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Friedrich Nietzsche

Dionysos-Dithyramben

 

Nietzsches Werke

Taschen-Ausgabe
Band X

Alfred Kröner Verlag in Leipzig

1922

 

1888

I.

Von der Armuth des Reichsten.

Zehn Jahre dahin –,
kein Tropfen erreichte mich,
kein feuchter Wind, kein Thau der Liebe
– ein regenloses Land ...
Nun bitte ich meine Weisheit,
nicht geizig zu werden in dieser Dürre:
ströme selber über, träufle selber Thau,
sei selber Regen der vergilbten Wildniß!

Einst hieß ich die Wolken
fortgehn von meinen Bergen, –
einst sprach ich »mehr Licht, ihr Dunklen!«
Heut locke ich sie, daß sie kommen:
macht Dunkel um mich mit euren Eutern!
– ich will euch melken,
ihr Kühe der Höhe!
Milchwarme Weisheit, süßen Thau der Liebe
ströme ich über das Land.

Fort, fort, ihr Wahrheiten,
die ihr düster blickt!
Nicht will ich auf meinen Bergen
herbe ungeduldige Wahrheiten sehn.
Vom Lächeln vergüldet
nahe mir heut die Wahrheit,
von der Sonne gesüßt, von der Liebe gebräunt, –
eine reife Wahrheit breche ich allein vom Baum.

Heut strecke ich die Hand aus
nach den Locken des Zufalls,
klug genug, den Zufall
einem Kinde gleich zu führen, zu überlisten
Heut will ich gastfreundlich sein
gegen Unwillkommnes,
gegen das Schicksal selbst will ich nicht stachlicht sein,
– Zarathustra ist kein Igel.

Meine Seele,
unersättlich mit ihrer Zunge,
an alle guten und schlimmen Dinge hat sie schon geleckt,
in jede Tiefe tauchte sie hinab.
Aber immer gleich dem Korke,
immer schwimmt sie wieder obenauf,
sie gaukelt wie Öl über braune Meere:
dieser Seele halber heißt man mich den Glücklichen.

Wer sind mir Vater und Mutter?
Ist nicht mir Vater Prinz Überfluß
und Mutter das stille Lachen?
Erzeugte nicht dieser Beiden Ehebund
mich Räthselthier,
mich Lichtunhold,
mich Verschwender aller Weisheit Zarathustra?

Krank heute vor Zärtlichkeit,
ein Thauwind,
sitzt Zarathustra wartend, wartend auf seinen Bergen, –
im eignen Safte
süß geworden und gekocht,
unterhalb seines Gipfels,
unterhalb seines Eises,
müde und selig,
ein Schaffender an seinem siebenten Tag.

– Still!
Eine Wahrheit wandelt über mir
einer Wolke gleich, –
mit unsichtbaren Blitzen trifft sie mich.
Auf breiten langsamen Treppen
steigt ihr Glück zu mir:
komm, komm, geliebte Wahrheit!

– Still!
Meine Wahrheit ist's! –
Aus zögernden Augen,
aus sammtenen Schaudern
trifft mich ihr Blick,
lieblich, bös, ein Mädchenblick ...
Sie errieth meines Glückes Grund,
sie errieth mich – ha! was sinnt sie aus? –
Purpurn lauert ein Drache
im Abgrunde ihres Mädchenblicks.

– Still! Meine Wahrheit redet! –

Wehe dir, Zarathustra!
Du siehst aus, wie Einer,
der Gold verschluckt hat:
man wird dir noch den Bauch aufschlitzen!...

Zu reich bist du,
du Verderber Vieler!
Zu Viele machst du neidisch,
zu Viele machst du arm ...
Mir selber wirft dein Licht Schatten –,
es fröstelt mich: geh weg, du Reicher,
geh, Zarathustra, weg aus deiner Sonne! ...

Du möchtest schenken, wegschenken deinen Überfluß,
aber du selber bist der Überflüssigste!
Sei klug, du Reicher!
Verschenke dich selber erst, oh Zarathustra!

Zehn Jahre dahin –,
und kein Tropfen erreichte dich?
kein feuchter Wind? kein Thau der Liebe?
Aber wer sollte dich auch lieben,
du Überreicher?
Dein Glück macht rings trocken,
macht arm an Liebe
– ein regenloses Land ...

Niemand dankt dir mehr.
Du aber dankst Jedem,
der von dir nimmt:
daran erkenne ich dich,
du Überreicher,
du Ärmster aller Reichen!

Du opferst dich, dich quält dein Reichthum –
du giebst dich ab,
du schonst dich nicht, du liebst dich nicht:
die große Qual zwingt dich allezeit,
die Qual übervoller Scheuern, übervollen Herzens –
aber Niemand dankt dir mehr ...

Du mußt ärmer werden,
weiser Unweiser!
willst du geliebt sein.
Man liebt nur die Leidenden,
man giebt Liebe nur dem Hungernden:
verschenkt dich selbst erst, oh Zarathustra!

– Ich bin deine Wahrheit ...

2

Zwischen Raubvögeln.

Wer hier hinab will,
wie schnell
schluckt den die Tiefe!
– Aber du, Zarathustra,
liebst den Abgrund noch,
thust der Tanne es gleich? –

Die schlägt Wurzeln, wo
der Fels selbst schaudernd
zur Tiefe blickt –,
die zögert an Abgründen,
wo Alles rings
hinunter will:
zwischen der Ungeduld
wilden Gerölls, stürzenden Bachs
geduldig duldend, hart, schweigsam,
einsam...

Einsam!
Wer wagte es auch,
hier Gast zu sein,
dir Gast zu sein? ...
Ein Raubvogel vielleicht,
der hängt sich wohl
dem standhaften Dulder
schadenfroh in's Haar,
mit irrem Gelächter,
einem Raubvogel-Gelächter ...

Wozu so standhaft?
– höhnt er grausam:
man muß Flügel haben, wenn man
den Abgrund liebt ...
man muß nicht hängen bleiben,
wie du, Gehängter! –

Oh Zarathustra,
grausamster Nimrod!
Jüngst Jäger noch Gottes,
das Fangnetz aller Tugend,
der Pfeil des Bösen! –
Jetzt –
von dir selber erjagt,
deine eigene Beute,
in dich selber eingebohrt ...

Jetzt –
einsam mit dir,
zwiesam im eignen Wissen,
zwischen hundert Spiegeln
vor dir selber falsch,
zwischen hundert Erinnerungen
ungewiß,
an jeder Wunde müd,
an jedem Froste kalt,
in eignen Stricken gewürgt,
Selbstkenner!
Selbsthenker!

Was bandest du dich
mit dem Strick deiner Weisheit?
Was locktest du dich
in's Paradies der alten Schlange?
Was schlichst du dich ein
in dich – in dich? ...

Ein Kranker nun,
der an Schlangengift krank ist;
ein Gefangner nun,
der das härteste Loos zog:
im eignen Schachte
gebückt arbeitend,
in dich selber eingehöhlt,
dich selber angrabend,
unbehülflich,
steif,
ein Leichnam –,
von hundert Lasten überthürmt,
von dir überlastet,
ein Wissender!
ein Selbsterkenner!
der weise Zarathustra! ...

Du suchtest die schwerste Last:
da fandest du dich –,
du wirfst dich nicht ab von dir ...

Lauernd,
kauernd,
Einer, der schon nicht mehr aufrecht steht!
Du verwächst mir noch mit deinem Grabe,
verwachsener Geist! ...

Und jüngst noch so stolz,
auf allen Stelzen deines Stolzes!
Jüngst noch der Einsiedler ohne Gott,
der Zweisiedler mit dem Teufel,
der scharlachne Prinz jedes Uebermuths! ...

Jetzt –
zwischen zwei Nichtse
eingekrümmt,
ein Fragezeichen,
ein müdes Räthsel –
ein Räthsel für Raubvögel ...

– sie werden dich schon »lösen«,
sie hungern schon nach deiner »Lösung«,
sie flattern schon um dich, ihr Räthsel,
um dich, Gehenkter! ...
Oh Zarathustra! ...
Selbstkenner! ...
Selbsthenker!
...

3.

Die Sonne sinkt.

 

1.

Nicht lange durstest du noch,
          verbranntes Herz!
Verheißung ist in der Luft,
aus unbekannten Mündern bläst mich's an,
          – die große Kühle kommt ...

Meine Sonne stand heiß über mir im Mittage:
seid mir gegrüßt, daß ihr kommt,
          ihr plötzlichen Winde,
ihr kühlen Geister des Nachmittags!

Die Luft geht fremd und rein,
Schielt nicht mit schiefem
          Verführerblick
die Nacht mich an? ...
Bleib stark, mein tapfres Herz!
Frag nicht: warum? –

 

2.

Tag meines Lebens!
die Sonne sinkt.
Schon steht die glatte Fluth vergüldet.
Warm athmet der Fels:
          schlief wohl zu Mittag
das Glück auf ihm seinen Mittagsschlaf? –
          In grünen Lichtern
spielt Glück noch der braune Abgrund herauf.

Tag meines Lebens!
gen Abend geht's!
Schon glüht dein Auge
          halbgebrochen,
schon quillt deines Thaus
          Thränengeträufel,
schon läuft still über weiße Meere
deiner Liebe Purpur,
deine letzte zögernde Seligkeit

 

3.

Heiterkeit, güldene, komm!
          du des Todes
heimlichster, süßester Vorgenuß!
– Lief ich zu rasch meines Wegs?
Jetzt erst, wo der Fuß müde ward,
          holt dein Blick mich noch ein,
          holt dein Glück mich noch ein.

Rings nur Welle und Spiel.
          Was je schwer war,
sank in blaue Vergessenheit, –
müßig steht nun mein Kahn.
Sturm und Fahrt – wie verlernt' er das!
          Wunsch und Hoffen ertrank,
          glatt liegt Seele und Meer.

Siebente Einsamkeit!
          Nie empfand ich
näher mir süße Sicherheit,
wärmer der Sonne Blick.
– Glüht nicht das Eis meiner Gipfel noch?
          Silbern, leicht, ein Fisch
          schwimmt nun mein Rachen hinaus ...

4.

Letzter Wille.

So sterben,
wie ich ihn einst sterben sah –,
den Freund, der Blitze und Blicke
göttlich in meine dunkle Jugend warf:
– muthwillig und tief,
in der Schlacht ein Tänzer –,

unter Kriegern der Heiterste,
unter Siegern der Schwerste,
auf seinem Schicksal ein Schicksal stehend,
hart, nachdenklich, vordenklich –:

erzitternd darob, daß er siegte,
jauchzend darüber, daß er sterbend siegte –:

befehlend, indem er starb,
– und er befahl, daß man vernichte ...

So sterben,
wie ich ihn einst sterben sah:
siegend, vernichtend ...

5.

Das Feuerzeichen.

Hier, wo zwischen Meeren die Insel wuchs,
ein Opferstein jäh hinaufgethürmt,
hier zündet sich unter schwarzem Himmel
Zarathustra seine Höhenfeuer an, –
Feuerzeichen für verschlagne Schiffer,
Fragezeichen für Solche, die Antwort haben ...

Diese Flamme mit weißgrauem Bauche
– in kalte Fernen züngelt ihre Gier,
nach immer reineren Höhen biegt sie den Hals –
eine Schlange gerad aufgerichtet vor Ungeduld:
dieses Zeichen stellte ich vor mich hin.

Meine Seele selber ist diese Flamme:
unersättlich nach neuen Fernen
lodert aufwärts, aufwärts ihre stille Gluth.
Was floh Zarathustra vor Thier und Menschen?
Was entlief er jäh allem festen Lande?
Sechs Einsamkeiten kennt er schon –,
aber das Meer selbst war nicht genug ihm einsam,
die Insel ließ ihn steigen, auf dem Berg wurde er zur Flamme,
nach einer siebenten Einsamkeit
wirft er suchend jetzt die Angel über sein Haupt.

Verschlagne Schiffer! Trümmer alter Sterne!
Ihr Meere der Zukunft! Unausgeforschte Himmel!
nach allem Einsamen werfe ich jetzt die Angel:
gebt Antwort auf die Ungeduld der Flamme,
fangt mir, dem Fischer auf hohen Bergen,
meine siebente, letzte Einsamkeit! – –

6.

Ruhm und Ewigkeit.

1.

Wie lange sitzest du schon
          auf deinem Mißgeschick?

Gieb Acht! du brütest mir noch
          ein Ei,
          ein Basilisken-Ei
aus deinem langen Jammer aus.

Was schleicht Zarathustra entlang dem Berge? –

Mißtrauisch, geschwürig, düster,
ein langer Lauerer –,
aber plötzlich, ein Blitz,
hell, furchtbar, ein Schlag
gen Himmel aus dem Abgrund:
– dem Berge selber schüttelt sich
das Eingeweide ...

Wo Haß und Blitzstrahl
Eins ward, ein Fluch –,
auf den Bergen haust jetzt Zarathustra's Zorn.
eine Wetterwolke schleicht er seines Wegs.

Verkrieche sich, wer eine letzte Decke hat!
In's Bett mit euch, ihr Zärtlinge!
Nun rollen Donner über die Gewölbe,
nun zittert, was Gebälk und Mauer ist,
nun zucken Blitze und schwefelgelbe Wahrheiten –
          Zarathustra flucht ...

 

2.

Diese Münze, mit der
alle Welt bezahlt,
Ruhm –,
mit Handschuhen fasse ich diese Münze an,
mit Ekel trete ich sie unter mich.

Wer will bezahlt sein?
Die Käuflichen ...
Wer feil steht, greift
mit fetten Händen
nach diesem Allerwelts-Blechklingklang Ruhm!

Willst du sie kaufen?
Sie sind Alle käuflich.
Aber biete Viel!
klingle mit vollem Beutel!
– du stärkst sie sonst,
du stärkst sonst ihre Tugend ...

Sie sind Alle tugendhaft.
Ruhm und Tugend – das reimt sich.
So lange die Welt lebt,
zahlt sie Tugend-Geplapper
mit Ruhm-Geklapper –,
die Welt lebt von diesem Lärm ...

Vor allen Tugendhaften
          will ich schuldig sein,
schuldig heißen mit jeder großen Schuld!
Vor allen Ruhms-Schalltrichtern
wird mein Ehrgeiz zum Wurm –,
unter Solchen gelüstet's mich,
der Niedrigste zu sein ...

Diese Münze, mit der
alle Welt bezahlt,
Ruhm –,
mit Handschuhen fasse ich diese Münze an,
mit Ekel trete ich sie unter mich.

 

3.

Still! –
Von großen Dingen – ich sehe Großes! –
soll man schweigen
oder groß reden:
rede groß, meine entzückte Weisheit!

Ich sehe hinauf –
dort rollen Lichtmeere:
– oh Nacht, oh Schweigen, oh todtenstiller Lärm!..
Ich sehe ein Zeichen –,
aus fernsten Fernen
sinkt langsam funkelnd ein Sternbild gegen mich ...

 

4.

Höchstes Gestirn des Seins!
Ewiger Bildwerke Tafel!
Du kommst zu mir? –
Was Keiner erschaut hat,
deine stumme Schönheit, –
wie? sie flieht vor meinen Blicken nicht? –

Schild der Notwendigkeit!
Ewiger Bildwerke Tafel!
– aber du weißt es ja:
was Alle hassen,
was allein ich liebe:
– daß du ewig bist!
daß du nothwendig bist! –
meine Liebe entzündet
sich ewig nur an der Nothwendigkeit.

Schild der Notwendigkeit!
Höchstes Gestirn des Seins!
– das kein Wunsch erreicht,
– das kein Nein befleckt,
ewiges Ja des Seins,
ewig bin ich dein Ja:
denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! – –