Kurd Lasswitz
Prost
Kurd Lasswitz

Kurd Lasswitz

Prost

Der Faust-Tragödie (-n)ter Teil.

Von Herrn von Goethe, Excellenz durch astrophysische Vermittelung aus der vierten Dimension in ein von allen Seiten verklebtes Buch eigenhändig aufgezeichnet. Im spirituösen Auftrage des Mathematischen Vereins zu Breslau aufgeschnitten und herausgegeben von Dr. Kurd Lasswitz. Zur Feier des 20. Stiftungs-Festes am 11. Februar 1882 aufgeführt und für die Mitglieder und Gönner des Vereins als Manuskript gedruckt. Personen: Prost, Stud. math. in höheren Semestern, steht vor dem Staats-Examen, Mephisto, Dx (sprich De-ix), Differentialgeisterkönig, ein Fuchs. Ort Breslau. Zeit: Nach dem Abendessen. (Rechts ein Sofa, auf dem Tische zwischen allerlei Büchern ein Bierseidel und Bierflaschen, links eine Tafel auf einem Gestell, Kreide und Schwamm. Auf der Tafel ist eine die gesamt Fläche einnehmende ungeheuerliche Differentialgleichung aufgeschrieben).

Prost am Tische, mit den Büchern beschäftigt. Er stärkt sich.

Prost Habe nun, ach, Geometrie, Analysis und Algebra
und leider auch Zahlentheorie studiert,
und wie, das weiß man ja!
Da steh' ich nun als Kandidat
und finde zur Arbeit keinen Rat.
Ließe mich gern Herr Doktor lästern;
zieh' ich doch schon seit zwölf Semestern
herauf, herab und quer und krumm
meine Zeichen auf dem Papiere herum,
und seh', daß wir nichts integrieren können.
Es ist wahrhaftig zum Kopfeinrennen.

Zwar bin ich nicht so hirnverbrannt,
daß ich mich quälte als Pedant,
wenn ich 'ne Reihe potenziere,
zu seh'n, ob sie auch konvergiere,
und ob 'ne Funktion stetig sei,
das ist mir gänzlich einerlei.
Dafür – ist es nicht zum Ergrimmen? –
will mir auch niemals die Rechnung stimmen.
Eine Gleichung hab' ich zu diskutieren,
doch kann ich vom Integral nichts spüren.

Im Verein ist's schlecht um mich bestellt,
denn zum Beitrag habe ich niemals Geld.
Es mochte kein Hund so länger leben.
Drum hab' ich (auf den Seidel klopfend) mich der Magie ergeben,
ob Geistes Kraft durch meinen Mund
mir ein Geheimnis mache kund,
dass ich nicht mehr mit Kreide und Schwamm
zu traktieren brauche den Formelkram,
dass ich finde mit einem Mal
meiner Gleichung Integral. (Er stärkt sich.)

O sahst du, volles Deckelglas,
zum letzten Mal mich fern vom Faß,
wo ich so manche Mitternacht
in deinem Dienst herangewacht.
Dann dem Vereine freundschaftlich,
geliebter Ganzer, kam ich dich!
Ach, könnt' ich nach der Sitzung Müh'n,
wenn andre dem Lokal entflieh'n,
am Kneiptisch wieder Lieder brüllen,
mit braunem Trank den Leib mir füllen
und bei der Schoppen Lustgetön
noch lange nicht nach Hause gehn!
(Stärkt sich, sitzt still und fährt dann auf)
Pfui! Steck' ich in der Bude noch?
Verfluchtes dumpfes Mauerloch
wo Lärm und Sang mich nicht entzückt,
wo mich kein Tabaksqualm erquickt!
Von diesem Bücherhauf erdrückt
beinahe wär ich eingenickt.

Und fragst du noch, warum dein Kopf
dir ungeschickt zum Rechnen brummt?
Warum dich philiströsen Tropf
Analysis schon halb verdummt?
Statt aus lebend'gem Bieresschank,
wo Suchan [der Wirt] reicht die Seidel dir
auf deiner Bude ohne Dank
säufst du das schnöde Flaschenbier.
Doch nein! Selbst hier fühl' ich den Geist,
der in dem Biere sich erweist.
Ob nicht auch wohl der stille Suff
mitunter klare Einsicht schuf?
(Stärkt sich)
Schon fühle ich ein sanftes Weh'n
durch Kopf und Glieder lieblich geh'n.
– Ich dachte – lasst doch einmal sehn,
den Riemann müsst' ich jetzt verstehn.
(Schlägt ein Buch auf)
Ha, welche Wonne fließt in diesem x
auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
Jetzt, will mir scheinen, müsst' ich augenblicks
das längst gesuchte Integral gewinnen.
Welch holder Index! Welch ein Modulus!
Phi, kappa, lambda, ... r heisst Radius –
Welch reizende Determinanten
mit 36 fraglichen Konstanten!
Welch Schauspiel! – – Aber ach, ein Schauspiel nur!
Ich fühl' es wohl, noch fass' ich keine Spur
(Schlägt das Buch auf und stärkt sich)
Fort mit dem schnörkelhaften Buche!
Ob ich's noch einmal selbst versuche?
Vielleicht, dass mich der Geist erleuchtet,
wenn ich ihn kräftig angefeuchtet.
(Stärkt sich im folgenden wiederholt, das Seidel immer frisch füllend.)
Die Gleichung, ha, vor der mir graut,
die ich der Tafel anvertraut –
da steht sie! Ja, wenn ich nur wüsst',
was damit anzufangen ist.

(Er nimmt verschiedene unmögliche Operationen vor. Hier hat der Humor der Darsteller freien Spielraum. Das Trinken ist nicht zu vergessen, das Operieren an der Tafel muss sehr rasch gehen)

Die Gleichung – soviel seh' ich schon –
definiert eine neue Funktion.
Aber was für Eigenschaften
mögen das Ungetüm behaften?
Was hat sie wohl für eine Verzweigung?
Zu welcher Entwickelung zeigt sie Neigung?
Welche Ordnung und welches Geschlecht?
Aber, mag ich sie gleich nicht kennen,
will ich sie doch inzwischen benennen:
dieProst-Funktion! So ist es recht!
(Man merkt die wachsende Bekneipheit, die jedoch nur leicht markiert werden darf.)
Wie anders winken jetzt die Zeichen mir!
Schon fühlt ich mich der Lösung näher.
Der Grad der Gleichung wird nicht höher.
Schon glüh' ich wie von ächtem Bier.
Ich fühle Mut zum Transformieren!
Dies Glied hier wird sich annullieren,
und dieses auch – und dieses hier – (Er wischt massenhaft weg.)
Es lebe der Bier!
Was kann da sein?
Alles 'rein!
(Wischt wieder.)
Wie wird mir so hell!
Ins Dunkel grell
leuchtet ein Blitz des Geistes mir schon.
Noch eine Substitution,
und die Funktion hat ihm schon.
Ha! Ich stehe wie auf Kohlen!
Die Substitution, und sollt ich sie stehlen,
darf mir nicht fehlen!
und sollt ich sie holen
aus der n-ten Dimension!
Geist der Ordinaten und Abscissen,
du musst es wissen,
der Abscissen und Ordinaten,
du musst mir raten!
Geist des Unendlichkleinen,
du sollst mir erscheinen!
Ich fühl' es tief, du wirst mein Leiden kürzen –
du musst! du musst! und sollt' ich noch eins stürzen!
(Er greift nach dem Seidel.)

Der Geist Dx erscheint. (Phantsiekostüm, langer Talar mit mathematischen Zeichen, auf dem Kopfe eine kegelförmige Mütze mit mathematischen Figuren, auf der Brust ein großes Dx, in der Hand ein (aus Pappe oder Blech herzustellendes) großes Integralzeichen; er spricht feierlich, die Maske muss jedoch möglichst blödsinnig sein.)

Dx Wer ruft mir?

Prost (stellt sein Glas erschrocken hin.) Schauderhafter Wicht.

Dx (ergreift das Seidel) Prost!

Prost Sauf!

Dx (trinkt einen Ganzen sehr schnell)

Prost So kann ich's freilich nicht.

Dx Du flehst, den Geist Dx zu schauen,
zu sehen ein Differential –
mich rührte deines Hirnes Qual –
da bin ich! –
Welch Philistergrauen faßt, alten Burschen, dich?
Wo ist der Kehle Zug,
die manchen Ganzen in den Leib dir schlug?
Wo bist du, Prost, der so unendlich trank,
dass er mich zu erscheinen zwang?
Bist du es, der von meinem Hauch umwittert
wie ein skalpierter Walfisch zittert?
So fürchterlich bist du im Thran?

Prost Soll ich dem reinen Formbegriffe weichen?
Ich hab' studiert ich kenne deine Zeichen.

Dx Im Unendlichkleinen, im Weltenwahn wachs' ich zu, nehme ab, schrumpf' ich ein und aus.
Geburt und Grab für den Größengraus,
ein Raumverlieren, ein Integrieren so walt' ich im denkenden Meisterverstand
und wirke der Forschung formales Gewand.

Prost Der du die weite Wissenschaft umgreifst,
allmächt'ger Geist Dx, ich kenne dich!

Dx Du kennst den Geist, in dem du säufst, nicht mich! (verschwindet.)

Prost Nicht dich? Was denn? Ich,
Mitglied des Vereins, und kenne nicht dich?
Soll es denn niemals mir gelingen
ins analytische Reich zu dringen
und meine Gleichung zu bezwingen?
(Trinkt und schläft allmählich ein.)
Könnt ich durch Substitution nur noch – – eine Transformation – wenn dann – – die Indices – my, lambda, ny, – dy – dr – d phi – – (Schnarcht.)

Mephisto (tritt auf.) Er schläft. Geleert ist seine Kuffe.
Ja, so was kommt vom stillen Suffe.
Fahr nur so fort! Ich sage Amen!
Dann fällst du glänzend durch's Examen.
Zur Hälfte hab' ich jetzt dich schon
doch will ich sicher dich gewinnen
und auf 'ne hübsche Transformation
für deine Seele mich besinnen.
'S ist zwar ein schlecht Geschäft für mich
die Mathematiker zu holen.
Sie sind mit Bier durchtränkt so fürchterlich,
dass sie im besten Ofen kaum verkohlen.
Prost, wache auf!

Prost (Im Schlafe) My, – lambda, chi, rho, –

Mephisto Wach auf!

Prost Nanu, wer schüttelt mich denn so?

Mephisto Wach auf!

Prost Wer sind Sie? Gehen Sie zum Teufel.

Mephisto Ist nicht erst nötig, denn ich selber bin's.
Du aber scheinst mir nicht ganz hellen Sinns.
Moral'schen Kater hast du ohne Zweifel.

Prost Den Teufel, ja! Und physischen dazu.

Mephisto Und mathemat'schen Kater obendrein.

Prost Was geht's euch an? Lasst mich in Ruh!

Mephisto (Geht an die Tafel.) Die Lösung scheint mir doch nicht schwer.

Prost Der Teufel mag die Gleichung integrieren.

Mephisto Wenn dirs beliebt, so will ich es riskieren.

Prost Ihr wolltet?

Mephisto Gern. Ich tu' dir's zu Gefallen.

Prost Und dann hat mich der Teufel in den Krallen?

Mephisto Nicht mehr, als da mir ohnedies verfallen

Prost Wieso?

Mephisto Wenn du verbummelst.

Prost Nimmermehr!
Nur das Examen, fürcht' ich, fällt mir schwer.
Der Wust von Sätzen, all' die Einzelheiten,
macht dem Gedächtnis Müh' und Schwierigkeiten,
und darum graut mir fast vor dem Examen.
Doch frei der freien Wissenschaft
gelob' ich meine beste Kraft.
Siehst je du meinen Mut erlahmen,
wenn es der Forschung hohe Ziele gilt,
siehst du zum Bummeln dann mich je gewillt,
so sei ich dein.

Mephisto Drauf geh' ich ein.

Prost Topp! Und die Gleichung?

Mephisto Mach' dir keine Sorgen, ich löse sie.

Prost Noch heut?

Mephisto Warum nicht morgen?

Prost Darauf will ich mich nun nicht steifen.
Jetzt geht es an ein frisch Begreifen !

Mephisto O glaube mir, der an dem harten Leder
"Mathematik" zweitausend Jahre kaut,
dass von der Schulbank bis auf das Katheder
nicht leicht ein Mensch den Zauber ganz verdaut.

Prost Allein ich will.

Mephisto Es wird dir nicht gelingen.
Und dann, mein Freund, was kannst du denn erringen?
Ein Zeugnis Nummer 1?
Du sollst es haben.
Dann lehrst du im Gymnasium die Knaben
(r²s) und (a + b)²
und korrigierst bis abends spat.
Willst du dich dann zu deinen Formeln setzen,
ermüdet fallen dir die Augen zu,
du sagst, so hab' es denn bis Morgen Ruh',
am Stammtisch will ich noch ein Stündchen mich ergötzen.
So geht es Tag für Tag und Jahr für Jahr,
verbummelst als Philister ganz und gar.

Prost Ich nicht, ich nicht!
Mein Freund, in deiner Lehre,
was kümmert mich die tägliche Misere?
Jetzt preis' ich meiner Studien Geschick!
Fort Staatsexamen! Hoch Mathematik!
Jetzt soll mich keine Mühe mehr verdrießen,
kein äußres Wissen soll in mir sich häufen,
mein Geist soll jetzt das Höchst' und Tiefere greifen
und ganz der freien Wissenschaft genießen!

Mephisto Da hast du auch was Recht's!
Zu reüssieren
musst du in's Specielle dich verlieren.
Hast du es dann so trefflich weit gebracht,
dass du was wirklich Neues dir erdacht –
sieh dich nur um, wo du die Menschen findest,
die das versteh'n, was du ergründest.
Du magst gewiss ein großes Lumen sein,
doch stehst du in der weiten Welt allein.
Und die Studenten zu examinieren,
heißt das vielleicht ein besser Leben führen?
Du hast die alte Wissenslast
doch stets aufs neue vorzutragen.
Zu lehren was du selbst gefunden hast,
wie selten blüht dir dies Behagen.
Eh' deine Hörer dich begriffen,
sind sie gewöhnlich ausgekniffen.
(Es klopft.) Das ist ein Füchslein [Erstsemester]

Prost Habe keine Zeit.
Die Gleichung löse mir,
und lass uns eilen!

Mephisto Sogleich, mein Freund, ich bin sogleich bereit.
Will nur den Fuchs rasch dem Vereine keilen.
Gieb Deinen Schlafrock – so – und lass mich hier.
Im Nebenzimmer liegt ein Fäßchen Bier.
(Prost ab, Mephisto. legt den Schlafrock an.)

Mephisto (als Prost): Verachte nur den regulären Gang,
der steten Arbeit wunderthät'gen Zwang,
lass selbstgenug im eitlen Wahn dich wiegen
mit einem Schlag zum Ziel empor zu fliegen,
dann kommst du ganz gewiß nicht weit.
Ihm hat das Schicksal ganz das Zeug gegeben
was Tücht'ges zu erringen mit der Zeit.
Nun fass' ich ihn bei der Bequemlichkeit,
mit großen Plänen nur soll er sich tragen,
im Einzelnen nichts zu vollbringen wagen,
herabseh'n auf der Freunde Regsamkeit –
im Stolz auf eig'ner Bahn zu wandern
trenn' ich vom Eifer ihn der andern.
Statt redlich wirken im Verein
soll er dem stillen Suff sich weihen.

Fuchs (tritt auf). Ich ließ mich heut immatrikulieren,
möchte gern Mathematik studieren.
Da dacht' ich denn, ihr wär't ein Mann,
der mir ein wenig raten kann,
wie mir's am besten möchte frommen
im Studium recht bald weiter zu kommen.

Mephisto Eu'r Besuch ist mir sehr angenehm
macht's euch doch, bitte recht bequem.
(Lädt ihn zum Sitzen ein.)
Habt ihr euch auch schon resolviert,
welchen Zweig ihr besonders cultiviert?

Fuchs Ich denke, ich muss doch darauf seh'n
die allgemeinen Grundzüge zu versteh'n,
eh' ich kann ins Specielle treten.

Mephisto Das ist nun gerade nicht von Nöten.
Wühlt euch nur wie ein Maulwurf ein,
grabt nur recht tief und guckt nicht nach den Sternen.

Fuchs Doch kann man auch von andern lernen.

Mephisto Vor allem hütet euch vor dem Verein.

Fuchs Ich hörte nun gerade draußen sagen,
daß man sich dort soll sehr behagen.

Mephisto Ihr sollt ja in die Tiefe graben,
was braucht ihr da Gesellschaft zu haben?
Ich höre gar, die Gemütlichkeit
macht sich dort mit unter breit.
Ihr lasst am Ende euch verführen
nach zehne noch ein Glas zu riskieren.
Der Kater ist das schlimmste Tier.

Fuchs Ihr habt wohl recht. Fast scheu ich nun das Bier.
Auch wollt' es meiner Mama nicht passen
mir den Hausschlüssel zu überlassen.
Was soll ich nun aber denn studieren?

Mephisto Ihr könnt es mit analytischer Geometrie probieren.
Da wird der Raum euch wohl dressiert,
in Coordinaten eingeschnürt,
dass ihr nicht etwa auf gut Glück
von der Figur gewinnt ein Stück.
Dann lehret man euch manchen Tag,
dass was ihr sonst auf einen Schlag
construiertet im Raume frei,
eine Gleichung dazu nötig sei.
Zwar ward dem Menschen zu seiner Erbauung
die dreidimensionale Raumanschauung,
dass er sieht was um ihn passiert,
und die Figuren sich construiert –
der Analytiker tritt herein
und beweist, das konnte auch anders sein.
Gleichungen, die auf dem Papiere stehn,
die müßt' man auch können im Raume sehn;
und konnte man's nicht construieren,
da müsste man's anders definieren.

Denn was man formt nach Zahlengesetzen
müsst' uns auch geometrisch ergetzen.
Drum in den unendlich fernen beiden
imaginären Punkten müssen sich schneiden
alle Kreise fein säuberlich,
auch Parallelen, die treffen sich
und im Raume kann man daneben
allerlei Krümmungsmaße erleben.
Die Formeln sind alle wahr und schön,
warum sollen sie nicht zu deuten gehn?
Da preisen's die Schüler aller Orten,
dass das Gerade ist krumm geworden.
Nicht-Euklidisch nennt's die Geometrie,
spottet ihrer selbst, und weiß nicht wie.

Fuchs Ich kann euch nicht eben ganz verstehn.

Mephisto Das soll den Philosophen auch so gehn.
Doch wenn ihr lernt alles reducieren
und gehörig transformieren,
bis die Formeln den Sinn verlieren,
dann versteht ihr mathematisch zu spekulieren.

Fuchs Ich bin von alledem so consterniert,
als würde mir ein Kreis im Kopfe quadriert.

Mephisto Nachher vor allen andern Sachen
müsst ihr euch an die Funktionen-Theorie machen.
Da seht, dass ihr tiefsinnig fasst,
was sich zu integrieren nicht passt.
An Theoremen wird's euch nicht fehlen,
müsst nur die Verschwindungspunkte zählen,
umkehren, abbilden, auf der Eb'ne 'rumfahren
und mit den Theta-Produkten nicht sparen.
Und dass ihr mir die Formeln deutlich schreibt!

Fuchs Gewiss, damit es richtig bleibt.
Denn wenn einmal ein Buchstab' nicht zu lesen
wer kann dann je noch wissen, wie's gewesen?

Mephisto Wie wär‘ es mit der Astronomie?

Fuchs (macht eine abweisende Geste)

Mephisto Ich kann es euch so sehr nicht übelnehmen.
Man treibt dabei doch nicht bloß Theorie,
die Praxis aber führt zum Unbequemen.
Ihr müsst in kalter Winternacht
euch stundenlang auf Bauch und Rücken legen,
und wenn ein selt'nes Phänomen euch lacht,
giebt's zur erhofften Stunde sicher Regen.
Und dann das Rechnen! Dieser Zahlenzwist!
Stets liegt mit Zahlen man in Fehde.
Vom Zahlen, das an uns gerichtet ist,
von dem ist leider nie die Rede.

Fuchs Mein Bedenken wird durch euch vermehrt.
O glücklich der, den ihr belehrt.
Fast möcht' ich nun moderne Algebra studieren.

Mephisto Ich wünschte nicht euch irre zu führen.
Was diese Wissenschaft betrifft,
es ist so schwer, die leere Form zu meiden,
und wenn ihr es nicht recht begrifft,
vermögt die Indices ihr kaum zu unterscheiden.
Am Besten ist's, wenn ihr nur Einem traut
und auf des Meisters Formeln baut.
Im Ganzen – haltet euch an die Symbole.
Dann geht ihr zu der Forschung Wohle
ins sichre Reich der Formeln ein.

Fuchs Ein Resultat muss beim Symbole sein?

Mephisto Schon gut! Nur muss man sich nicht allzu ängstlich quälen.
Denn eben, wo die Resultate fehlen,
stellt ein Symbol zur rechten Zeit sich ein.
Symbolisch lässt sich alles schreiben,
musst nur im Allgemeinen bleiben.
Wenn man der Gleichung Lösung nicht erkannte,
schreibt man sie als Determinante.
Schreib was du willst, nur rechne nie was aus.
Symbole lassen trefflich sich traktieren,
mit einem Strich ist alles auszuführen,
und mit Symbolen kommt man immer aus.

Fuchs Ich halt' euch auf mit vielen Fragen,
jedoch verzeiht noch einen Augenblick.
Wollt ihr vielleicht von der Physik
mir auch ein kräftig Wörtlein sagen?

Mephisto Die mathematische Physik ist leicht zu fassen.
Ihr deformiert nur die unendlich kleine Welt,
um es am Ende sein zu lassen –
wie's dem Empiriker gefällt.
Vergebens, dass ihr rings nach Hypothesen sucht.
Ein Jeder nimmt, was er gebrauchen kann.
Doch der den höheren Potenzen flucht,
ist ein gemachter Mann.
Vernachlässigt nur wacker Stiel und Strunk,
und wenn’s nicht stimmt, schreibt’s auf die höher'n Glieder.
Und geht's noch immer nicht, dann sagt ganz bieder:
das liegt an Fehlern der Beobachtung
Besonders lernt mir die Constanten zwingen.
'S ist eine lange Frage oft ganz unverhofft durch ein Constantchen aus der Welt zu bringen.
Auch könnt' ihr rechnen mit Wahrscheinlichkeiten
und Mittelwerte fein herleiten
nach dem Gesetz der großen Zahlen,
nur hütet euch vor schweren Integralen.
Zuletzt, wisst ihr euch besser nicht zu raten,
greift zu Abscissen und zu Ordinaten,
tragt's auf 'nem großen Bogen ein
und sagt: so muss die Curve sein.

Fuchs Das sieht schon besser aus, man weiß doch wo und wie.

Mephisto Falsch, teurer Freund, ist alle Empirie
und nur die Rechnung ist gewiss.

Fuchs Ich bin schon wie im Paradies. (Empfiehlt sich mit vielen Verbeugungen)

Mephisto Nun, lieber Prost, kannst du hereinspazieren
Ich will dir deine Gleichung integrieren.

Prost (tritt ein)

Mephisto (nimmt willkürliche Operationen an der Tafel vor, bis plötzlich die unten angegebene einfache Formel dasteht)
Zunächst – das macht man einfach so –
Zwei Striche noch – wir schreiben r statt rho –
es – so – da haben wir's: df = i (la)² dr. Die Variabeln sind getrennt.
Das Weitere kann selbst ein Student
gleich dir berauscht vom Geist des Biers. Fahr fort.

Prost (schreibt weiter) f = ir (la)² + Const.

Mephisto Nun, die Constante ist gleich b.

Prost (schreibt) fc = (la)² + b.

Mephisto Schreib sie voran.

Prost (schreibt) b + ir (la)²

Mephisto verstehst du nun? Leb wohl.

Prost Du gehest schon? So bleib doch hier.
Erkläre mir –

Mephisto Es thut mir leid, hab' keine Zeit.
Doch höre, welch ein holder Ton!

Chor hinter der Scene singt leise den ersten Vers von "Der Bierlala war der einzige Sohn" etc.

Mephisto (während des Gesanges) Damit er mich nicht incommodiert,
sei er ein wenig hypnotisiert.
(Er streicht ihn. Prost schläft ein. Mephisto deckt ihn mit dem Schlafrock zu. Sobald der Gesang beendet schreibt Mephisto an die Tafel: Bierlala! Die Lösung ist da!)
Die Tafel weih' ich mit diesem Worte
nun soll ihm nichts mehr zu finden gelingen.
Sobald er rechnet an diesem Orte,
wird ihn ein höllischer Durst bezwingen.

(Er streckt den Arm aus. Gesang hinter der Scene "Als Bierlala in ein Wirtshaus kam etc" Nach Beendigung dieses Verses erscheint der Geist Dx)

Mephisto Holla, was willst du?

Dx (die Tafel fassend) Das ist mein Gebiet!

Mephisto Ich habe mir den Prost gefangen.

Dx Wenn ihr euch nicht sogleich verzieht,
will ich euch Eine runterlangen.

Mephisto Ihr seid sehr grob.

Dx Das will ich sein.
Mit solchen Teufeln redet man nicht fein.
Nach Geisterrecht bist du mein Knecht.

Mephisto Wieso ?

Dx Weil du dich mathematisch widersetzt,
mit Absicht Rechnungsregeln hast verletzt,
mit einem Wort, weil du falsch integriert.

Mephisto Als ob das nicht auch sonst passiert.

Dx Ich zwinge deinen Zauber zu vergehn.
Was zur Verführung du gethan,
er halte es für Traumeswahn
und nur zur Warnung sei es ihm geschehn.
Gerettet sei der gute Prost
und an der Tafel rechne er getrost.
Was er beginnt, das führe er zum Ziel!
Dass er in redlichem Calcul
selbst mag das Schwierigste begleichen,
weih' ich ihn ein mit diesem Zeichen. (Er berührt ihn mit dem Integralzeichen)

Mephisto Dem stärkern Zauber muss ich weichen.
Das Eine konnt' ich doch erreichen:
er integriere noch so schön,
der Durst wird nimmer ihm vergehn.

(Der Chor singt den letzten Vers: "Als Bierlala gestorben war etc.". Währenddessen weist Dx Mephisto hinaus, der unter höhnischen Gebärden abgeht. Der Geist verschwindet. Prost erwacht sichtlich verkatert.)

Prost War mir's doch gerad', als säß' ich im Verein,
als hätten wir den Bierlala gesungen.
Und blieb doch still zu Haus! Das ist gelungen!
Sollt' ich denn hier bekneipt gewesen sein?
Was wollt ich gestern eigentlich beginnen?
Ich kann mich gar nicht mehr besinnen.
Zehn leere Flaschen? Hm! Ja, freilich dann –
kein Wunder, wenn man nicht mehr rechnen kann.
(Sieht auf die Tafel.)
Bierlala! Hahaha! Ein schönes lntegral!
Und dazu diesen Schädel! Nein, nein, nein!
Der stille Suff kann nicht gedeihlich sein.
Heut war es ganz gewiß zum letzten Mal!
Ich fühl' es wohl, nur im Verein
kann uns das Bier gesegnet sein,
dass man mit neugestärkter Kraft
sich stürze in die Wissenschaft.
Will nur ein kleines Frühschöpplein probieren –
dann geh' es frisch an's Integrieren!