Rudolf Hawel
Die Einkommensteuer
Rudolf Hawel

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Rudolf Hawel

Die Einkommensteuer

Bei meiner schriftlichen Erklärung zur Bemessung der Einkommensteuer ging ich heuer mit jener Bescheidenheit vor, wie sie wahrhaft großen Männern geziemt. Das wichtige Schriftstück sendete ich eingeschrieben an das zuständige Steueramt. Ich wählte diesen Weg, um den für die Erhaltung des Staates so wichtigen Steuerbeamten durch meine Erscheinung nicht in unnötige Aufregung zu versetzen.

Die Folge meines Vorgehens war eine freundliche Aufforderung, an einem bestimmten Tage und zu einer bestimmten Stunde zuversichtlich im Zimmer Nr. 8 des Steueramtes zu erscheinen. Da ich daraus ersah, daß die Herren dringend wünschten, mich persönlich kennenzulernen, folgte ich der Einladung und begab mich um die angegebene Zeit in das Zimmer Nr. 8.

Dort fand ich einen Herrn in mittleren Jahren, dem ich mich vorstellte. Er begrüßte mich mit so gewinnender Liebenswürdigkeit, wie ich eine solche einem Steuerbeamten niemals zugetraut hätte. Noch größer aber ward mein Erstaunen, als der freundliche Herr, statt mit seinen Amtsobliegenheiten zu beginnen, mir zu meinen großen Erfolgen als Dichter herzlichst Glück wünschte. Ich war überrascht und erzählte ihm, daß meine Theaterstücke schon auf allen Bühnen Österreichs und auch auf vielen deutschen Bühnen aufgeführt werden. Der Beamte war entzückt und gratulierte mir nochmals auf die herzlichste Weise.

Sein Interesse war durch meine Ausführungen so geweckt worden, daß er mich schließlich bat, ihm gütigst sagen zu wollen, was so ein Stück dem Autor ungefähr eintrage. Ich nannte wahrheitsgemäß die bescheidene Summe. Der Herr schüttelte ungläubig lächelnd das Haupt. Er konnte es nicht glauben, daß ein so bedeutendes Meisterwerk so wenig eintragen solle. Geschmeichelt durch seine Bewunderung, übertrieb ich ein wenig und nannte einen Betrag, den ich nicht einmal in meinen kühnsten Träumen jemals gesehen hatte.

Er war entzückt und bat mich, diese interessante Tatsache sich notieren zu dürfen. Ich gewährte dem scharmanten Herrn in meiner Herzensgüte diese Bitte, und als er mich bewundernd um ein Autogramm bat, setzte ich meine Unterschrift unter seine Notiz, die er sonderbarerweise auf einer amtlichen Drucksorte aufgeschrieben hatte.

Ich schied von ihm in der herzlichsten Weise und in dem freudigen Gefühle, noch nie einem so liebenswürdigen Manne begegnet zu sein.

In der freundlichsten Stimmung kam ich nach Hause und teilte meiner Frau mit, wie herzlich der Herr Beamte gegen mich gewesen sei. Meine Frau meinte, daß ich mich gewiß habe übertölpeln lassen. Ich wendete mich gekränkt ab und ging in mein Zimmer.

Einige Tage darnach übergab mir der Briefträger ein grünlich-graues Aktenstück. Als ich es öffnete, ward mir eine freudige Überraschung zuteil. Nun war ich von meinem Ruhm vollkommen überzeugt. Ich war in der Wertschätzung der Steuerkommission als Dichter auf das Fünffache gestiegen. Das Aktenstück war ein Zahlungsauftrag für 12 400 Schilling!

Unbegreiflicherweise fiel meine Frau bei dieser Nachricht in Ohnmacht; ob das die Freude war?