Jean Paul
Der Maschinenmann
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Jean Paul

Der Maschinenmann

Wenn ich besonders darauf zu sehen habe, daß ich bei meinem Leben keinen Aufsatz unvollendet stehen lasse wie etwa Lessing seinen »Schlaftrunk«, weil ich das warnende Beispiel Lessings vor mir habe, daß die Mannheimer Bühne zwar einen Preis für den, der eine solche Antike ergänzt, aber nicht den Ergänzer selbst, der ihn verdient, bewilligen könne: so brauche ich das bloß bei diesem Aufsatz nicht – ich könnte ihn gar nicht machen, ich könnte ihn höchstens halb machen; denn eben nach dem Tode brauche ich ihn erst auszuarbeiten. Der ganze Aufsatz läuft nämlich auf eine Erzählung vom Maschinenmann hinaus, die für niemand im Grunde hörenswert ist als für Leute auf dem Monde, auf dem Saturn, auf dessen Trabanten, auf dessen Ringen. Denn bei uns auf der Erde muß dieser Mann so bekannt sein wie ein Pudelhund, aber auf dem Saturn gar nicht, und es ist ein rechtes Glück für diesen Planeten, daß ich – wenn er anders nach dem Tode mein neues Jerusalem wird, wie mir wegen der nähern Aussicht in andere Planetensysteme und wegen der größeren Entfernung von meiner Schwiegermutter auf Erden von Herzen zu wünschen ist – die Saturnianer in Bekanntschaft mit dem Maschinenmann bringen will. Ich biete dem Maschinenmann – so erzähle ich's den Saturnianern – einen guten Morgen und guten Abend, aber damit gut, denn ich kann ihn nicht ausstehen, wegen seiner verfluchten Narrheiten. Er tut alles durch Maschinen. Er hat kein Federmesser im ganzen Hause, sondern ein gewisses Instrument, von dem er sich seine Federn durch einen Druck vorschneiden läßt – er schreibt aber doch kein Jota damit. Denn in Wien, wo ihm alles gezeigt wurde, ließ man ihn auch die Schreibmaschine des Kaisers besehen, durch die man, indem man mit eigener Hand etwas schreibt, das nämliche dann doppelt und vielfach hingeschrieben hat. Er machte sich eine nach und führte nun mit seiner uneingetunkten Feder, die er in der Luft herumzog, der Maschine die repetierende Hand und Feder. Er meldete einmal, auf der Marterbank des Jammers sitzend, den Tod seiner Frau einem Freunde; aber der Brief war doch von der Maschine geschrieben, die er seinen Amanuensis und Sekretär nennt. Das bereute er oft und vor jedermann: »Denn ich hätte bloß«, sagte er, »einen leeren Bogen Trauerpapier schicken sollen, das am Rande schwarz gewesen wäre, aber weiter nirgends.« Seitdem schickte er, um seine zweite Ehe zu melden, einen leeren Bogen mit einem gelben Rande; – um seine zweite irdische Scheidung zu melden, sandte er einen mit einem grünen, und die Beerbung seiner leiblichen Mutter tat er durch einen Rand von ventre de Biche kund. Daher vermuteten einige oder mehrere Deutsche, er wäre ein Narr; aber vernünftige Pariser wußten recht gut, daß er ein Pariser sei und ihnen diese Diffusionsräume abgeborgt habe. Er verstand zwar nicht das Einmaleins, aber dafür das Rechnen ungemein gut, das er nicht wie eine Maschine, sondern durch eine Maschine betrieb; er drehte bloß die Rechenmaschine des Herrn Pastor Hahn ein paarmal um: so hatte er sein Fazit und Vergnügen obendrein. Ich habe mich daher oft ein wenig gewundert, woher es kommen mag, daß man ihn oder auch die Hahnische Maschine noch nicht als Rechnungsrevisor angestellt hat; es kann aber gar wohl doch nach meinem Tode auf der Erde geschehen sein.

Dies wird den Saturnianern genug gefallen; aber ich werde weitererzählen.

Der Maschinenmann legte allemal Proben seiner Beredsamkeit ab, wenn er auf das achtzehnte Jahrhundert deswegen loszog, weil es noch keine Maschine erfunden hätte, die einem ehrlichen haarigen Mann einen Zopf machen könnte, und er ließ sogar einmal ins Intelligenzblatt setzen: Man sucht allhier einen sauberen Friseur, der aus lauter Holz ist.

Er und sein Magen waren niemals an andere Tische zu bringen als an sogenannte Maschinentafeln, die stumme Knechte heißen, und er sagte, er hätte dafür seine guten Gründe. Ich und noch einige gute Freunde wollten einmal bei ihm essen und zwar mit den Zähnen; aber darüber erhob er die größten Händel, und ich werde daran denken. Er versicherte uns heftig, er könne unmöglich von uns glauben, daß wir sämtlich lebendige Nußknacker wären, sondern er wolle hoffen, daß wir niemals kauten, und mit unsern Zähnen außer den Dentalbuchstaben niemals etwas Gröberes zerschnitten. Unter diesen Versicherungen ließ er durch einen stummen Knecht ein Ding wie eine große Hanfmühle heraufheben. »Gott hat mir«, sagte er, »so viel Verstand gegeben, daß ich eine Kaumaschine ausgesonnen habe, mit der ich für mich und meine werten Gäste kauen kann und will. Wenn ich meinen Braten oder mein Gemüse zwei- oder dreimal wie Hanfkörner durch die Maschine durchgemahlen habe: so – denn eine Art kleiner Holländer oder Lumpenhacker, den Sie jetzt darin gehen hören, zerstößt jede Faser – darf ich's nur verschlucken und den Löffel dazu nehmen. Die Zähne ruhen dabei gar nicht, nämlich nicht meine, sondern die der Maschine, in die ich 32 Zähne, Weisheits-, Hunds- und andere Zähne eingepflöckt habe, weil ich ja an Zahnärzten und katholischen Heiligenbildern die Zähne haben konnte, wie ich sie wollte. Man zerschnitzt zwar auch mit Maschinen Nudeln, Bratwürstefleisch und Stroh fürs Rindvieh; aber ich befrage Leute, die ein Gewissen und Maschinenkunde haben, können sie meine Maschine für eine auch nur entfernte diebische Nachahmung von jenen ausgeben, und ist es ihr Ernst?« Er mahlte immer fort. »Sie sehen«, sagte er wieder, »es kann kein Bissen ganz bleiben zwischen solchen Prosektoren; in einem hypochondrischen Magen aber fängt ein einziger kompletter und zum Camnephez gehöriger Bissen allemal Teufelslärm an.« Er spie etlichemal in sein Fressen und winkte uns, mitzuspeien. »Warum speien Sie nicht mit? Der Speichel ist zum Verdauen unentbehrlich und eine Art vorläufiger Magensaft; für Leute von Stand, die die Quecksilberinokulierungen ohnehin so sehr ausschöpfen, sollte daher ein solcher Saft so gut wie Digestivpulver zu Kaufe oder wie Senf auf der Tafel stehen, und ich denke, in Holland setzt man die Spuckkästchen auf die Tafel doch aus keiner andern Absicht.«

Wenn ich den Saturnianern das Abenteuer gar zu Ende erzählt habe, rücke ich mit der Schilderung des Maschinenmannes so fort:

Im Winter gab er Konzerte; allein, er tat's bloß, weil er alles so weit treiben konnte, daß weder der Komponist noch der Notenkopierer, noch der Taktschläger, noch die Spieler lebendig waren, manchen ging sogar die Menschengestalt ab. Der Komponist war ein paar Würfel, womit der Maschinenmann nach den im Modejournal gegebenen Regeln des reinen Satzes und einer Pariser Mode musikalische Fidibus zusammenwürfelte – der Notenkopierer war nicht Rousseau, sondern die Extemporisiermaschine oder das Setzinstrument, worauf er die erwürfelten Produkte abspielte, damit es sie aufschriebe – der Taktschläger war der von Renaudin in Paris erfundne Chronomètre. – Die Spieler waren (sie taten Wunder auf der Flöte, auf dem Klavier und auf einer Orgel mit kartenpapiernen Pfeifen) teils von Vaucanson, teils von Jaquet-Droz und Sohn gezimmert worden. »Aber«, sagte er am Ende des Konzertes zu uns, »so viel darf ich mir doch schmeicheln, daß man nirgends weiter eine Kapelle, einen Musiksaal, ein Orchester auftreibt, worin in der Wahrheit nichts anderes, weiter gar nichts anderes als Maschinen spielten.« – »Aber in solchen«, sagte ich, »saß ich doch, wo wenigstens nichts als Maschinen zuhörten und wo ein rührender Trommelschall allgemein die menschlichen Herzen bewegte, und zwar einmal einen Apollo von Stein dermaßen, daß er umkugelte.«

O ihr Saturnianer! wenn ich euch einmal das wirklich auf dem Saturn erzähle – und es geschieht wahrlich –, was werdet ihr von den Leuten und Winterkonzerten auf der Erde denken und auch von denen, die sich von allen dreien beurlaubt haben, um alles im Saturn auszuplaudern? Werdet ihr nicht zu mir sagen: »Der Mensch ist närrisch, dieser Spaß besonders, die Tage im Saturn sind außerordentlich kurz, die Jahre im Saturn sind außerordentlich lang, deine Erzählung auch; aber das ist eben ein schrecklicher Fehler, und in 15 Minuten muß sie aus sein.« Er plagte den russischen Residenten so lange, bis er ihm – eben meinem Maschinenmann – das Beträdlein der Kalmücken kommen ließ. Leute, die sehen, aber nicht erraten können, besonders der Klingelbeutelvater und der Organist, wollten mir versichern, er habe niemals für seinen reisenden Landesherren und für seine todkranke Frau ein Stoß- oder Schuß- oder anderes Gebet getan, sondern vielmehr im Tempel lustig etwas geschwenkt; aber das war eben seine Betmaschine und sein Gebrauch davon, und er tat damit der Reise seiner Frau und seines Fürsten die wichtigsten Dienste, wie man nachher erfahren.

Er hatte das Gelübde der Karthäuser getan, nicht zu reden; wie die Franziskaner das, kein Geld zu betasten; deswegen war ihm ein Sprecher, der seine Zunge vertrat, so sehr als jenen ein Mann vonnöten, der wie bei Blinden das Geld einstreicht – er hatte daher bekanntlich eine Kempelesche Sprachmaschine auf dem Bauche hängen. Ich sah ihn oft, wie er vor dem Beichtstuhl und vor dieser Maschine stand und seine Beichte abspielte – wie er als Bruder Redner in Freimaurerlogen Reden und Gefühle orgelte, die nachher meines Wissens in den öffentlichen Druck kamen – wie er einmal verflucht anlief, da er vor etlichen hundert Kirchenpatronen, nämlich Bauern, eine Probepredigt ablegen wollte, und die Patrone (er hatte kaum die Worte »Geliebte in Christo« und etwas vom Exordio gegriffen) ihn beinah wegen der Vermutung erschlugen, er verwahre und führe den Gottseibeiuns im Kasten und er predige – und überhaupt habe ich ja das Wichtigste von seiner Biographie, die ich jetzt mit wahrem Vergnügen dem Saturn mitteile, nicht aus seinem Munde, sondern aus seiner Hand, die mir alles aufrichtig vorspielte.

Zuweilen hob er sich auf dem Springstab des Enthusiasmus über die halbe Welt hinweg und in eine viel idealere hinein – und ich habe mir besonders folgenden Enthusiasmus treu aufgeschrieben: »Es ist wahr«, (sagte er, nämlich seine Maschine), »der Mensch tut in meinen Tagen einiges durch Maschinen – es will allerdings schon etwas sagen, daß ich keinen lebendigen Drescher oder Sämann bezahle, sondern die dafür ordinierten Maschinen, – daß ich, wenn ich mich duellieren will, statt meiner bloß die in Italien gewöhnliche köpfende Maschine schicken kann – es ist auch das gar nicht ganz ohne Wert, daß ich richtige Wetterbeobachtungen nach Mannheim abliefern kann, die niemand gemacht hat als mein neuer Barometrograph – und es ist ebensoviel, als hätte ich eine Magd, aber noch viel bequemer, daß ich am Morgen mich wecken, Licht und Feuer machen, die Bett- und die Fenstervorhänge aufzerren lassen kann, bloß von einem toten Wecker von der neuen Art, wie der Franziskaner Morgues sie zu Tausenden verarbeitet – und ich muß inne werden, daß es ebenso bequem und um die nämliche Tageszeit, obwohl nicht ebenso angenehm ist, daß die größten Großen, die alles durch Repräsentanten tun, und die daher so viele physische Ebenbilder von sich stets zu kreieren streben, im Kreieren aufhören und im Repräsentieren fortfahren und mit einem Worte Gemahlinnen haben, die gut wissen, was unser Jahrhundert ist und dessen unzählige Maschinen, und wo der Italiener oder Franzos zu haben ist, bei dem seinerseits wieder zu haben sind leblose Vikarien oder Charges d'affaires oder Agenten oder curatores absentis des lebendigen Ehemanns, welches alles (sagen die Gemahlinnen und die Italiener) lauter herrliche, den Eheherrn ohne Schaden repräsentierende Figuren wären, und zwar nur rhetorische und zwar bloß die Figur pars pro toto... Ich hab' es schon gesagt, man kann es nicht leugnen, daß das alles etwas ist. Aber ich will mir einmal das Vergnügen gestatten, mir einzubilden, der Mensch wäre schon auf eine viel höhere Stufe der Maschinenhaftigkeit gerückt, und ich will nur, da ich's einmal darf, mir gar vorstellen, er stünde auf der höchsten und hätte statt der fünf Sinne fünf Maschinen – er ginge vermittels des Gehwerks einer Maschine oder eines Laufwagens – er verfertigte, da er jetzt bloß seine Arme, Beine, Augen, Nase, Zähne von der Drechselbank abholt, auch alle übrigen Glieder und den ganzen Torso auf ihr und brächte eine Sackpfeife statt des Magens nicht auf (wie bisher), sondern in dem Bauche in gesunde peristaltische Bewegung und schnitte von einer Feuerspritze sich eine lederne Schlange zum Sack- oder Blinddarm los; – ich will mir vorstellen, er triebe es noch weiter, und er verrichtete durch ein hydraulisches Werk sogar seine Notdurft, nämlich die exzeptivische- er behielte nicht einmal sein Ich, sondern ließe sich eines von Materialisten schnitzen, welches aber besonders unmöglich wäre – nicht einmal die Tiere wären mehr lebendig, sondern, da wir ohnehin von Archytas, Regiomontan, Vaucanson künstliche Tauben, Adler, Fliegen, Enten haben, auch der übrige Inhalt der Zoologie würde petrifiziert und verknöchert und ganze Menagerien ohne Leben und ohne Futter aufgesperrt, und Kluge, die den Spener gelesen hätten, dächten deswegen, der jüngste Tag sei da oder schon vorüber – die Sache wäre verflucht arg, und die natura naturans verflöge endlich, und nichts bliebe da als die natura naturata und bloß die Maschinen ohne Maschinenmeister: – – – mit welchen Vollkommenheiten, frage ich, würde dann die Erde aufgeschmückt sein, die jetzt so in Lumpen und Löchern dasteht? Ich meine nämlich, wenn ein guter Kopf die Erde übersähe und ihre Vollkommenheiten überzählte und überhaupt schon wüßte, daß ein Wesen desto vollkommener ist, je mehr es mit Maschinen wirkt und je mehr es Arme, Beine, Kunst, Gedächtnis, Verstand außer seinem Ich liegend sieht und alles das nicht mit sich zu schleppen braucht, und daß eben deswegen das Tier, das ohne Maschinen tätig ist, auf der untersten, schmutzigsten Vollkommenheitsstufe liege, der Wilde, der einige bewegt, auf einer höhern, unser Bauer, der mehrere dreht, auf einer noch höhern, und der Große und Reiche, dem die meisten Maschinen ansitzen, auf der höchsten stehe; mit welchen Vollkommenheiten würde der überzählende Kopf die Erde dann wohl übersät finden? namentlich mit Fohismus, vollständiger Apathie, Quietismus, Rentierer- und Hofdamenleben, nichts sein und alles können, woran aber wirklich vor Deutschlands neunzehntem Jahrhundert gar nicht zu denken ist...«

Ganz natürlich fragen mich die Saturnianer: »Welches war denn das wahre Lebensjahrhundert deines Maschinenmannes?«

»Das achtzehnte«, sage ich.

»Aber wie heißt er denn eigentlich?« sagen sie.

»Eben so, nämlich das achtzehnte Jahrhundert, oder der Genius des achtzehnten Jahrhunderts«, sage ich.

»Und dies, wollt' ich wohl wetten, ist auch die einzige Ursache (setze ich noch hinzu), warum ich in meinen so zahlreichen und guten Büchern und Auszügen aus fremden Büchern diese Erzählung vom Maschinenmann bloß euch seligen Saturnianern und niemals (ich müßte denn mit dem Leben zugleich mein Gedächtnis eingebüßt haben, wie Philosophen von Verstande längst erhärtet) meinem geneigten Leser vorerzählt habe; denn ihr Saturnianer allzumal merkt doch wohl beim Henker, der Leser ist ja eben der – – Maschinenmann selbst.«