Ultraroyallsten Villele, die Restauration durch. allen Anmahnungen zum Trotz beging. Es sind die nämlichen, denen wir noch heutzutage das Unglück dieses Fürsten zuschreiben müssen: daß er sich in einen engen Kreis exaltierter Kongregationisten einschloß, daß er Frankreich behandelte, als wäre es ins Heidentum zurückgefallen, daß er sich so wenig bemühte, die Tribunale, besonders die obersten Gerichtshöfe zu Paris für sich zu gewinnen, daß die Kammer nur noch als ein willenloses Instrument erschien, daß Villele kein Talent neben sich leiden konnte.

Karl: Sollten nicht die Übelstände noch etwas tiefer liegen? in der starken Stellung, zu der man die revolutionären Interessen gedeihen ließ, und ihrer natürlichen Opposition gegen die alte Monarchie?

Friedrich: Es kam alles zusammen. Nachdem man seinen Feinden Raum gegeben und Macht verliehen, bemühte man sich recht, ihren Ingrimm zu reizen und sich selbst zu isolieren. Wörtlich ging deshalb in Erfüllung, was hier vorausgesagt worden, daß man sich bei der ersten wahrhaften Krisis, in die man gerate, ohne alle moralische Stütze befinden werde, machtlos, ungeachtet so unermeßlicher Hilfsmittel der Macht, wie man sie in Händen hatte.

Karl: Ein recht glücklicher Advokat bist du heute!

Friedrich: Andre Denkmale, die hier bekanntgemacht werden, bedürfen keiner weiteren Erläuterung. Kann man sich vernünftiger ausdrücken, als es in der Denkschrift des Grafen Bernstorff Christian Günther von Bernstorff (1769–1835), Preußischer Minister des Auswärtigen von 1818–1832. Er führte in den kritischen Jahren um 1830 Preußens Politik bei aller Anlehnung an die Allianzmächte Österreich und Rußland doch mit ständiger Wahrung der preußischen und deutschen Interessen. Im Blick auf die drohende Kriegsgefahr versuchte er von Preußen aus eine festere Verbindung mit den deutschen Einzelstaaten herzustellen. Siehe Srbik, Deutsche Einheit I.Bd. S.272ff. geschieht, mit der die in ihrem Eifer fehlgreifende Feindseligkeit diese Hefte eröffnet hat? Es heißt daselbst, die Regierung müsse die Mehrzahl der Gebildeten für sich gewinnen; der freiwillige und gern geleistete Gehorsam fordre die Überzeugung, daß eine Regierung nicht nach den Rücksichten einer Partei, sondern zum allgemeinen Besten handle. Wie ist man von jenem Haß gegen konstitutionelle Verfassungen, den die Welt sich hat aufreden lassen, so weit entfernt! Jeder Gedanke daran, daß man in Deutschland irgendwo anders als mit gesetzlichen Mitteln zu Werke gehen könne, wird von der Hand gewiesen.

Karl: Und hierauf gründest du nun, wie es scheint, deine Lehre, daß jener Gegensatz zweier feindseliger Parteien in Europa eigentlich gar nicht bestehe.

Friedrich: Neigungen und Abneigungen sind da; sie sind durch den Gang der Begebenheiten hervorgerufen worden. Aber die angeblich zu den Waffen fertige und gerüstete Feindseligkeit jenes Gegensatzes ist eine Chimäre.

Karl: Und was urteilst du von der Animosität zwischen Österreich und Rußland, wie sie sich hier zutage legt.

Friedrich: Ich muß selbst lächeln: heute muß mir alles dienen und zu Hilfe kommen. Man muß sehr unbekannt mit der Lage der Dinge im Jahre 1828 sein, wenn man über den lebhaften Ausdruck dieses Mißverständnisses so gewaltig erstaunt. Wer hätte damals nicht davon gehört und es sich ungefähr so gedacht, wie man jetzt liest, daß es gestanden? Es beweist nur eben, daß der Bund der großen Kontinentalmächte, der Bund zunächst zwischen Rußland und Österreich, nicht stärker ist als die Interessen. Es gibt keine so entschieden herrschende Tendenz der Meinung, daß die Interessen vor ihr zurückträten. In dieser Hinsicht ist sogar das Portfolio eine besonders merkwürdige Erscheinung. Es ist die erste, ein europäisches Aufsehen erregende Schrift, welche von den Gegensätzen der inneren Regierung wenigstens unbewußt abstrahiert und die Politik wieder auf das Gebiet der Macht und der auswärtigen Verhältnisse führt, wohin sie gehört.

Karl: Wahrhaftig, du scheinst mir recht zu behalten! Lächle nicht, ich befinde mich fast in dem Falle des guten jungen Mannes, der in den letzten Jahren um Goethe war und soeben seine Konversationen mit ihm herausgegeben hat. Auch ich kann sagen: ich freue mich deiner Wahrnehmung, daß in jedem unserer großen Staaten ein lebendiges, individuelles, ihnen inwohnendes Prinzip sei, von dem seine Tätigkeit nach außen, seine innere Gestaltung abhange, und werde sie mir merken, sie im stillen prüfen. Jetzt laß uns vorläufig noch einmal zu jenen allgemeinen Fragen zurückkehren. Noch einige Einwendungen, wenn du erlaubst, will ich dir vorbringen.

Friedrich: Ich werde suchen, sie zu heben.

Karl: Du nimmst einen so ungemeinen Teil der Lebenskräfte der einzelnen für den Staat in Anspruch; womit vergütest du dies, was gibst du ihnen dafür?

Friedrich: Ich glaube mich nicht so ausgedrückt zu haben, als schilderte ich den besten Staat; ich suchte nur den zu begreifen, den wir vor Augen haben. Und nimmt der nicht in der Tat einen großen Teil der Kräfte eines jeden in Anspruch? Die Auflagen absorbieren eine so bedeutende Summe des Ertrages der gesamten Tätigkeit; wie viele setzen ihr Vermögen, ihre Jugendjahre daran, um sich zum Dienste des Staates vorzubereiten; in unsern Gegenden ist niemand der Erfüllung der militärischen Pflicht überhoben; das reine Privatleben ist schon nicht mehr vorhanden. Unsere Tätigkeit gehört an und für sich hauptsächlich dem Gemeinwesen an.

Karl: Was empfängt aber der Privatmann hinwieder für alle seine Teilnahme?

Friedrich: In dem rechten Staat ist sie selbst seine Belohnung; er denkt nicht daran, sich ihr zu entziehen: er sieht die Notwendigkeit ein; es gibt für ihn keine rein private Existenz; er würde nicht sein, der er ist, wenn er nicht diesem bestimmten Staate, als seinem geistigen Vaterlande, zugehörte.

Karl: Ist aber, frage ich dich, diese Freiwilligkeit der Hingebung wohl auch in demselben Grade in der Welt vorhanden wie jene Forderung?

Friedrich: Ich bin weit entfernt, das zu behaupten. Ich sehe Länder, wo man seine Pflicht ungern, widerstrebend erfüllt, – z.B. Italien. Der Staat macht auch da den europäischen Notwendigkeiten gemäß starke Anforderungen persönlicher und realer Leistung; unglücklicherweise aber kann er es nicht dahin bringen, daß man ihm eine freiwillige Tätigkeit widmet. Der Bürger fühlt die Verpflichtungen, die ihm aufgelegt sind, als eine Last; er sieht sich als überwältigt und bezwungen an: dem Dienste entzieht er sich so viel wie möglich; eben darum kann es zu jener Einheit privater und öffentlicher Bestrebungen nicht kommen, die den wahren Staat charakterisiert; – ich fürchte, dadurch tritt zuletzt selbst in der moralischen Energie eine Hemmung ein; auch die private Tätigkeit entwickelt sich nicht, wie sie könnte und sollte. Ich gestehe alles das ein; aber es ist ein Mangel, es ist ein abnormer Zustand.

Karl: Vermagst du ihn aber, sei es dort oder anderswo, zu vermeiden?

Friedrich: Wenigstens ist nichts dringender, notwendiger, als darauf zu denken, alles dafür zu tun. Hierin liegt das Geheimnis einer fortschreitenden Macht. Was ihr im Herzen widersteht, besitzt sie noch nicht vollkommen. Das vornehmste Bestreben ihrer inneren Politik muß dahin gerichtet sein, alle Teile in freiwilliger Einheit zusammenzufassen.

Karl: Wird ihr dies aber möglich sein?

Friedrich: Es kommt eben darauf an, das Eigentümliche einer Provinz, einer Landesart nicht zu zerstören, – und sie doch mit unauflöslichen Banden an das Ganze zu knüpfen.

Karl: Und worauf scheint dir diese Verbindung der Provinzen und jedes einzelnen mit dem Ganzen zu beruhen?

Friedrich: Am Ende doch darauf, daß die Idee des Staates einen jeden ergreife, daß er von dem geistigen Leben desselben etwas in sich fühle, daß er sich als ein Mitglied des Ganzen betrachte und Liebe dazu habe, daß das Gefühl der Gemeinschaftlichkeit stärker sei als das Gefühl provinzieller, lokaler oder individueller Absonderungen.

Karl: Welche Mittel hat ein Staat in Händen, dies zu erreichen?

Friedrich: Jede Staatsgewalt muß heutzutage wohlwollend sein; auf der allgemeinen Wohlfahrt, darin kommen alle überein, beruht ohnehin ihre Macht. Sie muß aber auch zeigen, daß sie das auf die rechte Art ist. Sie muß dafür sorgen, daß man sie kenne, daß man wisse, was sie tut, daß jeder einzelne erfahre, seine Geschäfte, insofern sie mit dem allgemeinen zusammenhängen, werden so gut besorgt als immer möglich. Ist nur erst das Widerstreben besiegt, so wird jener geheime, von innen wirkende und zusammenhaltende Antrieb in kurzem alle ergriffen haben. Die Zwangspflicht wird sich zu Selbsttätigkeit, das Gebot zur Freiheit erheben.

Karl: Auch in gewöhnlichen Tagen würdest du Patriotismus fordern.

Friedrich: Da muß er gepflegt werden, damit er in den ungewöhnlichen nicht fehle; in gewissem Sinne muß er das Prinzip der Tätigkeit überhaupt sein.

Karl: Du machst den ganzen Menschen zu einem politischen Geschöpf.

Friedrich: Ich bin überzeugt, von der Wahrheit des Anteils, den man, ich sage nicht an den Formen der Verfassung, aber an dem Fortgange der öffentlichen Wohlfahrt, an dem gemeinen Wesen nimmt, hängt die Entwicklung auch der persönlichen Eigenschaften ab.

Karl: Also unmittelbare, formelle Teilnahme, Mitberatung, Mitbeschluß, würdest du nicht einmal verlangen?

Friedrich: Ich leugne nicht, daß sie förderlich sein könne; aber wenn wir unsere Erfahrungen befragen, so wirst du mir eingestehen, daß sie es darum nicht auch überall ist. Ich fürchte selbst, sie würde nicht allenthalben anwendbar sein. In dem Geiste unserer Monarchien ist etwas, dem sie widerstrebt.

Karl: Ich bin begierig, worin du den Geist unserer Monarchien findest.

Friedrich: Wir wollen nicht zu tief eingehen; allzu viele Beziehungen der Politik, des Rechtes, der Geschichte müßten wir erörtern. Aber um bei der Verwaltung stehenzubleiben und dir doch eine Antwort zu geben, sage ich, der Sinn der monarchischen Formen ist, daß der rechte Mann an die rechte Stelle komme.

Karl: Wirst du nicht gestehen müssen, daß das nicht eben allemal der Fall ist?

Friedrich: Die Ausführung hängt von mancherlei Umständen ab. Sinn und Tendenz aber ist es immer.

Karl: Ich fürchte aufs neue, du begünstigst den Despotismus. Warum soll nicht ein jeder, soweit sich tun läßt, zur Mitberatung gezogen werden? Warum soll man verdammt sein, zu gehorchen?

Friedrich: Nicht alle, wie du dich aus Plato erinnerst, müssen alles treiben. Es gibt unzählige Zweige menschlicher Tätigkeit, und das wunderbare Geheimnis der Natur ist, daß sie für eine jede ihre Talente immer wieder erschafft. Der allgemeine Nutzen erheischt, daß ein jeder das seine tue; den Poeten wird man vernichten, wenn man ihn bei Zehntablösungen zu Rate zieht, die darum um kein Titelchen besser vollzogen werden. Es ist der Vorteil des gemeinen Wesens, daß es private Tätigkeiten gibt, die zwar erfüllt sind von dem Geiste des Staates, aber sich nicht damit aufhalten, ihn auch regieren zu wollen.

Karl: Du vermeidest, den Punkt vom Gehorsam zu berühren.

Friedrich: Man spricht zuweile gerade, als ob ein fremdes Geschlecht sich zur Regierung eingedrängt hätte. Aber ich frage dich, wer sind sie denn, die Regierer, die Verwaltenden? Steigen sie nicht unmittelbar aus der Nation auf? Ich begreife nicht, wie es das Selbstgefühl verletzen kann, wenn, ich will sagen, von einer Anzahl Geschwister und Verwandten sich der eine industrieller, der andre merkantiler Tätigkeit widmet, ein dritter der Gelehrsamkeit, ein vierter dem Ackerbau usw., und wenn dann auch einer von ihnen sich zur Fähigkeit erhebt, an der Regierung teilzuhaben, wo er ja doch am Ende die gemeinschaftlichen Angelegenheiten der andern besorgt. Es lostet ihm Mühe genug, dahin zu gelangen. Regieren besteht nicht im Befehlen, in der Genugtuung, die eine kleinliche Eitelkeit darin finden könnte: es ist die schwere Kunst, die allgemeinen Angelegenheiten gut zu besorgen; ohne angeborenes Talent, Vorbildung und lange Praxis wird es niemand dahin bringen; mit den übrigen Tätigkeiten des Lebens verglichen, ist diese vielleicht die schwerste von allen; sie fordert zugleich die tiefste Einsicht in das Vorhandene und eine vollkommene Freiheit des Geistes, um das noch nicht Vorhandene in das Leben zu führen. Daß man dies denen überläßt, die es allein verstehen, hältst du das für ein Unglück? Es ist eine Auswahl der Geschicktesten aus der ganzen Nation, welche die Fähigkeit dazu in sich ausgebildet haben.

Karl: Wirst du aber immer Männer besitzen, die es auch verdienen, daß man ihnen gehorche?

Friedrich: Daß sie da sein werden, dafür bürgt die Natur, welche immer vollständig ist. Es kommt nur darauf an, daß man sie finde.

Karl: Aber eine Beschränkung wird doch bei der Neigung der Menschen, sich ihrer Macht zu überheben, auch hier notwendig sein.

Friedrich: Einmal hat man von der höchsten Stelle aus nicht alles zu regulieren. Es gibt so viel tiefere Kreise, in denen nichts erwünschter ist als Spontaneität der Lebensregungen. Auch sage ich nicht, daß diese Form an und für sich vollkommen sei; auf tausendfache Weise kann sie ausarten. Nur so viel scheint mir am Tage zu liegen, daß dies Institut in der Natur der Sache begründet, von der Idee unserer Monarchien gefordert und der großartigsten Entwicklung fähig ist.

Karl: Von dem Privatmann würdest du dann eine auf gutem Willen beruhende, auf die Überzeugung, daß es so das beste ist, gegründete Unterordnung fordern.

Friedrich: Diese Freiwilligkeit vergütet jede Leistung. Überhaupt fallen private und öffentliche Bestrebungen von höherer Ansicht aus wieder zusammen. Die privaten bekommen Schwung und Antrieb durch den Fortgang der öffentlichen; das öffentliche Glück entspringt aus dem privaten. In allen muß das geistige Selbst des Staates leben.

Karl: Du sagst, es muß. Jedoch findet sich, daß es in vielen nicht lebt.

Friedrich: Je nachdem ein Staat seine Mitglieder lebendig ergriffen hat. Es gibt auch hier Grade und Stufen.

Karl: Du berührst hier selbst eine andre Frage, die ich dir vorlegen wollte. – Wie kannst du Grade annehmen? Müßten nicht nach deiner Ansicht alle Staaten gleich vortrefflich sein?

Friedrich: Insofern wohl, als wir die Idee allein ins Auge fassen, der wir ja einen göttlichen Ursprung zuschreiben, aber nicht in der Ausführung derselben, ihrer Darstellung in der Welt.

Karl: Welche Gradation gibt es zwischen Leben und Leben?

Friedrich: Die Analogie führt uns darauf. Ich finde nur den Unterschied zwischen Gesundheit und Krankheit. Ein gesunder Körper ist in Besitz aller seiner Kräfte, aller seiner Glieder; er fühlt nichts von den Einwirkungen der Elemente, oder er widersteht ihnen doch ohne Mühe; ein kränklicher oder schwacher wird davon affiziert oder muß ihnen erliegen: er ist seiner selber nicht Herr. Ein gesundes politisches Dasein erfüllt alle Mitglieder des Staates. Es ruht sicher in seinem Prinzip; von den Parteiungen der übrigen, in sich zerfallenen Welt wird es zwar natürlich an seinen Grenzen, aber deshalb nicht in seinem Innern berührt. Man ist schon angegriffen und gehört sich nicht mehr durchaus selbst an, wenn man sich allzu lebhaft darum bekümmert, was bei dem Nachbar vorgeht.

Karl: Insofern wäre es möglich, daß der Staat auch immer vollkommener würde. Er würde einen Fortschritt zulassen. Friedrich. Zu lassen nur? Er ist ein lebendiges Dasein, das seiner Natur nach in unaufhörlicher Entwicklung, unaufhaltsamem Fortschritt begriffen ist.

Karl: Nach welchem Vorbild, welchem Ideal?

Friedrich: Alles Leben trägt sein Ideal in sich: der innerste Trieb des geistigen Lebens ist die Bewegung nach der Idee, nach einer größeren Vortrefflichkeit. Dieser Trieb ist ihm angeboren, bei seinem Ursprung eingepflanzt.

Karl: Du wirst nicht leugnen, daß oftmals Hemmungen, Mißgriffe, sagen wir selbst Rückschritte eintreten.

Friedrich: Wie wollte es in menschlichen Dingen daran fehlen? Aber man muß darum den Mut nicht verlieren; wenn man nur sonst gesund ist, sind es vorübergehende Anflüge.

Karl: Ich kann doch nicht sehen, wodurch sie unschädlich gemacht werden können, da deine Regierung kein formelles Gegengewicht hat.

Friedrich: Nichtsdestominder gibt es einen Geist des gemeinen Wesens, der nicht so leicht zu beseitigen ist. Er kann verdunkelt werden; sowie aber noch einige Energie der Lebenskraft vorhanden ist, wird er sich wieder hervortun, die Oberhand behalten, am Ende alle beherrschen und mit sich fortreißen. Übrigens ist es etwas Großes, daß das allgemeine Interesse persönlich fixiert ist und sich in dem Selbstbewußtsein des Fürsten notwendig als seine eigne Sache darstellt.

Karl: Warum bringst du aber den Geist des gemeinen Wesens nicht auch zu vollkommenem Bewußtsein, zu Darstellung und Ausdruck? Warum fliehst du die deliberativen Staatsformen, die die Mitwirkung des Volkes in verfassungsmäßig festgelegten Vertretungen gewährleisten. Formen?

Friedrich: Die verborgene Harmonie, sagt Heraklit, ist besser als die offenbare. Auch mußt du mich nicht mißverstehen. Ich verdamme jene Formen nicht; ich wünsche, daß sie, wo sie sind, sich so heilbringend, so glänzend als möglich entwickeln mögen; aber ich halte sie nicht für durchaus unentbehrlich. Ich lebe der Meinung, daß der öffentliche Geist noch andre Organe hat, die ihm oft sogar besser dienen.

Karl: Du meinst, das innerliche Zusammenhalten sei besser als alle Form des Vertrages.

Friedrich: Was von Natur zusammengehört, braucht dessen nicht. Zwischen Eltern und Kindern, zwischen Brüdern und den Gliedern der Familie ist keine Confarreation Vertragsschließung. vonnöten.

Karl: Noch eins habe ich auf dem Herzen. Du gibst deinem Staate so viel Attribute geistiger Einheit, die Hingebung, die du forderst, ist so vollständig, daß ich fürchte, du greifst damit in das Gebiet der Kirche über.

Friedrich: Ich sollte nicht denken. Staat und Kirche sind ewig geschieden. Die Kirche knüpft den Menschen an die höchste, oberste Gemeinschaft. Sie setzt für die Handlungen allerdings eine unwandelbare Regel fest, die Regel dieser geheimnisvollen Gemeinschaft, der Religion. Sie bemüht sich, alles entfernt zu halten, was dieselbe verletzen könnte. Aber hier ist auch die Grenze ihrer Wirksamkeit. Positiverweise hat sie keinen Einfluß auf menschliche Dinge; was sie von weltlicher Wirksamkeit in Anspruch nimmt, verliert sie an der geistlichen; mit der Einrichtung des Staates hat sie, wie gesagt, unmittelbar nichts zu schaffen.

Karl: Sie sind aber doch beide geistiger Natur. Wo wirst du die Grenze zwischen ihnen setzen?

Friedrich: Der Geist der Kirche ist unbedingt gültig für das ganze Menschengeschlecht, der allgemeine. Ihrer Natur nach will wenigstens eine jede die allgemeine sein. Die Idee des Staates würde dagegen vernichtet werden, wenn er die Welt umfassen wollte: Staaten sind viele. Der Geist des Staates ist zwar göttlicher Anhauch, aber zugleich menschlicher Antrieb. Es ist eine Gemeinschaft beschränkterer Natur, über der jene höhere, von Bedingungen freiere Gemeinschaft schwebt.

Karl: Ich glaube jetzt, deine Gedanken im allgemeinen zu fassen. Die Staaten geistige Wesenheiten, notwendig und in der Idee voneinander verschieden. Die Formen der Verfassung, die einzelnen Institute allgemeine Notwendigkeiten des menschlichen Daseins, aber durch jene Idee modifiziert, erst durch sie bis zur Realität erfüllt und deshalb notwendig auch verschieden. Das private, und öffentliche Leben bis auf einen gewissen Punkt identisch; auch das Privatleben von der Idee, die den Staat belebt, abhängig. Diese mannigfaltigen Schöpfungen geistigen Lebens untergeordnet der höchsten Gemeinschaft der Kirche.

Friedrich: Fasse aber auch diese Wesenheiten in ihrer vollen Bedeutung ins Auge! Soviel gesonderte, irdisch-geistige Gemeinschaften, von Genius und moralischer Energie hervorgerufen, in unaufhaltsamer Entwicklung begriffen, mitten in den Verwirrungen der Welt durch innern Trieb nach dem Ideal fortschreitend, eine jede auf ihre Weise. Schaue sie an, diese Gestirne, in ihren Bahnen, ihrer Wechselwirkung, ihrem Systeme!

Karl: Genug für heute. Schon höre ich die Wagen, die von dem Feste nach Hause fahren. Von den Zweifeln, die mir aufstoßen, reden wir weiter.

Friedrich: Denn noch bei weitem deutlicher und vollständiger hätte ich mich aussprechen sollen. Indessen habe Dank, daß du meine Ideen aufgenommen, nicht von vornherein verworfen hast. Es ist so beruhigend und befestigt uns in uns selbst, in dem verwandten Geiste eine gleichartige Überzeugung hervorzurufen.