Johann Wolfgang von Goethe
Zweite Fassung des Estherspiels
Johann Wolfgang von Goethe

Johann Wolfgang von Goethe

[Zweite Fassung des Estherspiels]

|: Der Vorhang hebt sich. Man sieht den Galgen in der Ferne :|

Alte Symphonie

Kaiser Ahasverus. Haman

Haman (allein)
Die du mit ewger Glut, mich Tag und Nacht begleitest
Mir die Gedanken füllst und meine Schritte leitest
O Rache wende nicht im letzten Augenblick,
Die Hand von Deinem Knecht. Es wägt sich mein Geschick.
Was soll der hohe Glanz der meinen Kopf umschwebet
Was soll der günstge Hauch der längst mein Glück belebet
Daß mir ein ganzes Reich gebückt zu Füßen liegt
Wenn sich ein Einziger nicht in dem Staube schmiegt.
Was hilfts auf so viel Herrn und Fürsten wegzugehn
Wenn es ein Jude wagt mir ins Gesicht zu sehn.
Tut er auf Abram groß, auf unbeflecktes Blut
So lehr ihn unsre Macht, des Tempels grauße Glut
Und wie Jerusalem in Schutt und Staub zerfallen
So lieg das ganze Volk und Mardochai vor allen.
O kochte nur wie hier erst Ahasverus Blut
Da er ein König ist, ach ist er viel zu gut

Ahasverus tritt auf und spricht:
Sieh Haman bist du da.

Haman                               Ich warte hier schon lange

Ahasverus Du schläfst auch nie recht aus. Es ist mir um dich bange.

Haman Erhabenster Monarch, da deine Majestät
Wie immer seh ich wohl auf Ros' und Pflaumen geht
Welch einen Dank soll man den hohen Göttern sagen
Für dein so selten Glück, die Krone leicht zu tragen.
Dein Volk wie Sand am Meer macht dir so wenig Müh
Das ist nur Götterkraft von ihnen hast du sie.
So läßt sich ein Gebürg in fester Ruh nicht stören
Wenn Wälder ohne Zahl auf seinem Haupt sich mehren.

Ahasverus Oja was das betrifft die Götter machens recht
So lebt und so regiert von je her mein Geschlecht
Mit Müh hat keiner sich das weite Reich erworben
Und keiner jemals ist aus Sorglichkeit gestorben.

Haman Wie bin ich Gnädigster voll Unmut und Verdruß
Daß ich heut deine Ruh gezwungen stören muß.

Ahasverus Was ihr zu sagen habt, bitt ich euch, kurz zu sagen

Haman Wo nehm ich Worte her, das Schrecknis vorzutragen.

Ahasverus Wie so?

Haman                   Du kennst das Volk das man die Juden nennt
Das außer seinem Gott, nie einen Herrn erkennt
Du gabst ihm Raum und Ruh, sich weit und breit zu mehren
Und sich nach seiner Art, in deinem Land zu nähren.
Und wurdest selbst ihr Gott, als ihrer sie verstieß
Und Stadt und Tempels-Pracht in Flammen schwinden ließ.
Und doch verkennen sie in dir den gütgen Retter
Verachten dein Gesetz und spotten deiner Götter
Daß selbst dein Untertan ihr Glück mit Neide sieht
Und zweifelt ob er auch vor rechten Göttern kniet.
Laß sie durch ein Gesetz von ihrer Pflicht belehren
Und wenn sie storrig sind, durch Flamm und Schwert bekehren.

Ahasverus Mein Freund, ich lobe dich, du sprichst nach deiner Pflicht
Doch wie ihrs andre seht, so siehts der König nicht
Mir ist es einerlei, wenn sie die Psalmen singen,
Wenn sie nur ruhig sind, und mir die Steuren bringen.

Haman Ich seh Großmächtigster, dir nur gehört das Reich
Du bist an Gnad und Huld, den hohen Göttern gleich.
Doch ist das nicht allein, sie haben ihren Glauben
Der sie berechtiget die Fremden zu berauben
Und der Verwegenheit stehn deine Völker bloß
O König säume nicht, denn die Gefahr ist groß

Ahasverus Wie wäre denn jetzt so gar auf einmal kommen,
Von Mord und Straßenraub, hab ich lang nichts vernommen.

Haman Auch ists das eben nicht, wovon die Rede war
Der Jude liebt das Gold und fürchtet die Gefahr
Er weiß mit leichter Müh, und ohne viel zu wagen
Durch Handel und durch Zins, Geld aus dem Land zu tragen.

Ahasverus Ich weiß das nur zu gut. Mein Freund ich bin nicht blind
Doch das tun andre mehr, die unbeschnitten sind.

Haman Das alles ließe sich vielleicht auch noch verschmerzen
Doch finden sie durch Geld den Schlüssel aller Herzen
Und kein Geheimnis ist, vor ihnen wohl verwahrt
Mit jedem handeln sie, nach einer eignen Art.
Sie wissen jedermann durch Borg und Tausch zu fassen
Der kommt nie los der sich nur einmal eingelassen
Mit unsern Weibern auch, ist es ein übel Spiel
Sie haben nie kein Geld, und brauchen immer viel

Ahasverus Aha das geht zu weit! Aha du machst mich lachen
Ein Jude wird dich doch nicht eifersüchtig machen.

Haman Das nicht Durchlauchtigster. Doch ists ein alter Brauch
Wers mit den Weibern hält, der hat die Männer auch
Und von dem niedern Volk, das in der Irre wandelt
Wird Recht und Eigentum Amt Rang und Glück verhandelt.

Ahasverus Du irrst dich guter Mann. Wie könnte das geschehn
Das alles muß nach mir und meinem Willen gehn.

Haman Ich weiß vollkommen wohl, dir ist zwar niemand gleich
Doch gibts viel große Herrn und Fürsten in dem Reich
Die dein so sanftes Joch nur wider Willen dulten
Sie haben Stolz genug. Doch stecken sie in Schulden,
Es ist ein jeglicher in deinem ganzen Land
Auf ein und andre Art mit Israel verwandt
Und dieses schlaue Volk sieht Einen Weg nur offen
So lang die Ordnung steht, so lang hats nichts zu hoffen.
Es nährt drum insgeheim den fast getischten Brand
Und eh wirs uns versehn, so flammt das ganze Land.

Ahasverus Das ist das erstemal nicht daß uns das begegnet
Doch unsre Waffen sind, am Ende stets gesegnet
Wir schicken unser Heer, und feiern jeden Sieg
Und sind geruhig hier, als wär' da draus kein Krieg.

Haman Ein Aufruhr angeflammt in wenig Augenblicken
Ist eben also bald durch Klugheit zu ersticken.
Allein durch Rat und Geld nährt sich Rebellion
Vereint bestürmen sie, es wankt zuletzt der Thron.

Ahasverus Der kann ganz sicher stehn, so lang als ich drauf sitze
Man weiß wie da herab ich ganz erschröcklich blitze
Die Stufen sind von Gold, die Säulen Marmorstein
In hundert Jahren fällt solch Wunderwerk nicht ein.

Haman Ach warum drängst du mich dir alles zu erzählen

Ahasverus So sag es grad heraus, statt mich ringsum zu quälen
Dergleich Gespräch ist mir ein schlechter Zeitvertreib

Haman Ach Herr, sie wagen sich vielleicht an deinen Leib

Ahasverus (zusammenfahrend)
Wie? was?

Haman             Es ist gesagt. So fließet denn ihr Klagen,
Wer ist wohl Manns genug, um hier nicht zu verzagen.
Tief in der Hölle ward, die schwarze Tat erdacht
Und noch verbirgt ein Teil der Schuldigen die Nacht.
Vergebens, daß dich Thron und Kron und Szepter schützen
Du sollst nicht Babylon nicht mehr dein Reich besitzen
In fürchterlicher Nacht trennt die Verräterei
Mit Vatermörderhand dein Lebensband entzwei
Dein Blut, dafür das Blut von tausenden geflossen
Wird über Bett und Pfühl, erbärmlich hingegossen
Weh! heult in dem Palast, weh heult durch Reich und Stadt
Und weh wer deinem Dienst, sich aufgeopfert hat.
Dein hoher Leichnam wird, wie schlechtes Aas verachtet
Und deine Treuen sind in Reihen hingeschlachtet
Zuletzt von Morden satt, tilgt die Verräterhand
Ihr eigen schändlich Werk durch allgemeinen Brand.

Ahasverus O weh was will mir das? Mir wird ganz grün und blau
Ich glaub ich sterbe gleich, Geh sag es meiner Frau
Die Zähne schlagen mir die Knie mir zusammen
Mir läuft ein kalter Schweiß! ich seh schon Blut und Flammen.

Haman Ermanne dich!

Ahasverus                   Ach! ach!

Haman                                       Es ist wohl hohe Zeit
Doch treues Volk ist stets, zu deinem Dienst bereit
Du wirst den Redlichsten an seinem Eifer kennen

Ahasverus Je nun was zaudert ihr, so laßt sie gleich verbrennen

Haman Man muß behutsam gehn, so schnell hats keine Not

Ahasverus Derweile stechen sie mich zwanzig male tot

Haman Das wollen wir nun schon, mit unsern Waffen hindern

Ahasverus Und ich war so vergnügt als unter meinen Kindern
Mir wünschen sie den Tod, das schmerzt mich gar zu sehr

Haman Und Herr, wer einmal stirbt, der ißt und trinkt nicht mehr.

Ahasverus Man kann den Hochverrat nicht schrecklich satt bestrafen.

Haman Du solltest schon so früh bei deinen Vätern schlafen?

Ahasverus Ei pfui! mir ist das Grab mehr als der Tod verhaßt
Ach! ach! mein würdger Freund! Nun still! ich bin gefaßt
Nun solls der ganzen Welt, vor meinem Zorne grauen
Geh laß mir auf einmal zehntausend Galgen bauen

Haman (knieend)
Unüberwindlichster! hier lieg ich, bitte Gnad!
Es wär ums viele Volk, und um die Waldung schad

Ahasverus Steh auf! dich hat kein Mensch an Großmut überschritten
Dich lehrt dein edel Herz für Feinde selbst zu bitten
Steh auf, wie meinst du das

Haman                                     Gar mancher Bösewicht
Ist unter diesem Volk, doch alle sind es nicht
Und für unschuldgem Blut mög sich dein Schwert behüten
Bestrafen muß ein Fürst, nicht wie ein Tiger wüten
Das Ungeheuer das sich mit tausend Klauen regt
Liegt kraftlos wenn man ihm die Häupter niederschlägt.

Ahasverus O wohl! So hängt mir sie nur ohne viel Geschwätze
Der Kaiser will es so, so sagens die Gesetze
Wer sind sie sag mir an!

Haman                                 Ach das ist nicht bestimmt,
Doch geht man niemals fehl, wenn man die Reichsten nimmt.

Ahasverus Vermaledeite Brut, du sollst nicht länger leben
Und dir sei all ihr Gut und Hab und Haus gegeben

Haman Ein trauriges Geschenk.

Ahasverus                               Wer kommt dir erst in Sinn.

Haman Der erst ist Mardochai, Hofjud der Königin.

Ahasverus O weh da wird sie mir kein Stündgen Ruhe lassen

Haman Ist er nur einmal tot, da wird sie schon sich fassen.

Ahasverus So hängt ihn dann geschwind, und laßt sie nicht zu mir

Haman Wen du nicht rufen läßt, der kommt so nicht zu dir

Ahasverus Wo ist ein Galgen nur! hängt ihn ehs jemand spüret

Haman Ich hab schon einen hier, vorsorglich aufgeführet

Ahasverus Und fragt mich jetzt nicht mehr, ich hab genug getan
Beschlossen hab ich es, nun gehts mich nichts mehr an.

Ouvertüre

Esther und Mardochai treten auf.

Mardochai O greuliches Geschick! O schreckenvoller Schluß!
O Untat die dir heut mein Mund verkunden muß!
Erbärmlich Königin muß ich vor dir erscheinen.

Esther So sag mir was du willt, und hör nur auf zu weinen

Mardochai Hü! hü! Es hälts mein Herz, hü! hü es hälts nicht aus

Esther Geh weine dich erst satt, sonst bringst du nichts heraus.

Mardochai Hü hü es wird mir noch hü hü das Herz zersprengen.

Esther Was gibts denn

Mardochai                   U hu hu ich soll heut Abend hängen.

Esther Ei was du sagst mein Freund, ei woher weißt du dies?

Mardochai Das ist sehr einerlei, genug es ist gewiß.
Darf denn der Glückliche dem schönsten Tage trauen
Darf einer denn auf Fels sein Haus geruhig bauen?
Mich machte deine Gunst so sicher Königin
Wie zittr' ich da ich nun von den Verworfnen bin.

Esther Sag wem gelüstets denn, mein Freund nach deinem Leben?

Mardochai Der stolze Haman hats dem König angegeben
Wenn du dich nicht erbarmst, nicht eilst mir beizustehn,
Nicht schnell zum König gehst, so ists um mich geschehn.

Esther Die Bitte armer Mann kann ich dir nicht gewähren
Man kommt zum König nie, er müßt es erst begehren.
Tritt einer unverlangt dem König vor s Gesicht,
Du weißt der Tod steht drauf. Gewiß dein Ernst ists nicht.

Mardochai O unvergleichliche, du hast gar nichts zu wagen
Wer deine Schönheit sieht, der kann dir nichts versagen.
Und in Gesetzen sind die Strafen nur gehäuft
Weil man sonst gar zu grob, den König überläuft.

Esther Und sollt ich auch mein Freund das Leben nicht verlieren,
Mich warnt der Vasthi Sturz, ich mag es nicht probieren.

Mardochai So ist dir denn der Tod des Freundes einerlei?

Esther Allein was hülf es dir, wir stürben alle zwei.

Mardochai Erhalt mein graues Haupt, Geld, Kinder, Weib und Ehre.

Esther Von Herzen gern, wenns nur nicht so gefährlich wäre.

Mardochai Ich seh dein hartes Herz ruf ich vergebens an
Gedenk Undankbare, was ich für dich getan.
Erzogen hab ich dich, von deinen ersten Tagen,
Ich habe dich gelehrt, bei Hof dich zu betragen
Du hättest lange schon des Königs Gunst verscherzt
Er hätte lange schon an dir sich satt geherzt.
Du bist oft gar zu grad, und wärest längst verkleinert,
Hätt' ich nicht deine Lieb, und deine Pflicht verfeinert,
Dir kam allein durch mich der König unters Joch,
Und durch mich ganz allein befestigst du ihn noch.

Esther Von Selbsten hab ich wohl nicht Gunst noch Glück erworben,
Dir dank ichs ganz allein auch wenn du längst gestorben.

Mardochai O stürb ich für mein Volk, und unser heilig Land
Allein ich sterb umsonst, durch die verruchte Hand,
Dort hängt mein graues Haupt dem ungestümen Regen
Dem glühnden Sonnenschein und bittern Schnee entgegen
Dort nascht geschäftig mir zum Winter Zeitvertreib,
Ein garstig Rabenvolk, das schöne Fett vom Leib.
Dort schlagen ausgedörrt zuletzt die edlen Glieder
Von jeden leichten Wind mit Klappern hin und wider
Ein Greuel allem Volk, ein ewger Schandfleck mir
Ein Fluch auf Israel und Königin – was dir?

Esther Gewiß groß Herzeleid! Doch kann ich es erlangen
So sollst du mir nicht lang am leidgen Galgen hangen.
Und mit sorgfältgem Schmerz vortrefflich balsamiert,
Begrab ich dein Gebein, recht wie es sich gebührt.

Mardochai Vergebens wirst du dann den treuen Freund beweinen,
Er wird dir in der Not nicht mehr wie sonst erscheinen.
Mit keinem Beutel Geld, den du so eifrig nahmst,
Wenn du mit Schuldverdruß von Spiel und Handel kamst.
Mit keinem neuen Kleid, mit Perlen und Juwelen.
Mein Geist erscheint dir leer, und um dich recht zu quälen
Bringt er nur die Gestalt von Schätzen aus der Gruft
Und wenn dus fassen willst, verschwindets in die Luft.

Esther Ei weißt du was mein Freund, bedenke mich am Ende
Mit einem Kapital, in deinem Testamente.

Mardochai Wie gerne tät ich das, von deiner Huld gerührt
Doch leider! ist mein Gut auch alles konfisziert,
Und dann muß ich den Tod der Brüder auch besorgen
Kein Einzger bleibt zurück, dir künftig mehr zu borgen.
Der schöne Handel fällt es kommt kein Contreband
Durch unsre Industrie dir künftig mehr zur Hand,
Die kleinste Zofe wird nichts mehr an dir beneiden
Dich werden Mägde gleich inländsche Zeuge kleiden
Und endlich wirst du so mit hoffnungsloser Pein
Die Sklavin deines Manns und seiner Leute sein.

Esther Das ist nicht schön von dir, was brauchst dus mir zu sagen,
Kommt einmal diese Zeit, dann ist es Zeit zu klagen.
    weinend
Nein wird mirs so ergehn?

Mardochai                             Ich schwör dir, anders nicht!

Esther Was tu ich?

Mardochai           Rett uns noch!

Esther                                         Ach, geh mir vom Gesicht!
Ich wollte –

Mardochai         Königin, ich bitte dich erhöre
Was willst du?

Esther                   Ach ich wollt daß alles anders wäre. ab

Mardochai (allein)
Bei Gott hier soll mich nicht manch schönes Wort verdrießen.
Ich laß ihr keine Ruh sie muß sich doch entschließen.