Ganghofer
Die Rittersleut
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Ludwig Ganghofer

Die Rittersleut

Vor vielen Jahren einmal, da wurde in einem Gebirgsort am 25. August das Königsschießen abgehalten.

Damals gab es noch nicht die kleinen, dreikreisigen Scheibenblätter, wie sie heute im Gebrauch sind, sondern das »Schwarze« war noch ein »urdntlicher Brocken« – und zwischen dem Dreier und dem Punktschuß hatte noch der »Vierer« ein ehrenvolles Dasein. Auch war jene unromantische Maschine noch nicht erfunden, mit der man die Güte eines Punktschusses auf so und so viel »Grade« haargenau auszumessen vermag. Der Permanederhansl von Wurzbach hatte nicht so unrecht, wenn er beim ersten Auftauchen dieser Maschine den ingrimmigen Fluch tat: »Himi Herrgott Bluatsa, in alls bringt da Teifi sein Furtschritt eini!« Denn wie die Erfindung der Kanonen innerhalb hundert Jahren die schöne Ritterromantik zur Welt hinauspulverte, so verdrängte diese Graduierungsmaschine innerhalb eines Jahrzehnts beim Scheibenschießen das herkömmliche »Rittern«, das auf jedem Schützenfest die Kulmination aller Spannung zu bringen pflegte. Früher zählte die Gesamtleistung des ganzen Tages, die ruhige Hand, das scharfe Auge und die Sicherheit in dem Augenblick, in dem es das Höchste galt. Und immer war der beste Schütze der Gewinner des ersten Preises. Heute trägt – nach dem Richterspruch der Maschine – den besten Preis der Glücksvogel davon, der »zufälli amal einirumpelt« ins tiefste Schwarz, wie ein blindes Huhn sein Gerstenkörndl findet.

Aber damals, bei jenem Königsschießen zu Wurzbach, war diese »gottverfluachte Maschien«, wie der Permanederhansl sie späterhin zu nennen pflegte, noch nicht erfunden. Und schon vor Beginn des Scheibenschießens wußte man's, daß wahrscheinlich wieder einmal, wie schon so oft seit Jahren, der Permanederhansl und der Zillerbillerloisl die »Rittersleut« um den »ersten Fahnen« sein würden. Denn die beiden waren die besten Scheibenschützen weit und breit, und wenn der eine einen Punkt schoß, ließ es dem anderen keine Ruhe, bis er nicht auch den Böller wieder »aussigfuiert« hatte. Aber bei dieser gleichen Kunst sahen sie einander so ähnlich wie der magere Geißbock und der schwere Ochs.

Der Permanederhansl war königlicher Jagdgehilf, verheiratet, und mit vierzig Jahren Vater von siebzehn Kindern, von denen seine Ehefrau Kreszenzia, geborene Schuittenstecher, ihm neune in sieben Jahren zur Welt gebracht hatte. Über seinen tätigen Anteil an der Hebung der Einwohnerzahl des Königreiches Bayern tat der Permanederhansl einmal den sexual–philosophischen Ausspruch: »I woaß net, was dös ist bei mir. Bal i die Kurzlederne bloß ummihäng über 's Bettstattbrettl, is der Teifi scho wieder los.« Worauf sein Förster ihm zur Antwort gab: »Woaßt, bal nix anders als wia die Kurzlederne schuld is, taat i mer halt a lange Hosen machen lassen.« Aber lange Hosen konnte der Permanederhansl nicht tragen. Und drum bekam er halt immer wieder Kinder.

Er war aber auch ein Kerl wie ein Baum, seine zwei Zentner alten Gewichtes schwer, mit einem Kopf wie ein Kürbis in der Reife, mit einem Urwald von rotbraunem Vollbart, den nur der Kamm der fünf Finger durchzuhecheln vermochte. Und die Beine, die dem Permanederhansl aus den Röhren der Kurzledernen herauswuchsen. Zwei Beine wie Säulen! Aber nein, das waren keine Beine – das waren »Haxen«. Und wenn der Hansl vor der Scheibe den Stutzen anlegte, spreizte er diese zwei Haxen mit den kupferbraunen Knieknödeln weit auseinander und stand wie eine Mauer. Kein Wunder, daß da immer wieder der Böller »fuierte«!

Und sein Rivale?

Der Zillerbillerloisl war ein Bauernknecht, lang und mager, mit einem Janker, der ihm zu kurz war und hinten abstand, und mit einer langen Hose, die der Schneider noch fürs Wachsen berechnete, und drum mußte sie der Loisl über den Nagelschuhen immer umkrempeln, so daß der rote Futterbesatz über das Graue heraus kam. Der Zillerbiller war auch ein Vierziger, aber ledig, und seine Kinder hatten immer einen anderen Vater. Drum wußte man nie, wieviel der Loisl zum Wachstum der Landesbevölkerung beitrug. Und ein mageres, glattrasiertes Gesicht hatte er, mit hundert winzigen Fältchen und von einem pfiffigen Ausdruck. Und wenn er vor der Scheibe die Büchse hob, stand er immer so krumm zusammengeringelt wie ein Paragraphenzeichen. Sein alter Stutzen war ein fürchterlicher Kloben, plump und schwer. Wenn der krummgeringelte Loisl zielte, war's ein immerwährendes Gewackel mit dem übergewichtigen Lauf. Einmal sagte einer von den Schützen zu ihm: »Zillerbiller, dösmal wearst aber aussiwackeln!« Der Loisl guckte, das linke Auge eingekniffen, über den Schaft der Büchse und sagte schmunzelnd: »Wackelt's aussi, wackelt's eini aa!« Und richtig, als der Zillerbiller »fuierte«, krachte draußen am Scheibenstand der Böllen – Die beiden verdienten bei jedem Scheibenschießen einen schönen Brocken Geld. Aber der Permanederhansl war ein armer Teufel, weil er siebzehn Kinder ernähren, respektive »veralamenten« mußte. Und der Zillerbillerloisl hatte ein paar Tausender auf der Sparkasse, weil immer andere für seine verschleierten Vaterfreuden zu blechen hatten.

Und damals, bei jenem Königsschießen zu Wurzbach, war es so: Der Permanederhansl hatte dreizehn Punkte unter hundert Schüssen – und der Zillerbillerloisl hatte unter hundert Schüssen dreizehn Punkte. Drum waren die beiden wieder einmal die Rittersleute um den ersten Preis.

Unter allgemeiner Aufregung der ganzen Schützengesellschaft trat der Hansl vor die Scheibe, stand wie eine Mauer und schoß einen Punkt.

»Brüaderl!« schrie er den Loisl an, lachend und siegesfroh, in der Hand den rauchenden Stutzen. »Dösmal därfst aber guat einiwackeln!«

Der Zillerbiller war grün im Gesicht und sagte kein Wort. Er trat in den Scheibenstand, wickelte sich krumm zusammen und wackelte eine Minute lang. Dann krachte der Böller, der einen Punktschuß meldete.

In der ganzen Schützengesellschaft ein lärmender Aufruhr. »Hirni Herrgott Bluatsa!« fing der Hansl in Wut zu fluchen an und bestellte eine frische Maß. Der Loisl schmunzelte nur, ließ sich den Krug wieder füllen und bestellte noch ein »Viertele Schnaps«. Und als er meinte, daß es niemand sähe, goß er dieses »Viertele« dem Permanederhansl in den Maßkrug.

Der Hansl – trotz seiner siebzehn Kinder einer von den großen, reinen Toren – merkte nichts von dieser schützenbrüderlichen Manipulation. Aber der Förster, der seine lustigen Luchsaugen überall hatte, benützte einen günstigen Moment – und vertauschte die Maßkrüge.

Weil der Zillerbiller »eingestellt« hatte, mußte er jetzt beim neuen Ritterschuß »vorlegen«. Doch bevor er zum Stand hinüberging, griff er nach dem Maßkrug und sagte mit seiner dünnen Stimme schmunzelnd zum Permanederhansl: »Geh her, Spezi! Soll's ausfallen, wias mag! Du oder i! Aber daß mer koa Feindschaft net haben ... trinken mer no oans! Bis abi aufs letzte Tröpfl!«

»Gilt scho!« brüllte der Hansl mit Lachen.

Jeder von beiden leerte den Krug – und dann guckte der Zillerbiller ein bißchen verwundert in den hohlgewordenen Stein. Er trat vor die Scheibe, krürnrnte sich klein zusammen und wackelte länger als sonst. Und wieder verkündete der Böller einen Punktschuß.

Die Schützen, die als Zuschauer den Stand umringten, gebärdeten sich in ihrer Begeisterung wie die Narren. Und natürlich bildeten sich zwei Parteien: Die Forstleute schworen auf den Permaneder, die Bauern auf den Zillerbiller.

Die Situation war ernst. Sehr ernst! Denn der Permanederhansl fluchte nimmer. Ganz bleich war er geworden, bis unter die Haarwurzeln seines rotbraunen Bartwaldes. Seine Tatze zitterte, als er nach dem Stutzen griff. Vor der Scheibe aber stand er wie eine Mauer. Und schoß einen Punkt.

Unter dem Echo des Böllers schlug die Schützengesellschaft einen begeisterten Spektakel auf. So was hatte man seit Menschengedenken noch nie erlebt; vier Punktschüsse beim Rittern!

Wie ein Freudenrausch befiel es den Hansl. »Gelt, du Krippenreiter«, schrie er seinem Rivalen zu, während ihm das breite Gesicht gleich einem gebratenen Riesenapfel zu glänzen begann, »Di schnäuz i no allweil abi übern Wagen!« Er lud den Stutzen und ließ den Ladstock bis zur Decke der Schützenhalle springen. Und wie der Ladstock sprang, so sprang dem Permanederhansl das vergnügte Herz im Kasten seiner Brust. Und der Übermut packte ihn. Denn als er zum Scheibenstand hinüberging, da schrie er: »Jetzt paßts auf! jetzt muaß no oaner aussi! A Zirkelter! Himi Bluatsa!«

Unter lautloser Spannung der Korona tat der Hansl, während der Zillerbillerloisl mit steifen Augen lauernd in der Nähe stand, den dritten Ritterschuß. Aber kein Böller krachte. Und lange suchte der Zieler vor der Scheibe. Dann zeigte er einen »Weißen« auf, handbreit über dem Schwarzen.

Die Bauern, die auf den Loisl gewettet hatten, erhoben ein wieherndes Gelächter, und die Forstleute begannen wütend auf den Hansl zu schimpfen. Der hatte im Gesicht das Käsfarbene bekommen. Doch ruhig blieb er im Stand und schüttelte den Kopf. »Dös ko ja do net sein! Der muaß ja bsuffen sein da draußt!« Wütend riß er an der Glockenleine und brüllte: »Wia, du! Zoag no amal auf!«

Der Zeiger zeigte – wieder den »Weißen«.

Hinter dem Kreis der Schützen schrillte ein heiserer Juhschrei. Den hatte der Zillerbillerloisl herausgeschrien.

Dem Hansl fuhr eine »fliegende Hitz« über die Stirne. »Himi Herrgott Kreizteifi und Bluatsa!« Aber weil jeder Schütze, der einen schlechten Schuß getan, gleich eine Entschuldigung und einen Trost bei der Hand hat, sagte der Hansl: »s Kügei muaß i z'fest aufgsetzt haben. Drum is mer der Schuß z'hoach ganga. Aber stangagrad is'r mer brocha! ... No, der zwoate Preis is aa net schlecht! ... Himi Bluatsa!«

Alle Spannung der Schützengesellschaft war zu Lärm und Lachen gelöst. Denn daß der Zillerbiller jetzt den »Ersten« davontragen würde, stand außer Zweifel. Dieser Meinung schien auch der Loisl selbst zu sein, als er vor die Scheibe trat. Er lächelte. Doch in seinem Gesicht war etwas Aschiges. Und die Augen riß er steif und kreisrund auf, während er den Stutzen hob und sich zusammenwickelte. Und lange, lange, lange wackelte der Loisl, »aussi und eini«, bis er endlich schoß. Kein Böller krachte. Trotzdem guckte der Permanederhansl, der beim Ladetisch wütend sein Zeug zusammenkramte, gar nicht hinaus zur Scheibe. Ein johlendes Geschrei der ganzen Schützengesellschaft machte ihn aufblicken. Da sah er draußen in der Abendsonne den Zieler jene bösen Winke machen, die bedeuten: »Die Scheibe ist gefehlt!« Mit einem brüllenden Freudenschrei tat der Hansl einen Luftsprung, wühlte sich mit den Ellenbogen durch den Kreis der Schützen und wollte den Zillerbillerloisl umarmen: »Brüaderl, Brüaderl, Brüaderl ...«

Aber der Loisl stieß den zärtlichen Bruder zurück. Und während er das aschige Pfiffikusantlitz mit den steifen, kreisrunden Augen auf absonderliche Weise hin und her drehte, fing er zu kreischen an: »Dös laß i mer net gfalln! Und ums Verecka net! Dös laß i mer net gfalln. Der hat mi damisch gmacht! Der hat mer ebbes einigschütt ins Biar!«

Das ging dein Permanederhansl gleich an die Ehre: »Was?« brüllte er in Zorn. »I? Was hab i? Eini gschütt hab i d'r ebbes? Was hab i d'r einigschütt?«

»An Schnaps hast mer einigschütt ins Biar! Der hat mi darnisch gmacht! Dös gilt nix, sag i!«

Dem Hansl trat das Augenweiße aus dem roten Gesicht heraus. »Ja Himi Bluatsa!« Im gleichen Schnaufer hatte er den Zillerbiller mit der einen Faust schon an der Gurgel und fing mit der anderen zu dreschen an. Bei diesem Ritterspiel war der Permanederhansl von vornherein obenauf.

Unter Geschrei versuchten die Schützen dem Streit zu wehren und rissen die beiden Rittersleute auseinander. Und weil durch das Zeugnis der Kellnerin dokumentiert werden konnte, daß der Zillerbillerloisl selbst das Viertele Schnaps zu seiner letzten Maß bestellt hatte, war die Sache schützengerichtlich erledigt.

Der Förster schmunzelte und schwieg.

Als der Permanederhansl bei der Preisverteilung unter Trompetentusch den »ersten Fahnen« in Empfang nahm, sagte er lachend zum Loisl: »Du, dös Viertele zahl i d'r! Brauchst d'r koane Unkösten machen! Weißt, auf der Welt rnuaß alles grecht vertoalt sein!«

Wortlos nahm der Zillerbiller seinen »zwoatn Fahnen« in Empfang und torkelte davon. Und kreischte dann über die Schulter zurück: »Paß auf, du! Über's Jahr! Da raam i d'r 's abi, dir! Kreizhagelsternsakra!«

Der Hansl lachte. Und in seiner Ritterfreude bichelte er sich am Abend einen Rausch an, wie man auch seit Menschengedenken noch keinen gesehen hatte.

Genau neun Monate nach dem Königsschießen, in der vorletzten Maiwoche, mußte der Permanederhansl sein achtzehntes und neunzehntes Kinderl taufen lassen. Denn in diesem schönen Frühling brachte seine Ehefrau Kreszenzia, geborene Schuittenstecher, ein gesundes Zwillingspärchen zur Welt.

Aber das verdarb dem Hansl den Humor nicht. Auch ließ er sich noch immer keine lange Hose machen. Ganz im Gegenteil. Seine Kurzlederne wurde noch immer kürzer, weil sie oft in den Regen kam und langsam einschrumpfte – die Kurzlederne.

Als sich das Königsschießen jährte, schrie der Hansl beim Eintritt in die Schützenhalle dem Zillerbiller lachend zu: »Was moanst? Muaß i d'r heint beim Rittern wieder a Viertele zahlen?«

Doch diesmal gab es beim Königsschießen keine Rittersleute mehr. Denn die neue, »gottverfluachte« Punkt–Meß Maschine war erfunden worden. Und weder der Permanederhansl noch der Zillerbillerloisl bekam den »ersten Fahnen« – obwohl ein jeder von den beiden seine siebzehn Punktschüsse auf der »Bulletten« stehen hatte. Erster Preisträger war der Schneidermeister Haubenstoißer, der unter hundert Schüssen dreiundvierzig »Weiße« gefleckelt hatte, aber – nach dem Schiedsspruch der neuen Maschine – mit einem einzigen Punkt, den er im Dusel herausgestochen, zufällig, »ins tiafste Blattl einigrumpelt« war.

Wer kann es da dem Permanederhansl verdenken, daß er wütend zu schimpfen anfing: »Himi Herrgott Bluatsa, in alls bringt da Teifi sein Furtschritt eini! Dös hat ma von der Wissenschaft: daß die Goasböck den earsten Fahna kriagn! Bluatsa, Bluatsa! Hat scho recht, der Herr Pfarr ... dö ganzen Unaversadätten mit eahnerne studierten Brillenaffen sullt ma in Grund und Boden einischlagen.«

Nach diesem Königsschießen ging der wütende Hansl in nüchternem Zustand heim zu seiner geborenen Schuittenstecher.

Von einer Taufe im Hause Permaneder hat man während des folgenden Jahres nichts gehört.

So nachteilig wirkt der erfinderische Geist der Mathematik auf die produktive Lebenskraft der Menschen.