August Friedrich Ernst Langbein
Der Beinbruch
August Friedrich Ernst Langbein

August Friedrich Ernst Langbein

Der Beinbruch

Bonnard erschien vormittags allezeit und überall als ein artiger und liebenswürdiger junger Mann, nachmittags und abends aber nicht immer. Er war, in Rücksicht der den alten Germanen so oft vorgeworfenen Liebe zum Trunk, ein eifriger Deutscher und kannte kein süßeres Vergnügen, als die beliebten Lieder «Genießt den Reiz des Lebens!» und «Bekränzt mit Laub den lieben, vollen Becher!» in lustiger Gesellschaft zu singen und eine Flasche Wein dabei auszustechen. Wär' es nur bei einer geblieben, so würde niemand etwas dagegen gehabt haben, da es seine Einkünfte erlaubten. Allein es hieß immer: Man steht nicht auf einem Beine, und: Aller guten Dinge müssen drei sein. Oft wußt' er sogar die vierte, fünfte und sechste Flasche mit dergleichen Sprüchwörtern und Beweisstellen zu belegen. –

Seine Mutter und Geschwister, mit denen er noch gemeinschaftlich zusammen wohnte, hatten fast jede Nacht den Kummer, ihn bezecht nach Hause kommen zu sehen. Ihre dringendsten Vorstellungen blieben fruchtlos, und sie fingen bald an, seine Völlerei für unheilbar zu halten.

Ebenso dachte Laura, Bonnards Geliebte. Nach unzähligen kleinen Zwisten darüber kam es endlich zwischen den beiden Liebenden, die fast so gut als verlobt waren, zum völligen Bruch.

Seitdem fiel er noch tiefer in Bacchus' Schlingen. Er hatte bisher, aus Achtung gegen Lauren, wenigstens den äußerlichen Schein von ordentlicher Lebensart beibehalten; nun aber ward er ein schamloser, stadtkündiger Trunkenbold. Es verging keine Nacht, daß er nicht eine Schlägerei mit den Scharwächtern gehabt oder in einer Wachstube den Rausch ausgeschlafen hätte. Seine Gesundheit fing dabei sichtbar an zu leiden, und sein Vermögen schmolz. Kurz, er stand am Rande des Verderbens.

Das schmerzte zwei redliche Freunde von ihm, die zwar oft an seiner Seite tranken, sich aber immer in den Schranken der Mäßigkeit hielten. Sie vereinigten sich, den Zecher durch ein ungewöhnliches Mittel zu bessern.

In dieser Absicht gingen sie eines Abends mit ihm in einen Italienerkeller und stellten sich von besonders guter Laune. Bonnards Lieblingsweine wurden aufgetragen. Man ließ ihn trinken, soviel er wollte. Er berauschte sich wacker. Gegen Mitternacht rieben sich seine Gesellschafter die Augen, gähnten und schliefen ein. Ihm war es lieb, daß er nun, ohne von ihnen gescholten zu werden, noch eine Flasche trinken konnte. Eh' er aber damit fertig war, stieg seine Trunkenheit auf den höchsten Grad, und er fiel endlich selbst, von allen Sinnen verlassen, in einen festen Totenschlaf.

Jetzt erwachten seine Freunde von ihrem nur verstellten Schlummer und rüttelten und schüttelten ihn. Zu ihrem Vergnügen ward er nicht munter. Sie ruften nun einen von der Sache schon unterrichteten und im Nebenzimmer verborgenen Wundarzt herbei. Dieser brachte Schienen und andere bei einem Beinbruche nötige Gerätschaften hervor und schnürte das gesunde rechte Bein des Schläfers so scharf zusammen, als ob er es höchst gefährlich gebrochen hätte. Hierauf spritzten sie ihm Wasser ins Gesicht und erhoben ein klägliches Geschrei. Er fuhr darüber empor, griff schnell nach dem Beine, das die Schienen drückten, und wollte vom Stuhl auf. Sie hielten ihn aber fest und schrien ihm zu: «Unglücklicher, rühre dich nicht! Du hast Schaden genommen! Wir sind vorhin kaum eingeschlummert, so taumelst du sinnlos herum, stürzest die Treppe herunter, brichst das Bein und fällst zugleich in Ohnmacht. Wir erwachten darüber, hoben dich auf und ließen dich verbinden. Rühre dich ja nicht! Es ist schon ein Tragsessel bestellt, dich nach Hause zu bringen.»

Bonnard war ganz außer sich. Seine Einbildungskraft vergrößerte nun den Druck der Schienen zum Schmerz eines wirklichen Beinbruchs; er hatte keinen Gedanken, daß die ganze Geschichte nur ein Märchen sei, und ließ sich jammernd heimtragen.

Hier empfing ihn seine Familie, wie es verabredet war, weinend und wehklagend. Er ward nun vier Wochen lang vom Wundarzt besucht und sein Bein in einen Kasten gesperrt, wo es sich nicht rühren und gar nicht zur Überzeugung seiner Gesundheit gelangen konnte. Ein so langes Ausharren auf einer Stelle war dem armen Mann unerträglich. Er verwünschte den Wein als den Urheber seiner Leiden und tat ein Gelübde, sich nie mehr zu berauschen.

Nach Verfluß eines Monats kündigte der Wundarzt ihm endlich an, daß die Heilung vollendet sei. Es war lustig zu sehen, wie er bedächtig und gleichsam auf Eiern ging, um das zerbrochene Bein zu schonen.

Sein erster Weg war zu Lauren, die er um Vergessenheit des Vergangenen und Wiederschenkung ihrer Liebe bat. Sie versprach beides unter der Bedingung eines nüchternen Probejahrs. Dieses hielt er mannhaft aus, ward alsdann Laurens Gatte und blieb zeitlebens ein ordentlicher, gesitteter Mann, der niemals mehr trank. als er vertragen konnte.

Erst nach vielen Jahren erfuhr er den Streich, der ihm gespielt worden war. Er dankte seinen Freunden herzlich und fing nun erst wieder an, auf dem rechten Beine, dessen Anstrengung er bis jetzt immer noch mit lächerlicher Sorgfalt vermieden hatte, fest aufzutreten.