Salomon Geßner
Ein Gemæhld aus der Syndfluth
Salomon Geßner

Salomon Gessner

Ein Gemæhld aus der Syndfluth.

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Semira und Semin.

SChon standen die marmornen Thyrme tief unter der Fluth, und schwarze Wellen-Gebyrge wælzten sich schon yber den Hæuptern der Berge; nur stand noch die erhabenste Stirne eines Berges aus den Fluthen empor. Ein græßliches Gewimmel war rings um seine bespyleten Seiten; das Geschrey der Elenden, die verzweifelnd seine Hœhe hinan klimmten, denen der Tod auf den Wellen immer die Fersen verfolgte. Hier reißt vom Berg ein Hygel sich los, und styrzt mit seiner ganzen Last von heulenden Menschen in die schæumende Fluth sich; gesammelte Regen-Gysse spylen dort im wilden Strom den Sohn weg, der den halbtodten Vater hœher hinanschleppte, oder die trostlose Mutter mit der Last ihrer Kinder. Izt stand nur der oberste Gipfel noch aus der Verwystung empor; Semin, ein edler Jyngling, ihm hatte das edelste der Mædchen erst ewige Liebe geschworen, er hat seine geliebte Semira auf diesen Gipfel gerettet. Einsam, die Fluth hatte sonst alle getœdet, standen sie da im heulenden Sturm-Wind. Die Fluthen styrzten auf sie hin, yber ihnen bryllt der Donner, und unter ihnen bryllte ein tobendes Meer. Ein schrekliches Dunkel war um sie her, wenn nicht Blize die grauenvolle Scene beleuchteten; jede Wolke drohte von schwarzer Stirn Entsezen, und jede Woge yberwælzte mit tausend Leichen sich, wælzte durch Ungewitter sich fort, und suchte neues Verderben. Semira drykte ihren Geliebten an ihr bebendes Herz, Thrænen quollen mit den Regen-Tropfen von ihren blassen Wangen, sie sprach mit stammelnder Stimme: Weiter ist keine Rettung mehr, ô mein Geliebter! Mein Semin! Rings umher vom bryllenden Tod eingeschlossen! O Verwystung! O Jammer! Immer steigt er næher heran, der Tod! Welche von diesen Wellen, ô welche wird uns begraben! Halte mich, halte mich in deinen bebenden Armen, ô mein Geliebter! Bald, bald, bin ich, bist du nicht mehr, hingerissen in die allgemeine Verwystung. – – Izt – – O GOtt! – Dort wælzt sichs her! Wie fyrchterlich! Es wælzt sich næher von Blizen erhellt. Izt, ô GOtt! GOtt! Richter! Sie sprachs, und sank an Semin hin.

Sein zitternder Arm umschlang die ohnmæchtige Geliebte, seine bebenden Lippen schwiegen, er sah izt die Verwystung umher nicht mehr, sah die ohnmæchtige Geliebte nur an seinen Busen gelehnt, und fyhlte mehr als Schauer des Todes. Izt kyßt er ihre von kaltem Regen bespylten blassen Wangen, drykt stærker an seine Brust sie, und sprach – – – Semira! Geliebte Semira! Erwache! O komm nur ein mal noch in diese Scenen des Schrekens zuryk, daß dein Auge noch ein mal mich anblikt, noch ein mal deine blassen Lippen mir sagen, daß du bis in den Tod mich liebest, noch ein mal, eh die Fluth uns dahinreißt.

Er sprachs, und sie erwachte; sah mit einem Blik voll Zærtlichkeit und unaussprechlicher Betrybniß ihn an; dann sah sie hinaus in die Verwystung; GOtt! Richter! so rief sie, ist keine Rettung, kein Erbarmen uns? O wie styrzen die Fluthen! Wie bryllet der Donner um uns her! Welche Schreknisse verkynden die unversœhnte Rache! O GOtt! Unsre Jahre flossen in Unschuld dahin, du, der Jynglinge Tugendhaftester! – – Weh! Weh mir! Sie sind schon alle dahin; die mein Leben mit tausend Freuden schmykten, sind alle dahin! Und du, die du das Leben mir gabest! O Quaal-voller Anblik! Von meiner Seite riß die Fluth dich weg, noch ein mal hubest du dein Haupt und deine Arme empor, wolltest mich segnen und warst verschlungen. Ach! Sie sind alle dahin! Und doch – O Semin! Semin! Die einsame verwystete Welt wyrde an deiner Seite ein Paradies mir seyn! O GOtt! In Unschuld flossen unsre jugendlichen Jahre dahin. Ach! Ist keine Rettung, kein Erbarmen? – – – Doch was redet mein Quaal-volles Herz. O GOtt! Verzeihe!! Wir sterben! Was ist des Menschen Unschuld vor dir!

Der Jyngling hielt seine Geliebte, die im Sturm-Wind wankte, und sprach: Ja, meine Geliebte! Alles Leben ist von der Erde weggespylt; aus dem Toben dieser Verwystung heult kein Sterbender mehr. O Theureste! meine theureste Semira! der kommende Augenblik ist unser lezter. Ja, sie sind hin, die Hofnungen dieses Lebens alle; jede selige Aussicht, die wir in den entzykten Stunden unsrer Liebe uns dachten, ist hin; wir sterben! Der Tod steigt heran; schon umfließt er unsre bebenden Schenkel; aber laß, ô laß nicht, wie Verworfne, dies allgemeine Schiksal uns erwarten! Wir sterben! Und, ô meine Geliebte! was wær, was unser længestes Freude-vollestes Leben? Ein Thau-Tropfe, der am Fels hængt, und vor der Morgen-Sonne ins Meer fællt. Erhebe deinen Muth; jenseit dieses Lebens ist Wonne und Ewigkeit. Laß uns nicht beben, izt da wir hinybergehn; umarme mich, und so laß unser Schiksal uns erwarten. Bald, ô meine Semira! bald schweben unsre Seelen yber diese Verwystung empor; voll Gefyhl unaussprechlicher Seligkeit schweben sie empor. O GOtt! so kyhn hofft meine Seele. Ja, Semira! laß unsre Hænd uns zu GOtt empor heben. Sollte der Sterbliche seine Wege richten? Der den Athem in uns gehaucht hat, er sendet den Tod zu Gerechten und Ungerechten. Aber wol dem, der die Wege der Tugend gewandelt hat! Nicht Leben, flehn wir, Gerechter! Nihm in deinem Gericht uns hin; aber ô belebe jene Hoffnung, diese selige Hoffnung jenes unaussprechlichen Glykes, das kein Tod mehr stœrt; dann bryllet, ihr Donner! dann tobe, Verwystung! kommt yber uns, ihr Wellen! Gelobet sey er, der Gerechte, gelobet sey er; der sey der lezte Gedanke, den unsre Seele im sterbenden Leib noch denkt!

Muth und Freude stiegen in der Semira verschœnertes Gesicht; sie hub die Hænde ins Gewitter empor, und sprach: Ja, ich fyhle sie, die seligen grossen Hoffnungen alle. Lobe den HErrn, mein Mund! Weint Freuden-Thrænen, ihr Augen, bis der kommende Tod euch schließt. Ein Himmel voll Seligkeiten erwartet uns. Ihr seyd vor uns hingegangen, ihr Geliebten alle, wir kommen, ô bald bald werden wir euch wieder sehn; sie stehn da vor seinem Thron die Gerechten; er hat sie aus seinem Gericht empor vor sein Angesicht gesammelt. Bryllet, ihr Donner! Heule Verwystung! Ihr seyd seiner Gerechtigkeit Lob-Gesang! Kommt yber uns, ihr Wellen! – Sieh, Geliebter! Umarme mich; dort kœmmt er daher, der Tod; auf dieser schwarzen Welle kœmmt er daher; umarme mich, Semin! laß mich nicht; ô schon hebt die Fluth mich empor!

Ich umarme dich, Semira! sprach der Jyngling, ich umarme dich! O Tod, sey willkommen! Hier sind wir! Gelobet sey der ewig Gerechte!

Sie sprachen so, und die Fluth spyhlte die sich umarmenden weg.