Franz Grillparzer
Erinnerungen aus dem Jahre 1848
Franz Grillparzer

Franz Grillparzer

Erinnerungen aus dem Jahre 1848

Ich will meine Erinnerungen aus dem Revolutionsjahr 48 niederschreiben. Da tritt denn gleich von vornherein ein bedenklicher Unstern scheinbar hindernd entgegen. Ich habe an jenen Begebenheiten durchaus keinen Anteil genommen. Nicht allein, daß ich den Vorbereitungen und dem Ausbruch fremd blieb, eine mit meiner innersten Natur verbundene Empfindung hinderte mich sogar, den einzelnen Ereignissen Schritt für Schritt zu folgen. Menschen, die sich ihr ganzes Leben mit den reinen Verhältnissen der Kunst und Wissenschaft beschäftigt haben, überfällt gegenüber der jede Möglichkeit einer Berichtigung übersteigenden Verkehrtheit leicht das Gefühl eines bis ins Innerste gehenden Ekels, und man weiß wohl, daß der Ekel die entnervendste Stimmung des menschlichen Wesens ist.

Wer wird aber mit solchen Stimmungen sein Betragen rechtfertigen? Warst du mit dem vormärzlichen Zustande zufrieden? Hast du keine Aenderung gewünscht? Glaubst du, daß der Mensch nicht Hand anlegen soll, um unleidliche, nichtswürdige Verhältnisse zu verbessern? Alle diese Fragen mit ja beantwortet, muß doch bei allem Praktischen auf die Umstände Rücksicht genommen werden. Wäre der östreichische Staat ein kompakter, von ein und demselben Volksstamme bewohnter, oder wären diese Volksstämme von dem Wunsche des Zusammengehörens und Zusammenbleibens beherrscht; wäre die Richtung der Zeit eine solche gewesen, daß ein vernünftiges Einhalten nach Erreichung vernünftiger Zwecke vorauszusetzen gewesen, ich hätte die Hand freudig zu jedem Reformversuch geboten, oder – um mir nicht zu viel Thatkraft anzudichten – wenigstens jeden solchen, wenn auch gewaltsamen Versuch mit meinen Wünschen und mit meinem moralischen Einfluß auf meine Landsleute unterstützt. So aber war – und gerade damals im höchsten Grade – von alledem das Gegenteil. Italien befand sich bereits im Aufstande; Ungarn erwartete nur das Signal zu einem gleichen; die lächerliche Nationalitätsfrage hatte allen Volksstämmen der östreichischen Monarchie eine centrifugale Bewegung eingedrückt; die Brandschriften der letzten zehn Jahre, die frischen Eindrücke der französischen Februarrevolution hatten eine solche Stimmung in der Masse verbreitet, daß bei jedem gewaltsamen Ausbruche ein Ueberschreiten alles vernünftigen Maßes mit Zuversicht vorausbestimmt werden konnte.

Aber ungeachtet jener Abhaltungsgründe mußte dem östreichischen Staate ein großer Teil der nötigen Reformen gerade durch ruhiges Abwarten auf eine völlig gefahrlose Weise notwendig zu teil werden. Preußen befand sich durch frühere Versprechungen, durch die unvorsichtigen Redeübungen seines Königs, durch seine Stellung in der Mitte der allseitigen Bewegung, in der notgedrungenen Lage, dem, was die Zeit begehrte, nicht länger widerstehen zu können. Hörte aber Preußen auf, ein absoluter Staat zu sein, so mußte Oestreich entweder aus dem deutschen Bunde ausscheiden oder seinen Völkern Zugeständnisse machen, die, so gering sie gewesen wären, oder vielmehr gerade weil sie gering waren, den glücklichen Anfang zu einer fortschreitenden, dem Bildungsgrade der Nation angemessenen Entwicklung dargeboten hätten.

Man sage nicht – da auch in Preußen eine solche Umkehrung nicht ohne Unruhen vor sich gegangen wäre – es sei lieblos, von dem Schaden seines Nachbars Vorteil zu ziehen. Denn einerseits ist ja mit fremdem Schaden klug werden eine oft belobte Lebensregel; anderseits hat Preußen alles das, was Oestreich fehlt, um eine solche Bewegung ohne nachhaltigen Schaden zu überstehen. Ein kompakter Staat, die Einwohner zusammengehörig und jedem Trennungswunsche fremd, die innere Verwaltung nur geringer Verbesserungen bedürftig. So wie Frankreich aus allen innern Stürmen als das einige und mächtige Frankreich hervorgegangen ist, dürfte auch Preußen ähnliche, ohne Zweifel unendlich geringere Schicksalsprüfungen ungefährdet überstanden haben.

So viel von jenen Umwälzungsbestrebungen, dem Grundsatze nach. Geht man aber weiter zu den Mitteln der Ausführung, so zeigt sich, daß diese ebenso kindisch als jene gefährlich waren, obwohl hierin die Voraussicht von der Wirklichkeit widerlegt worden ist. Aber bei der Ausführung eines Planes die vollkommene Absurdität seines ganz und gar absurden Gegners voraussetzen, kann doch nie eine vernünftige Berechnung genannt werden.

Kaiser Franz in seiner Engherzigkeit und Gedankensteifheit hatte beschlossen, seinen Staat von allen Neuerungen entfernt zu halten. Kurzsichtig, aber in der Nähe scharf sehend, führte er zu diesem Ende einen Polizeidruck ein, der in der neuern Geschichte kaum ein Beispiel hat. Wenn er darin mit Ungarn eine Ausnahme machte, so war es teils die Macht der Gewohnheit, da Ungarn denn doch von jeher eine Konstitution hatte, teils weil er hoffte, in dem dort herrschenden aristokratischen Prinzip ein Gegengewicht gegen die demokratischen Bestrebungen der Zeit zu haben. Er vergaß, daß in den Zeiten der Aufregung jeder durch die Vernunft nicht gerechtfertigte Enthusiasmus immer in den allgemeinen Strom einmündet und die Richtung der Zeit einschlägt, wie denn auch aus den ungarischen Aristokraten augenblicks die wütendsten Demokraten geworden sind. Den Ungarn also ward Spielraum gegeben: auf den übrigen Provinzen lastete ein eiserner Druck.

Fürst Metternich, von Hause ein liebenswürdiger, geistreicher, aber in seiner ersten Epoche leichtsinniger, und sein ganzes Leben lang durch seine Gelüste (im bessern Sinne des Wortes) bestimmter Mann, war während der Regierung des Kaisers Franz der entschiedenste Tadler jener beengenden Maßregeln seines Herrn gewesen. Er machte sich mit seinen Vertrauten über die Kleinkrämerei des östreichischen Staatswesens lustig, und seine Begeisterung für Lord Byron und ähnliche Geister zeigte deutlich, wie sehr seine ursprüngliche Natur allen Entwürdigungen der Menschennatur fremd war. Als aber Kaiser Franz starb, war er alt, bequem und hochmütig geworden. Zehn Jahre früher hätte er vielleicht Reformen die Hand geboten und sie auch bei dem abgöttischen Ansehen, in dem er bei der Regierungsgewalt stand, durchgesetzt. Jetzt aber wußte er nichts, als in dem alten Schlendrian fortzufahren. Er adelte die unfreiwillig adoptierten Maßregeln mit dem Ehrentitel eines Systems, verlor aber eben durch dieses System all jene Beweglichkeit des Geistes, die seine frühere Laufbahn so glänzend gemacht hatte. Der Umstand, daß er allein es war, der den elenden Polizeipräsidenten Grafen Sedlnitzky stützte und hielt, reicht für sich schon hin, um allen Lobrednern Metternichs Stillschweigen aufzuerlegen.

Der Träger der Staatsgewalt, Erzherzog Ludwig, besaß fast alle jene guten Eigenschaften, die die Söhne Kaiser Leopolds zur ausgezeichnetsten Regentenfamilie ihrer Zeit machten. Er war von seinem Bruder Franz, gleich allem, was in dessen Nähe kam, niedergedrückt und in den Model der kaiserlichen Aehnlichkeit gepreßt worden, unterschied sich aber von jenem noch immer durch Gutmütigkeit und Wohlwollen. Vielleicht hat ihn von Reformen nur abgehalten, daß er sich als den Verwalter fremden Guts betrachtete, und daß er die Gewalt als treuer Pfleger unvermindert ebenso abgeben wollte, als er sie empfangen hatte.

Es war noch ein Mann da, Graf Kollowrat, eine Art Minister des Innern, der sich liberal gebärdete, ohne daß etwas dabei herausgekommen wäre.

Alle diese Staatsmänner, so sehr sie auch freiwillig oder notgedrungen das alte System fortsetzten, waren doch zugleich viel zu gutmütig und zu human, um auch den alten Polizeidruck fortsetzen zu wollen. Und das hat sie zu Grunde gerichtet. Ihr, wenngleich etwas spärlich fließendes, Billigkeitsgefühl hat die Märzregierung in Oestreich gestürzt. Das Regierungssystem Kaiser Franzens ließ sich nur ungetrennt von seinem Polizeisystem fortführen. Wie der Druck nachließ, schnellte die Feder von selbst in die Höhe.

So sehr nun die Polizeigewalt auf diese Art sich geschwächt fand, war sie noch immer ein Riese gegen die Veranstaltungen, die die liberale Märzpartei zur Durchsetzung ihrer Absichten ins Spiel setzte.

Daß die Landstände der verschiedenen Provinzen sich miteinander in Kommunikation setzten, um durch hartnäckiges Petitionieren gewisse, freilich mehr im eigenen, aber immer auch im Volksinteresse gemeinte Zugeständnisse durchzusetzen, war recht und gut, und zwar um so mehr das einzige richtige Mittel, als dadurch das Band zwischen den einzelnen Länderteilen fester angezogen wurde. Die Bewegungen aber, die man im Mittelpunkte der Monarchie vorbereitete, um der Unschlüssigkeit der Regierung einen Anstoß zu geben, diese waren es, die ich unvorsichtig und zugleich kindisch genannt habe.

Ich muß hier eine Digression machen. Die ersten Revolutionen des neuern Europas, die amerikanische und die französische der neunziger Jahre, gingen mehr oder weniger von einer Notwendigkeit, von einer Gefährdung der materiellen Interessen, von einer Bedrohung der Grundlagen alles Bestehens aus. Die spätern (mit Einschluß der Julirevolution) hatten ihren Grund mehr in dem verletzten Selbstgefühl der Nation, ja, die allerletzte vielleicht geradezu in der Eitelkeit. Alles, was Louis Philipp that und unterließ, hat die Franzosen nicht so empört als der doktrinäre Hochmut seines Ministers, des sonst so vortrefflichen Guizot. Etwas Aehnliches geschah in Oestreich. Die durch Robot und Zehnten, durch Abgaben und Finanzzustände am meisten getroffenen Klassen trugen ihr Schicksal in Geduld, aber die Gebildeten konnten nicht mehr ertragen, als die Böotier von Europa angesehen zu werden, und als die Regierung bald nach der französischen Februarrevolution einen offenbar offiziellen Artikel in die Staatszeitung einrücken ließ, in der nach leicht begreiflicher, aber auch gerechter Mißbilligung jener Vorgänge, zugleich angekündigt wurde, daß in Oestreich nichts geändert werden, vielmehr alles beim alten bleiben sollte, ging die Erbitterung des Publikums, das seine Wünsche mißachtet und sich selbst gewissermaßen verspottet fand, über alle Grenzen.

Zu diesem verletzten Selbstgefühle gesellte sich auch die Eitelkeit. Um nicht von denjenigen zu sprechen, die bei einer Volksbewegung oder in einem dadurch herbeigeführten Zustande eine Rolle zu spielen hofften, war das Streben nach Freiheit so sehr als Geist der Zeit anerkannt, daß alle Gebildeten sich nur dann dieses Namens wert erschienen, wenn sie in den allgemeinen Chorus mit einstimmten. Es ist überhaupt gar süß, sich dadurch aus seiner persönlichen Unbedeutendheit herauszuheben, daß man sich einer für erleuchtet geltenden Meinung anschließt und einer Richtung folgt, an deren Spitze die ausgezeichneten Männer des Jahrhunderts stehen. Daß in der vordersten Reihe sich die (s. v. v.) Schriftsteller befanden, versteht sich von selbst.

Was diese am meisten bedrückte, die Zensur, bestand dem Grundsatze nach in derselben Strenge, wie unter Kaiser Franz; die Praxis aber war, freilich größtenteils nur wegen der Unausführbarkeit, unendlich milder geworden. Was die Lektüre fremder verbotener Schriften betraf, so war der Umlauf derselben und zwar der gefährlichsten am meisten, so allgemein als irgendwo in der Welt. Ich habe selbst einen Fiaker auf dem Kutschbocke »Oestreichs Zukunft« lesen gesehen. Die Presse im Inlande wurde freilich auf jede Art überwacht. Aber einerseits gefiel sich Fürst Metternich darin, von Zeit zu Zeit Beweise seines liberalen Sinnes zu geben, und Männer von europäischem Rufe, wie Hofrat Hammer, oder Schriftsteller, die Zutritt in die Gesellschaft des Fürsten hatten, konnten so ziemlich drucken lassen, was sie wollten; anderseits drückte man gar zu gern die Augen zu, wenn Oestreicher, namentlich Dichter, von einigem Ruf, ihre Werke im Auslande verlegen ließen. Sie brauchten dabei nur, als öffentliches Geheimnis, ihren Namen um eine Silbe zu verkürzen oder einen falschen anzunehmen, um kaum befragt, am wenigsten aber angefochten zu werden. Ja, die Gewaltträger fühlten vielleicht sogar eine geheime Freude, daß ihre, wie sie glaubten, notgedrungene Strenge der Entwicklung der ausgezeichneteren Litteratur denn doch nicht hindernd im Wege stehe. Eigentlich politische Schriftsteller konnten freilich auf weniger Nachsicht zählen.

Wenn nun auf die oben angedeutete Art für die ausgezeichneten Männer der Litteratur gesorgt war, so fand sich eine andere Klasse dafür in der äußersten Bedrängnis, die unbedeutende nämlich, die, als solche, keine Verleger im Auslande finden konnte. In gleicher Lage befanden sich die dramatischen Dichter, die bei ihren Hervorbringungen hauptsächlich die Wiener Bühnen im Auge hatten, und denen die Gelegenheit entging, durch politische Anspielungen und ein ungewaschenes Maul die organischen Mängel ihres Talentes zu ersetzen.

Damit man nun nicht zweifeln konnte, woher der Wind eigentlich wehe, machten die Agitationen gegen die Zensur den Anfang der ganzen Bewegung.

Da ich denn doch meine Erinnerungen niederschreibe, und der Vorgang ein Licht auf die Charaktere der meist Beteiligten wirft, will ich denn doch meinen Anteil an jener litterarischen Agitation hierhersetzen, und muß daher um einige Jahre zurückgehen.

Es erschienen einige Schriftsteller bei mir, die mich aufforderten, an einer gemeinschaftlichen Bittschrift um Milderung der Preßgesetze teilzunehmen. Ich weigerte mich anfangs, da ich, bei der bekannten Scheu der Regierung vor Associationen, im voraus überzeugt war, daß dadurch die Sache nur schlimmer gemacht werden konnte, und das, was viele der andern, bei vielleicht gleicher Ueberzeugung, lockte, in den deutschen Journalen als Vorkämpfer des Liberalismus, gelobhudelt zu werden, mich keineswegs anzog. Da man jedoch weiter in mich drang, und ich weder den Anschein der Teilnahmslosigkeit oder gar der Wohldienerei auf mich laden wollte, willigte ich endlich ein. Es wurden Schriftstellerversammlungen im Hause des Hofrates Hammer gehalten, eine Bittschrift verfaßt, geändert, angenommen und endlich der Tag zur Unterzeichnung festgesetzt.

Die Versammlung reihte sich in einem mehrfachen Kreise um das Sofa, auf dem in der Mitte, als Hausherr, Hofrat Hammer saß, ihm zu beiden Seiten Professor Endlicher und ich. Als es zur Unterschrift kam, beeilte sich Hofrat Hammer der erste zu unterzeichnen, darauf folgte Professor Endlicher, diesem ich als dritter und sodann in bunter Reihe alle Anwesenden.

Die Bittschrift wurde dem Fürsten Metternich überreicht und hatte die Folge, wie vorauszusehen war. Der Fürst, in großmännischer Heuchelei, erklärte, daß dieses Gesuch seine besten Absichten durchkreuze. Man sei eben daran gewesen, eine Milderung der Preßgesetze eintreten zu lassen, aber das gemeinschaftliche Gesuch, als ein von den Gesetzen verpönter Schritt, mache vorderhand jede Aenderung unmöglich, und es bleibe somit beim alten.

Die Unterzeichner der Bittschrift – die, nebenbei gesagt, über das Mißlingen gar nicht so bestürzt waren, als bei ihrem Feuereifer vorauszusetzen war, so daß man wohl merkte, sie seien von der Fruchtlosigkeit ihres Schrittes im voraus überzeugt gewesen – hatten nun nichts Eiligeres zu thun, als das Gesuch mit den Namen der Unterzeichner in auswärtigen Blättern abdrucken zu lassen, um doch wenigstens der zweiten Hälfte ihres Wunsches, als Vorkämpfer der Freiheit zu gelten, nicht auch verlustig zu gehen.

Da bemerkte nun ich zu meinem Erstaunen, daß ich in der Reihe der Unterzeichner der erste stand, indes ich mir bewußt war, der dritte unterschrieben zu haben. Ich erkundigte mich und erfuhr, daß Hofrat Hammer und Professor Endlicher ihre voranstehenden Namen durch einen Kunstradierer ausradieren lassen und sich in die Mitte des Haufens eingeschrieben hatten, so daß ich, der ich allein den Schritt mißbilligt, nun als Rädelsführer an der Spitze stand. Mir war dies ziemlich gleichgültig, aber, wie es scheint, den beiden Herren nicht.

Wie sehr das Bedauern des Fürsten Metternich bei seinem ablehnenden Bescheide reine Heuchelei war, zeigte eine bald darauf erscheinende Schrift von einem seiner Vertrauten, dem Baron Clemens Hügel, in der geradezu eine Verschärfung der Maßregeln gegen die Presse als unbedingt notwendig dargestellt wurde.

Da der Verfasser, wie gesagt, ein Vertrauter des Fürsten Metternich war, und die Schrift vor der Veröffentlichung gewiß dem Fürsten vorgelegt und von ihm gebilligt wurde, so mußte die darin ausgesprochene Meinung notwendig als die des Staatskanzlers gelten, und die Indignation des Publikums stieg aufs höchste. Bauernfeld schrieb gegen diese Broschüre, und je derber, je gröber diese Abfertigung war, um so größer war ihre Wirkung. Die Sache ging ins Tagesgespräch über. Ueberhaupt hat die Eitelkeit Metternich so viel geschadet als sein Hochmut. Die Gewaltherrschaft muß, wie in Rußland, wie in Oestreich unter Kaiser Franz, als ein Faktum, als eine keines Erweises bedürftige Notwendigkeit dastehen; von dem Augenblicke, als sie sich verteidigt, hat sie sich zu Grunde gerichtet,

Bauernfeld, der Verfasser der Streitschrift gegen Baron Hügel, hatte seit längerer Zeit angefangen, eine politische Rolle zu spielen, und ich kann nicht vermeiden, von ihm zu reden. Er trat in die Litteratur halb als Goethianer, halb als Tieckianer ein. Sein unvergleichliches Talent für das Einzelne wurde durch das Fließende seiner Natur in Bezug auf ein Ganzes sehr in Schatten gestellt. Nichtsdestoweniger hatten seine ersten dramatischen Hervorbringungen noch immer viel Organisches. Sein erstes und vielleicht bestes Stück ging so ziemlich spurlos vorüber, weil bei Bauernfelds Armut an Erfindung das nicht amüsierte Publikum über die Miniaturwelt von Empfindungspointen und Charakterzügen noch hinwegtölpelte. Ein zweites, noch immer im Zusammenhange gedachtes, gelang besser. Bei einem spätern habe ich ihn sogar genötigt, einen dritten Akt hinzu zu schreiben, da er bei dem zweiten geradezu aufhören wollte. Bauernfeld besaß Verstand und literarische Rechtschaffenheit genug, um diesen Gebrechen seines Talentes entgegen zu arbeiten, Es zeigte sich aber bald, daß, wenn er sich einen leitenden Gedanken vorsetzte, das Einzelne steif und kalt geriet, indes er nur auf gut Glück in den Tag hinein schreiben durfte, um alle Teile sprühend von Leben und Interesse zu gestalten. Während er noch so mit sich selber im Kampf war, tauchte das sogenannte junge Deutschland auf. Nun war der Würfel geworfen. Alles sagen zu können, was einem in den Mund kam, an Ordnung und Folge nicht gebunden zu sein, war alles, was er verlangte, und er gab sich von da an einem dissoluten Wesen hin, dessen Hintergrund doch immer eine Art Verzweiflung an sich selbst bildete, wie einer sich dem Trunke ergibt, um dem Gedanken an das Zugrundegehen seines Hausstandes zu entfliehen. Um aber alles zu sagen, was einem in den Mund kommt, muß man es vor allem auch sagen können, und er ward von da an der Wütendste unter den Gegnern der Zensur. Ja, als in der Folge in Deutschland die politische Poesie an die Tagesordnung kam, und Bauernfeld merkte, daß die politischen Anspielungen dem Publikum die willkommensten waren, geriet er aus der litterarischen Agitation von selbst in die politische, ein Feld, das ihm bis dahin ganz fremd war. Ich glaube wenigstens nicht, daß er vor seinem dreißigsten Jahre eine politische Zeitung überhaupt nur gelesen hat. Dieser psychologisch bedingte Hergang blieb übrigens für Bauernfeld ein Geheimnis, denn er war von Hause aus ein rechtschaffener Mensch, und die Lust an der Unruhe jeder Art, die ihm angeboren ist, hat ihn wohl selbst über den Zusammenhang getäuscht.

Uebrigens ging ihm viel hin, was man andern sehr übel genommen hätte. Der allerhöchste Hof liebte nämlich im Theater – zu lachen, und da ihm Bauernfeld dazu Gelegenheit gab, gefiel man sich darin, ihn für einen polternden Sprudelkopf zu halten, dessen Reden ohne Konsequenz seien. Durch seinen Freund Naumann war Bauernfeld mit dem Minister Kollowrat in Verbindung gekommen, der in Opposition mit dem Fürsten Metternich den Liberalen spielte und Bauernfelds unzusammenhängende Ausbrüche mit Wohlgefallen anhörte, um so mehr, als dessen anfeindender Grimm sich besonders gegen seinen Vorgesetzten, den Finanzpräsidenten Baron Kübeck, wendete, den Kollowrat gleichfalls haßte, und kurzsichtig genug war, nur seinen persönlichen Feind verspottet zu glauben, wo Bauernfeld das ganze System, seinen hohen Gönner mit eingeschlossen, im Auge hatte.

Weit entfernt sei es von mir, hier Bauernfeld anschuldigen zu wollen. Obgleich bei seiner Verbindung mit Graf Kollowrat er vielleicht an den späteren Ereignissen mehr Anteil hatte, als ich weiß und vielleicht jemals jemand erfahren wird. Er hat in vollkommener Unschuld gehandelt, nur von einer ihm angebornen zappelnden Unruhe getrieben. So wie es ihm als Dichter an Erfindung fehlte, fehlte es ihm als Mensch, in dem höheren Bereiche, an eigenen Gedanken. Er hat immer nur mit fremden gerasselt. An den Modeworten zu zweifeln, fiel ihm nicht ein, sowie es ihm nicht in den Sinn kam, daß aus den angezettelten Verwicklungen etwas Uebles entstehen könne. Als das Ueble später eintrat, hat er sich allerdings auf eine grauenhafte Art dagegen verhärtet, wie später vorkommen wird, da war aber schon ein Grad von körperlicher Verrücktheit eingetreten, der ihn unter so viel Aufregungen befiel und selbst heute ihn nicht ganz verlassen hat. Nicht zu leugnen ist übrigens, daß schon seit längerer Zeit seine liebenswürdige Gutmütigkeit einer halb künstlichen Unverschämtheit Platz gemacht hatte, die mich allmählich immer mehr von ihm entfernte.

Ich muß wieder auf Bauernfeld zurückkommen, obwohl ich fühle, daß ich ihm dadurch mehr Bedeutung beilege, als er hatte. Er glich eben dem Winde und den Vögeln, die den Samen von einer Insel zur andern übertragen. So wie er in den höheren Regionen mit Graf Kollowrat, war er, nur auf eine unendlich innigere Art und seit der Jugendzeit, mit Baron Doblhoff, dem Vorfechter der niederöstreichischen Stände und ehemaligen Minister, in Verbindung. Er wohnte bei ihm und war sein Freund und Vertrauter. Doblhoff hat zwar gegen mich wiederholt seine Mißbilligung von Bauernfelds Übertreibungen zu erkennen gegeben, nichtsdestoweniger aber hatte dieser vielen Einfluß auf ihn, schon aus Achtung für Bauernfelds – damals bereits oberflächlich gewordenen – gutmütigen Charakter und für dessen unbestrittenes Talent. Die Machinationen der Landstände waren bereits im vollen Gange, es sollten aber auch noch sonst die Gemüter präpariert werden. Man verfiel darauf, Abendgesellschaften bei Baron Doblhoff zu veranstalten, in denen politische, aber auch litterarische Gegenstände besprochen werden sollten, in der ostensibeln Absicht, der wirklich gar zu insipiden Wiener-Konversation eine bessere Richtung zu geben. Ich wurde auch dazu geladen, und da die meisten Gäste meine näheren Bekannten waren, ging ich einigemale hin. Die Unterhaltung wollte aber in keinen rechten Gang kommen, aus dem einfachen Grunde, weil niemand etwas Besonderes zu sagen wußte. Unter den Anwesenden, die alle später politische Rollen gespielt haben, ist mir nur der altere Baron Stifft aufgefallen, der gut sprach, weil er offenbar konsequent dachte, und Graf Thun, der heutige Kultusminister. Letzterer weniger durch das, was er sagte, als durch das sichtbare Bestreben, die von andern vorgebrachten schwankenden Phrasen auf eine präzise Geltung zu bringen. Mit letzterem bin ich ein Jahr später (1847) auf dem Linzer Dampfschiffe wieder zusammengekommen. Ich erinnere mich, ihm damals gesagt zu haben, daß er mir ganz zu einem Deputierten auf einem Reichstage gemacht scheine, wobei wir beide keine Ahnung hatten, daß ein Reichstag uns so nahe bevorstand. Ueberhaupt scheint Graf Thun ein vortrefflicher Mensch, dem auch die Gemütsseite nicht mangelt, welch letztere ihn übrigens auch Vorurteilen zugänglich macht. So hat er früher schon in einer böhmisch geschriebenen Broschüre die tschechische Nationalität in Schutz genommen, welche Nationalität nur den Fehler hat, daß sie keine ist, so wie die Tschechen keine Nation sind, sondern ein Volksstamm und ihre Sprache nicht mehr und nicht weniger als ein Dialekt. Auch ultramontane Überzeugungen scheinen dem vortrefflichen Manne nicht fremd zu sein.

Die Gesellschaft bei Doblhoff bestand teils aus niederöstreichischen Landständen, die von dem litterarischen Teile der Unterhaltung nicht sehr erbaut schienen, teils aus Mitgliedern des politisch-juridischen Lesevereins; letztere von den Riesenfortschritten der Welt und besonders Deutschlands in den letzten zwanzig Jahren innigst überzeugt und ihrer Ueberzeugung, durch bereits vorgefundene Phrasen Luft machend.

Dieser juridisch-politische Leseverein war vor kurzem durch junge strebende Männer aus den beiden genannten Fächern gegründet worden. Graf Sedlnitzky, dem wenigstens die Nase des Spürhunds nicht fehlte, wollte durchaus seine Einwilligung nicht geben. Aber der überzuckerte Graf Kollowrat und selbst Fürst Metternich, der, wie schon bemerkt, es liebte, von Zeit zu Zeit Beweise seines liberalen Sinnes in die Welt zu schicken – der allenfalls den Barrabas freigab, um Christus kreuzigen zu können – nahmen sich der Sache an, und diese Pulvermühle für eine künftige Explosion wurde gegründet.

Da ich wohl fühle, aus aller Folge herausgekommen zu sein, und eben von den Liberalitätsparoxysmen des Fürsten Metternich die Rede ist, will ich die Entstehung der Wiener Akademie der Wissenschaften hierher setzen, und zwar um so mehr, als sie gerade in diese Zeit fällt, und ich in gegenwärtigen Aufzeichnungen keinen andern Ort für sie weiß. Diese Akademie der Wissenschaften ist eigentlich von den galizischen Bauern gegründet worden. Damit verhielt es sich so: Baron Hammer hatte, wahrscheinlich aus Eitelkeit, Präsident einer Akademie zu heißen, seit lange alles in Bewegung gesetzt, um eine solche in Wien zu stande zu bringen. Man war jedoch seit lange gewohnt, auf die Einfälle des verdienstvollen, aber unbesonnenen und turbulenten Mannes keine Rücksicht zu nehmen. Ungefähr um diese Zeit griff Professor Endlicher die Sache auf. Als ein verständiger Mann, der er war, änderte er jedoch den Gedanken dahin, daß er statt einer Akademie, wozu alle Elemente fehlten, eine vom Staat unterstützte Privatgesellschaft für gemeinsame litterarische Arbeiten gründen wollte. Bei einer zu diesem Zwecke gehaltenen Versammlung, zu der man aus jedem Fache einen und aus dem schönwissenschaftlichen mich zuzog, konnte man aus der Statur der Flügelmänner das Maß der künftigen Kompanie mit Grauen wahrnehmen. Ich suchte anfangs mich und überhaupt alle Dichter, als nicht in eine solche Gesellschaft gehörig, auszuschließen, um so mehr als meine poetischen Nebenmänner: Baron Zedlitz, Baron Münch und allenfalls der Erzbischof Pyrker sich in einer Stellung zum Hofe befanden, daß ein Anschluß zu etwas, was dem Hofe mißfällig war, bei ihnen gar nicht vorausgesetzt werden konnte. Die Gesellschaft war anderer Meinung, und ich fügte mich. Das gemeinschaftliche Gesuch ward übergeben, und es war nicht mehr die Rede davon. Da entstand der Aufstand in Galizien. Die treugebliebenen Bauern mordeten, sengten, wüteten, offenbar von den Lokalbehörden unterstützt, welch letztere deshalb gar nicht zu tadeln sind, da die Staatsgewalten alle Vorsichtsmaßregeln versäumt hatten, und die bedrohten Landbeamten ihren einzigen Schutz in den gegen die Gutsherrn wütenden Bauern fanden. Ein Aufschrei des Entsetzens über diese Greuelscenen ging durch ganz Europa. Da fällt auf einmal wie vom Himmel herunter die Stiftung der Akademie der Wissenschaften. Fürst Metternich wollte eben der öffentlichen Stimmung eine andere Richtung geben, dem Brandschaden des Staates ein liberales Pflaster auflegen, und dazu war ein solch wissenschaftliches Zugeständnis wie gemacht.

In diesen widersprechenden Richtungen bewegte sich der östreichische Staat, als die Februarrevolution in Paris ausbrach. Ohne sie wäre in Oestreich, ja vielleicht in ganz Deutschland trotz des albernen Kokettierens von Seite des Königs von Preußen die Entwicklung auf wer weiß wie lange hinausgeschoben geblieben, nun hatte man aber ein Muster der Nachahmung, und man ging ans Werk. In Wien waren es die niederöstreichischen Landstände (siehe Baron Doblhoffs Abendgesellschaften), der juridisch-politische Leseverein und sämtliche schlechte Schriftsteller, die das aktive Kontingent stellten. Eine Straßendemonstration bei Gelegenheit des bevorstehenden niederöstreichischen Landtages ward abgekartet, und dabei die Studenten an die Spitze gestellt, weil sie als alberne Jungen allein bereit waren, ihre Pfoten für die brennend heißen Kastanien herzuleihen. Die Sache wurde auf der Straße besprochen, jedermann wußte es, Tag und Stunde war bestimmt. Ich erinnere mich, mehreren der Verschwornen, die ich alle mehr oder weniger kannte, geradezu ins Gesicht gelacht zu haben. Glaubt ihr denn, die Behörden werden es zu eurer Demonstration kommen lassen? sagte ich ihnen. Diese brauchten nämlich nur den Landtag hinauszuschieben, oder den Vätern der hitzigsten Studenten den Rat zu geben, ihre Buben zur Zeit aufs Land zu schicken, und in der Zwischenzeit einige Bereitwilligkeit zu Reformen blicken zu lassen (welch letzteres auch wirklich, aber nur zu spät, in einem am 12. März erflossenen Höchsten Handschreiben geschah), um alle Vorbereitungen avortieren zu machen. Das Nichtvorauszusetzende trat aber wirklich ein. Es wurden keine Hindernisse in den Weg gelegt, und der Krawall des 13. März fand statt.

Für diese Unterlassung von Seite der Behörden gibt es nur eine Erklärung: daß den beiden Parteien, die sich in die höchste Gewalt teilten, ein solches Ereignis nicht unwillkommen war, das sie beiderseits für ihre Zwecke auszubeuten gedachten. Die Hofpartei wollte den Fürsten Metternich stürzen; dieser aber den Erzherzog Ludwig einschüchtern und – was ich nicht weiß – entweder zu Konzessionen stimmen oder zu vermehrter Strenge veranlassen. Man hoffte, das Ereignis in der Hand zu behalten, und wie gefährlich jeder Funke ist in einer Zeit, wo alle Straßen mit Schießpulver bestreut sind, daran dachte niemand. Vielleicht hat sich der jetzige Minister Bach von allen Märzleuten nur darum in der höchsten Gunst erhalten, weil er damals der entrepreneur des révolutions im Auftrage gewisser Hofpersonen war.

Am Morgen des verhängnisvollen 13. März, oder vielmehr gegen Mittag, ging ich aus meiner Wohnung, um zu sehen, ob denn von all dem projektierten Unsinn etwas und was allenfalls stattfinde. Da die Sache von den Studenten ausgehen sollte, ging ich vor allem auf den Universitätsplatz, den Ort der verabredeten Zusammenkunft. Ich fand ihn nicht allein menschenleer, sondern auch ohne Spuren, daß früher etwas Ungewöhnliches stattgefunden habe. Ich nahm von da den Weg, den ungefähr ein Studentenaufzug bis zum Landhause genommen haben konnte. Nirgends eine Spur von etwas Ungewöhnlichem, nicht zwei Menschen, die miteinander sprachen oder auf ein besonderes Ereignis hindeuteten. So kam ich auf die Freiung und ging ein Stück in die Herrengasse hinein. Hier endlich, in die Nähe des Landhauses gekommen, sah ich vor demselben etwa 200 bis 250 Menschen zusammengedrängt, die von Zeit zu Zeit einen schwachen Ausruf hören ließen, aber so matt, so erbärmlich, daß ich mich im Namen meiner Landsleute schämte, daß, wenn sie schon krawallen wollten, sie's gar so unscheinbar anfingen.

Das war um halb zwölf Uhr, indes die Geschichte schon um acht oder neun Uhr morgens angefangen hatte. Damals noch hätte man den Aufruhr mit zwei Bataillonen Soldaten von beiden Seiten wie einen Taschendieb »einführen« können, denn auf den nächstgelegenen Plätzen gingen die Leute unbekümmert ihren Geschäften nach, ja in der Herrengasse selbst zeigte sich außer der nächsten Nähe des Landhauses nirgends eine Spur von Teilnahme. Aber nirgends Truppen, nicht einmal die gewöhnliche Polizeiwache. Halb verdrießlich, halb beschämt, begab ich mich ins damalige Hofkammerarchiv, dessen Aktensaal die Aussicht auf den Ballplatz gegenüber der Staatskanzlei hatte. Hier hatte ich mich aber kaum zur Arbeit gesetzt, als ein paar Bekannte kamen mit den Worten: »Nun sind sie beim Fürsten Metternich!« Ich folgte in den Aktensaal und sah in der Mitte des Ballplatzes einen Haufen von 40 bis 50 jungen Leuten, einer von ihnen auf den Schultern des andern oder auf einem Tische über die andern hinausragend und im Begriffe, gegen die Staatskanzlei gewendet, eine Rede zu beginnen. Hier endlich waren Grenadiere in dreifacher Reihe, das Gewehr beim Fuße, an der mir gegenüber liegenden Mauer der Bastei aufgestellt. Der junge Mensch begann seine Rede, von der ich mühsam den Eingang verstand: »Ich heiße N. N. Burian, aus ** in Galizien geboren, 19 Jahre alt,« teils konnte ich den Rest nicht mehr verstehen, teils fürchtete ich jeden Augenblick, die Grenadiere würden mit dem Bajonett auf die jungen Leute losgehen und Verwundungen oder sonstige Mißhandlungen vorfallen, ich verließ daher das Fenster und ging in mein Arbeitszimmer zurück, dachte aber außer Gefahr für die armen Knaben noch an nichts Arges. Doch hatte das Ganze einen großen Eindruck auf mich gemacht. Die Unbekümmertheit, mit der die jungen Leute wie Opferlämmer sich hinstellten und von den aufgestellten Bewaffneten gar keine Notiz nahmen, hatte etwas Großartiges. Das sind heldenmütige Kinder, sagte ich zu mir selbst.

Später trat endlich die bewaffnete Macht ein. Es wurde auf das Volk gefeuert. Wer es immer befohlen hat, er hat die Monarchie an den Rand des Abgrunds gebracht, indem er die Gassenbüberei zu einer Revolution stempelte. Von da an war kein Halt, um so mehr, als man den Fürsten Metternich absetzte, der bei allen seinen Fehlern doch noch der einzige war, der Kopf und Energie gehabt hätte, dem Fortrollen Maß und Ziel zu setzen. Ein Opfer war notwendig, dazu wäre aber auch der Polizeipräsident Graf Sedlnitzky hinreichend gewesen, der allgemein verhaßt und wirklich größtenteils schuld an allen Uebeln war.

Uebrigens muß ich meinen Landsleuten das Zeugnis geben, daß sie sich in der ersten Zeit mit einer Liebenswürdigkeit benommen haben, daß man jeden einzelnen hätte küssen mögen. Ich fing schon selbst an, meinen Besorgnissen zu mißtrauen. Mit so gutmütigen Leuten, schien es, könne man die gefährlichsten Experimente anstellen. Als aber am dritten Tage die Ungarn kamen und sich von der Gesamtmonarchie losrissen, und die Menge, die das wußte, ihnen Vivats und Eljens zurief, da merkte ich, daß die Dummheit oder vielmehr Unbesonnenheit, mit Unwissenheit gepaart, gefährlicher ist als die Schlechtigkeit, und war überzeugt, daß wir verloren seien.

Uebrigens war es die lustigste Revolution, die man sich denken kann. Vom schönsten Frühlingswetter begünstigt, bewegte sich die ganze Population den Tag über auf den Straßen. In der Nähe der kaiserlichen Burg angekommen – die indessen mit Militär und Kanonen besetzt worden war – erhob die Menge ein lautes Jubelgeschrei, so daß die im Innern Abgeschlossenen jeden Augenblick glaubten, es gehe an ihr Leben, und alles bewilligten, was einzelne Unverschämte, die sich als Deputierte darstellten, nur irgend zu begehren Lust hatten. Ueberhaupt war es Mode geworden, daß jeder, dem es beliebte, in die Burg Einlaß begehrte, dort in den Tisch schlug und den Erzherzögen Grobheiten sagte.

Am ernsthaftesten, aber freilich auch am absurdesten nahmen es die Studenten, die sich als die Helden der Bewegung betrachteten. Da man mit Erteilung der Konstitution zögerte, wollten sie die Burg stürmen. Sie dachten dabei weniger an den Sieg als an die Ehre, für die Freiheit zu sterben. Sie stritten sich um den ersten Platz beim Angriff. Ich habe mich überzeugt, daß die Jüngern und Schwächern begehrten, vorangestellt zu werden, damit, wenn sie erschossen wären, die Aeltern und Stärkern sich auf die Kanonen werfen könnten, ehe man noch Zeit hätte, wieder zu laden. Ein nichts weniger als aufgeregter Professor sagte mir: Ich bin überzeugt, sie nehmen die Burg ein. Endlich erschien das Versprechen einer Verfassung. Der Kaiser fuhr durch die Stadt. Jubel, Vivats, Anhänglichkeit, Liebe, Treue überall, und zwar aus reinem Herzen.

Ich selbst war zur Passivität verdammt. Da meine Ueberzeugungen in allem das Gegenteil von der allgemeinen Begeisterung waren, so fehlte mir jeder Anhaltspunkt der Verständigung. Ich begrüßte die Freiheit in einem Gedichte an mein Vaterland, wobei ich es aber nicht an den eindringlichsten Warnungen fehlen ließ, besonders vor der Nachahmung der Albernheiten und Schlechtigkeiten Frankreichs und des übrigen Deutschlands. Man nahm das Gedicht gut auf, sogar die Warnung, ohne aber eine Ahnung zu haben, daß man einer solchen bedürfe.

Hier wäre der Ort, mich über meinen Mangel an Begeisterung für die Freiheit zu rechtfertigen. Der Despotismus hat mein Leben, wenigstens mein litteratisches, zerstört, ich werde daher wohl Sinn für die Freiheit haben. Aber nebstdem, daß die Bewegung des Jahres 48 mein Vaterland zu zerstören drohte, das ich bis zum Kindischen liebte, schien mir auch überhaupt kein Zeitpunkt für die Freiheit ungünstiger als der damalige. In Deutschland, das immer von Fortschritten träumte, hatte die ganze Bildung einen solchen Charakter von Unfähigkeit, Unnatur, Uebertreibung und zugleich von Eigendünkel angenommen, daß an etwas Vernünftiges und Maßhaltendes gar nicht zu denken war, und doch war hundert auf eins zu wetten, daß die Litteratur, wenigstens anfangs, an der Spitze der Bestrebungen stehen werde, ich sage: anfangs, weil gerade durch das Unausführbare ihrer Theorien der im zweiten Gliede stehenden Schlechtigkeit Thür und Thor geöffnet werden mußte. Zur Freiheit gehört vor allem gesunder Verstand und Selbstbeschränkung, und gerade daran fehlte es in Deutschland. Oestreich hatte trotz seiner Zensur das Uebergreifen der deutschen litterarischen Absurditäten nicht verhindern können, und wenn die Wiener von »Aufgehen in Deutschland« träumten, so war es größtenteils, weil sie hofften, das deutsche wissenschaftliche Gebräu mit leichter Mühe und vollen Löffeln in sich hineinschlingen zu können. Deshalb war ich auch zur Passivität verdammt; denn hätte ich gesagt: Was ihr für Weisheit haltet, ist Unsinn: – es hätte mir niemand geglaubt. Vor allem, weil ich alt und der Fortschritt nur in der Jugend beglaubigt war.