Johann Anton Leisewitz
Selbstgespräch eines starken Geistes in der Nacht
Johann Anton Leisewitz

Johann Anton Leisewitz

Selbstgespräch eines starken Geistes in der Nacht

Noch immer Krieg der Leidenschaften, und Empörungen längst besiegter Begierden! – Gott, wann wird's Friede in meiner Seele!

Und meine Vernunft, was für ein langsamer Streiter! Wie lang muß ich nach ihr rufen, wenn ich sie brauche! Ich verlange von meiner Philosophie, was mir mein Augenlied leistet. Es ist schon geschlossen, wenn mein Stäubchen von fern kömmt.

Immer steht das Gespenst meiner verstorbnen Unschuld vor mir. Der Himmel weis, hat es je einen Körper bewohnt? Ist es von Anfang der Schöpfung ein Gespenst, oder der Dunst des gestrigen Abendessens, der in den Hölen meines Gehirns irrt?

Nun – gern will ich an allem zweifeln. Untersuchung sey der Kräusel der Philosophen, und der meinige.

Wahrheit sey das, was der Wiz will! Für ihn nichts, als eine Wolke, um seine farbigen Strahlen darinn spielen zu lassen!

– Allein es ist Tugend; und schrecklich, immer vom Guten zum Bösen, und wieder zurückgewirbelt zu werden! An Einem Tage dreymal ein Heiliger und dreimal ein Schurk zu seyn!

Warum bin ich verdammt, die Harmonie eines Karakters zu kennen, und jeden Miston zu fühlen, wenn mein Leben ein Gemisch von Tönen ist, die am Marke der Gebeine krazen? Verflucht sey der Adlerblick in sein Innres, wo man immer etwas sieht, was man lieber nicht gesehn hätte!

Wie beneid' ich den Sklaven seines Magens und seines Bauches, der sein Leben verschnarcht, und dem in diesem Schlafe gar träumt, er sey tugendhaft!

Wann werd' ich ruhig! – Kömmt auch einmal ein Tag, der, schwanger mit Lohn und Strafen, für die Thaten iziger Zeit noch im Schoosse der Zukunft schläft? – Und, wenn er kömmt, was wird der ewige Richter in die andre Wagschaale gegen meine Thaten legen? Mein Bestreben zum Guten, oder ewige moralische Schönheit? Die Tugend, oder meine Tugend?

– Ach! der Morgen verweilt lange.