Friedrich der Große
Fürstenspiegel oder Unterweisung des Königs für den jungen Herzog Karl Eugen von Württemberg
Friedrich der Große

Friedrich der Große

Fürstenspiegel oder Unterweisung des Königs für den jungen Herzog Karl Eugen von Württemberg

(1744)

Friedrich der Große. Gemälde von Pesne.

Mit dem Anteil, den ich an Ihrer Mündigkeitserklärung hatte, verbindet sich mein Interesse an einem glücklichen Verlauf Ihrer Regierung. Ich stelle mir geradezu vor, das Gute oder Schlimme, das daraus entspringe, werde sich irgendwie auch auf mich zurückwenden. In diesem Sinn halte ich mich für verpflichtet, Ihnen mit freundschaftlichem Freimut meine Anschauungen über den neuen Stand, in den Sie nun eintreten, auszusprechen.

Ich gehöre gar nicht zu den Leuten, die aus Dünkel und Eitelkeit schließlich statt der Ratschläge nur mehr Befehle zu erteilen wissen, ihre Ansichten für unfehlbar halten und vom Freunde wünschen, er solle nur noch genau nach ihrer Weise denken, sich regen und atmen. So lächerlich solche Anmaßung wäre, so gewiß würde ich doch andrerseits eine Schuld auf mich laden, wenn ich es versäumte, Ihnen das zu sagen, was all Ihre Diener und Untertanen zu sagen sich nicht unterfangen werden, ja was sie um ihres persönlichen Vorteils willen vielleicht nicht einmal sagen wollen.

Es ist gewiß, daß jedermann die Augen auf das erste Hervortreten eines Mannes richtet, der ein hohes Amt auf sich nimmt; und gewöhnlich bestimmen gerade die ersten Handlungen das Urteil der Öffentlichkeit. Legen Sie zuvörderst den Grund zu allgemeiner Achtung, so werden Sie das Vertrauen der Öffentlichkeit gewinnen, wonach meines Erachtens ein Fürst vor allem trachten sollte.

Überall werden Sie Personen finden, die Ihnen schmeicheln und nur beflissen sind, Ihr Vertrauen zu erwerben, um Ihre Gunst zu mißbrauchen und Sie selbst zu beherrschen. Sie werden auch, hauptsächlich unter den Verwaltungsbeamten, noch eine andere Art Leute finden; die sind gesonnen, Ihnen die Kenntnis der Geschäfte sorgsam vorzuenthalten, um sie nach eigenem Gefallen zu leiten. Um Sie von der Arbeit abzuschrecken, werden sie dafür sorgen, daß die leichtesten Dinge Ihnen Schwierigkeiten bereiten. In ihnen allen werden Sie die wohlüberlegte Absicht finden, Sie dauernd unter Vormundschaft zu halten, und zwar unter Wahrung der schönsten Formen, auf eine Weise, die für Sie noch höchst schmeichelhaft zu sein scheint.

Sie werden fragen: was soll ich dagegen tun? Sie müssen sich mit allen Finanzangelegenheiten vertraut machen, einen Sekretär aussuchen, der als kleiner oder mittlerer Beamter in dem Fach gearbeitet hat, und müssen ihm gute Belohnung dafür versprechen, daß er Sie in allem, was Sie berührt, unterweise. Die Finanzen sind der Nerv des Landes; wissen Sie darüber genau Bescheid, so werden Sie mit dem übrigen jederzeit fertig werden.

Seien Sie fest in Ihren Entschließungen! Erwägen Sie zuvor das Für und Wider; sobald Sie aber Ihren Willen einmal kundgegeben haben, ändern Sie nichts mehr daran! Sonst wird ein jeder Ihrer Autorität spotten, und Sie würden für einen Mann gehalten werden, auf den man nicht bauen kann.

Da eine vormundschaftliche Regierung voranging, wird es Ihrem Hof an Intriguen nicht fehlen. Strafen Sie die Anstifter der ersten streng; dann wird jeder sich hüten, dem bösen Beispiel zu folgen. Güte am unrechten Ort ist nichts als Schwäche, gleichwie Strenge ohne zwingenden Grund ein schwerer Frevel. Übertreibungen nach beiden Richtungen müssen vermieden werden, wiewohl es bloß das Gebrechen eines edlen Herzens ist, wenn die Milde ausartet.

Denken Sie nur nicht, das Land Württemberg sei für Sie geschaffen worden! Glauben Sie vielmehr, daß Sie nach dem Plane der Vorsehung zur Welt gekommen sind, um das Volk glücklich zu machen. Legen Sie stets mehr Wert auf dessen Wohlfahrt als auf Ihre Zerstreuungen. Wenn Sie, in Ihrem zarten Alter, Ihre Wünsche dem Wohl Ihrer Untertanen aufzuopfern vermögen, so werden Sie nicht nur die Freude, Sie werden auch die Bewunderung der Welt erregen.

Sie sind für Ihr Land das Haupt der bürgerlichen Religion, die aus der Rechtschaffenheit und allen moralischen Tugenden besteht. Zu Ihrer Aufgabe gehört es, daß Sie helfen, diese Tugenden zu verwirklichen und namentlich die Menschlichkeit, die Haupttugend jedes denkenden Wesens.

Die geistliche Religion überlassen Sie dem höchsten Wesen. Auf diesem Felde sind wir alle blind, durch unterschiedliches Wähnen in die Irre geraten. Wer unter uns ist so verwegen, daß er entscheiden wollte, welcher der rechte Weg sei? Nehmen Sie sich denn in acht vor dem religiösen Fanatismus, der zu Verfolgungen führt. Wenn armselige Sterbliche dem höchsten Wesen irgend Wohlgefallen können, so geschieht es durch Wohltaten, die sie den Mitmenschen erweisen, und nicht durch Gewalttaten, die sie gegen starrköpfige Geister verüben. Wenn die wahre Religion, die Menschlichkeit, Sie nicht zum rechten Verhalten bestimmen sollte, so muß mindestens die Politik es tun; denn all Ihre Untertanen sind Protestanten. Toleranz wird Ihnen Verehrung, Verfolgungen würden nur Abscheu erwecken.

Die Lage Ihres Landes, das an Frankreich und die Staaten des Hauses Österreich grenzt, macht Ihnen eine maßvolle und gleichmäßige Haltung gegen diese zwei mächtigen Nachbarn zur Pflicht. Lassen Sie keinerlei Vorliebe für einen von beiden erkennen, auf daß sie Ihnen nicht Parteilichkeit vorwerfen können. Denn ihre Geschicke sind veränderlich, und beide Staaten würden nicht ermangeln, abwechselnd Sie entgelten zu lassen, was sie glauben, Ihnen mit Grund vorwerfen zu können.

Lassen Sie niemals vom Reich und von seinem Oberhaupt. Eine Sicherheit gegenüber dem Ehrgeiz und der Macht Ihrer Nachbarn gibt es für Sie nur, solange das System des Reiches erhalten bleibt. Seien Sie stets der Feind dessen, der es umstürzen will; denn in Wahrheit hieße das, gleichzeitig auch Ihren Sturz wollen.

Machen Sie sich Ihre Jugend zunutze, ohne sie zu mißbrauchen. Lassen Sie ein paar Jahre dem Vergnügen gewidmet sein. Dann denken Sie ans Heiraten. Das erste Jugendfeuer ist der Ehe nicht günstig; da glaubt die Beständigkeit, die auf drei Jahre zurückblicken kann, sie sei steinalt geworden. Wenn Sie eine Prinzessin aus allzu hohem Haus nehmen, so bildet sie sich ein, Ihnen eine Gnade anzutun, indem sie Ihre Gemahlin wird. Das ergäbe für Sie einen alles verschlingenden Aufwand, und Sie hätten keinen Vorteil davon, als daß Sie der Sklave Ihres Schwiegervaters sein dürften. Wählen Sie eine Gattin von annähernd gleicher Standeshöhe, so sind Sie glücklicher. Sie werden ruhiger leben, und die Eifersucht, wozu fürstliche Personen höheren Ranges ihrer Ehehälfte immer Anlaß geben, wird Ihnen nicht zu schaffen machen.

Ehren Sie in Ihrer Mutter die Urheberin Ihres Lebens. Je mehr Aufmerksamkeiten Sie ihr widmen, um so höher sind Sie zu achten. Wenn Sie etwa kleine Händel mit ihr haben sollten, so nehmen Sie allemal das Unrecht auf sich. Die Dankbarkeit gegen die Eltern hat keine Grenzen; man wird getadelt, wenn man hierin zu wenig tut, niemals aber, wenn man zuviel tut.

Die innige Freundschaft, die ich für Sie fühle, wird mich immer so aufrichtigen Anteil an Ihnen nehmen lassen, daß ich es mit einer Freude ohnegleichen hören werde, wenn Ihre Untertanen Ihnen Beifall spenden und Sie segnen. Und jede Gelegenheit, Ihnen nützlich zu sein, werde ich mit äußerster Bereitwilligkeit ergreifen. Mit einem Wort, mein lieber Herzog, es gibt kein Glück, das ich Ihnen nicht wünschte, und keines, dessen Sie nicht würdig wären.