Carl Hauptmann
Haß
Carl Hauptmann

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Carl Hauptmann

Haß

Ein grünlicher Spitzbart, gezaust wie bei einem Ziegenbock, hing ihm unterm Kinn, das Gesicht war erdig fahl, rauchig und mager und die bösen, kleinen Augen sahen unter weißen Borsten hervor. Wenn er auf seinem Schemel saß, wo Rauch und Dunst ewig aus den unverschmierten Ofenlöchern stieß, in der großen Eckstube im Armenhause, fiel ein roter Feuerschein aus einer Ofenritze von unten auf das alte Bocksgesicht, und der Kienspan gab sein warmes Licht von oben, daß sich der siebenzigjährige Bösewicht aus dem qualmigen Dunkel wie in Glanz heraushob. Seine Hände waren schwarz und mager, reine Knochenhände, die rastlos mit den Birkenruten und dem langen Strick zu schaffen hatten, der von der Decke zwischen seine Beine hing, und womit er die Zweige jedesmal zum Besen zusammenzog.

Der alte Sohnrey hatte einen satanischen Blick, kalt und verkniffen, ganz nur so um die Ecke und wie für sich nebenher. Er hatte niemandem im Leben getraut, freilich auch niemand ihm. Ein Harter.

Wie er jung war, machte er gleich Streit und fragte nicht lange, wo er in der Hast hinstach. Sobald etwas einmal im Gange war, mußte er sehen, wo er bliebe. Es hatte auch bei ihm manches Zeichen im Fleische. Ein paar alte Narben saßen in der Stirnhaut dicht beim Auge; sein Kinn mußte auch einmal ein wenig geklafft haben. Und dann war seine Greifhand tüchtig im Messerkriege gewesen; ein Schnitt mitten in die Handfläche hatte die Sehnen getroffen, weil er seines Gegners Dolchmesser mit der Hand hatte greifen und halten wollen.

Das war freilich lange her.

Jetzt waren die Sehnen längst zusammengeheilt, verkürzt, wie ein Strick zogen sie sich zwischen die Fingerknochen. Aber ihn scherte das nicht. Er konnte damit hantieren, wie nur einer. Er saß den ganzen Wintertag in Rauch und Dunst oder im Scheine des Kienspans und griff Birkenruten zusammen, umfaßte sie fest, beschnitt sie, riß sie mit dem Stricke in einen Besenbusch und wand dann die zähen Holzbänder drum herum; fluchte für sich, wenn es nicht ganz zusammenstimmte, murrte vor sich hin, und kümmerte sich um niemand.

Im übrigen war er immer auf der Lauer wie ein Wolf; sprechen – und umgehen – um keinen Preis. Niemand durfte ihm nahe kommen. Dann stieß er mit der Faust und fluchte dunkel. Sein altes, verrunzeltes Weib nun gar nicht, die immer in der dunklen Ecke in der verräucherten Stube auf einem alten Kasten hockte und vor sich starrte, oder heulte, und deren Augen vom Weinen ewig entzündet waren und keine einzige Wimper mehr zeigten.

Wie sie einmal jung gewesen, hatten sie es eine Weile gemeinsam betrieben, das tolle Leben – und was so danebenlag – auch einmal einen Raubanfall, der sehr ohne Absicht der Unternehmer für den betroffenen Viehhändler nicht tödlich verlaufen war. Sie hatten dafür ein jedes mehr als acht Jahre im Zuchthaus hinter Schloß und Riegel zugebracht. Aber das war jetzt lange her. Beide waren über die Siebzig hinaus. Beide hatten das längst vergessen. Und er haßte jetzt alle.

Auch den Sohn, der wie sein Vater Besenbinder war und in der anderen Ecke der Stube sein Werk betrieb, haßte er, und dessen Weib haßte er, und dessen Kinder haßte er. Und war der Herr in der großen Eckstube im Gemeindehause . . .

Des Sohnes Frau war ein starkes, grobes. verkommenes Frauenzimmer, die wagte schon einmal loszufluchen, wenn der alte Tyrann es zu arg trieb. Aber auch sie fürchtete den Alten, fürchtete seine scharfe Axt, die neben ihm lag, womit er schließlich die Besenlänge abmaß und mit kräftigem Hiebe die Enden stutzte. Auch die junge Sohnesfrau und der Sohn, die in der großen Eckstube in der verfallenen Bettstatt unter Schmutz und Lumpen die Nächte zubrachten, wenn endlich der Span gelöscht war, und die Winterkälte durch die dürftigen Fenster kroch, fürchteten sie heimlich, weil sie dann hörten, daß der Alte keine Ruhe fand – und womöglich von neuem zu binden und zu hacken begann, die lange Nacht, während die alte Sohnrey, ihren Enkel im Arm, dann ängstlich herüberschielte, was der alte eisgraue, knochige Bösewicht für sich trieb.

Das waren Weib und Kinder. Und sein Leben war wie der Abgrund, an dem sie ihr Tun aufgebaut. Die kannten keine Gefühle, als scheue Wut, wenn sein Blick dreist und böse um sie herumkroch – und sie waren selbst Menschen, die auch niemand sonst trauten. Freilich auch ihnen traute niemand.

Nun gar die Kindeskinder, die jüngsten Sohnreys! die bettelten im Dorfe und flohen, sobald sie ein Brotstück im Sacke hatten. Dann lachten sie für sich und fraßen es gierig. Und das verwahrloste Jungweib stand vor den Türen und sagte eine Jammerlitanei vor sich hin mit glanzlosem Auge und sah dann schon gleich wie ein hungriges Raubtier nur auf die Wurstecken – die ihr die Fleischersfrau herausreichte –, um das Beste gierig aus der eigenen Hand in den Mund zu lesen, ohne auch nur einen Menschen noch zu sehen, der dann vorbeiging. Und die Alte humpelte wie eine lahme, verfallene, graue, jammernde Hexe aus der Dorfstraße von Hof zu Hof und saß dann über ihrem armseligen Abfallsvorrat, den sie mit niemand teilte, wenn sie endlich wieder daheim war, daheim in Rauch und Fluch und Furcht.

Sie alle waren daheim auf der Hut voreinander . . .

Die alte Sohnrey hatte den Alten das Leben lang gehaßt; wenn sie nicht gegangen war, – wo sollte sie bleiben? Er hatte sie an sich gerissen, wie ein hungriger Wolf seine Speise; und die Kinder hatte er dann mit Haß gesehen, wenn die Frau schwanger herumlief. Sie hatten nichts Weiches und Warmes gekannt, daß sie jetzt gar bebten, wenn sie nur einander näher kamen jetzt in der Zeit, wo sie Knochenleute beide waren, das blühende Fleisch der Jugend abgefallen war, nur Runzeln und Hautfalten noch geblieben waren – und die Narben in dem verräucherten Gesichte des Bösewichts und die verwahrlosten, abgestorbenen Haarsträhnen, die an ihr herumhingen.

Der Sohn war ein Dümmling, fast ein Trottel; er dachte an gar nichts und tat, was das junge Frauenzimmer ihn hieß. Die Jungen aßen auf der Ofenbank gleich aus dem alten Eisentopfe heraus; denn an den Tisch, an dem der Alte saß, durfte niemand kommen. Einige Schreikinder in schmutzigen Kissen saßen auf der Lehmdiele auf einem alten Brette. Die junge Sohnrey war froh, wenn die großen Mädchen von 10–12 sich draußen den Magen heimlich vollgefressen. Denn es war bei den Jungen, wie bei den Alten.

Seit Kind an Kind aus dem Blute des Trottels kam und das Weib immer stämmiger, der junge Sohnrey immer jämmerlicher und geduldiger wurde, sein Haar sich verfärbte und seine Gesichtshaut welk und bleich herabhing, fing auch die Junge an, den Mann zu hassen, und die Kinder zu hassen, wenigstens die großen. Und die Kinder wußten das, trieben sich draußen in den Höfen herum und waren froh, allein zu sein, weil sie daheim an die Seelen der Mutter und der Großmutter und gar des alten Besenbinders sich schlimmer stießen wie an Tische und an Steine. Haß – wie der Rauch qualmte er heimlich um und um. Nur der junge Sohnrey kümmerte sich nicht groß, je trotteliger er wurde.

Der alte Sohnrey war immer schon sehr elend gewesen. Er hatte viel in der letzten Zeit gehustet – seit der Winter kam. Der Winter war hart und grausam. Die Krähen saßen tatlos auf den leeren Ebereschen am Gemeindehaus – und wußten nicht Nahrung zu finden. Der Schnee war tief. Seidenschwanzscharen waren aus Norden gekommen, die neu Unheil und Kälte verkündeten und auf den Bäumen im Winde und Wehen der Flocken ihr Zirpen wie Grillen hören ließen. Der Alte hatte es gleich auf der Brustseite empfunden. Und diese Nacht waren die Stiche in der Atmung so arg geworden, daß er sich am Morgen nicht mehr rührte. Das junge Sohnweib kauerte im Ofenwinkel und mußte selber Feuer zünden, was sonst der Alte in seiner Unruhe längst besorgt hatte; sie hörte den alten Vater ächzen, der mit geschlossenen Augen in Decken in der Bettkiste sich regte. Schauerliches Erzittern, Gurgeln und Ächzen. Aber da sie nur einen Hemdlumpen um den derben Leib hatte, der Brust und Nacken frei ließ – und einen Rock um die Beine schlottern hatte, dachte sie, daß es von der Kälte käme, und ließ sich nicht weiter stören. Bis es dann schauriger klang, Töne wie ein Tier atmet und stöhnt, sie aufschreckten. Da sah sie noch einmal rasch ins Ofenloch, ob die Späne und Scheite brannten, und trat auf Zehen näher. Der Sohn hatte auch die dumpfen Laute gehört, und er hatte sich schwerfällig aufgerichtet. Die junge Sohnrey stand auf der kalten Lehmdiele vor der Bettkiste und leuchtete dem Alten von der Seite ins Gesicht. Die Züge waren grau und verfallen. Die Augen halb offen – der Mund stand weit offen und zeigte noch große, weiße Zähne gegen das jämmerliche Falbe der Totenblässe. Ein viehisches Grunzen und Röcheln – zwischen schweren Atemzügen. Der junge Sohnrey starrte in die Ecke, wo die Junge stand.

»Was is denn mit'm?«

»Stille«, sagte die Junge, »stört'n nee! er werd sterben,« sagte die Junge sehr befriedigt.

»Glaubst du, er werd sterben?«

Der alte, grausige Besenbinder lag nicht lange in seiner Todesangst. Er empfand, daß Licht ins Auge gefallen, und machte die Augen vollends auf, daß jetzt auch die viehischen Laute aufhörten den Raum zu erschüttern. Er fing an vor sich hin zu reden: »M – m – ver – ver – a – a – na – verfluch – verfluchtiga – Leute – Leute – Leute« weiter wußte er nicht. Keines wagte ihm beizuspringen. Er wollte sich aufrichten, aber wie er sich auch ans Bett krallte und krallte und sich mühte – nichts – er fiel in die Bettkiste zurück – und murrte seine Flüche . . . . »A – a – nee – nee – kummt mir – mir – kummt mir – nee nahnde – ihr Bettelvulk – ahles Bettelvulk,« grollte er nur vor sich hin. Dann ging seine Brust dumpf und jagend und das Auge lag in gläserner Stierheit halb offen und sah nichts mehr.

»Er sterbt,« sagte die Junge zufrieden. »Lußt a ock, daß er nee erscht ufwacht.«

»Stille,« sagte spannend der junge Sohnrey.

Die Kinder waren aus ihrem Strohlager herausgekrochen und standen in Hemdlumpen oder nackt da. Alle fühlten sich plötzlich in einem Ereignis.

»Huh«, sagte die Junge mit Kraft, »das ist der Tud! – stört'n nur nee, daß er nee erscht ufwacht.«

»Sterbt 'r – sterbt 'r?« – sagte jetzt auch die Mutter Sohnrey ganz neugierig, während sie den Enkel ins Bett zurecht legte – und nun selber herauskroch – und alle kamen und sahen mit prickelndem Schauern den alten Bösewicht sich krampfen und stöhnen: »M – m – das – das – m – ja – doch – verdammigt – verdammigt – ver – ver – Wasser gebt – Wasser«, sagte er, halb nur hingemurrt.

»Ach, er is nimmeh' bei sich – nee nee – er is nimmeh' bei sich«, – sagte die Junge, ohne groß zu achten, daß der Sterbende nach einem letzten Trunke begehrte.

Alle schauerten auch, weil sie in Hemdlumpen standen. Das Ofenfeuer brannte erst aus. Der Kienspan beleuchtete die erstaunten, neugierigen Gesichter. Alle wollten es sehen, daß er im Sterben lag. Der Alte war wie ein Totenschädel anzusehen. Er hatte schon die ganze Nacht im Sterben gelegen. Niemand hatte sich gekümmert. Schon am Abend hatte er sich nicht zu rühren gewußt.

Die alte Sohnrey weinte nicht. Die Neugierde hätte ihre Tränen getrocknet, wenn nicht der Schlaf. Und die junge Sohnrey hockte jetzt gelassen auf die Lehmdiele und begann gleichgültig ihr Jüngstes zu stillen.

»Stört'n ja nee – 's is gut, wenn 's alle mit'm is« – sagte die Junge ganz gelassen und ganz im Haß.

Sie sahen jetzt, daß es ihn an allen Gliedern zu reißen begann. Die Hände begannen sich furchtbar zu krampfen, die Beine des Alten, die blutrünstigen Knochenbeine schlugen, daß die Decke nicht über ihm zu halten war. Die Gesichtszüge verzerrten sich in unsagbaren Grimassen. Ein viehisches Brüllen begann dumpf einzusetzen: wie ein Stier brüllte er plötzlich. Die alte Sohnrey starrte neugierig. Der Sohn ging näher. Seine Augen waren weit aufgerissen.

»Er sterbt«, sagte der Trottel; »er sterbt«, sagte die Alte erklärend und zufrieden. Niemand regte eine Hand. Die Kinder, die im Winkel standen, begannen sich anzulachen. Die Zwölfjährige sagte zur Jüngeren heimlich: »Der Grußvater schreit wie a Ochse.« Alle starrten hin. Es schauerte alle. Nur die Kinder lachten heimlich.

»'S ist gut, wenn's alle mit'm is«, sagte die junge Sohnrey, die jetzt den Säugling neu einbettete, noch einmal gelassen, als die Verrenkungen des Alten allmählich stiller wurden, der Krampf nachließ und dann langsam wie ein Lächeln und wie süße Ruhe in dem Gesichte des alten Bösewichtes aufging.

Dann lag der Alte die Tage vor ihnen, wunderbar groß und zum Staunen. Und die Hassenden gingen alle in gemachter Gewichtigkeit und Würde und fast eitel auf den Ernst, der sie ergriffen hatte – hatten auch heimlich so etwas wie eine ferne Ahnung aus einer anderen Welt. Aber der Haß begann neu, als der lächelnde Tote, der auch plötzlich kein Bösewicht mehr geschienen, auf dem Gräbergarten eingescharrt war.