Bärndütsch als Spiegel bernischen Volkstums

Von Emanuel Friedli


Erster Band: Lützelflüh

 

Titelblatt

 

Mit 158 Illustrationen und 14 Farbendrucken nach Originalen von R. Münger, W. Gorgé, F. Brand, K. Indermühle und nach photographischen Original-Aufnahmen von Dr. E. Hegg
nebst 2 topographischen Karten der Gemeinde Lützelflüh

Herausgegeben mit Unterstützung der Regierung des Kantons Bern


Bern / Verlag von A. Francke (vorm. Schmid & Francke) / 1905

Buchdruckerei Büchler & Co., Bern

 

Luetzel

«Hoch und tief.»
Blick von der Egg nach Süden.

Nach dem Gemälde von W. Gorgé

 

Das Neue dringt herein mit Macht; das Alte,
Das Würd’ge scheidet; andre Zeiten kommen,
Es lebt ein anders denkendes Geschlecht.
. . . . . .
O, lerne fühlen, welches Stamms du bist!
Wirf nicht für eiteln Glanz und Flitterschein
Die echte Perle deines Wertes hin.

(Schiller)

Vorwort.

I

 

n Schulen unseres Landes wird Heimatkunde gelehrt. Man versteht darunter eine Summe von geographischen, geschichtlichen, meist auch politischen Kenntnissen, die dem künftigen Bürger in seinem Berufe und im öffentlichen Leben zustatten kommen und vaterländischen Sinn in ihm wecken sollen. Der praktische Nutzen eines solchen Unterrichts liegt auf der Hand; aber ebenso klar ist, daß das innige Gefühl der Zusammen­gehörigkeit mit dem Volke, dem wir entstammen, sich nicht in schulmäßig erworbenem Wissen erschöpft, sondern daß es aus der Tiefe keimen muß, wo Stamm­verwandtschaft, Eindrücke der Kindheit und spätere Lebenserfahrung geheimnisvoll an unserm Charakter bilden. Lange bevor das Kind die ersten klaren Begriffe vom Vaterlande empfängt, von seinen politischen Grenzen und seiner natürlichen Beschaffenheit, von der Geschichte des Schweizervolkes und seiner Verfassung, ist das Heimatgefühl, die Grundlage der Vaterlandsliebe, in ihm wach geworden; unberührt von historischen und politischen Vorstellungen, einfach durch das Leben in der Heimat und unter seinesgleichen, ist es in das Volkstum seiner Heimat hineingewachsen. Selbst in den engsten und ärmlichsten Verhältnissen, im beschränktesten geistigen Gesichtskreis hat es mit der Luft des Vaterlandes jene geistige Luft eingesogen, die sich fortan in all seinem Fühlen, Denken und Wollen unbewußt äußert und sich niemals völlig wird verleugnen lassen. Diese Lebensluft ist seine eigentliche Heimat, die wohlige Wärme, in welcher seine Seele sich entfalten und gedeihen kann. In ihr reift das Volksbewußtsein, das feste Vertrauen auf die Tüchtigkeit des Volksschlages, dem man angehört, die geistige Grundlage der Volkswohlfahrt.

Dieses schwer faßbare geistige Wesen eines Volkes, die verborgene konstante Kraft, die allem äußern Leben, dem gegenwärtigen wie dem geschichtlichen, zugrunde liegt, ist das höchste und interessanteste Problem der Volkskunde. Zu einer schweizerischen Volkskunde in diesem Sinne soll das Werk, dessen ersten Band wir hiermit der Öffentlichkeit übergeben, ein Beitrag sein.

II Erst in der neuesten Zeit hat sich dieser Begriff von Volkskunde deutlicher abgeklärt. Als in den letzten Jahrzehnten des verflossenen Jahrhunderts durch ausgedehnte Forschungs­reisen das Interesse an den Sitten und Gebräuchen weit entlegener und unzivilisierter Völker geweckt und verbreitet war, fing man an, die alten Sitten und Gebräuche der europäischen Kulturvölker zum Vergleiche herbeizuziehen, wobei sich eine erstaunliche Fülle lehrreichen Materials ergab. Die einheimische Volkskunde begann daher mit dem Aufstöbern und Sammeln antiquarischer Kuriositäten, mit dem Aufschreiben und Herausgeben alter Volksüber­lieferungen, Sagen, Volkslieder, Heilformeln, literarischer Dokumente aller Art, aus deren vergleichender Prüfung sich historische oder ethnographische Ergebnisse gewinnen ließen: Wissenschaft für die Wissenschaft. Allein der frische, dem Leben zustrebende Geist der neuern Zeit, der auf verschiebenen wissen­schaftlichen Gebieten in die eigennützige Gelehrsamkeit hineingefahren ist, gab auch der jungen Wissenschaft der Volkskunde eine Bedeutung fürs Leben. Sie gibt sich nun nicht zufrieden mit dem Sammeln und Einbalsamieren abgestorbener Lebens­erscheinungen, noch auch bloß mit dem Katalogisieren bestehender althergebrachter Sitten und Gebräuche, sie hat entdeckt, daß das ganze gegenwärtige Leben eines Volkes, seine jetzigen Sitten und Gebräuche, seine jetzige Art, zu bauen, zu wohnen, zu arbeiten, zu essen, sich zu kleiden usw., daß all sein Tun und Reden, sein Wissen und Glauben vom höchsten Interesse ist für den, der dieses heutige Volk, wie es leibt und lebt, verstehen lernen möchte.

Und hierin liegt eine Bedeutung der Volkskunde, die weit über das gelehrte Interesse hinausgeht: sie ist zur Vermittlerin bestimmt zwischen dem Volk im engern Sinne, dem Volk der körperlichen Arbeit und den in geistiger Berufsarbeit lebenden Städtern. Sie sollte eine Brücke von der Wissenschaft zum Leben sein für alle Studierenden, deren künftiger Beruf sie mit dem Volke in Berührung bringt. Denn wie können sie Führer und Lehrer des Volkes werden, ohne dieses Volk gründlich zu verstehn? Aber davon sind wir noch weit entfernt, auch in unserer Demokratie. Nicht jeder Gesetzgeber und Richter kennt und berücksichtigt das Rechtsbewußtsein des Volkes, seine durch uralten Rechtsbrauch und geheiligte Sitten beeinflußten Rechts­anschauungen. Auch das unvermeidliche Übel der Bureaukratie, das jeder Staatsverwaltung anhaftet, erklärt sich zum großen Teil aus der Unkenntnis des Volkes, seiner wirklichen Lebens­verhältnisse und ‑bedürfnisse. Wie selten ferner, und dann wie langsam erwirbt sich der Arzt ein gründliches Verständnis für die althergebrachten Vorurteile und Irrtümer oder auch ganz gesunden Anschauungen, die er bei seinen ländlichen Patienten bekämpft! Wie selten versteht der Landpfarrer die hohen Begriffe seiner Gotteslehre auf die tief verborgenen religiösen Vorstellungen und Gefühle des Volkes, seien sie heidnisch-germanischen III oder christlichen Ursprungs, aufzubauen! Ja selbst der Landschullehrer scheint oft nicht zu ahnen, welch gesunde Lebenskräfte er unterbindet, indem er den naiven mundartlichen Ausdruck seiner Schüler unterdrückt oder die entferntesten Gegenstände den aus dem Alltagsleben des Kindes sich von selber darbietenden vorzieht!

Daß die Gebildeten, die zur Leitung des Volkes berufen sind, wieder zum Volke zurückkehren, aus dem sie hervorgegangen, daß sie wieder ihres Volkes kundig werden und daß alle, gelehrt und ungelehrt, ihre Einheit im Volkstum wieder fühlen lernen, das wäre der höchste Wert, den eine Volkskunde haben könnte.

Aber was wißt ihr von unserm Volkstum zu reden! möchte hier ein Mann aus dem Volke uns zurufen; ihr Stadtmenschen, die ihr euer natürliches Wesen an allen Zivilisationen Europas abgeschliffen, durch Reisen und Lektüre euren Geist längst gewöhnt habt, die engen Verhältnisse der Heimat an den großen des Auslands zu messen; ihr, die ihr den Zusammenhang mit der Natur des Landes bis auf ein paar Spaziergänge und einen Landaufenthalt im Jahre verloren habt? Ihr, die ihre so oft nichts ausrichtet, wenn ihr uns zu belehren und zu überzeugen glaubt; die ihr uns Gesetze vorlegt, die das Volk mit Glanz verwirft!

Diese Frage veranlaßt uns, etwas über die Entstehung des vorliegenden Werkes mitzuteilen.

Während nämlich die meisten und besten volkskundlichen Werke der letzten zehn Jahre sich immer über das Gebiet eines größern deutschen Volksstamms oder gar über das ganze deutsche Reichs- oder Sprachgebiet erstrecken, stand für den Verfasser unseres «Bärndütsch» von vornherein fest, daß er seine Forschung streng auf gewisse Punkte konzentrieren müsse, wenn das Bild, das er vom bernischen Volkstum geben wollte, wahr und zuverlässig werden sollte. Alle jene zusammen­fassenden Werke nämlich leiden an dem Fehler der Verallgemeinerung. Wie in der Mundart, so machen sich auch in Gebräuchen, Sitten, Anschauungen usw., von Ort zu Ort, oft innerhalb derselben Gemeinde, mehr oder weniger starke Unterschiede bemerkbar, sodaß man bei der Feststellung einer volkskundlichen Tatsache in der Angabe des Ortes gar nicht genau genug sein kann. Ganz genau genommen, sind wohl die meisten Verall­gemeinerungen falsch, und zuverlässig ist allein eine Darstellung, die sich auf ein ganz enges Lokal beschränkt. Wenn man das Volksleben mit einem unergründlichen Meere vergleicht, so hat diese exakte Art des Volksstudiums etwas mit der Tiefsee­forschung gemein: der Forscher begnügt sich, an gewissen Punkten, die er genau feststellt, in die Tiefe zu dringen und überläßt uns, aus dem zu Tage Geförderten allgemeine Schlüsse zu ziehen. Im Gegensatze also zu einem Werke, wie etwa Berlepsch’s Schweizerkunde IV (von 1864) oder Hans Meyers Deutsches Volkstum (1898), aber auch im Gegensatze zu einer sächsischen, einer braun­schweigischen, einer hessischen oder einer Simmenthaler Volkskunde, wie sie in den letzten Jahren erschienen sind, sollte das Werk des Herrn Emanuel Friedli aus einer Folge von Einzelbildern bestehen, deren jedes das bernische Volkstum im Rahmen einer Gemeinde darzustellen hat. Diese Arbeit aber kann nur an Ort und Stelle selber, unter der unablässigen Kontrolle und Korrektur des frisch pulsierenden Lebens, unter dem Beistand erfahrener und einsichtiger Leute aus der Gegend selbst zur richtigen Reife gelangen. An Ort und Stelle selber muß, so gut wie eine Mundart, auch das Volksleben studiert, müssen alte Dokumente, deren leider schon so viele verständnislos dem Feuer oder Wurmfraß ausgeliefert worden sind, aufgestöbert und abgeschrieben, müssen amtliche Archive ausgezogen und müssen speziell auch die Flurnamen in ihrer wirklichen Lautform notiert und mit der örtlichen Beschaffenheit verglichen werden. An Ort und Stelle endlich müssen die zur bildlichen Illustration geeigneten Gegenstände sorgfältig ausgewählt und, sofern es sich um künstlerische Aufnahmen von Landschaften, Wohnungen und bäuerlichen Arbeiten handelt, die günstigen Jahres- und Tageszeiten abgewartet werden.

Auf diese Weile ist der Band «Lützelflüh» entstanden; während mehr als zwei Jahren hat der Verfasser diesen seinen Heimatort neuerdings zum Wohnsitz genommen, in täglichem Verkehr mit der Bevölkerung gelebt, und es ist kein Kapitel dieses Bandes ins Reine gebracht worden, das nicht vor den Ohren oder Augen sachkundiger Gemeindeglieder vorher eine oder wiederholte Prüfungen bestanden hätte. Unter all den wohlwollenden Kritikern aber, die dem Sorgenkinde zu Gevatter gestanden und die wir nicht alle nennen könnten, gebührt dem Lehrer-Ehepaar Gfeller auf der Egg für seine unschätzbare Mitwirkung ein ausdrücklicher Dank. Ihr Verdienst ist es zum großen Teil, wenn der Verfasser aus dem Schachte seiner Wissenschaft immer wieder den Weg ins sonnige Leben fand und wenn seine Arbeit, obgleich unter Büchern entstanden, doch ein getreuer Spiegel des Lebens geworden ist. Aber auch die ausgezeichnete Hilfe, die dem Verfasser von Seiten der illustrierenden Mitarbeiter zuteil geworden ist, muß dankend erwähnt werden; es betrifft die Herren Maler Willy Gorgé und Rudolf Münger, Herrn Zeichnungslehrer Fritz Brand, Herrn Architekt Karl Indermühle und Herrn Dr. Emil Hegg als Photographen. Sie alle haben sich, durch längern oder wiederholten Aufenthalt, in der Gegend eingelebt und keine Mühe gescheut, die oft schwer zu bewältigenden Aufgaben in der Weise zu lösen, daß ihre Bilder nun entweder eine Bedeutung als Kunstwert oder als zuverlässiges Dokument beanspruchen dürfen.

V In gleicher Weise nun, wie Lützelflüh als typisches Emmenthalerdorf, seit alten Zeiten ein politisches Zentrum des Emmenthals und überdies als Pfarrgemeinde unseres großen Jeremias Gotthelf von poetischem Schimmer berührt, — in gleicher Weise sollen, wenn die Zeit und das Interesse des Publikums die Fortsetzung des Werkes begünstigen, zwei oder drei andere Ortschaften des Bernerlandes je in einem Bande dargestellt werden: zunächst Grindelwald, als ein Oberländer Alpenrevier und Heim der Fremden, sodann ein seeländisches Amts-, Industrie- und Bauernstädtchen am Tor des Jura, und weiterhin eine charakteristische Ortschaft des Mittellandes oder des Oberaargaus.

Von der Art der Darstellung, die der Verfasser gewählt hat, ist es schwer, mit Worten die richtige Vorstellung zu geben. Wer das Buch durchblättert oder auch bloß die Kapitel­überschriften liest, wird zunächst bemerken, daß auf Vollständigleit in der Behandlung des Gegenstandes verzichtet worden ist. Die Fülle des Lebens schließt diesen Gedanken überhaupt aus, und für Lützelflüh nötigte überdies das unerschöpfliche literarische Material, das in Gottheifs Werken vorliegt, zur Beschränkung auf gewisse Lebensaus­schnitte oder Sachgruppen, die dafür mit umso reicherem Detail ausgeführt werden konnten. In dieser Abrundung der einzelnen Kapitel zu Lebensbildern kann das Friedli’sche Werk mit den «Charakter­bildern schweizerischen Landes, Lebens und Strebens» von Walter Senn (1870-71) verglichen werden.

Neu hingegen und, wie uns scheinen will, sehr verdienstlich war der Gedanke des Verfassers, das bernische Volkstum im Spiegel seiner Sprache, d. h. der Mundart, darzustellen. Selbst ein so grundehrlich aus dem Leben schöpfendes und an seinen Einzelzügen so reiches Buch wie das des anonymen thüringischen Landpfarrers «Zur bäuerlichen Glaubens- und Sittenlehre» (3. Aufl. 1895) hat diesen Schritt nicht getan. Und doch lag er hier besonders nahe. Wie ein Volk über gut und böse, über gerecht und ungerecht, heilig und unheilig, ehrenhaft und ehrlos, wie es über Gott, Welt, Schicksal, Tod und Ewigkeit denkt und fühlt, das vor allem läßt sich nur mit seinen eigenen Worten sagen. Jede Umschreibung in wissen­schaftlicher Sprache bleibt hinter der Wahrheit zurück. Ist es aber nicht, mehr oder weniger, mit allem so? Denken können wir alle nicht ohne unsere Sprache; und nur in unserer eigenen, persönlichen Sprache gelangt das Gedachte mit all’ seinen gedanklichen Beziehungen und Gefühlswerten annähernd getreu zum Ausdruck. Und wie die Sprache des einzelnen Menschen, so hat auch jede Mundart ihre Eigensinnigkeit, wie Herder es nennt; auch darin Eigensinnigkeit, daß sie für manches keine Worte hat, wofür eine andere Worte hat. Nur wofür ein Volk Worte hat, das ist VI sein eigen; nur was es nennt, das kennt es. So ungefähr lautet ein Ausspruch Karl Weinholds, des ersten Begründers einer deutschen Vereinigung für Volkskunde. Nur was echt mundartlich ist, ist echt volkstümlich. In seiner Mundart betätigt auch ein noch so unkünstlerisches Volk bildnerischen Geist; nichts ist hier leere Form, alles ist Bedeutung und alles hat Bedeutung für den, der zu deuten vermag.

Von den Beispielen des Volkswitzes, den zahllosen Sprichwörtern, Spottreden, Witzworten, Übernamen usw. leuchtet das am meisten ein. Weniger kennt man die große Bedeutung der eigenartigen Bildersprache, die jede Mundart aufweist und von der namentlich in lebhafter Wechselrede kaum ein Satz frei ist. Wie leuchtet hier oft in einem einzigen Wort die innige Beziehung des Volksgeistes zur Natur der Heimat auf!

Wie bezeichnend ist die Rolle, die der «Boden» in der Sprache des Emmenthalers spielt, «dä stritber, unpenig (unbändige), ungschlacht Bode», von dem sein Glück abhängt, und dessen Wider­spänstigkeit er die zähe Ausdauer und Geduld verdankt. Hier ist das Land, wo man «mit eim z’Bobe stellt», «mit eim z’Bode redt», «eine z’Bode hudlet» und «ne bodiget»; wo es «bodeböös» oder «grundbode­schlächt» mit etwas geht, oder wo «alls i Grundboden ahe vertüüflet» ist. Daß es in der Gegend von Lützelflüh, Rahnflüh, Flüelen und den vielen andern Flüehne «Manne wie Flüeh» und (wie Gotthelf sagt) Köpfe wie Nagelfluh gibt, ist auch nicht von ungefähr, und daß es heißt «Kühe wie Flühe» und eine «Postur wie eine Fluh» ebensowenig. Und so etwa ist’s mit Hoger und Hubel und Chnubel und Bühl, mit Halde, Egg, Rain und Stutz, mit Grabe, Chrache, Loch und Hole — wir brauchen bloß die Flur- und Familiennamen von Lützelflüh zu überfliegen, so taucht in den Zusammen­setzungen mit diesen Wörtern die ganze Landschaft des Emmenthals vor uns auf. Und wie die Landschaft, so lebt die Arbeit des Volkes in seiner Bildersprache: z’ässe gnue und z’wärche gnue! ist ein sprechender Ausdruck der Zufriedenheit für ein «wärchbares Volk», das die «rächte Wärchadere» über alles schätzt, wo man einander «i d’Händ wärche» muß, wenn man etwas «erwärche» will, und wo man die Bitternisse des Lebens, solang’s nicht «zum grediuse Brüele» ist, lieber im Stillen «verwärchet». Für den blassen Ausdruck: Was getan ist, ist getan, findet die Mundart hier mitten in der Arbeit das anschauliche Bild «Was hinderen ist, ist gmäjt», und dem Knecht, der wählerisch in der gemeinsamen Schüssel das Beste herausgabelt, verweist man es, «so i der Blatten ume z’heue». Und wie mähen und heuen, so greifen schwänten, spinnen, spulen und viele andere Arbeiten, so auch Natur­erscheinungen, wie z. B. bchyme und motte, in die Bildersprache hinüber.

Das sind nur schwache Andeutungen von dem Reichtum bedeutungsvoller VII Erscheinungen des mundartlichen Sprachlebens, wie der Verfasser dieses Werkes es darstellt. Einen vollständigeren Begriff von der Fülle des verwendeten sprachlichen Materials gibt das berndeutsche Wörterverzeichnis am Schusse dieses Bandes, das namentlich dem Sprachforscher willkommen sein mag. Zu der vergleichenden Betrachtung jedoch von Volksleben und Volkssprache wird der Leser auf Schritt und Tritt angeregt werden und so am besten den Sinn und Zweck des Titels verstehen lernen:

Bärndütsch als Spiegel bernischen Volkstums.

Möchte das Werk dem Andenken Jeremias Gotthelfs, dessen Todestag heuer zum fünfzigsten Male wiederkehrt, zur Ehre gereichen! Möchte es zu Stadt und Land, bei allen, denen die Erhaltung der gesunden bernischen Eigenart am Herzen liegt, eine freudige Aufnahme finden, und der hohe Zweck, der die bernische Landesbehörde bei der Subventionierung dieses Unternehmens leitet, in Erfüllung gehen.

 

Im Auftrag der Direktion des Unterrichts­wesens des Kantons Bern,

die mit der Leitung dieser Publikation betraute Kommission:

Dr. O. v. Greyerz, Gymnasiallehrer,
J. Sterchi, Oberlehrer,
Dr. H. Türler, Staatsarchivar.

Bern, im September 1904.

Erklärung von Abkürzungen, Buchstaben und Ziffern.

a) Zum Text.

I. Aussprachezeichen (Akzent-Buchstaben),
nur soweit angewendet, als dies für fernerstehende Leser nötig oder wünschenswert erscheint.

ă ĕ ŏ ä̆ ö̆ usw. = kurze Selbstlaute. (Lautlänge wird, so weit es angezeigt erscheint, durch Doppelschreibung bezeichnet.)

á é ó ä́ ö́ usw. = Selbstlaute, die im Wort oder Satz den Hauptton tragen.

ḁ e̥ o̥ = reduzierte Selbstlaute (Murmellaute, bewegliche «Schwa»), z. B. in Fasnḁcht (Fastnacht), e̥s («es» oder «ein»), abso̥lut. Auf besondere Bezeichnung des e̥ in Endsilben wird in der Regel verzichtet.

ä lautet ähnlich wie nhd. ä (nicht so offen wie z. B. im Oberhasli oder in Zürich).

ẹ ị ụ ụ̈ Ị Ụ = straffe (geschlossene) Selbstlaute: z. B. lẹnger (länger), Schịpper (Art Wolltuch), mụdere (unpäßlich sein), sich zụ̈pfe (sich zusammenziehen, an sich halten).

i̦ u̦ ü̦ I̦ U̦ = schlaffe (offene) Selbstlaute: z. B. i̦ (ich), du̦ (du), zü̦pfe (Zöpfe flechten).

e͜l = u̦, z. B. in Voge͜l.

h wird deutlich gehaucht, z. B. in Spịher (Speicher), zuehe (hinzu), T’hee (Tee), P’haul, P’hetrus neben Peter (ohne Hauch).

k ist die oberdeutsche Affrikata gg+ch, z. B. in chrank (krank).

ḷ ist das unterbernische labialisierte l (nhd. w., also labiodental), z. B. in säḷber (selber); im Silbenauslaut unter Umständen gedehnt (z. B. vi̦i̦ḷ = viel), und dann, wo erforderlich scheinend, mit ḷḷ bezeichnet (z. B. Staaḷḷ = Stall).

ṇ (wo nötig ṇ’) vor g bedeutet den nasalen Velar, z. B. in Huṇ’g (Honig), mäṇger (mancher).

n͜d ist das velarisierte nd (ng) und zwar immer gedehnt, z. B. in fin͜de (finden).

s̆ und z̆ sind breit gezischte s und z: sch, tsch.

Freistehende n sind Verbindungslaute: Es ist ĭ̦hm im Waḷd ussen Eine’r n e̥bchoo (begegnet).

IX

II. Hochgesetzte kleine Buchstaben (Supérieurs)
verdeutlichen zuweilen eine mundartliche Form durch ein gewohnteres Schriftbild, bleiben also ungesprochen. Gib ihm numen umen! (gib ihm nur wieder, zahl’ ihm irgendwie heim!) Um den Batze wirte; en Batze verdiene. Hauptechü̦ssi (Kopfkissen).

 

III. Allgemein übliche Abkürzungen:
ags. = angelsächsisch. ahd. = althochdeutsch. as. = altsächsisch. got. = gotisch. mhd. = mittelhochdeutsch. mittellat. (mlat.) = mittelalterlich lateinisch.

b) Zu den Fußnoten:

I. Ziffern.
Die Ziffern 1-7 nach den Buchstaben A-J weisen auf die Netzquadrate der beigegebenen Hauptkarte von Lützelflüh, wo eine im Text oder im alphabetischen Nachweiser angegebene Örtlichkeit rasch aufzufinden ist. Dem nämlichen Zweck dienen die Ziffern 1-3 nach L für Lauterbach, 1-4 nach O für Oberried.

Ziffern mit oder ohne vorausgehende Guts­beschreibungen geben die Größe eines Hofes oder einer Flur (nach dem Lützelflüher Güterregister) in Hektaren (ha) an.

 

II. Abkürzungen in Gutsbe­schreibungen,
welche die dermalige Beschaffenheit einer Örtlichkeit skizzieren und zeigen wollen, was z. B. aus einem «Moos», einer «Weid», einem «Hüsli» geworden sei:

Ack. = Ackerland. Hh. = Holzhaus. LB. = Enklave Lauterbach. Oh. = Ofenhaus. OR. = Enklave Oberried. Sch. = Scheune. Sp. = Speicher. Wd. = Wald. Wh. = Wohnhaus. Ws. = Wiesland, Wiese. Wst. = Wohnstock.

 

III. Quellen, Hilfsmittel, Belege, Verweisungen.
(Auf Anführung gelehrter Fachwerke wird meist verzichtet.)

AB. = Wie Annebäbi Jowäger haushaltet und wie es ihm mit dem Doktern geht. Von Gotthelf. Ausgabe Bern (1899), VIII. IX., dazu Beitr. 564-640, 723-25, 732.

ABB. = Ämterbücher von Brandis. Im bernischen Staatsarchiv. A, B, C bedeuten die Bände, Ziffern die Blätter.

Acta Piet. = Acta Piestistica. Handschriftenband auf der Berner Stadtbibliothek.

A. f. Vk. = Schweizer. Archiv für Volkskunde; Zeitschrift von Hoffmann-Krayer und Jeanjaquet. Zürich, seit 1897.

AhV. = Archiv des historischen Vereins Bern.

Alp. = Das Alpenhorn. Wöchentliche Beilage zum Emmenthaler Blatt.

A’post. = Neue Alpenpost. Zürich 1875 ff.

Alte Gesch. = Eine alte Geschichte zu neuer Erbauung. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder», II, 251-279.

Ammann JG. = Zur Erinnerung an J. G. «Zum hundertsten Geburtstag Jeremias Gotthelfs», 1-16, von † Pfr. Ammann in Lotzwil. Zürich 1897.

Amtsr. = Der Oberamtmann und der Amtsrichter. Von Gotthelf. «Erz. u. Bilder» V.

An AB. = Briefe Gotthelfs an Amtsrichter Josef Burkhalter. Herausgegeben von Pfr. Joß in Herzogenbuchsee. Bern, 1897.

An JR. = Gotthelf und J. J. Reithard in ihren gegenseitigen Beziehungen (samt Briefwechsel). Von Dr. Rudolf Hunziker. Zürich, 1903.

Antenen Br. = Brief vom 9. Januar 1903.

AR. = Alpenrosen, ein Schweizer Almanach. Von Kuhn, Meißner und Wyß u. a. 1811-30. (Nur bis 1826, 251 exzerpiert.)

X Arm. = Die Armennot. Von Gotthelf. Ausgabe Bern (1899) VII, 1-121. Dazu Beitr. 533-45. 723. 732.

Ball = Der Ball. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» IV, 1-90.

Barthli = Barthli der Korber. Von Gotthelf. Verein für Verbreitung guter Schriften Nr. 9 (Bern, 1893). Aus «Erz. und Bilder» IV, 217-98.

Beitr. = Beiträge zur Erklärung und Geschichte der Werke Gotthelfs. Von Prof. Ferdinand Vetter. Gotthelf-Ausgabe Bern (1900), I. Ergänzungsband.

Berger = Bild eines Altschweizers oder: Ulrich Berger (1729-1821) im Oberholz. Von Pfarrer Stähli in Trachselwald. Bern, 1816.

Bern. 2 l. = Zwei Liter. Von Traugott Berner. Schweizer-Bauer 1901, Nr. 19 bis 31.

Berner = Hans Berner und seine Söhne. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» V, 241-70.

Besuch = Der Besuch. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» V, 143-182.

Bifang = Familien-Archiv Althaus und Flückiger-Althaus im Bifang zu Lützelflüh.

Bitt. = «Arthur Bitter» = Samuel Haberstich (1821-72), geb. im Ried bei Schloßwyl. Vgl. Robert Weber III, 191 ff.
Bitt. SE. = das Seufzen an der Emme.
Bitt. Th. = der alte Talherr.
Bitt. Zh. = der Zitherhans. (Zitiert nach Feuilleton-Nummern im SB.)

Bitzius = Predigten von Albert Bitzius (1835-82), als Gotthelfs Sohn geboren in Lützelflüh, nach dem Pfarrdienst in Twann bernischer Regierungs- und Ständerat. Bern, 21884 ff., herausgegeben von † Emil Hegg.

Blösch = Geschichte der schweiz. reformierten Kirchen. Bern, 1898/99.

BME. = Berner Matten-Englisch. Von Arist Rollier. Kluge’s Zeitschrift für deutsche Wortforschung II, 51-57.

Böhneler = Wahlängsten und Nöten des Herrn Böhneler. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» III, 171-222.

Brandis = Der Ritter von Brandis. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» I, 113 bis 134; vgl. «Wassernot» 41-46.

Brandst. = D. Namen d. Bäume u. Sträucher in Ortsnamen d. dtsch. Schweiz. Von Josef Leopold Brandstetter. — Beil. z. Jahresb. d. höh. Lehranst. Luzern 1901/2.

Brienz = Die Brienzer Mundart. Vokalismus. Von Peter Schild. Basel, 1891.

Brückvogt-Rechungen: im Gemeindearchiv Lützelflüh.

Brüder = Die drei B. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» V, 203-240.

Brupp. s. «Soc.»

Bsbinder = Der Besenbinder von Rychiswyl. Von Gotthelf, «Erz. und Bilder» III, 341-372.

B’schweig = Braunschweiger Volkskunde von Rich. Andree. 21903.

BSp. = Der Bauernspiegel. Von Gotthelf, Ausgabe Bern (1898) I. Dazu Beitr. 3-44. 710-11, 726-9.

Burri = Schulgespräche von B., Lehrer im Tal zu Trachselwald. Heft I-VI. Heft III ist von Elise Ebersold. Manuskript.

B. u. S. = Bilder und Sagen aus der Schweiz, von Gotthelf, I-VI. Solothurn, 1842-46.

BwM. (Branntweinmädchen) = Wie fünf Mädchen im Branntwein jämmerlich umkommen. Von Gotthelf. Ausgabe Bern (1898) IV, 98-194. Dazu Beitr. 7. 13. 49. 365-372.

Christen = Wie Ch. eine Frau gewinnt. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» II, 151-207.

XI Dorfk. = Der schweiz. Dorfkalender. Bern.

Druide = Der D. Von Gotthelf. «B. u. S.» II, 149-230.

Dorbach = Doktor D. der Wühler. Von Gotthelf. Berlin, 21852.

Dursli = D. der Branntweinsäufer. Von Gotthelf. Ausgabe Bern (1898) IV, 195-334. Dazu Beitr. 372-425. 713-14. 731.

EA. Türler = Das malerische und romantische Emmenthal. Burgdorf, 1887.

EB. = Das Emmenthalerbtatt. Halbwöchentliche Zeitung. Langnau, seit 1844.

EbM. = Das Erdbeeri-Mareili. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» III, 247-300.

Eggiw. = Versuch einer topographischen, statistischen und ökononischen Beschreibung der Gemeinde Eggiwil. Von Christian Haldimann von Horben. 1827. Prämiierte Handschrift in Ök. Fol. 29 G 1. Seither (1908) bei Wyß in Bern gedruckt.

EJogg. = Der Emmenthaler-Joggeli. Humoristische Wochenbeilage zum EB.

Elsi = E. die seltsame Magd. Von Gotthelf, «Erz. und Bilder» I, 45-78.

Erbv. = Hans Joggeli der Erbvetter (1-92) und Harzer Hans, auch ein Erbvetter (98-140). Von Gotthelf. Berlin, 1848.

E. u. B. (Erz. und Bild.) = Erzählungen und Bilder aus dem Volksleben der Schweiz. Von Gotthelf. Berlin: I. II. 1850; III. 1852; IV. 1853; V. 1855.

EvE. = Echo vom Emmenthal. Halbwöchentliche Zeitung. Sumiswald.

Flüchtling = Ein deutscher F. Von Gotthelf. «Erz. u. Bilder» III, 103-144.

Fontes = F. rerum Bernensium. Bern.

Fragpuncten = F. an die Enthaltenen wider Täuffer. 1660.

Fröhlich = Aus Gotthelfs Leben. Von Abraham Emanuel F. — S. I bis XXXVI der «Erz. und Bilder» V.

Fr. Pfr. = Die Frau Pfarrerin. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» V, 1-58.

Fueter: Vgl. Beitr. 605 f.

Fuehrbüechli für den Emmen-, Dorf-, Egg- und Grünenmatt-Viertel. (Im Gemeindearchiv.)

Fuhrrodel = Verzeichnis der Fuhrungen zu Brücke und Brücken­schwellen von Lützelflüh. (Im Gemeindearchiv.)

Geiser Aw. = Geschichte des Armenwesens im Kt. Bern. Bern, 1894.

Geiser JG. = Land und Leute bei Gotthelf. Neujahrsblatt der Literar. Gesellschaft, Bern 1898.

Geiser Lw. = Studien über die bern. Landwirtschaft im 18. Jhd. (Landw. Jahrb. d. Schweiz IX, 1-88, Zürich, 1895.)

Geltst. = Der Geltstag, oder die Wirtschaft nach der neuen Mode. Von Gotthelf. Solothurn, 1846,

Ger. Tw. = Verbalien des Amtsgerichts Trachselw. (Nur nach Jahrzahlen zitierbar.)

Gfd. = der Geschichtsfreund. Mitteil. des hist. Ver. d. V Orte. Einsiedeln, seit 1841.

Gf. SB. = Sämi Gfeller im Chrache, im Feuilleton des SB.

Gf. SF. = Lehrer Simon Gfeller zu Lützelflüh, in der «Schweizer Familie». Zürich, Schäubli.

GG. = Geld und Geist, oder die Versöhnung. Von Gotthelf. In den «Bildern und Sagen»; und zwar:
GG. 1 = B. u. S. II, 1-148;
GG. 2 = B. u. S. IV;
GG. 3 = B. u. S. V.

Gladbach = Der schweiz. Holzstil in seinen kantonalen und konstruktiven Verschiedenheiten. Zürich. 1897.

Gletting = Bendicht G. (1563) im RMan.

Goldb. = Der Vokalismus der Mundart von Goldbach (bei Lützelflüh). Dissertation von Dr. Hedwig Haldimann. Aus Zsch. f. hochdtsch. Mundarten. Heidelberg, 1908.

althochdeutscher Sprachschatz. 6 Bände. 1834 ff.

XII Gruß = G. an die schweiz. gemeinnütz. Gesellsch. 1899 v. d. städt. Mädchen­sekundarschule Bern.

Hauswirth = Topographie über das Land Emmenthal, 1783. Von Joh. Jak. H. (aus Saanen, Notar und Substitut auf der Landschreiberei Trachselwald). Manuskript im bern. Staatsarchiv.

Heiri = Hans Jakob und H., oder die beiden Seidenweber. Von Gotthelf. Bern, 1851.

Herdenr. = Der Herdenreihen. Eine Sammlung alter Volksmelodien, herausgegeben von Hans Mürset, Bern, 21895/1900.

Hk. B. = Histor. Kalender oder der hinkende Bott. Bern.

Hs. = Original-Handschriften Gotthelf’scher Werke auf der Berner Stadtbibliothek.
Hs.a = erste Fassung,
Hs.b und Hs.c = Überarbeitungen,
Hs.r = Korrekturen mit roter Tinte. Vgl. Beitr. 130 ff.

Hunziker = Dr. H. in Aarau († 1901) als Hausbauforscher. Im A. f. Vk.

Jacob = J.s, des Handwerksgesellen, Wanderungen durch die Schweiz. Von Gotthelf. Zwickau, 1846/47.

Jahn Em. = Emmenthaler-Altertümer und Sagen. Bern, 1865.

Jesuiten = Die J. und ihre Mission im Kt. Luzern. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» II, 310-330.

JG. = «Jeremias Gotfhelf» = Albert Bitzius (4. Okt. 1797 bis 22. Okt. 1854). Für Sprache und Lokalkolorit seiner Werke sind charakteristisch die Daten: 1797-1804 im Pfarrhaus Murten; 1804-12 auf dem bäuerlichen Pfarrgut Utzenstorf; 1812-20 grüne Schule und Akademie Bern; 1822-29 Vikariate in Utzenstorf und Herzogenbuchsee; 1831-32 Vikariat und 1832-54 Pfarramt in Lützelflüh. — Volksausgabe seiner Werke im Urtext, in erster Serie bei Schmid & Francke, Bern, 1898-1900, bearbeitet von Vetter, Kronauer und Wyß.

Interzession = I. für die allhie zu Bern enthaltenen Täuffer. 1659. Manuskript im Besitz des Herrn Oberlehrer Sterchi in Bern.

Joggeli = Wie J. eine Frau sucht. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» I, 21-44. (Vgl. Kuhns «Kesselflicker» AR. 1818, 157 ff).

Joß. = Das Sektenwesen im Kt. Bern. Von Pfarrer Joß. Bern, 1881.

JoSt. = Das Emmenthal nach Geschichte, Land und Leuten. Von Jakob Imobersteg, Pfr. in Eggiwil. Bern, 1876,

JoSt. Alp. = Des Vorgenannten «Entwicklung der Käseproduktion» und «Wanderungen durchs Emmenthal», Alpenhorn 1871, 41-48 und 1872, 69-160.

Kaput = Wie man k. werden kann. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» I, 344-348.

Käs. = Die Käserei in der Vehfreude. Von Gotthelf. Berlin, 1850.

Kätheli = Das arme K. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» II, 280-295.

Käthi = K. die Großmutter, oder der wahre Weg durch jede Not. Von Gotthelf, Ausgabe Bern (1900) X. Dazu Beitr. 640-709. 725-26. 732-33.

Kerenzen = Die Kerenzer Mundart des Kts. Glarus. Von Jost Winteler. Lpz., 1876.

Kib.-Urb. = Das Kiburger Urbar von 1261. Abgedruckt im Archiv f. schwz. Gesch. XII, 155-174. = Fontes II, 533-544.

Kirchl. Jahrb. = Kirchl. Jahrbuch des Kts. Bern, hsggb. von Rettig, Bern.

KL. 02 = Kinderlied und Kinderspiel im Kt. Bern. Gesammelt von Gertrud Züricher. Zürich, 1902, (Nach Nummern zitiert.)

KL. 03 = Dasselbe Werk als Volksausgabe. Bern, 1908.

Kluge = Etymologisches Wörterbuch. 1909.

Kohlrausch = Schweiz. Sagenbuch. Lpz., 1854.

Kongreß = Der große K. auf dem Kasinoplatz in Bern. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» IV, 139-168.

Krokodil = Das K. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» II, 227-237.

XIII Kuhn = Volkslieder und Gedichte. Bern 21819 (11806). Von Gottlieb Jakob Kuhn (1775-1849), Pfarrer In Rüderswil 1812-24 und in Burgdorf 1824-49. — Die Gedichte S. 42 und 54 sind von Joh. Rud. Kuhn, S. 9/10 und 23-26 von Franz Weber.

Kurt = K. von Koppigen. Von Gotthelf. «Erz. uud Bilder» II, 1-150, (Vgl. die Münger’sche Prachtausgabe. Bern, 1904.)

Land = Der Besuch auf dem Lande. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» III, 1-66.

Lisabethli = Das L. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» II, 296-306.

Lischeb. = Spinnet im Lischebedli. Es artigs Schangrebild für ufz’füere. Druckt het’s der Wyß u Cie. z’Langnau.

Luftlager = Einiges aus dem eidg. L. zu Sursee. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» I, 311-337.

Luzern = Der Genitiv der Luz. Mundart. Von Renw. Brandstetter. Zürich, 1904.

L-Z. = Schweiz. Lehrerinnen­zeitung. Bern, Büchler & Co.

Manuel = Albert Bitzius (J. G.). Sein Leben und seine Schriften. Berlin, 1857.

Marchverbal über das bey Absterben eines jeweiligen Trägers ehrschatz­pflichtigen im Goldbachschachen liegenden Brücklandes. 1819. (Hs. im Gemeindearchiv.)

Marti = August Kaysers Theologie des alten Testaments. Neubearbeitet von Prof. Marti in Bern. Straßburg, 11894.

Mhd. Wb.. = Mittelhoch­deutsches Wörterbuch von Benecke-Müller-Zarncke. Leipzig, 1854-61.

Michel = M’s. Brautschau. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» I, 125-309.

Mogk = Eugen M. in Hans Meyers deutschem Volkstum S. 266-342. Lpz., 21903.

Mordiof. = Der Mordiofuhrmann. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» V, 183-202.

v. Mül. = Beiträge zur Hermatkunde des Kts. Bern, I. Oberland und Emmenthal. Von Egbert Friedrich von Mülinen. Bern, 1879.

Müll. = Geschichte der bern. Täufer. Nach den Urkunden dargestellt von Ernst Müller, Pfarrer in Langnau. Frauenfeld, 1895.

Müll. Hk. = Heimkehr. Volksschauspiel in 3 Akten, vom Vorgenannten. Bern, 1900.

Müll. Lk. = Der Liebe Kraft. Schweiz. Volksschauspiel in 3 Akten, vom Vorgenannten. Bern, 1897.

Mutte = Sage vom Meyer auf der M. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» III, 223-246.

MW. = «Marie Walden» = Henriette Rüetschi-Bitzius (1834-1890), Gotthelfs Tochter. Von ihr:
MW. A. d. H. = Aus der Heimat; Bern: I (1880) als Vorwort zu
MW. BK. = Die beiden Kollegen (S. 1-76) und
MW. 2J. = Zwei Jahre im Dorfe (77-303). II (1884) als Vorwort zu
MW. Anna = Annas Beruf (137-262);
MW. Mg. = Ein drangsalsvoller Morgen (263-283);
MW. Vs. = Versöhnt (123 bis 136);
MW. Ws. = Die Waise (1-121).

Nidw. = Deminution in der Nidwaldner Mundart. Von Dr. Esther Odermatt. Zürich, 1904.

Niggi Ju. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» IV, 197-216.

Notar = Der N. in der Falle. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» I, 79-124.

Nschwand. (Alp.) = Neuenschwander im «Alpenhorn» 1871, 9-22. 119-156.

OB. = Der schweiz. Obstbauer. Monatsschrift von Joh. Bärtschi, Baumschulen­besitzer in Waldhaus zu Lützelflüh. Seit 1899.

Ök. Fol. = Folio-Handschriften der ökonomischen Gesellschaft Bern, in der Bibliothek des «Schweizer Bauer» in Bern.

Ök. Q. = Handschriften in Quart-Format, der vorgenannten Gesellschaft angehörend.

Opprächt = Johannes O. von Wiedlisbach. 1680. (Kirchl. Jahrb. 1890, 41.)

XIV Ott = Rosen und Dornen. Gedichte und Berichte, gewachsen auf Bernerboden. Von Hans Christian Ott (geb. 1818). Bern, 1864.

Pergam. = Original-Dokumente auf Pergament, nunmehr im bern. Staatsarchiv.

Pfr.-Ber. = Der Sammelband «Emmenthal» der Pfarrberichte, d. h. Antworten bern. Pfarrer auf die anno 1764 von der Almosen-Revisions-Kammer ihnen vorgelegten Fragen-Schemata («Cahiers»). Aufbewahrt im Staatsarchiv, und u. a. bearbeitet von Sterchi im «Alpenhorn» 1871, 193-204.

Raben = Die beiden R. und der Holzdieb. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» II, 208-217.

Rabeneltern = Fortsetzung der vorigen Erz. (218-226).

RB. = Rezeptbuch, wohl aus dem Anfang des 19. Jhd. (Kopien.) Der jetzige Besitzer, Lehrer Gfeller, veröffentichte eine Auswahl daraus im A. f. Vk. VI, 51-60.

Rahnfl. = Ordnung und Artikuls, wie auch Zunft Rodul, Einer Ehrenden Meisterschafft deß Schmid Handwerkhs der Landschafft Emmenthal. Am 22. Aug. 1703 abgeschlossen. (Original-Handschrift, nunmehr im bern. Staatsarchiv.)

Ris Em. = Topographisch-ökonomische Beschreibung des Emmenthals (1772). Durch David Ris (1716-72), Pfarrer in Trachselwald.

Ris Tw. = Des Vorgenannten ausführliche Antworten im Pfr.-Ber. (109-119).

RMan. = (Inkompleter) Sammelband aus der Mitte des 16. Jhd., einst Eigentum des Rudolf Manuel (Sohn des Niklaus M.). Nunmehr auf der Stadtbibliothek Bern, dort nummeriert und paginiert.

v. Rütte = Erklärung der schwierigern Dialekt-Ausdrücke in Gotthelfs Schriften, von Pfarrer Albert v. R. Berlin, 1858.

Saitschik = Meister schwz. Dichtung des 19. Jhd. Frauenfeld, 1894. (Über Gottelf: S. 1-82.)

SB. = Der Schweizer Bauer. Halbwöchentl. Zeitung der bern. ökonom.-gemeinnützigen Gesellschaft. Seit 1846.

Schießet = Etwas vom Sumiswalder Sch. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» I, 325-330.

Schlachtf. = Die Schlachtfelder. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» I, 309-324.

SchM. = Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Von Gotthelf. Ausgabe Bern (1898) II. III. Dazu: Beitr. 45-345. 713. 729-31. 733; am AB. 70-73. 83 ff.

Schuldb. = Erlebnisse eines Schuldenbauers. Von Gotthelf. Berlin, 1854.

Schweiz = Die Sch., Monatszeitschrift. Zürich.

Schweitzer = Joh. Rud. Sch., Pfarrer in Trub (1722-50) und Oberburg. (Pfr.-Ber.)

Schweizer = Joh. Jak. Sch. (1772-1843) aus Zürich, Pfarrer in Trub 1825-1843.

Schwellenen = Ordnung wegen der Sch. für das Amt Trachselwald (und Brandis) vom 1. Feb. 1766.

Schwz. Id. = Schweizerisches Idiotikon, begründet von F. Staub und L. Tobter. Frauenfeld, J. Huber. Seit 1881.

Schwzr. = Eines Schweizers Wort an den schwz. Schützenverein. Von Gotthelf. Ausgabe Bern (1898) VII, 283-357.

S. d. B. = Sonntagsblatt des «Bund». Bern.

Segen = S. und Unsegen. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» III, 67-102.

Sekten = Die Landeskirche und die S. Herausgegeben vom Kirch­gemeinderat der Heilig­geistkirche Bern. 1884.

Servaz = S. und Pankraz. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» I, 1-20.

Sintram = Die Gründung Burgdorfs, oder die beiden Brüder S. und Bertram. Von Gotthelf: «B. u. S.» VI.

XV Soc. = Mittelhoch­deutsches Namenbuch von Adolf Socin. Basel, 1903. Besprochen von H. Bruppacher (Brupp.): Zürich, 1903.

Sonnt. = Der Sonntag des Großvaters. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» IV, 91-137.

Spieß = Gradaus. Von Wilhelm Sp. Bern, 1899 (Selbstverlag).

Spinne = Die schwarze Sp. Von Gotthelf. «B. u. S.» I, 1-112.

Spleiß = Amos Comenii Sprachen Tür übersetzet (von Stephan Sp.). Schaffhausen, 1667.

Sprsch. = Sprachschule für Berner. Von Dr. Otto von Greyerz. Vollständige Ausgabe, Bern, 21904.

Stalder = Versuch eines schweizer. Idiotikons, von Franz Josef St. I (1806), II (1812). Aarau, Sauerländer.

Stebl. = Die besten Futterpflanzen. Von Prof. Stebler. (Bern, 21895.)

Stebl. r. F. = Desselben. Rationeller Futterbau (Berlin, 1900).

Stickelb. JG. = Über die Sprache JG’s. Von Dr. H. Stickelberger. «Zum hundertsten Geburtstag Gotthelfs», 17-45. Zürich, 1897.

Stoll = Erhebungen über Volksmedizin in der Schweiz. A. f. Vk. V, 157-200.

Strafe = Ich strafe die Bosheit der Väter an den Kindern. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» IV, 169-196.

Studer = Das Panorama von Bern. Bern, 1850.

Stürler, Emme = Über die Wasser-, Schaden- und Schwellen-Verhältnisse im Stromgebiet der Emme (A. h. V. VIII, Heft 1, 1-19) und Über einige volkswirtschaftl. Verhältnisse des Emmenthals i. J. 1764 (S. 20-36).

Sylv. = Ein Sylvestertraum. Von Gotthelf. Ausgabe Bern (1899) VII, 233-281. Dazu Beitr. 546-55. 723.

Tappolet = Über den Stand der Mundarten in der deutschen und franz. Schweiz. Zürich, 1901.

Taufb. = Das Berner Taufbüchlein von 1528, herausgegeben von Dr. Ad. Fluri. Bern, 1904.

Täuffer = Ratserlaß betreffend die Täuffer. Vom 8. Nov. 1534. Original-Handschrift. (Im Besitz des Herrn Oberlehrer Sterchi.)

Tell = Der Knabe des T. Von Gotthelf. Berlin, 1846. (Hand-Ex. Gotthelfs mit dessen Korrekturen.)

Thorb. = Der letzte Torberger. Von Gotthelf: «B. u. S.» III (Vgl. Wyß j. AR. 1812, 200-219: Peter von Torberg.)

Thormann (Tfr.) = Probierstein des Teuffertums, von Georg Thormann (1655 bis 1708), Pfarrer in Lützelflüh (1684-1708). Auf der Berner Stadtbibliothek (Band BB Msc. 8, 52).

Traum = Ein T. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» II, 238-45.

Trebla = Karl Albert Loosli im EvE. und im OB.

Tribolet = Der Prozeß gegen Landvogt Samuel T. 1653/54. Von Türler. (Im Berner Taschenbuch 1891.)

Trost. = Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» II, 331-2.

Trub 29, 38 = Auszüge aus Pfarrer JJ. Schweizers Beschreibung der Gemeinde Trub. 1829. Handschriftl. in Ök. Q. 29, Nr. 38.

Trub 30 = Desselben gedruckte Topographie der emmenthalischen Gemeinde Trub. Bern, 1830.

Übergang = Ein Bild aus dem Ü. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» IV, 309-26.

Überraschung = Die angenehme Ü. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» I, 338-43.

XVI UK. = Wie Uli der Knecht glücklich wird. Von Gotthelf. Ausgabe Bern (1899) V. Dazu Beitr. 426-532. 714-22. 731-2.

UP. = Uli der Pächter. Von Gotthelf. Ausgabe Bern (1899) VI.

Verkündrödeli = Gotthelfs und Lauterburgs Eheverkündigungs­eintragungen 1847 bis 1862. (Im Besitz des Herrn Pfarrer Rüetschi in Sumiswald.)

Vögelein = Das gelbe V. und das arme Margrithli. Von Gotthelf: «B. u. S.» I, 135-148.

Vogtsr. = Vogtsrechnung des Michel Kipfer zu Waldhaus 1748-53. (Original-Handschrift.)

Volksk. = Deutsche Volkskunde von Elard Hugo Meyer. Straßb., 1898.

Volksw. = Volkswirtschafts-Lexikon der Schweiz. Redigiert von A. Furrer. Bern, 1887-91.

Wälsch = Wie ein W. Wein verkauft. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» IV, 299-308.

Wals. Sch. = Die Schweiz. Ein Begleitwort zur eidg. Schulwandkarte. Von Dr. Hermann Walser. Bern, 1902.

Wass. = Die Wassernot im Emmenthal am 13. August 1837. Von Gotthelf. Ausgabe Bern (1898) IV, 3-91. Dazu Beitr. 346-65. 713.

Wege = Die W. Gottes und der Menschen Gedanken. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» III, 301-340,

Weibel = Carl W. in Bümplitz: Brechete im Kurzacker, und Chorrichter-Annebäbis Tod und Begräbnis. Bern, 1885.

Weiberrache. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» II, 307-310.

Wer lügt am besten? Von Gotthelf. E u. B. II, 332-3.

Wetter = Das W. Von Gotthelf. E u. B. II, 246-250.

Widm. = Vermischte Gedichte von Christian Widmer (1808-57), Schlossermeister in Signau und seit 1845 Mitarbeiter am Langnauer «Dorfblatt» (dem jetzigen EB.). Mit Beigaben von «Luise Meyenthal» (= Niklaus Krähenbühl. Schreiber in Schloßwil und Posthalter, 1825-67). Langnau, 1874.

Wilke = Schriftdeutsch und Volkssprache. Von Edwin W. Lpz., 1903.

Wilmanns = Deutsche Grammatik. Von W. Wilmanns. I. Band: Lautlehre, 1893; II. Band: Wortbildung. 1896. Straßburg.

Witzler = Das Suffix-i. Dissertation. Frauenfeld, 1891.

WwW. = Wurst wider Wurst. Von Gotthelf. «Erz. und Bilder» III, 145-170.

Wyß ä. = Joh. Rud. W. der Ältere (1763-1845).

Wyß j. = Joh. Rud. Wyß der Jüngere (1782-1830): Reise ins Berner Oberland. — Vgl. auch AR.

Zins-Rodel = Z.-R. für das Brügg Guth zu Lützelflüh, angefangen im Maymonat 1789. Von dem Brüggvogt Christian Müller zu Goldbach. (Im Gemeindearchiv.)

Zollikon = Das alte Z. — Kultur­historisches Bild einer zürch. Landgemeinde. Von Pfarrer Nüesch und Dr. Bruppacher. Zürich, 1890.

Zolltaffel = Abschrift der Zoll-Taffelen der Bruck und Zollstatt zu Lützelflüh, von 1673. (Im Gemeindsarchiv.)

Ztgst. = Zeitgeist und Bernergeist. Von Gotthelf. Berlin, Zürich, Bern, 1852.
Ztgst. Hs.a = eigenartliger erster Entwurf; Hs.c = das Druck-Manuskript; Hs.b = ihm angenäherte Fassung. — Vgl. JG. an JR. 25 f. 144 ff.

Zür. = Die Zürcher Mundart in Usteris Dialektgedichten. Von Dr. Paul Suter. Zürich, 1901. (Nach §§ zitiert.)


Karten

Karte

Lützelflüh inmitten seiner Umgebung

Orientierungs­kärtchen zum «Bärndütsch»


Hauptkarte

Gemeinde Lützelflüh

mit ihren beiden Enklaven (Exklaven) Oberried & Lauterbach, in streng mundartlicher Schreibung.

Hoch und tief.

Ein Überblick.

E

 

s ist der Abend des 1. August 1908. Wir sitzen auf der schönen neuen Terrasse des Schulhauses auf der Schaufelbühl-Egg. In unser Gespräch mit dem heimeligen Lehrerpaar mischt sich Glockenschlag von links über die Egg her. Vom alten, aber geschmackvoll aufgefrischten Deutsch­herrenturm in Sumiswald brummt es acht in sauberem, klangreichem Baß. Die letzten Schläge werden geschäftig überholt durch einen Diskant aus verborgener Tiefe; allein wir wissen schon: das sind die vom Trachselwalder-Schloß mit seinem Gebüsch und Gehölz leise wieder­schlagenden Töne der einstigen Burgkapelle mit dem heute so eigenartig aufgesetzten Turm. Wir schauen hinüber, und keine First, kein Baum, kein Hügel stört den Fernblick innerhalb dieses unvergleichlichen Panorama-Ausschnittes. Dort lugt aus der linken Ecke desselben eben noch der Titlis hervor. Nach einer Weile gucken die Viescherhörner über den Kranz der Berneralpen herein, der fortan bis zu der in breitem Bogen sich wölbenden Blüemlisalp-Gruppe und dem Altels-Absturz den Horizont abschließt. Vor ihm her aber breitet sich, aus feinsten bläulichen Düften gewoben, ein Schleier, der mählich sich tiefer und tiefer senkt. Eine Halbstunde noch, und in geisterhaft graue Dämmerung werden sich hüllen «wie Ahnenbilder im großen Rittersaal die alten großen Berge in stiller Majestät.»1

Der Saum des Dustes aber lenkt unser Auge auf die den Alpen vorgelagerten Berge, welche hierseits des Thuner- und Brienzersees in imposantem, scheinbar einheitlichem Zuge von West nach Ost verlaufen.2

2 Den Eindruck des Ruhigen, Behaglichen machen die in sanfter Wölbung langgestreckt sich hinbreitenden Sigriswiler-Gräte.3

In wirkungsvollem Gegensatze hebt sich von ihnen ab und setzt zu neuem, eben so langem Zuge an: Die zerrissene, zerpflügte Furgge4 oder «Schangnauer-Furgge»5 mit der höchsten Erhebung des Furgge-Gütsch. Der Name «Furgge» (lat. furca, fz. fourche, Gabel) bedeutet einen gabelförmigen Bergeinschnitt, der zur Not als Paß (aus dem Emmenthal ins Oberland) dienen kann. Speziell die Karrhŏle soll ehedem bösen Berggeistern als «Straße» über den Hohgant gedient haben.6 Hŏhgánt nämlich (zu gand, ein mit zertrümmerten Felsstücken überschüttetes Gelände) ist der Name, welchen «der alte Talvater»7 zunächst im Oberland, seit Durchgreifen der Schulsprache auch bei uns führt.

Wie hinter Kulissen hervor schaut uns das Tannhorn in der Nähe der Emmenquelle entgegen. Gleich ihm hält sich der gesamte Zug der Brienzergräte,8 in einen dunklern Schleier eingewoben, im Hintergrunde.

Nun folgt, wieder in den Vordergrund tretend, jene zerfurchte Felswand, die sich so trotzig und herausfordernd in ihrer ganzen Länge vor uns hinstellt: die «Schratte». Als Riß, Spalte, Schrund erklären Studer9 und Kuhn10 den Namen; letzterer im «Geißbueb», welchen er seinen Weidetieren zurufen läßt: «Dert am Schatte dür dä Schratte geit’s dä Rung (diesmal) uf Bänißegg.» — Diesem männlichen Geschlecht steht das weibliche gegenüber z. B. in Kohlrausch’s «Mädchen ab der Schratten».11 Wir haben es hier mit der sehr häufigen Auffassung einer ursprünglichen Mehrzahl als weibliche Einzahl zu tun, wie sie auch in den gleichbedeutenden Formen «Schrattenfluh» und «Schrattenflühe» vorliegt. Auf einer (Scheuchzer’schen) Landkarte von 1712 findet sich übrigens die Bezeichnung «Schrattenflühe» ersetzt durch die Namen der Alp «Lochseite» und der «Scheibenfluh», unter welcher die «Rothe Fluh» sich hinlagert. Auch 1785 wird noch gesagt, Schangnau grenze gegen Osten an die «Lochseite» und an die «Rothe Fluh».12 Der Name «Scheibe» figuriert bloß noch in der Bezeichnung Schị̆be-Gü̦tsch für das so eigentümlich daumenartig abgetrennte, kahl und spitzig in die Lüfte starrende Felsstück. — Wir ersehen daraus, daß auch der Name «Schrattenfluh» oder «Flühe» durch die Schulsprache in verallge­meinerndem Sinn auf den ganzen langen Felszug übertragen worden ist. In den obern Teilen gegen uns hin von gewöhnlichen Erosionsfurchen gespalten 3 und zerklüftet, sind die Schratten dagegen auf der Entlebucher Seite von eigenartigen, hart neben einander laufenden Furchen «seltsam ausgewaschen und ausgekerbt». Es ist dies die sogeheißene Karrenbildung, schon von Studer auf ein keltisches kar — «kahler Fels» zurückgeführt.13 Mit den «Karren» sind aber die «Schratten» sinnverwandt;14 nach ihnen hinwieder benennt sich «der Schratt» oder «das Schrätteli» als der in den Felsklüften hausende Erdgeist.15

Unter den einzelnen Gipfeln sind für unsere Landwirte die als Sömmerungsalp benutzten Hẹftizän͜d von Interesse.

Aus dem schließlich noch sichtbaren Verlauf des beschriebenen Voralpenzuges kennt jeder Eggbewohner den Steingrat oder die «Steinwangfluh»,16 sowie die «Bäwchle»,17 bei und die Bäichle genannt. Der allmählich gegen die kleine Emme hin sich absenkende lange, steinige Kamm erinnert mit seinen Fluhsätzen einigermaßen an «Bänke» im Steinbruch.

Hinter den Trachselwalder-Bergen versteckt sich uns jene hochgewölbte Kuppe, die von der Sennensprache aus der Napf genannt wird.18 Die «Rigi des Emmenthals» heißt er in der Sprache des Wirts. Uns ist er sowohl die Grenz- und Wasserscheide zwischen Entlebuch und Emmenthal (kleine und große Emme) und gegen Ober- und Unteraargau hin (Langeten und Wigger), als auch der Ausgangspunkt all dieser so mächtig und gemächlich hingelagerten «zahmen» Bergzüge des Emmenthals. Denn der Napf bildet das Zentrum dieser Chüejer-Bärge «mit ihren Alpentriften und den schimmernden Sennhütten»:19 der Sumiswalder Berge mit dem allbekannten Tummelplatz der Lü̦̆dere-Chị̆ḷbi und den prächtigen Alpen Hin͜der- und Vorder-Arni̦; der Trachselwalder-Berge mit Răfrụ̈tti und Lụụshütte (wo der Jäger auf Anstand lụụßet, lauert); der Langnauer- und Schangnauer-Berge im Hintergrund.

Wie ein kühn und voll gezogener Pinselstrich zieht sich nach rechts quer durch die Landschaft dicht vor uns der durch einige Gehöfte gelichtete schtwarzgrüne Tannenwald des Rămis̆be̥rg. In der langen und hohen Wanneflueh stürzt er jäh gegen Landstraße und Emme ab, indes seine südliche Fortsetzung als Rawflibärg sanfter gegen das Dorf Rahnflüh (Răwflị) sich abdacht.

4 Gegen uns zu aber breitet sich, zu Füßen des Ramisberg zwischen Grünenmatt und Bodenmatt, gegen den Zusammenlauf von Grüne und Emme hin gerichtet, die Ramsei- und Grünenmatt-Ebene. Durch die Straße Sumiswald-Lützelflüh von ihr getrennt, dehnt sich als höhere Terrasse die Waldhaus- und Flüelen-Ebene (d’Waḷthuus-Achere = die Äcker von Waldhaus) bis dicht zu unsern Füßen, um als Südabhang der Egg in den allmählich steilern und steilern Aufstieg bis zu unserer Höhe auszulaufen.

Welch ein Ausblick über diese Ebenen an einem wirklichen Maitag, wo das strotzend saftige Grün mit dem es durchwirkenden Gelb des blühenden Löwenzahns und dem Schneeweiß der zu hunderten blühenden Kirschbäume das Blachfeld in einen riesigen Garten wandelt! Nun aber ist der Augsten ịhe, und die letzten Strahlen der Sonne fallen in günstigster Richtung auf das Voralpengelände, um uns hier ein andersartiges, aber nicht weniger interessantes Bild vorzuzaubern. Dort die reiche Natur als Nährmutter und Künstlerin in Einem; hier der Mensch in Fleiß und Schweiß, wie er, für sich und die Seinigen Brot und Heim erringend, mit Karst und Hacke die steilsten Höhen erklimmt, uehe chräblet und ume rä̆blet! «Seht die Felder, wie sie weiß sind zur Ernte!» Oder vielmehr, da es sich hier nicht um den «weißen» Weizen der großen Hochebene, sondern um den Brotspender des Gebirges, den Dinkel, handelt: fahlgelb,20 und damit bald zur Ernte reif. Drum der eigenartige Anblick: im Mai die Ebene als gewirkter Teppich, im August das Berggelände als Mosaikboden. Zwischen Weideplatz und Gehölz, wo nụ̆men au es Blätzli ist und gegen zu rauhe Winde Schutz in Aussicht, da schieben und drängen sich Getreidefelder und ‑Äckerchen hinein — als Veranschau­lichungsmittel auch für ebene Geometrie: unregelmäßige Dreiecke, angehende Rhomboïde, Versuche von Kreissegmenten, Studien an Bogenstücken; soviel es aber bei dem sehr eigelige Emmenthaler irgendwie sein kann: ordentliche Rechtecke, die Länge in die Höhe gestreckt. Noch erkennt ein scharfes Auge am schwärzlichen Grün zwischen dem fahleren der Weide auch Kartoffelfelder.

Doch, es senken sich die Schatten über Äcker und Feld. Da leuchtet es plötzlich aus ihnen seltsam auf. Hier ein Flackern und Erlöschen, dort in der Ferne ein heller Punkt, anhaltend hell und immer heller. An drei, vier, zehn Orten brennt es; ein Feuer scheint dem andern zu rufen; bis ihrer achtzig sind schon gezählt worden. Sie verdunkeln die Lichtlein der Häuser, die heute ausnahmsweise auch zur Sommerzeit brennen, sonst aber nur im Winter dem abendlichen Wanderer über 5 die Egg das beruhigende Gefühl eingeben, daß er wohl zu Hause «einsam», in der Welt aber nicht «alleine» sei.

’s ist drum der erst Augste! Und wer so zäh und treu an seinem Heimḁt hängt, trägt auch zur Heimat doppelte Liebe in der Brust.

Mittlerweile dunkelt es am Horizont der Alpen, und in zauberhaftem Spiel mischen sich ununterscheidbar die Feuer der Erde mit den Sternen des Himmels.

Zum vollen Genusse des Schauspiels erheben wir uns zu einem Gang über die Egg. Wir treten hinaus auf die höchste Höhe in der Richtung gegen Lützelflüh. Dort, in der Nähe des vereinsamten Kirschbaums: welch eine Rundschau! Nur durch die alte Hówacht (Hochwacht) vor uns und den Eeḷḷebe̥rgwaḷd vor ihr unterbrochen, breiten sich im letzten Dämmerschein in schön geschwungenem Bogen die Ketten des Niesen und des Stockhorn und die Gruppe der Freiburgeralpen. Noch weist uns die Hu̦ndschü̦pfe die Richtung nach Biglen, zeigt uns der Wä̆gi̦sse den alten Weg nach Bern. Links und rechts von ihm aber deckt der Schleier der einfallenden Nacht den gleichförmigen Zug des Jura, des heimeligen «blauen Berges»21 mit dem «himmelblauen Bördchen».22

Um so wirksamer jetzt, halb lieblich und halb unheimlich, hebt sich das Grün der Gehänge ab, welche in jenem ganz eigenartigen Wellengebilde vom Horizont zum Rüegsau-Affoltern-Talgrund hernieder steigen. Keineswegs gleichförmig. Vielmehr bildeten einst die auswaschenden Rinnsale hier eine mulden- oder kesselförmige Eintiefung: eine Tüele, ein Loch. Dort umgingen sie einen zäh widerstrebenden Sandstein- oder Nagelfluhkegel, der trotz seiner Kleinheit sich mächtig brüstete und wie als Siegerkranz sich ein hübsches Buschgehölz auf das Haupt setzte. Es sind dies jene Augenbrauen im Antlitz der emmenthalischen Berglandschaften, die der Gegend so wohl anstehen und für den sinnig stillen Naturfreund zumal beim Blätterwechsel etwas unsagbar Lauschiges, Anlockendes haben. Die Kegel aber, die so der Auswaschung und Unterspülung Widerstand geleistet, führen die uns heute sehr prosaisch klingenden Namen Hu̦be͜l, Chnu̦be͜l, Hŏger, je nach der Form auch Chăpf und Chipf.

An einer solchen Ausladung der Egg, dem Niderhuus-Chnube͜l, trägt uns der Fuß vorüber. So auch, in unbewußtem Weiterwandern über die Egghöhe hin, an der Fuchsegg vorbei. Wir gelangen durch den Hohlweg (die Hŏle) inmitten eines malerischen Buchenwäldchens nach dem Nußbaum mit projektierter Ruhebank, wo 6 an fünffacher Wegstrahlung sich ein prächtiger Fernblick nach Ost und West hin bietet. Geradeaus setzt ein Fußweg sich fort über den Büeḷ: die langgezogene und etwas erhöhte Fortsetzung der Egg, die sich dann gegen das Dörfchen Gammete hinter Sumiswald hinuntersenkt. Links vorwärts geht es gegen das Dörfchen Oberschụfe͜l­büeḷ (3 Bauernhöfe nebst Käserei und Schmiede), links gegen den Bauernhof Schufelbüel-Neuhuus. Von hier aus kann der Blick südwärts drei weitere Güter überschauen, von denen jedes seinen eigenen Namen trägt (das Bi̦chse͜lhụụs, der Xan͜der, das Niderhuus), doch so, daß sie zusammen die Gruppe Nider­schufelbüel bilden.

Vom Nußbaum links ab führt endlich ein Karrweg gegen Rüegsbach hinunter über die beiden Nachbarhöfe: Die oberi und die un͜deri Flüeh. Sonnenhalb dagegen (uf der Sunnsịte) gelangen wir durch den Füelegrăbe gegen den Weiler Flüele. Unterhalb Waldhaus mündet endlich der Weg in die große Landstraße gegen Lützelflüeh aus.

 
1 Ztgst. 1, 171.   2 Das Geogr. Lexikon d. Schweiz 1, 703 ff. faßt sie unter der Bezeichnung «Emmengruppe» zusammen.   3 so Studer 13 u. ö.   4 AR. 1822, 52; Hauswirth (1793); Jahn Em. 68.   5 Studer 32-39.   6 Studer 33.   7 Kuhn AR. 1822, 95.   8 so Studer 13 u. ö.   9 ebd. 17; vgl. Rochholz, Schweizersagen (Aarau 1856) I, 357 ff.; Grimm WB. 9, 1649; Stalder 2, 350; Berlepsch, Alpen 35.   10 AR. 1820, 237.   11 175 ff.   12 Staatsarchivar Türler.   13 Studer 17; Walser; Grimm WB. V, 204 ff.   14 schwz. Id. 3, 422.   15 vgl. Rochholz a. a. O. und das «Schrätteli» in Zschokkes «Adderich».   16 Studer 19; «Wang» = begraste Halde, verschieden von «Wand» = Felswand.   17 Studer 18: «Bäuchlen».   18 Blösch, B. Taschenb. 1876; Hauswirth 2, 11 ff.; E. A. Türler 137 ff.   19 Studer 38.   20 Thormann, Tfr. Bg. 5.   21 Sylv. 231; Sonnt. 132; AB. 1, 123; BSp. 189.   22 AB. 1, 9.  
 

Höhen.1

Mit diesem Situationsbild haben wir gleichsam die nötigsten «Nägel eingeschlagen», an die wir nun — gemäß dem Zweck unseres Buches — ein kleines Netz orographischer Erörterungen zu hängen imstande sind.

Ein Stadtberner2 läßt eine Emmenthalerin ihre Hörer zum Besuch ihres Heims einladen: «Chömet cho luege öppen es Mal; ’s gi̦i̦t (geht) zwar strängs uf un abe.» Genauer hieße das: uehen u ăhe («aufhin» und «abhin»), und dies allerdings im strengsten Sinne des Worts. Denn das Emmenthal vorab hat «streitbares» Land, wo man die Hühner anbinden muß, damit sie nicht zu Tale rollen,3 oder: d’Hüehner b’schlaa, u d’Chatz a mene Häḷslig uberuus laa (damit sie mausen gehe). Das sind die rechten Lĭ̦getschafte oder vielmehr Hanget­schafte des Emmenthals.

Dasselbe «hinauf» und «hinab» heißt, auf die Person des Steigenden bezogen: obsi(g) und nidsi(g); wie denn das «nid» auch in der Vergleich­ungsform «nider» ehemals den Gegensatz zu «ober» bildete. So unterscheiden wir noch heute «Ober-» und «Niderried», Ober- und Nider-Schufe͜lbüeḷ (vgl. das Ober- und Nieder-Simmenthal, ob und nid dem Wald etc.). Ohne gegensätzliches «ober» haben wir einen Hof Niderhuus, sowie umgekehrt ein Gut Obers̆baach, 7 einen Ober­dietlebe̥rg. Dagegen hat eine Bezeichnung «Niederland»4 als Gegensatz zum Berner Oberland nie Wurzel gefaßt. Aber selbst «Unterland» ist weder ein bei uns sehr gebräuchlicher, noch ein geographisch brauchbarer Begriff. Der Bewohner des Amtes Signau nennt «Unterland» alles, was unterhalb seines Bezirkes liegt, «unten im Land»,5 «d’s Land ab».6 Uns ist das Unterland allenfalls der Kanton Bern außer und gegenüber dem Oberland.7 Allein mit dieser Zweiteilung konkurriert auch wieder die Dreiteilung durch Einschiebung des Mittellandes.8 Dieser noch unbestimmtere Name bezeichnet uns meist den um die Hauptstadt gruppierten bernischen Landesteil (neben den 5 andern), öfters aber den gesamten bernischen Teil der «schweizerischen Hochebene», oder nach Walser besser: des schweizerischen Mittelandes.

Eine um so bestimmtere Bedeutung haben «ober» und sein jetziger, dem Sinn von «zwischen» entfremdeter Gegensatz «un͜der». Mit Ausnahme des neugebackenen offiziellen Un͜derdorf Lützeflüeh statt des ehemaligen Goḷdbḁch­schache, auch etwa des obern und untern Rahnflüh­schachen, deutet die Gegenüber­stellung fast durchgehends auf die Teilung eines ursprünglich einzigen Hofes in zwei. Der mit dem bekannten Emmenthaler Vorrecht des jüngsten Sohnes ausgestattete Stammhalter verblieb auf der un͜dere Flüeh, der un͜dere Hawle (Halde), dem un͜dere Neuhuus, Moos, Holz, Eichli, Bran͜dishueb; der ausgekaufte Bruder (oder einer von mehreren) gründete oder bezog das mehr bergwärts und vom Verkehr entfernter gelegene, ursprünglich kleinere «obere» Heimwesen. Meist sind nun die Nachbarn nicht mehr Verwandte, obwohl öfters Geschlechts­genossen (z. B. die «Steffen» auf der obern und untern Flüh).

Bloß einmal begegnen «hoch» und «tief» — hööch und teuff — in Höhiacher und Tiefebachwaḷd. (Als Wortwitz geht die Anekdote um, wonach einer dummen Magd die drei Alpen Schịịnne, Hoch-Änzi und Napf die höchsten Namen bedeuten sollten).

Dagegen klingt in der Redensart: d’Haar stöö me̥r z’Bärg noch die ursprüngliche Bedeutung «hoch» durch, und an solchen ursprünglich allgemeinen Bezeichnungen mit Bärg ist auch unser lokaler Sprachschatz überreich. «Bärg» spezialisierte sich aber mehrfach nach Maßgabe der bäuerlichen Verhältnisse unserer Gegend. Vor allem tritt die Bedeutung «Bergweide» hervor, welche ja auch bei «Alp» sich aus dem allgemeinen Sinn von «hoch» (keltisch «Alp»9) entwickelt hat. Die Ausdrücke z’Aḷp gaa und es Gụ̆sti z’Bärg tue10 sind für eine Bauerngemeinde 8 wie Lützelflüh um so belangreicher, da auch hiesige Landwirte namentlich auf den Sumiswalder Bergen Alprechte besitzen.

Am Fuße des Ramis̆be̥rg liegen zwei Bauernhöfe gleichen Namens, auf seiner Höhe der obere Ramisberg und der Ramisberg-Chehr oder Schräpfer. Am Fuß der steilen, waldigen Nord-Abdachung aber liegt Ramsei. Bedenken wir nun, daß diese «Ey» wie jener «Berg» nach dem «ram» (Schafbock) benannt sind, daß ferner der Name «Ramis̆be̥rg» auch einen zu Biglen gehörigen Zweig der Hundschüpfen bedeutet und auf demselben eine noch stehende Schafscheuer (Klaus Leuenbergers Versteck) an alte Schafweide erinnert, so stoßen wir hier auf ein interessantes Zeugnis alter Schmalviehweide nach Allmendrecht.

Heute gibt es im Gemeindebezirk Lützelflüh keine ständige Weide mehr. Auch die höchst gelegenen Teile, die kein Pflug befahren kann, sind unter den Karst genommen. Und wie früh das geschehen sein mag, zeigen in instruktiver Weise unsere Bergnamen. Die wenigsten derselben deuten auf natürliche Verhältnisse hin wie Eichebe̥rg: ein Bauernhof und zwei Gütchen. Ihre bedeutende Höhenlage wird durch die angrenzende Hochwacht angedeutet. Gleichwohl stehen noch heute, trotz früherer starker Abholzung für Bauzwecke, über die ganze Egg hin vereinzelt schöne Exemplare von Haag-Eichen. Dieselben werden ehedem ganze kleine Bestände gebildet haben wie in noch höherem Maße etwas weiter unten, wo die schönen Güter «Eich» und «Eich-Neuhuus» (Gemeinde Rüegsau) liegen.

Was bedeutet aber Chä̆wpe̥rg? So heißen zwei benachbarte Höfe11 auf dem hochgelegenen Ausläufer des Ramisberg gegen Trachselwald hin. Der Name lautet offiziell «Kelbberg»; 1790: «Kälbberg»;12 1783: «Keltberg»; 1361: Kelperg;13 1346: «Kelchberg»;14 1343: «Kelkberg».15 Keine einzige dieser Formen bietet die Handhabe zu einer verläßlichen Deutung, und doch: wie viele sind deren schon vom Volksmunde versucht worden! Meist denkt man an die auf dieser windigen Höhe doppelt fühlbare Chẹḷti (Kälte), wozu noch die Chäwpe̥rg-Wüesti — ein «Loch» hinter den zwei Gütern — das ihre beiträgt. Andere erinnern an die vorzügliche Eignung dieses Berges zur Sömmerung von jungem Rindvieh («Chaḷbe»; vgl. die Chaḷberweid). Wieder zieht man die zwei benachbarten und hochgelegenen Rüegsauer Güter «Chaḷchtere» und «Gruebe» als Parallele heran und denkt an Kalk, der, einst aus den Alpen hieher verfrachtet, seinerzeit ausgebeutet worden wäre. 9 Eine solenne Deutung endlich knüpft an den mit «Chiḷche» ähnlichen Wortklang und erinnert daran, daß einst der Weg nach dem «Dŏse͜l», der St. Oswalds-Kapelle im Dürrgraben (die aber erst 1394 gestiftet worden ist), über unsern Berg geführt habe.

Solche Erklärungs­versuche mögen zeigen, wie lebhaft sich heutzutage die «Volksetymologie» um derartige zur Enträtselung anreizende Namen interessiert, und wie bitter schade es um so viel ehedem gedankenlos verschleuderte Dokumente ist, welche auch hierin Aufklärung bringen könnten.

Etwas durchsichtiger sind die Anknüpfungen an Personen, welche solche «Berge» urbar gemacht und in Privatbesitz genommen haben. Der Ober­boḷzis̆be̥rg zu Oberried16 dürfte der «Baltzisberg» von 1621 und der «Barziberg» des Kiburger Urbars von 1261 17 sein und auf «Bartholomäus» hindeuten. Deutlich steckt «Bendicht» im «Bänzebe̥rg», dessen langgestreckter Hügelzug teilweise «in dem Kilchspel ze Louperswile» (1346)18 liegt, mit vier Gütern oder Gütchen aber19 zu Lützelflüh gehört und in den Bänzebe̥rg-Waḷd, sowie die Bänzebe̥rg-Wüesti ausläuft.

Zu den Vergabungen an das Kloster Trub, welche 1139 der Schutzbrief des Papstes Innozens II. bestätigte, gehörte auch das Gut «Ellingberg»20 oder «Ellinberg»,21 wie hinwieder 1246 ein Gut zu «Ellenberc» den Johannitern in Münchenbuchsee verkauft wurde.22 Nun verzeichnet bereits Hauswirth 1783 ein Vorder- und ein Hinter-Ellenberg. Zum vordern Ellenberg, kurzweg Eeḷḷebe̥rg geheißen, gehört auch das so zweckmäßig erneuerte Gemeinde-Armenhaus (der Spitte͜l). Der hin͜der Eeḷḷeberg, gewöhnlich ’s Hin͜derhuus genannt, erfreut sich einer ganz vorzüglich windgeschützten und sonnigen Lage. Kein Wunder drum auch, daß z. B. 1583 Georg Eggimann zu Ellenberg, Weibel zu Lützelflüh, als Käufer der Burg Wartenstein und des dazu gehörigen Hofes Kalchmatt erscheint,23 und daß heute Alprechte auf den Heftizähnen (S. 3) zu Ellenberg gehören. Der Hof war wohl schon unter den emmenthalischen Gütern, die das Fruchtmagazin des Klosters Trub bildeten,24 einer der geschätztesten. Heute lohnt daß prächtige Gut mit dem schönen Ellebergwald den Fleiß eines 70jährigen Vaters von acht arbeitsfreudigen Kindern, der in seiner bescheidenen Art erzählte: Aḷbe han i müeße Zeis haa (Hypothekarzinse als Last auf mir haben), iez überchumen i öppis.

10 Ob dem Dorfe Lützelflüh liegt der Geinis̆be̥rg25 und drob zuehe das sehr steile Gütchen der ober Geinis̆be̥rg, ehemals einem Messerschmied gehörend. Der Name «im Geynisperg» begegnet uns erstmals 1677.26 — Jenseits der Emme liegen der «Gyrisberg» oder Gịịrs̆be̥rg27 und der Dietlebe̥rg.28 Oberhalb dieses beträchtlichen Hofes: der ober Dietleberg.29

Man bemerke die reduzierte Aussprache all dieser «Be̥rg», an welche sich nun noch der Name eines unkultivierten Bergwaldes von mythologischem Belang anschließt: «Der beim Flüelenstalden als starke Halde zur Grüne abfallende Mü̦nnebe̥rg springt gar merkwürdig als ein Querarm des Hügelrückens (der Egg), der von Affoltern bis Lützelflüh geht, ins Tal hinein. Und oben auf seiner (Zwingheer genannten) Spitze, von welcher weg er sich rasch zu Tale senkt, soll vor Zeiten ein altes Schloß gestanden haben, eine eigentliche Wartburg (zur Überschau des ganzen Grünentales und der weithin ausgedehnten Trachselwalder-Berge). Noch sieht man Spuren des ‹Burggrabens› und den um die Spitze gewundenen Schloßberg.»30 Neben dem benachbarten Burgbüel zu Sumiswald und dem Schmidslehn (Jegerlehn) zwischen Walkringen und Lützelflüh bildet der Münneberg einen der Punkte von anerkannt hohem altertümlichem Wert,31 welche noch andere Untersuchungen verdienten als die heimlichen Schatz­gräbereien,32 die sich noch im Mai 1900 wiederholt haben.33

Zwingherrlichen Angedenkens sind ja auch die einhundert ausgewachsenen Buchen des Münneberg, aus denen die Untertanen des Sumiswalder Komturs Hans von Stoffeln den Schattengang seines neuen Schlosses auf Bärhegen in Monatsfrist herstellen sollten.34

Beim gänzlichen Mangel historischer Daten schwebt natürlich auch jede Erklärung des «Münnenberg» (wie beharrlich gesprochen und geschrieben wird) in der Luft, und Gotthelf konnte dem Inhalt seiner Erzählung35 zu Gefallen der Wortform sogar ein «Mühleberg» zugrunde legen. Besser verträgt sich mit lautlichen Gesetzen36 der ebendort herangezogene «Münchenberg». Sei ja dort drüben der Pfaffenboden,37 und — hätte Gotthelf beifügen können — dort drunten das ehemalige Frauen-Kloster Rüegsau als Filiale des Männer-Klosters Trub, das wir von alters her in so vielfachen Besitz von schönstem Grund und Boden auch des Gemeindebannes Lützelflüh sehen (S. 9).

11 Eine historische Erinnerung schließe diese Gruppe: ein Alexander Leuen­berger aus Ramsei war 1653 einer der Kriegsräte Klaus Leuenbergers. — Ein ausgestorbenes Lützelflüher Geschlecht hieß Möschberger.

Eine andere Namengruppe weist betontes «Bä́rg» als zweiten Bestandteil auf. Schwankend zwar gehört hieher der Schlóßbärg, seltener Schloßbä́rg, der, mit schönem Buchenwald bestanden, von der Ruine Brandis jäh gegen das heutige Bauerngut «Brandis» (= Eischüür) abfällt. Entschieden dagegen und mit durchsichtiger Deutlichkeit sind Brandis­bärgli,38 Reinbärgli, Stüehlige-Bä́rg,39 Dü̦ü̦r-Bärg,40 Gumpers̆mü̦̆li-Bärg,41 solche Heimwesen, die einst zu dem talwärts gelegenen Bauerngut eben als «Berg», als Weidetrift gehört hatten, später aber von einem nachgebornen Sohn in ein eigenes Gut umgewandelt wurden. Es wiederholt sich also hier, was wir weiter vorn (S. 6) zu «ober» und «unter» angebracht haben. Das Gütchen Flüelebärg aber zeigt noch den Urzustand: es gehört als Miete des Melkers und seiner Familie zu dem Hofe Gygax-Wälti in Flüelen, dem ältesten und ursprünglich einzigen Gute dieses heutigen Weilers. Umgekehrt tragen spezielle Familiennamen: der Jụtzibärg42 am anstoßenden Waldstück43 gleichen Namens, und der Bụ̈tlerbärg. Der Leijisbärg44 liegt unterhalb des Gutes Leijis. Alle drei «Bärg» bilden windgeschützte Einsattelungen des Rawflibärg (S. 3). Rawflibärg heißen aber auch spezieller zwei Heimwesen.45 Zu vergleichen: Ramseibärg46 und Walthụsbärg (kleines Gütchen, malerisch an sonnigem Waldrand gelegen).

Einen Gegensatz zur Sinnes­verengerung bei «Berg» bietet die Begriffs­verall­gemeinerung von Ort. Vgl. a menen Ort = irgendwo.47 Eine Sache verörtere: an ihren Platz bringen. Unsere Mundart beharrt aber auf dem sächlichen Geschlecht: an es guets Ort choo, d. h. an einen guten Platz kommen.48 Zugleich nährt sie sich mittels Redensarten wie d’Sach ist wieder am aḷten Ort (in der gleichen schlimmen Lage),49 d’Last am schwẹẹreren Ort aagrịịffe50 zusehends der Urbedeutung Ende, Spitze: vgl. uber Ort = schief.

Fiederförmig51 oder, nach anderem Bild, wie ein aufgeschlagener Fächer52 wiederholt die Napfgruppe des Emmenthals im Kleinen die 12 Kammgliederung der Alpen.53 Diese Kämme sind oben abgeflacht. Langsam fällt die vielgewundene, bisweilen tischebene, bisweilen höckerige Egg (Lokalausdruck des Emmenthals und Zürcher Oberlandes), bis sie endlich steil und oft in malerischen Flühen zum Haupttal abbricht.54 Grundbedeutung von «Egg» (lat. acies) ist «Schärfe», speziell die Schärfe des Schwerts, die Schneide der Waffen, die scharfe Kante. Erst von da aus nähert sich «die Ecke» und berndeutsch «der Egge», ostschweizerisch «das Egg» in der Bedeutung eines spitzen Winkels dem ursprünglichen Gegensatz, der in «Ort» liegt. Darum gehört zur Bedeutung der Egg einmal der Doppelbegriff «langgezogen» und «schmal», sodann die trennende Lage zwischen zwei Niederungen mit freiem Ausblick nach links und rechts. Verbunden ist damit auch die teilweise herrliche Besonnung und daherige Fruchtbarkeit des von Natur so kargen Bodens.55 So ist «Egg» zunächst Gemeinname. Uber aḷḷi Egg ewägg fuhr der Teufel mit seiner Buchen-Last von Sumiswald auf Bärhegen.56 Auf die Egg hinwieder «trappet» einer hinaus, zu sehen, ob es ein Wetter geben werde.57 Ein Hof am Fuß der «Egg» Reutiberg mag der Ursprung von «Eggiwil» sein.58 Insbesondere spielt die Egg oft die Rolle einer Wasserscheide, zuweilen auch die eines Bergpasses.59 In beiden Fällen trägt oder verdient sie den Gemeinnamen Scheidegg. So ist die 1529 m hohe Honegg die Wasserscheide zwischen Röthenbach und Emme, auch zwischen Zulg und Aare. Eine solche Scheidégg oder Schéidi̦g zu Rüegsau besteht heute aus einer doppelten Gruppe von Bauernhöfen, und von ihr wird unser sehr starkes Burgergeschlecht Scheidegger sich herschreiben. Ein anderes Geschlecht ist Hăbegger (aus «Habchegger»).

Von der oberhalb Lützelflüh beginnenden Schaufelbühl-Egg, schlechtweg Egg, sind wir in diesem Kapitel ausgegangen. Sie setzt in wiederholten Absenkungen und Neuerhebungen sich derart fort, daß man über sie weg in beinahe ebenem anderthalb­stündigem Spaziergang Affoltern erreicht. Verschiedene Partien dieser gesamten «Egg» tragen auch wieder den Namen Egg mit oder ohne Zusatz. So stoßen wir, von der Hochwacht oberhalb Waldhaus ausgehend, auf die Schnịịderegg oder nach ihrem jetzigen Besitzer Schrịịner-Egg.60 Am Eggschulhaus vorübergehend lassen wir linkerhand ein kleines Gütchen61 mit Haus und Häuschen liegen: die Egg. Weiterhin ist die Fuchsegg ein plateauartig ausladendes Ackerstück.62 Nach zwanzig Minuten stoßen wir jenseits Oberschaufelbühl auf die Häusergruppe Neuégg = Neuig, wo ein anmutiges Schulhaus Kinder aus drei Kirchgemeinden (Lützelflüh, Sumiswald, 13 Rüegsau) aufnimmt. Dabei das Heimwesen Hohlégg oder d’Hö́lig. Nahe dem prachtvollen Hegenwald bildete seinerzeit die Hẹgenegg die Grenze zwischen den Ämtern Trachselwald, Sumiswald und Brandis.63

Zur Enklave Oberried gehört die außerordentlich steile «Neuerégg», Neuerig;64 zu Lauterbach: «Wildenegg», Wĭ̦ḷḷenegg, 2 Bauernhöfe mit 3 weiteren Häuschen. Aus Lützelflüh’s Nähe seien erwähnt: Möörisegg (Lauperswil), 1261: Morinsegge,65 sowie der Sumiswalder Schulbezirk Schonégg oder Schö́nig usw. Man bemerke die Volalreduktion dieser «Eggen» in Schŏnịg, Neuĭ̦g, Neuerig, Scheidig u. s. w., welche nur nicht so regelmäßig wie in «Be̥rg» eintritt.

An die «Gräten» des Fisches erinnernd, bildet der Grat (im Sinne dieses durch Schiller der Schriftsprache angeeigneten Wortes) eine viel schroffere Abdachung und eine noch schmalere Kante als die Egg. An erstere mag Gotthelf gedacht haben, wenn er beharrlich «Grad» schrieb und einen «Michel»66 am Ostertage höhnen ließ: «Ich hätte viel zu tun, wenn ich mit allen Bauerntöchtern vom Gitzigrad (Gi̦tzi̦graat) düpfen wollte.» Auch der Steingrat (S. 3) ist ihm der «Steigrad»67 oder «Styggrad».68 Den Grat als ausgesprochensten Gegensatz zur Niederung bezeichnet das ost­schweizerische Anlautspiel «Grund und Grat», z. B. 1506 und 1524.69 Der Hu̦ṇggraat zu Rahnflüh (kleines Heimwesen).

Wir kommen zu der bei uns so vielgestaltigen Benennung Flueh, diesem spezifisch schreizerischen, wahrscheinlich aber mit «Fels» verwandten Dialektwort. Vollends die ost­schweizerische Form «Fluech»70 legt die Verwandtschaft der ch- und der s- Ableitung aus einem gemeinsamen Stamm nahe, der nach einer ansprechenden Vermutung auch in polis steckt.71 Die Mehrzahl Flüeh (mit dem -n- des Dativs i de Flüehne) gilt für uns — über den Mittelbegriff des Kollektivs hinüber — auch für die Einzahl. Wir sagen: die ober und die un͜der Flüeh (Abb. S. 15), wo wir die zwei benachbarten Heimwesen meinen, welche gemeinsam an einen kleinen, mit Eichen und Haseln bekleideten Fluhsatz anlehnen und damit trefflich gegen die Bise geschützt sind. Die obere Flüeh erscheint aber 1261 im Kiburger-Urbar72 als «Superfluo», wie auch eine Eggiwiler Alp noch heute «Oberflueh» heißt. Die im Gegensatze 14 zur Churzeflueh73 langgezogene Wanneflueh (S. 3) hinwieder leiht ihren Namen der an ihrem Fuß befindlichen Mühle mit Wohnhaus sowohl wie drei weitern kleinen Heimwesen.74 Daß die Schratten (S. 2) bald «Flüeh» und bald «Flueh» benannt werden, sei hier ebenfalls erwähnt. Wir wenden uns aber von der Wortform zum Begriff.

Charakteristisch ist vor allem der jähe, bisweilen senkrechte, Verderben drohende und Tod bringende Absturz. Vgl. «der Abjuck» in Eggiwil, sowie «die Felsenwand». «We’s nụ̈ụ̈t d’rus gäb, so tüecht es mi, i möcht uber d’Flueh uus.»75 Der nackte Fels, auch nicht von einem Schụ̈ụ̈mmeli Häärd bedeckt, bietet das Urbild absoluter Unempfäng­lichkeit. «Aḷḷne Flüehne möcht i’s chlage, was mer schwär am Härze lịịt.»76 (Felsen müssen hören, Steine reden am Platz der Menschen.) «Auf einer Flueh Erdäpfel pflanzen.»77 Den umgekehrten Eindruck der Empfänglichkeit macht aber die Flueh dadurch, daß an ihr sich der Schall bricht und als Echo widerhallt. «Er fluechte und seine Stimme brach los wie der Donner aus einer Fluh.»78 So kann der Name typisch für das «Gebirge» mit seiner rauhen Unwirtlichkeit stehen. «Sieh, wie grausam viel Schnee in den Flühnen liegt.»79 «I de Flüehnen ist mịs Läbe, un im Tal tuen i ke guet.»80 Aber wieder im Gegensatze zur Unwirtlichkeit kann die Gastlichkeit stehen, womit die Flueh den Flueh­hüsline an der Wannenfluh Rückwand, den beiden Flüeh Wetterschutz und z. B. dem geräumigen Eggiwiler-Hause «Hohleflueh»81 auch das Dach bietet.

Ein Anblick wie der der Schrattenflühe verleiht unserm Wort den Begriff des Gigantischen. «Männer wi Flüeh und Jünglinge wie Tannen.»82 «E Zyberli-Tochter, angends (ágänds = beinahe) wi ne Flueh.»83 «Käthi hatte eine Postur wie eine Fluh.»84 Das Riesenmäßige ist aber auch das Schwerfällige, Plumpe. «Wenn die Zyberli-Tochter nidertrappet, so zitteren aḷḷ Wän͜d.»85 Ebenso das Ungeschlachte. «Kühe wie Flühe, aber fast ohne Milch.»86

Indessen ist’s der ästhetische Eindruck bei weitem nicht allein, welcher in der Sprache einer bäuerlichen Bevölkerung dem Worte den Gefühlswert verleiht. Eine handhohe Hervorragung aus dem Boden eines Ackerstücks, auf welches plötzlich und zu seinem Schaden der Pflug stößt, ist auch e Flueh, e Fluehsatz und bereichert die Sprache mit nicht wenigen gelegentlichen Ausdrücken, welche drastisch und kraftvoll heißen 15 dürfen. Dort ist’s hinwieder ein kniehohes, am dritten Ort ein manns-, ein haushohes Stück Flueh, das einer sonst so schönen langen Acherfurche ein absolut verständnisloses «Halt» entgegensetzt und in den Kulturplan eines Hofstückes entscheidend eingreift. Charakteristisch sind darum für eine Bauerngegend auch Flurnamen wie Flüeacher und Flüeliacher, Flüeacherwäḷdli und Flüewaḷd, Flüeweid und Flüe1och.

Verkleinerungen aber wie Flüeli mit der dativischen Mehrzahlform Flüele sind bloß von relativer Bedeutsamtkeit.

Obere und untere Flüeh.

Nahe dem Winkel, an welchem die Abdachung des Müneberg (S. 10) als steile Grashalde («Sịte») sich westwärts richtet und aufhört, als waldige Nordabdachung mit der südlichen der Schaufelbühlegg den Flüelen­graben zu bilden, liegt der stattliche Weiler Flüelen: drei Höfe, deren größter 40 Haupt Rindvieh nährt, mit entsprechenden Wohnhäusern, Wohnstöcken und Nebengebäuden. 1790 figurieren bloß zwei,87 1783 88 dagegen «vier schöne Güter in der Ebene», samt einer Stampfmühle, durch das Flüele­grẹbli getrieben. 1257 aber wurde der damals einzige Hof, die «curtis Wluolon»89 durch Konrad von Brandis dem Kloster Trub verkauft, nachdem im Jahr zuvor die obenher gelegene Schuppose «Ruopelsruti, 16 sita prope curtem (gelegen bei dem Hofe) Fluoluon» dasselbe Schicksal erfahren.90

Ebenfalls nicht von eigentlichen «Flühen», sondern bloß von zwei parallelen ziemlich langgestreckten, dagegen nicht hohen, grasigen Steilabdachungen des Rahnflühberges gegen Norden kann die Rede sein bei «Rahnflüh», 1386: «Ranfluo», 1559: «Ranflen», 1661: «Ranfli», Ráwfli. Das mhd. rân, welches uns als Bezeichnung einer hochgewachsenen und dabei schmalen Gestalt so bekannt ist, wird also hier der Längen­ausdehnung beigelegt. Wer vom Ramisberg aus das «so freundich und sonnig» zu seinen Füßen hingebettete Dorf überschaut und weiterhin auf «der Rahnflüher goldenes Gelände»91 sein Auge wirft, der begreift sofort, wie hier in den Jahren 1406-1798 nicht bloß eins der größten niedern Gerichte (Rahnflüh samt Lauperswil, Rüederswil, Grünenmatt, dem Emmenviertel von Lützelflüh, und Goldbach), sondern das gesamte «Landgericht Rahnflüh» = «Landgericht Enmenthal» sein Zentrum haben konnte. Ebenso war vom Frühling 1653 an Rahnflüh der Beratungsort der Bauernführer, wie denn auch der dortige Wirt Galli als einer der Freiheits­märtyrer fiel.

Zu den «rahnen» stimmen die «lützeln» Flühe, nach denen der Gegenstand dieses Buches sich benennt: die Einwohner- und Kirchgemeinde zu «Lüzelenwlo» (1250),92 «Luzzelenfluo» (1310),93 «Lützlonfluo» (1344),94 «Lützelfluo» (1346),95 «Lützenflüe» (1657),96 «Lützuflüeh»97 (so die g’satzligi Aussprache), Lü̦tze̥flüeh, «Lützelflüh».98

Die meisten Deutungen des ersten Wortteils knüpfen beharrlich an den sekundären Sinn desselben, worin wir sagen: das ist lütze͜l (schlecht) g’macht; das ist e lützeli Sach (z. B. ein wackliger Stuhl oder dgl.); es geit da neue lütze͜l zue! Beispiel: der Mann mit dem Hängebauch schritt sehr stattlich einher, jedoch auf lützelen (gebrechlichen) Füßen.99 In solchem Sinn erklärt auch Hauswirth 1783: «Das Dorf Lützelflüh liegt auf einer niedrigen, nach alter Mundart ‹lützeln›, oder nicht vesten Flüh, oder felsigten Porte». Solcher Deutung widerstreiten schon die mächtigen Gebäude, die als Gefährten der alten Kirche und des neuen hohen Turmes in unverdächtiger Sicherheit, «den Fuß spülend in der Emme Wellen, mit sonnigen Augen hinausschauen an die mächtigen Berge, woher die Emme kömmt, niederschauen an den blauen Berg, wohin sie fließt, frei und froh schauen über gesegnetes Land weg hinüber nach dem schwesterlichen Rüderswil.»100 «Hingebettet liegt das schöne, 17 heimelige, malerisch zerstreute Pfarrdorf ungemein wohlig am südwestlichen Abhang des hier sanft niedersteigenden, waldbegrenzten Brandisberges.»101 Und auch der jähe, mit Gras sowie Eschen, Vogelbeere und andern hohen Bäumen und Sträuchern bewachsene Absturz gegen den Mühlebach und die Emme hinunter ist keine Fluh im gewöhnlichen Sinne.

Lützelflüher Kirchturm bis 1886.

Die einzig brauchbare Erklärung gibt uns Gotthelf in seiner sonst möglichst unhistorischen «Gründung Burgdorfs»102 an die Hand. Dem Wanderer zwischen Burgdorf und Oberburg schauen vom Hügelzug jenseits der Emme her in stattlicher Reihe die mächtigen «Flüeh» entgegen. Hierseits des Flusses erheben sich — wie ein Brüderpaar — der Burghügel und der Kirchbühl. Alle deuten auf einen einstigen, von Wassers Gewalt durchbrochenen Zusammenhang. Nun liegt die Vermutung nahe, es hätten die Ansiedler drunten am «Tor des Emmenthals» zu einer Zeit, da die Talschaft noch wenig bewohnt war, in der Mitte derselben, am Zusammenlauf der uralten Wege von Burgdorf, von Trachsel- und Sumiswald und von Bern her zu Handels- und Verkehrszwecken eine Zweig­niederlassung gegründet. Dazu lud auch der Umstand ein, daß wir «in Lützelflüh an einem der sonnigsten und lieblichsten Flecken des gesamten Emmenthals stehen»103 — wie hinwieder Burgdorf «der Demant 18 des Tales» genannt wird.104 Läge obendrein der Legende von einem See, der die Talschaft oberhalb Burgdorf zeitweilig bedeckt habe,105 doch vielleicht irgendwelche Tatsächlichkeit zugrunde? Dann hätte die kleine Anhöhe (708 m ü. M.), auf welcher Kirche und Nachbargebäude stehen, mit ihrem bis 1903 recht steilen Aufstieg den Gedanken einer Niederlassung von Burgdorf aus doppelt nahe gelegt. In eindrucksvollem Gegensatze zu der unwirtlichen «großen Fluh»106 (d. h. dem Komplex der mächtigen Burgdorfer Flühe) wäre dann jener «wohnliche Platz an der Sonne»107 als die «kleine» und damit zugleich liebliche, anmutige, hauptsächlich aber: bewohnbare «Flue» erschienen. Wenn sodann die Kirche den offenbaren Anfang und Kern jener Gebäudegruppe bildet, so ist dies lediglich eine Wiederholung der Gründungs­geschichte unserer Dörfer. Ebenso die Tatsache, daß als älteste Patrone der Kirche, die zugleich allmählich die niedere Gerichtsbarkeit (Twing) an sich brachten, die «Edlen von Lützelflüh» mit dem Erbnamen Thüring erscheinen. Die eminent geistliche Richtung dieser Thüringe von Lützelflüh geht auch daraus hervor, daß einer derselben um das Jahr 1125 das Kloster Trub stiftete, und ihre Nachfolger es mit ganzen Güterkomplexen auf der Höhe zwischen Sumiswald, Lützelflüh und Rüegsau ausstatteten.108

Zur Erklärung der «lützeln Flue» oder «Flüe» kommen wir also mit der ursprünglichen Bedeutung «klein»109 (vgl. engl. little) vollständig aus. Zum Überfluß können wir noch z. B. an die Gegenüberstellung der konolfingischen Orte Groß- und Klein­höchstetten unter den alten Namen «Honstetten» und Lüzilinstetten (1261 110) erinnern.

Eine zur Fluh gegensätzliche Formation bildet der Büeḷ. Die alten Formen «Bühel» (1558) und «buhil» stellen das Wort nebst der verstärkten Schwesterform Pŭ̦gge͜l = «Buckel» zu «biegen» (eine Wölbung darstellen). Neben das Pü̦ggeli (Pustel) stellen wir den «Bühl» als die kleine Erhöhung auf der Weißtannenrinde, welcher das Büeḷharz entfließt. Einen Puggeli­rügge hatte «Ulrich mit dem Bühel». Vgl. «für jemand herhalten» = der Puggel zuehe haa.111 Auch die Wange hieß mhd. bühel. Und so nun zählte früher Lützelflüh, zahlt jetzt noch seine angrenzende Umgebung verschiedene Güter mit dem Namen Büeḷ. Zu Lützelflüh gehören noch: zwei Büeḷmatt; dann das bereits (vgl. auch S. 6) genannte Schụfe͜lbüeḷ, von dem wir bloß noch die historische Abtretung (1257) durch Konrad von Brandis an das Kloster Trub,112 und den sagenhaften Bärenjagdzug des «Ritters von 20 Brandis»113 in Erinnerung zu rufen brauchen. Ferner den «Brauchbühl»114 oder Brụụchbe͜l (vgl. Brụụch), mit Vokalreduktion wie in «Saḷbe͜l» (Saalbüel, zu Trachselwald). — Ebenfalls in Trachselwald liegt Rothenbüel (1261: «Ruotenbuol»),115 woher unser Burgergeschlecht Rothenbühler. Häufig sind auch die Geißbühler (vom Geißbühl zu Lauperswil). Ausgestorben sind dagegen die Brechbühl (Brä́chchbüeḷ) von Lützelflüh.

Neuer Kirchturm und Pfarrhaus in Lützelflüh.

Bloß als Gemeinnamen wird auch der «Buckel» auf Bodenformation angewendet. Wenn man die Emmenthalerhöfe ohne Vorrecht des jüngsten Sohnes verteilen wollte, «so hätte man auf die magern Büggel (Pü̦̆ggle) keinen Aufzug mehr.»116 «Wie vorteilhaft die Esparsette auf den Grienbüggeln sei in trockenen Jahren» ...117

Was neben dem Egg-System (S. 12) dem Emmenthal seinen Charakter gibt, das sind die «mächtigen Hügel, unten heitergrün und oben schwarzgrün».118 Das Charakter­istische der Emmen­thalerhügel ist wohl, daß sie fast nie von allseitig gleich tiefem Umland umgeben sind, sondern meist nur das Ausgehende der Eggen, oder höhere Partien im Verlauf derselben; vom Tal her steigt man zu den «Högern» empor, von der Egg her oft zu ihnen hinunter. Wie sehr ist dadurch die Weganlage erleichtert! Das Sträßchen, das auf irgend eine Egg führt und ins hochgelegene hintere Ende eines Grabens, schickt unversehens Verzweigungen nach einer ganzen Reihe von Hogern oder Knubeln.119

Den Namen «Hügel» selbst ersetzt also unsere Mundart durch diese drei eben angeführten Ausdrücke. Der lautlich nächststehende ist Hŏger, wie «Hügel» verwandt mit mhd. houc120 und mit «hoch», bei Gotthelf gelegentlich121 gleichbedeutend mit «Höcker». Eine Kokette trägt an allen Märkten «sibe Mänteli (Vorhemdchen) uber enan͜dere ụụfg’hŏgeret bis a’s Chĭ̦ni̦.»122 Der Lẹghoger der Hühner (auch für podex). — «Der Hof war auf einem Hoger, weder mit dem Wägelein noch z’Sattel gut erreichbar.»123 «Jedenfalls haben sich unsere Strategen (im Truppen­zusammenzug von 1902) trotz der guten Karten an den verzwackten Högern unseres Emmenthals ziemlich verrechnet; denn es gab öfters schiefgewickelte Situationen.»124 Die höchst regsame Bäuerin Annebäbi: «Was hätt me de süst eigetlich vom Läbe, we me nume gäng a dene wüeste Högere sött umechräble u si nie öppis Ordligs sött gönne!»125

Pfarrhaus in Lützelflüh.

Hŭ̦be͜l und Hü̦̆be͜l werden zu «heben», «sich erheben» gestellt.126 22 Der Hube͜l in Lauterbach,127 wozu das Hube͜lwäldli. Der «Wäldlihubel».128 Das Hübeli.129 Mehr burschikos heißt uns der Kopf «der Hü̦bel»: Wart, i nime di bim Hü̦bel (stadtbernisch allerdings: «bim Hụ̈bel»). I huble di! Der Hŭ̦bli (knotiger Mensch).

Zu «Knopf» und «Knauf» endlich stellen sich mit unverschobenem p und b: der Chnụppe (Geschwulst- oder Eiterknoten) und der «Knüppel», sowie mhd. der chnübel (Fingerknöchel), und unser Chnŭ̦be͜l. So heißt bildlich ein klotziger, gefühl- und rücksichtsloser Egoist: «so ein Knubel von Käusi, so ein Knubelkäusi, der von nichts weiß als von Kühen und Stieren, vom Schweiße armer Kinder sich mästet.»130 Ein Gäḷthnube͜l.131 Die «Lättchnuble» (= «Lättikofer»).132

Als «gewölbte Anhöhe» aber,133 gerne mit dem Nebenbegriff des Unkultivierten134 (vgl. «das Reckholder­knübeli»)135 treffen wir den zum obern Rain gehörenden Rein-Chnube͜l,136 den ihm nahen Geinisberg-Chnubel, den Birche-Chnubel,137 den Schụ̈ụ̈rli-Acher und ‑Chnubel.138 Zu Affoltern gehört als besuchter Aussichtspunkt der Heligeland-Chnubel neben den «Pö̆li», zu Sumiswald der schöne Bärhege-Chnubel mit alter Hochwacht, sowie der weithin wie ein riesiger Ameisenhaufen sich ausnehmende Arni-Chnubel (des Vorder Ari). Du Chnŭ̦bli! (schimpfender Zuruf wie «Hubli»).

Mit lat, cuppa (la coupe) ist verwandt: der Kopf = 1. Trinkschale, Becher, 2. Schädel, Haupt. Dazu stellen sich als wenigstens sinnverwandt: der «Kapf» (Eggiwil) und die «Chĭ̦pf» (Heimiswil).139 Von letzterer kommen unsere sehr zahlreichen Kipfer. An einen solchen schrieb Klaus Leuenberger 1653: «Ich vermäldun user früntlich grus liber nachber Ulrich Kipfer wach meister zu waltt hus.»140 Der Gerichtssäß Jakob Kipfer in Waldhaus aber stand 1780 mit dem Landvogt Daxelhofer auf Brandis im Prozeß.141

Nach der Gesamterscheinung der Höhe fassen wir bloß deren uns zugekehrte (oder für und in Betracht fallende) Seite ins Auge. Ein Haupt­gesichtspunkt ist begreiflich die Lage gegen die Sonne; und zwar gibt, wie überall in der Welt, die ungünstige Seite, di bösi Sị̆te von ere Sach mehr zu reden als die gute, die man gerne für selbst­verständlich hinnimmt. Immerhin zählt Lützelflüh neben sieben Sunnsite acht Schattsite.142 Daneben eine Hăse͜lhoḷz-, eine Neuhuus-,143 eine Schmids­lehnsite.144

23 Ein alter Ausdruck für «Seite» ist «halb», ursprünglich ein Dingwort, das daher in verschiedenen Fallformen zu einem Weßfall treten konnte. Mit altem mîn-halb («meinethalben») z. B. vergleicht sich Gotthelfs «chin͜ds-t-halb»: «Sie heige chingds-t-halb lang bös gha, sie wellen e (ihnen, sich) jetz o la bas sy.»145 So sagen wir noch (in abverbial erstarrter Fügung) sunnehalb. (Vgl. den Meiringer-Bezirk «Schattehalb».)

Zu einem Stamme «hal», der uns durch die Wörter «hold» und «Huld» (geneigt und Geneigtheit) verdeutlicht wird, gehört «Halde». Dazu bilden wir das Verb «hẹḷte» (neigen, z.B. ein Gefäß, dessen Inhalt «auf der Neige» ist), und das Beiwort hẹḷtig, abhẹḷtig. Haldimann146 verdeutschte die durch «abhaldig»: «Eggiwil hat viel abhaldiges Land.» Das starke t ftatt d steckt aber auch noch in dem sehr häufigen Geschlechtsnamen Burkhalter, der sich von den an Lützelflüh grenzenden Rüegsauerhöfen Burkaḷte («Burghalde») unten an der Stelle des vermuteten ältesten Brandis-Schlosses herschreibt. (Vgl. den Namen Burthart, nach welchem sich seinerzeit ein Haus auf dem Ramseiberg benannte.) Heute ist im Gegenteil das d ausgefallen und aus «Halde» wurde mittelst lautlicher Wandlungen147 «Hăwle». So haben wir eine Schaafhawle,148 eine Rueßhawle,149 eine Brụ̈ụ̈schhawle150 (Brụ̈ụ̈sch = Erica), hauptsächlich aber 6 mittelgroße Acker- und Wiesen-Komplexe Namens Hawle, von denen drei zugleich Höfe bilden: die Hawle in Oberried, die oberi und un͜deri Hawle zu Grünenmatt. 1352 kamen «zwo schuopossen under der haldon in der parrochie von Lützelflüh» ans Kloster Rüegsau.151 Noch einen Schritt weiter geht die Wandlung des Wortes «Sonnhalde»152 in Su̦nnhu̦ḷḷe. (Vgl. «der Wu̦ḷḷ» = Wald; so heißt z. B. ein an Lauterbach grenzender Oberburger-Weiler und ‑Wald «der Bri̦ttewŭ̦ḷḷ» = Breitenwald.)

Wegen des ersten Wortteils interessant ist der Name Rueßhawle. Zum nämlichen mhd. Zeitwort riezen, das uns in rööze (fließen und fließen lassen) und in rooße begegnet, stellt sich auch ahd. der ruzboum = russbaum oder rus-ter,153 heute: die Rüster (ulmus campestris). Auf den Blättern dieses Baumes siedeln sich im Frühjahr massenhaft die Blattläuse an, welche aus den von ihnen herrührenden Bläschen (Rüstergallen) jene süßliche Flüssigkeit entsenden, die als «Honigtau» die Blattfläche bedeckt und als «Maientau» das altberühmte Schönheitsmittel abgibt. Das verdunkelte «russ» nun knüpfte die Volkssprache 24 neu an Rueß (la suie) an, etwa so, wie wir altväterisch die Russen Rueße, ihre Land Rueßland heißen. Demzufolge benannte sich die kleine ehemals mit Ulmen bestandene Halde ob Waldhaus die Rueßhawle. Vgl. das Oberburger-Gütchen «Rueßacher», die Gemeinde «Rüschegg» und die nicht weniger als 60 von Brandstetter aufgezählten Namen.154

Die Lautgeschichte von «Halde» wiederholt sich teilweise in «Stalden». Der Flüelestáwle ist ein hübsches Wirtshäuschen schon alten Datums155 mit kleinem Heimwesen.

Dasselbe liegt oben am Grüeneport: dem Wald-, Unterholz- und Kiesgrubenstück156 an der Straßengabelung von Sumiswald nach Grünenmatt und nach Lützelflüh. So haben wir auch die Waldstücke Ramsei-,157 Ramisberg-,158 ’s Öschsche- (Eschen-) Port.159 Zum Grundbegriff von Port («Bord»,160 vgl. auch fz. «bord»)161 gehört die außerordentliche Steilheit mit ihrer Gefahr für Wagen und Fußgänger. Vgl. «hohe und erdbrüchige Pörter».162

Nicht im entlehnten deutschen, wohl aber im ursprünglichen keltischen Wort liegt auch der Begriff des Abgrenzenden (vgl. das Pörtli am Strumpf). Der Rain (Rẹin) dagegen bedeutete in altdeutscher Sprache «Ackergrenze» und ging in der Bedeutung «Waldrand» auch ins Französische über. Noch heute ist die Bedeutung einer March bisweilen in der Sachlage gegeben, liegt aber nicht mehr im Wort. Dasselbe bedeutet uns lediglich, gleich dem vorigen, einen sehr steilen, abschüssigen Berghang. Das veranschaulichen gleich von der Dorfstraße aus die beiden «Emmenraine».163 Die darin liegende Gefahr von Erdrutschen (vgl. das Eggiwiler «Laui» und unsere «Lauele»164) fordert und fördert Bewurzelung durch sorgfältig geschonten und gepflegten Holzwuchs. Daher so zahlreiche Namen wie der Buechrein,165 Öschscherein,166 Bircherein,167 am Eichrein usse, am Hăse͜l- oder Hasle̥rein,168 der Mieschrein.169 Vielfach verbinden sich mit diesem so liebliche Vorstellungen wie die ersten «Erdbeeren aus sonnigen Rainen»,170 das «Schlitteln am bekannten Rain»,171 der als Ausguck dienende «Rain hinter’m Hause»,172 und natürlich besonders «ein Bauernhof am sonnigen Rain».173 An solchen fehlt es dann auch bei uns nicht. Gleich neben Kirche, Pfarr- und Schulhaus liegt der un͜der Rein, heute als Gegensatz zum obere Rein und zum Reinbärgli am Südwest-Abhang des 25 Brandisberges. Nach 1796 aber erscheint ein Christian Burkhalter einfach als «der Bauer am Rein»,174 1786 dagegen ein «oberer Rein» als zur Mühlegasse gehörig.175 Ein Bauerngut bildet auch der Sunnhuwwe-Rein.176 Bloße Ackerstücke sind der Schärhüsli- und der Bernei-Rein; vgl. der Reinacher.

Ein Ausdruck wie reinab spränge (im Galopp steil abwärts fahren)177 sowie anderseits die mit «üser ein» wortspielende Antwort: Ja ja, üse Rein ist e stotzige Rein, lenkt die Vorstellung vom Ackerfeld ab auf Weg und Straße. Denn stotzig ist zunächst eine steile Wegstrecke178 = ein Stutz,179 an welchem ein achtlos heraneilendes Gefährt als an einem Hindernis «anstößt» (vgl. den appenzellischen Schlachtort «Stoß» und unsere drei Stütz). Der unvermutet auf derartige Hindernisse «Stoßende» «stutzt» davor, wird «stutzig»: es chunnt ihm neue stotzig vor, «wohl stotzig»180 und «kommt ihm fast vor den Atem».181 Wie aber gleicherweise z. B. «e stotzigi Nase»182 uns nichts Unbekanntes ist, so auch ganz geläufig e stotzige Rein, e stotzige Bärg,183 e stotzigen Acker, es stotzigs Heimḁt, stotzigs Land.184

Noch ist zu erwähnen das Gfẹḷḷ (Gefälle, Abhang), woher unser ziemlich häufige Geschlechtsname Gfeller. Vgl. auch fu̦u̦re­fẹligs Land.

 
1 Statt «Höhen» und «Niederung» würde ein geographisches Werk die absoluten Bezeichnungen «konvexe» und «konkave» Bodengestaltung anwenden.   2 Gruß 4.   3 Mordiof. 185.   4 Dursli 206; Geltst. 216.   5 JoSt. 66 f.   6 Müll. Hk. 48.   7 SchM. 2, 405.   8 Michel 181 f.   9 Holder 1, 107 f.   10 MW. 2J. 230.   11 1948 und 1328 ha.   12 Fuhrrodel.   13 Fontes 8, 406.   14 ebd. 7, 184.   15 ebb. 6, Nr. 807. Vgl. auch das Chälpärger­huus zu Oberburg.   16 Wh. Sp. Hh. Oh. Ack. Ws. Wd. 1743 ha.   17 Fontes 2, 536.   18 Ebd. 7, 184.   19 1) Wh. Sp. Ack. Ws. Wd. 657; 2) Wh. Ack. Ws. Wd. 367,54; 3) Wh. Sp. Ack. Wd. 462,97; 4) Wh. Ack. 8.   20 Trub 30, 15.   21 JoStAlp. 78.   22 Fontes 2, 273.   23 v. Mül. 169.   24 Trub 30, 15.   25 Wh. und neueres Mietstöckchen, Ack. Ws, Wd, 586,73.   26 Bifang.   27 Wh. Ack. Ws. Wd. 463,72.   28 Wh. Wst. Sp. Schüürli. Ack. Ws. Wd. 2854.   29 Wh. Sp. 77.   30 Brüder 208.   31 Jahn Em. 70.   32 ebd. 9.   33 SdB. 1903.   34 Spinne 29.   35 Brüder 210.   36 Vgl. zürch. und luz. «mäle» (melken), Chile (Kirche) u. dgl.   37 Brüder 210.   38 Wh. Ack. Ws. Wd. 110.   39 Wh. Ack. Ws. Wd. 422,97.   40 Wh. Sp. Wagenschopf. Schüürli. Oh. Ack. Ws. 650.   41 Wh. Ack. Ws. Wd. 804.   42 Wh. Ack. Ws. Wd. 363,52.   43 12,27 ha.   44 Wh. Sp. Ack. Wd. 616,57.   45 1) Wh. Obstgarten. Ack. 221; 2) Wh. Sp. Ack. Wd. 526,63.   46 Wh. Wst. Wohnhäuschen. Sp. Ack. Ws. Wd. Flue 1656,24.   47 Lischeb. 7.   48 BSp. 136.   49 Vgl. Segen 84.   50 Käthi 60 Hs.   51 Wals. Sch. 21.   52 JoSt. 3.   53 Wals. Sch. 37.   54 Ebd. 38.   55 ebd.   56 Spinne 50.   57 Barthli 29.   58 Eggiw. 10.   59 Wyß 70.   60 Wh. Ws. Ack. 238.   61 270 ha.   62 47,51 ha.   63 Hauswirth 3, 15.   64 Wh. Ack. Ws. Wd. 344.   65 Kib.-Urb. 160.   66 132.   67 Wass. 42, 46.   68 Brandis 125.   69 Zollikon 191; AR. 1823, 13.   70 schwz. Id. 1, 1184.   71 Wie «Berg» und «Burg» als Ablautformen des einen und selben Wortes für «hoch» (Grimm WB. IV, 1, 1776 ff., s. Gebirge) häufig durcheinander gehen, so bedeutet ja auch die «Akrôpolis» zunächst den spitzen Felsen, dann die «Burg» ob Athen, und erst die geläufigen Abkürzungen «Nea-pel» u. dgl. enthalten für uns die Bezeichnung «Stadt» nach modernem Begriff. Vergl. dazu Kluge 104.   72 160; Fontes 2, 536.   73 Wh. Wohnhäuschen. Sch. Ack. Ws. 964.   74 Wh. 380,13; Ack. Ws. Wd. 81,16; Wh. Ack. 16,84.   75 Käs. 165.   76 Wyß j.   77 Jacob 2, 158.   78 Spinne 30.   79 Brandis 125.   80 Kuhn.   81 Eggiw. 41.   82 Sintram 79.   83 AB. 1, 189.   84 UK. 126; vergl. Michel 190.   85 AB. 1.199.   86 GG. 1, 73.   87 Fuhrrodel.   88 Hauswirth.   89 Fontes 2, 459.   90 ebd. 435.   91 Wass. 51; Beitr. 104.   92 Fontes 2, 327.   93 ebd. 4, 395.   94 ebd. 7, 4.   95 7, 184.   96 Kirchenrechnung.   97 EvE.   98 Wir ersetzen aus technischen Gründen einige übergeschriebene o urkundlicher Formen durch nebengeschriebene, sowie einige Ersätze unseres ü durch dieses selbst.   99 Käs. 52; weitere Belege: schwz. Id. 3, 1571.   100 Wass. 50.   101 EA. Türler 157.   102 Sintram 69; vgl. schwz. Id. 3, 1571.   103 EA. Türler 156.   104 Wass. 49.   105 Sintram 69.   106 ebd.   107 ebd.   108 JoSt. Alp. 78.   109 PBS. 6, 244.   110 Kb. Urb. 165.   111 Ott 1, 157.   112 Fontes 2, 459.   113 Brandis 128.   114 Wh. Wst. Sp. 69.   115 Fontes 2, 536.   116 GG. 3, 23.   117 Wass. 15.   118 Elsi 47.   119 Walser.   120 Gudrun 1141, 2; vgl. schwz. Id. 2, 1086; Grimm WB. 4, 2, 1651.   121 Ball 35; Schuldb. 285; AB. 1, 239.   122 BSp. 115.   123 SB. Kal. 1903, 96.   124 Bund.   125 Gf. SF. 1902, 245.   126 Schwz. Id. 2, 949.   127 Wh. Ack. Ws. Wd. 369; L 2.   128 Wyß j. AR.   129 UK. 62.   130 AB. 2, 459.   131 MW. BK. 2; 2 J. 299.   132 SchM. 2, 311.   133 Michel 131. 166.   134 Käs. 169.   135 EbM. 261.   136 Ack. Ws. 301,38.   137 Wäldchen; 12,60 ha.   138 401,14 ha.   139 Grimm WB. 5, 185. J 80; schwz. Id. 3, 40 J f.   140 SB. Leuenberger-Nummer.   141 ABB, C 97 ff.   142 Ack. Ws. 577,30; Ack. 312,15; Ack. 112.   143 Ack. Ws. 614,28.   144 O 2.   145 SchM, 1, 98.   146 Eggiw. 111.   147 welche der Kommentar erörtern wird.   148 Ack. Ws. 80.   149 Ack. 39,70; E 5.   150 Wd. 13; L 2.   151 Fontes 7, 661.   152 Wh. Ack. Ws. Wd. 275,84; E 1.   153 ter = Baum, engl, tree; vgl. affol-ter = engl. apple tree = Apfelbaum.   154 JL. Brandst. 78-80.   155 E 5. Vgl. «die drei Brüder».   156 7,43 ha.   157 21,39 ha.   158 7,92 ha.   159 4,35 ha.   160 Müll. Hk. 26; GG. 2, 155.   161 Littré 1, 374.   162 Schwellenen 15.   163 Wass. 35.   164 L 1.   165 170,82 ha.   166 2,50 ha.   167 4,80 ha.   168 72,80 ha.   169 9 ha.   170 Fr. Pfr. 6.   171 SchM. 1, 186.   172 GG. 1, 102; vgl. MW. BK. 32.   173 Joggeli 23.   174 ABB. C 261.   175 ABB. B. 19.   176 Wh Ack. Ws. 91,31; F 2.   177 UK. 304.   178 MW. 2J. 214.   179 BSp. 102.   180 Schuldb. 35.   181 Käs. 49.   182 Schuldb. 50.   183 Ott 1, 233.   184 GG. 2, 125.  
 

Niederungen.

Dies «furchenfällige» Gehänge, auf welchem die vom Pflug geschnittenen und regelrecht umgelegten Furchen eben noch an ihrer Stelle liegen bleiben, ohne zu rutschen, darf also dem ans Umechräble gewöhnten Emmenthaler immer noch als erwerbenswertes Land gelten. Anders schon denken die Besitzer der mächtigen «tafelebenen» Gefilde (vgl. die ost­schweizerischen «Tablat» und «Taffleten», tabulatum). Wie ein Oberaargauer, als Kataster­schätzer nach Gadmen geschickt, ringsum an die Berge und Flühe emporschaute und endlich fragte: wo ist de da eigetlich au ’s Land? — werden Oberhasler zu erzählen nicht müde. In der Tat bezeichnet schon das ursprünglich keltische «Land» die Ebene, das Blachfeld, die Heide (vgl. auch fz. les landes). Genügsamer bezieht der Emmenthaler den Namen «Länder» auf die Bewohner des Luzerner-Hinterlandes und des herwärtigen Entlebuchs, soweit er dieses etwa von einem Bergzuge des Napf aus überblickt, und soweit er mit 26 jenen als Schweine-,1 Kartoffel-2 und Milchprodukten-Händlern3 in Berührung kommt, sie früher auch etwa als Bettelvolk4 kennen lernte. Drum wechselt Gotthelf gelegentlich zwischen den Bezeichnungen «Länder», «Luzerner»5 und sogar auch «Aargauer»,6 bzw. «Gäuer».7 Wie ja «das Gäu»,8 Äärgäu und «Thurgäu»9 die bei uns beliebte sächliche Umlautform ist und sogar gelegentlich «das Aargau»10 nach sich zieht. Übrigens geht die Bezeichnung Länder auch etwa vom Bewohner auf sein Gebiet, das Länderpiet11 über: Er het i Länder ị̆he weḷḷe.12Wart, es chunt e Länder u nimmt di! (Drohung an Kinder.)

Verwandt mit dieser Begriffssphäre ist di G’lä̆geheit, d. h. die Gegend.13 So geht der «Schulmeister»,14 die «Gelegenheit» von Gitiwil in Augenschein zu nehmen. Das Schriftdeutsche gab dem Wort, ähnlich wie der «Statt», abstrakte Wendung.

Wo das Gebirge die Norm der Boden­beschaffenheit ist, bildet jede kleine plateauartige Ausdehnung als auffällige Ausnahme einen Anlaß zur Namengebung (etwa so, wie dem Berliner ein stundenweit entferntes haushohes Hügelchen ein «Berch» heißt). Der alten Form «Ebinode»15 (verdruckt: «Ebmode»)16 von 1261 entspricht die Äbnit17 und die Chüe-Äbnit.18 Vier (1783: sechs) ungemein freundliche kleine Gütchen bilden das Äbnit zwischen Flüelen und Grünenmatt. Die Stockäbeni leitet über zum Gemeinnamen «Ebene» und zum Beiwort «eben», welchem wir z. B. in dem Satz «es isch nid es unäbes Meitli gsii»19 mundartliche Färbung erteilen.

Entspricht die oder das Äbnit begrifflich dem Plateau,20 so ist «Bŏde» ein Wort mit lat. fundus, fz. fond. Es bildet als solches einen der Gegensätze zu «Berg» (bzw. «Bergwald»: daher z. B. in Zürich die ständige Formel: «Holz und Boden»).

«Es gruenet wieder durch die Böden und über die Berge,»21 «Ein solcher Christị auf dem Bergli, ein Hansueli auf dem Bödeli» (d. h. beliebige Menschen).22 «Als einmal das Gespräch auf diesem Bödeli war...»23 «Ich marschierte trotziger drein, stellte mit den Absätzen nicht für Spaß zu Boden.»24 Daher das häufige mit Eim z’Bode steḷḷe:25 in heftiger Erregtheit ihm «den Standpunkt klar machen», so «daß man einmal weiß, wer Meister ist.»26 Z’Bode hacke: die Pflugfurchen 27 gründlich zerhacken.27 Z’Bode haa: das auf der Tenne ausgebreitete Getreide gründlich durchdreschen;28 ein Grasstück sauber abmähen: nider haa. Mit Eim z’Bode rede heißt: eine Angelegenheit gründlich und abschließend besprechen. «Einmal vor allem muß Bäbi sich waschen, und zwar z’Bode29 «Elisi ließ sich da z’Bode wohl sein.»30 Vgl. bŏdeböös, «Es gebe ja z’Bode schlechte (‹grundschlechte›) Leute, wo lebten wie die Vögel im Hirse.»31 «Ihr Gutmeinen sei so groß, daß man ihm nicht bald z’Bode käme.»32 Mit dem Heuvorrat ung’sinnet z’Bode choo.33 Z’Bode hŭ̦dle.34 «Gäb e̥s paar Tag früeher oder spẹẹter: z’Bode mues es doch sii.»35 «Aber däwääg geit’s z’Bode mit i̦s.»36 «Alles helfe einander, um einen zu Boden zu machen.»37 Einen bodige: zu Boden werfen, gänzlich besiegen.38 «Hans Berner ward nie gebodigt, sondern schlug sich, entweder durch, oder fegte die Stube.»39 — Durch Unglücksfälle40 oder auch durch liederliche Wirtschaft41 geht Vieh i Bode, Kummer und Gram bringen einen Menschen i Bode42 oder: un͜der den Boden. Der Ausdruck un͜dere Bode choo, un͜der dem Bode sii43 bezieht sich jedoch gewöhnlicher auf das allgemein menschliche Sterben; er knüpft sich an das Ausschaufeln und wieder Zudecken der Grabestiefe.

Der Gegensatz zu den Berghöfen legt nun auch eine Hervorhebung eben gelegener Güter wie den fingierten Bódehof44 oder die wirkliche Bodemátt (bei Ramsei) besonders nahe. So heben sich auch inmitten des Berggeländes ab: der Höḷzlibode45 und der Waḷdbode.46 Nach ihrer Form benennen sich ein Acker- und Wiesenstück:47 der Chäne͜lbode und zwei Güter Channebode48 auf dem Ramisberg; nach seiner Lage: der Schüürbode,49 und nach seiner Entstehung aus einem Speicher das in Wahrheit außerordentlich steile Gut Spiherbóde.50 Historischer Geltung erfreuen sich die aneinander stoßenden prächtigen Höfe Pfaffebóde51 und Ade͜lbóde.52 — Ein erst nach langem aufgebrochener Acker53 bei Rahnflüh heißt der aḷt Bóde.

«Grund und Boden» lautet ein auch bei uns geläufiges Synonymenpaar, das wir aber durch Zusammenrückung noch enger aneinander schließen: Es ist aḷḷs i Grund­bóden ahe (i Grumpóde abe) 28 vertüüflet, es geit grundbóde­schlächt u. dgl. So haben wir auch als Gütchen, die sich am Fuß eines Abhangs ausbreiten, einen Grun͜d54 und ein Grün͜dli.55 Am Ämmegrun͜d (wie das Ämmegrien gewöhnlicher heißt), steht das Grun͜dhüsli mit kleinem Umschwung. Der Grun͜dacher.

Der «Talgrund» führt als Zusammensetzung zweier Synonyme auf den Hauptgegensatz von «Berg». Wie «Berg» s. v. w. hoch, ist die Stammform «dho» mit der l-Ableitung «Tal» = tief, und dem fz. a-val entspricht mhd. gegen tal (unterhalb), ze tal (abwärts, unten). Noch Ott56 dichtete: «Zutal, da schien sie mir so schmächtig; doch jetzt, da wuchs die Kleine mächtig.» Wir erwähnen gleich hier auch die Ablautform: die Tüele, d. h. Bergmulde. Der Weg führte an Tüelen und Büschen vorüber.57 Der Hof, genannt die «Ankenballe», war an einer Bergseite in einer Vertiefung, «Dühle», auf drei Seiten gegen Wind und Wetter geschützt.58 Von der Tüele unterscheidet sich das Tal als eine Eintiefung von beträchtlicher Länge und verhaltnis­mäßiger Breite zwischen zwei Bergzügen. Daraus erklärt sich, wie in unserm so zerschnittenen Gelände ein Tal noch unter Stunden weit von ihm entfernten Bewohnern nur diesen kurzen Eigennamen zu führen nötig hat. So «das Tal» als Schulkreis von Trachselwald; so das «Tal» zwischen Goldbach und Oberried, dessen Taḷsaagi und -Müli weit in der Runde bekannt sind; vgl. auch Talacher und Taḷschüür.

Wie nun aber schon diese «Tal» auch ansehnliche Berggelände mit umfassen, so ist dies in größerm Maßstabe der Fall bei unserm Emmenthal, altväterisch gesprochen: Ämmitaaḷ. So hieße eigentlich nach geographischen Schulbegriff59 das Flußgebiet der Emme von deren Ursprung bis zu deren Mündung. Schon der Umstand jedoch, daß unterhalb Burgdorf die einst von der Emme und der Aare gebildeten Täler eins sind, beschränkt die Bezeichnung auf das Emmengebiet obenher Burgdorf, dem «Tor des Emmenthals». Dieser Teil bildet denn auch eine für sich wohl charakterisierte Landschaft. «Das Mittelland (im weitern Sinne) oberhalb der Linie Freiburg-Bern-Burgdorf-Langenthal wird durch das breite und tiefe Aaretal geschieden in das Emmenthal rechts und die Gurnigel-Gruppe links. Beide Gruppen sind ausgesprochene Tallandschaften, wo in eine Bergmasse weicherer Gesteine (Nagelfluh und Sandstein) zahllose Täler eingesenkt sind. Allein im Emmenthal sind diese Täler äußerst zahlreich und zerlegen die Bergmasse in eine große Zahl schmaler auf- und abwogender Kämme, welche oft strahlenförmig 29 in einem Punkte zusammenlaufen» (Napf).60 So zerfällt denn auch das Emmenthal mittelst einer Höhen-Unterscheidung der Talsohle über und unter 600 m in das Ober- und Unter-Emmenthal. Ihre Grenze bei Lützelflüh (entsprechend der Höhenlage des Gürbetals bei Wattenwil und des Sensetales bei der Schwarz­wasser­mündung) wird zudem noch dadurch gebildet, daß bei Schaffhausen die Hügelreihen einerseits gegen Goldbach, anderseits gegen Hasli auseinander­weichen und so das Emmenthal sich «mächtig» öffnet. Hiedurch verliert es auch das düstere Aussehen.61 das seine «wüsten schwarzen Berge»62 dem ersten Blick des Fremden bieten; und auch wer sich einmal in diesem «Labyrinth von Hügeln»63 etwas zurechtgefunden, gibt zu: «Ein freundlicher Winkel der Erde ist das Emmenthal dennoch.»64

Emmensteg zwischen Rahnflüh und Rüderswil.

Von weniger Belang ist, dank den nicht spärlichen Stegen (Abb.) und Brücken über die Emme, eine alte Einteilung des Emmenthals «diesseits und jenseits des Wassers»65 — wovon der linksufrige Teil von Burgdorf bis zum Worblental sich erstreckte. Eine solche Teilung traf behufs Einzugs der Einkünfte das Kiburger-Urbar von 1261, welches vermutlich der jüngere Graf Hartmann in Burgdorf anordnete.66

30 Von der politischen Landschaft Emmenthal = «Landgericht Rahnflüh» war (S. 16) bereits die Rede.

In der Helvetik (1798-1808) galt eine neue politische Unterscheidung in das Ober- und Unter-Emmenthal mit den Hauptorten Langnau und Sumiswald. Ihr entspricht teilweise, nämlich mit Einbeziehung des Amtsbezirks Konolfingen, die heutige Abgrenzung des politischen Kreises «Emmenthal». Durch dieselbe werden in sehr unnatürlicher Weise die Gemeinden Hasli, Oberburg und Burgdorf (als zugehörig zum Amt Burgdorf) vom Emmenthal abgetrennt und dem Oberaargau zugeteilt. — Noch haben wir uns abzufinden mit dem Begriff Klein-Emmenthal. So hießen (oder heißen etwa noch) einige Höfe im Kirchspiel Ursenbach (Oberaargau), die aber im alten Gericht Affoltern (im Emmenthal) lagen.67

Wieder führt uns eine Zusammensetzung wie Taḷgrăbe einen Schritt weiter. Ein solcher «Graben im Tal» zieht sich stellenweise ziemlich eng und ziemlich tief gegen die Walkringen-Grenze hin, wo auf ausgedehntem Abhang die von Jahn68 besprochene und skizzierte «Erdburg beim Jegerlehn» (besser nach heutiger Benennung: die Schmidslehn-Burg) zu suchen ist.69

Auch im übrigen Bernbiet «gibt es gar manchen Graben»;70 nirgends jedoch, so häufig wie im Emmenthal, wo «das Werk des fließenden und ausfurchenden Wassers» mit ebenso eigenem Ausdruck Grăbe genannt wird, wie es in der Ostschweiz «Tobel» heißt.71 In diesen Tälchen «schafft das allenthalb sprudelnde Wasser die schönsten Wässerwiesen»,72 und voll des üppigsten Grüns der Matten und Obstgärten zeigen sich dem Wanderer von Burgdorf talauf von links und rechts diese sogenannten «Gräben».73 Drum sind auch gleichmäßig bewohnt «Gräben und Eggen»74 — immerhin beide mit Unterschied. Vom gutbewohnten Graben weg, der sogar ganzen Gemeinde­bezirken oder Gemeinden wie dem Hornbach- und Wyßachengraben, dem Rohrbach- und Fankhausgraben u. dgl. den Namen leiht, wartet des vereinsamten Wanderers bald einmal der Anblick eines wild-schönen, aber unbewohnbaren Grabens z. B. im Quellgebiet der Grüne. Schließlich kann ein solches Tobel ausmünden in einen wild zerklüfteten, steilen, unwegsamen Felsenhang, wo es selbst für den gewohnten Bergler nümme schön ist, sondern wo es eben grẹbelig, d. i. abschreckend, unheimlich aussieht. Dieses «grĕbelig» wird auch auf das entsprechende Gebahren eines ungehobelten, rohen Menschen, eines Grẹbe͜l, angewendet. Allein selbst 31 der bewohnbare Teil eines Grabens bildet (auch im Bewußtsein des Bewohners) keineswegs immer das Ideal eines Aufenthalts. Drum erscheint der Grebler dem im Verkehr abgeschliffenen Städter und Dörfler gern als der Hinterwäldler, «der sein Lebtag nie anders aus seinem Graben kömmt, als wenn er Kindbetti haben muß»,75 und daher auch «so abergläubisch bleibt, wie das dümmste Grabebaabi76 Aus solchem Böotien heraus gilt es junge Leute, für die nes doch schad wär, bei Zeiten heraus zu retten. Drum die eifrige Zurede eines Handels­beflissenen: «Los, mịs Bäbeli, wosch du dĭ̦r Läbtig i dem Graben inne hocke?»77

Mit Ausnahme zweier bewohnter Güter: des Waḷthus­grábe78 und des sehr unfreundlich schattigen und winterlichen Grabelóch79 und des Hofgrábe,80 sowie eines Ackerstückes Grabe,81 gehören bei uns in diese Kategorie lauter Waldstücke: Grăbe, Huebgrabe, Fuchs-,82 Roßbach-, Zịịße-, Siele-, Mosmatt-, Reckeberg-Grabe, Hundsgrabe.83

Ablautform: Gruebe. Die Chooḷgruebe.84

Als Synonyme gehören zusammen Grabe und Chrachche. Auch z. B. Adelboden zu oberst im Frutigtal «hat fünf Täler oder Krachen.»85 Doch ist das Wort vorzugsweise emmenthalisch, und ist ein herabsetzender, verächtlich klingender Ausdruck für einen abgelegenen, unwirtlichen Graben mit enger oder ganz fehlender Talsohle. Drum figuriert auch «Chrache» nie als Eigenname. «Das ist i der Stadt es an͜ders̆ Läbe wẹder i eune Chrächen inne!» ruft jener befreiungseifrige Werber.86 Umgekehrt hätte die als Vorsteherin in eine «Spinnwebe» Geratene «es ringers̆ Läbe ghaa aḷs Schulmeisteri dert i däm Chrache,87 an deren Bergwänden man sich doch bei jedem Häuschen auf die Seite drückt, damit es einem nicht auf den Kopf komme.»88 Einen andern Vergleich hörten wir von einem geigenkundigen Lehrer, den zwei einen Graben einschließende Gräte einluden, auf dem einen zu sitzen und an den andern als Pult sein Notenheft anzulehnen.

Der in der Regel langgezogene «Krachen» erinnert mit seinen Windungen an das ebenso beschaffene (an Lauterbach grenzende) «Krauchthal», Chrouchte͜l, «Krochthal».89

Ein konvex oder auch konkav gewölbter Talstreifen, der sich einer Berglehne parallei hinzieht, heißt eine Gụmm. Man vergleiche damit die «Combes» in der Jura-Formation90 und mittellat. comba (Einsattelung),91 32 neben romanischem gamba (Gambe = Kniegeige), fz. jambe (Bein, eigentlich Kniebug, wie jambon s. v. w. Schinken, unser «Scheiche»). Die Gumm92 bei Ramsei. Der Gummacher93 und der Gummwaḷd. Das Gummi (Hochwald),94 der Gumme͜l (zu Brandis).95 — Zu gamba gehört: Gammete («Gammental», Weiler zu Sumiswald), woher das sehr häufige Burgergeschlecht Gammeter.96 Ein Jaggi Gammeter nahm 1653 an der Landsgemeinde Sumiswald teil.

Hŏle ist zunächst s. v. w. Hohlweg. So die Schrịịbers̆­huebhŏle auf der Egg97 und die Tootehŏle am Bĭ̦fäck.98 Der letztere, sehr abschüssige und bei Glatteis schwierig zu befahrende Hohlweg trägt seinen Namen von der im Winter oft bedenklichen Leichenfuhr ab dem Eggbezirk. Von Frühling bis Herbst dagegen gestaltet der herrliche Buchwald für gliederstarke Leute beide Hohlwege zu einem anmutigen Spagziergang. — Hole heißen auch zwei an einem Hohlweg liegende Heimwesen zu Grünenmatt,99 und die liebliche Bergpartie bei Rahnflüh.

Verwandt: das Rohr, prächtiges, sehr «hilbes» Heimwesen am Fuß des Ranflüh-Berges, mit kunstreichem, gut besetztem Pflanzengarten.100

Äußerst häufig erscheint das Loch. An mhd. lûchen (schließen) anknüpfend, bedeutet «Loch» zunächst das Gefängnis, wie es aus dem cachot der Kaserne bekannt ist. Übertragen: ein unfreundliches, dunkles Gehalt.101 Dann überhaupt Vertiefung, in die man etwas vergräbt, verlochet. Besonders eine Vertiefung ohne Abfluß (Dräckloch), verglichen mit einer Angelegenheit, die nicht vom Fleck will («hic hæret aqua»). «In Burgdorf ist noch alles im gleichen Loch.»102 Sụụffe wi nes Loch. «All ihr Hetzen helfe ihr nichts, als se̥ säḷber i’s Loch z’schlaa103 «Loch» ist aber auch eine enge Öffnung, durch die man (zur Not) den Ausweg findet. Vgl. die Bezeichnung Gotthard­loch für den so kunstreichen Tunnel. «Daß in Basel das Loch sei, wo man zum Land aus könne...»104 Insbesondere die Türöffnung.105 (Dert het der Zimmermaa ’s Loch gmacht!). Auch der Mund.106 «Das Jauchzen war ihnen auch gerade zunächst unter dem Loch.»107 Es ist wider öppis an͜ders̆ un͜der dem Loch: eine andere Frage soll «aufs Tapet».108 Übertragen: Wohl, iez git ’s Loch.109 Ein Ausweg, den man nur mit persönlicher Schädigung gewinnt: «Zwoo Schwestere sigi afe dür’s̆ Loch (ökonomisch ruiniert), die dritti wärd (als Geltstagerin) o nahe müeße.»110

D’Hole (bei Rahnflüh).

33 Was das Loch topographisch ist, zeigt in klassischer Weise das «Rebloch» zwischen Eggiwil und Schangnau: jenes etwa 20 m lange hausfirstartige Gewölbe, gebildet vom senkrecht abstürzenden Älpchen «Rebenweidli» links und einem ebenso steil sich erhebenden Nagelfluh-Felsband rechts.111 Solche «Löcher» sind im kleinen: Die Waldstücke Loch und Flüehloch (’s Chesseli vo mene Näbenuusgrebli), sowie zwei Lochwald. Acker- und Wiesenstücke sind ’s Löchli112 und ’s Schnäggeloch.113 Gütchen: ’s Grabeloch (S. 59) und ’s As̆pilöchli.114

Das Hohḷ der alten Eiche als Ort eines Vogelnestes.115 Das Mụ̈ụ̈sehohḷ (oder der Mụ̈ụ̈se­schlŭ̦ŭ̦f): das Mauseloch. Das warme Hŭ̦li (Bett).116 «Das Külli» (kleine Vertiefung).117 D’Hẹḷḷ (Hölle, zu «hehlen», bergen) heißt eine tiefe Schlucht bei Neuegg unweit Schaufelbühl, wo die Bärenjagd des Ritters von Brandis anhob.118

Ein sicheres Versteck, besonders Höhle, Lager für Wildtiere, die daraus hervorspähen oder luege, heißt ahd. «das» luog. Zu ähnlichem Zwecke: Schutz und Warnung vor Feinden, übte ehemals der Bergbewohner solches Luege auf Hochwachten und andern aussichtsreichen Anhöhen, von denen die 890 m hohe Lueg im benachbarten Affoltern die besuchteste ist. Sie bedeutet, was anderwärts, z. B. am Gurten, der «Spiegel» (specula, zu speculari, ausgucken). Heute ist eine solche «Lueg über ’s Land»119 eine der bevorzugten Höhen, von welchen herunter die alten Sonnenwendfeuer am schönsten loderten, die heutigen Freudenfeuer zu Ehren des ersten Schweizerbundes am hellsten flammen.

 
1 UK. 285.   2 AB. 1, 9.   3 Käs. 182.   4 BSp. 326; BwM. 114; SchM. 2, 325 Hauswirth 1, 63.   5 SchM. 1, 28.   6 SchM. 2, 325.   7 UK. 285; Hs. a.   8 AR. 1822 158.   9 Widm. 64.   10 Kurt 11.   11 Wass. 10.   12 EvE.   13 Vgl. engl. situation = Platz, Anstellung.   14 1, 357.   15 Fontes 2, 536.   16 Kib.-Urb. 160.   17 Ack. 492,39, vgl. O 1, C 5, F 5.   18 40 ha.   19 MW. BK.   20 so daß die Orographie es in die konvexe Bodengestaltung einzureihen hat.   21 Ztgst. 2, 154; vgl. Schuldb. 111.   22 Arm. 34.   23 AB. 2, 483.   24 SchM. 1, 323.   25 AB. 1, 160. 387.   26 GG. 1, 93.   27 UP. 252.   28 UK. 173.   29 Ztgst. 2, 174.   30 UK. 274.   31 Schuldb. 65.   32 Sonnt. 101.   33 Schuldb. 159.   34 Ztgst. 2, 93.   35 Dursli 261.   36 MW. Ws. 30; vgl. 2J. 215.   37 GG. 1, 51.   38 Dursli 251; EvE.   39 Berner 243.   40 GG. 1, 33.   41 Segen 80.   42 Herden. 3, 23.   43 AB. 1, 118.   44 UK.   45 Wd. 40.   46 Ack. 188,75.   47 734, 90 ha.   48 Wh. Sp. Sch. Ack. Ws. Wd. 897; Wh. Sp. Schüürli. Ack. Ws. Wd. 468; G 5.   49 Ack. Ws. 217,70.   50 Wh. und Häuschen Ack. Ws. Wd. 675,55.   51 Ws. Wst. Häuschen Sp. Sch. Ack. Ws. Wd. 1122; E 6.   52 Wh. Wst. Häuschen Sp. Sch. großes schönes Bienenhaus Ack. Ws. Wd. 3062; E 5.   53 97 ha.   54 Wh. Ack. Ws. 53; O 1.   55 Wh. Sp. Ack. Ws, Wd. 483; O 1.   56 1, 233.   57 Ger. Tw. (1789).   58 Ztgst. 1, 4.   59 vgl. auch Wass. 47.   60 Walser im geogr. Lexikon d. Schweiz 1, 19 f.   61 Arm. 160.   62 Besuch 147.   63 Kuhn AR. 1822, 58.   64 ebd.   65 Kib. Urb. 160.   66 ebd. 150.   67 Hauswirth (1783); Tribolet 23.   68 «Em.» zu Anfang.   69 O 2.   70 Raben 208.   71 Wals. Sch. 38.   72 ebd.   73 Fröhlich VI.   74 Wass. 20.   75 BSp. 368.   76 Erbv. 74.   77 Lischeb. 19.   78 D 4.   79 C 6.   80 Wh. Ack. Ws. Wd. 266,42; C 6.   81 101 ha.   82 O 4.   83 L 1.   84 Ack. 353.   85 AR. 1819, 336.   86 Lischeb. 19.   87 MW. Ws. 29.   88 Jacob 2, 239.   89 Fontes II, Register 41.   90 Wals. Sch. 29, 31 f.   91 Brienz 8.   92 Ack. Ws.   93 187,68 ha; F 4.   94 1784 ha.   95 Ack. Ws. 196,85.   96 schwz. Id. 2, 299.   97 D 5; Dorfk. 1871, Bg. 7.   98 E 5.   99 Wh. Sp. Ack. Ws. Wd. 167; Wh. Ack. 37,24.   100 Wh. und neuer Wst. Sp. Hh. Ack. Ws. Wd. 1644.   101 UK. 185.   102 An JR. 102.   103 Geltst. 199.   104 SchM. 2, 257.   105 GG. 2, 144.   106 Kongreß 164.   107 Käs. 384.   108 Vgl. Ztgst. 2, 94.   109 Schuldb. 308.   110 Geltst. 277.   111 Eggiw. 47.   112 192 ha.   113 170 ha.   114 Wh. Sp. Ack. Ws. Wd. 845.   115 BSp. 346.   116 BwM. 104; Nschwand. Alp. 71, 73.   117 Wyß j. AR. 1826, 106.   118 Wass. 43.   119 Sintram 35.  
 

Wasser.

Eigenschaften und Namen.

H

 

errlich ist das Wasser, das überall aus Felsen bricht1 — wie im gesamten Emmenthal, so auch im Hügel- und Talgelände Lützelflühs. Vortreffliches Wasser haben, laut Pfarrer Schweizer in Trub,2 namentlich die gegen Norden und Westen fließenden Bergquellen, während die gegen Süden rieselnden «tuftartiges» Wasser führen. Starken Gehalt an Tuff (Dŭ̦ft) konstatiert auch Hauswirth.

Lụterbach nennt sich nach ihrem frischen und muntern Bergwässerchen eine der beiden Enklaven von Lützelflüh.

Er hat helle Tränen geweint: ’s lụter Wasser ’briegget; ’s Augewasser ist ihm choo «wi ne Husbrunne»;3 ’s Wasser (der Angstschweiß) «isch uber ihn ahe glüffe wi ne Bach.»4 Zum sekretorischen Gebiet gehört auch das Wasser, mittelst dessen der Wasser­g’schauer der Volksmedizin die Wasser des Zulaufs uf si Müli reiset.

Zu schweigen von all den sonstigen «Wassern» und «Wässern», in denen unser Betrachtungs­kreis nichts besonderes bietet, notieren wir bloß noch das Landwasser, d. h. den beträchtlichen Fluß der Talebene gegenüber den Runsen des Gebirgs. Dem Landwasser nach geht und fährt man heute lieber als wie ehedem über Hügel und Abhänge. Den Landwassern nach ist aber auch die Überschwemmungs­gefahr am größten, weshalb 1766 die Berner Regiernng verbot, «allen Landwasseren nach, wo hohe und erdbrüchige Pörder und Gräben sich befinden, einiges Holz zu hauen, oder zu reuten.» «Allen Landwasseren nach» sollen die Schwellen­pflichtigen «das Nötige vorkehren» und insbesondere von mitgeschwemmtem «Holz, Gewürz, Stöcken und Bäumen die ordinari Rüns oder Canäl der Landwasseren» fleißig räumen.5

35 Wenden mir uns zu einigen verdunkelten Bezeichnungen für «Wasser». Zu Lützelflüh gehört ein Sụrbach (vgl. auch die Suhr, Surenen u. dgl.): nach Brandstetters Deutung6 zu sur (Bach, Fluß, Wasser, also — wie so häufig — Erläuterung des ersten Wortteils durch den zweiten), wenn anders der Qualitäts-Wechsel der beiden -u- sich so leicht macht. Ebenso gehört zu Oberried ein Hof Saarbe = Saarbaum. Dieser Name der Pappel, die anderwärts auch «Sarbache» heißt, stellt sich zu sar, der hochtonigen Form neben sur, und bedeutet den mit Vorliebe an Bächen wachsenden Baum.7

Eilig fließendes, heftig einherstürzendes Wasser bedeutet auch — was niemand fachlich streitig machen wird — der Name der Ämme (1267 «Emmen»;8 1249 und 1344, «Emmun»;9 1261 «Emma»).10 Die Prosa dieser Deutung11 schadet in nichts der poetischen eines Kuhn und Gotthelf. Jener nennt die Emme launig «die launische Emma»,12 dieser «eine wilde, zornige Jungfrau»;13 schön aber trägt sie ihren Namen als Denkmal der Jugendliebe eines MönchsF zu seiner Lebensretterin.14

Allgemein bekannt ist für fließende Wasser das urgermanische achwa, lat. aqua, woraus nach etwas komplizierten Lautgesetzen15 die Formen 1. aha = «Aa», 2. «Au», «Aue» und 3. das echt alemannische Ei (Öya, Öy, Oia, Oien, Eia, Eion)16 sich ableiten. So erklären sich die Eimatte und Eischüür am Fuße des Brandishubels; so die Jụbelei (nach dem topographischen Atlas «Hubelei»)17 nächst Walkringen. Beim Dorf Lützelflüh: die Bernei.18 Rámsei: Eisenbahnstation, Postablage und Gasthof, Mühle und Krämerei, Bauernhof; etwa als «Unter-Ramsei» unterschieden von Ober-Ramsei.19 Ein (nicht häufiges) Burgergeschlecht heißt Ramseyer. Bedeuten uns «Au» und «Ei» buchstäblich die «wässerige» d. h. vom Wasser durchflossene Gegend, so anderwärts20 das umflossene Gelände. Für letzteres haben wir das Wort «Insel». So bilden auch der Talgrabenbach und der Mühlebach zu Oberried das Inseli.21

Der hinter Eggiwil in die Emme fließende «Sorbach» (zu soor22 dürr, trocken) erinnert an unser versooret (ausgetrocknet). Überlang und wiederholt warmgestellte Speisen verlieren Kraft und Saft, sind 36 uusg’sooret, versooret. Ein ab- oder ausgezehrt Umhergehender sooret nume so de̥s ume. Abgsooret: ausgezehrt.

Wie der Sorbach, liegt auch der Dü̦ü̦rbach23 (oder die «Dürre») bisweilen trocken. (Vgl. auch Orte wie «Dü̦̆ü̦̆rmü̦̆li» zu Nieberbipp.) Kein Wunder: der von ihm durchflossene Tü̦̆rgrábe zieht sich längs der steil abfallenden Südseite des zu Zeiten wasser- und futterarmen Dü̦ü̦rbärg hin, um unterhalb Grüennemátt in die Grüenne zu münden. Zwischen den Abdachungen dieses Düür- und des Ramisberg bildet dieser Bach zu seinen guten Zeiten, wo er weder an Wasserarmut leidet, noch durch Überfülle schädigt, eine der lieblichsten Partien des ganzen Geländes und gestaltet einen Spaziergang über die staubfreie Straße zu einem wahrhaft erfrischenden Genuß. Hinter den Gütern Vorder-Dü̦ü̦r,24 Hin͜der-Dü̦ü̦r25 und Dü̦ü̦r-Neuhuus an der sanften Westabdachung des Dürrberg, sowie der Fuhrli-Mátte am Abhang bes Ramisberg folgen wir der Umbiegung des Bachlaufs und durchwandern den ebenfalls lieblichen Türgrábe, welcher dem ganzen bergigen Gemeindeteil innerhalb des Dorfes Trachselwald und dem Post­vertragungskreis «Dürrgraben» den Namen erteilt hat.

Ein Gut zu Lauterbach heißt die Tröchcheni. (Von dieser Bezeichnung eines trockenen Bodens unterscheidet sich die Tröchchni als Trocknungs­anstalt z. B. für gefärbte Stoffe.) Er ist uf der Tröcheni heißt bildlich auch: in Geldnot («Geldklamm»),26 gleichsam wie ein auf den Sand geworfener Fisch (vgl. fz. au sec).

Tröchne ist trocken machen, trochne: trocken werden. Der Tröchni ist ein trockener27 Mensch, idealloser «Philister»; auch es Tröchni­buḷver (von der Kleinkinder­pflege her automatisiert), «Trocken» heißt trochch oder trochche. E so nes troches Hüesteli (ohne Auswurf) gilt unter Umständen Besorgten als verdächtiges Vorzeichen, während einer, der sich wohlgemut einem unausweichlichen Regenguß oder Wasserbad ausgesetzt hat, sich tröstet: «Aba, i bi naß gsi gäb troche!»

«Naß» wird verstärkt zu băchnáß (nicht ‑chch-), flä̆dernáß, fletternaß,28 flätschnáß, dräckflätschnaß. — «Im Wein herum flotschen».29 «Bis an den Hals in Milch und Anken flotschen»;30 «in der Milch flotschen, wie Enten in einem Weiher».31 «Strub nnd flotschig»: vom Wetter und Weg.32 «Ist’s diesen Winter auch wieder flotschig gewesen bei Euch?»33

37 Erzeugt das Flotschen in seichter Flüssigkeit ein helleres, so das Glu̦ntschen in tieferem Naß ein verschwommen dunkles Geräusch. So gluntschet die Milch in der Tanse, gluntschet auch ein plump ins Wasser fallender Gegenstand.

«Mi Ma ist mir i d’Emme gfalle,
I han e ghöre gluntsche.
Hät i ne nit bim Bart erwütscht,
Hätt i ne nit bas ahe trückt,
So wär er nid ertrunke.»34

Ein beträchtlicher Fall aus der Höhe erzeugt ein zischendes Geräusch unter Schaum­entwicklung: gäutsche. «Dir geutschit ja (ob dem Zanken) der Gaffee uus.»35 Vergäutschleti,36gäutschleti (durch häufiges Umgießen abgestandene) Milch.

Ähnlich ist plĕtsche: Erzeugen einer Woge, die über den Rand des Gefässes hinausdringt und mit Geräusch — Platsch — breitwürfig am Boden aufschlägt. «Freu di, Gurge͜l, es chunnt e Platsch!» (dem Säufer Zimp-Häiseli — um 1860 — in den Mund gelegtes Diktum). «Platschvóḷḷ».37 In einer Art kosender Schelte wird eine reichlich milkende Kuh e Milch­plẹtsche genannt. Nach dem für sich allein ins Auge gefaßten Moment der schwankenden Bewegung heißt es von einem schwerfällig langsam Einhergehenden: Da chunnt er o dahar z’pletsche. E rächte Plẹtschi!

Ein absichtliches Auf- und Ab- und Hin- und Her-Schwenken im Wasser, wie die Wäscherinnen es üben, heißt schwădere. (Verwandt ist schwădle und mit diesem: Schwadronieren, Schwadron, Geschwader.)

Unsauberes Herumhantieren im Nassen ist chŏsle. «Die schmucksten Mädchen an Markt und Tanz» seien zu Hause nicht selten die wüsteste Chŏsle.38 Ähnlich sü̦̆dle (aber nicht sudeln): «Das Kind war bald beim Brunnen, bald beim Weiher; denn Südle und Dräckele ist allen Kindern angetan.»39 — Dagegen ist sü̦̆dere: Ausgießen einer Flüssigkeit in spärlichem und häufig unterbrochenem Strahl. D’Miḷch versüdere (vom Kind). «Die ganzi Nacht wei mer no nit da zsämesitze und südere» (Tränen vergießen).40 «Kellerjoggis versüderete (Trief-) Augen.»41 Eine Südereten.42 Säusüdere: gepantschter Wein,43 überhaupt eklig behandelte Flüssigkeit. Sŏdere: Speisen wässerig und gehaltlos bereiten.

Verschieden von schriftdeutschem «schütten» und «beschütten», ist schütte (gießen) und bschütte44 (übergießen) auf Flüssigkeiten eingeschränkt. «Die einen Gemüter schütten Galle in einen Huṇ’ghafen, die andern Balsam in jede Wunde.»45

38 Falls nicht wie «Sprützlig» (windiger Großtuer) zur «sprießen», sondern zu sprütze — «spritzen» gehörig, ist sprü̦tzig = 1. zu feindseligem Bespritzen aufgelegt, 2. polternd, protzig, 3. trotzig, unnahbar. «Die Mädchen waren sprützig, kurz, spannen an keinem angefangenen Gesprächsfaden fort.»46 Zu dem Iterativ «spritzen» gehört als Intensiv: «spreiße»;47 Bschütti verspreiße.

Reichlich angesammelte Flüssigkeit: e Schwẹtti.48 Spassig übertragen: Jez hei mer wider e Schwetti g’lachet! — Zu der Gruppe seihen, seigen, seicht, seichen, (ver-)sigen, sich-ten, si-n-ken, «sickern», wozu noch «seigern»49 («viel Lehmerde, in die sich oft noch Wasser seigert») gehört der Name des (häufigen) Burger­geschlechts Siegenthaler (-ĭ̦-).

Statt vom Wasser, das durch eine enge Öffnung rinnt, sagen wir vom Behälter: er rü̦nnt, ist rü̦nnig (durchlässig). Der spottende Zuruf: «Du hest e rü̦nnigi Nase!» zeigt den Weg dieser Subjekts­verschiebung. — Wasser durchlassend heißt «leck», gut oberdeutsch: «lech», und daraus entwickelt sich (neben «lech-zen») unser erlächchne: der Züber ist erlächnet. «Wo einer eine verlechnete Klarinette wußte, stieg er mir auf den Leib.»50 «Verlechnet vor Hunger und Durst.»51 «So verlechnet war ich aber lange nicht, wie damals, als wir auf Wynigen kamen.»52 — Mir wei wösche. Aber d’Wöschbütti ist erlächnet, mi mues se z’gschwaḷḷe tue. Die ịị­g’schwaḷḷete Pfäister.53 Das Pfäister geit nümmen uuf, es ist ganz ver(g)schwaḷḷet.

 
1 Elsi 42.   2 34, 111.   3 UK. 123.   4 MW. 2J. 176.   5 Schwellenen 15. 5. 11.   6 Gfd. 42, 186.   7 ebd. 185. Beide Stammsilben sind uns im Worte «S-t-ro-m» näher gerückt.   8 Fontes II 694.   9 II 314; VII 74.   10 II 535/6 = Kib. Urb. 157.   11 vgl. dazu altgallisch ambis = altindisch ambhas = lat. imber (= heftiger Wassersturz).   12 AR. 1822, 50, 56.   13 Käthi 23 Hs., vgl. Wass. 36.   14 Sintram 141.   15 Streitberg urgerm. Gramm. § 122; Braune ahd. Gr. § 114.   16 Fontes VI.   17 Wh. Ack. Ws. Wd. 409; O 2.   18 Wh. Wst. Stöckli Ack. Ws. Wd. 454,20; E 3.   19 Wh. Sp. Stampfi 67,33.   20 ZB. in Ska-n-din-avien = Walfisch-Halbinsel.   21 Ws. 4,77.   22 Gfd. a. a. O.   23 AR. 1822. 70.   24 Wh. Wst. Sp. Ack. Ws. Wd. 1307.   25 Wh. Sp. Sch. Ack. Ws. Wd. 1017,87.   26 Heiri 122.   27 AB. 1, 116.   28 Besuch 159.   29 Geltst. 89.   30 UK. 13.   31 AB. 2, 486.   32 Käs. 25.   33 An AB. 65.   34 AB. 2, 229; KL. 02, 828-830.   35 Lischeb. 5.   36 JoSt. Alp. 188.   37 Heiri 124.   38 Joggeli 35.   39 Schuldb. 42.   40 MW. Vs. 126.   41 GG. 2, 97.   42 SchM. 1, 328.   43 Ztgst. 2, 96.   44 AB. 2, 396.   45 SchM. 2, 100.   46 Michel 197.   47 UK. 131.   48 Dursli 265.   49 Eggiw. 111; H. Paul WB. 412.   50 SchM. 1, 254.   51 1, 233.   52 AB. 125   53 SchM. 2, 368.  
 

Fisch und Krebs.

«Tiefe Furchen zieht das Schiff in den großen Wasseracker.»1 Dies hochpoetische Bild, welches wie andere an das «Pflügen des Meeres» mit dem Ruder und an das «Fahren» der Riester durch den Boden erinnert, hat seinen prosaisch praktischen Doppelgänger in dem vielsagenden Satz:2 «Das Wasser ist ebenso reich als das Feld, wenn man es gleich dem Felde bestellt.» Denken wir an die nun auch in Lützelflüh heimischen elektrischen Installationen; an die Bewässerung der Wiesen zu landwirt­schaftlichen Zwecken; an die (hier kurz zu erörternde) «Fischerei».

Fischeten ist Fischfang. «Hier kriegte Mädi eine Fischete»,3 d. h. reiche Befriedigung seiner Neugierde. Die Bähre ist das Spannnetz, ursprünglich «aus Weidenzweigen»,4 nun aus Seilgeflecht mit hölzernen 39 Spannbogen. Enan͜dere d’Fisch i b’Bähre jăge5 oder spränge6: sich gegenseitig Vorteile zuwenden. «Selbst ein Fürsprecher spannte (im Gewühl der Tänzerinnen) seine Bähre auf.»7 «In eigentümlichen (Stell-) Netzen, welche man Wartlef (Waarle̥f) nennt, fing Kurt8 Forellen in der Nähe ihrer Laichplätze.» In den bis 30 m langen Schleppnetzen (Ämme-Netz) aber werden zu gegebenen Zeiten die Fische den Bähren entgegen­getrieben.

Daneben erscheint der Ange͜l kaum erwähnenswert. Die Angelfischerei unterlag denn auch im Mittelalter keiner gesetzlichen Regelung, und bis heute gilt sie als bloßer Zeitvertreib für junge und alte Müßiggänger. Ihre «Praxis» steht etwa auf derselben Stufe der Eigentums-Respektierung wie die Jagd mit dem Ru̦nggle-Padänt. Dieses Padänt «ist kein Patent»;9 ohne solches, überhaupt ohne weitere Umstände durchsucht der Wilderer Runkel­rübenfelder und ähnliche Verstecke der Hasen.

Achtungswürdiger schon erscheint das Erhaschen seiner Fische mit bloßer Hand «in den sogenannten Läufen, wo das Wasser einen gewissen Zug hat.»10 «Jetzt hatte man den Fisch beim Kopf» (und mußte dumm tun, um ihn wieder entwischen zu lassen.)11

Die Anbahnung rationeller Fischerei beschränkte sich bis jetzt auf Verpachtung obrigkeitlicher Fischereirechte (Fischezen,12 im Volksmund: Fischsetzen); auf Abgrenzung von Fisch-Schonrevieren, zu welchen z. B. 1866-69 die Emme zwischen Ilfis und Heimiswilbach gehörte, und Aussetzung junger Forellen aus Brutanstalten, wie deren eine der Schwellenmeister Rüfenacht im benachbarten Hasli bis 1900 unterhielt.13 Von größerer Bedeutung ist trotz den geeigneten Gewässern die Fischzucht nicht. Denn «Fische sind für meisterlose Leute»,14 die ein Leben zu führen lieben, wie Hansjoggeli am Bach het lutter guet Sach; het Fischeli z’Morgen und Chräbseli z’Nacht,15 oder umgekehrt.16

Nicht an Fischen, wohl aber an Fisch-Arten sind die Emmenthaler-Gewässer arm. Laut Hauswirth (1783) bargen Ilfis und Emme auch «Äschen», «aber nicht viel». (Einzahl: der «Äsch»; die «Äsche» ist eigentlich Mehrzahl aus «der Asch»17 oder «der Asche»). Nach Vater Rüfenacht dagegen bargen sich vor der Emmenkorrektion recht viele 40 Äschen in den Höhlungen des alten Schwellenwerks; die Vorsicht, womit kei Äsch in e Waarle̥f schlụ̈ụ̈ft, schützte sie vor der Ausmerzung, die nunmehr erfolgt ist.

Um so reicher und feiner ist das Geschlecht der Bachforellen vertreten, und zwar so ausschließlich, daß im Volksmund «Fisch» schlankweg s. v. w. Foorne oder (schulmäßig) Fóräḷḷe bedeutet. So ist z. B. der Fischbḁch durch Reichtum an Forellen ausgezeichnet. — «Das waren Fische! Jeder eine starke Mannshand hoch, und waren dazu Goldforellen mit dem schönen rosenfarbenen Fleische, das schmeckt wie Haselnüsse.»18 Das konnte ein Bitzius wissen, der auch selber einen (noch bestehenden) hübschen Fischteich besaß,19 seine Fische eigenhändig fütterte20 und sich herzlich am muntern Treiben der Tiere ergötzte: gleitig wi n es Föörndli, g’sun͜d wi n e Fisch im Bach. «Es gibt hübsche Meitschi, glatt wie Bachfornen, aber eitel.»21

Dagegen sind Hụ̈ụ̈rlig,22 Barsch, Alet u. dgl. im Emmenthal nicht zu finden; der gar nicht unter die Fische gezählte Gropp aber (die Groppe, der Kaulkopf, Cottus gobio) fordert den Spott heraus. «Churzum, der Hansli Sooselisoo, dä ist mit Gwalt ga wiibe; doch ieze wär er grüsli froh, er hätt’s no chlii la bliibe. Si treit ị̆hm’s Gält schochwiis i d’Wält und schlaat ne, dass er hoppet. D’Lüt lache, dass es wit hi gällt: dä fischet nid, dä groppet23 Als Groppenfänger also tötet ein Mann seine Existenz — tötet ein Knabe seine Zeit. Wie denn zu den lebhaftesten Erinnerungen des Schulmeisters24 und Gotthelfs selbst25 das Bächlein gehört, «in dem ich Groppen und Krebse fing, die Brücklein, unter denen ich gefischet oder gekrebst.»

Chräbse ist also zunächst s. v. w. Krebse fangen, was sich zu Hauswirths Zeit besser gelohnt zu haben scheint als schon in den Tagen Kuhns26 und vollends in der Gegenwart, wo eine Art Pest da und dort eine fast völlige Vernichtung herbeigeführt hat. Wie aber das gefangene Tier, seines Lebens sich wehrend, zappelt, so heißt chräbse auch: ohne Aussicht auf Erfolg sich abmühen. (Einmal in der Regierung sitzend) «ließ Hans seine Grit daheim krebsen, er lebte flott in der Hauptstadt.»27 Wie endlich der Krebs — die Greifzangen als Füße genommen — «hin͜dertsi geit» wie der Seiler, so ist (hin͜dertsi) «chräbse» auch ökonomisch in Rückgang geraten, «in Krebs gehen»28 oder «kommen».29 Von unverkauft an den Verleger zurückgehenden Büchern als «Krebsen»30 spricht der Buchhändler.

41 Der Leich = die Laichzeit; die Reihe (Turnus): die Obsternte ist «im Leich»,31 die Leberwürste;32 der Bohne-, der Chirs̆i-Leich. Mit eim leiche: lebhafte Geselligkeit pflegen. «Mit solchen (verächtlichen) Menschen laichen»33 (sich abgeben). «Der junge Metzger verachtete alles, was nicht mit ihm schwitisierte, laichete.»34 (Anderer Herkunft ist das gleichbedeutende lejje.)

 
1 SchM.1, 268.   2 Volksw. 3, 301.   3 AB. 1, 174.   4 v. Rütte 7.   5 BSp. 362 a. ö.   6 AB. 1, 364.   7 Ball 59.   8 112.   9 vgl. «Dieser Weg ist kein Weg».   10 Käs. 439.   11 Käs. 222.   12 Dursli 202 Hs.; 204.   13 Der heitere und freundliche 86-jährige Greis ist unser Haupt­gewährsmann für Fischerei.   14 Käthi 17 Hs.   15 KL. 03, 81; AB. 1, 324; BSp. 173; Schuldb. 244; Ztgst. 1, 181.   16 Dursli 286.   17 Schwen deutsches WB.   18 Brüder 211.   19 Fröhlich XXXI.   20 Manuel 155.   21 AB. 2, 384.   22 Ball 5, 51; Christen 164.   23 EJogg. 1903, 4.   24 1, 186; 2, 266.   25 Beitr. 113.   26 AR. 1822, 58.   27 Ztgst. 1, 131; vgl. MW. Ws. 40.   28 Käs. 301.   29 34.   30 Käs. 159; an JR. 97. 102.   31 OB. 1902. 2, 176.   32 SchM. 2, 364.   33 Dursli, 246.   34 Berner 252.  
 

Quelle und Brunnen.

Die Höhen des Emmenthals bestehen, nebst der zu Gestein verfestigten Nagelfluh, auch «aus loser zusammen­geschwemmtem Geschiebe, lockern Sand- und Erdschichten, welche das fallende Wasser drinnen lassen, bis es unten im Tal als Quelle zu Tage kommt.»1 Daher ist man auch vielfach an hochgelegenen Örtlichkeiten auf den Ziehbrunnen: den Sood verwiesen, dessen Wasser zum Trinken sich in der Regel wenig empfiehlt. Doppelt fühlbar ist diese Beschränkung, wenn der Sood nach minutenlangem, quietschendem und kreischendem Ziehen erst ein paar Mal sich hin und her wiegt zum Zeichen, daß er nun zum Dienste willig und bereit sei, und jetzt mit einem keineswegs immer lautern Schwall zu geneigtem Zuspruch einladet. — «Vrene, was hast?» Da schüttelte Vrene die Zunge eine geraume Zeit, ungefähr wie einen noch nicht oft gebrauchten Ziehbrunnen, wenn das Wasser kommen will, und gab endlich Auskunft.2 Daher auch der drollige Vergleich mit einer rührseligen, mühsam auf Schluchzen und Weinen abzweckenden Ansprache: im Trääneloch soode.3 Soode heißt ebenso die kindliche Unart, Nasenfluß beständig emporzuziehen (vgl. schnü̦̆pfe). — Auch die Jauchepumpe nennt sich Sood; Bschütti soode.

Nahe der Wolfstịịge, an der steilen Absenkung der Waldhaus-Ebene gegen die Ramsei-Ebene hinunter, steht ein winziges Heimwesen: das Gaḷgeli.4 Nichts spricht für eine etwa hier zu suchende Hochgerichts­stätte. Vielmehr ist unter dem «Galgeli» eine jener primitiven Wasserschöpf-Einrichtungen zu verstehen, wie sie aus den bei Stalders5 und Grimm verzeichneten «Galgen»,6 «Galgbrunn»7 und «Galgenbrunn»8 bekannt sind. — Vgl. Abb. S. 42.

Eine ebenfalls sehr alte Wasserschöpf-Anlage ist das primitive Turbinen-Werk in der benachbarten, auf dem nämlichen Grat liegenben Bärnei, obenhalb der Lützelflüh-Mühle. Der von ihm gespeiste Hausbrunnen entleert sein Wasser stoßweise, und man spottet daher über eine 42 mühsam heraus­gestotterte, immer neu ansetzende Rede: Das chunnt z’stöösewịịs wi der Bärnei-Brunne.

Alter Ziehbrunnen am Grundhüsli.

Wie anders anmutig das «geschwätzig schnell» dem Boden entrieselnde Wasser der Quelle, in alter Sprache: des Brunnens! So ist ja das Wort zu verstehen in den Flurnamen Brunnacher, Brunnmátte, Brunneguet,9 sowie im Burgergeschlecht Brunner (= «Anwohner einer Quelle»,10 obwohl an sich auch die Deutung «Brunnmeister» nicht ausgeschlossen ist). Nicht anders versteht sich «Brunnen» im Namen des 1246 an Stelle des Orts «Mülinen» getretenen Klosters Frowen­brunnen (fons beatae Mariae), Fraubrunnen, im «Kurt»11 genannt neben dem in der heiligen Nacht nicht geheuren Bachtelenbrunnen bei Koppigen.12 Eine Quelle ist ebenso der durch duftige Kräuter wohlschmeckend gemachte «Würzbrunnen» zu Röthenbach, entsprechend dem geschätzten «Würzbrunnen» am Küßnachterberg ob Zürich. Unter den 1783 gezählten zehn emmenthalischen «Gesundheits­brünnen» figurieren auch zwei abgegangene zu Rahnflüh. In den Gu̦llbrunnen der Wiesen birgt sich Goldsand, der, mit Schwefel vermischt, Eisen und Stahl «alle Ding durchgraben» mache.13

Wo aber die Quelle tief vergraben in Berges Schoße liegt, muß der Wasser­schmöcker, dessen Rüetli nur allzu oft in unberufene Hände gerät, sie zu Tage fördern helfen.

43 «Das Gotthardmassiv die Brunnstube Europas»:14 dies großzügige Bild zeigt, was im bäuerlichen Einzelhaushalt ein solch regulierendes Becken bedeutet. Eine kistenartige, aus Holz, besser aus Sandstein oder Zement bestehende Einsenkung in den Boden empfängt das durch Röhren aufgefangene Quellwasser und gewährt ihm Raum und Zeit zum Niederschlag der Unreinigkeiten. Diese wieder bieten bei vernachlässigtem Ausräumen einem wahren Räuber- und Brigantenleben unter der niedern Tierwelt Herberge. Auf der entgegen­gesetzten Seite regeln Ausleitungen mit Drahtsieb die absperrbaren Zuflüsse ins Waschhaus, in den Hausbrunnen, oft auch in die Hausküche.

Den Leitungsweg bildet der Teuche͜l, in schwankendem Schriftdeutsch bald «Deichel», bald «Dünkel»,15 in älterer Wiedergabe: «ein pfeyff oder gehölt Kenel.»16 Heute bestehen sie meist aus gebrannter Erde, selten aus Eisen. Früher nahm man dazu allgemein die halbwüchsigen Teuche͜l-Tanndli.17 Solche zu fällen und zuzurüsten, schickte ein Bauer seine Knechte ins Holz. Sie kehrten nicht wieder, bis der sie suchende Meister den halben Wald niedergehauen fand. Das über sie hereinbrechende Donnerwetter hofften sie mit der Rechtfertigung abzulenken: mir hei drum gäng e keni ’bohrti fun͜de.18 Diese von der Natur versagte Durchhöhlung muß eben der Teuche͜l­bohrer besorgen. So heißt sowohl das mächtige Bohr-Instrument als der es Handhabende. Das Teuche͜lbohre bildete einst einen ansehnlichen Nebenverdienst von kleinen Landwirten,19 Zimmerleuten u. dgl., oder es gehörte zum Gewerbe eigentlicher Brunne­meister. So erscheint 1662 «Von wilden Egg ein man synes Handtwärks ein dünkell borer,»20 und bei Gotthelf der Dünkel-Dursli.21

Zum Geschäft solcher Brunnenwärter gehört u. a. auch die Entfernung zeitweiliger Verunreinigungen, die sich zu Fäden und mittelst solcher zu den sogenannten Strangen aneinander hängen. Zum Säubern der Leitung dient die aus meterlangen Gliedern zusammengefügte eiserne Brunn­ruete. (Der Name beibehalten vom primitiven langen Zweig her.)

Erwähnt sei noch das bekannte uf em Roß hocke wie ne Frösch,22 oder: «wie ne Chrott»23 uf eme Teuche͜l. Gotthelf deutet es als Zeichen von Aufgeblasenheit in diesem Doppelsinn, während nach heutigem Sprachgebrauch der unbeholfene oder zaghafte Reiter sich in dieser Weise geberdet.

44 Und nun, im heutigen Sinne verstanden, der Brunne.24 «Unter der aufgemauerten Einfahrt neben dem Bauernhause»,25 oder «unter dem weit ausreichenden Dache»26 desselben; beim Wohnstock an der freien Zufahrt; im Dorf Lützelflüh aus der Straßen­aufmauerung unter der Kirche fließend und über die Brücke nach Goldbach hinüberschauend; damit freilich auch der Öffentlichkeit und dem Gedränge preisgegeben, «a d’s Wätter un a d’Biise g’stellt.»27 Dort aber «plaudert und plätschert so traulich der unermüdliche Schwätzer,»28 zugleich der zuverlässigste Hörer und Zuschauer, der ungezählter Begegnungen Zeuge ist und «sagt es niemand wieder.»29

Vor einer Seitentür des altberühmten Bauernhofes Oberfürten (Sumiswald) fließt ein hübsches Brü̦̆neli, dessen Stock ein zierlich gemeißeltes Menschengesicht mit der Jahrzahl 1799 ziert. In der Regel aber erhebt der Brunnestock keinen Anspruch auf städtisch monumentale Ausarbeitung; er macht vielmehr den Eindruck des Starren, des Geistlosen.30 «Dumm wi ne Brunnestock» trifft namentlich bei roh aus einem Kirschbaumstamm herausgesägten oder aus Tannenholz zurecht­geschnitzten zu; die aus Granit gehauenen dagegen präsentieren mit ihrer den Charakter des Bauernhofes wieder­spiegelnden stattlichen Einfachheit sich durchaus gefällig. Doppelt unschön sind aber grad deswegen die gedankenlosen Kopien wasserspeiender Pausbacken, dieser «steinernen, steifen Brunnröhren­gesichter.»31 Nichts aber ist häßlicher als die Störung der so schön geschwungenen Parabel des freien reichen Sprudels am Auslauf (auch die Zŭ̦be genannt). «Mager wie ne Brunneröhre»32 erweckt in der Regel eine unsympathische Vorstellung; allein die dünne metallene Röhre am Platz der plumpen hölzernen dient dem Wasserstrahl, der sich klar und kräftig ihr entringt, nur zu effektvollerer Abhebung. Wie kläglich gegen ihn das Wässerchen, das so dünn wi n e Lismernaadle33 herausfließt, oder gar nur tropfenweise si un͜der dü̦̆re zieht!

’s Muul a der Röhre haa34 bedeutet: zur Aneignung eines Vorteils, zur Ausbeutung anderer sich als der Erste herzumachen. Der Vorsichtige unterläßt vor solchem Trinken ab der Röhre oder ab der Zube nicht, das Ansatzstück mit dem Daumen auszuwischen; «man könne nie wissen, wer vorher d’Gŏsche dra ghäicht gha heig».35 — Als beachtenswerter Wetterprophet zeigt die betropfte Brunnröhre baldigen Regen an.36

45 Wie ein General inspizierend vor seiner Heersäule, steht der granitne Herrscher des Brunnenschopfs vor dem mächtigen Wasserbehälter und schaut zu, wie sieben fette Kühe zumal ihre reich bemessene Mahlzeit beschließen. Leute indes wie ein Felix in der «Vehfreude» legen einen andern Maßstab an die Zweckmäßigkeit einer solchen Anlage: ob sie hinreichend Raum biete, um einem konkurrierenden Freier aus fremder Ortschaft ein wirksam abkühlendes Bad angedeihen zu lassen. Solches Tröögle, Brunne­tröögle37 schlägt allerdings der Ammann seinem Sohne nicht als Heldentat an: «das macht nicht ästimiert, es macht verachtet.»38 Höher schätzte er es, als der stämmige Junge zwei halbwüchsige Verbreiter anonymer Lästerschriften «mit einem Ruck in den Trog warf, als wäre er ein Badkasten.»39

Brunnen am Wege oberhalb der Ruine Brandis.

Eine eigene Bedeutung und Rolle kommt der kleinern hintern Abteilung des mächtigen Raumes zu: dem zum Erdäpfel Waschen u. dgl. bestimmten Sü̦̆de͜l­trögli. Spaßweise wird nach diesem auch die Untertasse benannt, wenn sie vom übervoll eingegossenen Kaffee ihr Teil abbekommt: es geit i’s Süde͜l­trögli. Mit besonderem Behagen hat Gotthelf im «Geltstag»40 einen «Südel­tröglikrieg» ausgesponnen: Eisi führt Rechnung und Prozeß über gerichtlich untersagte Benutzung des kostbaren Raums durch die gegenüber­wohnende Konkurrentin, und die beiden Weiber «brüllten über das Südeltrögli einander an trotz den Homerischen Helden.»

In der Regel freilich machen solche Übungen der Zungenfertigkeit sich unauffälliger — schon durch ihre Gewöhnlichkeit, welche den Brunnen mit «Garten­zäunen und Kabis­plätzen»,41 «Tennen»42 und Waschhäusern,43 «Türen»44 und «Gadenfenstern»45 auf eine Linie stellt.

Gleich wie aber das reine Sonnenlicht tagtäglich ohne Unterschied über Gute und Böse scheint, so perlt, von allem Geschwätze unbeirrt, der prächtig geschwungene Wasserstrahl; und «im reinlichen Troge wirft er seine Bläschen, Bürgen seiner Güte,»46 zum Trunke ladend, den ein 46 richtiger Bauersmann nie verachtet. «Für den Durst, den die Milch nicht bewältigt, quillt unter dem Dache das Wasser.»47 Selbst die habliche Bäuerin ermuntert sich nach sonntäglichem Nachmittags­schläfchen durch einige Züge ab der Leben spendenden Röhre;48 als ihre einzige Erfrischung aber auf dreistündigem Marktweg am heißen Tage trinkt die wackere Existenz­kämpferin49 am Brunnen Wasser und kaut dazu «an einer Brotrinde» oder «a mene Bĭ̦reschnitz». Um so empfänglicher bleibt ihr Gaumen für den Wohlgeschmack des Kaffees aus dem Wasser des heimischen Brunnens,50 und sie freut sich mit der Liebe zu Haus und Heim, die auch ihr Mann teilt, daß die prächtig grünende Hausmatte ebenfalls ihr Teil bekommt.51

Zur Tränke am Brunnen gehen nach ihrer Mahlzeit die Rosse, gehen wenigstens zur Zeit der Dürrfütterung auch die Kühe. Vgl. das liebliche Kinderlied: «Joggeli, geisch zo’m Brunne?» «Ja, ja, ja!» «Hesch dem Rösseli Haber ggää?» «Ja, ja, ja.» «Hesch dem Rösseli z’trinke ggää?» «Nei, nei, nei!» «So gange mer zo’m Brunne und chehre drümal um. De macht de ’s Rösseli tripp und trapp und gheit der Hoggeli hin͜der ab.»52 — Prosaischer gehn zur Tränke «schwere Kühe, zuweilen einen schwerfälligen Satz versuchend,»53 und «stillen behaglich blickend ihren Durst.»54 Weniger Sorgen macht es, sie auf dem Hinweg Anstand und Verstand zu lehren, sie gleich steckköpfigen oder ungeberdigen Menschen zo’r Träichi z’füehre, als dagegen auf dem Rückwege zum Stall sie zu überwachen. Weh, wenn der Sperrbaum — d’Wehri (oder der Fü̦ü̦rlauf) — fällt! Da ereignen sich — verdrießliche oder ergötzliche, wie man’s nimmt — Viehtränke­szenen, wie die von Gotthelf ausgemalte.55

Der unfreiwillige Märtyrer derselben, der städtische Unterleutnant, wußte auch nicht, «daß das große Waschbecken, der Toilettentrog der ganzen Familie, hinter dem Hause steht;56 daß hier nicht nur stämmige Mägde herzhaft mit einem handlichen Zwilchfetzen ihre rotbrächten Gesichter waschen»,57 sondern auch ansehnliche Bauerntöchter, in der Hand das feine Linnen mit kunstvoll eingestickten Namenszügen. Plaudern wir dazu noch das Geheimnis aus, daß an der Schopfwand halb verschämt ein rundes Spiegelchen hängt: welch ein Luxus, der sich in diesem allzeit offenen drawing-room entfaltet, wenn wir an das arme Züseli58 denken, das sich erst zum angeschwollenen Bache hindurch arbeiten muß, um dort sein unbewußt liebliches Gesichtchen zu waschen!

47 An der Art aber, wie man tagsüber vor dem Essen oder nach unreinlicher Hantierung im Brunnen die Hände wäscht, unterscheidet der heimliche Beobachter den strammen Bauer,59 die tüchtige Wirtin60 vom saloppen Weibsbild;61 hier erkennt der «eine Frau Suchende»62 die Rechte an der Sorgfalt, womit sie «das Kraut erliest» oder «rüstet»,63 Erdäpfel wäscht,64 das Milchgeschirr scheuert,65 und hütet sich vor nichts wie vor Mägden, die beim Brunnen stehen, «als ob sie auf Angefrieren warten wollten.»66

Drum ist der Brunnen ja auch die Stätte, an welcher die feinsten Meister des Griffels je und je sich finden ließen, was zusammen gehörte. Nicht war dies der Fall beim allzu jugendlichen Leutnant, für den einstweilen noch «keine Rebekka zu sehen» war;67 auch nicht beim mannhaften Christen,68 für welchen Elsis «durch sieben Zäune hindurch schimmernde weiße Hemdärmel» nach höherm Verhängnis eine Fata morgana bleiben sollten. Dafür — welch süße Belohnung des gründlichen Fegens seiner Kaffeekanne, wenn der «Schulmeister»69 mit so viel Glück den Brunnen zu seinem «Lustplatz», seinem «Kasino», seiner «Promenade», seinem «Palais royal» machen darf. Über alles schön aber ist dargetan, wie am Brunnen Uli und Vreneli70 nicht nur sich endlich finden, sondern auch die Frau dem sorgenvoll sinnenden Manne Mut und Vertrauen einflößt.71

 
1 AR. 1822, 58.   2 WwW. 168.   3 Jesuiten 324.   4 F 3.   5 1, 415.   6 WB. 4, 1, 1172.   7 4, 1, 1166.   8 4, 1, 1173.   9 F 6.   10 Zollikon 242.   11 120.   12 128.   13 RB. 48.   14 Volksw. 3, 385.   15 AR. 1811, 63; bei Gotthelf immer.   16 Dasypodius.   17 SchM. 1, 256.   18 EJogg. mit dem fabula docet: Der Meister söll nid säge: gööt, er söll säge: chömit.   19 Schuldb. 16.   20 Bifang.   21 Dursli 282.   22 SchM. 2, 468.   23 BSp. 194.   24 vgl. die Zeichnungen von Anker und von Burnand: Schweiz 1900, 192; 1901, zu 16.   25 Bitt. Zh. 9.   26 BSp. 129.   27 Kongreß 163.   28 Bitt. Zh. 9. 15.   29 UK. 388.   30 AB. 2, 425; Sch. M. 2, 43 Hs.a   31 Ball 70.   32 Jacob 1, 128.   33 SchM. 1, 26.   34 Dorbach 32; vgl. Ztgst. Hs.a   35 AB. 1, 197.   36 UP. 69.   37 vgl. SchM. 1, 278; Käthi 377.   38 Käs. 229.   39 Käs. 446.   40 103. 144. 159.   41 BSp. 393.   42 SchM. 1, 310.   43 Böhneler 179.   44 AB. 1.478.   45 Käs. 299.   46 BSp. 129.   47 Sonnt. 113.   48 GG. 1, 99.   49 Schuldb. 202.   50 Schuldb. 37.   51 35.   52 KL. 02, 201; 03, 150.   53 BSp. 129.   54 Spinne 4.   55 Land 8 ff.   56 Land 27.   57 Spinne 4.   58 Barthli 37.   59 UK. 7; Ztgst. 2, 7.   60 Schuldb. 144.   61 Joggeli 32.   62 Joggeli 38.   63 Käthi 118 Hs.   64 Elsi 58.   65 GG. 3, 11.   66 Geltst. 228.   67 Land 8.   68 Elsi 66.   69 2, 35. 150.   70 UK. 386-8, 418.   71 UP. 14. 15.  
 

Vom Wuer zum Bach.

Aus dem Keller alter Bauart leitet die Akte («Ake», aus aquae-ductus) das lästige Grundwasser ins Freie. Vom Hausraum und Brunnenplatz reiset der Wuer das Regen- und Abwasser ab; so auch leitet der größere Wasserwuer (1795 1) das sonst überschwemmende Geriesel aus Bach-Runsen und aus Flüssen wie der Grüene, der Emme. Quer über Gemeindestraßen, Flur- und Waldwege sind Abwüer gezogen und müssen von Zeit zu Zeit ausgeräumt — uustaa — werden. Sorgliche Bauern tun solches mitunter im strömenden Regen; Nacken und Rücken zur Not durch einen übergeworfenen alten Kabut geschützt, göö sie ga wassere oder wässere. Dieselbe unangenehme Zeit muß mitunter gewählt werden, um im nassen Felde mit der hellebarden­ähnlichen Wuer-Achs Laufgräben zu schaffen oder neu zu öffnen. Um aber Feld und Wald vor Überrieselung von Weg und Straße her 48 zu schützen, werden am Fuß der Böschungen Senklöcher ausgehoben, in welchen das Geschiebe sich ablagert.

Eine eigene Leitung speist aus Regen- oder Brunnwasser den Weier (Teich), der — oft in doppelter Zahl — bei keinem Bauernhause fehlt. Der Wortbedeutung (vivarium = Behälter lebender Tiere) entspricht zuweilen der Tatbestand: goldgelbe Riesenkarpfen, durch einen eingesetzten Junghecht rege erhalten, tummeln sich im Wasser. Hauptzwecke sind aber: Löschen von Brandausbrüchen,2 und Berieselung der Hausmatte,3 wie denn auch schon 1783 in Waldhaus und Flüelen «ziemlich große Wässerungs­teiche» zu treffen waren.

Gegenüber der Glungge (Pfütze), welchen Namen bezeichnender­weise auch der von Uli angetretene Pachthof4 trägt, und dem verwahrlosten «Fröschweiher»5 (Fröscheweier) ist der richtige Teich Gegenstand eigener Behandlung. Der mittelst durchhöhlten Stämpfe͜ls regulierbare Auslauf ermöglicht gänzliche Entleerung. Daher das Bild: Di große Weiere laufen ó uus, d. h. auch ein großes Vermögen, eine ausgiebige Geisteskraft, eine tiefe Liebe, eine anhaltende Langmut erschöpft sich einmal. Der Entleerung folgt gründliche Reinigung vom Schlamm und Benutzung der Schoorete als trefflichen Wiesendünger. Dann läßt man zum Gebrauch und aus Vorsicht das Wasser sich wieder anstauen (si weiere, wie auch das durch Arbeiten und Sparen erworbene Geld «sich allmählich weihert»).6 Schutz vor Gefahren7 und zugleich hübschen Gewinn bietet die Bepflanzung des Randes mit der Goldweide.

Unterhalb Nieder­schaufelbühl entläßt das gegen die Sonne ziemlich gesenkte Gelände aus dem Erdinnern herrliches Quellwasser. In Dohlen (Töne; Einzahl: der Tŏne) wird es aufgefangen: mi het «’tŏnet», d. h. zum Trockenlegen der Wiese ein Netz von Leitungsröhren im Boden versenkt, welches in eine Stammleitung einläuft und schließlich das gesammelte Wasser im Beginn des Flüele-Grĕbli zutage treten läßt. In viertel­stündigem Laufe durcheilt das fischreiche Bächlein, das Entzücken empfänglicher Kinder und die Augenweide Großer, den Flüele­grabe. In diesen läßt von Südost her der sagenumwobene Münnebe̥rg seine prächtige junge Tannwaldung hinuntersteigen, indes von der Nordwest-Seite bebaute Gehänge und zwei Bauerngehöfte herniederschauen. In launigen Windungen und dann wieder gestrecktem Lauf, hier ein rauschendes Wasserstürzchen bildend, dort zu einem Miniaturseelein mit lieblich blumiger Umrandung sich ausweitend, verläßt das Bächlein den 49 Wald und fließt ebenso geschäftig wie «sittig» am Wegesrand Flüelen zu. Hier läßt es teils im Hydranten-Werk für Flüelen und Grünenmatt, teils in Wässerungs­anlagen die poetisch spielende Laufbahn in segensreich prosaische Arbeit ausmünden.

Dieses Idyll, dessen Lieblichleit auszumalen uns Raum und Worte fehlen, diene als Beispiel für die Art, wie in den höhern Lagen unseres Geländes Natur und Kunst mit dem Wasser haushalten. Sind die ungezählten Grebli, die nur schon in Lützelflüh fließen, soviel wie Runsen und deren erste Ansammlungen, so ist Grăbe der Ausdruck für ein Seitental, das einem Landwasser oder einem Haupttalflusse zustrebt. Die 169 Gräben, welche der topographische Atlas verzeichnet und benennt, und die ungezählten Runsen legen Zeugnis ab, wie stark bewässert und «coupiert» das Terrain des Emmenthals ist.

Die eigentlichen Bäche aber, die in stillem Murmeln ihre Geschiebe wälzen, bis sie den Schoß der Emme finden,8 «entstehen fast alle unten in der Tiefe des Tales, um es zu beleben, zu befeuchten»,9 zu befruchten. «Wie Rohr am Bach»10 wachsen muntere Knaben auf. «Der Bach breitet»11 d. h. zusammen­gespartes Geld wächst gleichsam in geometrischer Progression. Die weidenden Kühe geben «Milch wie Bach»;12 der Wii ist g’lüffe wie Bach, «Bachweis lief mir13 der (Angst-) Schweiß um den Leib.» Vgl. baachnáß. Sich über den großen oder breiten Bach,14 in noch wirksamerer Litotes einfach: sich uber den Bach15 machen bedeutet: nach Amerika durchbrennen, «verduften». «Und jetzt ist das (erfolglos ausgelegte) Geld der Bach ab16 «Der Zaugg het emel sis Heimetli nit versoffe; das ist süst uf e ne Weg (und zwar auf unheimlich rätselhafte Weise) der Bach ab.»17 «Die grauenden Backenbärte, die traurigen Zeichen, wie es mit allem den Bach runter geht»...18 «Das Schulhaus (d. h. der Vorschlag, es zu bauen) ist ja der Bach ab g’schickt.»19 «Wenn ich im Gemeinderat was vorbringe, denken sie schon, wie sie mich den Bach abschicken wollen.»20 — «Da ist jede Santine i Bach gheit, wo me däm git.»21 — D’Chatz dür e Bach schleipfe (eine verdrießliche und undankbare Arbeit durchführen).

Eigennamen: ’s Bachmätteli. — Der Fischbḁch.22 Der Dürbach. Der Griesbach, am Flüelen­staldenstutz in die Grüene mündend. «Am trügerischen Lụ̆terbach, tief im finstern Tale, wo Thorbergs Herrschaft mit der des Freiherrn von Brandis zusammenstieß, kapperte, dem 50 Brandis gehörig, eine einsame Mühle. Hier stießen oft die befreundeten Freiheren zusammen, oder hielten Jagdrast.»23 Hier auch pflegte die schöne Müllerin das Fräulein von Thorberg,24 hier weilte der ritterlich liebenswürdige Hans,25 hier das Trudchen.26 Um diese Mühle gruppierte sich nach und nach die heutige ansehnliche Ortschaft als einklassiger Schulkreis. Vom Besitzstand der Brandis her aber schreibt sich die Zugehörigkeit der zwei Stunden weit entfernten Enklave (Exklave) zu Lützelflüh. — Wo unterhalb der Tootehŏle der steile Eggabhang sich plötzlich sänftigt, liegt das Gut Stampḁch27 nahe einer Stelle, an der das Waldwasser sich staut, und es erscheinen 1244, 1257, 1261 die Namen Stan-bac, Stammbach28 (letzteres zu Rohrbach), ohne speziellen Bezug auf unsern Ort. Zu Lützelflüh gehört in Rahnflüh: «Obersbach» (Obers̆baach),29 dazu die Obers­bachmátte — Zum Teil zu Rüegsau: der Hags̆bḁch, Graben mit zwei Heimwesen. Zu Oberried drei Höfe: Bige͜lbach30 in dem 17 km langen Biglenbachtal, zu Lützelflüh der Biglen­bachwáld. — Bloß als Burgergeschlecht kennt Lützelflüh: Haslebacher (ziemlich häufig); Rindlis̆­bacher (sehr häufig); Großen­bacher (häufig); Äschbacher (ä̆-) (sehr häufig).

Eine eigene Klasse bilden die eher als Kanäle zu bezeichnenden Flußaus­leitungen zu industriellen Zwecken. Der (herrliches Trinkwasser bietende) Grüenematt-Mü̦̆libach: eine Ausleitung aus der Grüene, vereinigt mit den Quellen des Pfaffen­bodenmooses, treibt als prächtig dunkelfarbiges Gewässer Mühle und Säge zu Grünenmatt. Ebenso ist unterhalb der Bodenmatt der Lützelflüh-Mülibach aus der Emme abgeleitet und bedient oberhalb der Mühle die Walkerei, Bleicherei und Färberei, unterhalb die mechanische Schreinerei, sowie durch einen Teil des Unterlaufs die Aḷḷmän͜dli-Müli (im Rüegsauschachen die Gerberei u. s. w.).

 
1 Bifang.   2 Ztgst. 1, 4.   3 ebd.; Schuldb. 37.   4 UK. 150.   5 SchM. 1, 257.   6 Heiri 10.   7 Schuldb. 337.   8 Arm. 160.   9 AR. 1922, 58.   10 Arm. 183.   11 Bsbinder 363.   12 Käs. 103, 349.   13 SchM. 2, 130.   14 Ztgst. 273.   15 Vgl. Heiri 86.   16 Ball 4.   17 Müll. LK. 76.   18 An AB 75.   19 Käs. 15.   20 Ztgst. 2, 161.   21 MW. 2J. 161.   22 Ws 104, mit Scheune und Gebüsch am gleichnam. Bach; O 4.   23 Thorb. 31.   24 36 ff.   25 ebd.   26 43.   27 D 3.   28 Fontes II. 252, 457; Kib.-Urb. 158.   29 Wh. Wst. Oh. Sp. Schüürli, Ack. Ws. Wd. 1015; J. 5.   30 O 1. 3.  
 

Grüne und Emme.

Von den westlichen Ausläufern des Napf fließt der Hornbach gegen Wasen, nimmt unterhalb dieses Dorfes den Kurzeneibach auf und heißt von da an die Grüenne. Dies «düster rauschende»,1 «tückische»,2 «verheerende»,3 «zügellose»,4 «wilde Sumiswalder-Kind»,5 (vgl. jedoch nebenstehenbe Abb.) seit 1903 aber durch ein schönes Korrektionswerk zumächst 51 zwischen Fürten und Flüelenstalden in geziemende Schranken gewiesen, fließt an der Ortschaft Grüenen (zu Sumiswald) und an Fluren wie dem Grüeneport und der grüene Mátte vorüber nach Grüennematt.

Die schon alte Bedeutung der Grüene zeigt sich u.a. darin, daß «die Säßschmitten der Landschaft Emmenthal» in eine Gruppe dies- und eine jenseits «der Grüenen», jede unter einem eigenen Zunftmeister geteilt waren.6

Steg über die Grüne und Furt bei Fürten.

Bei Ramsei ergießt sich die Grüene nach 19 km Lauf in die große Emme. Diese geographische Beifügung unterscheidet die «große» oder «größere» von der «kleinen» oder «kleineren» Emme. Di chlịịnni Ämme heißt 1. ein aus der großen Emme geleiteter Fabrikbach bei Burgdorf, 2. der bei uns unter dem Namen «Waldemme» oder «Entlen» bekanntere Entlebucher-Fluß, der die «Wịịßämme» aufnimmt. Beim Örtchen «Wyßemmen» stand bis 1902 Christian Schybis Häuschen.

In einem riesigen Halbtrichter, der vom schmalen Grat zwischen Hohgant und Augstmatthorn sich malerisch heruntersenkt, sammeln sich, gegenüber dem zum Thunersee südwärts fließenden Lombach, verschiedene Quellbäche zu einer Einheit. Ihren Namen «der Bocke» tauscht 52 dieselbe bald an den der Emme; jener verbleibt aber der dortigen Bergpartie, welche als Wetterzeichen den föhnartigen Bockeluft (oder abgekürzt ebenfalls Bocke) nach dem Kämmeriboden hin sendet.

Als Sammellinie eines Einzugsgebiets, welches 1156,4 km² umfaßt, mißt der gesamte Emmenlauf in der Luftlinie 62,2 km, in Wirklichteit aber 80 km. Das veranschaulicht genugsam die Chrümp, unter welchen namentlich im Oberlauf die «wilde Emme» «der trotzigen Aare»7 sich entgegenwindet. Man nehme dazu, innerhalb des Bettes, die bekannten Serpentinen dieser Emmenschlange.8 Gewiß ein wunderliches, manchenorts aber wirklich malerisches Bild.

Der horizontalen gleicht in manchem die vertikale Lauflinie: das Gefälle beträgt vom Hohgant-Fuß bis Eggiwil 3%; von da bis Emmenmatt 0,8%; auf der 17,5 km langen Strecke Emmenmatt-Burgdorf (Höhe: 651-537 m) 0,67%; Burgdorf bis Mündung 0,5%.9 Schon diese Zahlen erklären zur Genüge den zuzeiten wilden Lauf der Emme. Dazu kommt besonders der Mangel an einem regulierenden Seebecken. Gefehlt scheint solches nicht immer zu haben. Die noch heute lebendige Tradition von einem im Flußgebiet der Emme liegenden See oberhalb Signau (1224: Sigenowa; vgl. ahd. gi-sig = See, Sumpf) gegen Bowil hin10 ist ganz anders begründet als der angebliche See bei Burgdorf. Die ganz auffällige Beckenform jenes Gletscherbodens, gebildet durch den Abschluß einer Wallmoräne des einstigen Aargletschers bei Rünkofen, legt einem die Begründetheit solcher Überlieferung lebhaft nahe.11 In der starken Krümmuug des Reblochs aber (zwischen Schangnau und Eggiwil), dieser für den Gebirgsaufbau so interessanten schmalen Isoklinalspalte in der Nagelfluh,12 welche das Wasser zurückprallen und das Floßholz still schwimmen macht,13 ließe sich durch Sperrung ein neuer künstlicher See bilden, der als Regulierbecken des Flusses dienen könnte.

 
1 Brüder 205.   2 AR. 1822, 64.   3 ebd. 62.   4 Spinne 47.   5 Brüder 207.   6 Rahnfl. 19. 20.   7 Brüder 214.   8 Wass. 22.   9 Geogr. Lex. d. Schweiz, Emme.   10 Widm. 188 f.; Eggiw. 10; Thorb. 90.   11 Antenen Bf.   12 ebd.   13 Eggiw. 122.  
 

Floß und Gold.

Gegenwärtig schafft die Emme auch Lützelflühern Verdienst durch Treiben der Flachsspinnerei Rüderswil und der Buntweberei Emmenau zu Hasli.

Wirkungsvoll verboten (wie wirkungslos schon 1597, 1622, 1641, 1650, 1666)1 ist dagegen seit 1870 ein anderer Broterwerb mittelst der 53 Emme: die Flößerei (Flötzerei, wie «Flötzung»,2 «Flötzer»3). Grund: die beständige Gefährdung des Schwellenwerks. «Wegen Flötzung des Holzens» wurde «in mehreren Schwellen geklauset» (Einbettungen gemacht).4 Die oft 70-80’ (statt höchstens 60’) langen, vom Wasser zuweilen fast rechtwinklig gegen die Schwellen gerissenen und oft von schwächlichen Personen gelenkten Flöße prallten mit furchtbarer Gewalt an.5 Dazu kam das Einhacken der 2-3 zu jedem Floß mitgenommenen «Spahren»,6 das Einschlagen der Flößerhaken7 u. dgl.

Für das Befahren mit Kähnen, selbst dem aus drei Brettern zusammen­geschlagenen Weidlig («Waidling»,8 «Waidlig»9) absolut unzugänglich, hatte die Emme von jeher einzig den aus Bautannen gezimmerten Flooß auf ihrem breiten Rücken geduldet. «Schon zur Römerzeit mögen die schlanken Tannen den Weg gefunden haben»,10 den sie bis 1870 auf der Ilfis,11 und von Eggiwil an auf der (Eggiwil-Fuehrme12 betitelten) Emme nach Brugg und weiter fanden. Wiederholt suchte die Berner Regierung zu verhindern, daß «merklich vil Holz, wie auch Laden, Latten u. dgl. mit schwal die Emmen und Aaren hinab geflößt und also hierdurch die Hochweld erödet werdindt» (1650).13 Als Zoll aber wurden z. B. in Lützelflüh 1673 «von einem Floß allein 3 Vierer» gefordert.14 Umsonst: die Flößer antworteten einfach mit «Schade’s ịịchoo» durch Beladen ihrer Tannen mit Dachschindeln für Basel und Elsaß,15 mit gefrevelten Rechenstielen,16 und (schon seit der Kyburgerzeit) mit mächtigen Ladungen von Käs und Butter (daher die Bezeichnung «Molken­flöße»), ja mit Kälbern. So würde denn auch im «Emmen­thalerlied» eine gewaltige Lücke klaffen, wenn es darin nicht hieße: «Holz und Lade fergge d’Flößer d’Emmen ab uf Basel zue; chunnt im Frühlig ’s Wasser größer, hei si mit dem Floße z’thue.»17

Um ein Merkliches stiller aber ist’s geworden, seit man kein «Flueche wi ne Rhịịnbueb» mehr von der Emme herauf hört, und kein Gotthelf mehr zu schreiben Anlaß fände: (So habe ich noch nie reden gehört,) «und doch war ich manchmal mit Schwein- und Kühhändlern, mit Flößern und Straßenarbeitern an Einem Tische.»18 Anderseits erschallen auch keine Neckrufe mehr nach der Emme hinunter: «Der Lung ist uus u ’s Rad ist ab, d’Schelme fahre d’Ämmen ab.»

Eine Flößerei anderer Art ward ebenfalls auf der Emme betrieben: das Schwemmen von Späḷten oder Mü̦̆selen als Brennholz ins Flachland hinunter. Burgdorfer- und Solothurner-Spekulanten19 spielten dabei durch Entholzen der steilen und wilden Berghalden die Rolle 54 «zweibeiniger Borkenkäfer». Ein Rechen (Rächche) in der Emme bei Burgdorf20 fing das Holz auf, das in der schwindligen Tiefe des Reblochs an Stricken hinunter­gelassene Entlebucher und Emmenthaler weiter förderten.21 Das auf dieser wohlfeilen, aber unsichern Bahn stecken bleibende Flooshoḷz verfiel einem eigentümlichen Strandrecht, das wegen Mißbrauchs mit der Zeit aufgehoben wurde. In einem (schwer leserlichen) Bleistift-Protokoll-Entwurf aus Lützelflüh vom Ende des 18. Jahrhunderts auf fliegendem Blatte steht die Notiz: «Wägen dem Holzfloßen das ein Jeder Schweli­pflichtige 3 Klafter unendgäldlich kan härauß gezogen wärden» (Konstruktions­vermischung). «Was über das ausgeht, solle von dem Eigentümer (d. h. dem das Flößholz sich Aneignenden) bezahlt werden.» (Wem?)

Das durch Flößerei Erworbene ist inmmerhin ein saurer und durch manches Opfer an Leib und Leben in Frage gestellter Gewinn. Wäre der nicht leichter, für Findige mühelos zu haben? Eine gewichtige Rolle spielen ja in Namen, Geschichte und Dichtung die feinen Goldblättchen, welche vor Zeiten aus dem Nagelfluh-Gebiete speziell des Napf22 ins gesamte Emmengeschiebe mitgeschwemmt worden sind. Mit wirklich oder wahrscheinlich namengebendem Gold konkurrieren jedoch die mundartlichen Wörter gol23 (grober Steinschutt) und «Golaten». Schon 1386 wird ein Langnauer Heinrich in Golden (= Gohl, vgl. Gohlgraben) genannt, ebenso 1645 David Gerber Inn der Gold, Gericht Langnouw.24 Ein Lützelflüher «Zinß Rodel» verzeichnet 1808 einen N. N. im Gaull. Hier wird gol zugrunde liegen. Nach Gold (Gu̦ḷd) dagegen, das aus dem Sand ausgewaschen wurde, benannte sich der Goldbach (Goḷḷpe̥ch). In seiner Nähe steht das Gŭ̦ŭ̦lhụ̆ụ̆s oder Gooḷhụ̆ụ̆s an der Emme, und danach heißt die Farbschachen­brücke auch die Gooḷhuus-Brügg.25

Allein heute ist der Goldreichtum der Emmenthaler­flüsse «fast nur noch eine Sage»,26 und bereits 1783 war die Ausbeute «von wenig Belang». Immerhin erzählte G. Neuenschwander von seinem «Goldwäscher an der Emme», wie er «ein sogenanntes Näst entdeckt habe, in welchen sich Gold seit Jahren abgelagert»;27 «Emmengold, welches von den Goldschmieden Berns zu übermäßig hohen Preisen bezahlt werde, weil es mehr Feingehalt habe als das kalifornische.»28 Jedesmal daher, «wenn die Emme wüst getan und die Bäche angeschwollen kamen, hatte Kläis Geld.»29 — Den gemeinen Mann indessen läßt solches Entdeckerglück kalt.

 
1 Stürler, Emme.   2 Eggiw. 106.   3 Ott 1, 57.   4 Eggiwyl 107.   5 Eggiwyl 109.   6 ebd. 106.   7 Notar 82.   8 AR. 1811, 59.   9 SchM. 1, 199.   10 Brüder 214.   11 Trub 29, 38; 30, 131.   12 Wass. 33.   13 Nach JoSt. 285.   14 Zolltaffel.   15 Trub 29, 38.   16 Eggiw. 106.   17 Widm. 85.   18 Ztgst. Hs.a.   19 Kuhn AR. 1822, 55.   20 AR. a. a. O.   21 Eggiw. 48.   22 Antenen Bf. und Antenen: «Die Vereisung der Emmentäler» (Bern, Wyß 1903), auf welche gediegene Verarbeitung eigener Forschungen wir hier nur verweisen können.   23 Schwz. Id. 2, 216. 225.   24 Pergam.   25 F 2.   26 Walser g. L.   27 N’schwand 18.   28 ebd.   29 14.  
 

Der Eggiwil-Fuehrme.

Die mächtigen Geschiebemassen der Emme erhöhten das Strombett längst an den meisten Orten über das Niveau des anstoßenden Geländes.1 Das wurde namentlich im sommerlichen Wasser­stands­minimum sichtbar im fast gänzlich ausgetrockneten Flußbett.2 Daher nach heftigen Gewittern im gebirgigen Quellgebiet das Hochtwasser, welches, we d’Ämme rächt großi chunnt, bis auf das 40fache des durch­schnittlichen Standes ansteigen kann. Das so stark coupierte Terrain des Flußgebiets vermag dann den Regenschwall nicht einzufaugen. So erklären sich genugsam die bekannten Verheerungen bis in die neueste Zeit, von denen wir uns eine vergegenwärtigen wollen.

Heiße Winde haben geweht vom Welschland (Italien) her.3 Der Flüeluft (Föhn) ist über die Berge gekommen, und der «Steigraat» hat von oben bis unten sein «schwarzes Wägli» erhalten: den schmalen Streif, welchen das vom Bergschutt gefärbte Schnee­schmelzwasser bildet. Es ist dies «das sicherste Vorzeichen hilben Wetters»4 Nun entfaltet sich in der Regel um den Hohgant, sammelt sich an der Honegg ein Gewitter, wie Gotthelf es5 in berühmter Lebendigkeit geschildert hat. Es verzieht sich, geht vorüber, wie hundert andere Mal; aber am Ufer steht d’Ämmewacht. Da plötzlich (von Vater Rüfenacht in hoher Erregung wiedergegeben): Was ist das?! Ein Brausen, ein Brüllen, ein Gedonner. D’Ämme brüelet: am granitnen Kiesbett reibt sich der noch eine Stunde entfernte Schwall, und das erschreckend seltsame Gewirr hoher und tiefer Stimmen schlägt an die Fluhwände rechts, an die Fichtenstämme links. Ein grausig Echo, «übertönend das ängstliche Brüllen des Viehs, das Rufen der Kinder und die kurzen Befehle der Männer», vergleichbar dem tiefen, zornigen Brüllen eines wilden Tieres, unvergeßlich dem, der es einmal gehört hat.6 Heulend fährt der vorausgeschickte Luftstoß — es chụ̆ttet! — durch Gezweig und Gebüsch, dieses bis zur Erde biegend; es chrachet im Geäst der Tannen. Die Sturmglocke ruft;7 die vielleicht aus dem Schlafe Hergeschreckten kreischen: d’Ämme chunnt! d’Ämme chunnt!8 der Aaschutz chunnt! Und richtig, da sehen die Augen den Vorboten, von der noch unsichtbaren Woge vor sich hergeschoben: einen Wall von Tannen, samt den Wurzeln dem Ufergeländ entrissen oder den Sägemühlen entführt. Hoch auf bäumen sie sich, schlagen um in gigantischem Wirbel, stürzen auf 56 den Grund in weithin hallendem Dröhnen; «das kracht mit allgewaltigem Donnergetose».9 Und wie in grausem Kampf-Spiel zwischen Riese und Zwerg werden mitgerissen Stege, Balken und Dächer, «Bütten, Spinnräder, Tische, Züber, Stücke von Häusern.»!10 Jetzt erst sieht das Auge einher sich wälzen die Flut «schwarz und hölzern und brüllend,»11 «als ob ein wilder Drache breche durch das Gebüsch.»12 Wieder überschlagen sich die riesigen und die kleinen Hölzer mit hochauf­spritzendem Gischt, bohren sich in wuchtigem Fall in den kiesigen Grund und werden wieder gehoben durch eine nachstürzende Flut. Gurgelnd dreht sich hier eine Säule, dort ein Pfosten in tollem Wirbel über einer blitzschnell ausgehobenen Höhlung, wie Streichhölzchen unter der Zube des Brunnens. Im schrecklichem Spiel erschöpft sich diese Kraft, aber um so lauter brüllen die nacheilenden und hier sich fangenden Wogen, «dem Helden gleich, der auf dem Kampfplatze noch mutig steht, wenn im Tode verstummt die andern Kämpfer» liegen.13 Denn «die Emme ist nie böser, als wenn sie abnimmt; erst dann gräbt sie so recht und frißt sich ein.»14 Daher auch die so vielfach bestätigte Tradition, «es gebe gerne zwei Wassergrößen hintereinander, und die zweite sei größer als die erste.»15 Daher ferner die den verwegenen, zuweilen auch unverschämten16 Holzfischern — wo göö gḁ Hoḷz usezieh — drohende Gefahr, der manch einer erlegen ist, und die jenem «Mi Ma ist mir i d’Emme gfaḷḷe» einen furchtbar ernsten Hintergeund verleiht. «Wen die wilde, zornige Jungfrau umfaßt in ihren wilden Zeiten, der büßt das Leben ein»,17 wie schon zu gewöhnlichen Zeiten, wer unkundiger Weise geit ga băde, unversehens in es Loch trappet und von Strömung und Wirbel überrascht wird.18

Zu sprechen erst in zweiter Linie von dem noch nach Jahren sichtbaren19 Über­schwemmungs­schaden, den die zwischen 1570 und 1896 verzeichneten 48 Verheerungen20 angerichtet haben. — Auch in diesem Sinne, als Zerstörerin, heißt die Emme der Eggiwiḷ-Fuehrme.21

Als merkwürdig verzeichnet Gotthelf,22 daß die Emme mit Vorliebe die Sonntage wählte zu Anlauf und Ausbruch.

Einen ebenso unheimlichen Anblick kann der Fluß im entgegen­gesetzten: im minimalen Wasserstande bieten, wenn sein über und über mit Kies bedecktes (g’ri̦s̆let’s) Bett offen zutage liegt umd grell vom Mondschein sich beleuchten läßt. «Es ist, als wären die hellen Kiesel gebleichte Totenbeine, der weiße Grund die große Totenstraße.»23

Grünenbrücke bei Ramsey. Erbaut 1771.

57 Derselbe Fluß, der aus der Ferne «in der Abendsonne wie ein goldiger Streif durch das lichtgrüne Laub der Bäume glitzert.»24 «Die Jungfrau», die «in ihrem Kranze von grünen Gebüschen so sittig» einher geht.25

 
1 Vgl. AR. 1822, 56.   2 Wass. 86.   3 Käthi 383, — Wer dächte nicht an Bürgers «braven Mann»?   4 Wass. 42.   5 Wass. 18 ff.   6 MW. 2J. 240, 242; vgl. Käthi 383.   7 AR. 1822, 56; Käthi 391.   8 MW. 2J. 240.   9 Käs. 193; Käthi 386.   10 Wass. 34.   11 ebd.   12 Käthi 386.   13 Käthi 23 Hs.   14 Käthi 390.   15 Barthli 29.   16 Wass. 66 ff.   17 Käthi 23 Hs.   18 Käthi 386.   19 Käthi 23 Hs.   20 Stürler, Emme 17 ff.; EvE. 1903, 44; ABB, C 240; Gotthelfs Wass.   21 Widm. 101/2; E. A. Türler 4/5.   22 Käthi 397; Wass. 34.   23 Dorbach 44.   24 MW. 2J 173.   25 Kuhn AR. 1822, 57.  
 

Der Schachen und die einstigen Schächler.

Vor 1570 findet sich keine beglaubigte Nachricht von Emmen­verheerungen. Das erklärt sich aus dem Tatbestand. Bis Mitte des 16. Jahrhunderts war nämlich das Bett der Emme identisch mit dem von Wald und Unterholz bewachsenen Über­schwemmungs­gebiet der Flußniederung, Schache genannt.1 Dieses Wort brauchten im ursprünglichen appellativen Sinne noch Kuhn2 und der jüngere Wyß, der von «Bergschachen im Sibenthal»3 redet. Auch Oberried hat in solchem Sinne noch sein Hụppematt-Schächli.4 Sonst aber spezialisierte sich «Schache», gleichwie «Grabe» und «Chrache», auf das Einzugsgebiet der Emme, blieb aber dafür auch zumeist an den urbarisierten und überbauten Partien des alten wirklichen Schachengebiets haften.

Dasselbe bot mit seinem durchlässigen und aufsaugenden Boden, sowie mit seinem Lebholz, dessen Wurzeln (ganz besonders bei der Esche) wie Klammern das Erdreich fest- und zusammenhalten, hinreichend Schutz gegen Wasserschaden. Obendrein brachten die üppigen Korbweiden — Wị̆dli — und Haseln — Hăsle — guten Verdienst.5 Als Aḷḷmän͜d durfte von jeher der Schachen den Anstößer-Gemeinden zur Weide und Beholzung dienen, gegen Erfüllung der (überhaupt im Kanton) auf dem Uferlande haftenden Wuhr- oder Schwellenpflicht.6 Neun Zehntel dieses Uferlandes gehörten um 1570 als Reisgrund (d. h. veränderlicher, vom Wasserstand abhängiger Anschwemmungs­boden) dem Landesherrn, also im Amt Trachelwald seit 1408 und im Amt Brandis seit 1607 der Berner Regierung. Diese verfügte von Fall zu Fall über Stück um Stück und bewilligte z. B. 1786 schenkweise ein solches dem Steinhauer Hans Burkhalter in der Mühlegasse zur Abrundung seines Gütchens.7 Der übrige Zehntel war urbarisierter Baugrund (Kulturboden), von den Grundherren in bodenzins­pflichtiges Lehen gegeben.8

Nun haben, hergedrängt durch den fast geometrisch ansteigenden Bevölkerungs­zuwachs, seit Mitte des 16. Jahrhunderts «Tagwaner» — Tawner — und andere kleine Leute allmählich im gesamten Schachengebiet 58 sich angesiedelt. «In der Dürre (d. h. am Düürbach), an der Emme, an der Ilfis, in der Gold» (Gohl) haben sie «Inschleg gethan eigens Gwalts» (1569). Sie haben Gärten, Beunden (Bụ̈ụ̈nne) und «Hofstetten» (Einzahl: die Hofstatt = Hŏste̥rt, Baumgarten) angelegt und sie «geziert mit hüpschen Baumgrät»9 (d. h. Baumwuchs; das alte Wort «Geräte» bedeutet überhaupt «Ausstattung»; vgl. «Korn, Win und ander Grät»).

Der Deutschordens-Vogt zu Sumiswald reagierte 1570 als der erste gegen solch eigenmächtiges Vorgehen. Die gemachten Einschläge an der Grüene wurden mit Bodenzins und Ehrschatz belegt, das Schachenholz in Bann getan, und die Untertanen mußten bei Eidespflicht «gegen Wasser­schwal weren» helfen. Aber auch die Berner Regierung wehrte sich 1568 lebhaft für ihre Hoheitsrechte im Amt Trachselwald: «Weliche Schachenlüt nach Rütirecht ingeschlagen (Inf.: ịịschlaa), söllents nach dryen Jaren wider uslegen» (d. h. von der Umzäunung befreien); Einschläge mit Wohnung aber gelten als lehenspflichtige Baugründe. Trotz ihrer Erlasse hatte aber die Obrigkeit einen Jahrhunderte langen Streit10 zu führen mit den Schächleren sowohl wie mit den sie als Anstößer bedrängenden Hofbauern. In brutaler Weise griffen letztere ebenfalls um sich mit Einschlägen und Pflanzungen. Die Schächler ihrerseits regten sich wie Schnecken im Sammelfaß; auf ihre winzigen Gütchen eingeengt, luden ihrer viele durch liederliche Wirtschaft und Lebenshaltung das Omen auf sich, das seither den Namen «Schächler» belastet hat.11

Weniger war den Freiherren von Brandis an ihren Hoheitsrechten im Schachen gelegen; sie verschenkten in ziemlich rascher Folge Anteil um Anteil an Unbegüterte zur Erstellung von Häuschen und Gütchen, gegen Übernahme der Schwellenpflicht, und die Berner Regierung fuhr in dieser Politik in immer weiterm Umfange fort. Der gegen anderwärts so frühe Übergang alles urbaren Landes in Privateigentum hatte namentlich im Rüegsau- und Goldbach­schachen den heute zu bewundernden Aufschwung in Landwirtschaft, Verkehr und Gewerbe zur Folge.

Am weitesten weist noch der Rawfli- (Ranflüh-) Schache12 in die Vergangenheit zurück. Gleichwohl deutet die ihm abgewonnene Langnau-Straße, und weisen prächtige Äcker bis auf 120 ha Halts auf eine reiche Kulturarbeit seit 1569, in welchem Jahre der bereits eingeschlagene obere Ranflüh-Schachen durch die Berner Regierung 59 den Eignern überlassen wurde.13 Den untern Teil (130 Jucharten) erhielt die Gemeinde Lützelflüh direkt von der Regierung.

An ihn stößt erst der Ramsei-, dann der obere Lützelflüh- oder der Farb-Schachen14 (neben der Färberei). Diesen besonders holzreichen Strich trat Bern 1595 den sechs damaligen Güterbesitzern ab. Mittelpunkte dieser Güter waren aber 1783 sechs Häuschen, wie deren zur Stunde noch eins dem Wanderer durch die blühende Gegend ein Dorn im Auge ist.

Es folgt (immer dem rechten Emmenufer nach der Lützelflüh-Schachen, 1783 mit «drei Gütchen», heute mit Äckern bis 147 ha Halts. Hauptsächlich Allmend, woher heute noch der Hof samt Mühle an der Burgdorf-Straße das «Aḷḷmän͜dli»15 heißt, wurde dieser Landstrich 1601 durch den Vogt des letzten Freiherrn von Brandis der Gemeinde Lützelflüh erblehensweise abgetreten. Da aber in der Benutzung wenig Ordnung herrschte, legte 1617 die Berner Regierung 37 Jucharten Schachenfläche in Bann: für Schwellenholz, «damit das Wasser in seinem Furt behalten wurde und nit das Erdtrich verflötzen köndte» (1569).16

Die nach und nach eintretende bessere Ordnung kristallisierte sich 1714 aus im Nutzungs­reglement,17 welches, dem Geist und der Sprache des Volkes selbst entwachsen, in einigen Auszügen als Spiegel jener Zeit dienen soll.18

Da wird bestimmt: «Erstlichen, daß ohngefehr 37 Jaucharten diesers Schachens, denen Schwell­ungen nach gelegen, in dennen Zihlen, wie sie von dennen Außgeschoßenen abgesteckt worden, durch einen währ­schafften Zuhn solle auß­geschlagen (also vom Ịịschlaag, dem eingezäunten urbaren Land, als dessen Gegensatz getrennt) und dißers Stuck hiemit zum Wieder­holtz auf wachs (neuen Holzaufwachs) also gefristet werden und belieben (bleiben), daß weder über Kurtz noch Lang gahr kein Vieh (außert Nach vermelden drey oder Vier Roßen) darin sollen getrieben werden, noch die Wyd-Weid abgeetzt werden.

Zum anderen. Weillen man durch Haltung deß Ersten Punktens zu Weiht mehrehrem Holtz gelangen wird, als mögen die Einwohner des Schachens den offen bleibenden Schachengrund so Ungefehr 33 Jaucharten — Anstatt bißhärigen Fäldens — Äfferen, Rüten, bauwen und Nutzen nach belieben. Jedoch mit dem Vorbehalt, daß weillen dieser 60 Grund von Einer Hochen Oberkeit zu Lehen Rührt, derselbe in 25 Theil und der dißmahl besitzenden Rechten gelegt, Jedes Stuck bey dem Zugelegten Hauß Verbleiben, und nicht von demselben (weg) Verhandlet, noch abgeändert werden könne. Auch ist, wann angesayt wird, der Zehnten zu entrichten.

Drittens, Weillen Von Vor Ernambseten 33 Jucharten noch 8 Jucharten übrig bleiben, sind Solche dennen Ehrsammen Männeren zugetheilt worden. Als Jacob Scheidegger dem Weybel, Petter Burckhalter, Petter Gammetter dem Jungen, Bendicht Gammetter, Anthony Ruch, Christen Miescher, Anthony Gammeter zu Bärney und Hanß Jacob Gammetter in der Stältzen. Zum Entgelt sollen diese 8 In allen Begeben­heiten, Es seye zum Schwellen, Stägen und Wegen, waß daß Gemein Werch berrühren Thut, zu den Erforderlichen Fuhrungen Ein Jeder ein Roß geben.

Viertens geleben die Schachenpächter der Guten Hoffnung, die Regierung werde angesichts der auf den Schachen verwendeten Arbeit und umkosten19 den Bodenzinß von zwey Pfundt auf zwen Schllig (Schilling) ermäßigen.

Fünfftens: ein Herr Predicant zu Lützelflühe soll so wohl für das Weydrecht als auch wegen Empfangenen dreyen Dublonen Jährlich außgerichtet (abgefunden) werden mit Nammen fünff Pfundt.

Sechstens ist Verglichen (die Übereinkunft getroffen) worden, daß jeder Rechtsamebesitzer Jährlichen sechs Sarböum, Wydstöck, oder anders zu den Schwellinen dienliches Holtz zu setzen und zepflanzen habe. Bei allfälligem Holzüberfluß solle das Unwirigste den zumahlen Under die 25 Recht Vertheilt werden.

Syebendes soll daß Graß in dem Unauß­gebutzte (d. h. nicht urbarisierten) Schachen für drey oder Vier Roß den Fuhrungen Leistenden hingeliehen werden.

Achtens, So soll auch eine Ehrsamme Schachen Gemeine Einem Jewesenden Herren Ambtmann zu Brandis Ein Treger (‹Vorträger›, Vertreter) stellen, nach dessen absterben allwegen der gantze Eingeschlagene und offenbleibende Schachen der Ehrschatz Entrichtet werden soll.

Nüntens, So ist heiter Erläutert (‹erklärt›) worden, daß die acht Pehrsohnen, So die Roß geben, außer den Acht Jucharten keine Ansprach an dem Schachen, Holtzfäld oder Gelt nicht Haben.

61 Zechendens. Wenn Einer seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, kann ein Ambtsmann den ihm Vergönten und außge­schlagenen Schachen Herd Wyederumb in den alten Stand setzen, oder zwecks auffnämung (Zunahme) deß (Schwellen-) Holtzes anderwehrtige Fürsehung thun.»

Wie rasch der Ertrag des urbarisierten Landes sich steigerte, mag aus dem Dinkel- und Haber-Zehnten ersehen werden, der in den Jahren 1741, 1742, 1743 entrichtet wurde: 12 und 4, 12 und 12, 94 und 58 «Mäs».20 — 1742 forderte der Landvogt den Heu-Zehnten von 33 Jucharten; der Schachen­vogt Christen Burkhalter wehrte sich bei der Regierung energisch dagegen, und diese setzte den Landvogt ins Unrecht.21

Wie sehr aber solche Ertrags-Steigerung mit stetem Kampf gegen Unordnung errungen werden muß, zeigt noch 1902 das zweimal erlassene Verbot von Schädigungen sowohl im «urbaren»22 als im Stụd-Schache.

An den Lützelflüh-Schachen reiht sich emmenabwärts an: das Burgacher-Schächli23 und der Lützelflüh-Anteil am Rüegsau­schachen.24 Dieses Gebiet war 1547 noch ganz Allmend, zählte aber 1576 bereits 13, und 1669: 24 Heimwesen. Heute ist es ein blühender, in Landwirtschaft und Industrie mächtig fortschreitender Ort. Grade aber bei diesem so nahe gelegten Vergleich mit der Vergangenheit kann ihm nichts so ferne liegen, als etwa seinen alten Namen an «Rüegsau-Vorderdorf» oder dergleichen zu tauschen.

Mit dem Ruegsauschachen wetteifert in Hablichkeit der Bewohner und Stattlichkeit der Gebäude der Goldbḁch­scháche links der Emme, heute aber Lützelflüh-Unterdorf zu nennen. — Durch obrigkeitlichen Lehensbrief vom 15. Mai 1597 gelangten die Gemeinden Sumiswald, Trachselwald, Lützelflüh und Hasli in den Besitz des ganzen Reisgrundes um die Brücke zu Lützelflüh, also des (damals ins Gericht Trachselwald gehörenden) Goldbach­schachens. Die vier Gemeinden aber gaben am 17. Juli 1708 das Gebiet den Schachen-Einwohnern in Unterlehen.25 Man denke sich einen Schächler jener Zeit, der heute von Goldbach her an der Eisenbahn­station und Postanstalt, an Restaurant und Gasthof, an zwei Fabriken, drei Werkstätten, acht Kramläden und Handels­geschäften, an den schönen Gärten und blühenden Feldern vorbei über die neue Brücke nach der erneuten Kirche wanderte!

 
1 Beitr. 352.   2 AR. 1817, 311.   3 AR. 1812, 32.   4 O 2.   5 Käthi 365; vgl. auch Barthli.   6 Stürler, Emme 6.   7 ABB, B 18.   8 Stürler, Emme 6/7.   9 Tw. Urbar.   10 JoSt. 249 ff.   11 BwM. 115, 176; Christen 178; Ris Tw.   12 H 5, J 5.   13 Tw. Urbar f. 120 f.   14 F 2.   15 E 2.   16 Stürler, Emme.   17 ABB, A 605-612.   18 Unsere abkürzenden Übergänge wird der Leser auch ohne störende Anführungs­zeichen bemerken.   19 vgl. «Ohmgeld» statt «Ungeld».   20 ABB, A 633.   21 ABB, A 577-623.   22 Marchverbal 5.   23 Ack. Ws. Wd. 54,40.   24 C 2.   25 Stürler, Emme — Der Goldbach­schachen zählte 1783: 19 Häuser (resp. Häuschen), 1 mittelmäßiges Gut und viele kleine Schachengütlein.  
 

Schweli und Täntsch.

Die Pflicht z’schwĕle und d’Schwĕline (Einzahl: die Schwĕli) zu unterhalten, war also zunächst den einzelnen Nutznießern des Schachengeländes überbunden. Die Unzulänglichkeit dieses Abkommens rächte sich bitter. Auf jedes Ịịpănisiere (Einbannen), jede Schmälerung und jedes Vergrĕde (Gerademachen) ihres Bettes antwortete die Emme mit Überschwemmung, bisweilen Schlag auf Schlag. Die Regierung tat ihr Mögliches. Sie ließ die «Landwehren» je und je untersuchen.1 Sie verteilte z. B. 1596 «die Tagwen von wegen der Landwehri zu Lützelflüh» (im Bezirk der Brücke) so, daß auf Lützelflüh je 5, auf Sumiswald 4, auf Hasli 3, auf Trachselwald 1 Pflichtanteil fiel, und daß einem Zug (= Pferd und Mann) 5 Mann als äquivalent galten.2 — Auch die Ökonomische Gesellschaft tat das ihre: sie veranlaßte z. B. 1769 einen Wettbewerb von Schriften über Wasserverbauung.3

Aber erst, als die gesamten 4-5000 Jucharten Emmenschachen so gut wie gänzlich an organisierte Gemeinden oder Korporationen abgetreten waren, und als die Regierung am 1. Februar 1766 mit ihrer Schwellenordnung für die Ämter Trachselwald und Brandis4 ihre ganze Autorität in die Wagschale legte, nahmen die Wasserschäden merklich ab.5 Beeidigte Schweli­meister, im Amt Trachselwald zwölf (wovon einer in Ranflüh), im Amt Brandis zwei, mußten «jährlich zwei ordinari Umgäng halten: in mitten Merzen und mitten Herbstmonat», zudem in Notfällen.6 Der Landvogt ernannte die Schwellenmeister, wurde jedoch 1797 in einem Streitfall mit Rüegsau an einen Vierer-Vorschlag gebunden.7

Die elementarste Technik der Wasserwehr ist das Aahäiche8: an bedrohter Uferstelle wird für die erste Not eine rasch gefällte Tanne oder auch nur ein Grotze9 (Wipfel einer Tanne) mit der Kronenseite ins Wasser gestürzt, damit die Wogen sich an ihr brechen; die Strunkseite dagegen wird mit Ketten umschlungen und durch Pfähle am Ufer festgehalten.

Für dauerhaftere und kontinuierliche Wehr eignet sich jedoch einzig das Schwellenwerk. Schädigend aber für die Nachbarn und deshalb 1766 verboten war das Ansetzen von Stoß- oder Schupf­schwellenen, «bey Straf von 20 Pfunden für jeden Stoß10 Es waren dies (laut Rüfenacht) etwas spitzwinklig gegen den Lauf ins Wasser hinaus geschobene 63 Schwellen in der Ausdehnung eines zu schützenden Guts — eine allerdings brutale Selbsthülfe.

Anders macht sich die Errichtung eines den Gesamt­interessen dienenden Schwellenwerks. Es «wird eine Tanne an den Boden gelegt, aufgeschwirrt (uufgschwieret d.h. mit eingeschlagenen Pfählen oder Schwieren festgemacht) und hinter ihr mit Grotzen, Kreis (Chri̦i̦s = Tannreisig), Weiden u. dgl. zugefüllt. Dann werden auf dies alles in die Quere Trä̆mel von 4, 5 und mehr Schuh Länge und 7-8 Zoll im Durchmesser, auch manchmal kleinere, dargetan, welche alle aneinander gereiht werden. Auf dies wird wiederum eine Tanne gelegt und mit dem übrigen auf obbeschriebene Manier fortgefahren, bis 3 oder 4 Tannen dar­geschwellt sind, wo endlich das Ganze mit Steinen beladen wird.»11

Eine solche Schwelle, die 30-40 Kronen kosten mag, wird durch die Holzflöße bisweilen gänzlich ruiniert.12 Da ferner das Wasser «erst dann gefährlich wird den Schwellen und Wehren, wenn es gefahrlos zu sein scheint»,13 in aller Stille aber unterfrißt, setzte 1795 der letzte Landvogt von Brandis, Ludwig Mai, eine neue Idee durch: «den hinter den Schwellen fließenden Bach durch einen Teich und Pritschen in Schranken zu halten, zugleich aber die 262’ lange alte Schwelle frisch zu überziehen (uberzieh) und zu beladen.»14 «Das Teich» erforderte 14 Trämel; die Bänder und Rigel für die ganze Länge des Schwellenwerks nahmen 18 Tannen weg; ferner brauchte es 1000 Bodennägel und 500 halbe (= halblange) Ladnägel, — ein ungeheurer Meaterial­verbrauch — immer mit ungenügendem Erfolg. Zwischen die senkrecht übereinander­geschichteten und von oben durchgehend verpfählten Tannenstämme drang durchbrechend und wegreißend der hochgehende Wogenschwall. Nun fing man an, Stamm für Stamm mit den zugehörigen Bändern durch Eisenpfähle zu verbinden, die man von unten her eintrieb. Jeder solche eiserne Schwier wurde oben verschraubt (vermueteret); unten aber endete er in einen dicken Kopf, der ein Lösen und Rutschen des Stammes unmöglich machte. So entstand die D’s-un͜der-óbe-Schweli. — Heute aber neigen sich alle Streichschwellen vom Ufer weg und werden wie folgt aufgeführt. Das Fundament bildet die durch allerlei Material solid unterbaute Bodetanne als unterstes Uberhoḷz. Dasselbe wird mit drei Bän͜dere aus etwa 10 cm dicken und 2 m langen Tannstämmchen (Einzahl: das Trü̦meli), die rechtwinklig vom Ufer weg gerichtet und am andern Ende verpfählt werden, hin͜dere g’häicht. Steine, Kies, Sand und 64 Erde liefern die Ausfüllung der so entstammenden Höhlungen. Die hervorragenden Pfahlköpfe aber über den Verbindungs­stellen zwischen Überholz und Bändern werden mit Weiden- oder Haselzweigen verflochten, g’ätteret. Jeder solche Ätter (vgl. «Etterzaun»; mhd. ëteren, einen Zaun flechten; der ëter: geflochtener Zaun um einen Hof oder um eine Ortschaft) bildet, indem er ausschlägt, eine Ruten- oder Gesträuch­pflanzung, die mit der Zeit das Schachengehölz erneuern hilft. Über das Uberhoḷz nun wird zunächst eine Schicht (Legi) von Faschinen (Wedele) von zirka 2 m langen Ruten, dann eine lose Blĕgi (auch das Bleeg genannt) von jungen Tannenstämmchen gebreitet; alles so, daß die Spitze (d’s reiner Ort) der Ruten sowie der Tŭ̦wwer (die «Dolde») der Tännchen behufs Brechung der Wogen gegen die Wasserseite zu liegen kommt, das stumpfere Ende dagegen (die Storze) sich in das Ufergelände einbohrt. Die schräge Richtung innehaltend, breitet sich über das Bleeg wieder ein Uberhoḷz; und so wird mit Auffüllung, Faschinenwerk, Belag, Ätter fortgefahren, bis das dritte oder vierte «Überholz» das Werk abschließt. Dasselbe senkt sich natürlich mit der Zeit und muß je und je durch neuen Überbau in der gesetzlich geforderten Normalhöhe von 1 m erhalten werden. Daher die Bezeichnung Sänk­schweli. Eine besonders schöne Uferwehr des neuesten Systems ist im neuen Korrektionswerk der Grüene, sowie im Bereich der neuen Emmenbrücke zu Lützelflüh zu sehen.

Zu solchen Strịịch­schweline, die dem Ufer entlang «streichen», erhalten reißende Runsen und kleine Flüsse wie die Grüene noch Troom­schweline, welche quer durch den Wasserlauf gehen. In der Grüene sind sie durch feste Zement-Eckmauern mit dem Ufer verbunden. Diese «Tromm- oder Grundschwellenen»15 bewirken, daß die Hochflut in kleine Stürze zerteilt und so in ihrer Stoßkraft gebrochen wird, daß d’s Wasser z’Tood g’heit. Zugleich höhlt die stürzende Flut sich Versenkungen aus, in welchen die Hauptmacht der Geschiebe sich seitlich ablagert, um bei ruhigerem Fluß allmählich verteilt zu werden.

Zwischen Fluß und Damm, rechtwinklig zu beiden, werden zur Festigung des Schachengeländes stellenweise etwa meterbreite Landstreifen mit Steinen aufgebettet und beidseitig mit Rutengeflecht (Ätter) eingefaßt (verätteret). Das ist die alte «Zwerch-Schweli», die heutige «Quer-Schweli», wofür der gut mundartliche Name Chratte besteht.

Die Emme aber, die in ihrem Mittel- und Unterlauf jegliche Art Troom-Schweli beim ersten Stoß einreißen würde, konnte nur durch Korrektion der letzten Jahre dauernd an fortgesetzten Verheerungen verhindert 65 werden. 1887 projektiert, ist das schöne Werk ungefähr mit Schluß des 19. Jahrhunderts unter Bundeshülfe fertig gestellt worden.16

Hinter den Schwellen liefen schon früh «an den meisten Orten aus Erde und Steinen gebaute Dämme», über welche ein stellenweise bis 1 m breiter Fußweg an angenehmen Buschwäldchen vorüberführt. Zur Zeit eines Kurt17 fehlten solche «Däntschen» (Einzahl: der Täntsch) noch völlig; selbst in der «Wassernot» von 1837 vermißte sie Gotthelf da, wo sie am nötigsten gewesen, schwer;18 und wo sie standen, widerstanden sie nicht;19 erst in der letzten Wassergröße von 1896 haben sie sich durchwegs bewährt.

Von einer ersten Anlage solcher Art hören wir 1766: Der Aushub aus den Wasserrunsen soll «hinter oder auf die Schwellenen damm- oder däntschweis auf einander gelegt werden, damit nach und nach durch aufwachsendes Gestäud (Gstụ̈ụ̈d) diese neue Art Däntschen befestiget, und der große Holzverbrauch vermindert werde.»20 Aus dem Jahr 1789 aber bekommen wir zu lesen: «Peter Fridli der Krämer im Goldbach­schachen zinset Jährlich von einem Stückli Land näben dem Täntsch zu nächst ob der Brügg, welches dem Fridly früeher abgekaufft wurde um Kronen 6, daß man den Täntsch nach der Neüwen marche in die Grede ziehen köne; welches aber noch nicht geschächen, weßwägen der Fridly diß solange verzinsen soll, bis diser Täntsch in die Behörige Grede wirt gemacht werden.»21

Seit langem dient der Täntsch in seiner ganzen Länge den beiden Emmenufern nach, besonders aber die Strecke zwischen Lützelflüh und Burgdorf, zu einer äußerst angenehmen und zeitsparenden Umgehung der Landstraße. «Uf em Ämmedäntsch» läßt denn auch Spieß22 unsern «Bitzi» das ergötzliche qui pro quo mit einem Lehrer erleben. «Hier und dort auf einem Tentsch»23 lassen sich Stelldichein verabreden; und in rührender Harmlosigkeit schrieb ein Mädchen seinem «Hans Affolter in Amerika», er solle sich nach so langem doch wieder einmal blicken lassen und ihm die Ehre einer sonntäglichen Begegnung erweisen; «ich gehe über den Täntsch.»24

 
1 Schwellenen 3.   2 Lf. Zinßrodel X. Eingang.   3 Ök. fol. 6 E 37.   4 ABB, C 370.   5 Stürler, Emme 17/18.   6 Schwellenen 7/8.   7 ABB, C 370-2.   8 Beitr. 351; Schwellenen 22.   9 MW. 2J. 240.   10 Schwellenen 18.   11 Eggiw. 108/109.   12 ebd.   13 Schuldb. 60.   14 ABB, C 264; übh. 236-255.   15 Schwellenen.   16 Die Beschreibung dieser Arbeit s. Volksw. 1, 569 f.   17 Kurt 5.   18 Wass. 30.   19 MW. 2J. 239; Brandis 119.   20 Schwellenen 12.   21 Zinßrodel Lf. 67.   22 «Gradaus» 115.   23 BwM. 173.   24 EJogg.  
 

Wiese.

Matt und Matten.

D

 

ie Dinkelfelder sind abgeerntet. Unter Feierabendgeläut ist das letzte Fuder eingefahren worden. Festlich war es ehedem geschmückt durch einen Kranz aus Rosen und gefristeten Kornblumen in der Hand des auf dem Bindbaum sitzenden elfjährigen Töchterleins und das flatternde rote Fähnlein in Händen des gar selbstbewußt neben ihm thronenden kleinen Bruders. Übermorgen schon werden auf einem der Felder die Stoppeln gestürzt und zu einer künstlichen Herbst­grăsig aus Wicken und Hafer hergerichtet. Der zwischen hinein fallende Sonntag aber dient dem Erntefest — der Sichlete, in deren nachmittägigen Verlauf wir ungeahnt ị̆hetrappet sịị. Doch ist bald der Messer- und Gläserklang vor heimeligem Geplauder verstummt, und daran schließt sich an dem schönen Augusttag ein Spaziergang über Feld und Flur. Wir überschreiten das morgen in Angriff zu nehmende Stoppelfeld und gelangen an ein für uns sehr interessantes kleines Revier. Ein zehn Schritte breiter Streif an nordwärts gelegener Bergeshalde veranschaulicht uns nämlich an einem Miniatur­bildchen alles, was anderwärts und auch schriftdeutsch unter dem uns fehlenden Wort «Wiese» zusammengefaßt wird.

Da ist zunächst ein feuchtes Bodenstückchen mit ziemlich starkem Abzug1 (Senkung «Fall»), das noch der Entwässerung durch Tŏne, Uustone («Dohnen»)2 harrt. Einstweilen bietet es das Bild einer primitiven Wässerig. «Wässerung» bedeutet 1. künstliche Berieselung, 2. die Anlage dazu, 3. das dadurch gedüngte Wiesenstück. Ist dieses von bedeutender Ausdehnung, so spricht man von Wässer­matte (1783: Wasserwiese). Noch ausgedehnter ist das Mahd in der Gemeinde Hasli, das einem Lützelflüher Bauer gehört.

67 Ein aus dem Boden rieselndes Quellwässerchen ist im Kleinen, was im Großen der Goldbach, der Rüegsau- oder Lützelflühbach. Anderwärts leisten den Dienst beträchtliche Weier; so schon 1783 in Waldhaus und Flüelen.

Mit der Wässer­chŭ̦tte3 und dem Wätterhuet4 angetan, das Wässer­schụ̈feli5 in der Rechten, zieht an dem ihm günstigen Regentage der Wässerpụụr6 aus, ga wässere. In kleinen Verhältnissen genügt der gewöhnliche Spaten; oder es zieht gar, wie in unserm Miniaturbildchen, gelegentlich der bloße Schuh am Fuß mit Eleganz und Schneid zugleich die richtige Furche.

Das hiedurch ausgehobene oder erneute Wüerli oder Grĕbli liefert in einem Zug Rasen und Erde zu einem primitiven Stauwehr, welchem im Großen die aufziehbare Brĭ̦tsche (Schleuse) des Zuleitungs­kanals oder der Zuleitungs­schwelle entspricht. Im Bild: «Bitzius verstand es wie Keiner, die Britschen aufzuziehen, damit die Wasser der Herzensergüsse reichlich fließen.»7

Ebenfalls nur in größeren Verhältnissen erheben sich Rechtsfragen wie diese: an wem nächstes Mal der Chehr («die Kehr»8) sịịg, ’s Wasser uufz’reise,9 bis es seine Dienste geleistet hat und wieder abg’reiset10 werden kann. Eine andere derartige Frage ist: Auf wie viel «überflüssiges»,11 d. h. über das Stauwehr fließendes12 Wasser (Abwasser)13 ein tiefer gelegenes Nachbarstück Anrecht habe.

In ganz großem Maßstab wurde — und wird teilweise noch — die Bewässerung der Brandis-Schloßgüter Ei- und Kalchmatt betrieben. Eine «Zwerch-Schwelly» schützte den in die Nagelfluh gehauenen Wässerungskanal vor Einbrüchen der Emme. Die Anlage war aber, besonders seit 1784, Gegenstand vieler Berner-Rats-Verhandlungen und verursachte große Kosten.14

Der Hauptwert solcher entlegener Wässer-, oder wie sie z. B. bei Kuhn15 heißen: Uufzug­matte, besteht in der Ermöglichung intensiverer Kultur des arrondierten Hofguts. Die umfangreiche Bedeutung von Ụụfzu̦u̦g geht aus von der Bergfahrt des Kühers aus dem Tal, wo er über Winter das dort gedörrte Heu verfüttert hat. Das Wort überträgt sich in der Folge (sozusagen rückwirkend) auf die Umstände, welche eine des echten Kühers würdige Alpfahrt ermöglichen: also vor allem gute Durchwinterung. Die hängt aber ab vom Ertrag 68 der Wiesen. Als nun der Bauernstand den Küherstand beerbte,16 bedeutete «Aufzug» die durch den Wiesen-Ertrag erzielte Bauernguts-Verbesserung. Dä het e gueti Matte, das git e gueten U̦ụfzu̦u̦g.

Hier ist also Matte = Wässermatte. Mit ihr vereinigt sich aber unter der gemeinsamen oberaar­gauischen Bezeichnung «Lägermatte»17 (d. h. niemals aufgebrochene Wiese) die sogenannte «trocheni Matte». Letztere wird nicht berieselt, sondern mittelst Kopfdüngung angereichert.

Solche Dauer- oder Naturwiesen («Lägermatten») gehen bei uns mehr und mehr zurück. Im Lützelflüh verhalten sich Dauerwiese und bebauter Boden bloß noch zu einander wie 1:300, während im gesamter Emmenthal doch noch wie 1:3,1. Die Kunst­futterwiese dagegen verhält sich in Lützelflüh zum gesamten Ackerbau wie 1:1,6 (im gesamten Emmenthal wie 1:2,7). So entschieden wird hier das Grasland (1764: «Die Ackermatten»18; 1827: das «Mattland»19) zeitweilig unter den Pflug genommen, und zwar bis in die höchsten Höhen hinauf. Nachdem es einige Jahre in den allgemeinen Kulturplan einbezogen worden, wird es mit Grassamen besäet: aa’blüemt oder aa’blüemtet. So liefert das Grundstück wieder für eine Reihe von Jahren — bis zu merklicher Ertrags-Abnahme — Dürrfutter oder auch Grünfutter (Grüens, Grăsig). Da über das Gebirge hin solche in der Regel entlegenere Flurstücke länger als in der Ebene ungepflügt liegen bleiben, hat sich hier die Bezeichnung Ägerte auf sie ausgedehnt. Dabei spricht man von Neulis-Ägerte im ersten Grasjahr; aḷti Ägerte heißt sie in der übrigen Zeit.

Bei dieser Wirtschaftsweise steht der Wiesenertrag immer auf voller Höhe, und ei’m uber ’s Mätteli gaa dient daher auch als Bild für anderweitigen, einem mutwillig angerichteten empfindlichen Schaden.20 (Vgl.: Gang mer nid gäng dür mịs Mätteli, gang mer nid gäng dür mis Gras21.) Arbeitsscheue aber erblicken in solch müheloserm Ertrag eine willkommene Entlastung. Drum instruiert einen zur kommunistischen «Teilung» ausziehenden Tawner seine Ehefrau: «U de la der de nid so mageri Acherli gää! Matte nimm! Matte nimm! Si̦ sị viil ringer z’wärche, und gää notti meh Gras.»22 «Matten sind an einem Hofe, was das Euter an einer Kuh.»23

Unser Veranschaulich­ungsplätzchen weist uns auch ein winziges Li̦sche­mätteli (-s̆s̆-). Ein größeres24 solches ist bei bloßem Streueried-Ertrag 69 verblieben. Wie verschieden davon die zu einem ansehnlichen Bauernhof25 emporgediehene Mósmatt!

Ausgedehnte Dauerwiesen mit reichem Ertrag sind die Ráwfli-,26 Ramsei-, Schwan͜de-,27 Buholz-Matte28 als Kollektiv-Eigentum, die Schụ̈ụ̈r-29 und Fu̦u̦rli-Matte,30 die drei Hụsmatt,31 Saagimatt und eine Neumatt als Zubehör von Einzelhöfen.

Dagegen sind ganz in Äcker verwandelt: eine andere Neumatt,32 die Schache-,33 Emmer-,34 Hunds-,35 Tokterhüsli-,36 Chienerhüsli-,37 Niklause-,38 Fraue-Matt; die Müli-Matte,39 das Schräpfer-,40 das Schuhmacher-Mätteli.41

Teils Acker, teils Wiese sind: eine Hụ̆smatt,42 die Chaḷchmatt zu Brandis,43 die Blasmatt.44 An der Grüene liegt: die Grüenne-Matte45 (verschieden von Grüennematt). Schön und groß dehnt sich ebenfalls an der Grüene aus: die Ade͜lbode-Matte. Zur «Öde» gehört die Öötimatte,46 zu Brandis die Eimatte,47 worauf die Eischüür steht: heute ein Bauernhaus, ehedem das Kornmagazin mit Verwalter­behausung; ebendahin die Brunnmatte.48 Ähnlich motiviert sind die Namen Schụ̈ụ̈r-,49 Aäsch50-Matte, Bach-51 und Rịịbi-Mätteli.52

Äcker und Wiesen mit einem Schụ̈ụ̈rli darauf: die Grăbe-,53 die Ramis̆be̥rg-Matt.54

Kleine Güter (mit Gewerbe) bis große Bauernhöfe: Die bereit genannte Mósmatt, drei Bŏdemátt,55 die Büeḷmátt bei Trachselwald56 und zu Oberried.57 Die Haslimátt (einst die «Matte» zu einem erloschenen «Hasli».)58 Zwei Winkelmátt.59 Die Längmátt.60 Die Schwan͜den­matte mit großem Waldkomplex. Die Hụ̆ppemátt zu Oberried.61

Die zweitgrößte Dorfschaft der Kirch- und Einwohner­gemeinde Lützelflüh heißt Grüenne­mátt.62 Sie umfaßte 1783: «18 Besitzungen, darunter 1 Mühle von 3 Mahlhäufen, 1 Sage, 1 Schulhaus.» Heute wetteifert dieses Durchgangstor für Wasen, Sumiswald, Trachselwald 70 und Dürrgraben nach der Eisenbahnstation Ramsei (Linie Burgdorf-Langnau), das bald auch eine eigene Station (an der Linie Ramsei-Huttwil) bilden wird, mit dem Zentrum der Gemeinde selbst. Für den Bevölkerungs­zuwachs zeugen die dreiteilige Schule, zeugt die Hydranten-Versorgung, zeugen das Postbüreau für zwei Routen (Ramsei-Sumiswald und Ramsei-Trachselwald), ein Gasthof und ein Restaurant, vier Kramläden, eine Käserei, eine Schlächterei, zwei Bäckereien und eine Mühle, die mit elektrischer Installation ausgestattete Sägerei, eine Schmiede, eine Ziegelei und verschiedene Handwerkstätten.

 
1 UK. 252.   2 Schuldb. 405.   3 Joggeli 38.   4 Ball 24.   5 BwM. 108. 131 u. ö.   6 Ztgst. 2, 151.   7 Ammann JG. 4.   8 UP. 460; Erbv. 23.   9 SchM. 2. 353.   10 GG. 3, 45.   11 Amtsr. 114.   12 Vgl. lat. «ab-undans».   13 Amtsr. 76.   14 ABB, A 5-12; 25-32; B 1 f.   15 AR, 1822, 57.   16 Käs. 16 ff.   17 Geiser Lw. 46.   18 Pfr. Moser in Eggiwyl im Pfr.-Ber.   19 Eggiw. 3.   20 Ztgst. 1, 124   21 KL. 02, 831 f. 903 f.   22 Dursli 201.   23 Schuldb. 40.   24 16,60 ha.   25 Wh. 1 Wst. Sp. Ack. Ws. Wd. 2054; E 4.   26 G 4.   27 O 4.   28 L 1.   29 310,01.   30 103,26; G 6.   31 409,26; 371; B 6; E 5 O 4.   32 161,40.   33 109,45; F 4.   34 476,78.   35 LB. 243.   36 LB. 104.   37 LB. 27,70.   38 31.   39 53,17.   40 84,47.   41 80,61.   42 269,57.   43 244,90.   44 OR. 101.   45 Ack. Ws. Wd. 97,56.   46 102,15; C 6.   47 378,92; C 2.   48 59,70.   49 208,51.   50 268,50.   51 181,63.   52 9,37.   53 311.   54 120,77.   55 Ack. Ws. Wd. 59,53; Wh. Ack. Ws. Wd. 72; 2 Wh. Ack. Ws. Wd. 575; z. B. F 3.   56 Wh. Sp. Ack. Ws. Wd. 308.   57 Wh. Sp. Ack. Ws. Wd. 997.   58 Wh. Ack. Wd. 450,46; F 6.   59 Wh. Ack. Ws. 84,83.; Wh. Ack. Ws. Wd. 226,34.   60 Wh. Sch. Ack. Ws. Wd. 658.   61 4 Gebäude, wozu Ack. Ws. Wd. 1096,79; O 2.   62 F 6.  
 

Weide und weiden.

Schließen wir an diese Statistik gleich die der ehemaligen Weiden, deren heutiger Bestand in Lützelflüh auf ½ ha zurückgegangen ist. Das Verhältnis der Totalfläche zur Weidfläche steht damit wie 1:0,0002. (Schweiz 1:0,28).

Dem Wald ist zurückgegeben die Birchweid;1 vgl. den Weidwaḷd;2 so auch das 1791 ab Brandishueb verkaufte Scherrer-Weidlein.3 Teils Wald, teils Unterholz ist die Flüeweid;4 Unterholz und Gestrüpp: das Wüesti-Weidli oder kurz: die Wüesti;5 vgl.: «da i der Wüesti hin͜der.» Unterholz: das Bi̦rbe- (Birnbaum-) Weidli.6 — Eine Wiese ist heute: ’s Weidli;7 ’s Cháḷber­weidli.8 — Acker-Wiesland: die Bergli-Weid,9 die Bláas­weid samt Rain.10 — Acker, Wiese und Wald: die Grabeweid;11 das zur Mosmatt gehörende Weidli.12 — Ein Acker ist heute die Stiereweid.13 — Das so idyllisch gelegene Stüehlige-Weidli14 ist soeben durch einen Neubau zu einem kleinern Heimwesen erhoben worden. Solche sind auch das Farnweidli15 und das Weidhüsli oder die Eḷḷebe̥rg-Weid.16

Auch die den bloßen Namen Weid17 tragenden Flurstücke sind urbar gemacht. Nicht einmal das Schachengebiet, in welchem noch 1743 der Amtmann von Brandig — aber vom Berner Rat ins Unrecht gesetzt — Weiderecht beanspruchte,18 dient heute mehr zu Weideplätzen. So lebt denn die ständige Weide fast nur noch in den vorgenannten Eigennamen fort. Dazu gesellen sich einige Redensarten wie: Er ist no nie vor sị Chüeweid use choo, das will sagen: er ist «ein Hinterwäldler».19

71 Verschollen aber sind bei uns die Kuhreihen, und auch der von Kuhn20 ihm zur Seite gestellte «Geißreihen», von Ferdinand Huber21 so hübsch in Noten gesetzt, gehört der Sache nach nun ganz ins Oberland. Der poetische Geisbueb spielt, wie der prosaische Säutrịịb (vgl. flueche wie ne Säutrịịb) nur noch in der Vergangenheit, wo die Eichenwälder nicht nach dem Holzertrag, sondern nach Säuweid (Acherum) geschätzt wurden. Das war die Zeit, wo selbst die Schweine gleich dem übrigen Weidevieh Schellen trugen, und wo der Weideglocken-Diebstahl mit hoher Strafe belegt war. Letzteres erfuhren noch 1790 zwei Glockendiebe. Diese hatten sich auf die Kunst verlegt, an Glockenriemen, welche mit Tiroler Chötteline an den Hals der Kühe angeschlossen waren, die länglichen Ringe, die mit «Wolfengeli» versehen waren, «aufzuwäggen» (uufz’weigge) und «abzunemmen». (Diese Woḷfängeli, deren Beschaffenheit uns niemand auseinander­setzen konnte, sind wohl eine Art zusammen­klemmender, angelförmiger Springfedern.)22 Die Frevler erhielten, unter Trommelschlag vor die Linde des Trachselwalder Wirtshauses geführt, fünfundzwanzig Prügel mit dem «Rinderzän» (Mụ̆nizäärn) und wurden laufen gelassen.23

Eine Trüegle.

Das Schlüpfen des Schmalviehs, namentlich der Schweine und Ziegen, durch Hecken und Zäune wurde — und wird noch — verhindert durch Dreiange͜l24 oder durch viereckige Gestelle mit vorspringenden Enden. Diese Hölzer heißen Trüegle (Abb.); die Tiere werden trüeglet, wie man heute auch noch von einem Betrunkenen, darum in seiner freien Bewegung Gehinderten, sagt. In mancher Dorfordnung25 war solches Trüegle von Walpurgis- (30. April) bis Michelstag (29. September) vorgeschrieben. Manchenorts, und schließlich durchwegs, wurde es bei den Schweinen durch Metallhafte (Säuhäft) ersetzt: mi het d’Säu g’ringet oder g’runge. Eigens hiefür, sowie für d’Zähn͜d abz’chlemme, reisten Säuringer von Ort zu Ort. Von ihnen lernte man auch den drolligen Ruf: wär wott Säuhäft! — um in geselligem Kreise Brot u. dgl. herumzubieten.

72 Mit dieser Maßregel muß die Stallhaltung einem Naturtrieb der Rüsselträger entgegentreten, der noch in Sprichwörtern figuriert wie: Gang verbiet me de Säue d’s Nüele (Wühlen). Von einer bösen Gewohnheit sagt man: Es ist ihm aatha (angetan), wi de Säue ’s Nüele. («Art läßt nicht von Art»). Verschiedene Gemeinde­ordnungen geboten jedoch, das «Ringe» bereit in jenem goldenen Zeitalter der Schweine, welches diese in Brachweide und Acherum: in der Eichel- und Bucheckermast der Wälder26 feierten. Als Gegenwert dafür hatten auch in Lützelflüh an Wälder stoßende Güter wie die ober FlüeSuperflue») und FuhreFuron») eine bestimmte Zahl «porci» an die Kyburger zu Burgdorf als Grundherren zu leisten. (1261.)27

Die Schafe dagegen, sowie Ziegen und sogar Pferde28 wurden g’spannet: durch kurze, um ein Vorderbein und um den Kopf geschlungene Stricke, die Spanni, zwang man sie zum fortwährenden Senken des Kopfs, oder aber zum Heben eines Fußes. So waren sie ohne menschliche Aufsicht auf einen engen Weidekreis eingeschränkt. — Auch einem unruhig Träumenden konnte es vorkommen, «als ob er g’spannet wär.»29

Alte Namen nach Weidetieren: Ros̆acker, Roßbḁchgrăbe, Chüe-Äbnit, ‑Stutz, ‑Acher. Nach dem schönen Berghof Geißbühl zu Lauperswil nennen sich die auch in Lützelflüh häufigen Geißbühler. Der Sauacher entspricht dem Eggiwiler und Signauer «Schweißberg» (so schon 1372; aber 1341 «Swensberg» und früher «Sweinsperch»).30 Die Schaafhawle, der Schaafchnu̦bel (Lauterbach).

Heute also beschränkt sich die Weide auf die knappe Herbstweid — soweit nicht auch das für sie bestimmte Gras doch noch der Darre verfällt. Zudem kommt sie nunmehr bloß den Schafen, Ziegen und jungen Rindern zu gute. Bei Kühen und Stieren scheut man die schweren Tritte, welche die steilen Gehänge schädigen würden; außerdem ginge der Milchertrag zurück. Gleichwohl entbehren auch unsere Herbste noch nicht ganz aller Poesie des Lebens und Treibens johlender Hüeter­buebe. Noch qualmen im Feld Hüeter­fụ̈ụ̈rli, deren Rauch mit dem Spruch abgewehrt wird:

Rauch, Rauch, Rüebli,
Gang zo’m böse Büebli!
Rauch, Rauch, Reitli,
Gang zo’m böse Meitli.31

 

Wolfstiige und Bodenmatt.

Öfters bloß mit einzelnen Pinselstrichen,32 einmal aber33 in detailliertem 73 Gemälde hat Gotthelf auch dieser Seite des Bauernlebens gedacht:

«Wenn i (erzählt Wehrdi) aḷbe bịị mme̥r säḷber ’täicht haa, wi n ig aḷs e̥ne Hüeterbueb im Herbst ha sächs eso toḷḷ, brav Chüe vor me̥r anne’trĭ̦be, i der rächte Han͜d d’Geisle, un͜der em linggen Arm es Pünteli Spään: de isch me̥r das gäng u gäng wider i Si̦i̦n choo, i ha’s nĭ̦d chönne wehre. I ha mi̦ säḷber gseh, wi n i z’erst afen es băr Zü̦ü̦n bi ga plündere u de uf däm großen Acher ussen es Fụ̈ụ̈r aa’züntet haa. Es isch mer, für’s̆ z’grächtem sä̆ge, albe grăd säuliwohḷ gsi̦i̦, wenn i am Morge ha chönne mit de blutte Beinen im nasse Gras ume schleipfe u se̥ de druuf am heiße Fụ̈ụ̈r ga wärme. De bin i de uf der erst best Acher ga Härdöpfel fü̦̆re grü̦̆ble oder ga Öpfel ahaschlaa, für das i öppis z’braate heig. De han i no an͜der Hüeterbuebe zue mme̥r g’löökt, hie eine u dert eine. D’Chüe, die hei mer weis Gott vergässe. Die hei si̦’s lă wohḷ sị, wo’s am meiste Gras g’gää hett, ohni z’fraage, wäm es sịịg. Mir hei ụ̈si gstŏhḷnigen Öpfe͜l u Härböpfe͜l ’braate. Ob em Verteile sị mer öppe de chlịị uneis worde u hei enan͜deren i d’Finger gnoo, bis i̦s ’s Zanggen ó verleidet ist. De hei mer de öppen e chlii g’vätterlet (gespielt). Mir hei Stäcke g’worfe u g’luegt, welcher wị̆ter. Oder mir hei Matte g’grăbe. (Däm seit men ieze stäckle. Da nimmt vo Zwene en iederen es Flachsstäckli. Der eint wirft sịs eso vor ị̆hm anne i Bode, dass es schrẹẹg ịịsteckt. De chunnt der an͜der vor ị̆hn zuehe (stellt sich ihm gegenüder) u wirft sị’s eso i Bode, das es mit dem erste es schöns Chrụ̈z macht.) — Aber wo mer am schönste sị dranne gsịị: o wetsch! du chunnt der Puur dahaar, wo n ĭhm mịner Chüe sịs Gras gfrässe hei (= dessen Gras meine Kühe fraßen). Dä ist i̦s cho ’s Fụ̈ụ̈r vernü̦dere; mir hei derwị̆le Bächch g’gaä. Är uuf u năhe, u het i̦s weḷḷe bi de Haare nää. Aber er ist glịị voḷḷ Aatem worde u het müeße stiḷḷ haa. De het er i̦s de naa ’brüelet: Wartit nume, dir Tonners̆ Buebe! Wen ig eine von-n-e̥ch erwütsche... u. s. w.»34

Etwas zivilisierter sieht da und dort die heutige Hüeterei aus. Zunächst wird jeder Weidekomplex durch Ruten — Zi̦i̦li — in kleine Reviere abgeteilt — abg’steckt —, deren jedes eine Woche lang vorhalten soll, so daß die Tiere jeweils am Sonntag ein frisches Stück abzugrasen finden. Damit geben sie an diesem Tag weniger umez’wehre, und das Festgeläut der Weideglocken, die gegen die eintönigen werktäglichen Schellen ausgewechselt werden, begleitet das heute besonders freie Tun und Treiben der Buben. Dazu kommt, daß sie die nie ausbleibenden 74 sonntäglichen Besucher ihresgleichen zum eigentlichen Hüten anhalten. Nun wird aller denkbare Zeitvertreib angestellt. Der ingeniöseste besteht darin, aus dürren Buchen- und grünen Tannenzweigen (Chrĭ̦s̆ẹs̆te; Einzahl: der Chrĭ̦sast) ein hohes «Haus» aufzurichten und den «Keller» mit Obst und Kartoffeln zu versorgen. Nun leistet das Streichholz seine Dienste. Dás chri̦s̆met! Das sprätzlet! Das chlepft! Der im qualmenden Rauch sich brechende Sonnenschein aber bietet ein nie genug zu bewunderndes Schauspiel. Dann beobachtet man staunend, wie die Laune des Feuers sich unerwartete Bahnen wählt, wie schließlich noch da und dort «eine hohle Säule» verschont bleibt, und — «des Pudels Kern» — man kostet, wie die im unversehrten Keller gebratenen Früchte schmecken: so ganz anders als auf der nun gründlich überwundenen Kulturstufe alter Hüterei, wo man die halb verbrannten und halb roh gebliebenen Kartoffeln mit schmerzenden Fingern aus dem offenen Feuer hervorklauben mußte.

Ebenfalls keine große Rolle mehr spielt die Sichelarbeit des Futterschneidens in Lichtungen und am Rand des Waldes durch Besitzer von Ziegen: den Geißen chööle35 (nach Gotthelf36 auch: den Säuen, für die Schweine).

Wichtiger ist das Einsammeln verschiedener Riedgräser zu Viehstreu: Lĭ̦schsche määjje, deere (dörren), ịịtue. Die Ernte selbst heißt der Lischnet oder spaßweise auch der wäḷtsch Heuet.

 
1 OR. 55.   2 O 4.   3 5-6 Jucharten; vgl. ABB, B 169.   4 16,95.   5 24,70; H 5 und 6.   6 107,05.   7 207,32.   8 OR. 36.   9 148,90.   10 148,45; O 3.   11 332,32.   12 179,92.   13 L 1.   14 Wh. Sch. Ack. Ws. Wd. 217,70; G 5.   15 Ack. Ws. 337; L 3.   16 D 3.   17 O 1. 2. 3. 4. L 3 (zweimal).   18 ABB, A 591-7; 628.   19 Vgl. Ball 53.   20 AR. 1820, 232 f.   21 ebd.   22 Vgl. «Wolf» in der bekannten medizinischen Bedeutung, die gemeinsam mit der zoologischen auf ein «Zerren» zurückgeht; vgl. Kluge5 410.   23 Ger. Tw.   24 SchM. 2, 248.   25 JoSt. 66.   26 Ök. Q. 29, 23, 20.   27 Kib.-Urb. 160.   28 SchM. 2, 248.   29 UK. 92.   30 Fontes II.   31 KL. 02, 63; 03, 46. «Reitli» und hier auch «Rüebli» sind sinnlose Reimwörter.   32 Land 69; Segen 69. 62; SchM. 1, 184 u. ö.   33 SchM. 2, 262 ff.   34 Folgt die schöne Stelle S. 263.   35 BSp. 99.   36 GG. 2, 131.  
 

Gras und Gräser.

Die Hauptauf­merksamkeit jedoch beansprucht das zu mähende Gras. Ist überhaupt die Schweiz «das graswüchsigste Land Europas»,1 so gehört das wasserreiche aber langwinterige Emmental zu den Gegenden, in welchen es gleich nach dem ersten warmen Frühlingsregen2 in unvergleichlicher Farbensattheit und Fülle aus allen Ritzen und Runsen, «durch die Böden und über die Berge gruenet»,3 also wieder e̥s rächts Grasjahr4 in froher Aussicht steht. Um so wehmütiger stimmt es im Herbst auch den Bauer in der Ebene wie den Sennen bei der «Abfahrt von der Alp», wenn «üsers Grĕsli ist verschwunde, üsi schöne Meien o.»5

Was bedeutet nun Gras? Einmal Graswuchs, Futterschnitt («das zweute, tritte Gras»).6 Dann die Gesamtheit aller in der Viehhaltung 75 roh verwertbaren Gräser und Kräuter, also soviel wie: Grăsig («Grasung»).7 Ein umfassender Name für alle eigentlichen Futtergräser, also aus der Klasse der Gramineen, ist Schmä̆le, Schmä̆li (ahd. smelche),8 und aus dieser den Eindruck einer Mehrzahl machenden Form heraus­konstruiert: die Schmăle. «So dachte er und brach sich eine starke Schmahle (als Zahnstocher) aus dem Zaun.»9 Beliebter Scherz: einen mit ere Schmale chützele, d. h. ihn mit der Rispe einer Schmiele die Lippen kitzeln.

Speziellerer Benennung erfreuen sich nur wenige Gräser, z. B.: Die schwaarzi Schmä̆li, das gemeine Wiesenrispengras (Poa pratensis).10 Die Fromändaner-Schmale, das Fromental oder französische Raygras, Franzose­schmä̆le (Arrhenatherum elatius), als sehr ergiebig für Dauerwiesen­mischung geschätzt wie das massenhaft gesäete italienische, und weit vorgezogen dem englischen Raygras, beide Rehschmäle genannt, welchem Namen Kinder drolligerweise etwa eine Hirsch­schmale als Synonym beigeben. Die Chnụ̈tte͜l- oder Chnütteli-Schmale, das Knaulgras (Dactylis glomerata), mehr geschärzt als Grünfutter, da die Halme bald sehr hart werden und sich den Übernamen I̦se-Schmale oder Ise-Traht gefallen lassen müssen und gelegentlich Spässe veranlassen wie: er weḷḷ ga heue, süst chönn’s ke Möntsch meh frässe. Huṇ’gschmäle oder Zucker­schmäle heißt das wollige Honiggras (Holcus lanatus), welches sich ohne besondere Samenpflege stark vermehrt. Ein herrliches Aroma erteilt dem Heu die weißgelb reifende Natur­schmäle, das Geruchgras (Anthoxanthum odoratum). An solchem Aroma wetteifert mit ihm das Rịịsch­graas, die Quecke (Triticum repens), deren um den längsten Tag sich bräunlich hervorhebenden Rispen (oder Ähre) dem Truber11 das Signal zur Heuernte geben. Im Pflugland dagegen ist das «Reistgras» mit seiner fast unausrottbaren Riischgras­wü̦ü̦rze ein ungern gesehenes Unkraut. Hoch geschätzt ist wegen seines feinen Halms und großen Nährwerts das Thimóte-Gras (Wiesen­lieschgras, Phleum pratense). Sehr ausdauernd und dabei in der Blüte ein äußerst zierliches Gras ist der Gu̦ḷdhăber, Goldhafer (Avena flavescens). Besonders für Wässermatten geschätzt ist der Fuchs­schwanz, Wiesen­fuchsschwanz (Alopecurus pratensis). Einen poetischen Namen hat das Schlafchorn, die weiche Trespe (Bromus mollis); seine Ähre gleicht der Kornähre, bringt aber keine Kerne zur Reife, weshalb der Volksmund dieses «Korn» als schlafend bezeichnet.

76 Schon weniger poetisch berührt uns der Name Wäntele­schmä̆le, wie das Zittergras heißt (Briza media). Der berndeutsche Name erklärt sich aus dem Umstande, daß die Ährchen des Grases, sobald man sie auf die hohle Hand legt, sich ruckweise zu bewegen anfangen.

Niederes, hartes Gras, dessen Blätter dem Sensenzuge ausweichen, «das me’s sött ịịseiffe» wie einen abzunehmenden Bart, ist den Mähdern bekannt unter dem Namen Mareilihaar.

Sämtliche niedrigen, dichtrasigen Grasarten, wozu auch das Kammgras (Cynosurus cristatus) als vorzüglichstes Weidegras zählt, werden zusammengefaßt unter dem Namen Mŭ̦schigras, Mü̦schergras, der oder das Muschi. Der dichte, oft auch verworrene Stand desselben in niedrigen Büscheln führt den Namen: der oder das Tschŭ̦mi, und danach heißt ein kleines Kind, «wo ’s Fü̦̆di no i de Chrụ̈teren ume schleipft», es Tschŭ̦merli.

Den Übergang zu den Kräutern bilden die Grassamen­mischungen aus den verschiedenen «Schmale» mit Esparsette, Luzerne, Wickfutter u. dgl., welche 1895 in Lützelflüh den doppelten Raum des reinen Klees einnahmen. Der reine Chlee, d. h. Rotklee (Trifolium pratense), «der Kühe Zuckerbrot»,12 wird namentlich in seiner Spielart als mehrjähriger Naturchlee über die Egghöhe hin bevorzugt. Der auch hier als Glückszeichen gefundene (aber nicht zu suchende!) vier­bletterig Chlee, der übrigens seine Konkurrenten im fünf- und mehr-, ja zur Seltenheit soger vollkommen vierzehn­blättrigen hat, führte zu der Vexierfrage: Was git meh Miḷch, der drei- oder der vierbletterig Chlee? Antwort: jener, weil dessen mehr wächst. — Ein vortreffliches Futter ist auch der Wịịßchlee (Trifolium repens).13 Nur weichen die langen Kriechtriebe, aus denen sich jahrelang zahlreiche Stengel erzeugen, der Sense aus, und der Rechen fängt sich in ihnen, so daß der unwillige Heuer sagt: Es ist, wie wenn Träht gspannet wäri. Oder: es ist aber e Schụ̆hmacher da düre g’gange u hett Spett-Träht (Pechdrähte) verloore. — Als Reinkultur spielen nur eine geringe Rolle die Bä̆rsette, Esparsette (Onobrychis sativa)14 und die Lụ̈̆särne (Luzerne, Medicago sativa).15

Wie natürlich es dem Landwirt ist, seine botanischen Benennungen nach dem Futterwert zu richten, zeigt z. B. der Name Miḷchscheḷm, ‑li (harmloser anderwärts: «Gib i nix»), welchen er dem kleinen, zierlichen, im August massenhaft blühenden (daher auch «Augstebluest» genannten) gemeinen Augentrost (Euphrasia officinalis) erteilt hat. Ein lästiges Wiesenunkraut, der geknäuelte Ampfer (Rumex conglomeratus), heißt Di̦ttiblacke, Blacke oder Mäḷcher-Tschäppe͜l, mit dem der Bauer 77 während des ganzen Wachstums Krieg führt. Er hat sogar ein eigenes Werkzeug, das Blackenĭ̦se, mit dem er die lange Pfahlwurzel im Frühling heraushebt, usesticht (s. Abbildung). Um die Zeit der Samenreife im Herbst werden trotzdem nachgewachsene Stengel mit ihren braunroten Samenrispen abgerissen und büschelweise auf den Feldwegen niedergekarrt. Ungern gesehen ist auch die Chi̦i̦rbele (aus cærifolium silvestre), der Kerbel. — Die zum Glück hier weniger bekannte Kleeseide wird mit dem Namen Chleetüüfe͜l gebrandmarkt.

Spruch in einem Rahm-Napf.

E grăsigi Härdöpflere ist ein verunkrauteter Kartoffelacker.16 Dagegen ist grăse: Grünfutter einheimsen, wie chleene: Klee als Grünfutter heimschaffen.

 
1 Volksw. 2, 289.   2 Käthi 360.   3 Ztgst. 2, 154; vgl. Christen 179.   4 Schuldb. 8.   5 Kuhn.   6 Käs. 149.   7 ebd.   8 Schade 1, 548.   9 AB. 1, 207.   10 Stebl. 2, 1-9.   11 Trub 29, 38.   12 BSp. 345.   13 Stebl. r. F. 140.   14 ebd. 56-58.   15 Stebl. 2, 59-73.   16 Ztgst. 2, 36.  
 

Heu und Emd.

«Mähen» lautet määjje. Ein besonderer Gefühlswert liegt in diesem Wort, wo es das anstrengungs­reiche Grasmähen für Heu und Emd bedeutet.

Ein erstes Morgengrauen durchbricht die Nacht. Da tönt in ihre lautlose Stille hinein ein Klopfen, leiser erst, dann lauter und in rascherer Folge. Vom Stäcke (Spazierstock) rühren die Schläge her, die der Bauer oder die verwitwete Bäuerin gegen die Decke des Schlafzimmers führt. Da rührt und regt es sich droben im Gaden. Der Meisterknecht ruft seinen Schlafgenossen an: Uuf, es het ’topplet! Der dreht sich und frägt gähnend: Wie mäṇ’gs isch es dee? Ein Streichholz leuchtet. Eh miṇ Gott, scho drụ̈ụ̈! Der Meister het si verschlaaffe, mir hei hü̦t scho um zweu uuf weḷḷe!

Um so rascher ist heute das Volk zur Arbeit fertig. Schon harrt seiner drunten in der Bauernstube ein Körbchen voll geschnittenes Brot und eine Kanne voll lauwarm bereiteter Milch. (Nur der alte halbtaube Peek zieht ihr sịs Glẹsli vor, das er in einem Zuge leert, worauf er durch Gränne und Päärsche sein Wohlleben am guete Schlückli bekundet.)

Draußen stellen sich die, Mähder (Mä̆der) hintereinander und lassen dem Meister (Puur) oder dem Meisterknecht die Ehre vorz’määjje. Eine Würde und Bürde eines Mannes, einer Frau, die auch sonst im Leben als die Ersten ins Zeug gehen; dasselbe tun «Helden, welche keinen Wurm zertreten, aber vorn an mähen in der Schlacht»;1 «Weiber, die einem rechten Hause wohl anstehen und vormähen in der Haushaltung».2 Weh aber auch einem, der sich etwa zu dieser Stelle eine primus inter pares vordrängen wollte, ohne ihr gewachsen zu sein! Flugs haben der Zweite, der Dritte in der Reihe ihn überholt und lassen ihn in seinem dreieckigen Stümpfchen, seinem Fụụlblätz oder Fụụlacherli beschämt dastehen.

Im gemeinsamen gleichen Takt aber mit dem anerkannt Vormähenden: im Streich schwingt die ganze Reihe — die Zị̆le̥te — der Mähder und Mähderinnen die rauschende Sense. Alle auch trachten ihre persönliche Meisterschaft darin zu bewähren, daß sie sụ̆fer määjje. Hinter sich lassen sie eine glatt rasierte Grasnarbe ohne erhöhte Streifen — Schnụ̈tz («Schnauzbärte») —, auch ohne verwaiste Halme oder Büschel. Denn die sehen ebenso unordentlich aus, wie sie von schlechter 79 Ökonomie zeugen. Mi mues’s nää, wi̦ḷ’s gwachsen ist. Fern daher vom Ungeschick, d’Sägessen i Bode z’schlaa, versteht der rechte Mähder, z’Bode z’haa, ni̦der z’haa. Die Gründlichkeit solcher Arbeitsweise wird auch auf anderweitiges Tun übertragen. Mi het z’Bode, het nider im Markten und Feilschen,3 im Dringen und Bestehen auf etwas,4 im Zureden,5 im Beten, in einer Darlegung.6

Recht erschwert wird solches «z’Bodehaa», wo Maulwurfshügel (Schä̆rhụ̈ụ̈ffe), durch Regenwürmer emporgeschleppte Erde (Wurmhaärd)7 oder Ameisenhaufen (Ampeise­hụ̈ụ̈ffe), verborgene Steine u. dgl. nach sarkastischer Sprechweise d’Sägesse wetze. Schwierig auch, und doch doppelt nötig, ist sauberes Mähen im Spätherbst oder auf magerem Grunde schon früher, wo die Măde (Schwaden) nur noch spärlich ausfallen, wo es nur noch ein «Zusammen­schaben» der Grashalme (schĕbere) gibt, wo me schier gar Zi̦i̦li stecke mues, um das Gemähte und Ungemähte unterscheiden zu können.

Ein Bessermachen aber des schlecht Gearbeiteten lohnt sich hier nicht, man unterläßt es: was hin͜deren ist, ist g’määjt («was gemäht ist, ist gemäht»8): soll nun für gemäht gelten. Übertragen: reden wir nicht mehr davon!

Das Mähen und Einbringen von Dürrfutter — Dü̦ü̦rs̆ mache9 — wird trotz aller Ersatzversuche bei uns eine Hauptarbeit des Landwirts bleiben. Ist doch Düürs̆ selbst im Sommer die Hauptnahrung der Pferde;10 ist doch altes Heu auf der Bühne11 ein Trost bei allerlei Unfällen, und dann höchstens verbrönnts Heu oder Ämd12 durch Erzeugung starken Durstes unangenehm wirken.

Der gesamte Sommernutzen, — welchem drolligerweise auch etwa ein «Winternutzen» gegenüber­gestellt wird, indem einer vom Barbier die Entfernung seines Bartes verlangt: i bringe der grad der ganz Winternutze — kann je nach Höhenlage, Boden- und Grasart aus zwei bis sechs Schnitten bestehen. Deere aber lassen sich höchstens drei Schnitte: Heu, Ämd und allenfalls Herbstweid. Ihr gegenseitiges Wertverhältnis ist verschieden, je nach dem Standpunkt, den man zu dem neuern Grundsatze einnimmt: brüetigs Heu u rịịfs Ämd. Ehedem glaubte man, mit dem Heuet warten zu müssen, bis d’Säublueme-Röhrli aheg’fụ̆let sigi, d. h. bis die (schwer zu dörrenden) Löwenzahn­stengel verwelkt seien. Dabei konnte die Witterung die Heuernte («die Heuig»)13 bis in den nach ihr benannten Heumonḁt (Juli) 80 hinausschieben und allzunahe an den Ämdet heranrücken. Für 1903 stellen sich jedoch alle drei Schnitte zueinander wie 2:1:½, ja stellenweise wie 2:2:x, während z. B. für 1898 der Durchschnitt auf 18:5:2 (bei gutem Wiesland) sich bezifferte.

Ist der Hauptertrag des ersten und reichsten Schnittes — vergl. Gäḷt wie Heu14 — eingebracht, so wird noch der spärliche Graswuchs auf entlegenen magern Gehängen zsäme g’rămisiert (vgl. ramasser), was man der wäḷtsch Heuet nennt. Es ist dies eine spaßhafte Übertragung der in den Juli fallenden Heuernte auf den bernischen und neuenburgischen Jurabergen. Diese wird nämlich meist von bäuerlichen Altbernern besorgt, nachdem solche daheim ihren eigenen Heuet mit dem üblichen festlichen Schlußakt, die Heuete genannt, hinter sich haben: verheuet hei.

Die ganz besondere Geschäftigkeit, welche die Heuernte erfordert, wird u. a. durch einen Spruch und eine Redensart illustriert. Jener lautet: Wär im Heuet nid găblet un i der Ärn nid zăblet un im Herst nid früech ufsteit: dä cha de luege, wi’s ihm im Winter geit. Diese heißt: i der Blatten ume heue, d. i. die Schüssel­gemeinschaft des Tisches unverschämt und wählerisch ausnutzen.15

Die Gründlichkeit dagegen, womit der Ertrag des zweiten Schnittes zu Ehren gezogen wird, spiegelt sich in der spassigen Äußerung über den Barbier, der behufs saubern Rasierens no einist druber geit: iez wott er no ämde.

Die Bearbeitung des zum Dörren gemähten Grases geht in folgender Weise vor sich.

Wenn tunlich, erst nach einigem Abtrocknen des Bodens werden die Schwaden (Măde) mit der hölzernen Gabel zerteilt oder g’worbet.16 Schon hier setzt ein Bild ein: Uf einen wo rächchet (also zusammenrafft) chunnt einer wo worbet (zerstreut, verschleudert); m. a. W. en iedere Sparer het si Gụ̈ụ̈der.

Gemalt von R. Münger.

Um Mittag ist die besonnte Oberseite afen e chlii uberschláge, wird welk, schlä̆smig oder gschläsmig, sie schläsmet. Ist sie haḷbdü̦ü̦r, so chehrt me: man wendet das Futter mit der hölzernen Gabel, sofern nicht der (noch vor der Mähmaschine angeschaffte) Heuwender seine weit bessere Arbeit liefert. Um die Abendzeit wird ụụfg’rächet: das Heu mit dem Rechen an Wäḷmli gebracht. Droht Regen, so wird gschöchchlet, d. h. es werden aus den Wäḷmline 1 Meter hohe Haufen geformt: Schö̆chchli. Im Oberaargau und Seeland heißen diese Bĭ̦rlig; dies Wort ist aber heute auch im Emmenthal 81 nicht mehr so fremd, wie zu Gotthelfs17 Zeiten. — Ein großer Teil des Heus wird dadurch vor Durchnässung geschützt, und um so eher erlaubt am nächsten sonnigen Vormittag der abgetrocknete Boden das Zette18 (Verzetteln) des halbdürren Futters. Um Mittag wird es neuerdings g’chehrt und verlangt bei ungünstiger Witterung allerlei Behandlung, um zur Not dürr zu werden. Man zerstreut alle kleinsten verwirrten Häufchen — Pägge͜l — durch Schüttle oder Schütte mit der Gabel, wie man eine viel Sorge und Mühe verursachende Hụ̆shaḷtig schüttet; man muß das Heu grŏsătte: ihm wie einem Großvater alle denkbare Sorgfalt angedeihen lassen.

Endlich nun rückt’s doch mit dem Doore (Dürrwerden); mi cha afen e chlii ga z’sämetrööle oder z’sämemache: das Heu zu großen, dicken Wällen (Wäḷme) zusammenbringen, um ’s z’nää (zu «nehmen», einzuheimsen). Zu diesem Behufe fährt der Heuwagen i d’Gasse, d. h. zwischen je zwei Wälle hinein. Zwee gää uehe: heben eine mächtige Gabelladung um die andere auf den Wagen. Einer lădet. U’s Wiibervoḷch rächet z’säme wie’s Bịịserwätter und ruft, wenn der Rechen die Masse nicht mehr bewältigt, den Gablern zu: abnää! abnää! Rasch ist ein Fuder geladen und gebunden; es wird abg’rächet, d. h. mit dem Rechen der lose hängen gebliebenen Büschel entledigt.19

Ein solches Heu- oder Emd-Fueder, dessen Bindbaum oben im Hammeloch, eingehängt steckt, ist ein Respekt gebietender Anblick, «ein ganzes Heufuder voll»20 ein beträchtliches Maß. Drum, wenn die schwankenden Ladungen durch die Straße fuhren, da stand «Gotthelf am Wege so vergnügt, wie wenn das alles in séine Scheune eingeführt würde.»21 Mit geschultem Blick aber nimmt der Fuhrmann, welcher ịịfüehrt, bei der Wegbiegung der Rank: er chräicht in genau berechnetem Bogen; ein «Achtung!» tönt in die Ohren der Rosse, im Trab geht’s der Brüggstock uuf un uber d’Ịifahrt ịị. Auf der Bühne wird das heruntergegabelte oder auch gleich mit einem Stoß überworfene Futter g’fŭ̦ḷḷet (alte Nebenform zu «füllen»); d. h. Gablete um Gablete wird verleit (zerlegt): über den Boden oder die schon vorhandenen Lagen hingestreut und festgetreten, zsämetrappet.

Viel anstrengender aber ist auf ungebahnten Wegen und steilen Gehöften das Eintragen des Dürrfutters im Heugarn auf den Schultern oder auf dem Kopf. Hier erst recht lernt einer, was wärchen ist, und hat Gelegenheit zu zeigen, ob er si cha lịịde, d. h. ob er Arbeitsgeist und Ausdauer, Geduld und die Fähigkeit, sich in alles zu schicken, besitze.

82 Den Schluß bilde ein kleiner Zug von großem Belang. Reiche Bauernsöhne haben nach flotter Käsfuhr im Wirtshause, mit Trank und Speise nicht kargend, sich gütlich getan. Hafer und Heu haben sie mitgeführt und draußen die Pferde gefüttert. Aber ehe sie zur Weiterfahrt aufbinden, wird jedes verzettelte (verzatteret) Hälmchen vom Boden aufgelesen und versorgt.22 Wär’s̆ Hämpfeli nid schetzt, ist der Heustock nid wärt.

 
1 Käthi 290.   2 Ztgst. 2, 4.   3 Michel 160; UP. 170 und ö.   4 SchM. 2, 471; Dursli 314.   5 AB. 2, 207.   6 SchM. 2, 477.   7 UK. 121.   8 Ztgst. 2, 2; vgl. Ott 1, 59.   9 UK. 213.   10 UK. 150.   11 UP. 353; Spinne 23.   12 Michel 185-272 u. a.   13 ABB. A 13.   14 Heiri 131.   15 Schuldb. 144.   16 MW. BK. 30.   17 Besuch 154 ff. 181.   18 UK. 214.   19 Vgl. UK. 219.   20 Schuldb. 25.   21 Fröhlich VIII.   22 Käs. 250.  
 

Acker.

«Wärche».

D

 

ie Emmenthaler bauen überhaupt ihr Land wohl. Sie geben sich alle Mühe, es zu verbessern und einen so hohen Ertrag als möglich daraus zu ziehen, daher man im Emmental wenig ödes Land antrifft.» So 1764 der Landvogt von Brandis. Ein Zeugnis, das bis auf unsere Tage hinunter immer neu wiederholt wird.1 Der laut Urteil seiner Zeit- und Gemeinde­genossen2 auch im Landbau durchaus bewanderte Gotthelf erklärt die Sorgfalt desselben wiederholt aus der Anhänglichkeit an jedes durch Fleiß und Schweiß emporgebrachte, wenn auch noch so kleine Landstück. Er erzählt wiederholt von der förmlichen persönlichen Zuneigung zu solchem Sorgenkind. Des entgleisten Dursli3 Ehefrau «weinte jedem verkauften Stückli Land bitterlich nach; auf dem gab es den Flachs am liebsten, auf einem den Kabis» usw. Mit wahrer Entrüstung hinwieder geht der «Schuldenbauer»4 an einem schlecht gearbeiteten Acker vorüber: «Wer da gfahren ist (gepflügt hat) u gsäyt het, dä sött men abschlah wie ne Hund.» Es gibt ja wirklich, besonders Stegen und Wegen nach, nüüt Wüesters̆, weder we’s uusg’seht wi wenn d’Chatzen u d’Hün͜d da z’Achergfahre hätti. Jeder sachverständige Fremde bewundert denn auch die peinliche Sauberkeit und Ordnung auf den «gartenähnlich bestellten»5 Äckern.

Solcher Hingebung bedarf freilich auch der Emmentalerboden wie kein anderer. Zunächst ist er außerordentlich steil: stri̦tbḁrs̆ (strị̆ppe̥rs̆) Land. Dieses «streitbar» besagt: Mit der eisernen Waffe namentlich des Pflugs ist ihm nur schwer oder gar nicht beizukommen. Er ist ŭ̦npĕnig («unbändig»): schwer zu bändigen, «zahm» zu machen. Er ist ung’schlacht: 84 an ihm scheint zuweilen «alle Liebesmüh verloren» zu sein wie an einem Masttier, das aus der Art (d. h. «Geschlecht») geschlagen hat und «nid guet tue wott.» Er ist ŭ̦ntụ̈ụ̈r: so mühevoll zu bearbeiten, «das me mängist fast möcht dervo louffe». («Untüür» ist eigentlich «unteuer», ungeschätzt, unlieb; mhd. «des nimmt in untiure» heißt: er macht sich nichts daraus.)

Kein Wunder also, daß auch der Landwirt und Landarbeiter für seine angestrengteste Beschäftigung eine ausschließlich für sie geprägte, auf sie gemünzte Bezeichnung als Ehrentitel in Anspruch nimmt: wärche. Der industrielle Angestellte nennt sich «Arbeiter», und seine tägliche Hantierung nennt er schaffe. Ein Ausdruck, der, gemäß seiner Verwandtschaft mit «schöpfen», im übrigen Leben mehr den Erfolg einer Bemühung hervorhebt: Hest wohḷ gschaffet? = bist du mit dem Erfolg deiner Sammelarbeit zufrieden? I cha mit däm Zụ̈ụ̈g, däm Mönsch usw. nụ̈ụ̈t schaffe = kann damit nicht zurecht kommen.

Der Landmann aber wärchet — das ist seine Ehre vor und in der Welt. Einer wo wärchet, ist gäng no g’estimiert (estimé), (er mag im übrigen sein, wer er will). Bim Wärche bis gäng voraa!6 ermahnt der Bodenbauer den von ihm beförderten Meisterknecht. (Das schafft dir Boden unter den Füßen.) Und sehr bezeichnend für den bäuerlich bernischen Volkscharakter ist die Selbstbescheidung: z’ässe gnue und z’wärche gnue.7 — Nicht einmal die noch so umfangreichen Haus- und Stallgeschäfte dürfen den Ehrennamen beanspruchen. «Anne Bäbt hatte die, welche nicht werchen, d. h. mit einem groben Werkzeug dreinschlagen konnten, auf der Mugge.»8

Wärche ist also ungefähr dasselbe, was dŭ̦sse wä̆rche,9 im Feld («draußen») arbeiten. «Dusse werche konnten die Töchter wohl, aber daheime war keine dressiert.»10 Gleichbedeutend sind die Ausdrücke: uf em Härd wärche,11 ’s Land wärche, der Hof wärche.12

Von da aus gehen allerlei Übertragungen und Speziali­sierungen: «sich Courage in den Leib werchen»;13 aḷḷs ihewärche14 oder ịịherbste; isch es einist nahegwärchet, das men us de Schulden ist...;15 enan͜dere i d’Händ wärche (auch politisch16). Es Heimetli erwärche:17 durch Arbeit erringen; im Sinn von «Durcharbeiten», «auf die äußerste Kraftprobe setzen»: das Projekt «erwerchete ihn immer strenger».18 Recht manigfaltig ist die Bedeutung von verwärche. Zunächst arbeitend hinbringen: Der faule Taglöhner will nur 85 «möglichst leicht die Zeit verwerchen.»19 Dann mit einer Reihe dringender Feldarbeiten zu Ende kommen. «Sobald wir recht verwerchet haben, so mußt du doch den Zins bringen».20 Mühsam verarbeiten: «das sündflutliche Fleisch»;21 besonders aber, was man auf dem Herzen hat;22 «was in der inne schaffet»;23 «Gedanken»;24 «Galgenfreude»,25 Zorn,26 «Tränen».27

Eine zur Feldarbeit tüchtige und willige Person ist wärchbḁr («werkbar»28). E Wä̆rchadere («eine Werkader») «nennt der Emmenthaler jede tätige und tüchtige Hausfrau»,29 besonders wenn sie «dussen u dinne» sich nie genug tun kann. Dann nähert sie sich aber auch dem Scheidewege, an welchem es zum Wärchtier,30 zum Wärchhun͜d links ab geht. Wie schade, wenn dann die Attribute «arbeitsfreudig» und «unsauber», «zynisch» konkurrieren!

Ein hübsches Wort ist: e Wärchgueg, nach den flinken und unermüdlichen Bewegungen gewisser Käferarten. Nicht von so viel Lebensfreude zeugt dagegen die ständige Formel: hert wärche u bös haa.

Z’wärche hat der richtige Bauer alle Tage. Allein im mittelbäuerlichen Betrieb häufen sich doch zeitweilig die Arbeiten derart, daß der Jahreslauf je und je vier Hauptwäärch31 = großi Wäärch32 oder einfach Wäärch33 mit sich bringt: Aapflanzete, Heuet, Äärn34 (d. i. Getreide-Ernte nebst Ämdet) und Sääjjet.35 «Da passen die Leute sich gegenseitig auf, wann angefangen und was täglich geschafft wird.»36 Kein ungünstigeres Zeugnis kann sich begreiflich erwerben, als wer immer um enes haḷbs37 oder gar es ganzes Wäärch38 im Hin͜derlig (hinter den andern zurück) ist; wer also noch mit Heue zu tun hat, wenn andere zu ernten anfangen,39 oder wi Tanner-Köbeli no im Braachmonet mit dem Härdöpfe͜l­bänndli (halb voll Steckkartoffeln) dahar gnoppet. Eben so fatal sieht es aus, wo man nie «ein eigentlich Werk an der Hand hat»,40 sondern zerfahren von einem zum andern übergeht.

In diesen Wä̆rchen oder umueßigen Zị̆ten41 (vgl. «Unmuße»42), namentlich in dem bei großem Obstsegen besonders arbeitsreichen Herbste43 wird jede irgendwie verfügbare Kraft zu Rate gezogen, und auch vom verständigen Nichtbauer44 taktvoll geschont. Bauereien, sowie Besuche, 86 Ausflüge, Festanläße werden zwüsche de Wärche,45 besonders zwischen Heuet und Ernte, erledigt.

Zunächst dem jetzigen steht das ehemalige Egg-Schulhaus, nun als kleines Gütchen, das Eigentum eines Maurers. Es ist allem Anschein nach eine sehr alte Anlage auf freier Höhe mit prachtvollem Ausblicke, den ganzen Tag «der Sunne zwääg», gegen Norden hart an den Wald stoßend, mit sehr schöner Bodenkultur. Der einer lebhaften Volksetymologie rufende Name des Gütchens: Üebere̥ch46 erinnert an ahd. uobarôn = «üben» in dem alten Doppelsinn einer religiösen Feier (ahd. uoba) und des Landbaues (ahd. uobo der Landbauer, mhd. die acchera uoben die Äckder bauen, hirs unt ruobe er uopte = baute); also ganz wie lat. «opus» (Werk) und «opfern» zusammengehören.47 Sollten wir in diesem landwirt­schaftlich so dankbaren Platze, von welchem auch jeweils die Verfassungsfeuer so weit sichtbar ins Tal hinunter leuchten, es mit einer uralten Kultur und Kultusstätte zu tun haben? Man denke an die besonders intime Verschwisterung von Ackerbau und Religion als Überwindung der Nomadenstufe.

 
1 Pfr.-Ber. (1764) 134; 253; Ök. fol. 6 E 70 (1780); Hauswirth (1783); E. A. Türler 6.   2 Fröhlich VIII; Manuel 8/9.   3 260.   4 169.   5 Krämer im SB.   6 UK. 167.   7 Besuch 166; SchM. 1, 391 u. ö.   8 AB. 2, 54.   9 Gf. SF. 1899, 81.   10 Geltst. 24.   11 Lischeb. 17.   12 UK. 199.   13 Übergang 319.   14 AB. 2, 54.   15 Bsbinder 363.   16 An AB. 126.   17 Müll. LK. 43.   18 AB. 2, 303.   19 Schuldb. 75.   20 Schuldb. 175.   21 Michel 272.   22 UK. 72.   23 Herdenreihen 3, 4.   24 GG. 2, 66.   25 UP. 95.   26 ebd.   27 AB. 2, 43.   28 AB. 1, 148 und sehr oft. Ott 1, 104.   29 N’schwander 9.   30 Joggeli 34.   31 AB. 2, 52.   32 Michel 151.   33 UK. 198.   34 Ger. Tw. (1793).   35 ebd. vgl. fz. «saison» und mlat. satio = Saatzeit.   36 UK. 198.   37 SchM. 1, 161 Hs.   38 UK. 211.   39 SchM. 2, 353.   40 Ztgst. 1, 56.   41 UK. 217. 259; Schuldb. 167.   42 Schuldb. 72.   43 UP. 89.   44 Vgl. Spinne 27.   45 Besuch 157.   46 D 5.   47 Vgl. auch: e g’üebte Wääg (vielbegangener Weg).  
 

«Häärd».

«Ackerbau treiben» heißt also: der Häärd wärche,1 die Erde bearbeiten. Ein bedeutungsvolles uraltes Symbol der Rechtsaneignung war drum das bekannte Hämpfeli Häärd; eine ebenso bedeutungsvolle Strafe war aber die Eingrenzung auf den eigenen Grund und Boden.2 Einen abhäärde heißt: durch Bewerfen mit Erdschollen ab unserm Grund und Boden treiben, dann: sich seiner Gegnerschaft entledigen,3 ihm als schädlichem Rivalen «den Boden unter den Füßen wegziehen».4

Ist dies ein Intrigenspiel unter Männern, so ist häärdele ein harmloses Kinderspiel, wie auch san͜dele und lättele, wie dräckele, chŏsle, gäutschle. Ein anderes Häärdele erfreut den Naturfreund z. B. auf einer Wanderung am Frühlingsmorgen oder nach einem erfrischenden Gewitter. Wie mischt sich da z. B. mit dem Duft der Kirschblüten der aufsteigende Erdgeruch! So häärdele auch die Hände des Ackerbauers, häärdelet das aus ihnen gegessene Neun- und Vieruhr-Brot; und welcher «Erdsegen»5 steckt gegenüber den zweifelhaften Parfums, mit welchen Müßiggänger die Mängel ihres Stoffwechsels decken, in solch häärdeliger Hand!

87 Eine Bohrprobe auf der Egg weist folgende Boden­bestandteile auf. Zu oberst in der Regel eine pflugtiefe Schicht vo guetem u murbem6 Härd: mit Humus durchsetzte Überrieselungs-, Verwitterungs- und Schwemmprodukte alsbald zu besprechender Art, im Gegensatze zum nicht urbaren «wiḷde Härd».7

Es folgt — mit Ausnahme einiger Sandboden-Reviere — der für unsere Gegend so charakteristische Lättbode, besonders jener gäḷb Lätt (Lehm), der als schwer durchlässige, zähe, nasse Substanz gleich bei der Pflügung durchhackt, nach einem Tage Besonnung aber gleich fertig bearbeitet werden muß, ansonst er steinharte Schollen darbietet. Dafür behält er aber auch Dünger und Feuchtigkeit sehr lange im Wurzelbereich der Pflanzen, eignet sich vortrefflich zum Getreidebau, und versagt auch in trockensten Jahren kaum je seine reichen Futtererträge. — Der gäḷb (ockergelbe) Lätt ist der Hauptsache nach eine Mischung aus Sand und eisenoxyd­haltigem Ton. Verschieden von ihm ist der zum Bestreichen von Ofenwänden u. dgl. benutzte bläuliche Lein. (Lein = Leim, Leimen ist wort- und sachverwandt mit Lịịm = nhd. Leim, und erhalten in Ortsnamen wie «Leimeren», «Leimboden», «Leimen»). Er besteht aus schlammiger Durchsetzung des nämlichen Minerals, das als blauer Lätt noch hie und da aus Lättgruebe ausgehoben und zu Anlagen von Dreschtennen-, Stall- und Schuppenboden, kleinen Hafnerarbeiten u. dgl. gebraucht wird. Das gleichartig Zähe dieser Masse bot Gotthelf ein Bild für das so außerordentlich mühevolle, Schritt um Schritt erkämpfende Vorwärtskommen seines Ueli: «Es war ihm, als ob er bis an die Knie im Lett wandeln müsse.»8 Das nämliche Bodenelement hat aber auch «tĭ̦figen» (gewandten) Bauern schon frühzeitig, z. B. 1764,9 zu erfolgreicher Grund­verbesserung gedient. Pfarrer Roder in Affoltern spricht dabei von der «sog. blauen oder grünen Marnen» (fz. marne, altfz. marle, mittellat. margila, kelt. marga d. i. Ton, vgl. das elsäßische «mẹẹrle», vom Kinderspiel im Straßenkot gebraucht. Es ist das gleiche Wort wie unser nhd. «Mergel»). Pfarrer Schweizer in Trub dagegen nennt10 die Masse «Marnel», später11 «Marmel»: Angleichungen an Marmeli (die aus Ton gebrannten anstatt der aus Marmorstücken geschliffenen Spielkügelchen der Knaben).

Fügen wir dazu noch die von Brandstetter12 für «Ton» in Anspruch genommenen Ortsnamen «Tägertschi», «Dägermatte» (zu dîhan, kneten, formen, vgl. «Teig»), so haben wir ein ganzes kleines Wortregister für dieses den ersten Erdperioden angehörende Bodenelement.

88 Rötliche Tonerde aber, wie sie sich (z. B. auch in Trub13) als Lätt verteilt im Erdreich vorfindet und Flüßchen wie den Röthenbach, auch die (Dürren-) Roth zeitweilig färbt, ist gleichsam «der Eintrag»14 (Einschlag) des Bodengewebes, dessen Zettel die jung-tertiäre Molasse ist. Von den drei Schichten derselben kommt für uns hauptsächlich die mittlere in Betracht: die Meeresmolasse. Zwischen den Alpen und dem von diesen abgedrängten Nordstück des Jura15 flutete einst16 über die Rhone-Enge bei Genf herein ein bis zum schwarzen Meer reichender Arm des Mittelmeers, und füllte die zweitausend Fuß tiefer als jetzt liegende «Hochebene» allmählich mit den von der Brandung weggespülten Trümmern der einstigen Alpen-Vorberg-Ketten im Bereich der sogenannten Emmengruppe.17 Das grobkörnigste Gestein dieser großartigen Auswaschung heißt (im Gegensatze zu der kalkigen in der Rigi-Gruppe) die «bunte Nagelfluh». Im Volksmund wird sie kurzweg Flueh genannt, obgleich auch ihm der volle Name Nage͜lflueh direkt entstammt. An zusammen­gebackene Hufnagelköpfe erinnert ja diese einstige Schottermasse deutlich genug. Ihre hervorstechendste Eigenschaft aber ist ihre Härte. «Härter als Nagelfluh ist eine vierzigjährige Natur»;18 «Köpfe wie Nagelfluh hat der Kanton Bern».19 Nichtsdesto­weniger ist das Gestein noch «wie Anken» gegen den «Gring», welchen «die Frau heig».20 Im Napf, in der Hundschüpfen hat das Meer einst in Deltaform Nagelfluhsätze abgelagert. Die Grenze aber der gesamten Nagelfluhzone, welche sich im Süden scharf von der Flysch-Zone abhebt,21 bildet nordwärts unser Lützelflüh. Am ehemaligen dortigen Brüggstutz, durch das Nivellement zwischen der neuen Brücke und der Burgdorf-Langnau-Straße nunmehr überdeckt, findet sich noch Nagelfluh vergesellschaftet mit «Gallenstein» (Gaḷḷe, Gaḷḷeglääs), welcher zu Marchsteinen22 u. dgl. dient. Dieses «Galle» ist unser bekanntes Wort, angewandt auf «eingesprengte fremde harte Steinart in Felsen, auch härtere Stellen in Sandstein»; gerade so wie wir auch von «Niere» reden und der Bergmann von «Drusen» (Drüsen) im Gestein spricht.23

’s Buechrütteli.

Die geröllartige, teilweise an den Gŭ̦fer der Flußgeschiebe erinnernde Nagelfluh wird von Lützelflüh abwärts mehr und mehr durch deren feinere Zertrümmerung ersetzt: den Sandstein. In zerrütteten, nackten Schichten da und dort durchstechend, meist aber zu einem namentlich für Hackfrüchte geeigneten San͜dboden verwittert, stellt er eine Verkittung dar von Quarz- und Feldspatkörnern, Glimmerschüppchen usw. 89 mit einem kalkig-tonigen Bindemittel.24 Die aus schön gefügten Schichten herausgehauenen Bauquadern jedoch müssen in Oberburg geholt werden.

Dagegen ist die feinst zerriebene und am innigsten mit pflanzen­nährenden Stoffen durchsetzte Molasse: der Mergel25 (Märgge͜l) außer im Emmen-Schwemmland hier herum erst eine seltene Erdart.26 Dasselbe ist vom Kalk (Chaḷch) zu sagen, der deshalb mit Mühe und Kosten auf die kalkhungrigen Anhöhen hinaufgeschafft werden muß. (Vgl. indessen den Chaḷchgrabe.27)

Die Mischungsweise nun aber all dieser Boden­bestandteile, verbunden mit der Veredlung jeder der «acht Bodenarten» durch Düngungs- und Kulturart heißt mit einem feinen, notdürftig durch «Bodenkraft» wiedergebbaren Ausdruck: Würze. Diese «Würze» zu kennen, für jeden Einzelfall zu beurteilen und als unbezifferbaren Faktor in den alljährlichen Kulturplan einzubeziehen, ist so recht ein cachet intimer väterlicher Belehrung und bäuerlicher Tradition von Geschlecht zu Geschlecht. Allerdings ohne weiter sovielwie «Wurzel» ist «Würze», wenn es auf die Frage: «Sind die Leute reich?» heißt: «Ja, die haben noch Würze, hängen nicht zu oberst in den Ästen.»28 Feiner schon ist der Sinn: Bodenkraft, welche die Tätigkeit der Wurzeln reich und lebhaft anregt. Vgl. hierfür den Satz: «Der Hof sei gut und die Würze sei gut; komme wieder ein rechter Bauer darauf, so sei der Schade noch zu heilen.»29 Im Baselbiet ist das Erdreich anders beschaffen; es ist nicht die Würze, wo im Bernbiet ist.30 Und endlich die schöne Anwendung: «D’s Hus sei d’Würze vo allem, und wenn’s da fehl, so chönn’s Chorn u Heu gä, so viel es well, es bschüß alles nüt.»31 Er stammet vo gueter Würze: er ist in gutem Hausgeist aufgewachsen, ist gut geartet und gut erzogen. — Dagegen hat ein durch stagnierendes Wasser versäuerter Wiesengrund e sụụri Würze, und demgemäß het — und ist auch — e suuri Würze ein Weib von versäuerter Gemütsart, von allzeit unfreundlichem Wesen.

 
1 Pfr. Ber. 93.   2 Vgl. «der Oberamtmann und der Amtsrichter» 130 ff.   3 MW. 2J 298.   4 An JR 91.   5 Nach Rosegger.   6 UK. 118.   7 Trub 29, 38.   8 UK. 203.   9 Pfr.-Ber. 216. 194; vgl. Ök. fol. 6 E 70.   10 29, 38.   11 30, 119.   12 Gfd. 42, 156 ff.   13 30, 119.   14 JoSt. Alp. 101.   15 Wals. Sch. 26.   16 Nach Studer und Bachmann.   17 Bachmann in «Neue Alpenpost» 1875, 122 ff.   18 Sonnt. 122.   19 Mordiof. 185.   20 Geltst. 307.   21 Heim in Volksw. 2, 254 ff.   22 Marchverbal 4.   23 Grimm WB. 4, 1, 1188; Stalder 1, 415.   24 Bachmann a. a. O.   25 Wass. 68.   26 Vgl. Volksw. 1, 683.   27 D 6.   28 GG. 3, 7.   29 Schuldb. 39.   30 ebd. 334.   31 GG. 3, 142.  
 

Urbarmachung.

Müssen für die Schweiz vom gesamten Boden an Felsen und Schutthalden, Gewässern und Gletschern, Gebäudeplätzen und Wegen etc. 28,3% abgezogen werden, so beträgt dieser Abzug für das Emmenthal 19,2%;1 90 für Lützelflüh (mit seinem Totalflächen­inhalt von 2687 ha, 17 a, 37 m²): für Hausplätze, Hofräume und Gebäude-Umschwünge 1,13%; die 16 km Staats- und 3,2 km Gemeindestraßen, sowie Privatwege und Eisenbahnen beschlagen 2,23%; Gewässer 1,08%; Schutthalden, Kiesgruben, Emmengrien 0,35%; Total der unkultivierbaren Fläche 4,79% oder rund 5%. Waldungen und Stụụd­scháche (davon 0,39% staatlich): 22,07% der Gesamtfläche (im Emmenthal 25%, Bern 22%, Schweiz 26,5% der «produktiven» Gesamtfläche). Die Dauerwiesen («Matten») und Hofstatten (Obstgärten) betrugen 1895 in Lützelflüh 235,5 ha; 1890: 190 ha; 1891: 4,55%. (Naturwiesen und Alpweiden im Emmenthal: 13%, Bern 19%, Schweiz 68,4%). Kunstfutterwiesen, Äcker und Gärten beschlugen in Lützelflüh 1895: 1714,4 ha; 1890: 1470 ha; 1891: 68,59%. (Acker- und Gartenland im Emmenthal 43%, Bern 37%, Schweiz 30%).2

Mit diesen Zahlen stimmt, daß in der gesamten Schweiz der Anteil der Landwirtschaft an der gesamten Wertproduktion (= 1800 Millionen Franken) sich mit kaum ⅓ beziffert, für Bern aber auf ⅔ und für das Emmenthal und speziell Lützelflüh auf gut ⅘ anzusetzen sein dürfte.

Wie viel unproduktives Land es aber dereinst auch über unsere Bergreviere hin gegeben haben mag, beweisen Namen wie die Ööti3 («Öde»), ein heute gut gehaltenes kleineres Heimwesen bei Neuegg, und die Wüesti auf dem Benzenberg, mit dem Wüesti­weidli.

Namen wie «Blaasweid» und «Blaasmatt», sowie das Burgergeschlecht Blaser (vgl. die Hofnamen «Blaase» in Rüderswil, Großhöchstetten, Biglen) deuten auf (vormals) steinige, trockene Halden, deren farbloses, spärliches Gras an die kahle Stelle des Kopfs (mhd. blas,4 vgl. auch blasros = «Bläß») erinnern kann. Man denkt dabei auch an die «Plaisen» des Bündner-, und der Sache nach an die «Bleiken» des Berner Oberlandes. Eine andere Deutung4a ist: Bläser oder Türmer.

Durch tiefes und sumpfiges Gelände dagegen erstreckt sich der Moorboden, mhd. das bruoch, heute das Brụụch. Einen so geheißenen Hof an der Grenze von Lützelflüh hat Rüegsau, in Lützelflüh selbst aber liegt der «Bruchbüel», Brụụchbe͜l. Im 18. Jahrhundert schrieb man für jenes: «im Brauch» (als wäre es = usus), während ein Stadtteil von Luzern heute «der Brŭ̦ch» (als wäre es = fractura) geheißen wird. So können Dokumente und Aussprache gelegentlich irreführen.

Sumpfig wie das Moor ist auch das Moos, d. h. der Boden, auf welchem die fast unzähligen Moosgattungen gedeihen. Einen Moosgrund 91 bieten zur Stunde noch die Moos- und Lischen-Strecken des Flüelen­graben­mooses, woran sich aber ausgedehnte Wiesen und Äcker reihen. So gibt es Wiesen mit den Namen Mö̆sli,5 Ober-6 und Un͜dermoos.7 Gehören die Güter «Moos» und «Moosneuhaus» jetzt zu Sumiswald, so zählt dafür Lützelflüh unter seine schönsten Bauernhöfe die Mósmatt,8 auf deren einstige Beschaffenheit noch der Mosmatt­gráben deutet.

Eine Ablautform zu mos heißt ahd. mios, mies, unser Miesch. Der Mieschrain. Miescher, ein (nicht häufiges) Burgergeschlecht.

Die gärtnerisch so zierliche und dem Bienenzüchter so willkommene Erica gilt, in Masse auftretend, dem praktischen Landwirt als auszurottendes Gestrüpp: die Brụ̈ụ̈sch-Hawle («Halde»), Brụ̈ụ̈sch­hụ̈́sli heißt noch zur Stunde das Lauterbach-Schulhaus nebst benachbartem Bauerngut.9

Der Toorn- (Dorn-) Acher. — Die einst mit Efeu (Epheu), Äbheu, Ääbhi bestandene Aäbi («Äbi»).10

Mit Schilf, Riedgras u. dgl. bewachsener Wassergrund nennt sich Ried. Kurzweg ’s Ried,11 Niederried,12 und Oberried heißen drei Bauernhöfe im zweiklassigen Schulbezirk Oberried. Der letzte dieser Namen ist also doppelsinnig.

Das 12. und 13. Jahrhundert sind u. a. charakterisiert durch großartig ausgedehnte Rodungs-Tätigkeit. Auf solches Rụ̈tte deutet die damalige Entstehung von Geschlechternamen wie «von Rüti». Mit den bernischen Freiherren von Rüti (bei Burgdorf)13 scheinen identisch gewesen zu sein die «von Rüti» von Trachselwald. «Gegenüber Trachselwald, im einstigen Amt Rüti, sind noch Ruinen einer großen Burg, die wohl den Namen Rüti getragen haben kann. Das Amt Rüti, das ein eigenes, von der Landgrafschaft Burgund getrenntes Landgericht bildete, war die Talschaft des heutigen Dürrgraben»14 (Tü̦rgrábe).

Oberhalb Flüelen, zum Niederhaus gehörig, verzeichnet der Katasterplan eine «Hubers Rütti», die aber vielmehr Uebers̆-Rütti15 heißt. Wäre dies als Aphärese aus einer Fügung «i der Ruepers̆rütti» deutbar, so hätten wir im Namen die 1256 durch Konrad von Brandis an die Abtei Trub verkaufte «schuopoza» (Schuepe̥ße) «dicta Ruopelsrutis»16 (aus Hruodberaht der Ruhmglänzende), «gelegen beim Hofe Flüelen», zu suchen, — 1707 zahlte N. N. im Goldbachschachen 2 Kronen «von 92 und ab dem sog. Zihlen-Rütti-Rechts17 Einfach Rütti heißen zu Lützelflüh eine Anzahl Äcker der von 14 bis 26 ha Halts,18 aber auch ein kleines Gut19 mit kleinem Fabrikgebäude. — Die Hundsrụ̈tti.20 Die Buechrụ̈tti: bei Rahnflüh21 und an der Schaufelbühlegg.22 Zu letzterem Gute, da an der Seite eines hübschen Buchwäldchens sich so sonnig hinbreitet, gehört nunmehr auch die hin͜deri Buechrütti (Häuschen mit Umschwung); zum großen Bifang-Hof aber das Buech­rütteli23: eine der hübschen Einsattelungen des Ramisberges gegen die Straße diesseits Rahnflüh.

Ein Komplex von Reutestücken heißt: i de Rüttine.24 Das Reuten setzt sich begreiflicher­weise — z. B. an Straßenböschungen — in kleinem Maßstab beständig fort. Ein systematisches Rütti­brönne25 dagegen findet sich nur noch in Gegenden wie bis unlängst im Dürrgraben, und bis heute in Trub. Da wird in regelmäßigem Turnus dreißig- bis vierzigjähriges Rụ̈tthoḷz entweder als Nutzholz zugerüstet, oder behufs mehrjähriger Kartoffel- und Getreide­pflanzung auf der Reutstelle zu Düngasche verbrannt.26

Aus 1742 wird «Peter Graber’s Wittib im Schlättermoß» zitiert. Letzteres Wort gehört zu demselben slahan, slân = schlagen, Holz niederschlagen, wie «Schlatt» aus slâte = gereutetes Waldstück. Ebenso stellt sich zu (um-)hauen: d’Hauete (z. B. im Ịịbḁch nächst Lützelflüh), woher unser Burgergeschlecht Haueter; daneben in Eggiwil die Alp «Hauenen».

Ein Dornicht ausreuten gehn: ga toorne. Überhaupt «zum Schwinden bringen»: schwänte. So erzählt man von Gotthelfs Gattin, sie habe als feinsinnige erste Beurteilerin seiner Schriften ihm da und dort ụụs­g’schwäntet mit dem Vermerk: säg, Albärt, das ist de hingäge tumms Züüg!27 Mit Beil und Hacke aber schwänteten im Mittelalter die Emmenthaler eifrig und übten damit teils wahre Notwehr,28 teils ein konzessioniertes Recht zugunsten stetiger Erweiterung von Weide und Acker, teils eine Untertanen­pflicht gegenüder dem Grundheren.29

Ein Beispiel, wie hoch hinauf schon sehr früh die Kultur mit Axt und Waldsäge drang, bietet das ca. 1000 m hoch auf der Hundschüpfen gelegene und bereits 1280 verurkundete Gut «Etzlischwand».30 Zugleich 93 von der Ausbreitung des Schwäntens zeugt das Rüederswiler-Dorf Schwanden (schon 1261 «Swandon»31), das heute noch wenigstens mit der Schwanden-Mátte (1795 32) nach Lützelflüh hinüberreicht. Vom Hofnamen Neuenschwand (z. B. in Eggiwil) schreibt sich her das (häufige) Burgergeschlecht Neuen­schwander. Dem Eggiwiler Brammer- (Brombeer-) Schwand entspricht die Brammer-Schwändi,33 die aber neuerdings der Forstkultur zurückgegeben ist. Im Hinblick auf noch heute fortgesetztes Reuten dieser Art kann ein Ueli34 zu einem Vreneli sagen: «Wenn ich dich haben könnte, so wollte ich mit dir in die Wildnis, wo ich nichts als schwenden und reuten müßte.»

Schloß Brandis (um 1798).

Die Truber-Reuthölzer führten uns vorhin auf die Verwendungsweise des massenhaft gefällten Holzes. Auf das Verschwelen zu Kohlen für den Handel deuten die Chŏler-Matte35 und das Chooḷholz.36 Neben Ortsnamen auf «sang»,37 zu «sengen» (sachlich, nicht etymologisch verschieden von «singen») sind für uns namentlich von Bedeutung das Burgergeschlecht Brand und der offizielle doppelte Hofname Bran͜dis.38 Gewöhnlich heißt allerdings dieses am Fuße des Schloß- oder Brandisberges gelegene Doppelgut Bran͜dis- oder noch häufiger Eischụ̈ụ̈r. 94 Dagegen tragen ausschließlich den alten Namen die benachbarten Örtlichkeiten Bran͜dis­hueb und Bran͜dis­bärgli.

Von großem historischem Belang ist das alte Schloß Brandis,39 Schon der Rolle wegen, die es bis 1798 als Amtssitz für die Gemeinden («Gerichte») Lützelflüh und Rüegsau gespielt hat. Dann um der Traditionen willen, die sich an sein Entstehen und Vergehen knüpfen.

Düsterer Tannwald bedeckt den in schroffen Felsen und wilden Schründen gegen die Eimatt abfallenden, von halber Höhe ab dagegen mit Buchwald malerisch bedeckten Schloßberg. Mit minder beschwerlicher Zufahrt aber (meldet die Überlieferung40) stand das ursprüngliche Schloß auf der heute mit Tannwald bedeckten Höhe über dem Rüegsauer Hofe Recke̥be̥rg. Hier wurde auch vom Ortspfarrer Romang († 1903) nach Zeugen eines einstigen Burgstalls geforscht, und Namen benachbarter Höfe wie Burkaḷte («Burghalde») samt Burgweid und Burgácher leihen dem Augenschein willkommene Stützpunkte. Nichts ist es dagegen mit einem angeblich ursprünglichen Namen «Brandeich», der sich allerdings auf Namen umgebender Höfe wie Eich und Eich-Neuhaus einerseits, Eichebe̥rg anderseits stützen könnte. Die von den Urkunden unzählige Mal wiederholten ältesten Benennungen des Schlosses (seit 1246) lauten immer nur «Brandeiz» (z = ß), «Brandez», «Brandes», «Brandiz», «Brandis».41 Der «Brand» aber, d. h. das «Brennen», das an einem als «Eichenstamm» gedeuteten Baumstumpf im Wappen dargestellt wird, ist (nach Art der «redenden Wappen») eine erst spätere Ausdeutung des Namens Brandis.

Nicht so harmlos ist die Deutung, welche in der Überlieferung dem Brand von Brandis im Jahre 1798 gegeben wird, und welche noch von Mülinen, Jahn42 und Imobersteg43 dem bis heute lebenden Gerüchte gemäß reproduziert haben. Gerichtliche Zeugenaussagen beweisen, «daß keine verbrecherische Hand die Einäscherung des Schlosses Brandis verursacht hat, und daß somit die Überlieferung falsch ist.» — «In der Zeit, da alt Landvogt May bald nach der übergabe von Bern abwesend ware,44 hat man hier das Schloß bewachet, das gar keine Unfugen geschehen sind. Die Munizipalitäten (Gemeindsbehörden) und das Volk überhaupt bezeugen über das verunglückte Schloß großes Leid, um so mehr, da sie hofften, selbiges samt dem Gut für einen nötig habenden Spital anzukaufen. Peter Miescher von der Munliziliet (Munizipalität), Christen Kipfer, dito. Munizipalität Rügsau und Lüzelflüh den 95 17. April 1798.» So lautet die gemeinds­behördliche «Anmerkung» zum Protokoll über das erste und zweite «Examen wegen der den 14. April Abends zwischen 4 und 5 Uhr im Schloß Brandis entstandenen Feuersbrunst.» Die Aussagen der «Frau alt Landvögtin» sowohl, als der Magd Elisabeth Eggimann, des Taglöhners Hans Stalder, weiter von Christian Bichsel zu Goldbach, Jakob Bichsel auf dem Heidmoos (Heidmi̦s) und Hans Ulrich Wiesler zu Goldbach, und auch des Jakob Rychener im Rüegsauschachen führen übereinstimmend auf folgendes Ergebnis: «Das Feuer sei aus dem Gamyn in der Kuchen (das vor 4 Wochen gefäget worden), ausgebrochen, auf das Dach gefallen und habe bey dem düren Wetter so geschwind um sich gegriffen», daß das ohnehin zu beständigen Klagen wegen Baufälligkeit45 Anlaß gebende Schloß nicht mehr zu retten war.46

 
1 JoSt. 285.   2 Vgl. Volksw. 2, 249. 265; 4, 378; Lf. Ernteberichte und amtliche Vermessung 1887-91.   3 C 7.   4 Kluge5 44.   4a schwz. Id. 5, 148.   5 74,82 a.   6 75,44 a.   7 52,55 a.   8 E 4.   9 L 1.   10 Wh. Wst. Sp. Ack. Ws. 1024; B 6.   11 Wh. Wst. Dörrhaus, Wagenschopf, Ack. Ws. Wd. 2304; O 4.   12 Mit 1921 ha; O 3.   13 Vgl. von Mülinen I. 136 f.; von Wattenwyl 1, 297.   14 ebd. 135.   15 E 5.   16 Fontes II. 435, vgl, 469.   17 Zins-Rodel 1, 11.   18 z. B. O 1. 4. E 2.   19 Wh. Ack. Ws. Wd. 280,19.   20 Wh. Sp. Ack. Ws. Wd. 702; L 1.   21 Wh. Ack. Ws. Wd. 379,76; G 4.   22 Wh. Sp. Ack. Ws. Wd. 1169,90; D 5.   23 G 5.   24 AB. 1, 389.   25 SchM. 1, 126.   26 Anziehend beschrieben Trub 30, 126; vgl. Pfr.-Ber. von 1764.   27 Eine liebliche Darlegung dieses Verhältnisses bietet Manuel 151-3.   28 Eggiw. 102.   29 JoSt. 124.   30 JoSt. 135.   31 Kib. Urb. 167.   32 ABB, C 315.   33 421 ha; O 1.   34 UK. 374.   35 Ws. Wd. Emmengrien 199,59.   36 G 5.   37 Volksw. 3, 375.   38 2 Whh. 1 Wst. Ack. Ws. 1031,80; Wst. Sp. Vh. Hh. Ack. Ws. Wd. 761; früher dazu eine Hanfreibe; D 2.   39 D 2.   40 Wass. 41; Jahn Emm. 8.   41 Fontes II, 198 ff.   42 Chronik des Kantons Bern.   43 JoSt. 20.   44 d. h. da auch er gleich andern Vögten nach Einmarsch der Franzosen das Land verließ, vergl. B. Taschenb. 1893/94 S. 228.   45 ABB, A häufig.   46 Berner Taschenbuch 1893/94 S. 217-221. Artikel: «Die Plünderung bernischer Schlösser im Frühjahr 1798.» Von Staatsarchivar H. Türler. Da im vorliegenden Band für eine Geschichte von Brandis nicht Raum ist, diene wenigstens dieser kleine gelegentliche Exkurs zur Klarlegung einer Tradition, deren Entstehung mit den Plünderungs­geschichten der Schlösser Signau, Trachselwald, Gottstatt u. a. in jenem traurigen Jahre in Zusammenhang gebracht werden muß.  
 

Düngung.

Der Zweck des Reute-Brennens ist ein doppelter: Man entledigt sich damit auf bequemstem Wege des Gereutes, und man läßt dem urbar zu machenden Boden mittelst des Kaligehaltes der Asche eine ebenso treffliche Düngung wie Reinigung angedeihen. Dieselben Zwecke verfolgt das Mŭ̦ttfụ̈ụ̈re auf verwildertem oder versauertem Grasboden. Vergleiche die von Schweizer beschriebene «Schäle».1 Aus den mit der Haue obenab geschnittenen (gscheḷḷte) Rasenstücken — Mu̦tte,2 Grasmutte — wird da und dort e Muthụụffe errichtet. Um Kleinholz und Reisig werden als Mantel Mutten, Untrautwurzeln u. dgl. geschichtet, das Ganze in Brand gesetzt und gegen das Durchbrennen — Usebrönne — immer neue Reserven aufgelegt. (Abb. S. 97.) So mottet (schwelt) es einen Tag lang oder zwei unter Entfaltung einer intensiven, außen unbemerkbaren Hitze. Daher Anwendungen wie folgende: «E chliine Anlaß het die Sach, wo scho lang gmuttet het, zum Ustrag ‹bracht›.»3 «Weiter sagte sie nichts, und ließ nun alles, was sie mir an den Kopf geworfen, ordentlich mutten in demselben.»4 Während dieses inwendigen Ausbrennens sinkt der plump5 sich hinbreitende Haufe in 96 sich zusammen, und der erkaltete oder mit Jauche vermischte Bran͜dhäärd («Branderde», «Brennherd»6) dient namentlich im Pflanzblätz zum Mürbe-Erhalten der Chabis-Löcher, zum Bedecken der frisch gesteckten Bohnen u. dgl. Drum der Zornesausbruch: Mit solchen Betrügern «sött me muttfüüre im Hustage, we me Bran͜dhärd macht für Chabisblätze!»7

Für Kalipflanzen wie z. B. die Kartoffeln auf den ausgebreiteten Äckern muß natürlich der Landwirt die nötigen Kalisalze auf dem Handelswege beschaffen, gleich wie für das Getreide den Phosphor­säuredünger, z. B. den Sụper, d. h. das Superphosphat. Bauern entlegener Höfe dagegen, die noch keinen Genossenschaften angehören, noch viel weniger aber irgend einem Reisenden der sechzehn schweizerischen Düngerfabriken (einem Mistgŭ̦mi) trauen, sammeln heute noch so fleißig wie ehedem die Knochen (Bein), lassen sie in der (Bei-) Stampfi zerkleinern und reichern den Getreideboden mit diesem rohen Knochenmehl (Beimähḷ) an. Klee und überhaupt Schmetterlings­blütler werden durch den immer mehr8 anerkannten Chaḷch (kohlensauren Kalk) und iebs (Gips, schwefelsauren Kalk) im Wachstum mächtig gefördert.

Alles unbeschadet des uralten Satzes: Mist geit über List. Denn der Stalldünger bleibt sowohl in der Vielseitigkeit seiner Pflanzen­nährstoffe, als in seiner Fähigkeit, den zähen Lehmboden zu durchsetzen und zu mürben, unübertrefflich. Mit dem Mist konkurriert in Wichtigkeit die Mesti. Beides bedeutete ursprünglich9 dasselbe: durch Dünger angereicherte Jauche, womit das Futtergras analog dem Mastvieh g’mestet: zu üppigem Gedeihen gebracht wird. Der unvermischte Stall- und Dünger-Ablauf dagegen heißt bei uns Gü̦̆ḷḷe und dient zu spottenden Vergleichen mit schlechtem Kaffee,10 Wein («Murte-Gülle»11) u. dgl.; auch ein fauler Verwaltungs­sumpf heißt so.12 Gü̦ḷḷemụ̈gger aber nennt man einen vorwitzigen Jungen, «wo gäng sị dräckigi Nase z’wi̦t vor het.» — Den landwirt­schaftlichen Aufschwung ihrer Zeit13 charakterisieren Gotthelf und seine Tochter mittelst derselben spielenden Schwebe zwischen Schalkhaftigkeit und Ernst, womit einerseits die über die Dorfgasse rinnende14 oder zu Bädern für unwillkommene Freier15 dienende Gülle, anderseits die angelegentliche Sorge für neue und große Bschütti­löcher16 sich in der Erzählung breit machen. Wirklich spielen in den bisherigen anderthalb Jahrhunderten der Sommerstall­fütterung und des vorherrschenden 97 Futterbaus diese Jauchelöcher in Verbindung mit den zum Bschütti-Uusthue oder -Füehre benötigten Mestichaste und -chästli, Bschüttichaste und -bocki17 geradezu die Rolle einer Existenzfrage für den Landwirt. Da ist jedes neue Stück Grasnarbe, jeder Mangel an sonstiger Beschäftigung es guets Zeiche für z’bschütte;18 einerlei, ob nun die Bschütti am Regentag schön aheschlụ̈ụ̈f, oder ob sie bei stechender Sonne der Wăse (Rasen) verbrönn, um ihn nur desto kräftiger zu verjüngen. Daher auch die Jahr für Jahr in diesem Fach fortschreitende Technik, neben welcher nur in kleinen Verhältnissen und auf kleinen Räumen noch das alte Bschütti-Ver­schlängge in schönen langgestreckten Zügen, oder das noch schwierigere regenartige Verspreiße mit dem Gohn19 (einem hölzernen Schöpfeimer) als Kunstübung fortgesetzt wird. «Ihre Hofstatt ist bschüttet, Ihre Äcker gemästet, was sollten Sie mit Ihrer rüstigen Kraft?»20 — so konnte Gotthelf nur an einen zu öffentlichen Ämtern berufenen Kleinbauer schreiben.

Muttfüüre.

Allein «für ne Hof zwägz’mache»,21 bedarf es noch anderer Dinge: genügender «Auffuhr»22 an festem und gutem — feißem — Dünger. Es chlịịs Mist­hụ̈ụ̈ffeli23 vor großer Scheune: welch ein Erreger von Hohn und Mitleid! E brave, große, toḷḷe Mist­hụụfe oder -stock: welch ein Gegenstand — selten einmal des Ekels24 oder der Verachtung,25 vielmehr in der Regel des Stolzes,26 jedenfall des sorgfältigen Behandelns und Zurateziehens.27 Selbst — 98 und grade auch — beim Hablichen gilt es als selbst­verständlich, daß er jede vom Wagen fallende Scholle sorglich mit der Hand aufhebe; er weiß ja, wo der nächste Brunnen oder Bach ist. Denn ebenso bekannt ist ihm, daß nirgends wie hier tausend Kleinigkeiten ein Großes geben. Drum ist der Miststock, wenn nötig noch durch extra hergepflanzte Linden sorglich beschattet, nur selten noch ein Gegenstand proßenhaften Dummstolzes,28 dafür um so mehr ein Wahrzeichen des auf Fleiß und haus­hälterischem Sinn beruhenden Wohlstandes,29 wie die Art seines Aufbaus einen Gradmesser des im ganzen Hof und Hause herrschenden Ordnungssinnes abgibt. Zu dem seiner Zeit berühmten Flechten (Zụ̈̆pfe30) der Ränder hat der Melker nicht mehr überall Muße, geschweige zu närrischer Zierlichkeit.31 Hauptsache ist ja das jeweils ungesäumte Zerlegen (Verlege), das Festtreten (Stampfe) und gegebenenfalls das Bedecken32 jeder neuen Auffuhr mit Erde, sowie das baldige Verbringen auf das Feld. Denn er treit im Bode meh ab weder uf em Stock, sagt heute auch der konservativste Bauer,33 und fụụl wie Mist darf in diesem schillernden Doppelsinn nur noch als ethischer Vorwurf gelten.

Her also mit Mistwäge, ‑Bänne, ‑Bähre34 zum Mistfüehre oder -stoße in Feld oder Garten! Mit Stäch­schufle oder Wuerachs Stück um Stück abg’schrootet, damit nicht aller Ammoniak in die Luft fliege! Mit der Mistgăble (uuf-) glade! Auf dem Felde mit dem Karst Haufen um Haufen abgezogen! (Mist abzieh wie Mistfüehre heißt bildlich auch Zoten reißen.) Die Haufen mit kleinerer Gabel zu Häufchen verschlängget oder verworffe, und diese schließlich mit dem Mistgäbeli zerteilt: Mist ’zettet. Eine Arbeit, der sich auch die stattlichste Bauerntochter nicht schämen darf; sonst heißt’s mit einer spöttischen Parodie: «Es schneierlet, es beierlet, u d’Pure füehre Mist, u ’s Jümpferli muß zetterle, we’s scho nid fü̦r i̦s (= es) ist» (ihm nicht behagt).

Zusammengekehrte Düngerreste: Schoorete. Was dagegen anderwärts «G’schöör» heißt, ist bei uns der Ku̦mpóst oder G’hü̦̆dermist (Kehrichthaufe).

Noch immer taucht etwa auf der Bildfläche des Straßenlebens empor der verschlingelte Rosmistbueb, Rosmisteler, Mistchratte­bueb, Mistbueb,35 Mistụụfläser;36 allein die modernen Verkehrsmittel und die verbesserte Armenpflege gestatten keinen Vergleich mehr mit den im «Bauernspiegel» sich abspielenden Szenen.

 
1 Trub 30, 127.   2 Amtsr. 137.   3 MW. 2J., 121.   4 SchM. 1, 290.   5 Vgl. AB. 1, 265: «das Trüech, di Plättere, dä Mutthuufe.   6 Schuldb. 113. 161.   7 Geltst. 138.   8 Vgl. SB. 1902, 17. Juni; 1903, 15. März; EB. 1902, 93; SB. 1903, 24. Juni.   9 Vgl. Kluge5 259.   10 Besuch 171; MW. 2J. 85.   11 Schuldb. 13.   12 MW. Ws. 52.   13 Vgl. Volksw. 1, 459.   14 AB. 1, 154; 164; Besuch 171.   15 Käthi 376; UK. 66; SchM. 1, 243.   16 AB. 2, 144 ff.; SchM. 1, 389; MW. Ws. 94.   17 MW. 2J 278.   18 Vgl. Dursli 226.   19 AB. 1, 170; GG. 3, 65.   20 An AB. 106.   21 Schuldb. 159.   22 ABB, B 69.   23 AB. 1, 213; Käs. 155.   24 SchM. 2, 367.   25 An JR. 52.   26 Schuldb. 159.   27 Käthi 334; Wass. 60; vgl. die komische Stelle AB. 1, 134.   28 SchM. 1, 391.   29 SchM. 2, 328; Jacob 1, 98; AB. 1, 164.   30 SchM. 1, 357.   31 BSp. 154; dazu Beitr. 14; 727/8.   32 SB. 4. Juli 1903.   33 Vgl. Volksw. 1, 457; SchM. 1, 290 Hsa.   34 UK. 400.   35 Mordiof. 195; Ztgst. 2, 164; Käs. 108 u. a.   36 BSp. 101 f. (klassische Stelle); AB. 2, 111; SchM. 2, 405 Hsa.  
 

Ackerfurche und Erdscholle.

Damit die Ackerkrume den Atmosphärilien erschlossen und wieder eine neue kleine Schicht des zähen Untergrundes zur Verjüngung des Humus und seiner Bewahrung vor Versäuern herangezogen werde, muß der Acker durch tiefe Bearbeitung «gewendet» — g’chehrt — werden. Nur einem Joggeli in der Glungge1 erscheint es als «die dümmste Sache von der Welt», durch Tiefpflügen der guet Härd ga z’verloche und der bös, mager obefür z’mache. In steilem, dazu oberflächlich von Nagelfluh oder Sandstein durchsetztem Gelände, sowie auf ganz kleinen Ackerstücken kann dies einzig durch die mühselige Arbeit des Umeschlaa vor sich gehen. Da siehst du in tiefem Schweigen Vater und Sohn, oder Mann und Frau nebeneinander in gleichem Takt jedes seinen großen, schweren, drei- bis vierzinkigen Umeschlag­charst senkrecht über das Haupt erheben (ụụfzieh), in Furchenbreite wuchtig in die Erde einschlagen (ịịschlaa), durch Wiegen (Lü̦pfe) ein Stück Furche ablösen und an einem Stück oder zerkrümelt gegen sich hin umwenden (chehre), worauf bedächtigen Schritts ein weiteres Stück in Angriff genommen wird. Die zuvor losgeschälten Rasenstücke werden (als treffliche Gründüngung) samt dem Dünger zuvor in die Furche gezogen (ịịzŏge). Sarkastisch nennt man diese eben so primitive wie mühselige Arbeit: der Flueg im Äcke chehre (den Pflug im Nacken umwenden), oder: der aḷt Säḷbsthaḷter fürenää. Man begreift, wie sehr bei neuen Land-Erwerbungen diese Kulturart zu umgehen gesucht wird und man ein Grundstück in erster Linie darauf ansieht, gäb es fu̦u̦re­fĕligs (fu̦u̦re­feḷḷigs) Land siig.

Dasselbe Umeschlaa muß übrigens auch im flachen Lande stattfinden, wo wegen Straßenböschungen, Hecken oder zu schonender Nachbarkultur etc. me nid cha mit em Flueg ŭ̦ssen ụụs (z’ŭ̦sserist ụse) fahre, das Belassen aber eines «Anthau(p)t» (Endstreifen von Ackerzugsbreite) zum schließlichen Querpflügen nicht praktikabel ist. Anderwärts muß aus andern Gründen die Pflugfurche mit dem Umeschlag-, Anthaut-, Ịịsatz-Charst begonnen werden: Ịịsatz grăbe.

Im übrigen ist also, wie überall und seit uralten Zeiten, der Pflug — Flueg — der gegebene Erdwender.2 Ältere Landwirte unserer Tage pflügten noch mit dem alten Äärgäuer, dem Wendepflug mit beweglicher Riestere. Vgl. das Bild vom zornigen Oberamtmann, der noch einige Male «die Stube auf und ab pflügte.»3 Dieser Pflug «legte die Furchen ungebrochen wie große dicke Riemen auf die Seite, oder 100 stellte sie auch senkrecht, so daß das Behacken derselben eine saure Arbeit war»,4 wie das Ziehen des Gerätes für die Tiere. Zum senkrechten Abschneiden einer neuen Furchenbreite diente das kurzschwert­ähnliche Pflugmesser, das Sääch, zum wagrechten Loslösen vom Untergrund die Sohle, der Wä̆ge̥sse.5 .6 Das Anspannen der Zugtiere geschah in ältester Zeit vorn am Pflugbaum oder Pflugshaupt, Grindel, Gränge͜l, kurz gebaut für holperigen, aber leichten Boden.7 Diese Art Stelzpflug wurde aber schon sehr früh ersetzt durch den Räderpflug, der einen ungleich leichtern Gang und dazu eine Regulierung der Furchentiefe ermöglichte. Auge haa8 oder mache9 wie Fluegsrĕdli ist ein bekanntes Bild, weniger schon das bei Gotthelf so häufige: Eim der Năgel oder ’s Nẹgeli stecke.

Scharnierpflug.

101 Zum Höher- oder Tieferrichten des Pflugs war nämlich der Grindel vorn distanzenweise senkrecht durchlöchert. Durch die gewählte Öffnung steckte man den Zoon-Nagel (siehe Abb. S. 103). Über dessen Oberteil legte sich der Ring, und die mit ihm verbundene Zoonkette oder der Zoon (der Zoorn, der Zaum) erstreckte sich bis zum ebenfalls starken Achsnage͜l, dem Anhängepunkt für das Zuggeschirr. Hier wurde, bevor die Schrauben­vorrichtung aufkam, nochmals durch Auflegen von 1-3 Brettern unter den Pflugbaum für gewünschtes Höhergehen gesorgt. Ein solcher Pflug ist z. B. gemeint im Inventar von 1784:10 «1 aufgerüsteter Pflug samt Zon und Säch.»11 — Das hieraus abstrahierte Bild vom Nage͜l- oder Negeli-Stecke will sagen: dem Willen eines andern die von uns gewollte Richtung geben, ihn «mores lehren», ihm Einhalt gebieten. Im Sinn und Geist der Altvordern fortfahren heißt bei Gotthelf: «den Pflug noch im gleichen Loch führen wie der Ätti und Großätti.» — An der Pflugsterze — Geize — hielt der Lenker die in der Tat wie bei «Geißen» auseinander­strebenden «Hörner» fest. I der Geize (d. h. genau der Furche nach) lauffe heißt bildlich: sich an eine feste Norm, eine vorgeschriebene Regel halten, gehorchen; Ein i d’ Geize steḷḷe: ihn zum Gehorsam bringen, ihm «den Kopf zurecht setzen».

Selbsthalterpflug.

Solches Flueg haa («Pflueg halten»), welches eine starke, geübte und gewandte Mannskraft erforderte, besorgte in der Regel der Bauer 102 selbst, und vom jungen Uli12 konnte Gotthelf nicht leicht etwas Größeres rühmen, als: «Er hielt Pflug trotz einem alten Bauer.»

Da es aber oft genug an solch praktisch geschulter Mannskraft fehlte, so war man je und je auf Erfindungen bedacht, die dem heutigen Selbsthalter entgegen­strebten. Schon 1770 setzte die ökonomische Gesellschaft zehn Dukaten auf einen förderlich und zugleich «gemächlich» arbeitenden Pflug.13 Vor vierzig Jahren aber erstellte der originelle Landwirt Ulrich Haueter in Waldhaus eigenhändig «einen komplizierten Pflug, von dem er erwartete, daß er bereits ohne Hülfe eine schöne Furche mache, so daß man beim Pflughalten wenigstens gemütlich die Pfeife stopfen und Feuer anzünden könne.»14 Sehr geschätzte tatsächliche Verbesserungen bot der Rüegsauer-Flueg, durch Vater und Sohn Baumgartner erstellt. Wirkliche Selbsthalter aber werden nunmehr in Lützelflühs nächster Nähe verfertigt, und dieser kostbare Pflug hat beinahe auf dem letzten Berghofe die ältern Formen verdrängt.

Zur Erläuterung hierauf bezüglicher Dialekt-Ausdrücke stellen wir die Abbildungen eines Scharnier- (Abb. S. 100) und des allerneusten Selbsthalter­pfluges15 (Abb. S. 101) einander gegenüber, wobei jeweils an beiden bezeichnet: a) die Riestere aus Holz — aus Stahl; b) den Grän͜de͜l aus Holz — aus Schmiedeisen; c) der Wägesse; d) das Sääch; e) den Vorscheḷḷer; f) den eisernen Hebe͜l zum Wenden des ganzen Schneideapparates; g) die Geize — das Hefti; h) den Zoon event. Schraube — den Zuughaagge mit elastischem Federzug zur Schonung von Vieh und Pflug.

Das Zugvieh lenken und antreiben, was so oft als möglich durch einen Jungen (der Acherbueb) geschieht, heißt z’Acher trịịbe,16 das gesamte Pflügungs­geschäft aber: z’Acher fahre17 («einen Acker fahren»).18 Das Zeitwort wird gelegentlich, sogar durch Abwandlung mit «sein» («wer da gfahren ist u gsäyt het...»)19 dem Fahren zu Wagen gleichgestellt, richtig berndeutsch heißt es aber doch: si hei z’Acher g’fahre = sie haben gepflügt. Auf jemands Gesicht «z’Acher fahre»:20 es «zerpflügen». Mit losgelöstem Verb: dä Blätz mues hü̦t no g’fahre sịị. Häufiger jedoch: e Blätz, en Acher umefahre, pflügend «umwenden», «umfahren».21 «Alten Grasboden auffahren»,22 ụụffahre, so daß das Wurzelbereich obenauf zu liegen kommt.

In einer Nidauer Handschrift von 1787 23 kommt noch das schöne 103 alte «arren» (lat. arare, ahd. mit Umlaut ërren = «arjan») vor. Wir haben als Ersatz bloß das unschöne acheriere.

Das Zugvieh ab dem Pfluge spannen heißt abnää. Es ist englefi (elf Uhr), mir wei abnää. Die kranke Nähterin «nahm mitten im halben Tag von der Stör ab und gieng heim.»24 Abnää ist aber auch: die Arbeit ganz einstellen.25

Alter Aargauer Pflug.

Ungeschicktes Pflügen oder durchstechende Felsenstücke, Baumwurzeln u. dgl. erzeugen gelegentlich eine nur halb oder kaum losgeschälte Furche: einen Strụụch­rein (-rain). Dies führt uns auf eine eigenartige Behandlung zäher alter Rasendecken: das Strụụche (Vorschälen). Schon zur Erntezeit26 wird mit hochgerichtetem Pfluge der Rasen derart duchfahren, daß je ein losgelöster Streifen über einen liegen­bleibenden gestürzt wird. So werden die überdeckten Teile durch «Ersticken», die gestürzten durch Sonne und Regen zum Zerfallen gebracht, worauf mittelst Struuchi hacke (zerhacken) und Struuchi ĕge (eggen) eine Zerkrümelung der Schollen und Zerstörung des Unkrauts bewirkt wird, als Vorbereitung des Tiefpflügens im Spätherbst oder Frühjahr.

Ein noch oberflächlicheres Verfahren ist das Scheḷḷe (Schälen).27 Es geschieht mit der Hacke oder dem eigens erstellten Schälpflug (Scheḷḷ­flueg). Mit einem solchen vergleicht in treffendem Bilde Gotthelfs seinen «Bauernspiegel»: «Ich ließ in meinem Buche den Schälpflug durchs Volksleben, kehrte da auch allerlei Wüstes und Wildes, das im verwilderten, aber nicht schlechten Boden wuchs, hervor und ging davon.»28

Sowohl der durch den Pflug losgelöste Erdstreifen, als die solcherweise entstandene Vertiefung (vgl. «Wall» neben «vallis», oder das Beieinander von Deich und Teich)28a heißt Fu̦hre (Furche). Der Doppelsinn 104 zeigt sich vereinigt in Ausdrücken wie: mir wei, bevor wir mit Pflügen abbrechen, no ne Fuhre nää oder zwoo. Vorwärts, es mues no ne Fuhre gaa! Übertragen: «Wenn du einen Bub zur Welt bringst, dann ‹muß e Fuhre gaa!›»29 Gesondert: Der Mist, d’Mutten i d’Fuhren iizieh. Wenn er einist der Flueg ịịsetzt, so git’s de grad e teuffi Fuhre, d. h. er macht nichts halb, sondern führt, was er einmal angefangen, gründlich durch. Auch die Emme zieht ihre Furche, und der über die Ufer tretenden droht Wiedmer:30 Wir werden dich zwingen, «i der Fuhre zbliibe». Also hier Vertiefung. Häufiger jedoch: Erhöhung, kleiner und niedriger Höhenzug, ebenfalls mit (nächstliegender) Beziehung auf die Emme. So gilt der Zollansatz von 1673, ob «mann über oder under der Brugg oder auch bei der Fuhren und nebend durch gehen oder fahren thüye, in den Zihlen und Bezirck soweit die vier Kirchhörinen (Lützelflüh, Trachselwald, Sumiswald, Hasli) reichen».31 Die Fuhre bei der Farbschachen­brücke32 ist die Vereinigung dreier früherer Gütchen «an» oder «auf der Fuhren» (1783). Über dem Dürbach aber liegen das Fuhrli,33 die Käserei Fuhrli­matte und das Fuhrli­hüsli, heute ebenfalls ein Gut.

Im Spätherbst gepflügtes Land bleibt wie allerwärts unzerhackt der mürbenden Durchwinterung preisgegeben, und man kann auch bei uns «auf einem langen Fuhren­acker Hasen dem Walde zu setzen» sehen,34 sowie vielleicht auf einem «ver­chraawwete Gfrääs der strübst Fuhreblätz»35 gleichsam kartographisch dargestellt erblicken.

Bei Frühlings­pflügung dagegen erfordert die zähe Emmenthaler­scholle alsbaldiges Zerhacken: dem Flueg naa hacke, Fuhrehacke, und zwar ein gründliches z’Bode hacke,36 welches auch durch den Pfluglenker leicht zu kontrollieren ist. Es ist daher keine Arbeit nur so «grad ane».37 Die «bis zehn und mehr»38 teilweise taglöhnernden Hacker und Hackerinnen hatten namentlich früher, wo n es no nüüt z’Nụ̈ụ̈ni u z’Aabend g’gää hett, und wo sie bei endlichem Feierabend vor Müdigkeit kaum mehr den Rücken strecken konnten, ein schweres Verding. Noch bei der heutigen höhern Lebenshaltung ist das Tagewerk kein Spaß: hurti e chlịị verschnụ̆ppe, während der Pflug vorüberfährt, dann frischerdings i d’Händ speue und dem neuen zähen, oft noch speckig glänzenden Streifen in Angriff nehmen, um nicht durch Aneinander­reihung zweier oder mehrerer Furchen Braach, oder sarkastisch gesprochen Chääs u Brot, z’uberchoo. Ein sprechendes Bild zäh anhaltenden Fleißes, verstärkt noch bisweilen durch den Anblick der krampfhaft verstellten Beine.

105 Das Wort «Fuhre» führt uns noch auf ein dem Pflügen oder Umeschlaa vorausgehendes, für das emmenthalische Berggelände überaus charakter­istisches Geschäft: das Aafụhre. Damit nämlich an den mehr oder weniger steilen Gehängen das Erdreich keine Verschiebung gegen die erste Furche hin erleide und namentlich die Höhe nicht an gutem Boden erarme, schafft man mit Schaufel und Hacke eine Anfangsfurche, und zwar von doppelter bis dreifacher Breite. Die Hauptaufgabe ist nun das Hinaufschaffen der ausgehobenen Erde behufs ausgiebigen Zudeckens der Endfurche mit dem Aafuhri­härd. Zu diesem Zweck wird auf der Höhe des steilen Gehänges ein primitives Gerüst (Häärdbock) eingerammt, die in einem Gehäuse sich drehende Härdschị̆be angehängt und das lange, starke Härdseeḷ (Erdseil) umgeschlungen. (Abb.) An diesem ziehen Pferde oder Kühe, der obern Marche entlang schreitend, Bännete um Bännete empor. In kleinern Verhältnissen ziehen bloß einige verfügbare Menschenkräfte an starkem Holzstab abwärts. Weh, wenn diese mitten im Zug abließen, und «mit Donnergepolter enteilte»...! Drum der gelegentliche und auch auf andere Situationen anwendbare Zuruf zum Festhalten: Fest am Stäcke!

Erdscheibe zum anfurchen.

Das ziemlich langwierige Geschäft verkurzweilt man sich etwa mit gegenseitigen Neckereien, z. B.: Worum tuest doch gäng no Härd uehe, we doch afen eso vi̦i̦ḷ doben ist! Oder man spielt mit dem Doppelsinn von u̦n͜de̥fe̥r 1) unterhalb, unten am Ackerstück, 2) in der Ebene — statt im Gebirge — und sagt: Worum mit dem 106 Härd uehe, wenn er doch undefer so viiḷ meh wärt ist! — In bittere Kritik dagegen schlägt der Humor um, wenn Einer solches Aafuhre schlecht ausführt oder sogar bequemerweise einmal unterläßt. Ein schlimmeres Zeugnis der Faulheit könnte sich Keiner ausstellen.

Erst nach der Hacke setzt die Egge — Eichte, mhd. egede ahd. egida — ein. Und zwar zunächst die schwere Reißegge mit hölzernem Gestell und eisernen Zinken: die ị̆sigi Eichte,39 welche die Ackerfurchen vollends zerreißt und ausgleicht. Nach solchem ĕge40 werden die immer noch harten und groben Schollen (Härdmu̦tte oder einfach Mu̦tte)41 mit dem Öhri (Ohr) von Haue oder Karst oder mit dem Schärhụụffe­rächche vollends zerschlagen. Vereinzelt und zur Not leistet diesen Dienst auch die zum Stoß erhobene Schuhnase, was seinerzeit zu der erst spaßhaften, dann halb ernst genommenen Bezeichnung mu̦ttestü̦pfe für militärische Marsch-Exerzizien, Muttestüpfer für die sie ausführenden Rekruten (städtisch: Infarteristen42) geführt hat.

Ist solches Mü̦ttle (wie übrigens auch das Rasen-Abschälen heißen kann) nach Erfordernis geschehen, hat man überdies die besonders rein zu haltenden Gemüse- und Gespinnstfelder noch mit dem Chärstli bearbeitet, — g’chärstlet —, so kann jetzt Aussaat oder Einpflanzung erfolgen. Die hölzerne Saategge — höḷzigi Eichte — bringt den Samen unter, und zwar je nach Erfordernis oberflächlicher oder tiefer; letzteres z. B. beim Dinkel, ersteres beim Roggen, der beinahe keiner Bedeckung bedarf: der Roggen errü̦nnt uf eme dräckige Chneu.

Unter gegebenen Umständen wird die Saat noch gewalzt — ’trü̦̆ḷḷet —, in der Regel nur mit der einfachen hölzernen Glattwalze, Trüḷḷe. Dadurch werden die Körner inniger mit dem Erdreich vermengt, und die im Boden hergestellten Kapillarien führen die Feuchtigkeit rasch den Keimen und Würzelchen zu. Ein allenfalls zweites Trüḷḷe der Getreidesaat fördert die Bestockung, ein drittes verhütet das Lagern oder Faḷḷe, die Lääggi̦ne (Einzahl: das Lääggi)43 oder die Näster des Roggens. So «muß auch Zwang und Druck sein, wenn das Gute und Edle wachsen soll im Menschen».44 Eine Anwendung spezifischer Art machen von diesem Satz die Landwehr­männer, die unter empfindlichem Eintausch alltäglicher Gewohnheit gegen militärische Disziplin müeße ga trü̦ḷḷe — in merkwürdig aktiver Wendung dieses Ausdrucks. Man würde ja erwarten, daß der militärische Obere «trüḷḷi», den Drill ausübe.

 
1 UK. 251.   2 Volksw. 1, 17/18; 2, 203. 239; B’schwg. 240 f.   3 Amtsr. 129.   4 A. Feuerstein in SB.   5 Dies Wort ist eine Vermischung von mhd. weg-isen = «Weg-Eisen» und ahd. wag-ansa (= Gerät zum «Weigge» = loslösendem Bewegen, vgl. sëg-ansa Sägesse Sense — Gerät zum Schneiden, sec-are).   6 Der Wägesse übertrug seinen Namen auch auf den einigermaßen ähnlich geformten Bergzug zwischen Hasli und Bern.   7 Trub 29, 38.   8 Michel 255.   9 SchM. 2, 278.   10 Bifang.   11 BSp. 380; vgl. GG. 1, 67.   12 UK. 135.   13 Ök. fol. E 39.   14 OB. 1903, 26.   15 Das Cliché für letztern gehört Herrn Großenbacher, dem Erfinder und Verfertiger solcher Pflüge.   16 SchM. 1, 184 Hsa.   17 SchM. 1, 363; AB. 1, 174.   18 Spinne 22.   19 Schuldb. 169.   20 Jacob 2, 174.   21 Beitr. 20; UK. 356; AB. 1, 192.   22 UP. 252.   23 Ök. fol. 17, 54.   24 BwM. 148.   25 Barthli 52.   26 UK. 232.   27 Schuldb. 118.   28 Beitr. 21.   28a englisch ditch und dike (Abzugsgraben); vgl. auch «Bausch und Bogen».   29 Geltst. 250.   30 102.   31 Lf. Zolltaffel.   32 Wh. Sp. Ack. Ws. 764; E 2.   33 G 6.   34 SchM. 2, 145.   35 AB. 1, 331.   36 UK. 208.   37 SchM. 1, 292.   38 Trub 29, 38.   39 Vgl. Besuch 150.   40 Vgl. Ball 68.   41 Mutte also 1. Rasenstück, 2. Erdscholle.   42 BME. 54.   43 Vgl. dazu schwz. Id. 3, 1166 f.   44 Jacob 2, 246.  
 

Allmend und Einschlag.

In der unterländischen Dorfregion herrschte bis ins achtzehnte Jahrhundert der Zelg- oder Flurzwang, das «Thalrecht». Ins emmenthalische Hofsystem dagegen reichte es nicht hinauf. Immerhin ragen vom Oberaargau, her bis ins alte Amt Brandis hinein noch verwehte sprachliche und fachliche Spuren der einstigen Dreifelder­wirtschaft. (Nicht ins obere Emmenthal, wo von jeher ein fünfjähriger Turnus die Regel gewesen zu sein scheint.)1 Da sind vor allem der Flurname Braachácher und das Burgergeschleht Bracher. Braach bedeutet zunächst das Aufbrechen eines Ackerstücks, dann letzteres selbst. Behufs gründlicher Durchlüftung sowie Reinigung von Unkraut und Ungeziefer wurde das als «Sommerzelg» mit Roggen, Wicken, Erbsen und dergleichen bestandene Feld, nachdem es Schafen und Schweinen zur Herbst- und Frühlingsweide gedient, im Brach­monḁt oder Braachet gepflügt, ’braachet. Etwas später wurden die Furchen mittelst neuen Durchpflügens ein- oder zweimal «entworfen», und schließlich im Spätherbst nach Tiefpflügung als Winterzelg mit Getreide bestellt. Schon früh jedoch wurde diese anderwärts unbepflanzt bleibende oder «schwarze» zur grüene Braach umgewandelt, d. h. mit Sü̦mmerig beflanzt: Rüben, Hirsen, Küchengewächse, besonders aber Hanf und Flachs.

Zu ihrem Schutze gegen das den ganzen Sommer auf der Allmend weidende Kleinvieh war aber eine vor der Winterbestellung wieder zu entfernende Umzäunung nötig: eine aus Weidenruten, Haselzweigen etc. bestehende «Umwindung» eingeschlagener Pfähle, ahd. «bi-want», mnd. biwende, mhd. biunde (spr. büünde), nhd. «Beunde», berndeutsch die Bụ̈ụ̈nne, das Bụ̈ụ̈ndli und Bụ̈ụ̈nneli. Die Bedeutung wurde durch die frühere Leinwand­industrie des Emmenthals auf den Begriff des Hanffeldes (neben dem Flachsblätz) eingeschränkt.

Die Vorstellung der «Umzäunung» ging nämlich in die des umzäunten Landstückes über, wie bei all diesen Wörtern, die eine Abgrenzung schutzbedürftiger Kulturen gegen das Weidevieh, dann einfacher die Eingrenzung des letztern bedeuteten.

Ein solches Wort ist «Einschlag»2 (Ịịschlaag). Es bedeutet eigentlich: eingeschlagene (und umflochtene) Pfähle, dann aber spezieller: für Dürrfutter eingezäuntes Weidestück, besonders im Schachengebiet. Solche Einschläge wurden bis zu bedrohlicher Beschädigung desselben 108 von Fall zu Fall durch die Landvögte bewilligt.3 Das Iischlaa «nach Rütirecht» ging aber bis zu förmlicher Ansiedlung in den zunächst nur zur Bergung des Heus errichteten Hütten, woraus die frühere Schache­hüsli mit ihrem sozialen Elend hervorgingen.

Wie heute an den korporativ bebauten, unbewohnten Lützelflüh­schachen das stattliche Gut Aḷḷmän͜dli4 mit Mühle stößt, so ward umgekehrt obenher der Lützelflüh-Mühle der verschollene Name Aḷḷmän͜dli ersetzt durch das Bifängli5 mit dem Bifängli­acher. Bĭ̦fang aber heißen sowohl eine Flur in Lauterbach,6 als zwei am Fuße des Bĭ̦fäck aneinander stoßende Besitzungen: das chlịịn Bifang (1783)7 und das Bifang im engern Sinn.8 Die auf letzterm Hof verwahrten Dokumente schreiben 1771 bald «Beyfang» bald «Bifang»; vgl. «Byfang» (1796);9 und das bei Hauswirth (1783) übliche Geschlecht «der Beyfang» stimmt zum Appellativ «der Einfang» (vgl. «das Eingefangene» als Flur zu Dällikon, Kt. Zürich). «Die trubischen Güter sind alle unverstückelt in einem Einfange zu finden.»10 Diesem Ịịfang entsprechen sachlich die gleich­bedeutenden Wörter «Umfang» und «Bifang», indem auch die Vorsilbe «bi» = «bei» hier noch die alte Bedeutung «um», «ringsum» birgt. Jene «ein» = «in» und dieses «bi» = «um» vertreten jedes für sich die beiden Begriffe Umschließendes und Umschlossenes. «Bifang» ist also so viel wie «Umschwung», aus eingeschlagenen Flurstücken allmählich arrondiertes Gut außerhalb der Allmend. Hierzu stimmen — ganz wie bei dem prächtigen Bifang und dem benachbarten Bifängli zu Rüegsau — die etwas vom Dorf entfernte Lage und die Größen-Abstufung.

Eine Bildung wie «Bifang» ist «bi-zûn-î» (Um-zäun-ung), woraus mittelst der Fügung «in der Bitzen»11 der schwyzerische Geschlechtsname «Inderbitzi» hervorgegangen ist.

Zụụn (Zaun) aber ist die Bezeichnung, welche uns für schützende Umhegung von Landstücken, andern Sprachen aber wie dem Altkeltischen für «Stadt» am gebräuchlichsten geblieben ist. (Vgl. z. B. «Thun» mit dunum und dunos12 und englisch-amerikanischem town, ‑ton.) Unser Ackerbaugebiet mit seinem heute aufs äußerste beschränkten Weidgang kennt allerdings fast bloß noch den zum Holzbau so trefflich stimmenden Gartezuun aus einfach geschnitzten Scheieli und in des Hauses Nähe den aus Latten erstellten Zaun der sommerlichen Jungtierweide. In Sprachgebrauch und Witz jedoch fristet der Zaun der 109 alten Weidezeit noch heute sein Leben. Noch möchte ein Lebenslustiger über aḷḷ Zụ̈ụ̈n13 oder Heeg14 ụụs und sieht einer dü̦r sị̆be Züün dü̦re «Meyelis seidene Züpfen blinken»,15 «Elsis weiße Hemdärmel am Brunnen schimmern»,16 hoffärtige Kleider «glitzern und glänzen»,17 wittern Mägde «Bubenbei»,18 riechen Metzgerhunde «was zu fressen».19 Noch gibt es ungeschätzte Dinge «hageldicht wie Nesseln an den Zäunen20 oder Hägen»,21 weidet dort ein Bettler seine Ziege,22 hat hier einer sịs an͜der Hemmli zum Trocknen hängen.23 Noch steht einem «Dursli»,24 der zur Feuerung einen Zaun zu plündern sucht, ein wackerer «Hans Ueli gegenüber, der einen Zaun macht»25 und bei der erforderlichen Länge desselben sich freut, wenn das erforderliche Zaunholz recht weit langt. Ganz wie wir auch sonst im Leben uns freuen, wenn ein kostspieliger Stoff, wenn ein empfindlich spürbarer Aufwand an Geld und Zeit doch schließlich gut ausgibt, we’s zuunet.26 Vgl. das Kinderspiel: Mir zuune, mir zuune, wie groß wirt üse Zuun? usw.27

Umzäunte Kälberweide beim Haus.

Zu solchem Behuf braucht der aus Spälten roh behauene Zuun­stäcke nur dünn zu sein. Drum die Bilder: Zän͜d wie Zuun­stäcke,28 măger wi n e Zuun­stäcke.29 Immerhin muß selbiger so solid und derb sein, daß ein mit ihm geführter Schlag empfindlich und das Winke mit dem Zuun­stäcke deutlich genug ausfällt.30 Drum reizt auch das Klotzige, Klobige, verbunden mit dem dichten Beisammen­stehen, zu drolligen Personifi­kationen der Zaunpfähle, wie: Er ist e men iedere Zuun­stäcke schuḷdig. «Er schwatzt mit jedem Zaunstecken»,31 sie frägt jeden: «Wottisch mi öppe?»32 Einer flieht erschrocken vor jedem Zaunstecken,33 und eine singt, daß es den Zaunstecken Tränen 110 austreibt.34 Vor dem «Mordio­fuhrmann» verwandeln sie sich gar in Gespenster.

«Unsere Landleute nennen Zaun: Einfristungen von todtem Holz, Haag aber solche von lebendigem.»35 Also Haag = Lä̆bhaag36 oder Grüenhaag.37 Und zwar kann solche Hecke auf zwei Arten entstehen. Haseln38 und dergleichen können mit ihren Hauptwurzel­stöcken als Haag­müeter die mittel­alterlichen Marchzeichen stellenweise ersetzen, wo nicht die Hagebuche als an Ort und Stelle gewachsenes Buschholz, zääch wie Hăgebuechigs,39 noch bessere Dienste leistet. Oder man pflanzt Tännchen (Tanndli, Grotze),40 Erlen, Weiden an Ort und Stelle hin; besonders aber ist natürlich der Tornhaag41 geeignet, Füchsen und dergleichen, sowie bildlich den Spitzbuben, z’vertörne.42

Bei uns hat indes Haag, wie schon ahd. hag, eine umfassendere Bedeutung: Einfriedigung irgendwelcher Art aus lebendem oder totem Holz, von welcher der Zaun sich einzig durch schön regelrechte Anlage (nach beigefügter Abb. S. 109) abhebt. Wenn dagegen in den Brandis-Ämterbüchern 1742 «einiche züne es seyend stäckenhag, dannen oder gert» zur Sprache kommen, ist also hier der Zaun zum Oberbegriff erhoben. Jedenfalls sind Zụụn und Haag Synonyme, und beide könnten zur Nachahmung des schönen Bildes von Habsburgs lebendigen Mauern43 dienen; wenn nicht noch eher der Zaun, dessen kunstgerecht angelegte Latten sich gegenseitig selber tragen, indes am künstlichen Haag die gedrehten hölzernen Haagringe44 das Ganze zusammenhalten müssen.

Hecken und Zäune stunden vormals unter gesetzlichem Schutz, und alte Kaufbriefe, wie einer aus Langnau vom Jahre 1597,45 schrieben ausdrücklich vor, der Käufer solle «denn hag der schneeschmelze nach Inn gutenn Ehren erhalten». Daher auch Ortsnamen wie Hăgs̆bḁch (Rüegsau), Haagacher u. a. Durften die Hecken unter solchem Schutze bis «zwei Klafter breit»46 sich ausdehnen, so dienten sie natürlich doppelt gut auch zu Verstecken aller Art.47 Hundert triviale Bilder dieser Gattung werden hierbei wett gemacht durch jenes eine unnachahmlich schöne und weihevolle Sichfinden eines Jakobli und Meyeli.48 Der eigentliche Zweck der Hecken bestand natürlich (und besteht anderwärts noch) in der Um- und Abgrenzung der Heimwesen. Daß von solchen «Alles in Einer Einhäge» (Ịịheegi, also wie «Einfang») liege: «Mattland, 111 Ackerland, Waldung und Weidgang»49 entspricht dem Vorteil unserer offenen, aber arrondierten Güter. Daher auch Formeln wie: «inner- und außerhalb des Haages»50 Geld, Zins hernehmen; vor e Haag use gestellt oder getrieben werden,51 heiraten,52 vor e Haag use huuse,53 sowie die wunderliche Bilderkreuzung: vor e Haag use wurste. Was aber der Alpwirtschaft ein Unentbehrliches, ist dem Ackerbau ein Hindernis auf Schritt und Tritt; wie bald und unversehens ist der Pflügende mit dem ganze Gschi̦i̦r am Haag aa! «Wie bald ist der Wagen in den Haag gefahren!»54 So ist auch der Geldarme,55 der im Kampf ums Recht Unterlegene,56 der Überfragte,57 der sonstwie in Verlegenheit Geratene am Haag aa, z’u̦sserist am Haag58 (in bitterer Not), oder a Haag gsteḷḷt59 («an die Wand gedrückt»). Kein Wunder, daß soweit der Pflug vordrang, die Hecke schwand — oft genug allerdings zum Schaden der Vogelwelt, sowie nicht selten zur Beeinträchtigung der landschaftlichen Schönheit. Denn auch hier hat die Sache zwei Seiten.

Eine kleine Einzäunung für Kälber,60 Schweine,61 Schafe62 heißt Pferch, obd. Pferrich, der Fääre̥ch. So auch eine kleine Flur.63

Ein umzäuntes Feld für Speisepflanzen trug den eigenen Namen Ääsch64 (ezzisch, zu ezzen, essen), bei uns wenigstens forterhalten in den Burger­geschlechtern Äschimann (sehr häufig) und Äschlimann.

Um diesen «Eschbann» (geschlossenen Feldbezirk) ging der Zaun mit dem durchlassenden Falltor am Durchpaß, das (oder auch der) Ester («Esch-Tor») genannt. (Vgl. die Flur «Oberester» in Schöfflisdorf, Kt. Zürich.) Ein solches für bequeme Durchfahrt gehörig breites und doch leicht zu handhabendes, darum gitterartig gebautes Tor heißt Gatter (vgl. «Trachter» neben «Trichter»). Was gleich ihm ungewöhnlich weite Öffnungen sehen läßt, ist gatterig. So ist ein Strumpf mit allzu weiten Maschen gatterig g’li̦smet, und von des «Schulmeisters»65 Hemden erklärt die neu eintretende Frau: «die sehen aus wie ein Hühnergatter». Vergatteret ist, was aus festem Gefüge herauszufallen droht,66 was dürenandere gatteret.67 Große und schwerfällig langsam (unter Erschütterungen), schließlich aber unerwartet zuklappende Tore solcher Art heißen Schutzgatter. (Schutz 112 = Schuß.) Daher ist auch ein Mensch, der ohne Takt und Fühlung, mit unabgemessenen und unberechenbaren Bewegungen (ung’regeliert) drein fährt, e Schutzgatter,68 mit männlichem Geschlecht, wie: e Schutzgatteri; vgl.: er schutzgatteret.

Solche Gatter grenzen Alpweiden ab.69 Daher Neckereien wie: di letz̆ti Chue tuet der Gatter (oder: d’Türe) zue. Kleiner, nur für Passanten berechnet, schließen sie anderwärts noch bäuerliche Gehöfte,70 bei uns Kirch-71 und Pfarrhöfe72 ab. (Vgl. auch das «Gätterstübli» im Inselspital 1653),73 Schön ist die Wendung des Bildes vom «Gehege der Zähne» als das «Gätterli zum Paradies»;74 weniger schön vom Hahnrei als «Gatter vor der Tür»,75 oder vom bestechlichen Beamten als «Schelmengatter».76

Ein «Weidgatter» vor dem Hauseingang schloß ehedem das zwischen Zäunen hindurch­führende Gäßchen77 ab und war rechts und links in einen steinernen oder eichenen Tü̦ü̦rlistock78 eingehängt, dessen schmuckloses und plumpes Aussehen (vgl. den Brunnenstock) zu unermüdlichen drastischen Vergleichen mit schwerfälligen Menschen reizte.79 Statt einer Türe oder eines Gatters konnte und kann jedoch auch nur ein leiterartiger Überstieg mit (für die Durchfahrt) seitwärts schiebbaren Stangen Durchpaß gewähren: die Stápfe̥te.80 Noch einfacher ermöglichen (unter demselben Namen) abgestuft eingeschlagene Pfähle (Schwiere) ein solches Steigen oder Stapfe. Derartig primitive «Verkehrsanlagen» setzen eben ein seltenes Betreten hochgelegener Weiden durch Fremde voraus; wer sich häufiger als nötig dort erblicken läßt, hat sich bald einmal das Attribut «stigelsinnig und gätterliläufig»81 erworben. Das erstere dieser Wörter ward durch das sonderbare stĭ̦fe͜l­sinnig («stiefelsinnig»,82 wofür 1848: «trübsinnig») umgedeutet und ersetzt.

 
1 Trub 29, 38; 30, 121; vgl. Eggiw. 92.   2 AB. 1, 375 f. 251; Schuldb. 169.   3 JoSt. 250 ff.   4 D 2.   5 Wh. Wst. 11; E 3.   6 L 2.   7 Wh. Wst. 424; E 3.   8 Wh. Wst. Sp. Hh. Oh. Sch. 1898; E 3.   9 ABB, C 261.   10 Trub 30, 118.   11 Vgl. Kluge6 46.   12 Holder.   13 AB. 1, 380.   14 Müll. Hk. 33.   15 AB. 1. 163.   16 Elsi 66.   17 Ztgst. 1, 158.   18 GG. 2, 133.   19 AB. 2, 362.   20 Kurt 70.   21 EbM. 254.   22 Käs. 148.   23 Käs. 193.   24 289; vgl. Kätheli 280; Raben 210.   25 Arm. 94. (geistvoll!)   26 Käs. 214; Bsbinder 363.   27 KL. 02, 942.   28 AB. 2, 49.   29 Vgl. Segen 83; Geltst. 18.   30 Arm. 55; GG. 1, 82.   31 Schuldb. 75.   32 Ball 20.   33 BwM. 182.   34 Schuldb. 145.   35 N. E. Tscharner Ök. Q4 A 6, 17.   36 GG 3, 9-13; Dursli 288; Trub 29, 38; Eggiw. 105.   37 Pfr.-Ber. 134.   38 UK. 42; AB. 1, 429.   39 Ztgst. 2, 117.   40 Trub 29, 38.   41 SchM. 2, 305; Jacob 2, 237; Schuldb. 21.   42 Schuldb. 212.   43 Thorb. 7.   44 AB. 1, 429; Beitr. 615.   45 Pergam.   46 UK. 201.   47 AB. 1, 476; SchM. 2, 78; UK. 406.   48 AB. 1, 375. 382.   49 Käthi 295; vgl. Eggiw. 91; UK. 160.   50 GG. 3, 24; UK. 137.   51 Käs. 277; Geltst. 100.   52 UK. 274.   53 UK. 273.   54 GG. 1, 74.   55 UK. 137; SchM. 1, 186.   56 AB. 2, 404.   57 BSp. 306.   58 GG. 1, 75.   59 Arm. 181; Geltst. 172.   60 OB. 1902, 176-11.   61 AB. 1, 126; Christen 194.   62 MW. 2J. 286; vgl. Joh. 10, 16.   63 Ack. Ws. 9,70.   64 So auch Käthi 10 (vgl. Beitr. 642): «Aesch» statt «Ansch».   65 2,107.   66 AB. 1, 329. 426; BSp. 314.   67 Ztgst. 2, 120.   68 AB. 2, 240; Böhneler 203.   69 GG. 2, 147.   70 Kuhn 1.   71 MW. BK. 54; 2J. 158.   72 AB. 1, 393.   73 Tribolet 17.   74 GG. 3, 10.   75 AB. 1, 120; UK. 10.   76 Schuldb. 30.   77 GG. 2, 23, 48; 3, 9.   78 GG. 3, 73.   79 An AB. 43 und sehr oft.   80 Dursli 272; Beitr. 386.   81 Meyer, «die drei Zelgen».   82 BSp. 374.  
 

Ägerte und Acher.

Entlegenes und dazu geringes1 Land wurde, nachdem es zwei oder noch mehr Jahre als Getreidefeld gedient hatte, auf lange Zeit gar nicht mehr unter den Pflug genommen, sondern für Wiese und Weide liegen gelassen als Ägerte, ahd. a-gi-eri-da (un-ge-pflüg-t). So hat auch Lützelflüh eine Ägerte neben der Stockäbeni zu Adelboden2 und eine Früsch-Ägerte, die aber heute ein Acker ist.3

113 Im Gegensatze zu solcher neuerdings der Natur zurückgegebenen Wiese heißt bei uns eine durch Frühlings-Einsaat in das Wintergetreide neu angelegte Kunstwiese: Neulis oder Neulis-Ägerte. Der Neulis grăse. Das ist schöner (gut beras’ter) Neulis. Mehrzahl: d’Neulisse. D’Neulisse hei hụ̈ụ̈r (heuer) gfähḷt: etwa indem das gelagerte Getreide die junge Saat erstickte, Spätfröste oder Bise ihr zusetzten oder dgl.

Geht man vom Emmenfeld (Ämmefäḷd4) oder Emmengrund gegen den Dietlenberg hin einem Bache nach feldein, so stößt man auf das Häuschen Fäḷdịị mit der Fäldịị-Mátte.5 Bedeutet «Feld» schon der Wortgeschichte nach etwas sich flach ausbreitendes, so ist «Acker» ursprünglich so viel wie «Trift». Zu lat. agere («treiben») stellt sich lat. ager = got. akrs = bernd. Achcher (während das auf westgermanischer Verdoppelung6 beruhende Acker sich dazu verhält wie etwa «Brocken» zu unserm Brochche, aus «brechen»). Die Bedeutung «Trift», «Wiese», sogar «sumpfige Wiese» kannte noch Appenzell im achtzehnten Jahrhundert.7 Erst nach Vordringen des Ackerbaus zur ersten Rolle in der Landwirtschaft festigte sich der Begriff «abgegrenztes Stück Pflugland».

Gerne bleibt aber am Wort vom Ursprung her die mit «Feld» verbundene Bedeutung haften; einen Chornacher im Sommer z. B. können wir uns kaum anders als das «weithin wogende Getreidefeld» denken. Auch der Emmenthaler empfindet bei solchem Anblick den Gegensatz und brandmarkt ihn sozusagen durch Namen wie der stotzig Acher. Ebenso kennt auch er die erbauliche Strophe: Wenn Einer n es steinigs Acherli het, Derzue ne mutze Flueg U daheimen e chịịbigi Frau im Bett, So hett er Tüfe͜ls gnueg.

Schöner ist die persönliche Zuneigung, die der Landwirt einem durch Mühe und Schweiß emporgebrachten Acker auch damit entgegenbringt, daß er ihn durch Namengebung gleich seinen Haustieren, seinen Bäumen, seinen Waldstücken einzeln hervorhebt, individualisiert. An so einen Acher,8 es Acherli knüpft sich ein gut Stück Familien­geschichte; nur blieb diese ungeschrieben und uns bleiben lediglich die Namen, wie Muschelschalen ans trockene Ufer gespült, nachdem das Tierchen darin gestorben; wie Rätsel, uns zum Erraten vorgelegt. An was für einen Joseph, Kaspar, Anton, Oswald, Althaus erinnern der Sepp-9 (zu Adelboden), der Chasper-,10 der Thö̆ni-Acher,11 das Oosi-Acherli,12 der Aḷthus-Acher?13 Welche Umstände führten bei dem 114 zähen Beisammenhalten eines einmal zusammen­gebrachten Guts zu Zersplitterungen in einen Hof-,14 in zwei Stöckli-,15 einen Spĭ̦cher-,16 Hüsli-,17 der ober und un͜der Ofehuus-,18 Schüürli-,19 Techli-Acher?20 Wie kam man bei dem ausgesprochenen Charakter der Höfe als arrondierter Güter in jedem Einzelfall zu Anstößen an andere Ortschaften, wie im Waḷthuus-,21 den zwei Bifängli-,22 dem Ramseibärg-,23 den zwei Gumm-,24 dem Stiig-,25 dem un͜dere und obere Woḷfstịịge-,26 dem Äbnit-, dem Bruuchbüel-,27 dem Glaserhüsli-Acher?28 So stoßen auch an Einzelgüter: der Rain-,29 der Chüpferhüsli-,30 der Fahrn-Weidli-Acher,31 der Chappelácher32 bei der Kappelenmátt (nach einstiger Kapelle), «Peter Mieschers Bühlacker oder das Berneygut» (im Jahr 1786).33 Bei der Riegsau-Flüe: der Flüe-Acher34 in Oberried, der Flüeli-Acher;35 dagegen ist durch eine Flue charakterisiert: der Flue-Acher,36 wie durch die so bedeutsame Linde: zwei Lin͜d-Acher;37 vgl. ferner den Brunnacher38 zum obern Rain, den Tröchni-,39 den Brüggli-Acher. An den Emmendamm stoßen zwei Täntsch-Acher;40 vgl. der Haag-,41 der Gaß-Acher.42

Aus einer Beunde entstand der Bụ̈ụ̈n-Acher,43 während Sau-,44 Chüe-,45 Rŏs- (Roß-) Acher46 auf ehemalige Weide deuten; vgl. Braachacher, Tornacher.47 Der Eich-,48 der «Buchacker» = Bụ̆acher49 (1783 gehörten zwei «Bauacker» teilweise zu Sumiswald, bezw. Affoltern), der Buehoḷzacher.50 Notieren wir hier auch die Fuchsächer.51 Der an ziemlich steilem Nordabhang von Brandis gegen Rüegsau gelegene Wị̆nacher52 liegt obenher dem Wịịgarte (Rüegsau). Letzterer enthält einen südwärts gegen einen Erosionskessel steil abfallenden, gegen alle Winde geschützten Abhang. Schattacherli53 und Sunnacher.54 Der San͜dacher.55 Die Grun͜dachere56 (Grundäcker; bemerke den Unterschied zwischen bernd. und nhd. Mehrzahl und die ursprüngliche Funktion dieser «Zahl»form als Kollektiv, vgl. d’Rüttine). Der Bodenacher,57 zwei Höhi-Acher;58 der Talacher.59 Der 115 Großácher60 und die Großäcker;61 zwei Breitäcker.62 Spitzacher;63 der Chehr-64 und der Chrummacher.65 Der Überacher.66

Der im Lützelflüh-Schachen an der Schloßmatte gelegene Längacher kam 1785 an Brandis,67 wogegen der auf der Höhe gelegene Burgácher samt der «Weyd» einer Familie Scheidegger in Erblehen gegeben wurde, zugleich mit einer einstigen Neuerwerbung: dem Neuácher. 1787 erwirkte der Pächter in Bern die Erlaubnis, sieben Jucharten vom Neuackerweg dem Chorrichter Gasser im Rüegsauschachen zu verkaufen behufs Ausübung des Feuerrechts, also Erstellung eines Hauses. Dieser Neuácher68 ist heute ein Bauerngut mittlerer Größe. Der Bran͜disácher.69 Neben dem Brandiser-Burgácher70 gibt es auch einen Oberrieder Burgácher,71 welcher gleich dem benachbarten Jeger-Lehn und Schmĭ̦ds-Lehn laut Tradition auf eine einstige dortige Burg deutet.72 Die betreffende Stelle heißt noch heute im Volksmund die Schmids­lehnburg.

 
1 Jacob 1 151.   2 Zus. 773,81 ha.   3 534,22 ha.   4 Ack. 87,33 ha.   5 Ack. Ws. 13,65; E 2.   6 Braune ahd. Gr. § 96.   7 Kluge 4; schwz. Idiot. 1, 66.   8 Wie z. B. O 2.   9 E 5.   10 298,47; E 4.   11 195,76.   12 13,06.   13 267,68.   14 Ack. Ws. 1102,80.   15 278; O 3; LB. 95.   16 OK. 171.   17 OK. 97.   18 O 4.   19 74,40; L 2.   20 LB. 28.   21 166,74; E 4.   22 878,35; 78,99.   23 282,90.   24 Ack. Ws. bei Ramsei; E 4.   25 Ack. Ws. 81.   26 266,27.   27 629,60.   28 45,24.   29 307,14.   30 139,65.   31 LB. 73.   32 197,63.   33 ABB, B 19.   34 48,90.   35 O 4.   36 176.   37 Ack. Ws. 236, 30; D 5; Ack. und Berg 600,59.   38 340,07.   39 LB. 92,41.   40 317,78; 139,45; D 2.   41 767; F 8.   42 546,54; F 3.   43 Ack. Ws. 691,59; O 4.   44 LB. 209.   45 220,27; 95; E 4.   46 53; O 2.   47 493,10; E 4.   48 284,73.   49 Wh. Sp. Ack. Ws. Wd. 655,83; D 6.   50 L 1.   51 L 1.   52 Wh. Wst. Sp. Schopf. Ack. Ws. Wg. 713; C 2.   53 Ack. Ws. 46,90.   54 146,35.   55 513,20; O 4.   56 O 1. 2.   57 Ack. Ws. 459,18; E 4.   58 129,12; OR. 362.   59 149; O 3.   60 Ack. Ws.; L 1; F 3; D 7.   61 245,94.   62 244,33; 101,88.   63 44,70.   64 Ack. Ws.   65 133,34.   66 271.   67 ABB, B 69.   68 D 2.   69 300,54.   70 Wh. Wst. Schürli Ack. Ws. Wd. 783,71; D 2.   71 206.   72 Jahn Emm.  
 

Saat und Ernte.

Ist der Acker die Domäne des Mannes, so der Pflanzblätz das Territorium der Hausfrau. Auf diesem Gemüsefelde besorgt sie, die Minuten erstehlend, das Aapflanze. «Jez, wo men aḷḷ Händ voḷḷ z’tüe het mit dem Aapflanze!»1 Dahin gehört: das Setze der Chabis-, Chööli- und dergleichen Stụ̈deli2 oder Setzlig, sowie das Stecken der Bohnen und Erbsen, was sich ebenfalls Setze nennt. Selbst das Stecken der ganzen Kartoffel­knollen oder der ausgeschnittenen Knospenstücke heißt Härdöpfe͜l-Setze. Warum erschien es dagegen den «Schnäfligern»3 so drollig, ja bis zur Existenzfrage verhängnisvoll komisch, daß der städtisch erzogene Vikar in einer Anwandlung von Leutseligkeit die an der Straße mit Getreidesaat Beschäftigten fragte: «Sit er am Chornsetze?»

Man setzt («steckt») eben, was man Stück für Stück an seine genau bestimmte Stelle im Boden verbringt, während das «Säen» nach Ausweis verwandter Sprachen4 ein «Ausschicken», «Auswerfen» über den Boden weg ist. Während daher alles, was gesäet wird, «Same» ist 116 oder doch (wie z. B. die Frucht des Getreides) wie solcher aussieht, kann sich das Setze auf allerlei Pflänzlinge beziehen: Bäume und Sträucher, Stauden (Stụ̆de) und Stụ̈deli oder Setzlig, sowie die sogenannten und wirklichen Saamme. Man stellt mit «Samen» so grundverschiedene Dinge auf eine Linie wie die Kartoffel­knollen oder deren ausgeschnittene (verhäunigi) Stücke (Härdöpfe͜l­bitze), sonderlich die knospenreichen Năsen, unter Zurückbehaltung der zum Pflanzen untauglichen Reste (Abbrän͜d), obschon es sich hier um unterirdische Stämme handelt. Die wirklichen Kartoffel-Samen, welche sich aus den Rŏlen gewinnen ließen, sind so gut wie ungebräuchlich. Man hält sich aus ökonomischen Gründen einzig an die Fort­pflanzungsart durch Stecklinge und nennt diese «Saamme», weil sie gleich den wirklichen Samen z. B. der Bohnen und Erbsen, die man ebenfalls setzt, sich zu mehreren in die Hand nehmen lassen. Auch das so sehr sich empfehlende Saamen-Ändere (der Saatgutswechsel) wird ebenso unmittelbar auf die Kartoffel ausgedehnt, wie man anderseits in neckischer Übertragung etwa eines Kameraden Kopfbedeckung aufsetzt oder ihm die eigene anbietet, weil man wieder einmal gut finde, Saamme z’ändere.

Ein fernerer Abstand zwischen landwirt­schaftlicher und botanischer Sprache liegt in gelegentlicher Beschränkung des Begriffs Saamme auf die Brotfrucht. Dafür hinwieder dehnen wir die Mehrzahl Säämme oder Söömme auf die nach dem Keimen ergrünenden Getreidefelder aus: d’Söömme si schöön; si si glịịchlig (gleichmäßig) errunne. Ihnen gegenüber kann die nachhinkende Sprache noch im Zeitalter des Kunstfutterbaus von den allerdings winzigen Klee- und Grassamen als chliinem Gsääm5 oder Gsööm reden.

Dem entspricht die Beschränkung des Begriffs sääjje auf die Getreideaussaat, ja noch spezieller auf die Bestellung der Wintersaat,6 und zwar bei uns des Dinkels. In diesem Sinne reden wir ohne Objekt von Sääjje = Aasääjje.7 Nur die Roggen- und versuchsweise eingeführte Weizensaat, die Gersten-, Hafer- und Sommerdinkel-Saat bedarf näherer Bezeichnung.

Die herbstliche Saatzeit heißt demgemäß der Sääjjet.8 Sie ist in der Tat um so arbeitsreicher, wo auf die steilen Äcker keine Säemaschine hingelangen kann, die ganze Bestellung der Getreidefelder also breitwürfig von Hand geschehen muß. Dafür bietet es aber auch immer einen fesselnden Anblick, wenn der Säemann den Sääjsack an zwei Zipfeln zusammen­geknotet über die Achsel wirft und nun «mit ernstem 117 Gesicht und langen gemessenen Schritten den Samen strömen läßt aus kundiger Hand».9

Noch schöner ist es zuzusehen, wie der Sohn als künftiger Bauer zum erstenmal säen darf. Bisher durfte er bloß vórlauffe oder un͜derláuffe: dem Säenden durch Voranschreiten die Grenzlinie der letzten Wurfbreite (die Saatele oder Soortele genannt) zeigen. Nun darf er selber den Säesack anfüllen und sich umhängen. Der Vater schreitet neben ihm her und zeigt ihm, in welchem Maße die Hand füllen, in welchem vollen Bogen die vor den Augen sich hinbreitende Saatwolke werfen, wie bei jedem Wurf die Hand voll Dinkel ganz entleeren, die Hand voll Roggen nur mit zwei, die voll Weizen mit drei Fingern öffnen usw.

Bei günstiger Witterung errü̦nnt («errinnt»)10 die Saat in vierzehn Tagen, oder ist doch in drei Wochen erru̦nne11 («erronnen»),12 d. h. die Spitzen der Keimlinge brechen eben sichtbar durch das Erdreich. Ist dies überall gleichmäßig geschehen, so gruenet’s (der Same ergrünt),13 gleich wie im Frühling auf dem Grasacker. Wie viele ungünstige Umstände aber können das Keimen hinterhalten, so daß der Same im Boden versooret, vermụ̆deret! Da, ein frischer, herbstlich warmer Regen, und der Same faat a si b’chịịmme («sich bekeimen»), gewinnt neues Leben und überholt vielleicht in Bälde das glücklicher Gesproßte. So war auch «schon mancher Mensch viel weiter unten als du, ward härter geschlagen und b’kymte sich doch wieder».14

Ist errünne das über der Erde sichtbare Keimen, so cheiste das am Samen im Entstehen verfolgbare. Der Same cheistet ụụs; auch die Kartoffeln im Keller cheisten ụụs; sie treiben die bekannten langen Keime oder Cheiste (Einzahl: der Cheiste), welche an der Speisekartoffel zu entfernen sind, wenn sie dieselben nicht gehaltlos und ungenießbar machen sollen; mi mues d’Härdöpfel abcheiste.

In Chei-ste haben wir also eine Nebenform zu «Kei-m», mit ihr gemeinsam gehörig zu einer Wurzel «» (spalten, spaltend aufspringen).15 Nächst verwandt mit «Chei-st», dessen -st- ein ursprüngliches -tt- sein kann, ist die Form kîde (Sprößling). Dieselbe ist im Schriftdeutschen, keineswegs aber in der Mundart erloschen. Wir nennen die Chịde, das Chịịdeli oder Chị̆deli einen kleinen strotzend saftigen, also im Frühling hervorbrechenden «grünen Zweig». Treibt eine verunglückte Pflanze noch es Chịịdeli, so ist sie noch nicht hoffnungslos aufzugeben.

118 Von dem seltenen schönen Wort schreibt sich (s. auch «Gesund und krank») chịdig her in dieser vereinzelt gebliebenen Fügung chị̆digi Nacht: «rabenschwarze», «stockfinstere» Nacht; «Nacht, wo me nid d’Han͜d vor den Auge gseht.» Wir haben es also mit einer der Mechanisierungen der Begriffs­betonung zu tun, wie uns z. B. deren eine noch später in «blutarm» (s. Register) begegnen wird. Es gehört zum Wesen des Sprosses, strotzend saftig zu sein; diese Eigenschaft bürgt für sein eigenes Fortbestehen und verspricht ein solches für die gesamte zugehörige Pflanze. Nun sind Eigenschaften, welche mit Kundgebung starker Lebensfülle zusammenhängen, besonders geeignet, aus ihrem natürlichen Zusammenhang herausgehoben und gleichsam in einen andern hineingepfropft zu werden, wo sie, wie unser chĭ̦dig, dem tragenden Substantiv­begriff den Sinn «voll und ganz», «in höchstem Maße» erteilen.

Die glückliche Saat gedeiht vielleicht nur zu dicht und muß, wo dies angeht, z. B. bei den «Rüebli», erdünneret werden. Vgl. auch: [durch Raufen] eim ’s Haar erdünnere. Es ist dies immer zugleich die beste Gelegenheit, die auch sonst nicht häufig genug ergriffen werden kann, z’jätte, das Unkraut (Gjätt)16 zu entfernen.

Auf die Brotfrucht spezialisierte sich von alten Zeiten her wie das «Säen», so auch das Ernten — äärne, — früher «arnen»; vgl. im «geistlichen Wagenmann» 1563: «Was dye [Alt-]Vordern erarnet, Nit schandtlich werd verthan», und aus derselben Zeit: «Ich förcht da vil meng biderman noch vbel muß erarnen.» Die Getreide-Ernte heißt Äärn. Bei andern ebenso wichtigen Ernten spricht man von Grăbe (Hackfrüchte), Abläse (Obst) oder Gwinne (Hülsenfrüchte, Beeren).17 Selbst von den «Flüehbluemi» an der Felsenwand dichtet Kuhn:18 «schad, daß si niemer gwinne cha!»

Der Ernte-Ertrag heißt die Frucht, mit ausschließlicher Beziehung auch wieder auf das Getreide, sogar das erst emporwachsende (vergl. «Samen»). Dagegen ist die Mehrzahl Frücht ein Schulwort, das in erster Linie seltenen Steinobstsorten, weiterhin etwa (in Anlehnung an die Bibelsprache) den «Früchten der Erde» gilt. Bloß in bildlicher Rede brauchen wir abtrage: «Laß ab vom törichten Beginnen»... es treit der nụ̈ụ̈t ab!

 
1 Lischeb. 12.   2 MW. 2J. 154.   3 AB. 2, 471.   4 z. B. lat. se-r-o aus «se-s-o» ich säe = griech. hi-ē-mi aus «si-sē-mi» ich sende; die Reduplikation deutet auf wiederholte Handlung.   5 UK. 185.   6 Käthi 153 Hs.   7 UK. 251.   8 Schuldb. 226; SchM. 1, 187.   9 Amtsr. 61; die schöne Stelle («Wer mit kundigem Auge» usw.) ist in viele Schulbücher übergegangen. Vgl. auch Berner Taschenbuch 1861, 358.   10 AB. 1, 30.   11 Lischeb. 3.   12 UK. 252.   13 Ztgst. 2, 133.   14 Ztgst. 2, 211.   15 Kluge5 191.   16 MW. 2J. 209.   17 MW. 2J. 139.   18 Kuhn 4.  
 

Haus und Heim.

Speicherlaube.

Bäuerliche Kunst.

U

 

rsprüngliche Kunst ist die Kunst der Naturvölker. Man redet heute so viel von der Ursprünglichkeit und stellt so gerne den am höchsten, der in seinem künstlerischen Schaffen am meisten ursprüngliches Empfinden zeigt, originale, von keiner Schule und keiner Mode beeinflußte, selbständig schöpferische Kraft.

Es ist begreiflich, daß sich der von Kultur fast übersättigte Mensch wie nach einem frischen Winde, wie nach frischem Quellwasser nach einfach empfundenen, naiven Kunstwerken sehnt, die los wären von all dem überfeinerten Raffinement, das so bald zum Ekel wird. Darum betrachtet man in unserer Zeit mit so großem Respekt, mit Staunen sogar, die Arbeiten der wilden Stämme und bewundert das eminente Können, den guten Geschmack und die stilistische Gediegenheit dieser dekorativen Kunst. Und gerne lernt man von diesen einfachen Naturmenschen und sucht hinter die Geheimnisse der Schönheit ihrer Kunst zu kommen.

Schon das flößt uns Achtung ein, daß bei diesen «Wilden» der Kunsttrieb so stark ist, stärker als bei vielen sogenannt gebildeten Europäern, 120 die in ihrer öden, stumpfsinnigen Philister­haftigkeit ihr von Kunst kaum je berührtes Leben einförmig dahintreten, von Kultur große Worte machen und die obgenannten Wilden als zurückgebliebene Menschen verachten.

Laubenornamente.

Ist es nun wohl zu weit ausgeholt, wenn man in einem Aufsatze über die Kunst im Hause des Emmenthaler Bauern an die Kunst der wilden Völker erinnert? Ich wenigstens werde beim Nachdenken über unsere Kunstpflege und Volkskunst unwillkürlich hinübergeführt zu den Arbeiten der Insulaner z. B., zu jenen wundersam geschnitzten Rudern und Keulen aus eisenhartem Holze, den reichbestickten Kleidern, den bemalten oder geschnitzten Gefäßen und so vieler Gegenständen, die man schon um ihres Schmuckes willen aufrichtig bewundern muß. Ich möchte in einigen Sätzen zu zeigen versuchen, wie unsere Bauernkunst viel Verwandtes hat mit der ursprünglichsten Kunst und deshalb hoch gewertet werden darf.

Eigenartig ist vor allen, daß sämtliche Kunstarbeiten der Naturvölker nie Selbstzweck haben, sondern dekorativer, dienender Art sind — und darin schon gleichen ihnen die künstlerischen Erzeugnisse der Berner­bauern. Nie sieht man einen unter den oft so geschickten Bauern­handwerkern, die ja allein die Träger bäuerlichen Kunstfleißes sind und noch wie in alter Zeit die Kunst im Handwerke betreiben, Dinge herstellen, die selbständige Kunstwerke wären; betätigt er sich künstlerisch, so geschieht dies, um sein Haus, seine Stube, seine Geräte, Werkzeuge und Kleider zu schmücken.

Das Prinzip der modernen dekorativen Kunst (daß sie sich dienend unterordnet) ist also gar nicht etwa eine neue Erfindung, sondern eine uralte Sache, so alt wie die Kunst selber. Dieses einfache Gesetz war aber im 19. Jahrhundert eine lange Zeit hindurch fast ganz vergessen. In den Städten machte den Menschen die mehr oder weniger schlechte Nachahmung alter Stilarten und das hohle, laute Geschwätz von der «Hebung des Kunstgewerbes» die Köpfe so verwirrt, daß sie ganz außer acht ließen, was Schmuckkunst soll — bis die große Umwälzung sich anbahnte mit ihrem herrlichen Zuge zur Wahrheit und gesunden Natürlichkeit. — Unterdessen war der Bauer über den Zweck seiner Kunst nicht einen Augenblick im Zweifel gewesen. Von all dem Gezänke und 121 Gerede in der Stadt unberührt schuf er sich sein Heim so, wie er es schön und zweckmäßig fand und er ließ sich darin nicht irre machen — bis er, sehr zum Schaden für seine Kunst, mit dem Städter durch die Eisenbahnen in engere Berührung kam. Da fing er an, seine bäuerliche Eigenart mit der Art des Städters zu vergleichen und es däuchte ihn, der Vergleich falle auch gar zu seinen Ungunsten aus, ja er schämte sich gar seiner einfachen, derben, aber gesunden Kunst!

Trog.

Aber nicht nur in der Anwendung seiner Kunst läßt sich beim Naturmenschen ein geradezu klassischer Zug erkennen, sondern auch in der Behandlung des Materials: Nie wird der Stoff vergewaltigt, ihm eine Bearbeitung aufgenötigt, die er nur auf Kosten seiner Haltbarkeit und gezwungen ertragen könnte. Das weitaus am meisten verwendete Baumaterial ist das Holz, speziell das Tannenholz. Dieses weist bekanntlich wenig bildnerische Eigenschaften auf; man sieht aber auch nie starke Relief­behandlung, sondern bloß derbe, mit Säge, Beil, Meißel und Zeugmesser ausgeführte Arbeit, Flach- und Kerbschnitt etwa noch. — Bei den Möbeln spielt ebenfalls das Tannenholz eine Hauptrolle, besonders seit der Zeit, wo wieder mehr Bemalung angewendet wurde. Von frühern Zeiten her sieht man noch eichene, nuß- und kirschbaumene Schränke und «Tröge», die dann meist nicht angestrichen und bemalt, sondern geschnitzt und in der Naturfarbe ihres Holzes belassen worden waren. (Siehe obige Abb.) Tische und Stühle werden aber auch heute noch aus harten Hölzern gefertigt, des stärkern Gebrauches wegen; die sogenannten Vorstühle (eine Art lehnenlose Bank vor dem Eßtisch) und Wandbänke, besonders diese, werden als zum Täfel gehörig aus Tannenholz 122 hergestellt und so jedes Hausgerät, je nach seinem Gebrauche, aus dem hiezu am besten dienenden Material.

Laube mit figürlichen Darstellungen (Trinker und Raucher).

Und noch in einer Weise erinnert die Kunst unserer Bauern an die der Naturvölker — nämlich in der verblüffenden Ähnlichkeit der zur Darstellung gelangenden Motive. Selten und dann von ziemlich geringem Werte ist die Verwendung der menschlichen Figur, am häufigsten noch in der Töpferei und auf geschliffenem Glase, besonders den Zierscheiben, ganz ausnahmsweise im Holz (siehe obige Abb.). Etwas häufiger treten ebenfalls sehr naiv behandelte Tiere auf. Pfanzliche Formen sind in Malerei, Schnitzerei und Töpferei viel zahlreicher; aber am häufigsten ist das geometrische Motiv. Der ganze Schmuck des Hauses, hauptsächlich der Fassadenteile, besteht aus Wellen-, Schlangen-, Zickzack- und andern gebrochenen Linien (an Zierbrettern und gefasten Balken), in Reihungen von ganz einfachen Formen, wie Rinsen, Schnörkeln primitiver Art, sehr streng stilisierten Pflanzenteilen, Herz- oder Lindenblättern, Tulpen und Eicheln (alle diese als ausgesägte Laubenornamente, siehe Abbildungen) und schließlich in hübschem Gitter­werk aus vierkantigen Stäben (an Laubengeländern). — Man sollte denken, diese kleine Zahl von Grundformen wirkte erdrückend langweilig; aber dem ist durchaus nicht so. Es ist vielmehr ganz bewundernswert, welche erstaunliche Abwechslung unter dieser beschränkten Formenwelt herrscht.

Ist so in vielen Dingen zwischen der künstlerischen Betätigung der wilden Naturvölker und unserer Bauern eine auffällige Verwandtschaft festzustellen, so zeigen diese dann jenen gegenüber eine hohe Überlegenheit: Die Bernerbauern besitzen die Fähigkeit, Häuser von ganz gewaltigem Umfange zu erbauen und ihnen den Ausdruck höchsten Stilgefühls und vollkommene Harmonie zu geben. (Siehe Abb. S. 123, 136, 139, 140.) Die Ausführung dieser Bauwerke erforderte gediegene Meisterschaft, und vollendeter Geschmack spricht aus der Führung der großen Linien und der Anordnung der kleinen Schmuckteile, obwohl hiebei das 123 Zweck- und Nutzprinzip nicht unberücksichtigt gelassen wurde. Bei aller traditionellen Bauweise, die seit Jahrhunderten nie gründliche Änderungen erfuhr, ist keines der Häuser dem andern ganz gleich, so ähnlich sie sich äußerlich oft sehen. Jedes Haus wurde so gebaut, wie es dem Bauherrn gefiel und wie man es bedurfte.

Fassade mit Schildgiebel.

Doch besuchen wir einige solche Häuser und sehen sie näher an; schon von weitem laden sie ja förmlich dazu ein mit ihren riesigen, weit herunter­hängenden Dächern, die zu sagen scheinen: Bei uns ist Schutz und Schirm gegen jede Unbill und für viele, viele.

Die Linien dieser Dächer sind weniger einfach, als sie auf den ersten Blick aussehen. Der senkrechte Schnitt, Querschnitt, gleichlaufend wie die beiden Schmalseiten des Hauses, zeigt uns das Dach als einen Winkel, dessen Scheitelpunkt in der Firsthöhe liegt und dessen Schenkel durch die beiden schräg herab­laufenden Dachseiten gebildet werden. Die Größe des Winkels ist so um 90° herum, oft mehr, hie und da auch weniger. Die Schenkel des Winkels verlaufen nun nicht in gleich­bleibender, gerader Richtung; sie sind bald weit oben, manchmal auch ganz unten in sehr stumpfem Winkel auswärts gebrochen. Von der Langseite gesehen zeigen die ältesten Dächer eine Trapezform, weil die beiden Giebelseiten des Daches, die sogenannten Schilde, noch bis unten gehen; wie dann die Schilde immer kürzer werden, so entstehen aus den Trapezen Rechtecke mit oben abgeschnittenen Ecken. — An den Langseiten des Hauses selbst ist wenig künstlerisch Gestaltetes. All’ die Räume für die verschiedenen 124 landwirt­schaftlichen Bedürfnisse, mit den Wohnräumen zu einem einzigen mächtigen Hause verbunden, sind je nach dessen Lage sehr verschieden angeordnet. Wie die Einfahrt zur Bühne zu gestalten sei, spielt bei der Einrichtung eine große Rolle; aber gerade die durch so viele verchiedene Boden­gelegenheiten verursachte große Mannigfaltigkeit in deren Anlage gibt dem Bauernhofe das ungemein Malerische und immer wieder abwechslungs­reich Interessante. Die Bünis­brügg ähnelt mit ihrer Holzkonstruktion und dem hohen Dache den alten Holzbrücken über unsere Flüsse; sie ist ja im eigentlichsten Sinne des Wortes auch eine Brücke, die von dem natürlichen oder künstlich aufgeführten Damme hinüberführt in des Hauses ersten Stockwerk. Die Einfahrt mit der «Bühnisbrügg» gibt Anlaß zu prächtigen Licht- und Schatten­wirkungen, wie die Bilder zeigen. Das mächtige Tor derselben fällt oft durch seine oben ausgeschnittenen Flügel auf (siehe Abb. S. 213).

Laubenornamente.

Die Schmal- oder Giebelseiten des Hauses zeigen starke Unterschiede in der Anlage, und zwei Typen sind es, welche dieselbe charakterisieren, der Schildgiebel und der Rundgiebel. Die ältesten Häuser zeigen das Dach auf allen vier Seiten gleich weit heruntergehend, so weit, daß die Traufrinne oft fast mit der Hand von der Erde aus zu erreichen ist. Dadurch wurden die Kammern im ersten Stockwerk finster; weil sich nun auch bei den Bauern nach und nach Luft und Lichtbedürfnis einstellte, so verkürzte man das Dach auf der Stirnseite des Hauses, wo die Wohnungen liegen (Giebeldach oder Schildgiebel). Dies ging so weit, daß an einigen Orten das dreieckige Schilddach nur noch ganz klein ist im Verhältnis zum übrigen Dache. Die Fensterfront liegt in ihrer ganzen Ausdehnung frei und wird vor Regen noch genügend durch die weit vorragenden Langseiten des Daches geschützt. Auf diesem Punkte der Freilegung der Schmalseite angelangt, fanden nun die Baumeister für dieselbe zwei Gestaltungs­formen, oben als Schild­giebel und Rund­giebel bereits angeführt. Diese Formen unterscheiden sich dadurch voneinander, daß unterhalb des Schilddaches beim Schild­giebel das ganze Dachgebälk frei liegt und oft schön gezimmerte Balkenköpfe und ‑verkröpfungen zeigt (fiehe Abb. S. 123, 125, 127, 129), während beim Rund­giebel dieses ganze Gebälk in eine Bretter­verkleidung eingeschlossen ist, die unter dem Schilddach einen mächtigen Bogen bildet, 125 dessen Durchmesser gleich der Breite der Fassade ist. Diese Verkleidung ragt manchmal über 2 m weit vor die Hauswand heraus und zeigt neben dem Halbkreise in neuerer Zeit auch noch elliptische oder ähnliche Bogen. Ist das Haus mit dem Rundgiebel auf die Ferne mit seinem gewaltigen Bogen von größerer Wirkung, so zeigt dagegen das Haus mit dem Schildgiebel viel mehr künstlerischen Schmuck.

Schildgiebel mit reichem Gebälk.

Schon das Balkenwerk, das auf beiden Seiten die Dachsparren trägt, ist durch das Ineinander­greifen und den Übergang der horizontalen zu den vertikalen und schrägen Linien, wie die Bilder zeigen, höchst wirkungsvoll. Mehr Schmuck, als die direkt das Dach tragenden Balkensysteme zeigen die schrägen Träger (Büeg), die das Gebälk und die Lauben gegen die Hauswand stützen. Sie sind nicht immer gerade, sondern manchmal gekrümmt, und 126 ihre Formen haben etwas säulenartiges; aber Material und Zweck haben da die Säulenform ganz eigenartig verwendet. Basis und Kapitäl sind viereckig, der bloße Balken. Durch einen ringsum führenden Einschnitt oder eine Hohlkehle u. dergl. wird in ganz einfacher Weise (oben und unten ziemlich gleich) der Übergang zum Schaft bezeichnet; dieser hat zuweilen die Schwellung der rechten Säulen, aber dann weit unten; ich besinne mich nicht, den Schaft ganz rund gesehen zu haben, jedoch sechs- oder achteckig. Er erweitert sich rasch nach der untern Einschnürung bis zur Balkendicke und wird dann ganz allmählich dünner, bis er in das «Kapitäl» übergeht. Häufiger als diese säulenartigen trifft man die zopfartig geflochtenen Zü̦pfebüeg und die gewundenen Träger (s. Abb. S. 123, 127). Hie und da sind sie auch gekrümmt und vermitteln dann den Übergang von der Senkrechten zur Wagrechten noch feiner. Am obern Ende der Träger sehen wir sehr oft die Jahrzahl der Erbauung des Hauses eingeschnitten und zwar die eine Hälfte auf dem Träger auf der linken Seite der Fassade, die andere Hälfte auf der rechten. — Dieses ganze Balkenwerk, wie es so klar seinem Zweck entsprechend gebildet ist und bei aller Berücksichtigung des Praktischen und Dauerhaften doch auch das dem Auge so wohltuende Künstlerische nicht verschmäht, aber immer in bescheidener Weise anwendet, erregt an vielen Häusern aufrichtige Bewunderung.

Laubenornamente.

Aber von viel größerer Wirkung ist die Laube, nicht nur durch ihre mächtige Linie, sondern in erhöhten Maße auch durch ihren Schmuck und ihre Schattenwirkung. Meist über der ersten Fensterreihe führt sie der Schmalseite entlang; aber nicht immer geht sie in einer Flucht dahin, manchmal zeigt sie an beiden Seiten, wo sie unter das vorspringende Dach läuft, je eine balkonartige Ausladung, was einen ganz bedeutenden architektonischen Schmuck bietet. — Die Laubenbrüstung ist meist aus dicht aneinander­liegenden Brettern und darüber liegenden, in Gesimsprofil gehobelten Balken (Laubelähne) erstellt. Aus diesen Brettern sind Ornamente ausgesägt, deren Motive fast immer gebogene Linien haben und sorgfältig der brüchigen Natur des Holzes angepaßt sind. Sie sind in der Weise aus lauter Einzelformen, Schablonen gleich, zusammengestellt, daß sie nie eine größere durchlaufenbe Linie haben, 127 welche die Solidität gefährden könnte. Außer einigen ganz konventionellen Formen, welche stark an Holbein und seine phantastischen Flachornamente erinnern, sehen wir die bereits weiter vorn erwähnten Herz- oder Linden­blattformen, Tulpen und Eicheln in strenger Stilisierung häufig. Wenn man längere Zeit diesen Ornamenten nachgeht, so wird man von Holbein sogar in Gedanken hinübergeführt zu maurischen Dekorationen, so frappant ist oft die Ähnlichkeit der Formenbehandlung mit derjenigen des großen Kunstvolkes. Und es ist dies nicht die einzige Stelle, wo man im Emmenthal an diese wunderbare Kunst erinnert wird, wie wir später sehen werden. Außer diesen Bretter­brüstungen finden wir noch Laubengeländer aus vierkantigen Stäbchen, die zu sehr hübschen Mustern zusammen­gestellt werden; nie habe ich diese Stääbli bloß aneinander­gereiht gesehen, so daß alle gleich lang und ohne Abwechslung sich hinstellen. Sogar Reihungen, die ich vorher für ganz neue Ideen der modernsten Kunst genommen, fand ich dort an fast hundertjährigen Häusern vor. (Abb. S. 123, 127.)

Schildgiebel mit reichem Gebälk und Giltterlaube.

Die Verkürzung des Giebels führte überdies zu einer kleinen Verzierung, dem Örtli oder Ortladen, die nun auf beiden Seiten den entblößten Teil des vordersten Dachbalkens schmückt. An der vordern senkrechten Fläche des Balkens wird ein nach unten etwa in einer sogenannten Karnies- oder Wellenlinie ausgesägtes Brett befestigt und dieses in seiner ganzen Länge mit Schindeln belegt in der Weise, daß die jeweilen in irgend einer ornamentalen Linie schräg geschnittenen Schindeln zusammen 128 einen Zierstreifen bilden, wie die Illustrationen es zeigen (siehe Abb. S. 125, 127, 129, 138 u.a.). Den Anschluß an den wagrechten Zierladen unter dem Schild bildet eine Zierschindel (Abb. S. 138). Über dem Erdgeschoß führt je eine Laube an jeder Langseite hin, soweit die Wohnungen reichen; ihre vordern Schmalseiten sind in Flucht mit der Stirnseite des Hauses. Mit ihren Ausladungen und den in kräftig geschwungener Linie unten eingeschnittenen wagrechten Tragbalken und deren ebenso geschmückten, aus je einem Balken gebildeten Konsolen geben sie der Silhouette des Hauses von vorn eine neue, sehr charakteristische Linie. (Abb. S. 191, 195, 211.) — Zwischen den Fenstern des Erdgeschosses und des ersten Stockwerkes ist an vielen Häusern, die nicht mit dem Schindelmantel bekleidet sind, ein Fries von Füllungen durch die senkrechten und wagrechten Hölzer gebildet, der zuweilen noch durch Täfelwerk verkleidet ist (Abb. S. 125, 195, 211). Dieser Fries setzt sich auf die Schmalseiten der untern Lauben fort und von da den Langseiten entlang. Auf den Füllungen dieses Frieses trifft man noch hie und da alte Sprüche, aber nicht so oft wie im Oberland. Je jünger die Häuser, umso seltener die Sprüche; das neunzehnte Jahrhundert hat sie schon fast völlig weggelassen, obschon die Bauern gerade in den ersten Jahrzehnten noch herrliche Gebäude von hohem Kunstwert erstellt haben — in der neuen Zeit wird im Emmenthal nirgends mehr daran gedacht, und doch hätten die biedern Leute durchaus keinen Grund, ihre Gesinnung zu verstecken. Es wäre gar nicht so übel, hie und da so einen Spruch am Wege zu finden, und schade ist es, daß in unserer so red- und schreibseligen Zeit unsere Bauern so schweigsam geworden sind, namentlich an der Stelle, wo sonst ihr Ernst und Humor uns aus frühern Zeiten so manches treffliche Wort herüberrufen.

Laubenornamente.

Die hier nachfolgende kleine Sammlung gibt allermeist verwitterte Sprüche ältern Datums wieder, deren Entziffern bezw. Erraten mit der größten Mühe verknüpft war. In Lützelflüh selbst entdeckten wir nur ganz wenige. Am neuen Chalet Bärtschi zu Waldhaus lesen wir folgende (vom Maler teilweis entstellte) Sprüche:

Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut
Im Himmel und auf Erden.

129 Gott gebe allen, die mich kennen,
Was sie mir selbst am besten gönnen.

Des Hauses Zier ist Reinlichkeit,
Des Hauses Glück: Zufriedenheit.

Gebälk mit gezüpften Pfosten und Örtli,
Getäfelte Laube, hier als Ausnahme auch an der Giebelseite.

Wer mag haben gut Gemach,
Bleibe unter seinem Dach.

Wer für die Freude außer dem Hause wenig zahlt,
zu dem kehrt sie unentgeltlich ein.1

Erst besinnen, dann beginnen,
130 Schauen ist leichter als bauen.

Hof (Lützelflüh).

Auf Gottes hilf und gutes Vertrauen
Hat Ullerich Bärtschi dieses Haus lassen Bauen,
Gott du wöllest es bewahren
Vor hunger, Pest und Feursgefahren
Und auch bhüten Dach und gmach
Vor Leid gefahr und ungemach.
Gott segne uns durch seine Güte,
Vor allem übel uns Behüette,
Sich gnädig gegen uns erzeige
(Und) sein antlitz klar zu uns neige,
Das allen leuten hie auf erden
Durch seine gnad Möge gehulffen werden.

Die Völker dir dank sollen sagen,
Herr Gott sie sollen preisen dich.
Die erde ihre Früchte soll tragen,
Uns segne Gott allzeit gnadiglich,
Seine Gnad ausschütte und durch seine Güte
Uns den Segen geb, es sollen meine Lipben
Dich loben wegen deiner guten Macht,
Daß du die so mich Neiden, hassen
Uns verfolgen durch seine Sterke mehr-
mals zu schanden Machst.

Gott allein sey Ehr in alle Ewigkeit.

Wir bauen hir für diese Zeit,
Gott aber für die Ewigkeit
Und denen, die ihn lieben,
Die Wohnung ist bereit.

An dem 1903 abgebrannten und durch Großrat Lanz im alten Stil neu erbauten Wirtshause zur Tanne in Trachselwald:

Die Menschen bauen sich offt Häuser und Palläste,
Die gleich dem Thurm zu Babel prächtig stehn,
Und sind doch auf der Welt nur Pilgrim und nur Gäste,
Die durch dies Jammerthal in Himmel sollten gehn.

Allhier zur Tannen Kehrend ein,
Da findt man weiß vnd rothen Wein.
   (Aus dem Gedächtnis.)

An dem alten Häuschen des Landwirts Ulrich Held in

Neuegg.

An Gottes Gnad und milden Segen
Ist alles gang und gar gelegen,
131 Und ohne Himmels Hülff und Gunst
Ist alles gantz und gar umsunst.
Drum sey der Gotteß Forcht ergeben
Und halt an ihr dein ganzes Leben,
Weil sie Verstand und Weisheit bringt.

Auch Bedenk wohl in allen Sachen,
Die du hast auf der Welt zu machen,
Daß Gott das alles hört und sieht.
Auch schaue, was von dir geschieht,
Und daß du mußt von Thun und Leben
Am Jüngsten Tage Rechnung geben.
Deswegen nimm bei tag und nacht
Doch dein Gewissen wohl in acht.

KReuz, Ungemach, Noth und Beschwerden
Sind frommen wohlbekannt auff Erden.
Drum bleib getrost und unverzagt,
Wenn dich zu Zeiten auch was plagt.
Gott sendet dir die Kreuzes Ruthe
Nach Vaters arz (Art?) und dir zu gute,
Damit dir hier die Welt erleid
Und dich nicht von dem Himmel scheid.

Die Demut ist ein hohe Tugend
Des alters Zier und schmuck der Jugend;
Sie führt den Menschen Himmel an,
Drum sey ihr immer zugetan.
Was will der mensch, das würmlein, prangen,
Der, was er hat, von Gott empfangen,
Den jede Krankheit strakts verstellt,
Und den der Tod zur Erden fällt!

Am Speicher:

Gott segne und bewahre diesen Bau und was darinne,
Daß es durch Unglück keineswegs zerrinne.
Baumeister (d. h. Bauherr) Isaac
Wiesler und Frau Ca(t)rina Zürcher.
Zinmermeister J. Stalder. Im 1755. Jahr.

Rüederswil.

Am Bäcker und Krämerhaus, in welchem früher ein Arzt wohnte:

Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land,
Doch Segen und Gedeihen steht in des Höchsten Hand.

Der Herr segne mein Ein- und Außgang von nun an bis in Ewigleit. Amen.

Wer Jesum Christum recht erkennt,
Der hat sein Zeit wohl angewendt.

132 Ich aber will Gott loben meinen Herrn so lang als in mir wird der Athem wohnen.
Psalm 104, 33.

Gott danken und lobpreisen seinem Namen
Soll man bey allen Völkern ewig. Amen.
(Ps. 105, 1; 106, 48.)

Mein Hüetter und mein Hirt ist
Gott der Herr, darum förcht ich
(nicht), das mir etwas gewähre (so).

Wer sein Nächsten verleumdet sehr,
Den will vertilgen Gott der Herr.
Psalm 101, Vers 5.

Der Kranke sucht den Arzt,
Und Gott hat Ihn geschaffen;
Die Mittel auch so gar
Soll man ia nicht verachten.

Mensch, bist wann krank, begehrst gut Medizinen,
Kom her! mit Gottes Hilf werd ich dir (dienen).

Über dem Ladenfenster:

Um’s Geld ein gutes Kleid gekaufft,
Ist besser als wenn mans versaufft.

Auf steiffe Hoffnung und Gottes vertrauen
Hat Uri Kähr und Barbara Haldimann dis Haus gebauen.

Mit Geduld
Und Gottes Huld
Über ...... man all Unschuld.
Zimmermeister Hans Gottier.

Apotheke Zollbrück.

(Ungeschickte Variante obigen Spruchs.)

O, Mensch, bist man krank, Ge-
bricht dir Medicin, Kom her
zu mir mit Gottes Hülff
werd ich dir Bhilfflich sein.

Ölmühle Zollbrück.

Gieb, Gott, zu meinem Haus und Handel
Glück und segen, überall,
Steh mir bei in meinem Wandel
Und wende von mir all Unfall.
Bewahre mich zu aller Zeit
Vor Geitz und Unvergnüglichkeit.
Unrecht, Betrug fern von mir sey,
Daß mein Gewissen bleibe frey.
133 Im Jahr 1807
Peter Leuenberger / war mein Nam.

Feilenhauerei Zollbrück.

  1. Wer dieses Haus gut schauen will,
    Der stehe doch einwenig still.
  2. Wer tut bauwen an die Straßen,
    Muß sich den Tadel gfallen lassen.
  3. Du lieber Gott, uns du behüt
    Vor Maurer und vor Zimmerlüt.
    Auch laß uns werden nie ein Braten
    Für Rechtsagent und Advokaten.
  4. Wir sind zwei Brüder, wir nennen uns Affen;
    An uns thun sich viele unsrer Colegen vergaffen.

Rüegsegg bei Röthenbach.

Andacht beym Gebett
Gedult bey dem Kreutz
Das Hertz bey den Worten
Ein gut gewissen bey allem Thun
Das bestehet vor Gott und Menschen. 1751.

An den Fensterbalken trifft man etwa einmal einen in seinem Bogen gewölbten, gesimsartig vortretenden Fenstersturz, d. h. oberen Querbalken, während die oft der ganzen Fensterfront entlang gehenden Gesimsbalken neben seiner Profilierung sauber geschnittene Friese in einfacher Linienführung aufweisen. Neben der bekannten Karnieslinie sieht man Zahnschnitte, Zickzack und andere Zierlinien verwendet (Abb. S. 125); auch Bretter­verkleidungen auf den Fensterpfosten weisen hin und wieder solchen Schmuck auf. An zwei Orten habe ich die schweren Pfosten zwischen den Fenstern je mit einer halb vortretenden, mächtig langen, geschnitzten Kerze verziert gesehen; sogar die Flamme war plastisch dargestellt: Die Wirkung war nicht so übel und regte zu allerlei Gedanken an. Wie schon oben erwähnt, hat die Türe (ich meine die Haustüre, die noch heute zuerst in die Küche führt) ihren Platz früher meist auf der einen Langseite gehabt, und man trifft noch heute ganz neue Häuser, die so eingerichtet sind. Die Türe und das Türgreis (Türrahmen) fallen von weitem auf, besonders wenn etwa noch die obere Hälfte der Türe allein offen ist, die untere aber geschlossen. Diese Art ist aber schon seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts kaum mehr an neuern Bauten zu finden; wo man sie noch antrifft, erfreut ihre heimelige originelle Art. Sie verbindet das Nützliche mit dem Angenehmen 134 auf ihre Weise: sie ist neben ihren übrigen Pflichten auch als Rauch­abzugsloch da. Man kann die untere Hälfte schließen und die obere öffnen und so dem Rauch Abzug verschaffen; weil kein Kamin in der Küche ist (wie an anderer Stelle dieses Buches erläutert wird), war man froh über diese Aushilfe. Deshalb sind aber auch diese Türen an vielen Orten so rueßig.

Wagrecht geteilte Haustür.

Während an andern Orten die Türe selber oft mit köstlicher Arbeit geschmückt wird, ist es hier das Türgreis, das den Schmuck erhält und zwar in recht origineller Weise. Es besteht aus vier starken Balken; sein oberer Abschluß ist bei ältern und ganz alten Häusern zumeist ein Bogen. In der Mannig­faltigkeit dieser Bogen zeigt sich großer Reichtum an Formen; Stichbogen und Korbbogen und flacher Eselsrücken bis zum Rundbogen und dem Hufeisenbogen kommen vor. Etwa einmal sieht man eine leichtgebogene, nach außen als Gesimse vortretende Türbekrönung, aber in den meisten Fällen ist der obere Balken in Flucht mit Seitenpfosten und Schwelle. Der Bogen ist nur nach der Öffnung zu ausgehauen, aus dem Sturz allein oder aus Sturz und Seitenpfosten; letzteres da, wo der Bogen ein Halbkreis ist oder gar dem maurischen Hufeisenbogen verwandt, wie die Abbildung es zeigt. Bei diesen Bogentüren sieht man oft im Scheitel und an den Pfosten, da wo der 135 Halbkreis in die Senkrechte übergeht, vortretende einfache Gesimsmotive die vielleicht Schlußstein und Kapitäle darstellen sollen, vielleicht auch bloß unbewußt daran erinnern. Sie sind in den meisten Fällen auch bloß auf der Innenseite dieser Balken zu sehen und immer mit dem Balken aus einem Stück, nie aufgenagelt. Auch das Aufstützen der Pfosten auf die Schwelle ist oft besonders bezeichnet, indem diese nicht in ihrer ganzen Länge bloß als einfacher Balken belassen, sondern eingeschnitten wird, so daß an den Enden der Übergang zu den senkrechten Pfosten, statt als gewöhnlicher Winkel, nun in einer runden Linie sogar Karniesform angetroffen wird.

a Kellertürgitter.
b Springriegel­schloß.
c Keller­fenstergitter.

Nicht weit von der Haustüre geht die Stäge (Treppe) in den Keller hinunter; manchmal sind es zwei, eine links und eine rechts. Der Kellerhals (Zugang zum Keller) ist oben mit einem Geländer oder einer Bretter­verkleidung eingefaßt, die wie die Laube behandelt erscheint und in diesem Falle auch so bezeichnet wird (Chäller­läubli). Die aus diesen Brettern herausgesägten Ornamente weisen immer Reihungen auf (Abb. S. 153, 167, 195, 199); das Geländer wird aus den oben genannten vierkantigen oder gedrehten Stäben gebildet. Ich habe das Keller­läubli (natürlich nur seinen äußern Teil am Haus-Eck) immer mit Brettern überdeckt gesehen, worauf allerlei Kräuter und Früchte zum Trocknen an die Sonne gelegt werden. Das mehrfach Praktische wird auch hier noch mit Schmuck bedacht. Die Kellertüre besteht in ihrer obern Hälfte aus einem geschnitzten 136 hölzernen, selten eisernen Gitter aus vierkantigen Stäben, das zumeist der Ventilation dient. Die Türe hat häufig das abgebildete Spring­riegelschloß (Abb. S. 135). Die Kellerfenster sind sehr klein und ihre Vergitterungen weisen wenig Bemerkenswertes auf; die in der gleichen Abbildung unten vorgeführte ist kunstvoll aus je einem Eisenstück geschmiedet.

Gwätt-Spycher. Einfacher Speicher der ältesten Form. I.

Das ist im großen Ganzen die Kunstanwerdung am großen Bauernhaus, wenigstens die hervor­tretendsten Motive. Noch intensiver zeigt sich aber der Kunsttrieb des Bauern am Speicher; es ist da im Verhältnis nicht mehr aufgewendet als am großen Hause, aber der Speicher ist viel kleiner, und deshalb scheint er reicher geschmückt. Er ist, wie in einem andern Kapitel ausführlicher behandelt wird, die Schatzkammer des Bauern; er ist nur in äußerst seltenen Fällen zur Wohnung eingerichtet. Gewöhnlich ist er ohne Fundament, bloß auf niedrige, hölzerne, geschnitzte Pfeiler abgestellt, wie ein Möbel auf seine Füße, 137 über den Boden hoch genug erhoben, daß Ratten ihn nicht leicht erreichen; Kinder aber schlüpfen darunter durch und finden willkommene Verstecke. Auf den Pfeilern ruht das ganz aus Holz erbaute Häuschen, eine steinerne oder hölzerne Treppe ohne Geländer und aus wenigen Stufen führt zu dem untersten Boden und zu dem Eingang. Hier mag eingeschaltet werden, daß unter den vielen Speichern, die noch aus frühern Jahrhunderten, sogar noch aus dem siebenzehnten vorhanden sind, ungefähr drei Grundtypen unterschieden werden können und zwar:

Speicherdetail (erster Stock).

1. Der einfache Blockbau, dessen Wände aus halbrunden Tannen, Hẹḷbligen, bestehen und auch von weitem als solche sichtbar sind und als das auffälligste Merkmal dieser Speicher erscheinen. Die Hẹḷblig des Erdgeschosses ragen über die Ecken, wo sie von beiden Wänden ineinandergefügt sind, soweit vor, daß sie die Laube des ersten Stockes tragen können, deren Brüstung noch keinerlei ausgesägte Ornamente zeigt, bloß dichtgefügte Bretter (Abb. S. 136). Die vorragenden Holzwände des Erdgeschosses sind dann in der Weise zu einer Art Konsole geformt, daß in einer schönen, nach inwärts gebogenen Linie, die unten an der Hauswand beginnt und oben an der Kante der Laubenbrüstung schließt, die Balken abgesägt sind. Meist sind dann die Kanten am Stirnholz auch noch mit dem Zeugmesser rund ausgefast, was einen sehr zierlichen 138 und doch einfachen Schmuck bildet. An den ältesten Speichern dieser Art sind diese Fasen noch bemalt zu sehen, in Schwarz und Rot — wie denn im siebenzehnten Jahrhundert überhaupt Bemalung noch sehr beliebt war. An den Lauben­brüstungen und Türen und an der mit Brettern verkleideten Unterseite des vorspringenden Daches dieser einfachen Speicher sieht man aufgemalte Blumenmotive, sogar etwa Bären, natürlich alles bloß in schwarzer Silhouette (siehe Abb. S. 143). An einem solchen Speicher befindet sich die schöne Fenster- und Türpartie im ersten Stockwerk, die wir ebenfalls im Bilde bringen (siehe Abbildung S. 137). Dieser Speicher steht in Rüederswil und stanmt aus der Zeit Klaus Leuenbergers, des Märtyrers im Bauernkriege (1653).

Gebälkdetail.

2. An einer zweiten Speicherform haben die Lauben schon einen neuen Schmuck aufzuweisen, nämlich das Zierbrett, welches am untern Rand der Lauben­brüstungen sich hinzieht. Es ist ein Brett, das unten in einer Karnies-Linie ausgesägt ist und so den untern Rand der Brüstung zierlicher gestaltet, als wenn bloß die horizontalen Balken mit ihrem Bretterbelage da wären. (Abb. S. 139). Man hatte diesen harten Abschluß schon früher etwas mildern wollen, indem man die vordern, untern Kanten der Brüstungs­bretter wie die Hälblinge mit dicht gereihten, kleinen Fasen versah. Diese Fasen bildeten durch ihre Reihung einen bescheidenen Schmuck, der in der Nähe auch sehr hübsch aussieht, aber so delikat ist, daß er aus einiger Entfernung unsichtbar wird. Die harten, geraden Linien der Brüstung und der tragenden Pfosten störten aber auf die Länge das Schönheits­gefühl der ländlichen Baumeister, und so wurde durch das obengenannte Zierbrett und etwa auch durch dessen Verdoppelung mit schöner Überleitung von der Senkrechten zur Wagrechten versucht, eine gefälligere Wirkung zu erzielen (Abb. oben).

Speicher. Typus II.

Aber auch das genügte nicht; die Pfosten liefen noch zu unvermittelt in die obere Brüstung. Man versuchte es mit Scheinkonsolen, 140 ausgesägten Brettern, die rechts und links oben an die Pfosten hingenagelt wurden und nun allerdings auf einige Entfernung schon der Sache ein besseres Aussehen gaben. So denke ich mir, daß man auf die dritte Form gekommen ist, diejenige mit den Bogen­stellungen. Hier ist nun der Speicher außerhalb seiner Treppen, die immer an seiner Hauptfassade hinaufführen, mit einer Schein­architektur verkleidet, bloß aus Brettern, in welche die Lauben­brüstungen einbezogen sind, in Flucht mit denselben (Abb. S. 140, 141 u. a.).

Speicher, reicher Typus III.

Vom obern Balken der ersten Laube, der wie überall bei den Lauben, gesimsartig vortritt, geht eine Bretter­verschalung bis auf den Boden; daraus sind vor allem zwei Öffnungen ausgeschnitten, erstens der Augang zur Türe des Erdgeschosses, gewöhnlich ein mächtiger Halbkreisbogen von 2-3 m Weite, dessen Zentrum manchmal fast unten auf der Schwelle liegt; die Kanten der so ausgesägten Bretter sind, weil keine Türe eingefügt ist, wieder kleingefast. Die Türe zur Treppe, die natürlich verschließbar ist und oft noch hübschen Leistenschmuck hat, ist gewöhnlich neben der großen Bogenöffnung und besonders eingeschnitten. Ihr gegenüber auf der andern Seite des großen Bogens ist oft noch eine solche Türe, die aber nur ein kleines Kämmerlein verschließt. Oft ist dann diese Bretter­verschalung des Erdgeschosses auf beiden Seiten 141 oder auch nur auf einer so weit eingeschnitten, daß ihre Breite bloß noch der wirklichen Hausbreite entspricht.

Speicherlauben- und Bogenstellungen.

Und zwar wird auch da immer durch einen mehr oder weniger weiten Bogen zwischen horizontalen und vertikalen Linien vermittelt und werden die Kanten mit kleinen Fasen oder ausgesägten Zierlinien geschmückt. Das bildet einen prächtigen Abschluß nach der Seite hin und versinnbildlicht konsolenartig das Stützen der Seitenlaube, trägt auch viel zur Zierlichkeit der Speicherfassade bei, indem so der Unterbau weniger massig und schwer erscheint. — Die erste Laubenbrüstung ist nicht immer, wie auf den nebenstehenden Bildern, durch ein Zierbrett oder Leiste von dem untern Teil der Bretterwand abgetrennt, sie wird äußerlich oft durch nichts als ihre ausgesägten Ornamente 142 bezeichnet. Und diese Ornamente sind ganz eigen angeordnet; sie sind hier in ziemlichen Abständen voneinander angebracht, etwa fünf in der ganzen Länge, auch weniger, sogar oft nur zwei, je eins an den beiden Enden. Dieses sparsame Verteilen sieht überaus originell aus und zeugt von großem Geschmack (Abb. S. 140, 193, 237). Merkwürdiger­weise wird dann in den Fällen, wo ein Speicher seine Langseite gegen die Straße kehrt, die Laube auf dieser Seite mit dichten Reihungen geschmückt.

Profilierte Bohlenköpfe.

Über der ersten Laube nun sieht man ein weiteres wichtiges und originelles Stück dieser Speicher­fassaden, die Bogen­stellungen. In Flucht mit der Lauben­brüstung erheben sich auf dem Brüstungs­balken beidseitig ausgesägte Bretter, welche die Pfosten nach vorn bedecken, aber nur schwach an Säulen erinnern; ihre Konturen zeigen auch wieder die schon oft gesehenen Karnies-Linien. Die Bogen, die sie scheinbar zu stützen haben, sind von kleinerem Durchmesser als der Abstand der Pfosten­verkleidungen voneinander. Daraus resultieren für die Holzteile zwischen den Bogen Linien, die, zugleich mit den Scheinsäulen angesehen, etwas Kapitäl­artiges haben, aber so, wie wenn diese Kapitäl-Silhouetten alle mit ihren Deckplatten dicht aneinander­stoßen würden; oder dann sieht es wieder aus, als ob die Bogen gleich ohne Kapitäle mit ihren zu breiten Zwickeln auf die Säulchen abstellen würden. Es läßt sich jedenfalls sehr schwer mit Stein­architektur vergleichen, weil hier architektonische Formen mit großer Freiheit in Holztechnik übertragen sind, wenn auch mit bedeutendem Geschick und vortrefflicher Wirkung. Wie dann diese Bogen­zwischenstücke wieder beim Auftreffen auf die Säulchen durch einfache Voluten- oder Karniesmotive geschmückt und so mit dem übrigen in reizende Harmonie gebracht sind, läßt sich leichter durch die Bilder als durch Worte schildern. Die Bogen sind oft fast Halbkreise, manchmal nur flache Bogensegmente, aber im Scheitel haben sie alle eine kleine Nase (Abb. S. 119, 140, 141, 142, 145).

Aufgemalte Speicher-Ornamente.

Die obere Laubenbrüstung ist bei den Beispielen, Abb. S. 139 und 239, nicht wie bei manchen Speichern dieser Zeit, bloßes Zierstück oben im Giebel und ohne genügenden Raum zwischen sich und der Hauswand; sie tritt um Bretterdicke vor das horizontale Brett heraus, in das die Bogen alle eingeschnitten sind, und ist auch wieder aus Brettern gefügt. Ihre Sägeornamente bilden aber wieder die dichte Reihung. 144 Oben ist sie wieder mit dem gesimsförmig geschnittenen Balken versehen; unten stützen die senkrechten Bretter auf einen horizontalen Zierladen, der auf das Bogenbrett genagelt ist und wieder eine der bekannten ausgesägten Schmuck-Linien zeigt. Seltener zog man es vor, wie Abb. S. 141 zeigt, hier ebenfalls profilierte Gesimsbalken einzufügen. So ist die Brüstung nach unten zierlich begrenzt und ebenso die Bogenreihe nach oben abgeschlossen. — Nach ihrer Lage oben im Giebel ist die obere Laube kürzer als die untere. Begrenzt wird sie links und rechts von von den hier allein vortretenden dicken Bohlen der Speicherwände, welche (die oberste bis zur vordersten Dachpfette über die zweite, diese wieder über die dritte u. s. f.) vorragen, und unter der ersten Bohle tritt noch der Kopf des Balkens hervor, der auf dem ihm entsprechenden, maskierten Pfosten aufliegt (siehe Abb. S. 142 mit profilierten Bohlen).

Speicherlaube.

Bei den Speichern hat das Dach immer den Schildgiebel. Der Schild ist schon bei alten Speichern klein und schützt vor allem die obere Laube. Die Langseiten des Daches ragen weit über die Lauben hinaus vor und reichen fast bis auf die Höhe der ersten Laubenbrüstung hinunter. Nur die untere Laube führt rings um den Speicher; die obere ist bloß im Giebel angebracht, und eine steile Treppe führt von der untern zu ihr hinauf. Diese fehlt selbst­verständlich da, wo die obere Laube bloßer Schmuck ist, was, wie oben bemerkt, anch vorkommt. Daß auch am Speicherdach der Schindelschnitt am Örtli angewendet wird, 145 bedarf wohl keiner weitern Ausführung. — Natürlich hat kein Speicher Schornstein und Ziegeldach; selbst in dem obenerwähnten sehr seltenen Falle, wo der Speicher auch Wohnzwecken dient, fehlen beide.

Laube an einem Vorrats- und Waldhaus.

Soviel über die künstlerische Gestaltung des Speichers; besser als Worte werden sie die Bilder erläutern. Man mag vielleicht abschätzig über die letzt­beschriebene Fassaden­architektur urteilen, die ja im Grunde nur eine Schein-Architektur ist, und man mag sich fragen, wie der einfache, verständige, so sehr aufs Praktische und Nützliche gerichtete Bauer überhaupt zu derartigem kommen konnte. Es mag vielen aussehen wie eine Spielerei mit nur gleichsam aufgeklebten Bauformen, die nicht zur Konstruktion notwendig sind und nicht aus ihr herauswachsen. Sicher aber ist, daß der ganze Schmuck vorzüglich wirkt und ebenso vortrefflich dem Holzmaterial angepaßt ist. Die Motive sind nicht den Steinformen genau nachgemacht und sklavisch ins Holz übertragen, sondern bloß ganz im allgemeinen den Steinbauten entlehnt und mit großem Verständnis und stilistischem Gefühl in Holz ausgeführt. Und so an der Schatzkammer des Bauern angebracht, zeugt diese Kunstarbeit von neuem dafür, daß der einfache Landbewohner, der diese reizenden Häuschen erstellte, Sinn für Schönheit besaß.

Wie der Bauer überhaupt nicht bioß praktisch denkt und fühlt, sondern sogar an Stellen Kunst ausübt, wo man es nie vermutet hätte, zeigt der Düngerhaufen, der Misthufe. Auch er zeugt von Schönheitssinn, so komisch das sich anhören mag. Wer war nicht schon 146 verwundert, zu sehen, wie da die aus dem Stalle heraus­geschaffte, beschmutzte Streu nicht etwa nur unordentlich auf einen Haufen geworfen, sondern außen an den vier Seiten in gefalteten Lagen zopfähnlich aufgeschichtet wird! Es hat dies aber auch wieder einen praktischen Zweck; ich denke mir, daß der Bauer erstens auf einen verhältnismäßig kleinen Raum viel mehr Mist zusammenbringen, auftürmen und zur Ablagerung aufbewahren kann, und daß zweitens der so gebaute Misthufe sich viel solider beieinander behalten läßt und nicht austrocknet. Wieviel außerdem noch das Ordnungs- und Sauber­keitsgefühl des Melkers und sogar sein Ehrgeiz und seine Eitelkeit dabei mitspielen, ist nicht auseinander­zuhalten; auch der Wetteifer zwischen den Nachbarn, den schönsten Garten, das schönste Vieh und so auch den «schönsten» Misthaufen zu haben, kommt hier zum Ausdruck. Vom Zustande des Misthaufens wird häufig auf die Tüchtigkeit des Melkers geschlossen, und es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn «der Melker sich mit der Mistgabel sein Zeugnis an den Misthaufen schreibt», und es sogar Melker gibt, die mit dem Sackmesser widerspenstige Halme abschneiden.

Laubenornamente.

Über die Kunst im Innern des Hauses ist weniger zu sagen als über das Äußere, denn erstens ist das Innere, Küche und Stuben, sehr schlicht und einfach, und zweitens: das meiste, was an Kunstarbeit vorhanden ist, weist lange nicht so viel originale bäuerliche Eigenart auf. Was noch am meisten eigenes Kunstempfinden und ‑gestalten zeigt, treffen wir gleich beim Eintreten in das Haus, in der Küche an, nämlich das irdene Geschirr, Suppenschüsseln, Gemüse- und Fleischplatten, Milchtöpfe, Nidelschüsselchen, Ankenkübel, Krüge und anderes, in der Stube dann die Schärblatte (das Rasierbecken), das Gießfaß, Schreibzeug, Sparhafen, Tabaktöpfe, Gáffetiere (Cafetière) und Zucker­schatte (Zuckerdose). Alle diese Töpferwaren sind Langnauer Geschirr,2 so genannt, weil in Langnau, dem großen Emmenthaler­dorfe, die Töpferei früher eine blühende Industrie war, die auch heute noch arbeitet, aber nur noch ganz gewöhnliche Gebrauchsware hervorbringt. Das Langnauer Geschirr ist weiß, mit einem von der Glasur herrührenden Stich ins Gelbliche. Die Gefäßformen sind einfach, aber man findet überaus 147 zierliche darunter; man sah auch hier vor allem auf den praktischen Zweck. — Plastischen Schmuck findet man hauptsächlich an den Deckeln von Suppenschüsseln und Zuckerdosen, wo etwa eine gut modellierte Frucht den Dienst des Griffes versieht (d’Anthäbi); aber auch kompliziertere Gebilde sind vorhanden und an den Schüsseln und Töpfen selber oft reizende Festons.

Laubenornamente.

Der Hauptschmuck dieser Geschirre ist die Malerei. Ihre Motive entstammen zum größten Teil der Pflanzenwelt; aber das Blumen- und Blattwerk ist so konventionell stilisiert, daß außer der Tulpe selten eine Naturform erkenntlich ist. Als begleitendes Element ist auch hier das geometrische beliebt, vorab die einfache Linie, in die aufgetragene weiße Farbe bis auf den roten Grund eingekritzt oder dann mit Farbe aufgetragen. Sehr charakteristisch ist die punktierte Linie, die z. B. den Plattenrand vom Grunde trennt und nie als einzelne Linie vorkommt, sondern immer zu mehreren, bis zu zehn, dicht aneinander gereiht. Der Töpfer bringt sie dadurch hervor, daß er den Gegenstand, der auf der Drehscheibe rotiert, mit einem gezähnten Eisen schnäpperet. Der Rand der Platten ist fast immer mit Blumenwerk oder geometrischen Reihungen von Bogen oder S-Formen, mit Punkten untermischt, geschmückt; am Rande der die Plattenmitte bildenden, napfartigen Vertiefung läuft gewöhnlich ein eingekritzter Spruch ringsherum und im Grunde derselben ist dann ein größeres Motiv, von Blumenschmuck begleitet, dargestellt: Fische, Vögel, Löwen, Bären, Rüben, einzelne Figuren, sowie Szenen aus dem Leben. Natürlich gibt es etwa auch andere Anordnungen, und man wird außer den angeführten sicher auch noch andere Motive finden. Oft ist auch die Unterseite des Plattenrandes bemalt. — Die Grundfarbe ist, wie schon oben gesagt, gelblich-weiß; als Farbe für das Ornament kommen am häufigsten vor: schwefelgelb (aus Hammerschlag), ockerrot, smaragdgrün (Kupferasche), das oft zerflossen ist, und schwarzviolett — alle zum Decken, wie zum Lasieren benutzt — selten blau, durchsichtig und leicht fließend. (Siehe das farbige Bild.)

Einige der Sprüche will ich hier noch zitieren, da sie mir originell genug scheinen, um genannt zu werden.

Auf einer Platte heißt es:

148 Da Demut weint und Hochmut Lacht
da war der Schweizer Bund gemacht
und die stolzheit wurd Zu nichten gebracht 1781.

Im Grund drei Eidgenossen — mit Säbeln bewaffnete Bauern — über ihnen Stierkopf, Kreuz und Doppelschlüssel, die Wappenzeichen der drei Urkantone, ohne Schilde zusammen in einer ornamentalen Umrahmung.

Im Garten diser Wält
ein Jederen wird gesezt
wie er sich Darinn Verhält,
wird im Lon zulest. 1800.

Im Grund ein Jüngling in mehr städtischem als bäuerlichem Kleid mit Stiefeln zwischen zwei ganz konventionellen Blumenstauden.

Der Segen Gottes machet Reich
wo Milch und Honig fließet,
Fleisch und Küchli sind gute Speiß
Das kann man wohl genießen. 1789.

Auf dem Grund ein Löwe am Ankenkübel.

unsere magt spint Kudergarn
und der Knächt Tud haspeln,
und wan ers alles verreisen Tud,
so machts die magt wider gut.

Innen ein Löwe am Haspeln!

Friedlich und freundlich seye in deine Haus,
mit deinem Nachbauren durchauß,
Hat er etwas Läyds gethan,
So sprich ihn freundlich darumb an.

Innen große Kirche mit zwei riesigen Tauben und darüber die Jahrzahl 1783.

Kein Glauben Geibt auch Jeder Mann,
Welcher Vor Dir Wohl schwetzen Kan,
nicht alleß gecht auß härtzeß Grund,
waß schön (und lieblich Nett der mund). 1755.

Das oben in Klammern Befindliche ist innerhalb des Kreises geschrieben, weil es im Ring nicht mehr Platz hatte. Im Kreis ist ein Bär mit Halsband gezeichnet, den der Töpfer dadurch geschmückt, daß er ihm die Haare vom Halsband nach hinten in kleinen schuppenförmigen Partien einzeichnete und diese grün und rot abwechselnd bemalte (ein ganz gelungener Anblick).

Ein besonders originelles Stück ist eine große Schüssel für Fleisch und Gemüse, die durch vier ein Kreuz bildende, wie Brücken unten ausgeschnittene 149 irdene Wände in vier Abteilungen zerlegt ist; die Öffnungen der «Brückenbogen» ermöglichten die gleichmäßige Verteilung von Fett und Brühe, und die Brücklein sind nur so hoch, daß sie bis zum Rand reichen, diesen aber völlig frei lassen.

Bei diesem Stück ist nun der Spruch auf dem äußern Rand angebracht und in die vier Abteilungen ungefähr gleich verteilt; er heißt

«Magst bu nicht fleisch, so iß fisch,
oder mach dich von dem Tisch,
fisch und Vögel
sind nicht vor grobe Pflegel.»

Die vier Abteilungen sind je mit Blumen geschmückt und der Spruch ist hier mit Fraktur in schwarzer Farbe geschrieben, während er sonst meist in Schreibschrift eingekratzt ist.

Weitere Beispiele:

Ich liebe dich so fest und treu,
Wie die Katz den heißen Brei.

Wenn die Falschheit brennte wie das Feuer,
Wär das Holz nicht halb so teuer.

Aus der Erde und mit der Hand
Macht der Töpfer allerhand.

Schweinefleisch mit samt der Haut
Eß ich lieber als das Kraut.

Lieber im Buch e Darm zersprengt,
Als dem Wirt e Batze gschenkt.

Gell mein Mann, Kaffee ist gut
We me brav Nidle dri tut.

Tubak und ein jungs Ehweib
Ist dem Mann sein Zeitvertreib.

Kaum dem Jüngling Flaum ums Kinn:
Schielt er schon nach Mädchen hin.

Köchin nimm dich in Acht,
Daß jeder Hafen sein Handhaben hat.

Eine Maß halt ich,
Tut mich nicht lassen fallen, sonst spalt ich.

Ich dein, du mein,
So soll es ewig sein.

S’ist eine harte Pein,
Eine alte Jumpfer sein.

Lieber ledig blybe
Weder Hose blätze.

150 Kaffee u Thee,
Stillt Chummer u Weh.

Mensch, faß’ in Gedanken,
6 Batzen gilt d’s Pfund Anken.

Gott giebt dem Menschen Gnad
Ich aber wohn in Maad.

In der Hölle ist es heiß,
Und der Hafner schafft mit Fleiß.

Die Kuh die frißt das Gras
Der Mensch der muß ins Grab.

Von erden bin ich ein Kachlen Gemacht
Wan du mich brichst der Haffner lacht.

Zwischentürfalle (Eisen) mit Bauern-Ornamentik.

In dieser Weise findet man die Geschirre aus Ton im allgemeinen geschmückt, nur werden leider diese schönen Stücke immer seltener; die Langnauer Töpferei blüht wohl immer noch, es fehlen aber die Leute, die das Dekorieren verstehen. Wohl werden vom bernischen Gewerbe-Museum rühmenswerte Anstrengungen gemacht, die alte Kunst-Industrie wieder zu Ehren zu bringen, aber es ist zu fürchten, daß, auch wenn das Schmuck­geschirr wieder in alter Schönheit hergestellt würde, dann doch neben dem geringwertigen Alltags-Geschirr, das des billigen Preises wegen immer wieder seine Abnehmer findet, nicht mehr das einheimische Schmuckgeschirr, sondern wie schon jetzt ausländische Ware ihren Platz finde. Denn hier wie im Bau des Hauses, im Schmuck der Stube, in der Kleidung, läßt sich der Landbewohner gar so leicht durch städtisches Wesen imponieren, vergißt den ehrbaren Stolz auf seine Eigenart und schämt sich gar seiner einfachen, bodenständigen Derbheit, findet, er könne sich Städtisches ebensogut erlauben, wie der Städter, är heigs u vermögs so gut wie jener oder noch besser. Das ist ja mit eine der bedeutendsten Ursachen, daß auf den Dörfern so manches wirklich Schöne, Ursprüngliche, Echte verschwindet und dafür ein unglückliches Gemisch von Stadt und Land sich breitmacht, 151 das nie das Städtische ganz erreichen kann (weil das Städtische auch für sich auf seinem Nährboden gemachten, also original ist und nicht verpflanzbar), das sich aber auch nicht mehr leicht zurückfindet zum echt Ländlichen. Das kann man wohl besitzen und unwissentlich verlieren, aber nicht mehr bewußt finden und sich aneignen.

Stabelle.

Von echter Eigenart sind auch die bemalten Schäfte und Trögli (Schränke und Truben). Sie sind meist aus Tannenholz, die ältern mit ziemlich kompliziertem Leistenwerk, das späte Renaissance­formen zeigt. Auf das Holz direkt sind Bemalungen angebracht, ohne durchgehenden Grundanstrich. Gut stilisierte Pflanzen­ornamentik bildet den Hauptschmuck, wie die farbige Abb. zeigt, wo die Leisten roh geblieben, die Friese und gewisse Teile der Füllungen grün angestrichen, die Ornamente wieder auf rohem Holz stehen. An einem alten Trog habe ich die Ornamente in Schwarz, Weiß und Rot gesehen. Später kam man dann darauf, den ganzen Schrank anzustreichen, holzähnlich zu maserieren und darauf die Ornamentik anzubringen, meist mit den Initialen und dem Hochzeitsjahr der Braut oder mit ihrem ganzen Namen. Die Blumen, die nun darauf gemalt werden, sind viel natura­listischer, ohne deshalb besser zu sein, eher das Gegenteil; die oft gar wunderlichen Rosensträuße sind lange nicht so gediegene Dekorationen wie die alten ganz ornamentalen Blumen, und die Farbenwahl ist meist von viel geringerem Geschmack.

Die geschnitzten Möbel aus härterem Holz, Buffert, Tröge und Stabellen, zeigen im ganzen nicht bäuerlich eigenartige, sondern von städtischer Kunst entlehnte Formen, die meistens der Spätrenaissance angehören; am originellsten waren noch die Rücklehnen der Stabellen, aber die reicheren Stücke sind bereits alle von den Antiquaren aufgekauft und bloß die einfachen Formen sind noch da und dort in bescheideneren Häusern zu sehen, wo man noch die altgewohnten derben Sitz­gelegenheiten für ebensogut oder besser hält als das neue halbstädtische, unsolide Zeug. (Siehe Abbildung.)

Zwei Kunstgegenstände aus Langnauer­geschirr finden wir noch in alten Stuben etwa, nämlich im Waschschränklein am Buffert: das Gießfaß 152 mit Becken, und sonst irgendwo die Schärblatte (das Rasierbecken), letzteres immer mit dem Namen des ersten Besitzers in gleicher Technik geschmückt, wie das oben angeführte Geschirr mit den Sprüchen.

Ebensowenig eigenen Stil hat das Eisenbeschläge (in und außer dem Hause); es gleicht in der Regel den aus der Kunstgeschichte genügend bekannten Arbeiten. (Eine der seltenen Ausnahmen siehe S. 150). Man sieht aber manches gediegene Stück darunter (Abb. S. 135, 137, 152, 154, 155).

Türbeschläge an Speicher.

Über einen Schnuck der Bauernstube aber muß ich noch etwas sagen, über den Wandschmuck nämlich, die Porteree und Portereeli (Portraits), die man in jedem Hause aufgehängt sieht. Die Bilder, die da die Stubenwände der Bauernhäuser schmücken, sind zum großen Teil ja künstlerisch gewiß nicht viel wert; sie unterbrechen aber durch ihre meist farbige Erscheinung angenehm das Einerlei der braunen Holzwände und machen auf diese Weise die Räume ungemein ansprechend und heimelig. Es wäre aber durchaus verfehlt, von den Bildern auf den Besitzer zu schließen, weil sie von allen möglichen Orten und Gelegenheiten her stammen und oft kaum auf ihren Inhalt angesehen werden. Daneben schmücken noch allerlei alte, eingerahmte Sprüche die Wände: Hochzeits-, Tauf- und Konfirmations-Andenken (von Konfirmanden, als Examenstücke etwa, mit eigener Hand sauber kalligraphiert), farbige Holzschnitte, manchmal mit Golddruck und etwas lebhafter Farbe zugleich, ziemlich unaufdringliche Sachen, von geringem Umfange in einfachen Holzrähmchen, alles von überaus wohltuender Wirkung für einfache Gemüter. — Leider drohen diese lieben, alten Bekannten immer mehr zu verschwinden und neue, buntere und größere Helge machen sich breit, welche die übel anklingende Benennung Mäßhelge (Jahrmarkt­bilder von geringstem künstlerischen Wert und Inhalt) reichlich verdienen, sich leider nur durch diese Benennung nicht aus der Welt schaffen lassen. Nicht genug, daß die braven Landleute an den Jahrmärkten und auch sonst sich durch 153 alle die ausländische und einheimische schlechte Bilderware so leicht in Versuchung bringen lassen und Helgen kaufen, die in jeder Beziehung als Bildwerke schlecht sind, z. B. fürstliche Personen; diese gehören in unsere Stuben nicht hinein, und zudem paradieren sie in so elenden Darstellungen, so unwahr und so schrecklich aufdringlich in den Farben, daß sie zugleich Beleidigungen dieser Staats­oberhäupter sind und Geschmacks­verderbnisse für unser Volk.

Von Kellerlauben.

Und hintenher kommen all die andern Erzeugnisse dieser «Kunstanstalten», elende Genrebilder, und ebenso elende religiösen Inhalts, denen deutlich anzusehen ist, daß weder der fromme Inhalt, noch der Kunstwert die Hauptsache an ihnen ist, sondern das Geschäft. Und nicht genug daran, daß fremde Händler so schamlos das Kunstbedürfnis des guten Volkes ausnützen — auch einheimische Handlungen und «Kunstanstalten» beteiligen sich daran. Ist wo ein Fest oder ein Jubiläum, so erstellt irgend ein findiger Händler ein «Kunstblatt», das gewöhnlich auf den geringsten Geschmack berechnet ist, natürlich nicht, um dem Volk einen Dienst zu leisten. Dann wird die Reklametrommel geschlagen, der Schundhelgen als künstlerische Musterleistung überall gerühmt (wenige Zeitungen haben ja den Mut, davor zu warnen) und es wird eben gekauft, der patriotische Sinn des Volkes wird schändlich genasführt. Leider muß dasselbe auch von den meisten religiösen Bildern und Sprüchen gesagt werden, die jetzt überall eindringen, kaum ein Stück von wirklichem Ernst und Kunstwert ist in den religiösen Kunsthandlungen zu sehen. Weitaus die größte Zahl der Bilder­photographien und Kunstblätter rührt von geringen Machern her, die den Geschmack des großen Publikums kennen und ihn zu nützen verstehen. Als ob es nicht von jeher auch zur einzig richtigen Ausübung jedes wahren religiösen Glaubens gehört hätte, daß ein jeder, also auch der Künstler, nicht nur fromme Worte und Gebärden mache, sondern seinen Beruf mit heiligem Ernst ausübe, also seinem Nächsten nicht Ware liefere, die bloß das Auge täusche, sondern die wirklichen Wert habe.

Rühmliche Ausnahmen sind die Prämienbilder einiger illustrierten Zeitschriften, die wieder gediegenern Charakter und Kunstwert haben, 154 z. B. der «Schweiz», mehr volkstümlich und in die breitesten Schichten dringend die des «Säemann».

Türbeschläge am Speicher.

Guter vernünftiger Schmuck sind die neuerdings auch leichter erhältlichen Bilder von besonders schönen Haustieren.

Einen bedeutenden Teil am Schmuck der Stube bilden fast überall die eingerahmten Totenblumen, Kränze und Sträuße, die zur Erinnerung an verstorbene Familienglieder aufbewahrt werden, natürlich nur Kunstblumen, meist aus Stoff. Mit Spiegeln wird kein Luxus getrieben; wo in der Stube welche zu sehen sind, haben sie kleines Format.

Sehr verschieden in Aufbau und Schmuck sind die Wanduhren. Gewöhnlich besitzt eine Bauernfamilie deren zwei: eine, das Zị̆t, in der Wohnstube, und die andere, die Pándụ̈le, im Hinterstübli. Beide sind in ihren Hauptformen ganz verschieden. Das Zị̆t in der Wohnstube hat ein derberes Uhrwert mit Kettenzug und Gewichten (Abb. in Kapitel Schiff und Geschirr), die vor kleinen Kindern und Katzen oft geschützt werden durch das Zị̆thüsli. Solche Zị̆thüsli weisen oft hübsches Leistenwerk, etwas Schnitzerei und Bemalung auf und sind auch als gelegentlicher Aufbewahrungsort für Stöcke und Schirme beliebt. Hie und da ist die ganze Wanduhr «vom Fuße bis zum Kopfe» in ein solches Zị̆thüsli gesteckt, so daß nur das Zifferblatt sichtbar bleibt. Die Zifferblätter nun weisen ausnahmslos aufgemalten Blumenschmuck auf, der auf die vier leeren Eckfelder und die Bekrönung verteilt ist. Diese Wanduhren sind meist Schwarzwälder­fabrikat, während die Pándüle oder Stockuhre (Sumiswalder­pandụ̈le) noch am häufigsten aus Sumiswald stammen, einem der großen Marktflecken im Tale selber, wo sie seit langer Zeit hergestellt werden. Ihrem Platze im bäuerlichen «Salon» entsprechend, sieht die Pendüle viel vornehmer aus als das Zị̆t. Sie hat eines der vortrefflichen Sumiswalder-Uhrwerke mit Federzug, manchmal sogar Repetier­vorrichtung, für den Besitzer äußerst bequem, um in der Nacht, ohne sich zu erheben und Licht zu machen, durch einen einfachen Zug an der Schnur des Repetierhebels vom Bette aus sich über die verflossene Zeit zu vergewissern. Ihr hölzernes Gehäuse 155 gleicht in einem Falle einem kleinen Erker an der Wand (oben ein Dach, unten eine Konsole) und ist mit zierlichem Messing­beschläge geschmückt. Bei der zweiten Form steht das lebhaft geschweifte Gehäuse der Standuhr auf einer Konsole und weist an Stelle der Messing­beschläge auf dem beiden Formen gemeinsamen schwarzen Lackgrunde vergoldete Leisten, Füße, Konsolenzapfen und aufgemalte, goldene Blumen auf. Beide Formen reichen in das achtzehnte Jahrhundert zurück, die erkerähnliche in den Barockstil, die Standuhr ins Rococo. Die Pandüle erfreut sich großer Wertschätzung, was wir auch daraus sehen, daß sie oft, trotzdem das genau gearbeitete Gehäuse jeden Staub vom Uhrwerke freihält, zum Überflusse noch in einem schützenden Glasschreine an der Wand paradiert, in selteneren Fällen auch als Mittelstück oben im Buffert Platz findet. —

Türbeschläge am Speicher.

Als ein wichtiges Stück sei noch der Ofen erwähnt, der meist aus Sandstein gebaut einen ziemlichen Platz in der Stube einnimmt. Er hat wirklich etwas von einer Freitreppe aus zwei, ausnahmsweise drei Stufen; das mag ihm oder doch seinem untern vortretenden Teil, der bequeme Sitzhöhe und die nötige Länge und Breite auch zum Liegen hat, zu dem Namen Ofetritt verholfen haben. Der Ofen ist ein rechter Freund und genießt verdientermaßen große Wertschätzung; deshalb wird er auch geschmückt und zwar mit den Namen des bäuerlichen Ehepaares, das das Haus erbaute, oder mit dessen Initialen und der Jahreszahl seiner Erstellung. Ich habe diesen Schmuck (außer dem Namen und Datum etwa noch ein verziertes Gesimse) meist aus der Fläche ausgehauen gesehen, ganz flach; aber dann und wann sieht man auch da Malerei nicht bloß als Auffrischung, sondern auch als Schmuck verwendet. Ganz selten geworden sind die Kachelöfen. Sie sind wahrscheinlich auf dem Lande nie sehr zahlreich gewesen. Der Ofen aus Steinplatten ist vermutlich die Weiterbildung des einfach gemauerten Ofens, wie er noch im Oberlande angetroffen wird.

Gewissermaßen ein Heiligtum in der Bauernstube ist das Glas­schäftli, das hin und wieder Aufsatz auf dem Schreibtisch ist. Es hat Glastüren, die mit weißer Ölfarbe einige leichte Verzierungen aufgemalt bekommen; natürlich nur wenig, etwa ein paar Linien durch Eckstücke 156 verbunden und ein Blümchen in der Mitte. Es darf nur wenig sein, weil ja sonst die Bäuerin ihre Ehrengeschirre nicht sehen lassen könnte, ohne geradewegs darauf hinzuweisen. In diesen Glas­schäftli wurden und werden noch die bessern Trinkgeschirre aufbewahrt, besonders Glaswaren, Flaschen und Gläser und anderes, aber auch etwa Tassen und Tellerchen und Zuckerdosen, die nicht zum gewöhnlichen Gebrauch, sondern für feierliche Anlässe, Tauffeste, Besuch, da sind. Die wertvollsten Sachen, die geschliffenen oder bemalten Gläser und Flaschen, Krüglein und Fläschlein werden leider immer seltener; sie sind als originale Bauern-Kunst­erzeugnisse ebenso wie das alte irdene Geschirr von den Händlern und Sammlern sehr gesucht und werden den Landleuten oft um nur weniges Geld abgeschwatzt. Die Glaswaren werden nicht mehr gemacht, wenigstens die bemalten nicht, weil die Glashütte im Flühli (angrenzendes Luzernergebiet) ihren Betrieb eingestellt hat. Das farbige Bild zeigt von diesen reizenden Gefäßen einen Glaskrug und darunter einen Krug in Langnauerware, auch einige Sprüche, die in weißer Emailfarbe auf Glasgeschirren aufgemalt worden. (S. farbiges Bild.)

«Plutzgerli»
mit geschliffenem Schmuck.

An den Fenstern hingen früher oder waren eingebleit Glasgemälde und Schliffscheiben, erstere noch bis Ende des siebenzehnten Jahrhunderts, letztere im achtzehnten Jahrhundert. Die sogenannten «Bauernscheiben» stellten in den meisten Fällen den Bauern mit seiner Ehefrau dar, den Bauern bewaffnet mit Büchse und Schwert, die Frau etwa mit einem Becher; sie sind gewöhnlich in phantastisch aufgeputzte und buntfarbige Architekturen gestellt. Im sogenannten Oberbild, einem Fries über dem Architrav, oder in den Zwickeln des Bogens ist eine landwirt­schaftliche Tätigkeit abgebildet; auf dem Sockel sind die Namen der dargestellten Personen zu sehen und ihr Wappen. Die Persönlichkeiten, die da abgebildet sind, stellen aber nicht immer Besitzer des Hauses dar, sondern Donatoren, die in das neue Haus der befreundeten oder verwandten Familie diesen Schmuck gestiftet, eine Sitte, die nicht nur unter den Bauern, sondern im ganzen Lande bei Obrigkeit und Privatpersonen Jahrhunderte durch heimisch war. Auch als die Glasmalerei des Lichtbedürfnisses wegen der Glasschleiferei hatte Platz machen müssen, wurden diese Stiftungen noch weitergeführt, bis die Umwälzungen des jungen neunzehnten Jahrhunderts damit aufräumten, wie mit so vielem Schönen 157 und Guten. Die Schliffscheiben enthielten meist Wappen als Haupt­darstellungs­gegenstand und waren im Format kleiner als die alten Glasgemälde, weil sie in die kleinen Rechtecke der die Butzenscheiben verdrängenden Glasfenster mit viereckigen Scheiben zu passen hatten. Die Wappen mit Namen, meistens in Rococo- oder Zopfcartouche, füllten den ganzen Raum; sie zeigen oft wunderliche Formen, aber die Heraldik ist merkwürdig korrekt, wenn auch einige lustige Fehler mitunter zu sehen sind. Neben Wappen sind auch Dragoner zu Pferd beliebte Darstellungs­gegenstände.

Eingeschliffene Ornamente auf Flaschen.

Doch das ist alles untergegangene Kunst und nicht nur ist diese Bauernkunst, die in ihren Formen abhängig von der Kunst der nächsten Städte war (im Gegensatz zu der Bauern-Meisterschaft im Holzbau), untergegangen, sondern auch ihre Denkmäler sind aus den Bauernhäusern verschwunden — ich habe sie erwähnt, weil es mir wichtig genug schien zu dokumentieren, daß die Bernerbauern auch diese Kunstzweige mit Erfolg zu beeinflussen vermochten. Daß fast alle die prächtigen Denkmäler der Kunst ihrer Vorfahren von ihren Besitzern schon früh im neunzehnten Jahrhundert weggegeben wurden, wie die Geschirre aus Glas und Tom meist um lächerlich geringes Geld, ist uns heute unverständlich. Man fragt sich, welche Gleichgültigkeit gegen derartige Kunstwerke damals durch unser Land gezogen sein muß, wo die Bauern doch zur selben Zeit ihre Häuser noch so prächtig bauten, mit viel mehr Geschmack und Geschick, als die Städter die ihrigen. Oder erregten die Händler, die das neunzehnte Jahrhundert hindurch bis heute das Land nach Altertümern durch­schnüffelten, die Geldgier der Leute in dem Maße, daß diese um so wenige Batzen schon die ehrwürdigen Zeugen alten Wohlstandes und Kunstfleißes dahingaben? Es muß schrecklich viel vom alten Verständnis für Schönheit verloren gegangen sein, daß man sich von derartigen geheiligten Schätzen so leichtfertig trennen konnte, ohne nur halbwegs Gleichwertiges an dessen Stelle zu setzen. —

Ich kann den Artikel über die Kunst des Bauern nicht schließen, 158 ohne noch ein Wort gesagt zu haben von dem, was an Geräten des landwirt­schaftlichen Betriebes von Schmuck zu sehen ist, so wenig das ausmacht und beachtet wird. Vor allem in die Augen fallend ist so ein prächtiger Zug von Rossen mit glänzend schwarzem Geschirr, am Chomet die oben beidseitig wie Hörner aufstrebenden kleinen Pferdeköpfe mit langen Hälsen aus hohlem Gelbguß, blitzblank poliert; dann die roten Tuchlappen und die Dachsfelle, die ebenfalls am Chomet hängen, aber nur am Vonderhandroß, die letztern wohl ebensosehr aus Aberglauben, als zum Schmuck. Vom Widderiststück des Geschirrs hängen über den Leib zu beiden Seiten lange Lederriemen, die eine Reihe von runden, an Größe nach unten abnehmenden Scheiben aus Messingblech tragen und ebenfalls noch mit scharlachrotem Tuch unterlegt sind. Hauptsächlich Müller stolzieren mit derartigen Zügen einher, aber auch viele Bauern noch, und erfreulicherweise ist das etwas, was nicht im Aussterben begriffen ist.

Laubenornamente.

Mit einem andern künstlerischen Schmuck scheint der veränderte Mühlenbetrieb aufzuräumen, nämlich mit der Bemalung der Säcke. Früher, als allgemein die Bauern noch z’Müli fuhren und ihr eigenes Getreide mahlen ließen, waren sie darauf angewiesen, um unliebsame Verwechslungen zu vermeiden, ihre Säcke zu bezeichnen, und sie taten das mit viel Kunst. In den Museen zu Burgdorf und zu Bern hängen noch Säcke mit schwarz aufgedruckten Wappen und Namen, und auch einige Holzformen, die zum Drucken gebraucht worden, sind da zu sehen (nicht alle gleich gute, aber doch viele tüchtige Arbeiten), dem derben Sack entsprechend, von einfachen gutverstandenen Formen. Daß Bauernwappen durchwegs nur den Schild führen und daß Spaten und Pflugschar hauptsächlich in den Schilden vorkommen, ist naheliegend. Erfreulich sind auch die prächtigen Frakturschriften, die hier wie anderors verwendet werden.

Von landwirt­schaftlichen Werkzeugen hat noch am meisten Schmuck das Steifaß, worin der Wetzstein des Mähers während dem Mähen steckt — ein köcherartiges Gefäß aus Holz gedreht, das mit einer langen Spitze unten endet und damit in den Boden gesteckt werden kann. Es 159 ist durch den Drechsler geschmückt, gewöhnlich mit eingedrehten Rinnen und mit Längsfasen. Es muß überhaupt gesagt werden, daß sehr vieles von des Bauern und der Bäuerin Hausrat und Werkzeug seinen haupt­sächlichsten Schmuck dem Drechsler dankt, wir erinnern nur noch an den Melkstuhl, die prächtigen Spinnräder und was dazu gehört, an Pfeifenrohre, Möbelteile usw., welche ohne gedrehten Schmuck gar nicht denkbar wären.

Laubenornamente.

Am Schlusse dieses Aufsatzes über die Kunst unserer Bauern muß selbstredend noch das Künstlerische, das der Mensch an sich selbst trägt, das Gewand, einer kurzen Betrachtung gewürdigt werden. Ich habe oben gesagt, daß die alten Bauern­glasgemälde immer etwa Figuren zeigen und zwar Bauern, Mann und Frau. Die Kostüme dieser Bauern gleichen auffallend im Schnitt den ungefähr zur selben Zeit in den Städten herrschenden Moden. Sie werden wohl andere, derbere Stoffe getragen haben, aber das ist auf Glasgemälden natürlich nicht zu konstatieren; und dann fiel jedenfall auch von selbst aller Firlefanz weg; es wird alles um einige Grade einfacher, derber gemacht worden sein. Aus dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts fehlen mir leider alle Dokumente über Bauernkleidung, die zu Vergleichungen hätten Dienste leisten können; aber aus dem Ende des achtzehnten besteht eine prächtige Sammlung von Kostümbildern aus fast allen Kantonen der Schweiz, die ein kunstliebender Aarauer Bürger durch den Maler Reinhart hat malen lassen3 und die so realistisch und durchaus wahr sind, daß sie alle Freudenberger und König bei weitem in Schatten stellen, einem überhaupt für die neunziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts wie ein unerhörtes Wunder vorkommen. Dort sind auch die Bernerbauern, und zwar aus verschiedenen Landesgegenden, zu sehen, und ein Vergleich mit den Bildern des siebenzehnten Jahrhunderts bringt merkwürdige Sachen zu Tage. Die Männer haben teilweise die monströs weiten Kniehosen des 17. Jahrhunderts beibehalten, lassen sie aber bis über das Knie hinunterfallen und legen den Zwilchstoff in ganz enge kleine Fältchen; andere haben dann endlich die enganliegenden Hosen des Rococo- und Zopfzeitalters 160 schon etwas nachgeahmt — aber im allgemeinen herrscht ein starkes Zurückbleiben der Männerkleidung hinter der Stadtmode. Die Mädchen hingegen haben ziemlich genau das steife hohe Mieder und den weiten Rock der Stadtdamen nachgeahmt, bloß das Hemd nicht ausgeschnitten, sondern bis an den Hals schließend und die ziemlich weiten Hemdärmel, die bis auf das Handgelenk reichen, von der Schulter an aus dem Oberkleid frei hervortretend. Das Hemd wurde noch völlig ungestärkt getragen und legte sich in freien Falten auf Brust und Arme. Das Mieder, so sehr es dem Mieder der Städterinnen ähnlich ist, zeigt doch bedeutende Unterschiede, die nur nicht so ohne weiteres auffallen, weil die Hauptform, die sogenannte Taille, vor allem ins Auge sticht.

Sommerliches Sonntagskleid.

Aber das Mieder dieser Zeit hat keine Ärmel; es läßt, wie oben bemerkt, die Hemdärmel frei; um aber doch das Rückenteil anzuschließen, geht von diesem über die Schulter und unter den Armen durch je ein Träger, der unter dem Arm eingehakt wird. Und dazu tritt dann das Göḷḷer, ein Halskragen, der vorn mit Haften geschlossen und auf den Schultern noch sonst festgemacht wird; es ist bei diesem alten Kostüm noch ziemlich hoch. An beiden Enden des Göḷḷers, rechts und links und ebenso hinten, aber dort viel näher beieinander sind silberne Ringe festgenäht, in welche die Rosettenhaken der Göḷḷer­chötteli (Göllerketten) eingehängt werden; denn die bekannten mehrfachen Silberketten, die von der Schulter bis etwas über die Hüften hängen und unter dem Arm durch bis oben zwischen die Schulterblätter reichen, schließen vorn und hinten jede mit Filigran-Rosetten. Die Ketten waren zur Zeit des alten Kostüms noch ziemlich einfach, nicht so viele an einem Ringe, und die Rosetten klein, etwa von 2½ cm Durchmesser. Von den Seiten des Mieders gingen vorn abwärts gegen den Schnabel hin in einander 161 sich nähernden Linien zwei Reihen kleinerer Silberhafte mit Rosetten, die mit farbigen Schnüren kreuzweise verbunden wurden.

Ein fernerer großer Unterschied vom Stadtkleid war die Schürze, die von den Bäuerinnen, Mädchen und Frauen getragen und unter den Schnabel des Mieders hinaufgezogen wurde; sie bestand damals aus säḷber­gmachtem rauhem Leinen, der ungebleichte weißliche Grund von roten und blauen feinen Längsstrichen durchzogen.

Sommerliches Sonntagskleid.

Die Farben des ganzen Kleides waren damals ziemlich bunt; das Mieder gelb mit rotem Brusteinsatz und breiten schwarzen Einfassungen aus Sammt, ebenso das Göller. Der Chitte͜l (Rock) war dunkelblau mit roter Einfassung und der Zeit entsprechend viel kürzer als heute. Als Kopfbedeckung wurde das kokette, zierlich auf dem Kopfe sitzende Schwäbe͜l­hüeti von den Mädchen getragen, die Roßhaar-Kappe (Samt-Kappe, die nur das Hinterhaupt bedeckte und vorn das Gesicht mit steif aufstehenden spitzenartigen Flügeln aus Roßhaar umrahmte) war nach der bekannten Strophe im Emment­halerliede von Schlosser Wiedmer den Frauen eigen:

«Roßhaarspitzli treit no d’s Müeti,
Plötzlihose no der Alt;
D’Meitschi trage Schwäbelhüeti,
Chöpfli drunder grad wi gmalt.»

Mädchen trugen oft ihr Haar in zwei langen Zöpfen mit breiten Bändern duchflochten, die bis zum Saum des Rockes reichten.

Das war das Kleid für den Sommer; das Wintermieder hatte Ärmel und darüber wurde wenn nötig noch eine Jacke getragen; im Gegensatz zum Chitte͜l­brüstli heißt das Wintermieder noch heute Tschööpli oder Chu̦ttli.

162 Zur Zeit des Empire wurde das Mieder auch von den Bernerinnen so kurz getragen, daß die Schürze gleich unter der Brust gebunden wurde, wenn man einem bemalten Stich aus jener Zeit glauben darf, der ein Dienstmädchen vom Lande in der Stadt darstellt: möglicherweise ahmten auch bloß die Dienstmädchen die städtische Mode in dieser Weise nach.

Laubenornamente.

Daß ich diese längstvergangene Zeit in ihrer Kleidertracht so ausführlich beschrieben, hat seinen Grund darin, daß das Mieder, ds Chitte͜l­brüstli und das Tschööpli sich in ihrer ausgesprochenen Form aus dem 18. Jahrhundert bis in unsere Zeit herüber gerettet haben, mit einigen Modifikationen sogar das ganze Kleid — vielleicht mit der Appenzeller­tracht das einzige bekannte Kostüm, das in so augenfälliger Weise eine mehr als hundert Jahre zurückliegende große Epoche noch repräsentiert.

Von Modifikationen ist vor allem auffällig die Farbe, denn das Mieder wird heute fast bloß schwarz getragen; aus schwarzem Wollstoff oder aus gemustertem Samt, aus Seide gar, aber immer mit den breiten Samteinfassungen. Auch das Göller ist ganz aus schwarzem Samt und trägt als Schmuck nicht mehr jene farbigen Tucheinsätze, sondern meist bloß vorn auf beiden Seiten eine Stickerei aus Stahlperlen oder eine Filigranblume (ganz flach). Vorn am Halse, wo es geschlossen wird, sitzt eine Brosche, und manchmal hat das Göller nach unten noch einen schmalen Spitzenbesatz als Endigung über dem Hemd. Die Göller­chötteli sind mächtiger geworden und ebenso deren Hafte auf Brust und Rücken und die Schnürhafte vorn auf dem Mieder; besonders fallen letztere auf bei sehr reich geputzten Bauerntöchtern, wirken aber leicht protzig. Die silbernen Schnüre, welche in der Stadt bei nachgeahmten Kostümen immer zu sehen sind, sieht man weniger auf dem Lande und nicht bei jeder Gelegenheit. Der ganze Metallschmuck ist Silber in den meisten Fällen, auch bei den Reichsten ist höchstens die Uhrkette golden. Die Göller­chötteli sind aus ganz einfachen kreisrunden Gliedern von etwa 2 mm zusammengesetzt; die Hafte auf Brust, Rücken und Mieder sind alle, wie die dazu gehörende Brosche, aus kunstreich gearbeitetem Filigran und stellen gutstilisierte Blumen dar; sie haben fast lauter ländliche Silberarbeiter zu Verfertigern, bilden also ein echtes Stück Bauernkunst von bester Art.

163 Über das Hemd wird im Kapitel «Gewand» das Nötige gesagt; Es gehört aber die Notiz hierher, daß das Bruststück, welches über dem Hemd befestigt wird und in dem Ausschnitt zwischen Göller und Chittelbrüstli zu Tage tritt, das Mänteli, oft eine feine Stickerei trägt, die von oben nach unten den obern Teil säumt. Das Mänteli ist überdies ein Stück, das in der alten Tracht, wo das bloße Hemd sichtbar war, nicht vorkam; es entstand vielleicht dadurch, daß, als die gestärkten weiten Ärmel aufkamen, auch die Hemdbrust gestärkt werden sollte, so aber unbequem zu tragen war, so daß man nun einfach das Hemd ungestärkt ließ und durch ein gestärktes Bruststück deckte.

Frau Wirtin.

Die Schürze ist heute bloß für Werktags noch von säḷber­gmachtem Leinen, Sonntags werden wollene oder seidene getragen; aber nur Leute von geringem Geschmack tragen sie in glaarigen (bunten, grellen) Farben; meist sind es zarte graue, grünliche oder andere gebrochene Töne.

Der Rock geht bis zum Fuß. Die Schwäbel­hüeti, Roßhaar­spitzli und Chappe sind verschwunden, man trifft allgemein bloß den Strohhut in etwas einfacherer Form; für kürzere Gänge über Feld gehen Mädchen und Frauen baarhäuptig.

Am Männerkleid ist kaum etwas mehr, was ihn vom Städter unterscheidet, 164 als der derbere, solidere Stoff (Halblein) und der etwas einfachere Schnitt. Bloß zwei Kleidungsstücke weiß ich, die noch künstlerischen Schmuck aufweisen: nämlich erstens der Mutz des Melkers (Abb. S. 285) mit den Puffärmeln, der, wie anderorts näher geschildert wird, seinem praktischen Bedürfnis seine zähe Existenz verdankt und Sonntags da und dort noch aus schwarzem Samt mit roter Einfassung zu sehen ist; wobei aber der echte Melker sich stets vorteilhaft von den Salon-Jodlern unterscheidet. Leider gibt es nämlich in unserer Zeit auch unter den Melkern wahre «Gigerl», denen der alte hübsche Mutz nicht mehr schön genug ist und die ihn mit lächerlichem Zottel- und Trottelwerk und Silberschnüren verzieren lassen. Kommen dann dazu noch eine schiefe Gestalt und krumme Beine, so ist der «Bajaß» fertig. Und zweitens das Uberhemmli aus blauem Leinen mit schwarzem genähten Linienschmuck an der ganz schmalen Halseinfassung und dem Brusteinschnitt, über die Schultern hinunter bis zum Ärmel und als Saum um die seitlichen Öffnungen. Mühlekarrer tragen das Uberhemmli mit weißen Nähten. (Siehe Kapitel «Rauchen».)

Laubenornamente.

Daß aber auch Bauernbursche metallenen Schmuck nicht völlig entbehren wollen, beweisen die schweren Uhrketten, die man manchmal aus der Uhrtasche am Hosengürtel baumeln sieht und die den Uhrschlüssel tragen, der etwa mit einem braven silbernen Muni geschmückt ist. Es sollen zuletzt auch nicht ganz unerwähnt bleiben die Hauskäppli, Schilee, Hosenträger und Pantoffeln der Bauern, die sehr oft bunte Seiden- oder Wollen­stickereien zeigen; sie sind wieder ein Zeugnis mehr, daß die Landleute nicht die trockenen Menschen sind, wofür sie leicht angesehen werden.

Leider ist nuch die schöne, ernste Bernertracht nicht mehr so allgemein in Geltung, wie sie es verdiente; es tut einem leid zu sehen, daß auch hierin der Verkehr mit der Stadt auf die braven Landleute so starken Einfluß ausübt, daß er ihnen ihr ehrwürdiges Kleid verleidet. Und doch sollten die Leute stolz sein auf dieses prächtige Kleid, das in seiner gediegenen Einfachheit und Originalität allerorts bewundert wird, so daß selbst große Künstler anderer Kantone gern zur Bernertracht greifen, wenn sie eine recht charakteristische Darstellung der Schweiz als allegorische Figur machen wollen.

Im Uberhemmli.

165 So ist die Kunst unseres emmen­thalischen Bauernstandes von echter, guter Art: voll tiefer Empfindung und zugleich von eminent praktischer Anwendung; ich habe das oben versucht am Wohnhause des Bauern und an dem wichtigsten seiner Nebengebäude zu beweisen. Andere Gebäude wären wohl noch zu nennen gewesen, nämlich das Wirtshaus und vor allem die Kirche. Beide haben, wo sie noch in alter Urwüchsigkeit unverdorben erhalten sind, entschieden eigenen Charakter gegenüber ihren Stadtverwandten. Allerdings ist bei beiden der Charakter nicht so speziell bezeichnend für das Emmenthal, deshalb habe ich nicht eingehender darauf hingewiesen. Die Wirtshaus­schilder sind im ganzen Lande ungefähr gleichwertig und von ähnlichen Kunstformen; die schmiedeisernen Arme sind wie aller Eisenschmuck an den Häusern von städtischen Formen, aber die Wirtshaus­zeichen, die Bären, Löwen, Ochsen, Sterne u. s. w. zeigen etwas mehr ländliche Naivität; teils sind es freistehende Figuren aus Blech oder Holz, immer bemalt, teils sind es Tafeln mit oft hübsch geschnitzten Rahmen, in deren Füllung das Zeichen gemalt ist.

Viel mehr ländliche Eigenart haben die Kirchen mit ihren weißen Mauern und dem so oft noch vorkommenden Schindeldach auf Schiff und Turm und dem leichten hölzernen Gebälk unter dem überaus schlanken, hohen, spitzen Helm. Natürlich gibt es Varianten genug; so haben ja die einander ganz nahen Gemeinden Sumiswald, Trachselwald, Rüderswil und Lützelflüh vier ganz verschiedene Turmhelme, nämlich die erste den Deutsch­herrenturm mit dem Satteldach aus Ziegeln, die zweite einen luftigen, ganz fremdartig (fast bayrisch) anmutenden Barokhelm aus Blech, die dritte den obengenannten Bernerhelm mit offenem Gebälk und Schindelhelm und die vierte (leider) einen neuen, ganz «gotischen» Sandsteinturm und ‑Helm von fragwürdigen Bauformen. Es tst 166 da eine große Gefahr für unsere schönen Dorfkirchen: überall im Lande regt sich der Sinn für Kirchenbau und ‑Kunst; da und dort finden die braven Leute es nötig, zu erneuern, und in ihrer gediegenen Art opfern sie gerne Tausende, wo es gilt, solides Neues an Stelle von Baufälligem oder gar einer Flickerei zu setzen — sie zeigen damit ihr Ehrgefühl sowohl wie ihren Ernst und guten Willen. Nur leider geraten sie so leicht in unrechte Hände und lassen sich, wie ich es weiter oben schon mehrmals gezeigt, halbstädtische Sachen aufschwatzen, die sie im besten Glauben und Wohlmeinen als gut hinnehmen. So ist so manches prächtige Kunstwert vernichtet und sind dafür mittelmäßige Bauwerke hergesetzt worden. Aber es ist doch wieder ein gesunderer Zug in diese Bautätigkeit gekommen; dafür zeugt die eben im Bau begriffene Kirche von Rötenbach und der vor kurzer Zeit vollendete Kirchturm von Münsingen, beide vorzüglich im alten Stil empfunden und erbaut.

Silberarbeiter.

Möge die Erkenntnis für das Kräftige und Gesunde und deshalb wirklich Harmonische, das in dieser Volkskunst liegt, mehr und mehr in der Stadt und vorab auf dem Lande selbst wieder gewürdigt und heilig gehalten werben!

Rudolf Münger.

 
1 So ließ Herr Bärtschi auf seine Wirtschaft schreiben.   2 Schöne Stücke dieser Töpferei sind zu sehen im historischen und im Gewerbe-Museum in Bern.   3 Vergl. Denkschrift des bern. historischen Vereins zu dessen Stiftungsfeier 1896, Seite 151/152.  
 

 

Daheim.

E

 

h Gottlob, si mer ume daheime! Es ist doch aḷḷs nüüt gäge daheim! So die schrecklich weit gereiste Großmutter;1 so die bäuerliche Sommer­frischlerin;2 so der Landmann, der nach heißem und saurem Arbeitstage Rücken und Glieder streckt, den zu kurzem Schlaf die gütige Nacht mit ihren schwarzen Fittigen deckt.

Bifängli.

Was ist gegen solche Ruhe nach des Tages Last das nächtliche Schwärmen auf Markt und Gasse, das mitternächtige Leben im Wirtshaus!

168 Hier kann sich einzig heimisch fühlen, wer aus traurig triftigen Gründen keinen Zug hat na daheime;3 bei wen es heißen muß: Nume nid hei! nume nid hei i’s alte Längizitihuus!4 und wem vor der Haustüre der schmerzliche Ruf entfährt: O Herr Jeses, iez mues i hei!

Nichts paßt eben zusammen wie Scholle und Schwelle; drum des Landmanns gleiche Vertrautheit mit beiden. Auf ihnen kann er ung’schi̦niert (sans gêne) und unbehindert seine ganze Persönlichkeit entfalten. Daher auch Bilderreden wie diese: «Will man sich zwingen lassen, oder will man zeigen, dass hie o no öpper daheim siig5 Daher die selbstbewußte Sprache dessen, der in wirklicher Not sich finden lassen darf und will: We’s de Ärst ist, so ist de Bänz ó no daheime!6 Und sein Ansehen wird manches schief Geratene ins Richtige bringen. Denn er ist guet daheim! Das heißt nicht bloß: er lebt für seine Person und mit seiner Familie in glücklichen Umständen und in gut geordnetem Haushalt; denn unverdientes äußeres Glück braucht nicht damit verbunden zu sein. Hauptsache ist vielmehr: alter fleckenloser Ruf der Familie. Ohne Geld niene daheim7 fühlt sich doch schließlich bloß einer, der vorher mit Geld überall in der Welt besser «daheim» war als daheim: «daheime» in hundert fremden Familien; daheim in soundso viel Sport und Allotria; ó daheime bei diesem lustigen Zeitvertreib — daheim nur nicht in seinem Hauswesen und Beruf. Es erinnert dies an die jenem Wirt gewidmete Nachrede, er habe sein Schild nur ausgehängt, um bei der Heimfahrt sein Haus nicht zu verfehlen, und man habe ihm zuzurufen gepflegt: gang eme͜l de zuehe, we d’ hei chunnst.

Übrigens kann auch ein ganz solider Jungbursche diesen Zuruf zu hören bekommen, wenn er seine Tänzerin nach deren Heim begleitet: mit Ei’re hei geit,8 um erst nachher sein eigenes Heim aufzusuchen, gäge hei, heime zue,9 hei zue10 z’gaa — froh, es eigets Hei z’haa oder eins zu wissen.

Der poetisch ideale Gefühlswert dieses Heim11 setzt sich fort in der Bildung «die Heimat», prosaisiert sich hingegen in deren Abschleifung das Heimḁt. Beide Formen waren ursprünglich gleichbedeutend; «die Heymath» steht z. B. 1787 12 für «Heimwesen», und umgekehrt braucht noch Marie Walden in ihrem Buch «Aus der Heimat»13 «das Heimet» 169 im Sinn von «Heimatland». Heute ist das «Heimḁt» bloß ein Heimwesen, gelegentlich sogar ein ganz kleines,14 es Heimḁtli.

Gerade ein solches aber kann dem Eigner beinahe wie ein persönliches Wesen, wie ein Sorgenkind ans Herz wachsen. So jenem «Schuldenbauer»,15 bei dem es angesichts eines verliederlichten Gutes heißt: «das Heimet kann mich übel erbarmen». Es kann einem der Gegenstand größten Stolzes werden, selbst wenn er auf solch einem viel zu teuer gekauften oder gepachteten (empfangenen) Chuehheimetli, Geisheimetli, Geißeheimetli, das höchstens eine Kuh oder einige Ziegen ernährt, zugrunde geht.16 Drum hat für Berggegenden wie das Emmenthal als altes ausnahmsweises Notrecht, das übrigens heute aufs äußerste belastet ist, das so viel beredete17 «Vorrecht des jüngsten Sohnes» seine sehr vernünftigen Gründe. «Wenn man die Höfe vertheilen wollte, würden die Heimeth ermagern, und die Leute dazu.»18

Ist der Begriff des «Heimḁt» ganz vorwiegend mit der Erinnerung an saure Arbeit, an Fleiß und Schweiß verknüpft, so ruht dagegen, mehr noch als auf der «Heimat», der Duft stimmungsvoller Weihe auf dem Schweizerwort «heimelig». Was ist doch o das «Heimelig!»19 Diese Frage ist seit dem jüngern Wyß häufig genug zu beantworten gesucht worden.20 Die ganze Tragweite des zur Not mit «heimatlich»21 wiedergebbaren Wortes geht zunächst aus dem Gegensatz «uheimelig» hervor. Hat man einmal die Seelenstimmung eines tiefgründig veranlagten jungen Mannes miterlebt, der, von Schuld und Schulden gedrückt, eine winterliche Sturmnacht in seiner der Zugluft ausgesetzten Stube auf eiskaltem Ofen mutter­seelenallein verbringt:22 Wie traulich da es heimeligs Stübli23 (oder gar «Stubeli»), ein lieber Mensch mit uns,24 wohl gar ein geistes­verwandter Familienkreis um uns!25 Wo der den richtigen Hausgeist26 schafft, da ruht das «Heimelig» in jeder verborgenen Ecke, im unscheinbarsten Ding, im sonst gleichgültigsten Umstand: von den bereit gestellten Pantoffeln27 vor dem Bette bis zum mit Liebe gepflegten altmodischen Gärtlein28 vor dem Fenster.

Heimelig ist uns jeder Zustand, in welchem wir, in wohlig gefühltem Ebenmaß und Gleichgewicht unserer Kräfte, zu solcher Betätigung einer derselben übergehen, die uns gewohnt und angemessen ist, die uns liegt und auch ansteht, bei der wir uns in unserm Elemente wissen, wie der Fisch im Wasser.

170 Dazu gehört die Erfahrung oder Beobachtung, wie sehr es auch anders sein könne. Ein alter Moospeter29 freut sich wie nie zuvor seines einsam heimeligen Lebens auf dem entlegenen Berghofe,30 weil er soeben all den zeremoniösen Umständlichkeiten des schalen spießbürgerlichen Stadtlebens entronnen ist. Und der gegen Fremde so hinterhältige Bergbewohner öffnet ihnen Herz und Haus allmählich in dem Maße, wie sie sichtbar bestrebt sind, ihn in seiner gediegenen Urwüchsigkeit zu verstehen, zu schätzen und gelten zu lassen.

Wenn es dagegen sechs alten Vehfreudigern31 bei einer mit angeschauten Prügelei so in die Fingerspitzen hinaus und in die unwillkürlich geballten Fäuste fährt, daß sie sich mit Himmelsgewalt in den Strudel hineingerissen sehen: wie ist ihnen auch das heimelig, und zwiefach heimelig! Denn das Klatschen der Schläge, da auf den Saiten ihrer Gemüter so viele Interferenzen zum Mitschwingen anregt, findet eine mächtige Resonanz in der Erinnerung, «wie es einst war».

«Wie mich das heimelet32 So redet ein milder alter Herr, wie aus tiefem Sinnen erwachend, zum jungen Arzt am behaglich wärmenden Kamin. «So bin ich mit deinem Vater manchmal gesessen, und fast auf deine Weise verfocht er das gleiche Thema.»

Zwei so grund­verschiedene Arten der Erinnerung können auch in der einen und selben Menschenseele sich ablösen. Über den nämlichen handfesten Söldner, den in der alten Heimat zunächst «jedes Stuhlbein» aag’heimelet het,33 goß nachher «einen stillen Frieden das unaussprechlich Heimelige, das aus jedem Zaun, aus jedem Hügel ihn anlächelte.»34

Solch zeitweiliges Durchsonnen des eigenen Inneren, wie mitten in trauriger Gegenwart eine abgehetzte Schuldenbäuerin,35 ein geknechteter Sohn,36 eine daheim heimatlose Tochter37 es üben, das bringt die wahre Heimeligi, welche in die fremdeste Fremde die Glückseligkeit der «wahren Heimat»38 hineintragen kann. Es erteilt auch dem gemeinen Alltagsleben, diesem «brutalen Geschäft», in welchem Offenherzigkeit niemals hoch im Kurse steht, bei dem dazu Veranlagten jene durchgängige Höhe der Gesinnung, welche weder vor sich selbst, noch vor andern je etwas Unlauteres mag verheime.39 Mit dieser goldlauteren Realität verschwistert sich der unverwüstliche Frohmut, dem jedes geknickte 171 und gedrückte, jedes unsichere und unzuversichtliche Wesen wider den Strich geht. Letzteres bezeichnet der Emmenthaler mit dem Worte béhämsch. Wer durch Unglück oder auch Schuld an Körper und Seele gedrückt ist, führt e behämschi Spraach, ist oder redt eso behämscher. Er het eso behämsch g’seit,...

 
1 Käthi 219.   2 UK. 316.   3 Gf. SF. 1899, 82.   4 AB. 1, 165.   5 Käs. 185.   6 Ztgst. 2, 162.   7 Geltst. 11.   8 BSp. 115.   9 Gf. SF. 1899, 82.   10 EJogg. 1902.   11 Käthi 55, Hs.   12 ABB. B 69.   13 AdH. I., 4; 2 J. 168.   14 AB. 1, 86.   15 169.   16 GG. 3, 24; SchM. 1, 36; UK. 137.   17 Vgl. z. B. Leuenberger, bern. Privatrecht.   18 GG. 3, 23.   19 AR. 1815, 220-2.   20 Z. B. Ott 1, 102-5.   21 Wyß j. AR. 1815, 222.   22 SchM. 2, 349. 370.   23 An AB. 129.   24 Notar 91.   25 AB. 2, 371.   26 Kurt 91.   27 Geltst. 191.   28 Gf. OB. 1902, 45.   29 Gf. SF. 1899, 82.   30 Ztgst. 2, 200.   31 Käs. 207.   32 AB. 2, 272; vgl. An AB. 119; An JR. 90.   33 BSp. 287.   34 Ebd.; vgl. SchM. 1, 186.   35 Schuldb. 147.   36 SchM. 1, 80.   37 GG. 2, 140.   38 SchM. 2, 83.   39 Geltst. 188; AB. 1, 385. SchM. 2, 110. 124.  
 

Siedelung.

Es chlịịs Wä̆seli1 nennt die Bauernfamilie, die wir im Geiste von der Heuernte heim begleiten, ihr Haus und Heim, obwohl es den Vergleich mit einem Pụrewä̆se anderer Gegenden sehr wohl aushalten könnte. Wir haben es eben mit Leuten zu tun, die überhaupt mit und aus dem, was sie haben und sind und tun, kes Wäse mache. Sie sind damit zufrieden, daß sie mit Ehren Existenz und Haushalt weiter zu führen vermögen: daß si g’sịị cheu, und bleiben bei alledem so frohmütig, daß sie bei einer der äußerst seltenen Gelegenheiten sich wieder einmal gütlich zu tun, das Aufbrechen immer noch ein Weilchen hinausschieben: iez wei mer no chlịị sịị! Solche Prägnanz dieses «sein», welches sich sonst bis zu einem entbehrlichen Hilfsverb entwertet hat und die klaffenden Lücken seines Paradigmas durch wesen (ich war, ich war gewesen, an- und abwesend) ergänzen muß, entspricht der Bedeutungsfülle des vorhin aufgeführten Dingworts «Wesen». Andere Sprachen entwerten ebenso andere Ausdrücke für «Siedelung», welchen wir im Gegenteil erhöhte Bedeutung zumessen. (Vgl. «bauen» im 6. Unterkapitel.) Dahin gehört auch sich sä̆dle, zunächst von Vögeln, insbesondere von Hühnern gesagt,2 dann von aufgeregten Menschen, die sich beruhigen, schließlich von solchen, die «sich ansiedeln», «sich setzen».3 Noch deutlicher ist diese Begriffserhöhung bei «wohnen». Die Grundbedeutung dieses Verbs: «sich’s wohl sein lassen»,4 deutet auf vorübergehende Aufenthalte, die wir eher etwa mit «sich (bi öppere) zuezieh»5 wiedergeben. Regelmäßiger geschäftlicher Verkehr in einem Hause heißt zuehen u dänne gaa. «Es ist da no rächt es stịịfs, freins Zuehen- u Dänne-Gaa.» Als Einzelperson bei jemand wohnen: bi öpperen uus un ịị gaa. «Wohnen» selbst hat unsere Mundart bloß der Schriftsprache entlehnt. Um so geläufiger ist ihre «die Wohnung» in den Wortformen di Wŏnig und das Wŏnigli. Um so reicher auch hat sie das zugehörige «gewöhnen» und «gewohnt» 172 entwickelt. Die veraltende Form mit ‑ĕ- umd ‑nn- hat transitiven Charakter. «Wie man Tauben (an den Schlag) gewennen soll, daß sie bleiben», lehrt unser Rezeptbuch.6 So auch «muß man die Leute an das, was Brauch ist, gwenne».7 Wir sagen in diesem Sinne noch: gwĕne, doch im Gefühl, daß auch diese Form veralte. Ein a d’Ornig gwĕne; ein gwene, dass er sich so und so beträgt. Die andere, uns allein gewohnt gebliebene gute alte Form mit ‑ă-, fordert zunächst neutrale Fügung im Mittelwort g’wănet. I wott mi Sach mache, wi n i (’s) gwanet bi̦i̦.8 (Das fakultative «’s» ist noch leise fühlbarer Genitiv.) A d’Ruew si mer gwanet.9 Die prädikative Verwendung kann auch in der Mundart attributiv werden: wi g’waneti Schwinger;10 so ungwaneti Wiiber.11 Es gwanet’s Roß. Es ungwanets Fü̦̆li (der Arbeit noch nicht gewohntes Füllen). Die Mundart kennt hier aber auch — in altertümlicher Fügungsart — eine sächliche Flexion des Prädikativs: Jä gäḷḷ, das tüecht di iezen ung’wans! Es wirt dich ungwans tüeche (auf dem Felde zu arbeiten).12 Dieses «ungwans» ist ein wertvoller Rest des mhd. Beiworts ungewon, welchem aus ein — jetzt verlornes — positives gewon entsprach. Die flektierte Fügung rief aber weiter der Reflexivform si g’wăne. Dir wärdit Müej haa, e̥ch z’gwane13 (an das beschränkte Heim). Mir hei n is nid g’wanet, witers̆ z’gaa.14 Mir hein is z’fast zo de Schuḷde g’wanet.15 — Merkwürdig ist eine vollständig durchkonjugierte Mischform zwischen prädikativer und reflexiver Fügung: i bi mi gwanet, du bist di, är ist si, mir sịn i̦s, dir sịt e̥ch, si̦e si̦nd si̦ch gwanet (das und das zu tun oder zu leiden). D’Lụ̈t sị si̦ so gwanet.16 — Gewohnheit = Gwănhĭ̦t. Muest ĭ̦hm das nid naalaa, es git ĭ̦hm süst e Gwanhit.

«Wohnen» und «gewöhnen» berühren sich immer noch in der gemeinsamen Beziehung auf das Bekömmliche, Zuträgliche. Für unser Klima ist dies in erster Linie dasselbe, was wir auch mit Schatten u Schärme bezeichnen. «Damit er Schatten und Schermen habe,» weist 1794 die Gemeinde Lützelflüh einem unverschämten Brand­beschädigten einen Bauplatz an.17 «Am Scherm und Schatten»18 sein Mues und Brot verdienen zu können, erscheint begreiflich dem Ackersmann als beneidenswertes Los.19 Unter schützendem Dach schärmet der vom Feld, von der Straße Heimkehrende «seine Sachen»,20 wie unter irgend einem — vielleicht bedenklichen21 — Unterschlupf der vom Unwetter Überraschte 173 zu schärme sucht (ohne Objekt wie «schirmen»).22 Beides gab Anlaß zu der bildlichen Rede: Er het si Sach am Schärme (hat «seine Schäfchen geschoren» oder «im Trockenen»), und: er bringt seine Person «an Schermen»23 (vgl. a Schärme choo), z. B. durch eine Geldheirat. Vergeblich jedoch strebt nach solcher Versorgung der Pechvogel, der «Stöffel», dem der Löffel fehlt, wenn’s Brei regnet. We’s Glück rägnet, bist du am Schärme! — Gschärmeti Hŭ̦t ist die beständig durch Kleidung oder Bettzeug bedeckte Haut; gschärmeten Härd scharrt sich z. B. zum Bedecken der frisch gesteckten Bohnen das geschäftige Mütterchen eines kleinen Haushalts aus allen Winkeln unter dem Dach zusammen.

Ein gut deutsches Wort für das Schatten und Schirm gewährende Gebäude ist Hütte. In Lützelflüh aber ist sein Gebrauch merkwürdbig beschränkt. Kaum daß ein Gaḷge­hüttli24 (vgl. das Galgeli) als winziges Gütchen begegnet. In allzu ungemütlichem Andenken stehen eben — im Gebiet der berühmten Emmenthaler Bauernhäuser — die nun fast überall durch stattliche Neubauten verdrängten Schache­hüttli mit zerbrochenen Scheiben in den kleinen trüben Fenstern, Zeugen der tiefsten Armut und Verkommenheit.25 Die Hütte, Das Hüttli ist uns der Inbegriff des Unwohnlichen. Sei’s daß wir in spassig chinesenmäßiger Selbstherunter­machung einen in unsere Wohnung einladen: (chum e chlịị) i d’Hütte! Sei’s daß wir das Wort für ein bloß geschäftlichen Zwecken dienendes unscheinbares Gebäude brauchen: ’s Bauhüttli, d’Brächhütte. Die Chä̆shütte alten Stils hat größtenteils der modern eingerichteten Käserei Platz gemacht. Hütte­meister und Hütte­schrịịber sind vielfach zum Präsidenten und Sekretär aufgerückt und stehen nicht mehr der Hütte­g’mein, sondern der Aktionär- oder Lieferanten-Versammlung vor. In beredtem Schweigen treten nunmehr die lautlos eingesteckten Banknoten zurück vor dem Hüttegäḷt früherer Tage, dessen Empfänger auch hätten prahlen können: «I chlingele mit dem Gält im Sack, Neuthaler u Dublone»26

 
1 MW. 2J., 167.   2 Vgl. «Nest» aus ni-sad = sich «niedersetzen», niederlassen.   3 SchM. 1, 55.   4 Vgl. Kluge 410.   5 Ger. Tw. (1789).   6 RB. 11.   7 GG. 3, 43; Widm. 127.   8 MW. 2J., 111.   9 Geltst. 309.   10 Widm. 64.   11 MW. 2J., 135.   12 BSp. 7.   13 MW. 2J., 212.   14 Müll. LK. 40.   15 Ebd. 30.   16 Lischeb. 2.   17 ABB. C. 227.   18 BSp. 310.   19 Lischeb. 17.   20 Bsbinder 349.   21 BwM. 190.   22 UP. 59.   23 UK. 300.   24 Wh. Ack. Ws. Wd.   25 Fröhlich VI.   26 Kuhn.  
 

Haus.

Den Namen «Hütte» verschmähen selbst die Wohnungen, welche, «umgää vo Fichte schlank», «a d’Felsewand» der Wanneflueh sich anlehnen und daher den Namen Fluehüsli1 tragen. Sie erinnern 174 wenigstens mit ihrer Bezeichnung an die Fluehüsli im Lindenthal oberhalb Burgdorf,2 ohne indes in malerischem Gesamteffekt irgendwie mit ihnen zu wetteifern. Um so mehr laden einzelne von ihnen, wie die hier (S. 175) abgebildeten, mit ihrer Umgebung zum Beschauen ein.

Übrigens liegt schon in der gewöhnlichen Verkleinerungs­form Hụ̈̆sli ein Verzicht auf das besondere Wertgefühl, das dagegen im traulichen «Hụ̈̆seli»3 und im «Hụ̈̆si, so ganz allein im fründliche Revier»4 liegt. Vgl. das «Schloßhüsi» bei der alten Burg Wartenstein, das «Metzgerhüsi» zu Walkringen, das «Brothüsi» bei Wimmis. Lützelflüh kennt kein «Hüsi» noch «Hüseli» als Träger von Eigennamen. Um so zahlreicher finden wir in dieser Funktion alle die «Hüsli», deren bloß oberflächliche Gesamt-Erwähnung den Unkundigen zu sehr schiefem abschätzigem Urteil verleiten könnte. (Vgl.: Er tuet, wi wenn die chlịịnne Hüsli aḷḷi sịni wäri.) Schon unser folgender knappe Überblick wird solchen irreführenden Eindruck modifizieren. — Da deuten auf die Lage: das Waḷd- oder Neuhüsli;5 das Brụ̈ụ̈sch­hüsli: das Schulhaus von Lauterbach und ein benachbartes Gütchen neuern Datums; das Weidhüsli oder d’Eḷḷebe̥rgweid;6 das Fuhrli­hüsli (an der Emme). Im Chehr­hüsli7 an der Straßengabelung zu Goldbach blüht heute ein weitverzweigtes reiches Handelsgeschäft. Auf den bescheidenen Anfang deutet ein Posten in der Kirchenrechnung von 1662: «Vom Kerhüßli-schnider ein zinß 5 1b.» Das Schmĭ̦ds­huebhüsli ist heute eine Käserei. Das Neuhushüsli. — Auf einen zeitweiligen Besitzer deuten: Das Chü̦̆pfer-, das Sterchi­hü̦sli.8 — Auf ehemaliges Gewerbe: das Tokter-9 und das Schärhüsli;10 das Spinner­hüsli = der Spinner; das Bụụchi-,11 ’s Trääjjer-, das Chiener-,12 Cheḷḷe-, Mụụrer-,13 Teck-,14 Glaserhụ̈sli15 (oder Schööne­ḅueche). — Niederlagen: das Bohne­hüsli,16 etwa als «oberes» vom un͜dere (dem Miethäuschen) unterschieden. — Auf geflügelte Nachbarschaft weisen: das Hüenner-17 und das Schnäpfe­hüsli (vgl. Schnäpfe-Näst).

Einem solchen «Hüsli» stellt sich nun in Lauterbach gegenüber: das Großhuus,18 heute fast ein kleiner Weiler. Aber mehr: Aus dem alten Großhuus wuchs wieder hervor das Großhuus-Neuhuus.19 175 Bei Waldhaus stehen sich gegenüber: das ober20 und das un͜der Neuhụụs.21 Das Neuhuus beim Bifang und das in Lauterbach.22 Neuhuus ist auch in Lützelflüh ein zahlreiches Burger­geschlecht. Fernere «Neuhuus» sind: das Dü̦ü̦r-, das Schụfe͜lbüeḷ-,23 das Saarbe-24 Neuhuus. — Bei bezw. zu Nieder­schaufelbühl: das Ni̦derhuus.25 — Das von sonniger Höhe am Waldrand so lustig ins Tal hernieder­schauende Waḷthụs­hụ̈sli verdeutlicht uns den Ursprung des heute so stattlichen Dörfchens Waḷthuus (1257 «Walthus»,26 «Waldhaus»).

Zwei der «Fluehüsli» an der Wannenfluh.

Dasselbe zählte 1783: 7 Häuser, 11 Speicher, 8 Nebengebäude. Dem weitläufigen und blühenden Grundbesitz, wozu auch Alprechte in Sumiswald und Wasserrechte in Hasli gehören, entspricht die in vielem modern ausgestattete Käserei, die neue Hydranten- und wohl auch bald 176 eine Elektrizitäts-Anlage. Um den Ort gruppieren sich: der Waḷtusbä́rg, der Waḷthus­grabe, die Waḷthus-Achere (Äcker). — An der Emme, unweit Goḷdbḁch, bei der Farb- oder Gu̦u̦ḷhụụs-Brügg, steht das Gu̦u̦ḷhụụs27 («Gohlhaus»). — Nach zeitweiligen Besitzern ist benannt: Eggimaa’s Huus (1783. «zwei kleine Häuser im Boden»). Das Bi̦chse͜lhuus zu Nieder­schaufelbühl.28

«In meinem Hause!» «Es kam mir vor, als gebiete ich über eine halbe Welt; und viel fester als sonst trat ich auf und freute mich gar sehr, wenn es im ganzen Hause tönte.»29 So der Inhaber einer Lehrerwohnung, wie die Schul-Misère vor hundert Jahren sie ihm als Besoldungs­anteil zuwies. Es ist dies ein Beispiel, wi der Mönsch d’s Huus macht grad eben, wenn er nicht hochtrabend «ein Haus zu machen»30 (to make a house) beansprucht. In der Art und Weise aber, wie die Instandhaltung der Wohnung Charakter31 und Gemütsart32 des Bewohners abprägt, zeigt sich auch umgekehrt, wi ’s Huus der Mönsch macht. «I weis, was es Huus vermaa!» «In einem andern Hause wäre ich (erziehsungslos Gebliebene) auch anders geworden.»33 So die edle Tochter, deren Elternhaus im Charakter ihres Vaters auch «ein schwarz Geheimniß, ein schaurig Rätsel»34 barg. Denn «das Haus ist des Menschen weiterer Leib, ist der Zeuge seiner Seele».35 D’s Huus ist d’Würze vo allem:36 des gesamten Berufs- und öffentlichen Lebens. Drum: «Im Hause muß beginnen, was leuchten soll im Vaterland.»37 So lautet der echt Bitzianische Spruch als Zier des Pfarrhauses Murten, wo unser Dichter geboren ist.

Drum aber auch die Wehmut, mit welcher da und dort eine in glücklichen Verhältnissen aufgewachsene Bauerntochter später der Heimat gedenkt, in der jetzt andre hausen: «Bin aḷben e wärti Tochter gsi̦i̦ in üsem Huus — cha nümme drịị!» Da mag ihr etwa zumute sein, wie einer abgebrannten Familie auf einsamer Bergeshöhe, die auch im Versicherungs­zeitalter mit ihrem Haus oder Häuschen Unersetzbares verloren hat.

Wie ermißt sich hieraus das Unselige des Beginnens, «von Hause zu schlagen!»38 Wär vo Huus gschlage het, betritt Stufe um Stufe als Vernachlässiger seines Berufs,39 als Trunkerbold,40 als Landstreicher, als Verbrecher die abschüssige Bahn des verlornen Menschen. Denn «wenn einer von Haus schlägt, so schlägt er auch von Gott»41 und gibt sein 177 Besseres selbst auf in jener Treulosigkeit, die mit dem ominösen dervo­gschlaa bezeichnet wird. Es gschlaat eini vom Maa, vo be Chin͜de, «von Arbeit und Nest»,42 wie der liederliche Zeisig, der seine Brut im Stiche läßt, dervo g’schlaat.

Huslüt.

Doch, mir wei es Huus wị̆ters̆, d. h. gehen wir zu einem andern Gegenstand über.

Wie sehr uns das Haus im Vordergrund der Phantasie steht, zeigen Wortbildungen für allerlei Gehäuse, Behälter wie: Zị̆thüsli (Wanduhrgehäuse), San͜dhüsli (Streusandbüchse), Tintehüsli43 (Tintenfaß). — Es Reedhụụs ist nicht bloß der jederzeit mundbereite Redner, sondern im Emmenthal auch der Schwätzer, dem man im Oberhasli «Mauldiarrhöe» zuschreibt. Der juckende Abszeß am Zahnfleisch, in welchem ein bohrender Wurm zu hausen scheint, ist es Wurmhuus. In es Ziterhuus hat man den «Zitherus», die flechtenartig sich abschelfernden Gesichtsstellen, verwandelt. —

Einfach als Hüsli — wie auch als «Oberstübli» — erscheint die Hirnschale bezw. das Gehirn und dessen normale Funktion. Er ist us em Hüsli use, vors̆ Hüsli use grate.44

Noch elementarer als die Hüsli im Kinderspiel (vgl. Hüseli baue) sind die durch Gewebeart oder Farbe im blau- oder rotweißen Tuch sich abhebenden kleinen Quadrate. «1 Költschziehen mit kleinen Häusli» (1793).45 «Es ghüslets Hauptechüssi.»46

Hụụsi die wo Hüser hei, mir wohne im Stock! Dies Wortspiel, ein Produkt humoristischen Anflugs, dient der Bedeutsamkeit des Wortes «huuse» zu einer guten Folie.

Huusen ist zunächst soviel wie hụ̆shaa (haushalten),47 oder auch hụ̆siere in diesem besondern Sinn, gleich dem humoristisch derben hụ̆saste, entstellt aus «hụshaste», vgl. «Hụsghast» (Haushalt).47a

«Er habe nie mit seiner Frau gehauset.»48 Das geschäftige Hin und Her in Küche und Stube kehrt am Haushalten gerne das Geräuschvolle, Lärmende, Ungestüme hervor: Vom Ungewitter, Hagelwetter: Dás het ghuuset! wüest ghuuset! (Wenn man Kanonen losbrennt) «de ma’s ech schlaa und huse!»49 «Es husi schützlig mit dem» auf dem Sterbebett vom bösen Gewissen Gefolterten.50 — Die Tochter hausierte draußen (ums Haus) herum, während die Mutter das Abendessen rüstete.51 Die unwillig gestimmte Frau «hausierte drinnen etwas unsäuberlich» (unsanft).52 Als die Mutter eine Zeit lang gehaushastet 178 hatte...53 Wirklich liegt in solchem hụ̆saste bisweilen ein «hasten», wie denn auch bei der drolligen Übertragung d’Hushaḷtig schütte an das kräftige Schütteln des Heus bei trübem Wetter gedacht wird. Der Ausdruck huuse birgt im Grunde schon von selbst den prägnanten Sinn des Vorteil einbringenden oder doch einen grünen Zweig erstrebenden Haushaltens. Kann irgend etwas die Leute euch gewinnen, so ist’s, wenn ihr «huset und arbeitet».54 Vgl. schaffe u huuse als humoristische Deutung des nahegelegenen Orts Schaff(h)ŭ̦se. Die Prägnanz kann aber durch ein ausdrückliches guet55 ersetzt werden, was wieder einem gegensätzlichen schlecht huuse ruft. Der Sinn «Geld vor sich bringen», fü̦ü̦rbringe, fü̦ü̦rertsi bringe kann bis zur Bedeutung des Rackerns56 führen.

«Das Hüsli laßt ausbauen, dann hụ̈̆selet fort, ungefähr wie bisher.»57 «I weiß o Lüt, si heis mit Hüsele u Spare fei e chlịị wịt ’bracht.»58 Öppis erhuuse;59 zsämehüsele;60 fü̦ü̦rhụụse. (Mit solcher Wirtschaftsweise) hätt me glịị (bald) ụụsghụụset!61Zrugg huuse Verhuuse: mit unrichtigem Haushalten durchbringen.62

Hŭslig = haushälterisch.63 Huslig u wärchbḁr (arbeitsam): Hauptcharakter der richtigen Bäuerin. Huslig ist aber auch zurückhaltender Ausdruck für geizig, filzig, «schäbig».64 — Die Hụ̆slịgị: haushälterischer Sinn.65

 
1 F. 5.   2 Vgl. Wyß j. AR. 1812, 200-19 mit Abbildungen.   3 Müll. LK. 18. 29.   4 Ott 1, 80.   5 Wh. Ack. 31,32; ohne Wald.   6 WK. Ack. Ws. Wd. 321, E 5.   7 2 Whh. Magazin, Obstgarten, Ack. Rain Wd. 140,21, F. 5.   8 2 Whh. schon 1783.   9 L. 3.   10 Wh. Schmiede, Ack. Ws. Wd. 61.   11 Wh. 14.   12 Wh. Ack. Ws. Wd. 200, L. 1.   13 Wh. Wst. Ack. Ws. Wd. 1079; L. 2.   14 Wh. Ack. Wd. 133; L. 3.   15 Wh. Sp. Ack. Ws. Wd. 402.   16 Wh. Sp. Ack. Ws. Wd. 455,62.   17 G. 37.   18 2 Whh. Sp. Schmittli, Ack. Ws. wd. 2228.   19 Wh. Ack. Ws. Wd. 519,74.   20 Wh. Whchen, Sp. Hh. Wd. 772,94.   21 Wh., Chalet mit Sommer­wirtschaft, Trinkhalle mit Wintergarten, Wst., Hh. (malerisch neu aufgestellt und aufgefrischt), Sp., Gartenhaus, 2 Treibhäuser, Häuschen für Bereitung kaltflüssigen Baumwachses, 2 Schöpfe; 1178,17 ha; 1788: 1 Haus, 1 Speicher, 1 Holzhaus. Den Umschwung dieses Weilers bildet eine von Jahr zu Jahr ausgedehntere Handels­gärtnerei und Baumschule.   22 Wh. Wst. Spritzenhaus, Ack. Ws. Wd. 1873.   23 Wh. Wst. Sp. Ack. Ws. Wd. 2262.   24 Wh. Wst. Sp. Oh. Sch. Ack. Ws. Wd. 2177.   25 Wh. Wst. Sp. Ack. Ws. 1839,81.   26 Fontes 2, 459.   27 Wh. Sp. Ack. Ws. 163.   28 Wh. Ack. Ws. Wd. 671,31.   29 SchM. 1, 192.   30 Ball 71.   31 Schuldb. 398.   32 Strafe 171.   33 GG. 3, 169.   34 Strafe 171.   35 SchM. 2, 370 (lies die ganze schöne Stelle).   36 GG. 3, 142.   37 Schwzr. 322.   38 MW. 2J. 270; UP. 231.   39 ebd.   40 BSp. 5.   41 Ztgst. 1, 177.   42 Heiri 39.   43 SchM. 1, 70.   44 BSp. 221; Ztgst. 2, 185.   45 Ger. Tw.   46 AB. 1, 162.   47 MW. 2J. 180.   47a Schweiz. Id. 2, 1763 f.   48 Ger. Tw. (1793); vgl. GG. 1, 35.   49 Wyss ä. AR. 1813, 246.   50 MW. 2J. 209.   51 Michel 232.   52 BSp. 164.   53 Land 37; vgl. GG. 2, 27.   54 SchM. 1, 393.   55 Christen 190.   56 BSp. 52.   57 Barthli 66.   58 Müll. LK. 31.   59 N’schwander 17.   60 UK. 389.   61 MW. Mg. 276.   62 AB. 1, 399.   63 Barthli 48.   64 SchM. 2, 353.   65 UK. 109; MW. Anna 244.  
 

Behausung.

Zur Besoldung z. B. eines Lehrers auf dem Lande gehört in der Regel auch freie Wohnung oder Bhụ̆sig.1 Meistenteils jedoch bedeutet die Bhusig: Mietswohnung.2 Zur Miete wohnen: z’ Hụụs sịị. «Er isch umen e Ghusme, er isch ume z’Hus!»3 So können dummstolze Besitzer selbst bei großer eigener Not um so eher sprechen, da wirklich auf dem Lande z’Huus sii noch größtenteils4 mit Vermögens­losigkeit verbunden ist. Viel seltener jedoch mit Armut. Die meisten Mietverträge gestalten sich in Lützelflüh derart, daß neben der Wohnung auch Ackerland für den Hausbedarf an Kartoffeln und Gemüse, sowie zur Haltung von 1-2 Ziegen, und Abfallholz im Wald zur Befeuerung angewiesen wird. Ja, «dieser oder jener Ghusmann mästet sich sein Schweinchen.»5 179 Oft steht dieser G’ḥ̆usme (Mieter) oder dessen Frau (Hŭṣfrau),6 auch etwa ein Sohn oder eine Tochter desselben im Dienste des Vermieters. — Letzterer heißt in seinem Verhältnis zum Mieter der Pụụr, Hụ̆spụụr. Ist hier die Benennung unzweideutig und klar, so kann dagegen die Frau des Vermieters, die Hụspụ̈ụ̈ri, mit der Frau des Mieters auch die Bezeichnung Hụsfrau7 gemein haben.

Durch solche Arbeitsleistung wird ein großer Teil oder selbst der ganze Betrag des Mietgeldes oder Hauszinses (Hụszeis) abverdient, und manch ein Schulden­bäuerlein würde heimlich gerne, wenn es ume zrugg chönnt, sein Schicksal an dasjenige solcher Hụ̆slụ̈t (Mietsleute) tauschen. Zudem ist das Verhältnis der letztern zu ’s Hụ̆spụ̆re, ’s Pụ̆re in der Regel ein durchaus freundliches, ja da und dort herzliches. Von selbst bringt die instinktive Politik es mit sich, daß nicht so bald «’s Ghusme’s Frau gschịịder sịị wott weder d’s Bure Frau»;8 und anderseits müßte es schon ein weit und breit verschrieener Mietsherr sein, der dem Mieter «ke Sprịịße Holz zur Behausung» gäbe,9 oder gar in unverschuldeter Not ihn auf die Gasse setzte.10 Das Element des Zusammenlebens ist vielmehr gegenseitige Teilnahme an Freud und Leid, Aushilfe und Botendienste in Krankheit und Unglücksfällen. Schwerlich schlägt je ein Huspuur seinem Ghusme eine Patenschaft ab,11 und kein Ghusme wird zur Leichenfeier einzuladen vergessen.12

 
1 SchM. 2, 357.   2 Vögelein 139.   3 SchM. 1. 55.   4 Wass. 59, 80; Dursli 207.   5 Gf. SF. 1902, 213.   6 Bsp. 93; vgl. MW. 2J., 155.   7 MW. KR. 13.   8 BSp. 93.   9 Vögelein 139.   10 Ott 1, 19; vgl. Käthi 170 ff.   11 SchM. 2, 140.   12 Ztgst. 2, 49.  
 

Bauen.

Zu den hiervor erörterten Siedelungs-Wörtern «sein», «wesen», «wohnen» etc. gehört auch das hier eigens behandelte «bauen». Schon der Umstand, daß es (in «bin», «bist»)1 die Konjugations-Lücken von «sein» ersetzt, macht uns noch heute seine Urbedeutung «sich ansiedeln», «wohnen», «bewohnen» durchsichtig. Mit diesem Begriff aber verbindet das Wort ohne weiteres den der Feldbestellung, des berufsmäßigen Landbaus, welcher mhd. einfach «der» und «das» heißt. Wie man also nach alter Sprache den Boden, den zum Niederlaß bekommenen Fleck Erde «baut», d. h. zur Ermöglichung seiner Existenz einrichtet, so «baut» man im Einzelnen Gewächse zur Lebensfristung («Pflanzenbau», «Kleebau» u. dgl.), und nicht anders «baut» der Mensch seine Wohnung, wie der Vogel sein Nest, das Wildtier sein Lager. So hieß denn auch mit einer 180 und derselben Wortform «der bûr» 1. das Haus,2 2. der Bauer, «der Pu̦u̦r». (Vgl. «Bätbuur», «Bätber», «Bäpper», Bethäuschen).

Schon diese spärlichen Streiflichter zeigen, wie unmittelbar mit der gesamten Pụ̆rerei auch die Bauerei zusammenhängt. Wo nicht «die Axt im Haus erspart den Zimmermann», hat letzterer auf großem Gehöfte fast jahraus jahrein Arbeit.

Heute mehr als je. Ein Gut, das vor vierzig Jahren seine drei Kühlein nährte, hat bei gleicher Ausdehnung heute zehn Simmenthalerkühe neben drei Pferden an der Krippe stehen. Und das auf hochgelegener, steiler, vielfach schattiger Bergeshalde.

Schritt für Schritt mit solcher Ertragsäufnung «wachsen die Räume, es dehnt sich das Haus.» Die Schwierigkeiten aber, welche die Beschaffenheit des Geländes der Ausdehnung entgegensetzt, die Nötigung, in jedem Einzelfall durch neue Mittel und neue Auswege sich mit der gegebenen Sachlage abzufinden, bilden ein erstes Moment, das jeden Bauer halb oder ganz zum Zimmermann, und den ländlichen Zimmermeister zu seinem Berater und Freunde macht. Die abenteuerliche abstruse Gestalt aber, welche die bloße praktische Brauchbarkeit so mancher Bauerei erteilen müßte, widerstreitet der Anforderung an ein stattliches, die Hablichkeit und Solidität widerspiegelndes Aussehen. Was der Emmenthaler baut, mues e Fassoon (façon) haa, mues e Gattig mache. Wenn schon das Stallwerk und das Vorratshaus, wie dann erst das Wohngebäude, das überhaupt der lichtdurstige und der menschenhungrige Süddeutsche an die Sonne und an die Straße zu stellen liebt!3 Dies Moment machte die Emmenthaler auf ihren zerstreuten Berghöfen, die ihnen Haus und Heim, Wirtshaus und Theater, Badefahrt und Sommerfrische zumal sein und ersetzen müssen, zu gebornen Bau-Ästhetikern.

Überall also gewahrst du diese ebenso originellen wie gefälligen, das Haus keineswegs wie anderwärts so häßlich verunstaltenden Aahäichine Der Bauer hat wieder hin͜deraa­g’häicht, d. h. am Scheuerwerk Dach und Fach vergrößert. Erst wenn es hiermit für einstweilen seine Richtigkeit hat, denkt er auch an die zeitweilig nötige Auffrischung des Wohngebäudes. Zunächst pflegt es bei dem Holz- und zwar Ständer-Bau, an welchen der Emmenthaler früher gänzlich gewiesen war und heute noch meistenteils gewiesen ist, a der Wättersịte mit ihrem Fensterwerk zu fehlen. Da fragt sich jedesmal, ob auch jetzt noch ein Neubau sich durch ein bloßes Un͜derzịeh ersetzen lasse.4 181 «Un͜derzieh» ist im Grunde bloß: Ersetzen des morsch gewordenen Un͜derzugs (s. «Aus und Einbau») durch ein neues Gebälk. Da jedoch in der Regel damit die Erneuerung der Außenwände verbunden werden muß, ist der Ausdruck mit «’s Stubewärch erneuere» identisch geworden. Erstreckt die Erneuerung sich bis unter das Dach, so spricht man von un͜dere­fünke (fünke ist stopfen), und die der «Uufrichti» ähnliche, nur bescheidenere häusliche Feier zum Abschluß dieses Werkes ist eine Un͜dere­fünkete.

Oft genug aber muß der zu Rate gezogene Zimmermeister erklären: Solche bloße Auffrischung gääb numen es Blätzwärch, für welches d’s Gäḷt i Dräck use gheit wär.

Also i d’Hän͜d gspeut, u ’bauet! — Freilich, wi mäṇ’ge het si scho z’tood ’bauet!5 Der Naar bauet, der Gschịịd chauft. So und anders spricht sich die bekannte Erfahrung aus, wie wenig Voranschlag und Kosten, Gedachtes und Erreichtes bisweilen stimmen. Besonders wenn (nach ehemaliger, nun beinahe ganz verwischter Unterscheidung) der Eigentümer bloß het ’bauen, d. h. sich als Bauherr geriert hat, und nicht auch in kundiger und fleißiger Mitbetätigung het ’bauet.6

Wie leicht und ohne solche «Irr- und Mißrechnung» kam ehedem ein Baubedürftiger zu einem Haus!

In blühender Sprache berichtet uns Pfarrer Ris in Trachselwald 1772:7 «Da die Wohnungen und Gebäude im Emmenthal ganz hölzern sind, so kan in kurzer Zeit ein großes Hause aufgebauen und wohnbar gemachet werden. Auch können an keinem andern Orth Häuser, sonderlich von Ohnbemittelten, mit geringern Kosten gebauen werden. Wer ein Haus bauen will und nicht Waldungen hat, der ersuchet jeden benachbarten und bekannten Waldbesitzer um ein Fuder Bauholz, und sehr selten wirt die Bitte abgeschlagen. Auf einen bestimmten Wintertag, wo guter Schlittweg ist, stellt Mann Holzfuhr an, und im Bedarfsfall noch eine andere. Die Fuhrleüth werden nach Vermögen mit einer Mahlzeit bewirthet. Nachhere im Frühling kommen die Benachbarten in großer Anzahl und helffen in der Zimmerarbeith, die auch ein jeglicher Bauernknecht so viel verstehet, daß ihn der Zimmermeister nutzlich brauchen kan. Die derart Mithelfenden bringen Brodt, Milch, Anken, gedörtes Obst, geräuchert Fleisch oder andere Speisen, und jeglicher mehr als er zu seiner Mittagsmahlzeit brauchet, indeme sie zu Morgen und 182 Abendts daheimb speisen. So ist der Kosten nicht groß ein Haus zu bauen. — Wann das Haus aufgerichtet ist, so schenken die Benachbarte entweder auß eigener Bewegung oder Erbetten, der einte ein Fenster, der andere ein Haus-, Stuben- oder Keller-Thür mit voller Beschlecht, der tritte bringet ein Geschenk an Gelt oder anderen Sachen, und auch die Schindlen zur Dachung werden den Ohnbemittleten von den Nachbaren geschenket; so daß viele Hausarme vielleicht mehr durch Geschenke erworben, als sie das ganze Gebäuw gekostet hatt.»

Was hier unser Trachselwalder Herodot zur Charakteristik emmenthalischer «Gemühtsart» erzählt, wird noch durch die Erinnerungen älterer Jetztlebender vollauf bestätigt. Unverschuldet Abgebrannte, zumal durch Blitzschlag Geschädigte erhielten mehr als sie verloren, und noch zur Stunde zeugt z. B. ein Haus bei Neuegg durch die Ungleich­artigkeit von Tür und Fenster von der einst üblichen Schenkung ganzer Bauteile. Anderwärts erblickst du noch alte Glasscheiben mit eingeätztem Namen und Wappen des Gebers. Erhöhte Anforderungen an die heutige Bautechnik konzentrieren solche freiwillige Leistungen auf die Lieferungen und Fuhrungen von Tannen auf den Bauplatz: die Fuehrige. Solcher Schenkungen erfreut sich im Zeitalter der Gebäude-Versicherung Reich und Arm in gleicher Weise. Der soziale Unterschied gleicht sich dadurch aus, daß der Unbemittelte nach Verabreichung einer einfachen Erfrischung des üblichen opulenten Fuehrig-Mahls, ebenfalls auch Fuehrig geheißen, als enthoben gilt.

 
1 Aus bu-im etc.; vgl. lat. fu-i = je fus (ich war), gr. phy-sis = das «Wesen» der Dinge, Die Natur.   2 Erst die neuere Sprache hat «das (Vogel-) Bauer» heraus differenziert. Zu Frei-Schnorfs nhd. Gramm. 20 f.   3 «Stauffachers Haus verbirgt sich nicht!» usw. Vgl. dagegen das niedersächische Haus.   4 Barthli 25; AB. 2, 159; Wass. 57.   5 Ztgst. 1, 14.   6 Ohne solche Bedeutungs­differenz sagte das literarische Mhd. neben gewöhnlichem «gebûwen», «gebouwen», auch «gebouwet».   7 Ök. Q., 10, 2, 46 ff. Auch in diesem Zitat stehen abkürzende Übergänge ohne Gänsefüßchen.  
 

Der Unterbau.

Verfolgen wir nun, unter rascher Vergegen­wärtigung einer langen und schweren Arbeit, auf einem Bauplatz das Entstehen eines Hauses. Den Anfang macht das Profịịle: das Ausstecken der Profilstangen. Das Aussehen derselben erklärt den Hohn auf den Besitzer eines gänzlich abgemagerten, weil schlecht gehaltenen Haustieres: Er wott schịịn’s e Hun͜d (oder es Roß u. dgl.) haa; er het emel afe «profịịlet». Zur Sicherung gegen Windfall werden die Profile, gleich dem Balkengerüst des Aufbaus, durch hiezu dienliche Bretter, welche Gglääne (Einzahl: die Gglääne) heißen, verstrebt oder ver­ggläänet. Die eilig erstellte Báragge (baraque) birgt Geräte und Materialien zum Chäḷḷer grăbe, Brüggstock uufsetze, fundamänte. Feldsteine, Rohsteine aus Emme oder Grüne, früher auch Überreste ruinierter Schlösser wie Brandis, werden herangefahren. Denn auch bei uns mues me mit dene Steine mụụre wo me het. Wer das aber (buchstäblich 183 und bildlich) versteht, kann damit auch Gäḷt verdiene wie Steine oder Stei («wie Bach»). Auch das San͜d, von dessen grobkörniger Masse der Boden der Emme grĭ̦slet ist wie die rĭ̦seligi Hand eines Fiebernden, darf nicht fehlen. Ebenso muß der Bauende gleich dem Wegmeister «in der Kiesgrube» (Griengruebe) auch bildlich sị̆s Grien grüstet haa, d. h. auf alles was kommen mag, vorbereitet sein, selbst wenn es Verderben drohend hieße: uf ĭhn mit Grien! über ihn her!

Zur Verarbeitung dieses Rohmaterials nun braucht der Maurer Kalk und Zement. Zum Binden des Mörtels — Pflasters — braucht er den ebenfalls von der Emme gelieferten Chaḷch. Derselbe wurde ehemals von den Baubedürftigen an Ort und Stelle selber gebrannt.1 Darauf deuten Ortsnamen wie die Chaḷchmátt zu Brandis und Lauperswil, wie die verschiedenen «Cháḷchöfe» zu Sumiswald, auch am Ende und Anfang des Rüegsau-Tales. An letzterer Stelle bildet die Bahnstation Hasli-Rüegsau den Mittelpunkt des äußerst schmucken Dörfchens «Chaḷchofe». — Du hest no viil ung’löschne Chaḷch in de̥r: du verfügst trotz deiner vorgerückten Jahre noch über ein hohes Maß geistiger Spannkraft, die nach Auslösung verlangt. (Der «chaux vive» entsprach ehedem «lebendiger Kalk».)2 Er ist e Chaḷchi, er chaḷchet nume, er verchaḷchet aḷḷs: 1. beschmiert alles, was er mit seinen kalkbedeckten Händen und Kleidern berührt; 2. geht mit allem ihm Unvertrauten ohne richtiges Verständnis, Sorgfalt und Delikatesse um.

An die Stelle des alten Mụụre ist aber heute fast durchwegs die selbst vom Nichtfachmann geübte Kunst des Zementbaus — zimänte — getreten. Jeder weiß seine Härte zu schätzen, die auch zur Benennung eines eigensinnigen Querkopfs als Zimänt­grin͜d geführt hat; und die Fortschritte in der Herstellung dieses Baustoffs dringen so rasch durch, daß heute ein Maurer, dem ein rasch wirkender Branntwein lieb ist, es Glesli Schnäḷḷ­ziehenden verlangt. — Besonders das von Ammoniak und Salpeter so rasch durchsetzte hölzerne Stallwerk wird durch Zement verdrängt; die alten Eckpfosten desselben (Rịckstü̦ü̦d), einst als Gegenstand ächten Bauernstolzes aus kerzengeraden, bis unter das Dach reichenden Haag-Eiche erstellt, werden heute ebenfalls durch Zement, oder aber durch eine wie das Stallwerk «hohe Säule» aus Solothurner­stei3 oder Geißbärger4 ersetzt. Sandstein­quadern, aus Oberburg geholt, treten heute da ein, wo, wie an einem alten Brandis-Turm, bloß Tuffstücke5 (Duftsteine, wie Tuffsand, Du̦ft), 184 ja, wie für dortige Gartenmauern,6 nur «Gallensteine» (GaḷỊe) verwendet wurden.

Den Abschluß des Mauerwerks bildet die Făse (la face: das aus dem Boden emporragende, nach außen sauber behauene «Gesicht» der Aufmauerung). Dieselbe wird mit der Setzwag oder Bleiwage auf deren schön wagrechte — bleirächti — Lage geprüft: ab’bleiet. Befriedigt das Ergebnis und stimmen die Maße zum «G’schweḷḷ», so darf nun der Holzaufbau aufgesetzt werden: der Ständerbau des alten Bauernhauses, oder das Riegelwerk, Riegwerk — ’s g’rĭ̦get Huus unserer holzärmeren Zeit.7

 
1 Eggiw. 121.   2 RB. 46.   3 AB. 2, 194.   4 SchM. 1, 57; Marchverbal 10.   5 ABB. A.   6 Ebd. (1783).   7 Vgl. Gladbach 1, 23 f.  
 

Auf dem Zimmerplatz.

Begeben wir uns jetzt in Begleit eines Zimmermeisters1 und eines Schreiners2 auf den Zimmerplatz, wo das Gerippe des Holzbaus in seinen Einzelteilen zugerüstet wird.

An mächtigem Haufen liegen hier die Fuehr-Tanne abgelagert. Der Rinde hat man die zur Winterszeit gefällten Bäume bereits im Mai im Walde selbst entkleidet: mi het se g’schunte oder, gewählter ausgedrückt: g’mejjet. Zur Bebauung nun wird Stamm um Stamm mittelst Hebewinden — Win͜den — auf Zimmerböck gehoben. Die lange schmale Voraxt — Voorachs — entfernt die äußerste Rundung, dann geht’s an das eigentliche Zimmeren: eine nachhaltige ernste Arbeit, der auch nur ernste Vergleiche ziemen. «So war Kurt durch seine Krankheit gezimmert worden. Das Wilde auf seinem Gesicht hatte einem ernsten, besonnenen Ausdrucke Platz gemacht.»3 «Und so zimmert das Leiden an mir, bessert und läutert mich, führt mich der Vollendung entgegen.»4

Zu allernächst muß für schöne Geradlinigkeit der Balkenstücke vorgesorgt werden. Zu diesem Zwecke wird vor­g’schnüert — ähnlich wie dem Knecht, dem Taglöhner, dem Angestellten sein bestmmtes Maß Tagesarbeit vor­g’schnüert wird. Der mit angeriebener Kohle gefüllte «Roon-Trog»5 wird bereitgestellt. Durch seinen Inhalt zieht sich die am Roon­schnuer­haagge ergriffene und von dem kleinen Haspel abgewickelte 185 lange Roon­schnuer (Richtschnur). Sie wird auf den Holzstamm aufgelegt und behufs Abfärbens g’spickt.

Nun wechselt der Zimmermann die Vorachs gegen die Bréitachs aus, die auch sonst im Leben so manches Krumme gerade machen soll (z. B. nach bekanntem Spruch6 das Bein breitáchse). Der eiserne Bund­haagge befestigt die sonst widerstrebenden Hölzer an den Zimmerböcken. Ebenso innig wie beide sind zwei Liebende verbund­häägglet.

So wird der für Landhölzer, Hochstü̦ü̦d und dergleichen besonders lange Flẹcke, wird der ebenfalls mächtige Trä̆me͜l (roher Tannenstamm) zum Balken. Zur Begriffs- und Wortsippe des Trämel gehören: der Trü̦̆me͜l. Im Gegensatze zu französisch trumeau (Balken) dient jedoch das Wort bloß noch bildlich für die Unterlippe: er laat der (Mụụl-) Trüme͜l lă hange. Eine versteinerte Hyperbel neben der plastischen: er macht es Mụụl, mi chönnt dru̦ff Träme͜l chehre. Dagegen bedeutet die Verkleinerung Trü̦̆meli immer noch ein Tannen-Stämmchen. Hieher gehört auch das Troom, zunächst als Stan͜d-Troom: der am Stock-Ende abgesägte, also vorher auf diesem gestandene, dickste Teil eines Baumstammes. Das Troom ist überhaupt (wie der entsprechende lat. «terminus») das Endstück, Ende eines Dinges, z. B. auch eines Fadenknäuels. Auch die «Trümmer» (mit verlornem Singular) stellen sich hieher. Ein altes Gewand, aus welchem ein «neues» werden soll, wird uuftrŏmet, vertrŏmet, «vertrömeret».7 Er ist gäng tromsigs drinne: er fügt sich keiner für seine Umgebung geltenden Ordnung, er ist ein Querkopf. Tromsigs kommen im eigentlichen Sinn die als Sperre und Stütze (Rĭ̦ge͜l) zwischen die Balken des Rieg(el)werks wagrecht eingezäpften kurzen Hölzer zu liegen. Und so ist endlich das Trääm (hie und da, besonders bei Ältern: das Trään8) soviel wie ein liegender Balken.

Der senkrecht oder schief (windschief, «windsch», wĭ̦nsch) zu stehen kommende Balken dagegen heißt die Stu̦u̦d (Mehrzahl: Stü̦ü̦d), das Stü̦̆dli. Hin͜der der Stuud ewägg! (du hast hier nichts zu erlauern oder zu erlauschen), weg da! Das Gstüede͜l ist soviel wie Balkengerüst, z. B. eines Webstuhls. «Große Gstüede͜l, himmelhohe Krämerstände»:9 Spott auf abgemagerte Kühe (wie «profịịlet»).

Einen immer größern Teil der Zimmerarbeit übernimmt übrigens die Sägemühle — d’Saagi. In früherer Baukunst lieferte sie dagegen nur die gröbste Arbeit: neben den gewöhnlichen Brettern — Lăde — die Hẹḷblige (Einzahl: der Heḷblig). Es waren dies ursprünglich 186 der Länge nach halbierte Tannenstänme, wie wir sie noch an den alten Gwätt-Spihere (vgl. Abbildung S. 136) verwendet sehen: die wagrecht angeordneten, mit ihrer Basis auf den Eckpfosten beseitigten, die Rundung also nach außen kehrenden Halbbäume werden an den Ecken auf eine eigene Weise ineinander­gefügt, die man wätte nennt. (Mhd. ich wite, ich wat, wir wâten, ich habe gewëten; mundartlich nur noch selten gwätte, etwas häufiger: gwättet.) Es war dies ein gewöhnlicher Ausdruck für «zusammenbinden», «verknüpfen»; die Spinnwebe hieß das spinnewët. Insbesondere war das gewët ein Joch für Stiere, auch ein Zugochsenpaar, und der gewëte bedeutete einen «Jochgenossen», einen Gesellen, «Gspaane». Mi het albe d’Stiere gwätte(t) (vgl. «Schiff und Geschirr») und auch wieder aus dem Joche gespannt: entwëten. So bedeutete das inwëte «das Innere eines Gebäudes». Im allgemeinern Sinne einzig gebräuchlich, aber im Ursprung verdunkelt, ist noch das bildliche ụwătlig oder ụwaatlig.10 Wer sich in keine Ordnung «fügt», ist en uwatliger: Kärli, tuet uwatlig. — Mit der größern Seltenheit des Holzes ersetzte man die Helblig, aber unter beibehaltenem Namen, durch 8-9 cm dicke Bretter11 (Bohlen).

Beim Zusammenfügen zweier Hölzer (und so auch z. B. zweier Leitungsröhren) wird durch Ritzen mit einer Eisenspitze der gewollte Winkel ab­g’schreitet. Ist die Fügung richtig herausgekommen, so heißt’s: es schreitet. Im Blei endlich (man bemerkte das solenn technische Schriftdeutsch gegenüber Blịị = plumbum) ist ein aufgepflanzter Balken — und so auch eine ins Reine gebrachte Angelegenheit (vgl. c’est en règle) — wenn mittelst der Bleischnur seine schön senkrechte (sänke͜l­rächti) Stellung, sowie mittelst der Bleiwage die genaue wagrechte (bleirächti) Richtung der Unterlage festgestellt ist.

a) Nuet
b) Rüppi
c) Fädere

Sind sämtliche Hölzer mittelst Säge, Axt und Hobel gerüstet, so geht’s ans abbin͜de; mi macht der Abbun͜d: die Hölzer werden auf dem Zimmerplatze derart an- und ineinander gepaßt, daß bei der Raschheit des Aufrichtens alles klappt. Der Meißel, besonders auch der schmale Stä̆ch­bụ̈tte͜l, der Bohrer und der Nuet-Hobe͜l schaffen Nueten mit Fädere («Feder») und Rü̦̆ppine (Rippen), Löcher und 187 Zapfen (Zäpfe) oder vorspringende Köpfe (Chöpf), fügen rechtwinklig (uber’s̆ Chrụ̈z) zwei Hölzer mittelst «Klaffen» (Chlääfe) in halber Holzstärke ineinander etc.

Besonders aber interessieren uns hier zwei im Verdunkeln und Erlöschen begriffene Ausdrücke, die aus dem noch lebenden Wort für «Kante» abgeleitet sind: die Braawwe, mhd. brâ (vgl. Augsbraawwe = «Augenbrauen»). Die einfache Adjektivbildung «brääi» lebt nicht mehr, wohl aber spricht der Zimmermann noch von «voḷḷ­brääi» und «wand­brääi». — Voḷḷ­brääi d.h. voll- oder scharfkantig in eine Zimmerecke vorspringende Balken dürfen nicht geduldet werden; sie werden auf der Innenseite entkantet: uusgfaḷzt. Ein anderes ist es mit den langen Hölzern des Dachstuhls, bei denen es auf Solidität allein ankommt, die daher an ihrem dünnern Ende nicht vollkantig ausgehauen und damit gerade des besten Außen- oder Splint-Holzes beraubt zu werden brauchen. Hier ist also aus andern Gründen «Kantenbruch» (das «gebrechen» an Kanten) angezeigt: der Balken darf wandbrääi sein. So lautet heute der «bessere» fachmännische Ausdruck, während der betagte Laie des Baufachs immer noch von ămbrääi spricht. Jenes «wand-» dürfte eine anlehnende, dieses «am-» eine assimilierte Umbildung aus betontem «ant-», unserm tonlos gewordenen «ent-»12 darstellen. «Ambrääi» oder «wandbrääi» ist also soviel wie ohne Kante, entkantet.

 
1 Wie Stalder in Rüegsbach, Kramer in Trachselwald oder Glauser in Lützelflüh.   2 Wie des freundlichen, betagten Stalder auf der Egg.   3 Kurt 140.   4 Bitzius 4, 108.   5 Der oder die rŏne = (gefällter) Baumstamm. Im Konolfinger Amt sagt man «Raan-Trog».   6 KL. 03, 364.   7 MW. Ws. 26.   8 Vgl. oberhasl. Schuun = Schaum.   9 Käs. 329.   10 Vgl. jedoch auch ahd. unwâtlîh häßlich, zu wât Kleid.   11 Vgl. Gladbach 1, 24.   12 Vgl. Kluge 515; Frei-Schnorf 1496.  
 

Uufrichti.

Hü̦t u morn richte si uuf! Balken und Bretter sind auf die Baustätte herangefahren. Eine ganze Truppe junger und jüngerer Männer hat sich eingestellt. Der General des kleinen Heeres ist natürlich der Zimmermeister, den Stab bilden seine Zimmerleute. Ein ganzes Gefolge Freiwilliger harrt des Winks zum Angriff: die Fuehriglụ̈t, Nachbarn und Freunde des Bauherrn.

Ans Werk also. Her mit dem G’schweḷḷ: dem Balkengeviert, das sich über der Făse des Fundaments lagern soll! Wo die Balken an den Eden der Hausfront sich aneinander fügen, werden sie nach neuer Bauart durch zwei starke Eisenbänder vereinigt. Früher wurden sie verzäpft: durch den einen Balken, dessen zierlich geschnitzter Kopf ins Freie ragte, bohrte sich der andere und ward mit dem starken Eschennagel, der auch heute noch die Bänder des Dachstuhls an Bockstü̦ü̦den und Rafen befestigt, vernaglet. In den entgegengesetzten, etwas 188 hervorragenden Enden der Langseiten aber drehen sich die linksseitigen Tenns­torzapfen. Auf den hier anstoßenden Teil des «Geschwells» dagegen kommt ein nach oben abgeschrägter Balken: der Abwurf, zu liegen.

Schnitt durch ein älteres Bauernhaus.

Nun werden auf die vier Ecken des «Geschwells» die vier Rịckstü̦ü̦d aufgepflanzt und eingezäpft. Beim Ständerbau reichen diese bis an die Landhölzer, beim Riegelbau bis an die Brịịshölzer hinan. Zwischen die Rickstüüd kommen an den Außenseiten die Tür- und Fensterpfosten zu stehen. Ein solcher Pfosten heißt in älterer Sprache das Bịịste͜l («Beystell»,1 «Bystal»).2 Auf der Frontseite schließen oben die Tür- und Pfäister-Brüstli jede Tür- und jede Fensteröffnung für sich ab. Dasselbe tut für jedes der letztern nach unten die Pfäister­bank. — Der volkstümliche Name für «Fensteröffnung» ist aber Pfäister­liecht, für Türöffnung: Türgreis, Tür-Ggreis oder Tür-Ggricht. So im allgemeinen seit anderthalb Jahrhunderten.3 Doch ist z. B. noch im neueren Buechrütti-Haus (Egg) der Pfäister-Sịnze͜l, 189 Sinze͜l (zu «Simsel» und dies zu «Sims», Gesims)4 durchgeführt, wie wir es sowohl am Neuenschwander-Haus (Abb. S. 195), als am Lüthi-Haus sehen. (Abb. S. 191). Es ist das zierlich ausgekränelte Holz, das an der Front durchgehend von Rickstuud zu Rickstuud läuft, gegebenenfalls durch die Haustür unterbrochen. Zwischen Sinzel und Frontgeschwell schob sich als Stütze ein Brett von der Dicke eines Heḷblig: die Strụụchi. — An der gegenüber­liegenden Tennwan͜d wird der sie tragende Mittelpfosten beidseitig durch Chläb­pfosten verstärkt, welche mittelst Rüppi eingefalzt (ịịg’fäḷzt) sind.

Schnitt durch den Speicher.

An den beiden Langseiten des Wohnteils erhalten die Tür- und Fenster­pfosten ihren Anhalt, ihre Stütze (französisch la prise) in dem beiderseits über sie zu liegen kommenden Brịịshoḷz, in welches sie uehe’zäpft werden. Der Front- und der Tennwand-Balken, welche mit diesen zwei Briishölzern ein neues Balkengeviert als Abschluß des untern und als Grundlage des obern Rings bilden, heißen ebenfalls Brịịshoḷz (vergl. das «Preis­hölzlein» einer Hütte 1789).5 Die Fügung ist aber eine andere als beim «Gschwell»: das Briisholz der Front liegt um die vorerwähnten Brüstungen höher und wird über die Briishölzer der Langseiten g’chlääft. Wie das Briisholz der Tennseite kann es zugleich beidseitig als äußerster Laubenträger herausragen. Als Hilfsträger der Laube werden alsdann zwischen beiden die sog. Stichbalken in die seitlichen Briishölzer ịịg’steckt. Sie heißen volkstümlicher Laube­trääm oder noch echter bäuerlich: Laube-Chäpf (Einzahl: der Chapf).

Bemerken wir gleich hier, daß die neuere Bausprache die Bezeichnung «Briisholz» aufgegeben und durch Verallgemeinerung des Ausdrucks 190 «Pfätte» («die Fette», le faîte, aus lat. fastigium, Firstbalken, First) ersetzt hat. Die Briishölzer heißen nunmehr Erster-Stock-Pfätte, wie Zweuter-Stock-Pfätte die «Landhölzer» der gut bäuerlichen Sprache sind.

In das Balkengeviert der Briishölzer wird das Balkengerüst der Zimmer- und Küchen-Decken: der Träämbode, eingefügt.

Nun trägt im Ständerbau ein weiteres Pfostenwerk eine dritte Balkenlage, die sich über Wohnteil und Scheuerwerk zugleich erstreckt: das G’spaan oder der Spannbode. Dieser «spannt» eben beide Teile des éinen Gebäudes strikt zu einem Ganzen zusammen, verleiht — gleichsam als sein Rückgrat — ihm seine Festigkeit und bedarf darum auch des ausgesuchtesten Materials. Dies gilt namentlich von den beiden seitlichen Randbalken des «Gespanns», welche um ihrer (schwierig erhältlichen) Länge willen in guter Mundart Landhöḷzer heißen. (Naheliegend, aber falsch ist die Umdeutung «Langhölzer»; man denke vielmehr an den Begriff des weit Ausgedehnten, der in «Land» liegt; vgl. «Landfaß», «Landregen» u. dgl.) Im besondern sind die Landhölzer und mit ihnen der gesamte Spannboden die Träger des Dachstuhls. Derselbe ist an allen größern Gebäuden des Emmenthals gebrochen, d. h. die beiden Langseiten des Daches bilden in ihrer Längs-Mittellinie einen stumpfen Winkel. Das gibt dem Dach die erhöhte Festigkeit, deren es zum Aushalten der Stürme und der langen schweren Schneelasten bedarf. Der Dachbruch wird erzielt durch ein doppeltes System der Bockstü̦ü̦d. Jedes Landholz trägt bis 8 rechtwinklig eingezäpfte, aber schräg aufgepflanzte un͜deri Bockstü̦ü̦d, auch Bundstüüd, technisch: «Bundstreben» geheißen. In dieselben wieder eingezäpft liegen querüber die Hauptriegel oder Brustrige͜l, gewissermasen die Rippen des Baues. Zwischen sie gesperrte weitere Riegel helfen das schwere Ziegeldach tragen.

Das obere Ende der Bundstreben wird uehe’zäpft in die beiden Tach-Pfätte. Dieselben ziehen sich gleichlaufend und (mit Abrechnung des Dach-Einzugs) gleich lang wie die Landhölzer über dieselben bin.

Auf den Hauptriegeln ruhen die obere Bockstü̦ü̦d = Firststü̦ü̦d oder «Firststreben». Sie vereinigen sich im Firsthoḷz, oder in der Firstpfätte.

Alle diese Dachstuhlbalken erhalten durch schräg gerichtete und mittelst Holzpflöcken eingefügte Bän͜der ihre unverrückbare Festigkeit.

Aufriß eines ältern Bauernhauses mit Schildgiebel und Bühnisbrügg.

Aber auch die Räfen, welche mittelst der aufgenagelten Tachlatten 192 das Schindeldach, besonders aber das schwere Ziegeldach zu tragen haben, bedürfen noch eigener Stützen. Zu diesem Zwecke klemmt sich, durch die Chneu-Pfätten gehalten, zwischen Ziegeldach und Landholz die (kniehohe) Kniewand (Chneuwan͜d) senkrecht oder (bei kleineren Gebäuden) schräg ein. Zur seitlichen Stütze der beidseitigen Dach-Basis aber verlängern sich die Querbalken des Dachbodens über die Landhölzer und über die senkrecht unter diesen aufgeführten Wände ins Freie hinaus. So bilden sie im Scheuerwerk die Schü̦̆pfi, im Wohnhaus die Voge͜ltĭ̦li. Beiderseits vereinigen sie sich in dem dem Landholz parallelen und mit ihm in gleicher Ebene verlaufenden Schüpfhoḷz. Uf d’Schüpfi ụse fŭ̦ḷḷet: 1. wer im Verzetteln des eingefahrenen Dürrfutters den Heustock bis auf alle verfügbaren Winkel unter dem Dach ausdehnt, 2. wer zum Aushalten einer voraussichtlich langen Entbehrung sich ausgiebig sättigt. Zur äußeren Stütze der Schüpfi, wie auch des Rundbogen-Ansatzes, der Geerschiḷtelaube usw. dienen die Büeg (Einzahl: der Bueg). Diese Bauteile wurden in älterer Bauart aus Eichenstamm­stücken gefertigt und zwar, dem Astwerk dieser Holzart geschickt angepaßt (aus der Not eine Tugend machend), eben in Bogenform. Der Name verblieb auch dem Ersatz der selten gewordenen Holzart durch Tannen, deren Struktur keine Krümmung gestattete, dafür aber die anderwärts geschilderte zierliche Ausarbeitung zuließ. Mit der Stützkraft dieser schräg nach außen ansteigenden «Büeg» vereinigt die Tragkraft der wagrechten Unterlage: die Togge. So heißen zunächst die konsolenartigen Laubenträger z. B. zwischen Briisholz und Rickstuud wegen ihrer Schnitzereien, die sich ursprünglich dem puppenmäßig gestalteten Menschengesicht zu nähern liebten. (Tocke heißt sonst Puppe.) Auf solche Künste verzichtend und nur dem Zweck der wagrechten Unterlage dienend, sind die Schüpfi­togge von außen unter der Schüpfi sichtbare Balkenstücke, wie sie besonders deutlich am neuen Wälti-Haus in Unterfürten hervortreten.

Damit ist das Knochengerüst des Hauses vollendet. Nun ziert das Firstgebälk ein bunt bebändertes Tann­grotzli (junges Tännchen). Ein weithin vernehmliches Fụ̈̆răbe-Topple: ein taktmaßiges Klopfen mit Axt und Hammer, bildet das Signal zu wirklichem «Feierabend» draußen, zugleich aber zu einer in Tag verwandelten Nacht drinnen: der Ụụfrichti im engern und engsten Sinn. Die Bauherrin hat ein opulentes Mahl bereitet, dessen man sich bloß in gegebenen Einzelfällen durch eine angemessene Geldgabe entbindet. Dem Abschluß des Werkes pflegt indessen auch die höhere Weihe nicht zu fehlen. Wenn das bebänderte Tannenbäumchen aufgepflanzt ist, wird durch eine von Pfarrer oder Lehrer 193 erbetene Ụụfrichti-Reed ’s Huus iig’sägnet. Hierzu kann bei gegebenem Anlaß der Wunsch gehören, daß der mit einer eben angetrauten Frau Einziehende mit Glück es Huus ụụfrichti, d. h. eine Familie gründe.6

 
1 Ger. Tw. (1789).   2 Spinne 24. 83.   3 Gladbach 1, 24 f.   4 Stickelberger; Gladbach Taf. 1, 14.   5 Ger. Tw.   6 GG. 1, 144.  
 

Altes Tawnerhäuschen.

Aus- und Einbau.

Das an der Hinterseite des Gebäudes die First verstrebende Stotzban͜d führt unser Auge vom «Stotz­schiḷt» genannten dreieckigen Hinterdach abwärts nach der Stotzwan͜d. Dieselbe hat den Zweck, den Bühnenraum möglichst winddicht gegen die Bise abzuschließen.

Das Gegenstück zum Stotzschiḷt an der Hinterseite des Gebäudes bietet der Geerschiḷt an der Front (Abbildung S. 191.) Jener schließt das Dach steil und knapp ab; dieser ist ursprünglich auf Spendung ausgiebigen Wetterschutzes berechnet, was auch die Übertragung vom gêr, gêre, gêren: dem das mittelalterliche Rittergewand erweiternden Zwickel her, besagt. So wird noch heute für verschiebene Kleidungsstücke, die nach unten weiter werden sollen, wie Damenröcke, Unterröcke, 194 Schürzen, der Stoff «z’Geere g’schnitte» (im entspitzten Dreiecken). Den Zweck dieses weit ausladenden Dachabschlusses unterstützt die Front-Laube, welche mit der Zeit immer weiter hinaufrückt. Das Meister-Häuschen (Abbildung S. 193) führt sie vor den Fenstern des obern Stockes vorüber als Fortsetzung der Seiten-Lauben. Neuere Bauten erheben sie als Geerschiḷte-Laube dicht unter den Dach-Rand (Abbildung S. 195). Dem Zweck des Wetterschutzes und dem Trieb nach künstlerischer Ausgestaltung pflegen diese Lauben weit mehr zu genügen, als dagegen dem Bedürfnis nach Licht und Luft in den obern Gemächern. Auch die Geerschiḷtelaube zog sich daher mehr und mehr gegen die Hauswand-Flucht hin zurück und begehrte meist nur noch als bloße Brüstung der Garbenbühne zu dienen. Die damit entstehende Leere unter dem Dachvorsprung wird heute selbst an kleinern Wohngebäuden durch den so viel besprochenen Rundboge in dem Fall anmutig ersetzt, wenn er in schönem freiem Schwunge (wie in Abbildung S. 197), in der Mitte nicht bis zur geraden Fläche gedrückt, sich hinzieht. Daß und wie er ohne Entlehnung aus andern Bauteilen oder gar fremden Baustilen entstanden ist, lehrt die Betrachtung gewisser Emmenthaler-Häuser. Da fordern die zur Ausfüllung jener Leere ins Freie hinaus verlängerten Dachstuhlbalken und die Büge das Auge zum wirklichen Ziehen der durch die ideell vorgebildeten Bogenlinie geradezu auf. —

Eine originelle Art, diesem Bedürfnis nach Licht und Luft bis in einen dritten Ring hinauf auch im Umbau älterer Häuser zu genügen, zeigt Abbildung S. 197.

Große Neubauten aber, wie z. B. das Wälti-Haus in Unterfürten, kehren, den durch ihre Lage gegebenen Wink verstehend, zwei Fronten gegen Licht und Straße zugleich, indem sie auf der Langseite eine neue Giebelfront mit niedrigerer First, ebenfalls rundbogig, einfügen. Ein solcher Seiten-Einbau heißt der Nöörgge͜l, in kleinern Verhältnissen: das Nöörggeli. Der sonderbar klingende Name ist aus der Fügung «en Örggel» (d. h. ein Erker) entstanden;1 ältere Formen lauten «ärkel»2 neben «ärker».3 Dies aber kann4 aus einer jungen (mittel­lateinischen) Mehrzahlform «arcora» zu dem als Neutrum aufgefaßten «arcus» (Bogen)5 hergeleitet werden. Wie gut Nörggel und Bogen auch sachlich zusammenstimmen, lehrt der Augenschein. Noch frappanter ist, wie dieser 195 Rundbogen von Flachmalern je und je als eine Nachbildung des Himmelbogens empfunden und demgemäß bemalt wurde; so z. B. am Rothstalden zu Affoltern, am Wirtshaus zu Rüderswil.

Fassade mit Schildgiebel.

Die Füllung des Balkenwerks für den Riegelbau heißt Ri̦i̦g, für den Ständerbau: Wand; die betreffenden Verben lauten rĭ̦ge, iiwan͜de. Zum Sachbegriff beider Auskleidungen gehört außer dem Fall, wo die Wand wirklich eine Chlackwan͜d (wie auf der Heubühne) sein soll, die Winddichte und vollständige Undurch­sichtigkeit. Denn es ist buchstäblich wie bildlich unerwünscht, daß die Wände neben den «Ohren» o no Chleck (oder Speḷt, Spälte) heigi.6 Darum die Vermehrung und zugleich Verschönerung des Riegwerks nach außen durch Bewurf (den Bstu̦u̦ch, zu b’stächche) und zierliche Vollendung desselben, z. B. durch den Bä́sewurf. Man bäse­wu̦u̦rfet eine Mauer; so auch können mit Kot besprigte Hosen aussehen wie ’bäse­wuurfet; nicht weniger ein häßlich narbiges oder verrunzeltes Gesicht.

Die Auskleidung des Holzwerks am Ständerbau dagegen geschieht durch das rande, d. h. Überkleiden mit kleinen, in ein Halbrund auslaufenden 196 Schindeln. — Zu allem kommt noch das Werk des Anstreichers: das färbe oder aastrịịche.

Zur inneren Deckung des Riegbaus, aber neuerlich auch des Ständerbaus, dient das Getäfel («Getäfer»), das Tä̆fel,7 das «Tafelwerk».8 Einen willkommenen Nebendienst leistet dasselbe noch durch Aussperrung allerlei ungebetener Gäste, die nun höchstens durch nächtliche Lärmszenen sich bemerkbar machen können. (Vgl. auch den erbaulichen Satz: «Da begann Uli zu fluchen, daß den Wanzen im Täfel übel wurde.»9) Neben die handbreiten, senkrecht gestellten Riemen des Chraaḷḷe­täfe͜l («Krallentäfel»10) tritt mehr und mehr das Faas-Täfel (vgl. la face bei «Unterbau»), aus breiten Brettern bestehend.

Ein solches wird nun auch für die Decke des untern Rings herangezogen. Diese Decke (wie die eines Gemachs überhaupt) heißt Tĭ̦li̦. Es Chrüz a d’Tili uehe macht vorgeblich, wer damit sein Erstaunen über ein endlich eingetretenes (glückliches) Ereignis kundgeben will. — «A d’Tili uehe ggumpet» der zornig Erregte. — Der obere Tili naa aber fahrt, wer beim Tanzen in der Stube übermütig hoch aufspringt. Mit diesem «ober» ist gesagt, daß bis heute auch der Fußboden noch etwa Tili heißen kann. Ein im Zimmer epileptisch, ohnmächtig oder sonstwie Hingestürzter ist i d’Tili use g’heit, de̥s ụụs g’heit (g’heit = gefallen, ohne rohen Gefühlston; das «in» aber besagt: in die Mitte des Fußbodens hinein, vor jedermanns Augen.) So ist ja auch die niedersächsische «Diele»11 oder «Dääle»12 der Fußboden. Das Wort geht aber, ohne Beziehung auf irgend einen Zimmerteil, auf die Bedeutung «Brett» zurück und damit vielleicht ebenso auf «Dähle» (Kiefer), wie «Tenn» auf «Tanne». Vgl. die Baslersprache, die das Brett mit «Di̦i̦le», die Zimmerdecke aber mit «Bi̦i̦ni» (Bühne) bezeichnet. So heißt uns ja die Decke eines Gemachs auch der ober Bode: dieselbe Relativität der Orientierung (vom jeweiligen Standpunkt des Sprechenden aus),13 die wir unter «Dach und Fach» noch bei «Estrich», «Söller», «Gaden» antreffen werden, die aber wie ebendort allmählich einer absoluten Bezeichnungs­weise Platz macht.

Neuer Anbau mit Rundbogen.

In ältern Gebäuden ist ja auch die Decke der untern Gemächer identisch mit dem Fußboden der obern; und wo die neuere Bauweise sie trennt, werden sie analog gefertigt: dem Decken-Getäfel der neuern Bauten entspricht der immer häufiger eingebaute Parkettboden. Über jenem und unter diesem wird in gleicher Weise der rohe Schieb (Schiebboben) 198 zwischen die Nuten der Trääm eingetrieben. Im ältern Gebäude dagegen mußte man auf andere Weise für Dichtigkeit des einfachen Belags sorgen. Man hatte damit zu rechnen, daß selbst das dürre Holz noch immer den Temperatur-Einflüssen unterliegt, daß es immer noch «arbeitet»; es schaffet noo, es het no nid verschaffet. Bald also zieht es sich zusammen: es zieht sich, wobei es häßliche Spalten (Chleck) hinterläßt. Bald schwillt es auf (es g’schwallet), wirft sich auf und bildet kleine Firstchen: es trööglet sich. Als Reserve barg sich daher (teilweise herausragend) innert der Firstwand der Tschüepe­lade, der im selben Maße, wie der übrige Bodenbelag eintrocknete und klaffte, nachgeschoben werden konnte. Über seine Bedeutung in der Sitte des «Andreselns» wird im Schlußkapitel berichtet.

Keine so mystische Rolle spielt der Un͜der­zu̦u̦g: der mächtige Balken, welcher der Scheidewand der Untergemächer die Decke der letztern tragen hilft und sich daher in die größere äußere Stube heruntersenkt. Mit ihm hat drum auch schon mancher unbedacht hochgetragene Kopf unliebsame Bekanntschaft geschlossen. Für solche Unbequemlichkeit entschädigt die Spalte, die sich durch Austrocknen des Balkens zwischen diesen und der Decke allmählich bildet, durch die unschätzbaren Dienste, die sie dem Haus als Brief- und Zeitungshalter, ja (vermittelst eines angebrachten Bäichli) als Verwahrer des Schreibgeräts leistet. Im Unterzug steckt die Brattig (der Kalender); stecken Korrespondenzen, deren Urheber mir-aa no chlii cheu warte. In ihm als wahrem Familien-Archiv verbergen sich aber bisweilen sogar äußerst wertvolle alte Dokumente, seit Urgroßvaters Zeiten hier vergraben und vergessen, bis etwa die Nötigung, ’s Huus z’un͜derzieh, den in Sachen erfahrnen Zimmermeister auf solche Urkunden-Schätze stoßen läßt.

 
1 Etwa wie en iedere (ein jeder) e niedere, es nieders.   2 Vgl. Äpfel = Öpfel.   3 Etwa wie Körper = Körpel.   4 Kluge 592.   5 Also wie corpus, corpora. Wie ital, il corpo zeigt, gingen im Vulgärlatein die männlichen o- und u-Stämme und die sächlichen os-Stämme durcheinander; vgl. Georges 1, 404.   6 Christen 184.   7 ABB. A. (1783).   8 Ök. Q. 10, 2, 45.   9 Schuldb. 108.   10 Lf. Spitalbau­rechnung (1901).   11 Volksk. 55 ff.   12 Bschweig 154 ff.   13 Vgl. Abels «Gegensinn der Urworte».  
 

Tür und Fenster.

Lichtfreude und Sonnendurst charakterisieren das echte Emmenthaler­haus; Verkehrslust und einladende Gastlichkeit reden aus ihm. Überhaupt «spricht das Bernerhaus an durch lustige Fensterreihen, wohnliche Lauben und zierlichen Fassadenschmuck unter dem stolzen Walmdach.»1 Allein «die emmenthalischen Gebäue können mit Recht allen anderen ländlichen Bauarten den Vorzug streitig machen,»2 und «Mann wirt kaum an irgend einem Orth so Allgemein schöne, große und komliche (chu̦mmligi 200 = bequeme) Bauernbehausungen antreffen,»3 als «die schönen, wohlgebauten, heitern und niedlichen hölzernen Emmenthaler Bauernhäuser»,4 die doch bei aller Zierlichkeit, dem Charakter der Bauenden entsprechend, «etwas Positives an sich tragen.»5 Wer aber an diesen teilweise «großen, saubern und stattlichen Bauernhäusern und Landsitzen»,6 diesen «glitzernden Emmenthaler­häusern, den appetitlichsten Bauernhäusern der Schweiz, vielleicht der ganzen Welt»7 und an ihrem Gegensatze zur alten Ritter- und Untertanenzeit8 «sich erbauen will»,9 verschaffe sich einen Gesamt-Überblick über die von uns gebrachten Häuserbilder.

Grund- und Aufriß eines alten Tawnerhäuschens.

Der Vignette zu Anfang unseres Kapitels «Daheim» (S. 167) lassen wir hier die Abbildung eines andern unserer ältesten Gebäude folgen: des Meister-Hüsli zu Waldhaus (Abbildung S. 199). Es ist dasselbe Häuschen wie in Abbildung S. 193, aber mit der von Architektenhand nach sorgfältigsten Messungen rekonstruierten ursprünglichen Fensterverteilung.

Ein interessanter Vergleich! Im Bifängli (S. 167) sind die zahlreichen Fenster von vornherein unsymmetrisch angebracht. Voll und ganz flutet das Licht in die obern Räume hinein, während unten die Heiteri (Tageshelle) mit der Bequemlichkeit der Bett-Eggen kämpft, die in Plan und Sprache des Hausbaus eine so große und bisweilen übergroße Rolle spielt. Das Musterhafte der Anlage liegt aber hier in der Durchführung des Grundsatzes, daß wie alle Bauteile, so auch Türe und Fenster sich ihrem Zweck unterzuordnen haben: den Wohnraum wohnlich zu machen. Das Wohnliche ist aber auch hier das Gefällige. Eine durchgeführte Fenstersymmetrie würde den Anblick dieser breiten Front langweilig, eintönig machen, und vollends würde die moderne Auskunft, eine Symmetrie durch faḷtschi Pfäister (Scheinfenster) vorzutäuschen, sich hier in ihrer ganzen Unausstehlichkeit zeigen.

Anders steht die Sache bei schmalen Fronten kleiner alter Wohnhäuschen, deren kleine Fenster mit den winzigen Scheiben und den vielen Holzrahmen nur dann heimelig aussehen, wenn sie in dicht­geschlossener Reihe sich ans Licht sozusagen drängen, wenn sie der Sunne rüeffe. Diesem Bedürfnis entsprach mit seiner ursprünglichen Fensteranlage das Meisterhüsli. Es trifft also hier völlig zu, was 1772 Pfarrer Ris in Trachselwald10 schrieb: Der Vorderteil des Hauses erhält so viele Fenster, als der Raum nur fassen kann. «Sie sind gewohnlich 3½-4½ Schuh 201 hoch und bis 3 Schuh breit, daher die mehreren [meisten] in den untern und obern Theil abgetheilt sind, die übrigen aber zwei untere und einen obern Flügel haben, die geöffnet werden können. Die Scheiben sind von hellem Glas, die Rahmen mit Öhlfarb angestrichen.»

So «blitzt»11 und glitzert es noch heute, wenn die Sonne zur Rüste geht, von den einsamen Gehöften westwärts gelegener Bergseiten herunter und herüber, erst als wären sie in eitel Feuer getaucht, dann wie von Purpur übergossen; die Fenster «glänzen in stummer Freude.»12 Allerdings fehlt es auch nicht am Gegenbild «gestorbener»,13 «blinder»14 Scheiben als Wahrzeichen inneren Elendes. Auf Hablichkeit deutet aber hinwieder die teilweie künstliche Verdunkelung im Sommer durch das aus seinem grünem Drahtnetz gefertigte Fleuge-Pfäister vor einen gewöhnlichen Fenster oder an Platz eines solchen. Es gewährt zugleich kühlenden Luftzug und Schutz vor Geschmeiß.

Schon 1772 finden wir die untern Gemächer im Winter auch mit Vorfenstern versehen15 (um Zürich erst im 19. Jahrhundert).16 Spaßweise werden auch die Brillen von ihren eigenen Inhabern etwa Vor­pfäister gescholten.

Zum Schutz der Fenster im Sommer gegen Ungewitter hängen neben ihnen (auch über Winter dort belassen) die Feeḷḷlade (-wwl-): in éinem Stück das Fenster von der Seite her deckende Bretter. Da man sie heute noch vorzugsweise an Kramladen sieht, läge Anknüpfung an das Feeḷ haa (feilhalten) von Waren nahe. Die über den Fenstern von Webkellern und alten kleinen Werkstätten zum Herunterlassen (Fällen) hängenden Laden jedoch geben der Vermutung Raum, es könnte hinter «Feeḷḷlade» ein nur noch in der Zusammensetzung erhaltenes «feḷḷe» (fällen) stecken. (Fäle heißt heute noch ein — nicht kunstgerechtes — Ringen unter Knaben). — Drastisch nennt Bitzius17 «Fällladen» oder «Fellladen» auch die im Schneesturm sich schließenden Augenlider.

Handlicher und hübscher sind die flügelartigen, mit ihren fixen oder beweglichen Brĭ̦ttli Licht und Luft durchlassenden Halbladen18 oder «Jalousies»: Schälesịi (-Läde), in der Ostschweiz «Balken» geheißen. Sie verleihen mit ihrem grünen Anstrich dem Hause Sommer und Winter ein äußerst malerisches Ansehen.

Und nun der Verkehr zwischen außen und innen, zu dem das Fenster Raum und Gelegenheit bietet!

Leise, leise töppelet am Pfäister­sinze͜l jede Nacht die aus dem Grabe vor ihr Sterbehaus zurückkehrende Kindbetterin, bis man 202 die dem Leichenanzug vorenthaltenen Schuhe dorthin gestellt hat. Ebenfalls etwas unheimlich und doch Vertrauen erweckend durch die Wahl dieser den Schall dämpfenden Stelle, naht beim Einnachten der Schuldenbote einem der Schonung würdig befundenen Hause und klopft auf dem hölzernen Gesimse statt an der klirrenden Scheibe. Drum mag’s bei dem einen oder andern heißen: I mues däich huuse, süst chunnt mer de no der Weibe͜l cho gḁ mit dem Haagge-Stäcke uf e Pfäistersinze͜l topple. An eine Ehrenschuld dagegen mahnen die schon kecker ans Fenster pickenden «Vögelein»,19 die ihren Tribut auf dem Sinze͜l erwarten. An des Taglöhners Fenster hoschet20 (-ŏs̆s̆-) es beim Einnachten21 und im Morgengrauen als Bestellung zur Arbeit. Durch Klopfen am Stüblifenster ruft der Bauer den Knecht hinein;22 die Faust trommelt am Fensterrahmen, wenn die Schulpause vorüber ist, oder wenn die Kleinen vor dem Haus eine Dummheit anstellen.

Gleichsam das Fenster im Fenster, eine Verjüngung dieses Verkehrsgliedes und die Quintessenz seiner Bequemlichkeit ist das Läufterli. Es besteht aus einer Scheibe mit einem Rahmen, der vom übrigen Fensterkreuz durch größere Dicke sich abhebt und bei älterer Bauart hin und her schiebbar in Nuten läuft. (Daher die ursprüngliche Form Läufferli,23 in Luzern u. a. «Läuffer»).24 Der Name ging teilweise auch noch auf das nach innen, am Vorfenster nach außen sich öffnende Flü̦̆geli über. Mittelst des Ri̦geli, welches am Vorfenster über die Strịịch­naadle läuft, preßt das Flügeli sich winddicht an.

Mangelnder Sinn für richtige Lüftung begnügte und begnügt sich mit diesem Läufterli,25 dessen leichte Handhabung auch nicht selten zu Einbrüchen ermutigte.26 Um so geeigneter ist es, aus sicherem Versteck nach Herzenslust der Neugier zu frönen,27 aber auch in allerlei Tonarten dem Draußen­stehenden Red’ und Antwort zu geben; sei’s, indem freundlich ein Köpfchen sich herausschiebt,28 sei’s zu barscher Abweisung,29 die bis zu brutaler Herzlosigkeit sich steigern kann.30

Aber selbst der Inhalt eines ganzen Romans kann sich binnen weniger Minuten unter dem Läufterli abwickeln. «Jener Ätti» rief, um für seinen Sohn den Brautwerber zu machen, den Schwiegervater in spe spät am Abend ans Läufterli. Die Unterhandlung zerschlug sich 203 aber an der Ehesteuer-Frage, und der Alte «machte satt (gelassen) das Läufterli zu.»31

Besser eben, die Jungen nehmen solche Angelegenheiten selbst an die Hand. Drum gilt nach dem Satze «ländlich, sittlich» die Spezial­bezeichnung pfäistere nur éiner, und zwar der delikatesten Art des hier skizzierten Fenster-Verkehrs.32 Ihre Bedeutung aber geht aus der Jungburschen-Sentenz hervor: «Pfäisteret ist no nid g’hüratet.»33

Ohne lautes noch leises Klopfen, ganz, unvermerkt und ungeahnt, bewerkstelligt sich der feinste Verkehr dür’s̆ Pfäister von Seite der heimkehrenden Eltern und Meisterleute. Ihr erster Blick dringt zo’m Pfäister ịị in die Stube, um in aller Stille und Sicherheit sich zu orientieren, wie drinnen die Sachen stehen.34 Denn «auf dem Lande, namentlich auf einsamen Höfen, ist man eben nicht stark mit Vorhängen versehen, wie in den Städten. Wahrscheinlich hat man nicht so viel zu verbergen.»35

Einer andern sorglichen Obacht dürfen wir soeben Zeuge sein. Im ältern Nachbarhause hält ein neugetrautes Paar seinen Einzug. Mit welcher Sorgfalt da die Frau uber d’Schweḷḷe trappet! Denn weh, wenn sie stolpert (stŏglet)! Wenn ere der erst Schritt fähḷt, so het aḷḷs gfähḷt! Es ist grad, wie wenn der erst Nage͜l, wo men i d’Schweḷḷe vo mene neue Huus ịịschlaat, rauchnet: es fähḷt nid, daß d’s Huus verbrönnt.36 Scharf achten daher noch da und dort beim Hausbau die Eigentümer darauf, ob während des Eintreibens der Schweḷḷe-Nage͜l öppe rauchni. Wie leicht malt da die Suggestion ein kleines Räuchlein vor, und die Freude am neuen Haus ist im Keim verdorben. O wetsch, üsers̆ Huus verbrönnt, gä́b’s lang geit!

Doppelten Grund zu solcher Besorgnis hat eine Spekulantin, die unabtreiblich alles dran gewendet hat, Bäuerin zu werden; die am Änd noch un͜der der Schweḷḷe ihe g’lochet het, wie der Fuchs, der in den Hühnerstall will. Hätte der Umgarnte zu guter Zeit gesagt: du chunnst mer nümme n uber d’Schweḷḷe! nümmen un͜der d’Tür! Oder hätte er mit seinem Sarkasmus sie eingeladen, d’Tür ussefert (draußen) gă zue z’tue! Alles je nach dem Ton, womit si n ihm gäng vor der Tür gsi ist, oder gar mit der Tür i d’Stube g’heit ist.

Jez chunnt er z’spät zom Chehrum-Türli37 (vgl. der riuwe tôr);38 vor em Lumpetürli39 kann den Weg dunkler Existenzen 204 beschreiten, oder doch kleinlaut gleichsam als Türli­gịịger hin͜der em Türli gịịge40 (statt frisch und keck sich im Saale hören und beklatschen zu lassen). Oder er muß hin͜der d’Tür ga staa (i’s Eggeli), wie Kinder, die man dorthin schickt, wenn man sie nicht gar vor d’Tür use steḷḷt.

Derartige Strafen drohen nämlich Kindern, welche beispielsweise sich immer noch nicht an eine richtige Handhabung der Türe, zumal der Stubes-Tür, gewöhnt haben. Die einen können sie nicht anders als schmetternd schließen: (d’Tür) schletze,41 d’Tür zuuschlaa. Eine Unart, die man auch etwa mit dem Zuruf straft: Es an͜ders Maḷ häb de d’Nase derzwüsche (nämlich zwischen Tür und Pfosten)! — Nicht weniger widerlich ist die Salopperie gewisser Leute, welche überhaupt nie cheu d’Tür zuetue. Es gibt solche, denen man alle Augenblicke zurufen muß: d’Tür zue! d’Türe! Wo ist d’Türe? Heit der daheimen o ne Tür? oder: o nes Loch? — Endlich gibt es Menschen, die statt zweier Gänge deren ein Dutzend machen müssen und durch unaufhörliches Schließen und Öffnen einem bequem in der Ofenecke Gelagerten den zarten Ausruf entlocken: das Cheibe tü̦ü̦re da gäng!— «Z’Trachsel[wald] obe (nämlich im Schloßturm), da ist Ordnig, da wirt nid gäng ’tü̦ü̦ret!» meinte einer, der einige Tage als Wilderer dort gesessen hatte.

Zur guten Erziehung gehört eben auch die Feinfühligkeit, womit man nicht bloß im richtigen Augenblick zum Abschied aus fremdem Hause bildlich d’Tür i d’Han͜d nimmt42 (vgl. prendre la porte), sondern auch im eigentlichen Sinn sie zum Öffnen und Schließen leicht beherrschend in der Hand behält, bis sie in letzterm Fall, leise klickend, ịịchlepft. In Wahrheit ist die Türe das in die Hand genommene Barometer des Gemütszustandes. Und sie richtet sich in der Art, wie sie ins Schloß fällt, nach der Mehrzahl der sie Handhabenden. Wie anders das leise Öffnen und Schließen einer «in den Angeln verschwiegenen Tür»,43 wie anders die Kellertüre, deren Gị̆garsche dem Vergleiche ruft: si het e Stimm wi ne rostigi Chäḷḷertür!

Hinter der Haustür: welche Verschiedenheit des hier waltenden Geistes! Einen so ganz andern Eindruck machen: die einst offene Tür des gerichtlichen Audienzsaales wie im Brandis-Schloß;44 die außer Nacht und Winter allezeit offene Tür des alten Bauernhauses; die sorglich zugemachte Stöckli-Tür eines Glungge-Joggeli.45 Schon ein Kind von der Geistesart eines Erdbeeri-Mareili fühlt, wie ihm aus 205 jeder Haustür «ein eigener Geist entgegenweht: ein milder, freundlicher; ein roher, hochmütiger; ein lustiger oder ein lüsterner; ein nobler oder gemeiner.»46 Und zwar teilen sich hier in die Rolle der vordere Tür, d. i. der eigentlichen Haupt- und «Haustür» einigermaßen auch die hin͜deri Tür, die zu allstündlicher Hantierung am Brunnen, im Kleinviehstall führt, und die beiden Seitentüren, denen je nach Umständen die nämliche Bedeutung zukommt. Gar manche Frau zwar gibt es, «welche bei der hintern Türe gut macht, was der Mann bei der vordern sündigt.»47 Allein von einem städtischen Unterschied zwischen «Hintertür» samt «Hintertreppe» und Front-Eingang ist zumal im Bauernhause keine Rede. Die stramme oder laxe Zucht des Hausgeistes macht sich da wie dort in gleicher Weise geltend; und wo die nach alter Bauart (vgl. Abbildung S. 134) wagrecht halbierte Haupttür im untern Teil gewöhnlich geschlossen, im obern tagsüber offen bleibt, können ungehindert Küche und Straße in regem Verkehr bleiben, können Gerüche hinaus-, Gerüchte hereindringen.

Diese oberi und un͜deri Tür erinnert an die senkrechte Teilung in die beiden Flügel des Tores und den Ausschnitt eines derselben als Tööri. Entsprechend der Zweiteilung in Flügel, die bei der Türe der Alten stattfand, wurde teilweise in alter Sprache48 auf deren Bezeichnung die Zweizahl angewandt, und glaubhaft schreibt sich von daher auch unsere Doppelformigkeit Tür und Türe̥ bei durchaus gleicher Bedeutung. Ob aus analogen Gründen auch unsere Mundartform das Pfäister aus einer versteinerten Mehrzahl («d’Fäister») zu deuten sei, ist eine Frage für sich.49

Sämtliche Schlosserarbeit an Türe und Fenster heißt das Beschläge: das B’schlẹẹg oder B’schlĕcht («Beschlecht»).50 Die Teile desselben entsprechen sich wie folgt: Die beiden Spangen oder Chrụ̈z der Türe (Abb. S. 152) drehen sich mit ihrem Rohr (die Roḷḷe genannt) in der Türangel, welche der Chlŏbe heißt. Doch ist auch der Ange͜l (die Angel) in der Bilderrede gebräuchlich: mach, daß d’Tür nid us den Angle geit, d. h. trage Sorge, daß die Angelegenheit nicht verdorben wird. So auch drehen sich die Roḷḷe der beiden Winkel eines Fensterflügels im Stü̦tz­nage͜l der Stü̦tze, deren eingenagelter unterer Teil, das Stütz­blatt, das Ganze trägt. — In die Schlies­häägge ober- und unterhalb des Fensters greifen nach älterer Bauart die beiden 206 Rĭ̦ge͜l, greift nach neuerer Konstruktion die Pfäister­stange ein, welche in vier messingenen Gsänk sich dreht. Das mit der Hand ergriffene Rueder (l’espagnolette) senkt sich beim Schließen des Fensters in den Rueder­haagge ein. An der Tür entspricht hier das moderne Schloos, dessen Klinke oder Drücker (Trucker, Abbildung S. 155) häufig immer noch d’Faḷḷe,51 d’Türfaḷḷe heißt. Die alte wirkliche «Falle» (Abbildung S. 150) ist eine hölzerne oder eiserne Zunge, die man zum Öffnen (Ụụftue) mittelst eines Hebe-Riegels oder mit bloßer Hand hebt (lü̦pft), zum Schließen (Zuetue) fallen läßt. An der Stalltür, ehedem auch am Speicher52 und an Turmzellen,53 schiebt sich der eiserne Saare hin und her, während sein Handgriff zum Schließen mit dem Schlüssel (fermer à la clé, b’schließe) eingerichtet ist. — Den modernen Eisenschlüssel ersetzt noch da und dort der hölzerne Riegel, auch nur das Rĭ̦geli. Eim ’s Rigeli stoße: «den Riegel schieben». Respekt-gebietender als das durch Kuhn berühmte strauig Rigeli ist so ein über die ganze Tür sich legender solider Holzriegel, wie wir hier einen aus einem Mädchen-Gaden abbilden.

Innerer Türverschluß eines Mädchengadens.

Die Einbruch-Sicherheit der Speicher aber garantieren neben Vorrichtungen wie auf Abb. S. 152 die «währschaften» Spịcher­schlüsse͜l (Abb. S. 207) oder «Plampen­schlüssel»54 samt entsprechendem Schloß. Schon zugänglicher für Diebe waren, trotz dem knackend einspringenden Chlepf­schloos oder Schnäpper, die alten Tröge, deren Schlüssel, wie es scheint, unschwer durch einen eigens erstellten «Trog-Passepartout»55 illusorisch zu machen war. Ein Einbrecher, der im Besitz eines solchen betroffen wurde, gab ihn für einen «Roon­schnuer­haagge» (S. 185) aus.56 Verschlüsse aller Art, z. B. auch an Fesseln (Handschellen) Strafgefangener,57 bewerkstelligen sich durch das Vorlegeschloß: «Mălet-»,58 «Mahlen-», «Malsen-», «Malzen-»,59 Maḷze-, Schmaḷze-Schloos oder Schlö̆ßli. — Jedes Handhaben eines solchen Schlüssels heißt bschließe oder gegenteils ụụfbschließe. Eine Sache einschließen, 207 eine Person einsperren: sie ịịb’schließe; sie aussperren: sie ụse­b’schließe. Ein Schieben des Riegels mit Steckenlassen des Schlüssels: fü̦ü̦rträäjje, der Schlüsse͜l trääjje.

Der Schlüsse͜l i d’Han͜d: Hat der Bauvertrag dahin gelautet, so überreicht der Unternehmer dem Bauherrn das neue Haus in aller Form Rechtens fix und fertig zum Einzug.

 
1 Volksk. 79; vgl. Gladbachs schöne Einführungsworte 1, 1 ff.   2 So 1783 der Notar Hauswirth aus Saanen (1, 3).   3 Pfarrer Ris in Trachselwald (1772) in Ök. Q. 10, 2, 39.   4 Kuhn AR. 1822, 80.   5 E. A. Türler 17.   6 Walser im geogr. Lex., Art, «Bern».   7 Wass. 50.   8 Kurt 4.   9 Elsi 47.   10 Ök. Q. 10, 2, 40.   11 Kurt 4.   12 Ztgst. 2, 45.   13 SchM. 2, 362.   14 Sylv. 260.   15 Ök. Q. 10, 2, 40.   16 Zollikon 318.   17 AB. 2, 390; SchM. 2, 77.   18 Goethe.   19 137, 140, 147.   20 Dursli 245.   21 Käthi 153.   22 UP. 127.   23 SchM. 1, 289 Hs.   24 Schwz. Id. 3, 1146.   25 SchM. 1, 305; 2, 368; MW. 27, 176.   26 Ger. Tw. (1792. 93).   27 MW. 27, 273; AB. 1, 155, 347; 2, 63; SchM. 1, 120; BwM. 169; BSp. 56.   28 AB. 1, 434.   29 Ztgst. 2, 127; SchM. 1, 239; Schuldb. 161.   30 Vögelein 43.   31 GG. 2, 106/7.   32 SchM. 2, 456.   33 Joggeli 24 (wo «Fenstern» zu lesen).   34 SchM. 1, 18.   35 Ztgst. 1, 63.   36 AB. 1, 448.   37 Ztgst. 2, 76; Burri VI.   38 Parzival 649, 28.   39 Barthli 16.   40 AB. 2, 135.   41 MW. 27, 256.   42 Gf. SF. 1902, 293.   43 WwW. 167.   44 ABB, B 306.   45 UP. 371. 392.   46 EbM. 273. Vgl. Ankers Bild.   47 Wege 305.   48 Z. B. in lat. fores neben foris, griech. thyrai neben thyra.   49 Man beachte die Flüssigkeit der sogen. Verschiebungs­stufen; z. B. auch bei unserem «Flueg» = Pflug; städtischem «pflänne» = flennen, «Pflegel» = Flegel, «pflätschnaß» neben flätschnaß, oder zürch. Seipfe, Seupfe = Seife.   50 ABB, A (1783).   51 GG. 3, 160.   52 Ger. Tw. (1791).   53 Ebd. (1789).   54 Ger. Tw. (1793).   55 Ebd.   56 Ebd.   57 Ebd. (1789).   58 Dursli 297.   59 Ger. Tw. (1789. 92).  
 

Dach und Fach.

Hölzernes Speicherschloß, von innen gesehen, mit eisernen Schlüsseln.1

Unter éinem Dach so viele Räume, als dies ästhetisch angeht und ökonomisch vorteilhaft erscheint: das ist also ein Haupt­charakterzug des emmenthalischen Gehöfts. Das éine Dach birgt eine ganze kleine Welt, die der Bauer mit Recht sein Huus u Hei nennt. Z’Huus u z’Hei spediert ihm der Müller Mehl und Brot; z’Huus und z’Hei führt oder schleppt das Gesinde den Ertrag des Feldes; und wenn das nicht aus- und eingeht, wie am Bienenstand, «so chöme mer no vo Huus u Hei».

Das Tach — um hier, im Gegensatze zur «Ụụfrichti», mit diesem zu beginnen — gilt nicht selten als Stellvertreter des ganzen Hauses. Chumm mer nümmen un͜der’s̆ Dach, oder: i ’s Huus, oder: uber d’Schweḷḷe! lautet das emmenthalische Hausverbot, dem anderseits ein: däm gaan i nümmen un͜der’s̆ Dach! entspricht. Diesem Äußersten muß freilich schon ein stark aufflammender Zorn voraus­gegangen sein, der zum Ausruf reizte: iez isch ’s Fụ̈ụ̈r im Tach!

Das winterliche Klima des Emmenthals erfordert vor allem ein der Schneelast sich rasch entledigendes steiles Dach; die Dachung ist beinahe oder ganz i Winke͜l gsteḷḷt1a: der Winkel der First nähert sich dem rechten (S. 123). Vgl.: stotzig wi n es Hụ̆sdach.

Eine andere Abwehr, die dem Teck (Dachdecker) obliegt, gilt dem Hagel, der unbarmherzig gleich Faustschlägen, Scheltworten, massiven Anspielungen eim uf’s Tach git; sodann natürlich dem Regen.

208 Diese Anforderungen schließen vor allem den Tonschiefer als Bedachung aus. Nur die Pleiki (Bleicherei) darf, entsprechend dem stattlichen geweißten Haus, auch das weißgraue Schieferdach sich als Gewerbesymbol zulegen. Wegen Feuer­gefährlichkeit, die auf den zerstreuten Gehöften unserer Gegend füglich eine «vermeintliche» geheißen werden darf, ist heute auch hier der Ziegel das obligatorische Dachmaterial. Zum hölzernen Haus und zum hölzernen Gartenzaune gehört im Grund die Dachschindel — Schin͜dle. Sie einzig, neben dem noch alt-oberaargauischen und ‑seeländischen, vormals auch emmenthalischen Strautach (Strohdach), das denn doch «wie alte wüste Nachtkappen über die kleinen Fenster hereinhing»,2 schützt wirklich das Haus gegen Schnee, Regen und «Ohngewitter».3 Dem Bedürfnis der Gefälligkeit aber entspricht ihr Zuschnitt: nicht der der ziegelartig dicken und breiten Lander des Oberländer-Alpenhauses (Länderhuus)4 mit seinen gegen den Föhn erforderlichen «zäntnerige Tachnẹgle», sondern der 1 mm dünne, Handbreite und 18 cm lange, der freilich auch schon für ein einziges Dach viele Bu̦rdine (Bürden, Bündel) fordert. Daher der Vergleich: «Kinder in den Häuschen fast so viel wie Schindeln auf den Dächern.»5 «Ein solch Schindeldach haltet aber auch ohne einiche Außbeßerung 30 bis 40 (in Wahrheit bis 60) Jahre.» «Ein Klafter solch Schindeldach kostet, wann der Deck dazu alles anschaffet, vierzehen Batzen.» (1762.)6 Zu all diesen Vorteilen kommt der wohltätige Ausgleich sommerlicher Hitze und winterlicher Kälte zu einer behaglich hĭ̦ḷben Temperatur. Die vom Wetter dem Schindeldach rasch erteilte grauschwarze Farbe aber drückt dem ganzen Haus in unnachahmlicher Weise den Stempel des echt Bäuerlichen auf: des zugleich Stattlichen und Wohnlichen, des Soliden und Trauten mit éinem Mal. ’s Ziege̥ltach stẹdtelet («städtelt»).

Zum Sammeln und Ableiten des Regen- und Schneewassers ist an allen neuern Gebäuden früher der hölzerne, jetzt der blecherne Tachchä̆ne͜l mit dem zur Erde leitenden Stotzchäne͜l7 angebracht. An seine halbrunde Eintiefung erinnert der Flurname Chäne͜lbóde.

An alten Häusern fehlt solche Vorrichtung, und bei jedem Regenfall geit da, nach beliebten Kinderrätsel, «öppis um’s Huus ume u macht gäng tịppi tappi.» Das hiedurch rasch gebildete Rinnsal ist ein rechter Wonneort für spiellustige Kleine, die überall dabei sind, «wo’s öppis z’choslen u z’gäutschle git». Was war eines dreijährigen 209 Mädchens erster Gruß an sein Heim nach achttägigem fröhlichem Verwandten­besuch? Hurrti e chlịị i das Grebeli ihe z’hocke, das der Regen vor dem Hause ausgewaschen hatte. Allein neben dem Spiel der Jungen fehlt auch hier der Ernst der Alten nicht. Erwähnen wir als uralt bloß zwei kultische Gebote. Kindbetterinnen dürfen vor dem ersten Kichgang nicht vor’s̆ Dachtrauf use ihre Schritte lenken. — Kinder lernen eher gehen, wenn man sie am Sonntag Morgen während des Kirchengeläutes im Dachtrauf ume füehrt. Ein Hagelwetter aber wird dadurch abgelenkt, daß man das eben im Gebrauch stehende Tischtuch us der Tischdrucke nimmt un i’s Dachtrauf spreitet.

Alte Dorfschmiede.

Ebenso alt ist die Sentenz, daß, we men im Räge gsi ist, me si nid gärn no un͜der’s Dachtrauf laat.8 — Zur Variante oben zitierter Wegweisung: «chumm mer nid un͜der’s Dachtrauf!»9 bildet es einen lieblichen Gegensatz, wenn ein den Ehemann zu einem schönen Werk «fromm b’segnendes» Mueterli «im Dachtrauf steht, so lang es das Rollen der Räder hören» kann.10 Ein Beweis trauter Häuslichkeit, dessen auf Augenblicke selbst eine Jowägerin fähig ist.11

In halber Höhe der Dachung, die das Scheuerwerk schirmt, breitet sich in manchem Gebäude ein Boden aus, der in andern mit der Bünisbrügg 210 zusammenfällt: der Söller, Soḷḷer (lat. solarium, Platz zum Sonnen12). Er dient dazu, das im Spätjahr naß eingesammelte Getreide «zu zerlegen»13 und auf das Dreschen hin zu trocknen. In diesem Sinn ist die Deutung «Kornboden»14 (verschieden von dem im Speicher) zu verstehen. Der eigentliche Garbenstock (nach dem Dreschen das Stroh) wird, wie in Trub,15 über den Obergaden des Wohnhauses angelegt. Die Reiti, wie wir statt «Soller» häufiger sagen, ist bei ihrer Abgelegenheit ein geeigneter Ort, um wie Hansli Jowäger16 vor unerwünschtem Besuch auszukneifen. Verhängnisvoll wurde nur schon zu oft das manchenorts übliche Fehlen einer Schutzlehne um das in der Mitte viereckig ausgesägte Reitiloch, durch welches die Bünis­leitere17 (Bühnenleiter) die Verbindung zwischen Söller (Bühnenbrücke), Heubühne und Tenne herstellt. In ältern Gebäuden pflegte nur von Boden zu Boden eine dünne vierkantige Säule (die Stĭ̦gle oder Stig­leitere) mit beiderseits herausragenden Sprossen (Stŏglen) zu führen.

Die Bü̦̆ni (Bühne) ist also in jedem größern Gebäude doppelt: über den Wohnräumen dehnt sich, den Estrich fast oder ganz verdrängend, die Getreide- oder Stroh-Bühne aus; über dem Stallwerk liegt, diesem im Winter die Wärme erhaltend und in dem untersten Heuschichten die nicht genügend durch das Dampfrohr abgeleiteten Stalldünste unliebsam auffangend, die Heubüni, gewöhnlich kurzweg: d’Bü̦ni. So sagt man von zwei auf die Dauer uneins Gewordenen, aber auch von Solchen, deren Charakter, Gesinnungs- und Denkart nicht zusammen stimmt: si hei ’s Heu nid uf der glịịhe Büni. Heu vo der Büni abe gää, Heu obenahe gää (d. i. zum Verzetteln und Futterrüsten in die Tenne hinunterwerfen) heißt: neue Ideen entwickeln, damit andere durch Diskutieren und Fruchtbarmachen derselben sich Namen, Ruf und Gewinn erwerben können. Jez ist Heu gnue ahe! (nun ist’s genug!) ruft ein Erzürnter, Entrüsteter,

Neue Auflage der Heinzelmännchen: In einem Bauernhause het e Chuenz gäng Heu aheg’gää, so daß dessen allezeit genug in der Tenne lag. Dafür reichte man ihm jedesmal, we me g’chüechlet het, das erste Chüechli an einer Gabel durchs Fueterloch hinauf. Einmal unterließ eine geizige Bäuerin die Gabe, u sider het e ke Chuenz meh Heu aheg’macht.

Ein schmerzlich humoristisches Wortspiel lautet: Heu­schrecken uf der Büni: 1. «Schrecken» beim Anblick des schwindenden Heus; 2. gleichsam «Heuschrecken» (locustae, sonst Heustü̦ffe͜l geheißen), welche 211 selbst auf die Bühne alles zu fressen kommen. Ebenso doppelsinnig: es het es Unglück ggää (nämlich:) ’s Heustöckli ist umg’heit. We’s nume grööser wär (nämlich ’s Heustöckli)! Ein anderer humoristischer Satz lautet: Sị Chatz ist iez afen übel z’wääg: sị cha nümmen uf em Heustock lige, ohni daß si der Grin͜d oder der Stiil druber uus het.

Bünisbrügg.

Die Bühnenwand gegen Osten ist behufs Durchlüftung und Belichtung mit seitlichen Spalten durchbrochen. Diese heißen Chlẹck, mit seltenerm, (im Oberland noch lebendigem) Ausdruck: die Gịịmme oder auch Gịịnne (vgl. «Trääm» und «Trään»). Daher das Gịịmmeli: eigentlich was sich in die Enge zwischen Daumen und Zeigefinger fassen läßt; bei uns aber bloß noch bildlich: «ein ganz klein wenig». Die derart durchbrochene Wand heißt Chlack- oder Gịịmme- (Gịịnne-) Wan͜d. Größere Öffnungen im Scheuerwerk, welche Licht und Ausguck gewähren, führen die Bezeichnung Heiter­löcher. Zornige Bilderrede: Tue doch dini Heiter­löcher uuf! (brauch deine Augen!) Zugleich als «Heiterloch» dient auch das Stangeloch oder das Tăgliecht, durch welches beim Gedräng der Wagen zur Erntezeit je eine der Deichseln sich stecken kann.

Wie mühevoll und langsam auf hochgelegenen Bergheimwesen das 212 Hinaufschaffen der Ernte-Erträge von der Tenne auf die Bühne mittels Bogen oder Gabel (uehegăble) geschehen muß, ist anderwärts dargetan. Wo dies irgend zu umgehen ist, wird behufs direkter Einfahrt mit Roß und Wagen aus dem Freien nach der Bühne eine Bahn geschaffen, welche auch selber als Ganzes die Ịịfahrt heißt. Wo der Einbau des Hauses in eine Berglehne solche Bahn selber an die Hand gibt, ist dabei von besonderer Kunstfertigkeit nicht zu reden. Anders, wo die Lage gegen Weg und Straße, das Licht- und Sonnenbedürfnis des Wohnteils, die zu schonende Hofstatt und die Intaktheit des Gartens, und schließlich, aber nicht zuletzt, die Rücksicht auf die Proportionen der gesamten Bauanlage miteinander als entscheidende Faktoren sich zur Erwägung herandrängen. Die hierbei getroffenen Auswege, verbunden mit der höchst ökonomischen Ausnützung des neugestalteten Raums, sind bisweilen Meisterstücke ländlicher Bau-Diplomatie. Man vergleiche unter ältern Mustern die Schaufelbühl-Schmiede (Abbildung S. 209), wo die Einfahrt zum Teil auch als Zugang zum Wohnteil über der im Erdgeschoß befindlichen Werkstatt dient. Um ihrem Doppelzwecke zu genügen, verließ sie ihre zu erwartende Lage hinter dem Haus. D’Chatz het der Stiiḷ hin͜der ume gnoo, um sich dem knappen Lager anzubequemen. Eine seitlich aufgeführte Einfahrt in der Ebene zeigen Abbildung S. 211 (unser Lüthi-Haus), und als neueste Art Abbildung S. 214 (das Kipfer-Haus, ebenfalls in Waldhaus). Bei dieser Form waren vor allem die Lage zum Dorfweg und die Rücksicht auf die prächtige Hofstatt maßgebend.

Der mit starken Brettern belegte und zumeist oder ganz überdachte Teil der Einfahrt, mit oder ohne Abschlußtor (Abb. S. 213) und Seitentürchen, heißt Bü̦̆nis­brügg. Sie führt vom Brüggstock weg zwischen oder über den beiden Bühnen so hin, daß ab den eingefahrnen Wagen Garben oder Heu bequem hinuntergeworfen werden können. Zwischen ihre und der Zufahrtsstraße ist der Brüggstock zu einem möglichst ebenen Übergang aufgeschottert und seitlich aufgemauert. Eine steile, dazu noch schmale und jäh umbiegende Einfahrt ist ein ganz besonders kitzliches Probestück für einen Rosselenker. Namentlich wenn im Gedräng eines schwülen Erntetages vor Ausbruch eines drohenden Gewitters die vollen Wagen sich unter der Einfahrt stauen. Einem mit diesem Ehrenamt de Ịịfüehre betrauten Bauernsohn, der vor dem Brüggstock umg’läärt hatte, wird der Ausruf in den Mund gelegt: We nume so n e Tonners̆ Bueb (nämlich Güeterbueb) um e Wääg wär, das men o öppere chönnt d’Schuld gää! Den Raum unter dem Brüggstock nützt namentlich die neuere Baukunst bestens 213 aus. Hier bringt sie die Schweineställe an; Brügg-Chäḷḷerli, Destillier­räume, Gelasse für Ackerwerkzeuge höhlen sich ein. Auf der schönen ebenen und breiten Fläche des Brüggstocks aber (vgl. Abb. S. 214) tummelt sich die Jugend, liegt dem Stöckle und Marmele mit Begierde ob. Hier drillten aber auch vormals die Instruktoren der alten Militärschule die Rekruten der Umgegend. Ja in Ermangelung eigener Turnplätze nahmen ältere Lehrer mit ihnen als Notersatz vorlieb.

Einfahrtstor.

Unsere Einfahrt-Bilder können zugleich den ebenerdigen gedeckten Platz um Haus- und Scheunen-Teil, auch um Speicher und Holzhaus herum veranschaulichen, der den allgemeinen Namen Schopf trägt. Auf spezielle Zwecke deuten der Wageschopf, der Hoḷzschopf, ganz besonders aber der für das Bauernhaus so charakteristische Brunne-Schopf, wie wir deren einen abbilden (Abb. S. 215), während andere (z. B. S. 211) in Verbindung mit andern Gebäudeteilen zu sehen sind. Als Wasch- und Tränkeplatz besonders sorgfältig unterhalten, wird der Brunnenschopf zur Winterszeit auch gegen scharfe Winde abgeschlossen und nur auf einer Seite offen gelassen. Besseren Schutz als der halb offene Schopf bietet für Wagen und Pflüge das Rémise (la remise), 214 für den Holzarbeiter (Wagner, Zimmermann) oder den ihn vertretenden Bauer das Schnäfe͜l­stübli.

Der vom Schopf in Beschlag genommene, aber bloß von der Gebäudewand begrenzte und gepflasterte Raum heißt B’setzi. Statt dieses Namens lesen wir 1772 «ein Bschüßi».18 Und dagegen ist Bschü̦̆si die Bretterdecke des Jauchelochs. — Der Pflästerer b’setzt mit natürlichen spitzen Steinen, die er aus Emme oder Grüne holt, oder mit flach g’schlagnen Bsetzi­steinen, die er gleich am Sammelorte bearbeitet. Tritt an Stelle solcher Kiesel der behauene Standstein aus Oberburg, oder die hübsche Fügung aus Zimänt­blättline, oder der einfache Zementguß, so spricht man vornehmer von einer T’hárässe oder Tarässe (Terrasse). — Ein derart belegter Boden ist also ein hartes Ding. Es braucht darum den trockenen Humor eines Emmenthalers, um nach einem getanen schmerzhaften Fall zu scherzen: d’Bsetzi isch mer a Chopf uhe g’gumpet.

Brüggstock.

Auf guten Stand und peinliche Sauberkeit der Bsetzi hält die Bänerin ein besonders wachsames Auge; sie ist ihr ein recht eigentliches Sorgenkind. Nur auf einem ganz verwahrlosten Heim ist auch sie schlecht unterhalten. Bei jeder freien Zeit im Sommer müssen die Gießkanne und ein Messer, «für das es nüt meh schad ist», ihre Dienste zum Bsetzijäte leisten, damit man die unliebsamen Gjätstụ̈deli auch wirklich «mit de Würzline» zwischen den Steinen und aus allen Ritzen 216 herauskriege. Und Scheiter, von nachlässigen Händen auf der Bsetzi «verzatteret»,19 gehen einer rechtschaffenen Bäuerin auf die Nerven.

Brunnenschopf unter der Bünisbrügg.

Warum and nicht? Spielt sich doch auf diesem Raum ein großer Teil des häuslichen Lebens ab! «Auf der sonnigen Bsetzi» spaziert oder sitzt der behaglich Rauchende, sammeln sich aber auch die zu ernster Feier Gerufenen. Auf ihr als bequemer Futterstätte tummeln sich geflügelte Gäste, indes der scheinbar in tiefen Schlaf versunkene Phylax ungebetenen Besuch in respektvoller Entfernung hält.

Ein äußeres Verbindungsglied zwischen Scheuerwerk und Wohnraum stellt die Laube dar, welche allerdings da und dort durch einen bloßen Fü̦ü̦rschärm ersetzt wird: ein an geeigneter, hiḷber Stelle herausragendes Dachstück. Den Vorteil aber, nach Belieben Sonne oder Schatten suchen zu können, bietet erst die zu ebener Erde an zwei oder gar drei Hausseiten angebrachte Summer­laube. Zuweilen, wie z.B. auf der untern Flüeh, oder im Haarisberg zu Sumiswald, bei aller Einfachheit äußerst «heimelig» und behaglich eingerichtet, dient sie bei einladender Witterung der Familie als Speiseplatz und erleichtert damit obendrein die Reinhaltung der Stuben. Gäste dagegen im Freien, so de Lüten a der Nase20 zu bewirten, «ist auf dem Lande nicht Sitte»;21 und wenn jener städtisch gewöhnten Pfarrfamilie auch nur der kleine Finger etwas von den geheimen Liebkosungen der Bäuerin über das Prädikantenpack mit dem Magen ohne Boden22 zugetragen hätte: nimmermehr hätte sie darauf bestanden, sich den ganzen Apparat einer standesgemäß bäuerlichen Bewirtung auf die Sommerlaube zutragen zu lassen.

Wie wertvoll erst die Lauben, welche, fix oder beweglich ịịgwan͜det, einen Aufenthalt bei jeglicher Witterung außer in strengster Winterzeit gestatten! Solche Lauben, an einer oder an beiden Langseiten angebracht, zieren und bereichern ganze Stockwerke, namentlich in unsern Wohnstöcken. Hie und da zählt ein älteres Bauernhaus zwei, wohl gar drei Lauben an der Front übereinander. Wie vortrefflich sie namentlich auch dem Speicher stehen, ist anderwärts dargelegt.

Von Laube zu Laube führt bisweilen außen, von Boden zu Boden führt immer innen die Treppe — Stä̆ge — nach den obern Gemächern. An ihre Stufen — Tritten — erinnert die Stäge ungeschickt geschnittener Kopfhaare, gemahnt aber auch eine hübsch nach der Größe in Reih und Glied gestellte Geschwister­schar. (Vgl. «Orgele-Pfịịffe»).

Grundriß eines neuern großen Bauernhauses.

Wir kehren zum Scheunen-Teil zurück und bitten den Leser, sich das nun über «Dach und Fach» folgende an der Hand unserer Abb. S. 217 218 und daneben Abb. S. 199 zu vergegenwärtigen. Die Abb. S. 217 ist der (in der Ausführung in einigen Einzelheiten etwas abgeänderte) Grundriß des nämlichen Gygax-Wälti-Hauses, dessen photographische Aufnahme wir am Schluß von «Haus und Heim» im Gesamtbild von Flüelen (S. 243) bringen.

Als die Gytiwiler zum Hohn und Trotz auf die Lättikofer ihr neues Schulhaus um einen ganzen Schuh länger machten, kam dies nicht etwa der Schulstube, wohl aber in erster Linie der Tenne zu gut. Das Tenn, das hätte man nicht bald zu breit.23 In der Tat: man denke nur an so regelmäßige Tagesgeschäfte wie Fueter rüste; an Rüebli- und Rüebe-Laub abhaue ganze Herbsttage lang vor dem Trösche (Dreschen) im zügige Tenn. Hiefür gibt es allerdings vollwertige Schadloshaltung durch häusliche Vergnügungen (Tanz u. dgl.) gelegentlich der Sichleten u. s. w. — Wie aber, wenn ein kleiner Schuldenbauer eine oder sogar die verunglückte Milchspenderin i’s Tenn nää muß; wenn das Toktere im Tenn u̦sse als letzte Auskunft übrig bleibt, das beste Viehstück also oder das einzige a der Wäḷḷe hanget! Nicht zu reden von dem ergreifendsten aller Anlässe, der bei unfreundlichem Himmel die ganze Familie und Umgebung an diese Stätte ruft: die Sammlung zu einem letzten Geleit. So findet im unausgebautesten Raum des Hauses Wohl und Weh das mannigfaltigste Echo.

In buchstäblichster Weise erscholl dies Echo zu der Zeit, als der Familie Jahres-Brot, durch den Dreschflegel bearbeitet, von der Bühne in die Mühle wanderte. Lieber Flege͜l sii weder Tenn (lieber Hammer als Amboß): diese Rede empfängt ihren besonders wirkungsvollen Hintergrund, wo die weithin dröhnenden Schläge auf dem Lade-Tenn ihre donnernde Resonanz finden: auf der tannenen Tenne, wie wir unter Nahelegung einer verdunkelten Tautologie verdeutschen können. Denn wahrscheinlich ist mhd. «der», «die» und «das» tenne eine versteinerte alte Adjektivbildung aus «Tanne».

Gerade zur Dämpfung solchen Lärms, wie auch um der Dauerhaftigkeit willen, geschieht nunmehr das tenne mittelst einer Durchknetung von Lehm, Salz, Ruß, Ochsenblut und Feststampfen mit dreierlei eigenen Holzbrettern: der spitzenn, runden und breiten Tennplăhe. Von daher der Zuruf an Unachtsame, welche einen frisch gelockerten Boden festtreten, eine Flachspflanzung zerstampfen u. dgl.: «Mach doch nid so n es Tenn! Das git ja n es vöḷḷigs Tenn!»

Auch die mächtigen, behufs Durchfahrt an die riegelartigen Torwächse͜l anhängbaren beiderseitigen Tennstor, in welchen zum engen 219 Durchpaß die Tennstööri hängen (Abb. hier unten, noch deutlicher Abb. S. 215) dienen zu allerlei Gebrauch. Für unbeobachtetes Tun bilden sie ein treffliches Versteck. Für Schreibübungen Kleiner und ökonomische Rechnungen Großer geben sie sich willig zu riesigen Schreibtafeln her, und selbst das so viel genannte brave Stalltier kann am neue Tennstor seine Beobachtungs­gabe erproben. Auch zu — allerdings etwas massiven — Augenmaß­übungen eignet sie sich: untersetzte Männer haben eine Leibesbreite, oder einen Rücken, oder Achseln «wi Tennstor», bezw. deren Flügel.

Kleinbauernhaus.

Doppelte Rindvieh-Stallung oder eigene Bauart bringen die Anlage eines eigenen Fueter­tenns oder Fueter­gangs mit sich, entsprechend dem hin͜dere Gängli oder Säugängli, von welchem aus den Schweinen im Anbau hinter oder neben dem Haus das Futter in den Trog gegossen wird.

Was im Wohnhaus die Stube, ist im Scheuerwerk der Stall — Staaḷḷ —, im Volkswitz bisweilen mit Rollentausch: der Stube wi n e Staḷḷ oder wi n es Steḷḷi (Ställchen) kann im Humor eines zu peinlicher Reinlichkeit angehaltenen Melkers die Chüestube entsprechen. Immerhin bleibt es angesichts der herkömmlichen Bauart für gewöhnlich noch beim Chüeste͜l, gebildet wie Roßste͜l (Ros̆tw), Säuste͜l. Diese kann selbst in den Verben säustle, chüestle sich fortsetzen: einen Schweinestall, Kuhstall neu machen oder erneuern. Daneben bedeuten 220 säustle, chüestle, rostle: den Schweine-, Kuh-, Pferdestall und die darin untergebrachten Tiere besorgen. So, i mues däich gă chüestle, sagt z. B. ein Melker zur Fütterungs- und Melkzeit.

In solchen Kürzungen liegt ein Fingerzeig für die Bedeutung des Stalls im bäuerlichen Leben. Der Stall ist der Hauptgegenstand der Sorgen einer ganzen Bauernfamilie bei Tag und Nacht, aber auch eines berechtigten Hochgefühls. Der Stall ist das allererste, wohin der Bauer den für urteilsfähig erachteten Besucher führt; der Speicher ist das zweite. Und die Art, wie der Besucher, namentlich ein Viehbesitzer — auch ein benachbarter — beim Betreten eines fremden Stalles Glück i Staaḷḷ wünscht, kann dem Eigner nicht gleichgültig sein. Klingt doch durch die scheinbar abgedroschene Formel noch heute etwas von ihrem alten Sinn durch: Versicherung, daß man den fremden Stall unter keinerlei schlimmer Absicht betrete, namentlich nicht durch Behexung Krankheit oder sonstige Übel hineinzutragen begehre.

Aus der früheren Weide-Praxis schreiben sich noch Redensarten her wie das übertragene steḷḷ’s ịị! steḷḷs ịhe! d. h. weise diesem Gläschen (durch Austrinken) seinen richtigen Platz an. Iisteḷḷe hieß, im Gegensatze zum Ụụslaa, der Übergang zur winterlichen Stallfütterung. Heute bedeutet ịịsteḷḷe: ein Pferd, eine Kuh neu erwerben. I ha schön Heu uberchoo, i cha ganz guet no n e Chue ịịsteḷḷe, oder: a d’ Chrüpfe steḷḷe.

An der Krippe (Chrü̦pfe) wird jedes Pferd, wie jedes Stück Rindvieh angebunden. Vorn in den Stall kommt das stattlichste und ansehnlichste, oder auch das milchreichste und darum am besten zu fütternde Tier zu stehen. (Die am Ende einer Reihe stehende Kuh pflegt sich nämlich erst mit der Nachbarin in deren Ration zu teilen, um sodann allein sich an die eigene zu machen. E rächti Chue ist drum e ke Chue.)

Durch eine Öffnung in der vordern Krippenwand zieht sich eine kurze Eisenkette, ’s Chrü̦pfestu̦ck, an welchem befestigt der hänfene Haḷsring oder das Halsseil lose um den Hals des Tieres geknüpft wird. Dieses Haḷsseel trägt behufs recht raschen und bequemen Bindens und Lösens am einen Ende eine Schlaufe (e Lätsch), am andern einen Knoten (Haḷsring-Chnopf) ungefähr von der Größe eines Hühnereies. Man begreift, wie solch derber Knoten, samt seinem Seilstück bequem unter dem Gewande verbergbar, in früherer Zeit Nachtbuben auf ihrer Runde bei feindlichen Begegnungen als furchtbare Waffe dienen konnte. Stößige Tiere werden außerdem durch ein Hornseili, um die Hörner gewunden und am Halsring befestigt, von 221 unzeitigen Kraftübungen zurückgehalten. Zum Führen des Groß-Tieres ins Freie dient die Haḷftere, des Schmalviehs: der Häḷslig («Hälsig»24), bei dessen Anlegen sorglich der zsä́merị̆tig Lätsch (das Bilden einer sich zusammen­ziehenden Schlinge) zu vermeiden ist. — Tue wi n e (zu erdrosselnde) Chatz am Häḷslig.

Das Losbinden von der Krippe heißt ablaa (ablassen). Für «dumm tun» sagt man: ’s Chaḷb, d’Geiß, ’s Fü̦li ablaa, loslaa, ụụslaa. Das Gegenteil ist zuehe­bin͜de; übertragen: Einen dorthin stellen, wohin er nach unserer Meinung gehört. «Bing ne zueche!» (sorge, daß dein Kavalier Ernst macht!) lautet der Refrain einer Mutter.25

Abchoo — Selbstbefreiung — gelingt zuweilen, besonders über Nacht, einem Stalltier, was mit bösen Folgen verknüpft sein kann. Und so chunnt ab, wer bösen Wein trinkt oder auch ohne dies in zornmütige, gehässige Stimmung oder tolle Laune gerät. Er ist e Wüeste, wenn er abchunnt. Umgekehrt kann aber auch ein durch Amt und Beruf, durch Rücksichten und Einschränkungen aller Art Gebundener ein längst im Geiste gereiftes Vorhaben ausführen, wenn er einist cha abchoo.

Einem Pferd begegnet es gerne, daß es Halfter oder Zugstrang zwischen die Füße bekommt: es ist uber oder het uber; es het ú̦bergschlăge oder ú̦berg’haagglet.

Vergleichbar einer Leiter, die in wagrechter Längsrichtung schräg angelehnt ist, deren Sprossen (Seige͜l) aber sehr nahe beisammenstehen, hängt über der Krippe die Raufe (der Baare). Das Einschieben von Gras und Heu in denselben — ihe gää — ruft auch Bilderreden wie: Einem ein kostbares, unersetzliches Eigentum i Barren ihe stoße («die Perlen vor die Säue werfen»). Eine einmalige Füllung der Raufe heißt es Baaretli. Dem Ese͜l es Baaretli Dü̦ü̦rs̆ ịhe gää: Verhöhnung des Tabakkauens. Ein schlimmes Zeichen ist, wenn wählerische Stalltiere bei vollgestopfter Raufe i Baare, hungrige dagegen i lääre Baare brüele. Gegensatz: gäng der Baare voḷḷ haa, am (voḷḷe) Baare staa (im Überfluße schwelgen). — I Baaren uhe springe: das Gebahren blutig verwundeter oder vom wütenden Koller ergriffener Pferde; bildlich: wütender Menschen.26 Einen i Baare spränge: in Zorn, Wut versetzen; damit ihn völlig in seine Gewalt bekommen, und unter Mißbrauch dieser Macht ihn täuschen, ausnutzen. — Stalltieren der Grin͜d i Baaren uhe bin͜de: Auskunftsmittel, um eine störrische Kuh zu melken, ein störrisches Pferd zu reinigen, oder ein faules von unzeitigem Liegen abzuhalten. So 222 hofft Mädi, als künftige Bäuerin dem spöttisch-widerspänstigen «Sami, dem Schnürfli, de der Gring i Bahren uhe z’binge, daß er de wüß, daß er e Meister heig».27

Die den Tieren zum Stehen und Liegen angewiesene Stallbreite beißt das Lääger. Es besteht am zweckmäßigsten aus Zementguß mit überdeckendem Bretterboden. Früher war es in der Regel (als «Bsetzi»28) aus flachgeschlagenen oder spitzen Pflastersteinen gefertigt. Es läuft in die Rinne (die Schăle, der Schoorgrăbe) aus, durch welche Urin und (mittelst Abschoore durch die Schoor­schụ̆fle) Kot in den Jauchekasten gelangen. Ein heftig ausschlagendes Tier kann mit Leichtigkeit seinen Pfleger i Schoor­graben use schlaa, daß er bewußtlos da liegt. Daher das Bild von einem, den ein schweres Geschick, ein kaum zu verwindendes Unglück getroffen hat: es het nen i Schoor­grăben ụse gschlăge. (Der Schoor­grabe heißt auch eine Bodeneinsenkung zwischen Sumiswald und Grünen.) Ein handhoher Randstein trennt die Schale vom Gang, in welchem das an die Mauer lehnende Staaḷ­bänkli nicht fehlen darf.

Und nun zum Wohn-Teil — zunächst zu dessen unscheinbarsten Räumen. Wie der Treppenraum zu ebener Erde im Freien das Hundshụụs, Hundshụ̈̆si zu bergen pflegt, so ist derselbe Raum innen und oben in Form von allerlei Ghäḷtli, Verschlacht, Eggeli, Chrü̦tzli ausgenutzt, um sich so den durch die Garbenbühne verdrängten Estrich (Esterig) zu ersetzen.

Wie der Stein- und nach ihm der Holzbau den Esterig (mlat. astracus soviel wie Pflaster, «Bsetzi») unmittelbar unter das Dach verwiesen hat, so verlegte sie den Speisebehälter, das cellarium, den Keller (Chäḷḷer) in den auch im Bauernhaus nun meist gewölbten Raum unter dem Wohngebäude. In seine Tiefen führt die Chäḷḷer­stäge, da und dort (meist in Wirtshäusern) durch den verschließbaren Chäḷḷer­gatter gegen Einbruch gesichert. Der Vorraum vor der Chäḷḷertür: der Chäḷḷer­haḷs, dient gelegentlich zum Bergen von Traggeräten u. dgl. und ist zum Schutz vor Regen und Schnee gern überdeckt durch das Chäḷḷer­läubli. (Abb. S. 195.) Auf diesem, vor den Fenstern der Wohnstube, spielt sich ein guter Teil kindlichen Treibens ab, und mehr als einmal ersetzte der Kinder Schutzgeist die mangelnde Schutzwehr. Einen noch beliebtern Aufenthalt kennen freilich die Kleinen, wenn bei Herbstanbruch der Chäḷḷer ’putzt (aus- und aufgeräumt) und mit Vorräten vollgespickt ist, so daß die Bäuerin in dieser ihrer Domäne getrost tarf dem Winter eggä̆ge (entgegen) luege.

223 Und die jährlich tausend Gänge d’Chäḷḷer­stägen uuf un aab bedeuten für sie keinen Zeitverlust, weil sie in diesem den Früchten so zuträglichen Helldunkel sich genau auskennt. Zu dieser jeweils augenblicklichen Orientierung helfen ihr die Atemlöcher: die im Sommer durch Gitter, im Winter durch Fenster vermachten Maueröffnungen. Dieselben ermöglichen zugleich ein zeitsparendes Ahelaa («Hinunterlassen») der herangefahrnen Kartoffeln und Runkelrüben in die bereit gehaltenen Bretterverschläge: «Chrumme». Der Chrumme (zu mhd. krimen, kram, gekrummen: mit hakenförmig gekrümmten Fingern oder Krallen kneipen) ist ein eng abgegrenzter Verschlag, gleichsam ein abgekniffenes Stückchen Raum; vergl. den Fährli-Chrumme im Schweinestall, den spassig so geheißenen Fụ̆länz-Chrumme (das Ruhebett) der Wohnstube, und das mit Chrumme synonyme Chrŭ̦tzli, die Chrŭ̦tze. Die Härdöpfe͜l-Chrumme im Keller enthalten in strenger Sonderung die als «Samen», die zum Sieden, zum andersartigen Bereiten aufbewahrten Rööseler, Blüemmeler, Brienzer, Schnee­flocker, Imperatoren, Wäḷtwunder, Bode­spränger, Agspasia (Aspasia) und wer weiß wie viele noch der im Erproben begriffenen Sorten. Andere Verschläge bergen die Rüebli (gelbe Rüben), die Rüebe (Mohrrüben), die eßbaren Chabis­rüebe (Bodenkohlraben); die Runggle (Runkelrüben als Viehfutter) liegen bisweilen in eigenem Runggle-Chäḷḷerli.

Den innern Kellerwänden nach breiten sich, von Säulen und Seitenstützen getragen, doppelt oder zu dreien übereinander die Hu̦rdine (Einzahl: die Hu̦u̦rd) zum Lagern des Kernobstes: der Öpfe͜l und Bĭ̦re (wie bei uns die auch in die Einzahl vorgedrungene Mehrzahl beider lautet). Eigentlich ist die Hurd (vgl. Hürde = lat. crâtes) ein dichtes Flechtwerk aus Haselzweigen mit vorteilhaften Luftdurchzug; seit aber der einfachere und billigere Bau aus Brettern aufgekommen ist, teilen sich auch diese Brü̦gine noch in den alten Namen. Nach deren dickem Belag im Keller sagt man auch: e ganzi Brü̦gi Öpfe͜l, Härdöpfe͜l u. dgl. sị am Bode g’läge, d. h. der Boden war von ihnen über und über bedeckt.

Wo möglich, birgt eine eigene Abteilung die Bottiche für das eingesäuerte Gemüse: d’Sụ̆rbocke für Sụ̆rchăbis (Sauerkraut), un obedruff die weniger haltbaren Sụrrüebe; das kleinere Sụ̆rbockli für Sụ̆rchööli, sowie gelegentlich ein Fäßchen für die Sụr- oder die Saḷzbohne.

Mit den Wurzeln eingepflanzt, grünen in einem günstigen Winkel Lauch, Selleri, süeße (nicht eingesäuerter) Chabis, Bluemchööli.

224 Nicht so viel Raum beansprucht im Käserei­zeitalter der Chäḷḷer­tisch mit den Miḷch-Chachle, mit der Chääsgepse, worin der Käse sorglich in Tücher eingeschlagen liegt. Bisweilen lagern im Keller auch die vorrätigen Brot-Laibe. Auf einer von der Decke herunter­hängenden Bankig sind sie den Zähnen der Ratten und Mäuse entzogen, die begreiflich in einem Bauernkeller nicht an das Schicksal ihrer kirchlichen Kolleginnen gewöhnt sind. Vielmehr haben die merkigen Tiere hier das Brauchen gelernt — aber auch das Sparen. Nicht selten trifft man draußen im Acker Höhlungen, in denen sich kleine Erdäpfel verborgen finden: das sind die Mụ̈ụ̈se-Chäḷḷerli.

Haben wir uns noch das Äsche-Chäḷḷerli gemerkt und beim Blick auf den Wäb-Chäller uns das Schicksal des Stören-Webers früherer Zeit im kalten Winter vor Augen gemalt — so ist es Zeit, daß wir die in den rostigen Angeln knarrende Tür zuezieh, den Riegel des schweren Schlosses sich vorschieben lassen, und den Schlüssel an seiner blindlings zu findenden Stelle versorgen. Vor Schlafengehen erkundigen wir uns aber noch angelegentlich mit der Bäuerin: Isch eme͜l de der Chäḷḷer­schlüsse͜l dobe?

Der Bäuerin eigenstes Departement ist immerhin d’Chu̦chchi. Daß außer der Feldherrin und ihrem weiblichen Generalstab niemmer nüüt i der Chuchi z’tüe heig, dokumentiert heute schon ein verständnis­voller Bauer als Bauherr damit, daß namentlich die Wohnstube und soweit als möglich auch die andern Zimmer eigene Ausgänge bekommen. Wie anders ehedem! Da bildete den Küchenraum (das «Innhauß»29) der große unabgeteilte Platz zwischen Wohngebäude und Scheuerwerk,30 ohne «Hurd»31 bis zur Dachbekleidung hinaufreichend. Also die richtige kaminlose Rauch-Chuchi,32 die jedoch den Vorteil einer ausgiebigen und zweckgemäßen Fleisch-Räucherung gewährt. Der hiezu dienende Raumteil heißt bei Gotthelf die «Hele», «Helle»33 (zu «hehlen», sehr schief durch «Schornstein»34 ersetzt). Genauer jedoch bedeutete die Hä̆li («Heli»35) die eigene Aufhänge-Vorrichtung für das Fleisch. Drum konnten in einem Inventar von 1776 figurieren: «2 Hählen».36 Des Ausdrucks wußte sich aber in Lützelflüh ein einziger alter Mann zu erinnern. Gebräuchlicher ist dagegen bis zur Stunde die Asni («Asnit»,37 im Simmental: die Asme). Das Wort, welches vielleicht bis auf das urgermanisch-finnische ansas (Balken) zurückgeht, bedeutet in der Tat zunächst den auch in neuern Rauchfängen sich wagrecht hinziehenden Balken, an dessen eiserne Haken mittelst der eigens konstruierten Fleischgable 225 (Abb. S. 77) die Fleischstücke zum ăsne (oder räuke, rauchne) gehängt werden. In erweitertem Sinn bedeutet Asni den Rauchfang selbst. Begreiflich bietet dieser, wenn er im Dienste solcher Fleisch­räuki zu Wintersanfang vollbesetzt ist, eine Augenweide für G’lust­chatze in übertragenem wie eigentlichem Sinn. Wer kennt nicht das Kinderrätsel: Hụụri Haari hocket, Li̦mpi Lämpi lampet (oder: hanget); Huuri Haari hätt gar gärn, dass Limpi Lämpi abe chääm.

Von selber deuten sich hienach Benennungen wie Rueßtĭ̦li (-diele) und Rueßgăde38 für Dachverkleidung und anstoßendes Schlafgemach eines kaminlosen Hauses. Ebenso der verwegen groteske Sarkasmus: «Du wirscht de einisch no e rueßigi Himme͜lfahrt haa!» (wirst in die Hölle kommen.) — Wer einen Rußflecken abgekriegt hat, erklärt dies etwa mit der Rede: I ha drum d’Chuchi bschlosse!

Derbe Bilder wie ’s Chemi rueße (sich die Nase schneuzen), logische Witze wie ’s Wịịße vom Ofebäse u ’s Schwarze vom Ei, sodann die Erscheinung des Chemi­fä̆ger führen uns auf einen Haupt­bestandteil der Küche. Mit dem im Schornstein sich ansammelnden Rauch und Ruß steht das i ’s Chemi schrịịbe unerhältlicher Beträge in Verbindung. Das Emporragen des Kamins über das Dach läßt von Schulden sprechen bis uber ’s̆ Chemi uehe, «Schulde, si luege fast zo’m Chemi uus.» Die ventilartig verstellbare Chemi­faḷḷe hindert wohl das Hinunterdringen von Regen und Schnee, nicht aber die Laune des Glücks, in deren Folge d’s Gäḷt dür’s̆ Chemi ab rägnet.

Wie gewonnen, so zerronnen: sinnlos verschleudertes Gut geit dür’s̆ Chemi uuf, wird dür’s̆ Chemi uehe g’jagt, wie der im trichterartigen Rauchfang direkt über dem Herd (ŭ̦ber der Chemi­hu̦tte) sich ansammelnde und alsdann durch die Chemi­faḷḷe entlassene Rauch. Ältere Bauart ließ über der Brandmauer der Flamme­stei («Flammstein»)39 in der ganzen Breite des Herdes um 50 cm (1 Schuh) herausragen behufs Auffangens emporfahrender Funken oder Flammen.

Das war allerdings eine beträchtliche Sicherung gegen Feuersgefahr, die bei der Üblichkeit hölzerner Ofenbretter40 und von Gluet­steinen oder Gluet­pfannen zur Erwärmung von Tenn und Stall41 ohnehin noch groß genug war. Auch die alte Einrichtung des Herdes trug zur Verminderung der Gefahr nicht eben bei. Vergegenwärtigen wir uns so eine Feuergrube mit der frei ringsum prasselnden und lohenden Flamme (wie noch in alten welschen Küchen zu sehen), über ihr der hängende Kochtopf (die crémaillère) oder der fetttriefende Bratspieß. 226 Später die zwischen aufgerichteten Sandsteinen oder Mauern «eingepreßte Flamme», überdeckt erst von der steinernen, dann von der eisernen Blatte mit Aufnahme-Öffnungen für das Kochgeschirr. Endlich — und heute auch in Lützelflüh fast allgemein — der aufgemauerte eiserne Kochherd: ein Laboratorium, welches das Kochen zur höchst interessanten Wissenschaft und Kunst erheben könnte, zugleich auch die Küche zum behaglich temperierten Speiseraum gestaltet. Denn auch der frühere, aus gestampftem Lehm oder bloßer Erde bestehende Chuchi­bŏde, der manchem Mütterchen auf nächtlicher Krankenwache trotz den an den Füßen getragenen Chuchi­finke erst das verdächtige Chuchi­hüestli, dann den vollausbrechenden Chuchi­hueste als Anzeichen ernstlicher Erkankung brachte, ist nun dem trockenen Zimäntbŏde gewichen.

Es braucht also keineswegs mehr das bloße Fụ̈rblatte­huehn, die Fụ̈rblatte­chatz, der Fụ̈rblatte­hängst zu sein, die für kurze Zeit am Herd behaglichen Aufenthalt suchen. Zum friedlosen Raum, zu «d’s Tụ̈ụ̈fe͜ls Chuchi»,42 kann nur der allgemeine Unfriede im Haus ihn gestalten, zumal die Eifersucht zweier Weiber, wo an ei’r Fụ̈rblatte z’sämechöme.43 Etwas anderes ist es, wenn infolge weiblicher Untüchtigkeit oder Faulheit der Mann den Chuchi­schmöcker (Topfgucker), den Chuchimutz44 oder -schmutz (Küchen­handlanger) oder Chuchi­schmützer (gleich der Spitzmaus behend hin und her eilenden Küchenmeister) machen muß; und wieder etwas ganz anderes, wo eigene Berufs­verhältnisse die fleißige Frau an den Arbeitstisch binden, den Mann an den Herd rufen.

Im richtigen Bauernhause jedoch «ist die Köchin gewöhnlich die gute Mutter selbst. Es ist die alte echte Hausfrau, welche das Feuer anzündet im Hause des Morgens, und des Abends es löscht. Sie ist des Feuers Herrin, und das Feuer ihr Diener. Sie ist des Hauses Priesterin: sie wahret, sie bauet des Hauses Segen auf ihrem Herde. Es ist etwas wunderbar Ehrwürdiges und Altertümliches in diesem Beherrschen des Herdes, diesem Schalten und Walten mit dem Feuer, der wahren Hausfrau eigentümlichster Pflicht».45

Aber grad eine solche Hausfrau weiß auch, daß ihrer noch andere Pflichten harren, daß sie nicht immer tarf i der Chuchi hocke. Sie sorgt, daß sie no einist us der Chuchi ụse chunnt, und nicht etwa gar die Zurechtweisung zu hören bekommt: Wart, i wiḷḷ der d’Chuchi rụụmme!

Wenn nicht durch eine einfache Waschbank ersetzt, steht an einer 227 Wand der Küche der Schü̦ttstei (Rinnstein) mit oder ohne Spülwasser-Ablauf. «Es isch, wie wenn (du vertunliche Frau) d’s Geld i Schüttstei abe tätist werfe.»46 Es Mụụl wi ne Schüttstei:47 ein häßlich großer Mund.

Eine Ecke der Küche ist bisweilen zu einer kleinen Speisekammer — «Speckgaden»,48 Späck­chämmerli48a — nach Arthur Bitter49 auch gerne zu einem Chuchi­stübli ausgebaut. Letzteres wird erwachsenen Mädchen als Privatissimum angewiesen; aber auch Besuche wie etwa zuträgerische Hausiererinnen werden dort von gewissen Bäuerinnen heimlich bewirtet.50

Zur Seite des Herdes macht uns ein Ofebrätt oder ein Heiztöri auf das Heiz­chästli aufmerkam, dessen zu verbrennender Inhalt — die Heizi — behufs völligen Austrocknens vorgängig ịịgstü̦tzt (in den noch halbwarmen Ofen geschoben) worden ist. Will man aber die Sache zu gut machen, so faht d’Ịịstützi («Einstütze»)51 aa motte (schwelen); plötzlich saust es drinnen und flä̆deret uuf: d’Iistützi ist aag’gange! So heißt’s bildlich auch, wenn ein lange verhaltener Zorn plötzlich aufflammt. So kann zur Zeit oder Unzeit der Ofe über seine ganze Oberfläche hin warme, ja überheiß werden: «heiß wi ne glüejjigen Ofe.» Verlorne Liebesmüh ist es dagegen nach bekannter Rede, i chaḷten Ofe ihe z’blaase, damit die Frierenden erwarme. — Dieses «Erwarmen» hat Bitzius besonders schön verbildlicht; er hat in eigenem Kapitel gezeigt, «wie Meyeli erwarmet»52 erst in des Mannes Hause, dann in der umgebenden Welt; wie das echt Weibliche der jungen Frau Funken um Funken verborgener Gemütswärme dem Herzen der rauhen Schwiegermutter entlockt, bis endlich in Jowägers Haus zwei gute Frauen auf éinmal dem warmen Ofen53 verglichen werden können. — Ein «warmer Freund» ist der Ofen nicht bloß des unabtreiblichen Ofehöck, der uf em Ofen ume bääret, in seiner ganzen Länge sich ausstreckt54 und schnarcht, «daß die Strümpfe an der Ofenstange ins Blamp» geraten.55 Auch dem Bauherrn selbst, dem zu leibhaftigem «Besitze» solchen Eigentums zumeist die Zeit fehlt, ist das halb personifizierte56 Wesen so sehr ans Herz gewachsen, daß er dem selten durch städtische Einrichtungen ersetzten sandsteinernen Bau seinen und seiner Ehefrau Namen einmeißeln läßt. Und zwar mehr und mehr durch kundige Hände, so daß die oft äußerst zweifelhaften Hieroglyphen ungeübter Steinmetzen nach und nach verschwinden. (Vgl. S. 155.)

228 Wer aber gehört uf en Ofe statt an den Arbeitsplatz? Der Großätti, das alte Mütterchen, gleich wie «Urahne gebückt sitzt hinter dem Ofen (in der Hell der alt-alemannischen Einrichtung) im Pfühl». Bei uns versteht man dieses hin͜der em Ofe nicht mehr als verdiente, sondern bloß noch allenfalls als gezwungene Ruhe. «Hinter’n Ofen»57 sollen die vom (politischen) Ruder Abgedrängten; hier bergen und verbergen sich verbittert die Wohlmeinenden, die man der Profitmacherei bezichtigte: «Wenn einer so naach bim Ofe siig, so gang er nid hurti ungwärmt dänne.»58 — Was alles zeigt ein Blick un͜der en Ofe! Ein Regiment alter und neuer, «gesalbeter»59 und grauer oder fuchsroter, ganzer und invalider Schuhe; wie als deren Hüter am Winterabend der Hund, und als dessen Gefährte die schnurrende Eignerin des malerisch nachlässig un͜dere g’steḷḷten Chatze­blättli. — Um en Ofen ume: der Ofebank als zu- und wegtragbare Erweiterung der steinernen Sitzplatte, in ältern Zeiten dem Umgänger als Eßtisch,60 der Bäuerin aber während der herbstlichen Obst- und Bohnendarre als Reserveplatz dienend. Fix angebracht ist oder war dagegen das als Schemel um den Fuß des Ofens laufende Ofebänkli.

Bloß vom Kochen, also von der Chunst der Küche her einigermaßen erwärmt und daher bisweilen selber Chunst61 oder auch «Kunstofen»62 genannt, leistet der untere Ofenteil in der äußern Stube seine besonders ausdauernden und leicht zu erlangenden Dienste. Aus éiner Sandsteinplatte gehauen oder aus Ofenkacheln gefügt, stellt der Ofetritt,63 die Tritt­blatte, der Tritt oder Sitz64 gleichsam den Ofen in verjüngtem Maßstabe dar. Er ist die Quintessenz seiner Behaglichkeit, ist sein «besseres Selbst». Auf dem warmen Ofentritt erbauen sich am Weihnacht-Nachmittag der geplagte «Schuldenbauer»65 und sein tapferes Weib an des kleinen Bibelvorlesers Stimme; auf dem kalten Ofen aber kaut trübselig an trübseligen Gedanken der vereinsamte «Schulmeister».66 So kann, ähnlich wie «Steine reden», die starre Ofenplatte gleichsam zur elastischen Mitschwingerin, zur lebhaften Resonanz unserer Gefühle werden. Drum auch wird dem unangesehensten Besucher der warme «Ofentritt gegönnt und das Reden nach Belieben».67

Mit dem Ofezopfe dagegen — dem kühl bleibenden äußern Ende der Platte — begnügt sich der Stumpfsinnige, der untätig ins Leere starrend da hocket wi Chlööri (ein armer alter Umgänger) uf em Ofezopfe. Aber auch die geschäftige Eile. So sitzt das fleißige Änneli 229 nur hier rasch ab, um das Butterstoßfaß zu bearbeiten,68 und hastig naht ihm am Schlacht­festabend die Mutter, um das Tranchiermesser zu wetzen.69 Sein striktes Gegenteil ist das an die Brandmauer stoßende Ofeneggeli, der Ofenegge. Nicht nur bietet sich hier bequeme Anlehnung, sondern sein Wärmemaximum ladet ein zum z’warme-Steḷḷe vorgängig gekochter Speisen, zum dänne-Steḷḷe, dänne-Tecke für hintendrein erwartete Esser. I d’Stube, Köbe͜l, es si Rüebli uf em Ofe! ist ein neckisches «Herein!» auf ein Klopfen, dessen Urheber man zu erkennen glaubt.

Ebenfalls hiezu, aber auch zur Versorgung der Häfe voḷḷ T’hee,70 voll Trank für halbe und ganze Patienten dient das Ofeloch, Ofehŭ̦li, Ofeggŭ̦ggeli71 mit oder ohne Ofetööri bezw. Ofelădli, dü̦ü̦rgään (duchgehend) oder bloß auf einer Seite eingehöhlt.

Über dem Ofen-Ụụfsatz oder dem oberen Ofe trennt das hölzerne Ofewän͜dli die innere und äußere Stube. Von der Decke herunter aber hängt ein einfacher Trocknungs­apparat: das einzelne oder die mehreren unter sich verbundenen Ofestangli («Ofestängli»).72 Hier hängen über Nacht des Bauern nasse Gewänder,73 die er oft schon wieder anziehen muß, gäb sich nume rächt verplampet hei. Hier trocknen Windeln und sonstige kleine Wäschestücke, und verrichtet die aufsteigende Wärme tausend bescheidene Dienste.

An die Ofenwand grenzt das aus der Zimmerdecke quadratisch oder auch elliptisch ausgesägte Ofeloch, «das Loch über’m Ofen der untern Stube»,74 durch welches man unmittelbar aus der Stube ins Gaden hinauf schlüpfen (uehe schlụ̈ụ̈ffe) kann. — Dieses Gadeloch, wie es daher auch heißt, bleibt nach Belieben und Bedürfnis ganz oder halb offen oder (sei’s mittelst Schieber,75 sei’s mittelst Klapptürchen) geschlossen. Damit wird mangels eigener Heizeinrichtung die Zimmerwärme benutzt (oder abgesperrt). Die eines Edison würdige Erfindung bietet aber noch weit feinere Vorteile. Ohne daß man den Horcher an der Wand zu machen braucht, bleiben Eltern und Söhne und Töchter in jenem Rapport, jener Fühlung, der ein da und dort dem Ohre zugetragenes Wort voll genügt.76

Was bedeutet «der Cheer» (etwa ein aus der Ostschweiz eingeschlepptes Cheer = Keller?) in dem bekannten Kinderspruch: «Es gịịget es Müüsli, es tanzet e Bär vom Ofeloch dänne bis ahen i Cheer?»77

230 Wie dem Keller und Estrich, ist auch dem Găde (das Gade hieß der Gade78 bis in Gotthelfs Zeit hinein) eine bestimmte Stelle im Haus angewiesen worden. Ursprünglich war das Gaden wie der Saal u. s. w. ein eigenes «Gebäude» («gatmo»), Gadem, Gädemli speziell für Vieh, vgl. den Ort Gadmen. Als Anbau (das Miḷchgade, «der Käsgaden»),79 als Nebengehältchen (das «Nebengaden» der Turmzelle 1789),80 als Dachkammer («wie viel zahlsch für das Gadi?»)81 hat es sich mit der Zeit seinen bestimmten Platz im Bauplan des Hauses errungen; zunächst (wie noch zur Stunde in alten Berghäusern) als Näbetgăde, soviel wie Nebenstube im ausdrücklichen Gegensatz zum Obergade im obern Stockwerk. So verzeichnet ein Inventar von 1776 82 «1 Kleiderschafft im Nebendgaden, 2 dito im Obergaden». Einem, dessen Denken sich nicht in den gewohnten Bahnen bewegt, fähḷt’s im Obergade oder im Oberstübli («es rappelt ihm im Obergaden»).83 Ein allzeit zum Lachen aufgelegtes Mädchen dagegen ist es Lachigade (oder e Lachbänz).

Der neuern Bauart gemäß ist nun schlechthin «Obergade» gleichbedeutend mit Gade.84 Es dient als Schlafgemach85 für erwachsene Kinder und Dienstboten. So ausschließlich ist es Schlafgemach, daß z. B. das frühere Gaden im Flüelenstalden seit seiner Einrichtung für Separat­bewirtung das obere Stübli genannt wird.86

Im Gaden also schläft auch der erwachsene Bauernsohn, die groß gewordene Bauerntochter. Einem edelgearteten Mädchen wird das Gaden oder Gädeli zum «Heiligtum, zum Schauplatz seiner Träume, zu seinem Allerheiligsten»;87 und als Gegenbild zu Ott’s Siebethaler-Mädeli können sich vor Gadenfenstern wie Elsi’s, der «seltsamen Magd»,88 Abschieds-Szenen von ergreifender Wirkung abspielen.

Bedeutungsvoll zählt darum unter die Winke, welche Michels89 erfahrne Mutter ihm für seine «Brautschau» erteilt, auch dieser: «Du mußt ein Meitschi sehen am Morgen, wenn es aus dem Gaden kommt.»

Wie seltsam aber war es einem als Waisenkind der Gotts Wiḷḷe ins Haus genommenen Meyeli zu Mut, als es, statt in einem rußigen Gaden, als junge Frau erstmals in einem freundlichen Stübchen erwachte!90 Und als auch es künftig «i d’Stube!» «chömit e chlii i d’Stube!» leutselig einladen (Ein i d’Stube heiße) durfte! Nämlich in die Wohnstube, allenfalls — weil für alle bestimmt — auch Chnächte­stube, zuweilen einmal Pụrestube genannt. C’est 231 le ton, qui fait la chanson, und der Ton des täglichen Gesprächs sowohl wie der gelegentlichen Unterhaltung mit Besuchern mancher Art konnte es jenem alten Luzerner Soldaten bei jedem Betreten des Berner Bodens vorkommen lassen, wi wenn er in e warmi Stube chääm.91 — Solche Unterhaltung ist freilich nicht immer «für alle» bestimmt. Namentlich Kinder dürfen nicht alles hören, was ohni Blatt vor em Mụụl geredet wird: d’Stuben ist (no) nid gwüscht, oder: es ist no Ghü̦der i der Stube (etwas, daß «hinaus» gehört). Ebenso wird mit einem chu̦m de morn (morgen) i d’Stube! (vgl. chast mer chụ̈derle!) abgefertigt, wen man jetzt mit seinem Anbringen nicht hören mag, oder wer gar in brüskem Auftreten mit der Tür i d’Stube gheit («ins Haus gefallen») ist.

Bauernstube, Zythüsli, Faulbett.

Der hier zutage tretende weite Begriff der Stube steht im Einklang mit deren ursprünglicher Bedeutung als heizbarer Raum, behaglicher Aufenthaltsort im Gegensatze zur unwohnlichen Chammere (eigentlich: Schatzgewölbe) und als leicht zugänglicher Ort im Gegensatze zum städtisch vornehmen Zimmer. Drum einerseits Bezeichnungen wie die einstige Abtrett- oder Abtritt- (die heutige Wart-) Stube im Brandis-Schloß (1783)92 neben der «Audienz-Stube», auf dem Bauerngut die freundliche, helle und geräumige Schnäfe͜l­stube 232 oder das Schnäfe͜l­stübli93 als Ersatz der kalten Schnäfelkammer94 oder gar des zügigen, gesundheits­mörderischen Schopfs.95 Anderseits illustrieren sich damit scheltende Zurufe an Stubensitzer, wie Stubehöck, Stube­fụụl’hun͜d, Stubechụtz.

Teil nimmt an diesem weiten Begriff auch die einfache Verkleinerung Stübli. Man denke nur an die Gasthofstübli zu Stadt und Land (z. B. das «Bärestübli» in Sumiswald), die Chüeche͜l­stübti an Marktorten usw., um die nächste Bedeutung des niemals, selbst «in der kleinsten Hütte» nicht fehlenden Stübli oder Näbet­stübli sich klar zu machen. Dazu kann nämlich die Kleinheit wesentlich mitgehören, wie beim Chuchi-, Staaḷḷ-, Saagi-, Mü̦li- und überhaupt irgend einem Bedienten angewiesenen Chnächte­stübli. Allein die Größe braucht sich von der der Näbetstube gar nicht zu unterscheiden. Die ob der Verkleinerung «Stübli» schwebende Idee hat sich vielmehr über das «Neben» herabgesenkt: «neben» der Gaststube für alle ladet das «Stübli» nur Vertraute ein; «da hätte man sich gar nicht zu scheuchen und könne apparte sein»;96 und neben der Wohnstube für alle bietet das «Stübli» willkommenen Rückzug für das bäuerliche Ehepaar. Wie sagt Bitzius?97

’s Stübli ist i mene Purehuus öppen eso, was i mene Herehuus ds Gabineet näbe der Stube. Eso nes Stübli — der Gattig hei di große Here kees, wo si treuhärzig numen eso halb zäme chü̦schele, we sich doch scho gar, gar wichtigi Sache hei un ieze grad wei z’Bode rede. U we denn es n ieders̆ so rächt sị Meinig gseit hett, so chöme si im schönste Fride zsäme wider use. Mi cha wohl säge, ’s Stübli ist ’s Heiligtum vo der Eh. Da tuet me Leid u Freud, u Hoffe u Chummere, u Meine u Glaube schön zsäme teile. Eis nimmt dem an͜dere sịs Pünteli ab u laat si vom an͜dere d’Sach säge, u zsäme traage si, was eis nid liecht aleini chönnt.

Solchen Raum dürfen selbst die erwachsenen Söhne und Töchter nur ausnahmsweise betreten. Ein Jakobli,98 ein Felix99 etwa, wenn, von der Mutter außer­ordentlicher Gunst gespendet, ein Eiertätsch heimlich bereit steht. Und welche Ehre für Uli den Knecht,100 zum Abschied mit seinen Meisterleuten im Stübli frühstücken zu dürfen!

Nicht immer mit solchem Hochgefühl innern Wertes hatte das Knechtlein über die Schwelle dieses Heiligtums den zögernden Fuß gesetzt. Da war er noch nie gewesen, außer wenn der Meister ne wider einist het is Stübli gnoo un ihm d’Zäche gläse (vgl. «ein Kapitel 233 gelesen»),101 ihm d’Chuttle gwäsche het, «oder wenn er ihm den Lohn gab»102 Dann trat er ein «wie in einen geheimnisvollen Hain, in welchem einem Dinge begegnen können, die noch kein sterbliches Auge gesehen. Und es wäre ihm unmöglich gewesen, hier im Stübli ein unwahres Wort aus dem Munde zu bringen».103

Noch andere Weihen empfängt und erteilt der geheimnisreiche Ort, selbst und gerade dann, wenn es das unansehnlichste Stübchen der Welt ist. So das enge und ärmliche, in welchem der zu Hablichkeit und Ehren emporgearbeitete Großvater104 ein Stück Welt ums andere abwirft und mit reichem, freiem Geist die Hülle desselben dem engsten und ärmsten aller Kämmerlein anpaßt.

Stübeli105 ist die genauer entsprechende Verkleinerung von Stübli (wie dies von Stube), welche an und für sich eines besondern Wertgefühls entbehrt, den Raum einfach als sehr klein bezeichnet. Eine besondere Färbung, Abtönung liegt dagegen in der die große Heerstraße analogischer Wortbildung meidenden umlautlosen Form Stubeli (vgl. Bueb, Büebli, Büebeli, Buebli, Buebeli). Im Wort «Stubeli» liegt das wohlgeordnet Wohnliche, Trauliche und Traute. Ein Stubeli ist’s, was so ein ehrenwert schlichtes, bis in den Tod arbeitsfreudiges Mütterchen als den Inbegriff seiner ganzen kleinen Welt sein eigen nennt. Chamissos «alte Waschfrau» hatte eins.

Mit welch anderartiger Stimmung betreten wir die dem Stübli entgegen­gesetzte Hin͜der­stube, diese blaawwi oder rothi oder so und so als Ensemble ausgestattete Wisite­stube. Eine solche ist nach Straßers bekanntem Gedicht dem Berner sein Oberland; in eine solche führt auch der Bauer, die Bäuerin nur vornehme fremde Gäste zu kurzem Besuch. Und zwar ebenfalls meist nur im Sommer. Besondere Bauart, wie in der «Glungge», kann mit sich bringen, daß die Meisterleute die gewöhnliche Neben- oder Vorder­stube an das «Hinterstübchen» tauschen, welches an die Scheune grenzt. Damit wird dieses «des Hauses Ohr»; jeder Schall von vornen und hinten scheint «dort landen zu müssen».106 Dort ist’s aber auch, wo Familienglieder, die des Hauses Ruf und Ehre zu schädigen im Begriffe scheinen, «ins Gebet genommen werden»,107 mögen sie dann im Hin͜der­stübli chụppe,108 oder im stillen Kämmerlein Einkehr halten. Überhaupt kann dieser Hausteil samt dem an ihn grenzenden Hin͜der­stubestübli eine ganze kleine Wohnung für sich ausmachen. Schöner freilich ist’s im «Stöckli».

 
1 Interessante Beschläge von 1629 hat die Bleicherei Lf.   1a Trub 30, 110.   2 Besuch 171; SchM. 2, 266.   3 Pfr. Ris in Ök. Q. 10, 2, 45.   4 Wohl zu mhd. die lander = Stangen-Zaun; die «Lande» = Stangenpaar zum Einspannen eines Zugtieres; das Geländer, die Brüstung.   5 Käthi 398.   6 Pfr. Ris aaO. Heute 4-5 Franken.   7 Ger. Tw. (1793).   8 AB. 2, 404.   9 SchM. 1, 26 Hs.   10 Geltst. 312.   11 AB. 1, 198, vgl. 2, 13.   12 Spezieller: Sonniges Obergemach. L. Tobler, Kl. Schr. 220.   13 Trub 30, 110.   14 AB. 1, 413.   15 30, 110.   16 AB. 1, 413.   17 UK. 366.   18 Ök. Q. 10, 2, 42. Zu «beschießen» = den Boden pflastern. Stalder 2, 317.   19 GG. 3, 13.   20 Vgl. Bitter Th. 7.   21 Amtsr. 76.   22 BSp. 164 ff.   23 SchM. 2, 356.   24 Geltst. 409.   25 Lischeb. 17.   26 SchM. 2, 255.   27 AB. 1, 300.   28 UK. 169.   29 Ök. Q. 10, 2, 45.   30 Vgl. Trub 30, 109 f.   31 Hunziker aaO.   32 v. Allm. 2 f.   33 SchM. 1, 305 Hs.   34 Ebd. (1838, 48).   35 MW. Ws. 90.   36 Bifang.   37 Hunziker aaO.   38 AB. 1, 325.   39 Ger. Tw. (1788).   40 Ebd.   41 Ebd.   42 Ztgst. 2, 156.   43 AB. 1, 8; vgl. Stickelberger JG., 38.   44 AB. 1, 467.   45 GG. 3 71.   46 MW. Mg. 267.   47 Michel 254.   48 Schuldb. 182.   48a In Bern wird das Polizeigefängnis «Späck­chämmerli» geheißen.   49 Zh. 15, 17; SE. 3.   50 SE. 3.   51 Ger. Tw. (1788).   52 AB. 2, 28 ff.; 83 ff.   53 UP. 322.   54 SchM. 2, 65.   55 Dursli 233.   56 Vgl. L. Tobler, Kl. Schriften (in der Besprechung der «Mordnächte»).   57 Ztgst. 1, 179.   58 Geltst. 205.   59 UP. 243.   60 Segen 85.   61 Käthi 165; Dursli 294; MW. 2J. 118.   62 Arm. 156.   63 Bern. 267.   64 Käthi 165 Hs.   65 126.   66 1, 349.   67 Ztgst. 2, 126.   68 Gf. SF. 1902, 245.   69 Ebd. 276.   70 AB. 2, 02; SchM. 1, 123.   71 AB. 1 90; MW. 2J. 292.   72 Ger. Tw. (1788).   73 Schuldb. 280.   74 Käthi 284.   75 MW. Ws. 90.   76 Vgl. Ztgst. 2, 163; Käs. 377.   77 KL. 02, 232; 03, 172.   78 AR. 1818, 177; Käs. 233 und ö.   79 Käs. 233.   80 Ger. Tw.   81 MW. Anna 210.   82 Bifang.   83 Käs. 459.   84 Ger. Tw. (1789).   85 SchM. 2, 106.   86 Brüder 207.   87 Ztgst. 2, 204.   88 97/8.   89 184.   90 AB. 2, 28.   91 AB. 2, 56; Thorb. 62.   92 ABB, A.   93 JoSt. Alp. 69.   94 MW. 2J. 107.   95 SchM. 2, 86.   96 BSp. 128.   97 UK. 127.   98 AB. 1, 66.   99 Käs. 230.   100 UK. 159.   101 UK. 6.   102 128.   103 127.   104 Sonnt. 93. 127.   105 MW. Anna 252.   106 UP. 19.   107 BwM. 154; Bitt. SE. 4; Ztgst. Hs.   108 Burri XIII.  
 

Haus und Hof.

«Gleich Schneckenhäusern»1 (wir sagen eher: wie Schwaḷmli­näster) kleben an den steilen Hügeln einzelne der zerstreuten Güter und Gütchen des Emmenthals, deren Zentrum erst noch aus einem einzigen Häuschen besteht. (Siehe Abbildung.) Wer weiß, wie lang auch diese! Denn seit der ersten Besiedlung des Geländes setzt das alte Spiel sich fort: der Imbt stoost. Die Familie wächst. Aber nicht im selben Maße kann das Haus sich dehnen, und soll es nicht. Denn das Bauernhaus duldet nur éinen Bauer, der Hof nur éinen Thronfolger. Da gibt es denn verschiedene Wege der Unterkunft, je nach den sie erheischenden Umständen.

Der Hof Raingut-Bärg im Trittenbach.

Den gewöhnlichsten bietet der Stock, das Stöckli. — I gange i Stock, mir göö i’s Stöckli — wer spricht so? Zunächst des Bauers betagte Eltern, die jenem Haus und Hof übergeben haben unter Vorbebalt einer auskömmlichen Altersversorgung, eines geziemenden Schlịịs. Als Schlịịs­vatter und Schlịịs­mueter ziehen sie sich 235 mit diesem ihrem Altenteil zurück — nicht alle aus gleichen Beweggründen.

Der gewöhnlichste ist allerdings das Bedürfnis nach Ruhe. Im Stocke siedelt «der Alte mit seiner Alten sich an, um leise von der Welt sich zu lösen, sich vorzubereiten auf den letzten Umzug.»2I bi nümme hụ̈ụ̈rig, sagt eine; i gieng o lieber i Stock u hätt nümme so bös.3 — Mit einem befriedigten «I ha mi Sach gmacht» zieht sich zurück, wer als Pächter, als Tawner, als Knecht auf einen grünen Zweig gelangt ist und nun im Stöckli no an͜derhaḷbe guete Tag wott haa.

Stöckli.

«I gangen i’s Stöckli» — grollend spricht’s ein anderer in dem bittern Gefühl, entbehrlich geworden zu sein. Wie schwer wird es ihm, die Zügel aus der Hand zu geben! Eine neue Zeit, neue Verhältnisse, in die er sich nicht schicken kann, sind angebrochen; seine Verdienste werden nicht mehr nach Wunsch gewürdigt. Verbittert zieht er sich zurück — i’s Stöckli.4

Ebendahin können sich auf Lebenszeit begeben des Bauers ledig 236 gebliebener und betagter Bruder oder die ebensolche Schwester; der Erbonkel also und die Erbtante: der Stöckli­vetter und d’Stock­gotte.

Wie nahe können in all diesen Fällen Stock und Bauernhaus einander sein! So nah, daß man es allemal im Stöckli gewahr wird, wenn im Bauernhaus ein besonders guter Tag angebrochen ist. So nah aber auch, daß, wenn hier ein Unglück sich zugetragen hat, Trost und Zuflucht im Stöckli ist. Handkehrum, wenn bei den Alten Krankheit und Gebrechen eingezogen ist: wie nah die Hilfe vom Hause!

Wie weit sind Haus und Stöckli auseinander, wenn Unfriede herrscht! Oft wäre sogar gut, die chinesische Mauer wäre da, damit man hüben und drüben nicht sehen müßte, was einen ärgert.

Was aber ist das Stöckli für die Kinder im Haus! Ihr Dorado, wenn liebe Großeltern oder Gevattersleute dort wohnen. Im Schwi̦ck sịnd si̦e im Stöckli äne, wenn es Chröömmi (ein kleines Geschenk), es Lämmtschi (kleines Backwerk) in Empfang zu nehmen ist. Und wie oft sind die im Stöckli die Schutzengel der Kleinen, wenn drüben zufällig die Hut fehlt und etwa das ungedeckte Jaucheloch mit gräßlicher Gefahr droht! Wie sehen da oft alte Augen noch so scharf!

Zum scharpfen Egge wird hinwieder das Stöckli, wenn hämisch hinter ihm ein Glungge-Joggeli5 ausguckt, was im Pächterhause vorgehe.

Dann ist es aber auch schade um die Anmut eines solchen Pure­stöckli, wie wir deren eins auf S. 235 photographisch abbilden. (Es ist der «hoch über die Lande schauende» Wäḷti-Stock zum Schaufelbühl-Neuhaus, in welchem der vorliegende Band «Bärndütsch» entstanden ist). Es ist eins der kleinen «Einfamilien­häuser», die aber mit geringen Veränderungen im Einbau sich zum angenehmen Aufenthalt von zwei bis drei kleinen Familien, unter Umständen sogar mit kleiner Landwirtschaft, gestalten lassen; eine kleine «Villa» im römischen Sinn dieses Wortes, die in geschmackvoller Weise einen bescheidenen Komfort mit treu bewahrtem ländlichen Charakter verbindet. Das sind erfrischende Gegensätze zu den Ankerstein­baukasten oder zu den aus aller Herren Ländern zusammen­gewürfelten Kopien, die leider auch unsere Gegend zu verunzieren drohen.

Speicher als Wohnung.

Doppelt erfreut sich an der ländlichen Stattlichkeit eines solchen Stockes, wer durch seine Wort- und Sach-Geschichte blickt. Dieselbe knüpft direkt an den «Stock» an, den wir als Synonym zu «Stäcke» und als Verwandten des «Stücks» kennen. Stock und Stuck (Stück) sind irgendwie abgetrennte Teile eines Ganzen;6 jener ist insbesondere der Teil eines Strauches oder Baumes. Dem Baumstrunk im Gehölz, 238 der in frühster hiesiger Bauart einfach dem von ihm getrennten Stamm als Unterbau diente,7 gleicht in Aussehen und Gebrauch das als «Stock» aus dem Boden hervorragende Felsstück, der «steinen stok, dô daz haus uffe stunt8 Der römischen Steinbaukunst entlehnte der fränkisch-alemannische Holzbau zunächst die Ausgestaltung solcher Unterlage zum gemauerten Unterbau.9 Derselbe ward (wie noch im Alpenhaus) als Wirtschaftsraum in die Ökonomie des ganzen Gebäudes einbezogen; nach wie vor aber hieß er «Stock», oder, im Hinblick auf seinen Ausbau, «Stockwerk». Die Bezeichnung Ring galt sowohl ihm als dem Oberbau um seiner ringsum abschließenden «vier Wände»10 willen. Man hatte (und hat bis heute) einen obern und untern Ring und zog in diese Unterscheidung als Synonyme auch Stock und «Stockwerk» hinein. Der ebenso oft durch die Verhältnisse gebotene wie beliebt gewordene Anschluß an eine Berglehne führte zur Mehrstöckigkeit auch des Wohnteils und zur spassigen Benennung eines langen hageren Menschen: er ist e Zwee­stöckiger Drei­stöckiger (vgl. Stärne­haagge, d. i. einer der die Sterne herunterhäkeln kann).

Das kunstgerechte Graben und Wölben des Kellers als kühlen Speisebehälters nach späterm römischem Vorbild drängte den gemauerten Stock in die Höhe des (untern) Wohnteils, aber in die Hinterpartie desselben, als abgetrennten Teil des immensen Küchenraums und als Gegenstück zu einem der Wohngemächer. Wie nahe lag jetzt seine Umwandlung aus einem bloßen Vorratsraum zu einer Erweiterung des Wohnraums! Es war damit auch die Angleichung unseres «Bernerhauses» an das keltisch romanische Jurahaus mittelst der «Dreifäßigkeit» oder «Drei­schlächtigkeit» des Wohnraums gegeben, d. h. die Gliederung in Stubewärch, Chuchi, Stock.11 Wie sehr eignete sich dieser Stock mit seiner Abgeschlossen­heit und Stille zum Rückzug der Alten vom Bauerngeschäft, zum recht eigentlichen Altenteil! Viel Raum zu freier Bewegung gewährte er freilich nicht, und ein Leben so ganz für sich, auf eigene Rechnung, gestattete er keineswegs. Welch ein gelungener Ausweg daher, mit Hab und Gut aus dem Hause auszuwandern, und in seiner Nähe zum bequemen sich Vertue sich anzusiedeln, und den «Stock» unter altem Namen, aber mit ganz neuer Gestaltung als eigenes stattliches Gebäude mitwandern zu lassen! Der im Bauernhaus zurückgelassene «Stock» ward fortan als «Hin͜derstube» in die bäuerliche Wohnung mit einbezogen. Seiner Fortbildung konnte aber auch eine 239 Rückbildung zur Seite gehen, wie der Grundriß unserer Abb. (S. 199) lehrt. War nicht der gemauerte Stock, falls er, wie in dem kleinen Häuschen, niemals als Wohnraum zu dienen in die Lage kam, zu einem Backofen geeignet?

Als solcher konnte er auch füglich in dem großen Küchenraum verbleiben, während sein lästiges Hineinragen mangels andern Platzes in die Wohnstube hinein seine Entfernung dringend wünschbar machte.

Speicher der ältesten Form.

Man versetzte ihn also vielfach in ein eigenes steinernes Gebäude, das als Wasch- und Ofenhaus — kurzweg Ofehụụs genannt — auch zur Besorgung der jährlich 2 bis 3 großen Wäschen dient. Für besondere Anlässe mag er auch den Küchenherd ersetzen oder ergänzen. «Laß feuern im Ofenhaus, daß man eine Hex braten könnte!» befiehlt seiner Frau der Amtsrichter12 in Erwartung hoher Gäste. Zu solchen Zwecken ist das im Hintergrund des Gehöfts versteckte unscheinbare Gebäude gut genug. Wegen seiner Kunstlosigkeit muß es als Bild für eine plump vierschrötige Person13 oder auch für einen von Hochmut groß gemachten Kopf14 dienen. Dies, verbunden mit seiner Entferntheit wegen Feuersgefahr, stellt der Volkswitz so dar, als dürfe es sich neben der Kunstfertigkeit der andern Gebäude nicht sehen lassen. Drum nennt er Verwandte, welche um ein Glied weiter als Geschwister­kinder unter sich entfernt sind: g’schwisterti Ofehüsli. Allein die Baukunst des Emmenthals versteht es, selbst aus einem so unwohnlichen 240 Gebäude gegebenenfalls, ohne Beeinträchtigung seines ursprünglichen Zweckes, ein richtiges Wohngebäude zu schaffen. Kleine Umbauten machen es für Mietsleute geeignet.15 Oder ausgekaufte ältere Brüder des jungen Hofinhabers erheben das Ofenhaus zum Mittelpunkt eines neuen Gütchens. Hieraus können gelegentlich so verzwickte Eigentums­verhättnisse sich auf ferne Zeiten hinaus vererben, wie z. B. zwischen Vorder-Ellenberg und dem Gemeinde-Spital. Endlich können die zum Rückzug entschlossenen Eltern noch bei guter Zeit sich aus dem Ofenhaus einen so anmutigen Sitz gestalten, wie dies eben in dem S. 235 abgebildeten Stock der Fall ist.

Da und dort (doch unseres Wissens in Lützelflüh niemals) ist auch schon der Speicher — Spị̆her — zu einer Wohnung umgestaltet worden, so einer in Rüederswil (Abb. S. 237). Und warum sollte nicht sein wohnliches Aussehen dazu einladen? Haben wir ja doch in ihm das alte Alpenhaus bis in unsere Zeit forterhalten16 (Abb. S. 239), und wurde im Wohnhaus seine Bauart nur um des mächtigen Raumbedarfs willen verlassen! Dafür ist ihm Schmuck und Zier des alten Wohngebäude-Stils nicht nur verblieben, sondern in der von Künstlerhand (S. 136 ff.) geschilderten Weise ausgestaltet worden.17 Ungleich den Stock und dem Ofenhaus, welche sozusagen aus dem Bauernhause «ausgewandert» sind, als Kolonien neben dem Mutterhause, kann der Speicher als der ideelle Urbestand des Gehöfts angesehen werden: der stattlichen Mutter leben zwei Kinder und noch ein Großmütterchen mit unverwüstlich schönen Zügen, das, wenn es dahingeht, durch niemanden ersetzt wird. Denn bei Neubauten, wie z. B. im «Neuholz», wird der Speicher ins Haus hineingeogen, als Vorratskammer neben der Heu- und Garben-Bühne angelegt. Hierher paßt ja auch vorzüglich der «Ähren-» oder «Kornraum», wie der Spịher eigentlich gutdeutsch hieße.18

Partie eines dezentralisierten Bauernhofes.

In der Tat können wir, wenn wir zu seiner Besichtigung nähertreten, es ganz wohl treffen, daß gerade der zwanzigjährige Sohn des Hauses einen Mütt19 Roggen ung’schnŭ̦ppet (ohne hörbares Atmen) d’Spị̆her­stägen uuf treit. Auf die Spiher­laube verbringt er ihn einstweilen (steḷḷt ne n ab),20 um ihn bei erster Gelegenheit drinnen auf dem Chornbode auszuschütten. Dieser Kornboden war auch das Zentrum der obrigkeitlichen Zähnt­spiher. Über den schlechten Zustand «zweyer oder gar dreyer alten Spychern» beklagte sich 1760 21 242 der Landvogt von Brandis bei der Berner Regierung bitterlich, und zwar aus dem Hauptgrund: «Diese schlechten Speicher sind angefüllt mit ferndrigen Getreydt, so die Mäuse zerfressen, ohngeacht mit Gifft sorgfältig begegnen wollen.» Der Rat ordnete Abhilfe an.

Als solche Speicher, meint der Pfarrer von Gytiwil in seiner Schulhaus­weiherede, sollen die Eltern auch ihrer Kinder Seelen ansehen und anfüllen mit edlen Früchten und Metallen. «Dä donstigs Naar!» schimpft darauf die Ammännin. «Mir machen alli Jahr meh weder zweuhundert Mütt Gwächs, u das söḷḷi mir aḷḷs i üsers̆ Buebs Grin͜d ịhe thue. Öppis Tumms eso ga sä̆ge!»22

Auch sonst ist in diesem mittliste Spiher23 (d. h. im mittlern Speicher-Boden) allerlei Speisevorrat anfgestapelt. Die dort aufbewahrte Backmulde dient zugleich als Brotbehälter; Schnitztrog,24 Fleischplatte25 und Honigtopf (Huṇ’ghafe) thronen in bestem Einvernehmen nebeneinander.

Ferner ist «der halbe Speicher» voll Tuch und Garn,26 und für einen Notfall holt man dort kurzerhand eine Bettdecke,27 wie für eine belangreiche Fahrt das neueste Pferdegeschirr.28 — Kein Wunder, daß eine reiche Baslerin in den Ruf ausbrach: Wahrhaftig, das ist ja ein Königreich, die Bäuerin eine Königin! Sie hatte das seltene Glück29 gehabt, als Ehrengast in die Geheimnisse dieses «Herzens» oder dieser «Schatzkammer» eines Hofes30 eingeführt zu werden. Den ehemals dort geborgenen nervus rerum31 hat wahrscheinlich auch sie nicht zu sehen bekommen; nach Familien-Dokumenten aber, diesen Adelsbriefen, Stammbäumen und Wappen des Bauernhauses, wie sie selten so sorgfältig wie im Bifang zu Lützelflüh verwahrt werden, hat sie wohl gar nicht gefragt. Der gewöhnliche Beschauer bekommt nichts zu sehen, als die unter schützendem Dach überwinterten sperrigen Geräte, wie Eggen und Sensen, etwa auch die an den Außenwänden mit peinlicher Ordnung aufgeschichteten Wurzelstöcke u. dgl. — Dem Bauer ist eben der Speicher wichtig durch das, was er birgt, wie dem Baukundigen durch das, was er vorstellt.

Der Weiler Flüelen mit Ausblick auf verstreute Lützelflüher Berggütchen an der Trachselwald-Seite.

a) Rafrüti; b) Haslimatt; c) Weg; d) Waldhüsli; e) Sahli; f) Ob. Eichli; g) Unt. Eichli; h) Schüür; i) Stiig [Grüenenmatt]; j) Ob. Halde; k) Eige; l) Fuhrli; m) Straße Sumiswald-Lützelfüh; n) Holzhaus Gygax; o) Wohnhaus Gygax; p) Flüelenstalden; q) Wohnhaus Gammeter; r) Speicher Gygax; s) Wohnstock Gygax; t) Wohnstock Gammeter; u) Küherhaus Gygax; v) Wohnhaus Kauer

Wie die neue Bauart den Speicher ins Haus verlegt, so zog schon die alte die Scheune mit unter des Hauses Dach. (Schụ̈ụ̈r, Scheuer ist ihre oberdeutsche Bezeichnung.) Freistehende Scheunen notieren jedoch unsere Hofbeschreibungen nicht selten. Als ihr Vorbild konnte die obrigkeitliche Zähnt­schụ̈ụ̈r gelten. Im Gegensatze zu den kleinen Heu- 244 oder Schaf-Schụ̈ụ̈rli auf entlegenen Fluren, zum Säuschürli hinten am Haus32 u. dgl. rief sie mit ihrer Größe so bekannte Bilderreden hervor, wie: Für das aḷḷs (im Chopf) z’bhaḷte, müeßt men e Chopf (oder Grin͜d) haa wi n e Schüür, wi n e Zähnt­schüür.

Eine ganze Anzahl solcher alleinstehender Scheunen erhoben sich ehemals zu Ausgangspunkten eigener Güter oder Gütchen, indem Wohnungen sich unter ihr Dach schmiegten. Andere blieben Mittelpunkte entfernter Flurstücke. Vgl. Namen wie d’Schüür, genauer: Trachse͜l-[wald]-Schüür33 (1783 noch ohne Wohnung). ’s Schüürli.34Schüürbóde, Schüürli­wäḷdli, Schüürmátt, Schüürli­chnube͜l, Schüürli­acher — Die Chäwwpe̥rg-Schüür.35 Zu Oberried: die Taaḷschüür36 und das As̆pi-Schüürli.37

Auf großen Gehöften steht etwa noch das Hoḷzhuus unter eigener First.

Mehr als fünf Firsten zählt ein Emmenthaler Bauernhof nur in Ausnahmefällen. Eine starke Überschreitung der Norm muß es heißen, wenn z. B. der Haueter-Hof zu Waldhaus38 nicht weniger als zwölf Gebäude zählt (vgl. die teilweise Wiedergabe in Abb. S. 241): 2 Wohnstöcke, 2 Speicher, 1 Holzhaus, 2 Scheunen, 1 Schweinescheuer, 1 Matten­scheuerlein, 2 kleine Wohngebäude für Dienstboten-Familien, 1 Bienenhaus, 1 einzelstehender Abtritt (eben Hụ̈̆sli in dieser spezifischen Bedeutung; vgl. Hụ̈̆sler = Jauche). Das kleine (auf der Abbildung nicht figurierende) Hauptgebäude dieses Gehöfts, wegen seiner Bedachung schon für sich ein Unikum, ließe den Charakter eines richtigen Bauernhauses noch einmal so empfindlich vermissen, wenn es nicht den imposanten Gebäuden der Nachbarschaft gerade damit zu vorteilhafter Abhebung diente. Die Dezentralisation aber, welche der originelle Haueter-Ueli hier in einer über das Ziel hinaus­schießenden Weise durchgeführt hat, bestätigt als Ausnahme die Regel, daß der Bauernhof des richtigen Bauernhauses als eines all­beherrschenden Zentrums bedarf. Als Beispiel hierfür diene der Gygax-Wälti-Hof (Abbildung S. 243), dessen photographische Aufnahme in Verbindung mit dem Gammeter- und Kauer-Hof zugleich den Weiler Flüele darstellt. Das weithin sichtbare Bauernhaus im Vordergrund, dessen Grundriß wir in Abbildung S. 217 brachten, beherrscht in zugleich gebieterischer und anmutig 245 einladender Weise das ganze Gehöft mit dem hübschen Wohnstock, dem Speicher, der (nicht sichtbaren) Scheune samt angebauter Volière und den übrigen (signierten) Nebengebäuden.

Die den Weiler oben im Bild abschließende Linie ist die Sumiswald-Lützelflüh-Straße. An ihr liegt das Wirtshäuschen Flüele­stawle. Vor ihm breitet sich das steile Gehölz über der Grüne, und oben im Bild weisen die zerstreuten Lützelflüher Bergheimwesen an der Trachselwalder-Seite auf den Anfang unseres Unterkapitels «Haus und Hof» zurück.

 
1 Kuhn AR. 1822, 62.   2 Land 23; UP. 17.   3 Bern. 2 l. 7.   4 Gfeller.   5 UP. 370.   6 Kluge 5364. 368.   7 Vgl. die Erbauung Berns nach Justinger.   8 Mhd. WB. 3, 654.   9 Volksk. 75.   10 Vgl. «Wall» und englisch «wall».   11 Hunziker Af. Vk. 1, 21 ff. 2, 100 ff. Anz f. schwz. Altertumskd. 1899, 155 ff.   12 71.   13 AB. 1, 175.   14 UK. 86; UP. 343.   15 Ger. Tw. (1789).   16 Hunziker aaO.   17 Mit unsern einschlägigen Abbildungen vgl. Gladbach 1, 21 und Tafel 30 sowie im «Bauernhaus» des schweiz. Ingenieurs- und Architekten­vereins Blatt «Bern» 19.   18 Spicarium zu spica, franz, épi, Ähre, wie grenier, granarium = Kornboden.   19 100 kg. Der Mütt = modius.   20 AB. 1, 344.   21 ABB, A. 13 ff.   22 SchM. 2, 373 f.   23 OB. 1904, 20,   24 BSp. 34; Wass. 77.   25 AB. 2, 44.   26 UK. 117.   27 GG. 3, 151.   28 GG. 3, 67.   29 SchM. 2, 51.   30 Michel 297.   31 AB. 1, 10.   32 AB. 1, 157.   33 Wh. Sch. Oh. Sp. Ack. Ws. Wd. 1061,80.   34 Wh. Sp. Ack. Ws. Wd. 257,05.   35 Wh. Ack. Ws. Wd. 823,69.   36 Wh. Sp. Ack. Ws. 535.   37 Wh. Sp. Ack. Ws. Wd. 657.   38 E4; vgl. OB. 1903, 25.  
 

B’satzig.

Viehpflege.

D

 

er Viehstand, womit der Küher seine Alp, der Bauer seinen Hof besetzt, heißt di B’satzig1 oder der B’satz. Übertragen: «Der Mann soll die rechte Besatzung eines christlichen Hauswesens sein.»2 Der Kollektivname «Vieh» für die Gesamtheit der Stalltiere lautet in unserer Mundart Veh.3 (Nur humoristisch gilt «Vieh» für Tiere überhaupt: «weder Fledermäuse noch anderes Vieh».4) Das Wort bedeutet aber ebenso «ein Stück Vieh»:5 «Du hest vil Ungimach, schaffst win es Veh.» Hier ist also «Veh» soviel wie Haupt. Man sagt: «acht Haupt Veh». Die Form dient also zugleich für die Mehrzahl, obschon es bei Gotthelf6 heißt: «In der Schweiz sagt man, der Bauer habe so und so viel Häupter im Stalle; kurios ist das, und fast anzüglich.»

Ein Brautschauer wird gefragt, «wie viel Land und Lä̆big’s er hätte.»7 Also «Läbigs» (Lebendes) s. v. w. Lebware, Viehware, Vehwaar.8 Da hierin so gut wie in der Kaufmannsware der Begriff «Wertsache» steckt, so begreift sich, wie auch der Bauer sein Vieh kurzweg d’Waar9 nennt, und zwar vorab das für ihn nutzungsreichste Rindvieh. Bescheidener heißt ein Bestand von wenig Rind- und Schmalvieh ’s Wäärli. Auch wegwerfend oder eine Sache aufgebend sagt man: ’s git nüüt us däm Wäärli. Dem lat. pecu und pecus aber (Vieh als Vermögen) entspricht «die Habe»: d’Haab, ’s Haabli.

Man sagt also: d’Waar fuere. «Si het d’Säu gfueret»10 und dgl. Ebenso «fueret» man Menschen,11 und mit Subjektswechsel «fueret» eine rasch sättigende Speise: «Die Pastete, welche Eisi gemacht, fuehr’ 247 (sättige) afe!»12 Die Ergänzung fehlt in diesem Beispiel wie auch sonst häufig: Um vieri sött i wider hei ga fuere!13 Auch in neutraler Wendung sagt man fuere: sich als starker Esser geberden.

Eine rasch und reichlich sättigende Speise ist fuerig. «Das Essen ward eine fuehrige Sache.»14 Das Futter heißt zuweilen auch die Fuerig. «D’Waar het gueti Fuehrig.»15 Die Genesende «müeß me gwünd iez e chly nache fuehre16 Ein ausgehungertes Lebwesen wird zwägfueret.17 Dieses «fuere» ist gleichbedeutend mit fuetere: «d’s Mädeli fueteret m’r (die Hühner) scho.»18

Von den stattlichen Wällen — Waḷme19 — in der Tenne oder im Futtergang Heu oder Gras in den Barren schieben heißt kurzer Hand «hineingeben»: ị̆he gää.20 Der Rückstand der Heuwälle: das Heubblüemt («Heublümt»)21 gibt einen hochgeschätzten Aufguß für Bäder und als «Tee» (auch für Pferde),22 dagegen eine schlechte Aablüemig für Dauerwiesen. Gläck heißt zunächst die Salzgabe, die den Wiederkäuern im Freien zur Abendstunde oder auch sonst behufs Anlockung mit der Hand aus der Gläck­täsche («Läcktäsche»)23 dargereicht wird. In einem Brief an Gotthelf heißt es: «Ich bin aber noch immer nicht überzeugt, daß man mit der Hundspeitsche mehr ausrichte als mit der Glecktasche.»24 Bei der Stallfütterung dagegen ist Gläck da aus Heu- oder Strohhäcksel, Rübenschnitzeln, Kraftfutter, Spreu, Kleie, Salz bestehende Kurz- oder Beifutter, das vor oder nach den Heugaben in der Krippe verteilt wird. Diese Krippe wird aber zuvor mit eme Heu- oder Strau­schü̦be͜l sauber ausgefegt, ụụs­g’rụụmt. Von der Raufe herunter­gezerrtes und verschleudertes Gras wird als Ụụsrụụmmi, Chrü̦pfe­ruummete gedörrt und als Heu verwendet.

Das Wiederkauen heißt măle. «So ein Tauf-Essen gleicht oft dem Mahlen der lieben Kuh, wenn sie in frischem Stroh liegt, die Augen behaglich halb schließt und langsam die Kinnlade hin und her bewegt.»25

Guet ’putzt ist haḷb g’fueret. Die Haut, dieser «Spiegel der Gesundheit», erfordert doppelte Aufmerksamkeit während des Haarwechsels: des Hääre, Enthääre, Haare im Frühling und Herbst. Sie will aber auch sonst tagtäglich mit Striegel und Bürste bearbeitet sein. Die Dräckrŏle am Hinterleib der Rinder, welche launig mit Tannbatze, Batze (Schuppen) der Fichte verglichen werden, sind ein ebenso ungünstiges Zeugnis wie die von Abmagerung redenden «Rollen»26 oder vielmehr Falten der Haut. Vom etwas energischen Umgehen mit Striegel 248 und Bürste her sagt man auch von zwei in Händel Geratenen: si hei zsäme g’strĭ̦glet, enan͜dere erstrĭ̦glet, erbürstet; sie hei e Striglete27 ghaa.

Die Reinlichleit wird befördert durch fleißiges Streue:28 Hinbreiten der Streui aus Stroh, Riedgras (Li̦sche), Tannreisig (Chri̦i̦s). Mache, daß men us der Streui chunnt: sich zeitig vom Lager erheben, seine Wegreise beschleunigen.

Der Emmenthaler ist im ganzen ein sehr tierfreundlicher Mensch. Nicht bloß aus der Berechnung größern Nutzens, sondern ebensosehr aus religiöser Scheu vor Brutalität. Wär drịschlaat, ver­sündiget si; däm chunnt’s nid guet. Der schöne Zug an einem bejahrten Knecht, der jedesmal den Holzschuh auszog, wenn er eine Kuh stü̦pfe wollte, damit sie sich erhebe,29 ist dem richtigen Emmenthaler ganz kongenial und entspricht dem Verhältnis, in welchem ein Jakobli30 zu seinen Schafen und Widdern, seinen Hühnern und Tauben stand. Ein Pferdeschinder vollends würde bald einmal dem Richter verzeigt, und eher als daß ein abgerackerter Gaul den Pferdemarkt bevölkern hülfe, wird er dem Abdecker (Schinter) zum Schlachten verkauft: i wott ’s Roß tootnigs g’seh! Im Zweifelsfall erteilt ihm der Eigner selbst nach dem Gnadenbrot den Gnadenstoß.

«Mit nassen Augen» schaut ein «Mannli» der verkauften Kuh nach, die zu behalten es nicht vermocht hat;31 ein Bauernknecht aber, welcher in der Feuersbrunst all sein sauer Verdientes verloren, weint erst, da er «den schönen Kleb» als Schützer seines Jungen tot daliegen sieht.32

«Da schön Chleeb» — in solchen Eigennamen bringt der Besitzer seine Tiere sich menschlich nahe und beweist, daß er sie alle, jedes in seiner Individualität, durch und durch kennt. Selbst der Bauer, der in vier Ställen seine vierzig Kühe wie Soldaten in Reih und Glied stehen hat, weiß gleich seinem Melker jede auf den ersten Blick mit ihrem Namen zu benennen, wenn auch diese Namen bei weitem nicht mehr alle sich auf Herkunft und Rasse, Farbe und Gestalt, Eigenart und irgend welchen Charakterzug beziehen lassen. Wie ein kinderreicher Vater schließlich «i der Brattig», so muß ein «hordreicher» Bauer im Herdenbuch nachschlagen, nachdem auch der Vorrat menschlicher Namen wie Roosi, Leeni und dgl. erschöpft ist. Sogar Knabennamen wie Mịggi (Emil) und Häḷm haben als Kuhnamen herhalten müssen. Man wählt dann aristokratische Vertreter des Pflanzenreichs wie Nägeli, Zitrone, Paḷme und qualifizierte Tiere wie das Beiji, bezw. die «Biene», 249 das Spịịri, der Fasan, der Leerch, Gu̦gger, Hirsch, Haas. Vorn im Stall erhebt der Brinz selbstbewußt sein Haupt; nur Vertrauten nahbar hält sich dort abseits die «Nonne». Drollig dagegen nehmen sich im Gegensatze zu echten Stiernamen wie Türgg, Schwizer, Leu, Guḷdi, Sti̦fe͜l Bezeichnungen aus wie Vögeli, Tụụbe, Wachtle, Amsle, Agerist; so auch die Blüemli, Tulipa, Veieli; oder Lụtzi und Leóni etc. Gänzlich zu schweigen von Hengstentiteln, wie sie in Stammregistern neben ächt heimischen Arbeits­pferdenamen (Lisi oder Lise, Chri̦gi oder Chrü̦gi, Grau, Fuchs, Schü̦meli usw.) sich breit machen. Anmutiger sind die Ziegennamen, welche in dem unsterblichen «Heidi» der Johanna Spyri ein «Geißenpeter» seinen Tieren beilegt, obschon «Meggerli» bereits in das Gebiet der kosenden Gemeinnamen hinüberreicht.

Solche schafft sich nämlich die Sprache der Kleinen und Großen reichlich. Teilweise geschieht dies nach Naturlaut­bezeichnungen wie möögge (Kalb), päägge (Schaf), brüele33 (Schwein, Kuh), meggele (Ziege), rü̦̆hele «rüchlen»34 (Pferd; von Menschen: wiehernd lachen). Andernteils ist dabei maßgebend der Ruf, womit man Tiere lockt; das Schaf: Hä̆li hä̆li! — die Ziege: Gịbi gịbi! Gịbeli Gibeli mĕ’ mĕ’ me,35 chum, i wiḷḷ der z’läcke gää’ usw.; Gibe sä̆’ ßä ßä36 — das Schwein: Gụs gụs! Gụsi Gụsi! — die Kuh: Hoopi oder Hu̦u̦pi sä! ssä! ssä! — das Kalb:37 Gụ̆tscheli Gụ̆tscheli38 (verballhornt zu «Gusteli»). Auch das an die Zugtiere gerichtete Kommando: hụ̈ụ̈! hott! usw. liefert seine Beiträge. So kommen wir zu Namen und deren Ableitungen wie: die Gị̆be. (So heißt auch ein kleiner Ziehschlitten.) Vo der schwarze Gị̆be meggeli (oder gị̆beli) d’Milch eso starch!39 Das Pääggeli40 (Lämmchen), «Pfyffebääggeli»41 (1846: «Zuckerbrötchen»). Das Gụsi,42 das Hoopi,43 die Hoopeni.44 Das Hotti, Hotteli (besonders für das hölzerne Spielpferd). Sarkastisch sagt man dagegen von einem verdächtig süßlich riechenden und schmeckenden Stück Fleisch oder Wurst: das ist vo mene Hụ̈ụ̈!

Besondere Gelegenheit, seine Tier­freundlichkeit zu erweisen, findet der Bauer bei Behandlung bezw. Verhütung der zahlreichen Viehkrankheiten. Für schwierigere Fälle45 wird ungesäumt der Tierarzt zu Rate gezogen, und der in Grünenmatt stationierte Vehtokter ist ein stark beschäftigter Mann. Ältere Bezeichnungen für Stalltier­krankheiten 250 sind: «das Roth,46 das Rothwerk oder Ungenannt; die Plag;» «das Blutschweinen oder Versorren47 «die Kalte Gelte oder Seuch unter den s. h. melken Kühen» (1775).48 Die «weiße, gäle und rothe Lungen-Sucht»,49 sowie der mit Menschen, die viel auf feuchten Weiden zu tun haben, gemeinsame Weidhueste, ’s Weidhüestli des Rindviehs entsprechen den Hals- und Lungen­krankheiten des Pferdes: vor allem dem Stränge͜l oder der Truese (Kehlsucht). «I ha der Stränge͜l» heißt derb komisch auch: ich habe Schnupfen. Dem strängelige Roß fließt harter, zäher Schleim aus dem Maul: es hat den Chị̆fe͜l-Stränge͜l. Kann es diesen nicht herausschaffen (use mache), und gesellen sich gar Tuberkeln dazu, so stellt sich der hoffnungslose Lunge-Stränge͜l ein. Laßt man ein solches Übel verhocke oder befördert es gar noch durch eiskaltes Tränken nach starker Erhitzung, so uberchunnt ’s Roß e Lunge wi ne Wanne (Asthma, Emphysem); es tribt ihm der Bụụch z’stöösewịịs ụụf, es het die größti Müej, z’ Aate z’choo; es hĭ̦pnet. Das arme Tier ist bụụchstöösig oder dämpfig, es het d’Dämpfigi: eine Krankheit, der man durch ausschließliches Darreichen abgebrühter Kleie (heißes Chrü̦ü̦sch), gschnätzleti Rüebli,50 Tämpfe und Träiche mit Tụ̈ụ̈fe͜lsdräck (Assa foetida) abzuhelfen sucht. Ein bei Gotthelf als «hauptmürdig»51 bezeichnetes Übel ist der Rotz.

Gefürchtete Wiederkäuer­krankheiten sind: die stiḷḷi Fü̦ḷḷi (Entzündung der Labmagenhäute); der Läsi-Bran͜d oder die Entzündung des Läsi. (Das Läsi ist soviel wie «der Psalter» oder Blättermagen der Wiederkäuer.) Der Vierte͜l ist Milchdrüsen-Entzündung in einem Euterteil. Der sexuellen Sphäre gehören an: das Ụụstrücke (Vorfall der Matrix oder Bu̦u̦rdi); das Bĭ̦rche (Scheidevorfall); das Erwäärffe oder die Frühgeburt. (Erwärffe ist verwerfen, d. h. in verfehlter Weise werfen, «vertragen».)52 Bildlich: We’s vor Miche͜lstag (29. Sept.) ăhe schneit (in die Täler oder auf den Jura hinunterschneit), so het der Winter erworffe (vorzeitig seine Kraft verbraucht).

Der quälenden Zungengeschwulst (der Zungeleist oder der Rụụch genannt), durch stechendes und staubiges Futter verursacht, gesellen sich beim Pferde noch bei: der Fröösch oder Frö̆schsch (Frosch), verursacht durch Zahnwechsel oder auch durch kaltes Gebiß. Die Haut hinter den Zähnen wird seer (äußerst empfindlich), ist dem Wundwerden nahe, und hindert das Tier am Fressen. Eine ähnliche Über­empfindlichkeit der Mundwinkel macht das Tier lin͜dbịịsig: es wird beim leisesten Anziehen 251 des Zügelgebisses scheu und bäumt sich, überwirft sich und schleudert den Reiter ab, wenn dieser es uberzäumt. Das Gegenteil ist hertbịịsig oder hertmụụ̈lig: mit unempfindlichen Mundwinkeln.

Die unheimlichsten aller Krankheiten: die des Gehirns, fehlen auch beim Tiere nicht. Beim Schaf verursachen Würmer die Drehkrankheit (e sturme Grin͜d). Von fallendem Weh der Kühe beim Schauen ins Wasser oder bei starker Besonnung berichtet 1825 Pfarrer Fetscherin in Sumiswald.53

Beim Pferd aber bewirkt Avenin-Vergiftung bei Überfütterung mit Hafer nach Heißhunger der wüetet Choḷder (den «wütenden» Koller). Der Haber ist ị̆hm i Chopf choo, es het der Haber im Chopf — aber nicht in der übertragenen Bedeutung, die beim Menschen auf Hoch- und Übermut weist (die Uberi̦gi; vgl. er ist u̦berig, ist e Ubergịtzi, tuet wi n en Ubersau.)54 Vielmehr verrät das Tier rasenden Schmerz: es scharet u stampfet u schlaat ụụs und schlängget der Grin͜d, wi we’s nümme gschịịd wär. Vgl. choḷderig, choḷdere und Choḷder beim Menschen. E Choḷder: Einer, mit dem nichts anzufangen ist,55 der eigensinnig auf einem Vorhaben beharrt.56 Der Choḷder mache;57 er ist e Choḷderi, e Choḷder­grin͜d. Etwas ganz anderes ist der schlaafet (schlafende) Choḷder des abgerackerten Gauls. Ein solches Tier schläft beständig halb oder ganz, auch beim Stehen, und bleibt unempfindlich gegen Ohrenkitzel, gegen Treten auf den Fuß, gegen lautes Rufen. Unversehens wird es im Gespann tot umfallen, wie ein lungenfaules Tier.

Den meisten Unbilden ist begreiflich das Gangwerk des Pferdes ausgesetzt. Besonders beim bäre­täḷpige oder -taḷpige Roß, das infolge fast wagrechten Wuchses der Fesseln wie ein Bär als Sohlengänger auftritt. Die auf nassen Weiden erweichten58 und im Stall von Urin durchseuchten Hufe bekommen in der Tiefe der Sohlen-Aushöhlung die übelriechende Strahḷ­fụ̈̆li. Ebenfalls von unzulänglicher Einstreu, sodann von Selbst­verletzungen z.B. beim Träme͜l-Chehre im Wald, auch von unbequemem Liegen wegen zu kurzer Halfter kommen Übel wie der Stŏlesecke͜l oder der Chroone­tritt (Krone: die rund um den Huf gehende behaarte Erhöhung unten an der Fessel). Oder es treten ein: Verletzungen der Baḷḷe (die Baḷḷe = die Fersen des Hufs), und schließlich der Beginn fäuliger Ablösung des Innern vom Ballen:59 die Hụụfreh. Wird die Behaarung der Krone weder im Sommer fleißig entfernt, noch im Winter sorglich geschont, so stellt sich im Fesselgelenk 252 ein flechtenartig beißender Ausschlag ein: die nassi (fließeti) oder die weniger schlimme trocheni Räppi̦gi. Waten durch Wasser oder nassen Ton verschafft dem Tiere Linderung, Einreiben von Fleisch­schmutz (Fett ab der Fleischbrühe) Heilung.

Gsehst das arme Roß dert? Das ist uber­sprängt. Lue, wi n es uberfü̦̆ren ist! Es cha d’Bein nid strecke, es macht mit de Chneue der Haagge. Öppen e Närve (die Närve = der Nerv bedeutet zumeist svw. Sehne) wird ver­schrĭ̦sse (gerissen) sịị, oder eme͜l wüest etstremmt (gelähmt). Aber lue, isch das Tier nid bi aḷḷem o no sätzig? Gsehst dä Un͜dersatz, das Uberbei, dä fụụstgroß Chnụppe da a der innere Sịte vo der Haxe (Gegenseite der hintern Kniekehle)? We si öppis chönnti, so täte si da mit eme ung’chochete Rindsbei (ungesottenen Rindsknochen) rịịbe. Aber lue, wiḷ me nụ̈ụ̈t derggäge macht, het iez das arme Tier o no der Un͜der­schluck. Gsehst di Bei, fast so dick wi n es Stooschü̦bli (Butterstoßfaß)? Däm abeg’chaarete Tier sött me grad e Schutz (Schuß) i’s Ohr gää. U das näbezueche, wi ist das pläästig! G’sehst di Plääst (Gichtknoten)60 a de Beine? Das Roß het g’wärchet. Das het’s nid g’macht wi ne fụle Möntsch, vo däm me seit: dä tuet e keni Plääst ụụf­spränge! drum isch es dißt wüester, we men eme Roß nüüt boorget, we’s scho afen einist i d’Chneu g’heit (gestürzt) ist. Mi seit haḷt nid vergäbe: Wenn es Roß einist i d’Chneu gheit ist, isch es grad (sofort) zweuhundert Franke min͜der wärt.

Zum Kapitel der Reinhaltung gehören Zufälle wie die Toggeli­zü̦pfe: die fast oben an der Schwanzrübe beginnende und fast bis ans Ende des Schweifs verlaufende klebrige wirre Verflechtung der Haare während der Nacht, aus Mangel an durchsichtiger Erklärung (wie Naßliegen) dem Toggeli (Alp, Alb) zugeschrieben. Ab­g’fieggets, ụus­g’ri̦psets, uus­g’ranggets Chammhaar (Mähne) deutet auf nachlässige Behandlung der Haut unter den langen Haaren des Halses (und auch der Stirne) eines derart chämmig («mähnig»)61 gewordenen Pferdes.

 
1 UK.50 uö.   2 Geltst. 95.   3 Widm. 106; Käs. 150 uö.   4 Käthi 42.   5 Ott 1, 47.   6 Erbv. 27.   7 AB. 1, 210.   8 Schuldb. 37.   9 UK. 241 uö.   10 Michel 281; vgl. Gf. SF. 1902, 230.   11 MW. BK. 2.   12 Geltst. 69.   13 Geltst. 146.   14 SchM. 1, 290.   15 Trub 30, 96.   16 MW. 2J. 250.   17 AB. 1, 47.   18 MW. 2J. 4.   19 UK. 169. 170.   20 UK. KR. 8 uö.   21 AB. 1, 122.   22 Ök. fol. 15, 3.   23 Barthli 47.   24 AB an JG.; Beitr. 641.   25 AB. 2, 88.   26 AB. 1, 213; vgl. Beitr. 640.   27 Heiri 133.   28 UK. 27.   29 OB. 1903, 25.   30 AB. 1, 51.   31 UK. 207.   32 BSp. 186.   33 Käs. 67.   34 AB. 1, 130.   35 Der Lenis (‘) bezeichnet den Knacklaut.   36 Barthli 31.   37 Chutscheli (Chuetscheli).   38 So schon bei Glutz.   39 MW. Ws. 98.   40 Schuldb. 120.   41 Dursli 266.   42 AB. 1, 330.   43 SchM. 1, 255.   44 ebd. 142.   45 und wo die Hausapotheke nicht ausreicht.   46 Ök. fol. 25; RB. 87.   47 Trub 30, 142.   48 Ök. fol. 15 B 2.   49 ebd. 1.   50 ebd, 3.   51 SchM. 1, 159.   52 ebb. 1, 144. 219.   53 Ök. Q. 29, 23, 78.   54 LZ. 1904, 135.   55 UK. 339.   56 SchM. 1, 70.   57 Barthli 35.   58 Ök. fol. 15, 1, 217.   59 ebd. 15, 3.   60 SchM. 2, 289.   61 SchM. 1, 159.  
 

Zucht.

Die allgemein alemannische Zuchtrichtung hält seit Ende des 18. Jahrhunderts die Rangordnung inne: Rind, Schwein, Pferd, Ziege, Schaf. Früher stand die Ziege in letzter, das Pferd in zweiter und zur 253 Helvetierzeit in erster Reihe. Beiden Reihen entsprachen (quantitativ) 1901 in Lützelflüh einigermaßen die Zahlen: 2848 Rinder, 1340 Schweine, 316 Pferde und 4 Esel, 501 Schafe, 269 Ziegen. Rind und Pferd — also das Großvieh — bilden aber qualitativ nach wie vor den eisernen Bestand der mittelgroßen Landwirtschaft. Allerdings lange nicht wie vor dem großen Umschwung der Verkehrs- und Wirtschafts­verhältnisse.1 Da hatte noch kein Bedürfnis nach Frühreife und raschem Geldumsatz das 6 bis 7 Jahre lang sich entwickelnde und 6 bis 7 mal so lange lebende2 Pferd aus der Zucht beinahe ausgeschaltet. Letztere brachte daher auch ins Emmenthal bedeutende Summen.3 Namentlich Mailänder4 wurden durch Roßtụ̈scher (ähnlich unsern Roßjude)5 auf dem Roßmäärit in Langnau und in Sumiswald6 aufgekauft und nach Farben zusammen­gekoppelt «gen Lamparten»7 transportiert. Das war auch die Zeit, wo ein Hansli Jowäger8 auf vier Kühe ein Roß hielt, ein «Uli»9 als Jüngling von sechs Rossen und zehn Kühen im Stall träumte, und als Pächter nachsann, ob ihm «eine Fülimähre oder zwei Fährlimoore»10 mehr eintragen. Es war die Zeit, wo man den Reichtum eines Bauers durch die Rede kennzeichnete: dert luege vi̦i̦ḷ Roßgrin͜de dür d’Baare­löcher. — Heute hält selbst ein Besitzer von 40 Kühen nur vier, höchstens vorübergehend fünf Pferde, und deren drei bis vier auf zwanzig Kühe11 dürften als Durchschnitt gelten. Es gibt aber in Lützelflüh selbst auf gebirgigem Gelände Bauern, die zu sieben bis acht Kühen gar kein eigenes Pferd stehen haben, sondern für Arbeiten z. B. im Holz sich mit Lehnrossen behelfen. Auch zählte die so ausgedehnte Gemeinde 1901 neben 18 trächtigen oder säugenden Stuten keinen einzigen Zuchthengst. So kam denn auch 1903 aus Lützelflüh an der dortigen Pferdeschau kein einziger zum Wettbewerb. Der Schwerpunkt dieser offiziellen Schauen ist einerseits auf Stuten «für Reit- und Wagenschlag», anderseits auf Zuchstier- und Zuchtrind-Anerkennungen (in Grünenmatt usw.) verlegt, und die einst berühmten Hängste-Zeichnige12 auf der Straße vor dem «Ochsen» in Lützelflüh sind nur noch ein Schatten ihres frühern Glanzes. Selbst «die Gschaui»13 ist in diesem Sinn am Erlöschen und ist hinter «Zeichnig» zurückgetreten. Der Pferde­aussteller harrt der Aufforderung des Preisgerichts­präsidenten: «i d’Schmitte!» Hier hält der Schmied bereits den glühenden Brand in Händen, um dem Tier, das 254 seinem Eigner eine Breemie (Prämie) einträgt, schmerzlos leise das Anerkennungs­zeichen auf die Oberschenkel zu drücken.

Dieselbe Abstufung der Wichtigkeit macht sich gegenüber den Jungtieren geltend; doch bildet die Schwierigkeit, welche die Aufzucht eines Fohlen oder Füllen (Fǘ̦li) bereitet, ihrer Seltenheit ein Gegengewicht zugunsten der Schätzung des Zuchttieres. Zu solchem Uufzieh gehört vor allem gute trockene Weide. Nur auf solcher kann das junge Pferd seiner Natur gemäß sich tummeln, eben tue wi n es Füli,14 sich gehörig auswachsen und in seinem Wesen gesetzter, manierlicher werden. Vgl. das Urteil: s’ Fü̦li ist no nid us ihm use.15 «Es Jahr lenger chönne Fü̦li sịị» ist denn auch eine Wohltat für Kinder, deren kurz vor dem 31. März fälliger Geburtstag sie erst fast siebenjäßrig schulpflichtig werden läßt. Kleingewachsene Leutchen bleiben auch ohnedies länger mit erschöpfender Arbeit verschont: chlịịnni Rößli blịịbe lang Füli.

Wenn ein verzogener einziger Sohn «es vöḷḷigs Füli vo Chaḷber­ochtigi»16 betitelt wird, so ist damit bereits die innere Verwandtschaft der beiden Großjungtiere dokumentiert. Chaḷber­ochtig aber führt sich erst recht ein Michel17 ein und auf, verübt ein Chaḷber­stückli nach dem andern, chaḷberet (benimmt sich ungeberdig), tuet wi n es ung’läckets Chaḷb — bis die durch solche Prüfungen als die rechte Erfundene zur Einsicht gelangt: «Es ist aber auch schon manches strụ̈ụ̈bere Chalb, als Michel ist, geleckt worden.»18 — Bei aller mit den Füllen geteilten unbesonnenen Lebhaftigkeit ist aber das Kalb schwerfälliger, leiblich und seelisch ungelenker. Daher ertrünnt einem, der hin und wieder durch eine gescheit sein sollende Dummheit von sich reden macht, s’Chạlb aḷben einist (hie und da). Auf die bekannte Beschwerde aber: «es ist ja feister wi in ere Chue inne!» erfolgt etwa die Neckantwort: «das cha numen es Chaḷb wüsse!» Und die Aufforderung, sich zum Empfang der Pfarrfamilie vom Schläfchen zu erheben, kleidet eine Kirchmeierin in die Worte: «Herr Jeses, Ma, stang uf, du Donners Chalb!»19

Mehrzahl: Chaḷber, selten: Chäḷber. «Der Anke giḷtet gäng no viel, un d’Chäḷbli, die si b’süechig20 (rar).»

Die Beschränkung der Bezeichnung «Kalb» (in der Koseform: Chäḷbschi) auf etwa die ersten drei Lebensmonate zeigt sich auch in der bildlichen Rede: wenn d’ es Chaḷb witt, heusch e Chue. Das Jungtier vor und während der ersten Trächtigkeit heißt dann die 255 Chaḷbe (so auch mhd.; bei Gotthelf21 und Marie Walden22 die «Chalbete») oder: es Rinderli.23 Ohne Bezug auf die sexuelle Sphäre wird das Jungtier das Gu̦sti genannt (im Oberland: «Meische»). Chaḷbechue: Kuh, welche erstmals geworfen hat.

Die Bezeichnung «Gusti» trägt dagegen z. B. im Oberhasli die Ziege, die noch nie geworfen hat. Wir nennen sie für diese ganze Zeit Gĭ̦tzi. Verweist der Habliche, namentlich falls er dummstolz ist, ein soIches Tierchen in einen abgelegenen Gitzigrăbe24 oder in ein armes Gitzinäst,25 so ist doch «auch so ein Gitzi ein Kapital, ein Rittergut für ein arm Mannli, dessen ganzer Reichtum eine verfallende Hütte ist und zehn Kreuzer Taglohn».26 Man nehme hinzu die Freude der Kinder an dem lustig hüpfenden Tierchen,27 mit welchem die Sprache sie auch bisweilen zusammenstellt: Gitzi heißt ein unbesonnen dreinfahrendes Kind; Ubergitzi ein übermütiger junger Mensch; Gitzi­sprüng macht, wer austollt. Man vergegenwärtige sich sodann das Weh und Leid der Kleinen um den abhanden gekommenen Spielgefährten;28 welcher Unterschied zwischen der Behandlung eines Stall- und eines Herdentieres!

Denn schon das Lammli, Lämeli steht im ganzen dem Menschen ferner. Wohl gehörte von jeher zur Belustigung der Kinder auch das Hüpfen der Lämmtscheni29 im jungen Grase. Allein schon das ebenfalls sie erfreuende Lämmtschi (Ein- oder Zwei­rappengebäck aus Lebkuchenteig) ist doch nur ein Überlebsel aus der einstigen rituellen Verwendung des Opfer- oder Osterlammes, wie in Luthers Sprache übrigens auch ein erwachsenes Schaf heißen konnte. So überliefern wir wenigstens das Widderlamm30 bald der Schlachtbank, und rasch verschwindet unter den Großen in der Herde das Chiḷber­lammli (weibliches Lamm; Chiḷber ist Ablautform zu «Chalb» in dessen ältester Bedeutung «Jungtier»).

Vollends mit dem doch so sorgfältig gepflegten Fährli (Ferkel) weiß zwar der Handel viel, die Sprache aber wenig anzufangen, wie schon unser einziger Beleg beweist: «Von einem Fährlin ½ Vierer». 1673.31

Während abbräche («abbrechen»)32 bedeutet: einen Abbrü̦chlig, besonders ein Abbruch­chaḷb zur Aufzucht bestimmen, kann für «Absäugen» oder Entwöhnen dem Sachverhalt gemäß kein mundartliches Wort bestehen. Um so wichtiger ist auch unserer Sprache die Pflege 256 einiger Muttertiere bei und nach dem Werfen (fü̦̆le, chaḷbere, fährle, gịtzle, lammere). Das letztere geschieht freilich so unvermerkt, daß «lammere» viel häufiger das Abirren der Aue (des Mutterschafs) von der Herde zum Suchen des vermißten Jungen bedeutet; daher die unwillige Frage nach jemand: Wo ist er (oder sie) ächt hi g’lammeret? Das dabei bis zur Heiserkeit erhobene Geplärr veranlaßte das Bild: chịịsterig33 wi n en aḷti Aue.34 Vgl: Er singt (so schön) wi n en aḷti Lammeraue.35 Wer sich aber selbst anklagt, er habe durch Zerfahrenheit, Unachtsamkeit dies und das verderbt oder versäumt, sagt etwa: I ha’s nume verlammeret.

Auch gi̦tzle tritt in Hintergrund gegenüber einzelnem vergitzle, d. h. unglücklich oder mit Angst und Not ein Zicklein werfen, übertragen: vor Angst oder Ungeduld vergehen. Er ist fast vergitzlet. Eine Kellnerin ruft unwillig aus: die Gäste werden nicht vergitzeln, ehe ich komme.36 Wie ganz anders wichtig die zu mnemo­technischer Anknüpfung dienenden Vorgänge: «Denn zumal het grad üsi Moore g’fährlet»;37 s’ ist grad denn gsi, wo üse Tschägg g’chaḷberet het.38 Kein Wunder auch: Die Überwachung des Prozesses kostet nach gewohnter Tagesarbeit oft eine Reihe schlafloser Nächte; so manches vergeblich hervorgerufen (g’sprängt) werden hat die Sentenz geboren: de̥rglịịhe ’taa ist no nid g’chaḷberet («Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer»). Und da man bei jedem endlich guten Verlauf doch immer «von Glücke sagen» kann, charakterisiert man einen Glückspilz mit der Rede: Der Holzschlege͜l het ihm (uf em Esterich obe) g’chalberet. «De nütnutzigste Täsche chaḷberet ds Glück Einen zuehe»39 (als Ehemann).

Schon das näähige (dem Werfen nahe) Muttertier, ganz besonders aber das Eersteli (erstmals werfend, vgl. «erstkälbrig» — «achtkälbrig»)40 kann Gegenstand großer Sorgen und fast aufreibender Nachtwachen werden. Wir haben Beispiele aus nächster Nähe, wie einer Fü̦̆limähre der Bauer dreißig Nächte lang wacht, indes die Bäuerin in den Kleidern auf dem Rubebett Halbschlaf hält, um durch zeitweilige Erfrischung den Mann munter zu erhalten. Welche Mühwaltung erst, wenn das große Ereignis vorüber! Beinahe feierlich werden einer Milchspenderin alsbald nach dem Kalben drei Brotschnitten mit Salz gereicht; die sodann samt der Schale verabfolgten drei Eier werden, wo’s richtig zugeht, das erste ganz zeremoniös auf der Mitte des Kreuzes, die beiden folgenden auf der seitlichen Verlängerungs­linie desselben zerschlagen.

Die Sprache aber versteigt sich in diesem Rayon bis zum Titel 257 Säumueter. Sie meint damit nicht etwa bloß die menschliche Pflegerin des Borstenviehs und seiner Jungen,41 sonderlich das Säumueterli42 oder die Säuchöchi aus dem Entlibuch, dem vor den Käsereien so stark frequentierten Bezugsort der Ländersäu; vielmehr kann «eine Schweinemutter»43 ein Mutterschwein bedeuten, das der größten Aufmerksamkeit gewürdigt wird (vgl. der Fährlimoore chụ̈̆derle).44

Ist jedoch die Mutterrolle ausgespielt, so sinkt das Tier gleich allen von menschlicher Berechnung Getragenen hinunter zur Saumoore, zur Moore schlechtweg, ja zur Mistmoore.45 Die Übergangsstufe zu solchen Titulaturen bildet die Rŏchli­moore, aḷti Rochlimoore. So heißt das Muttertier nach seinem tiefhohlen Grunzen, womit es die Jungen anlockt und (durch stoßweises Öffnen der Milchgänge) ihnen das Saugen ermöglicht.

Eine solche Moore muß dann äußerlich und innerlich unsaubern Weibsbildern, untauglichen Leuten aller Art («leidi Moore»46), ja selbst andern Tieren47 ihren Namen leihen. Um so effektreicher ist die grade solch niedrigem Schätzungsgrad erntnomnmene kosende Schelte, welche (wie «Chröttli», «petit crapaud» u. dgl.) in mehr städtischer Sprache auf alles anmutig Niedliche, Anheimelnde, Reizvolle angewendet wird: «möörig», «möörelig». Nüt heimeliger, ja währli, als es jungs Päärli... i mene mörige Hüseli.48

Geringer Aufmerksamkeit dagegen erfreut sich (wie nach obigen von vornherein zu erwarten) die Schafmutter, die Aue. Höhnisch verspricht einer e träägeni («getragene» = tragende) Aue als Ehesteuer dem unüberlegt danach Fragenden.49Abzụ̈ụ̈g-Aue hinwieder (d. h. alte Schafmutter, die gierig und wählerisch zugleich in dargereichten Gemüseabfällen herumwühlt) ist ein drastisches Bild für Weiber, die an unsauberem Tagesgeschwätz wohl leben.

Gar nichts weiß die Sprache zu sagen vom Wĭ̦der (Widder), nichts vom Äber. (Derselbe scheint, aus dem Truber Geschleht Beer zu schließen, einst auch im Emmenthal, wie noch im Seeland «Bẹẹr» geheißen zu haben.) Den Bock dagegen vergegenwärtigt uns unsere Mundart in der Zeit, wo Schaf- und Ziegenherden, die höchsten Bergweiden ausnutzend, ihren männlichen Leittieren blindlings folgten. So folgten die Schafe dem «Leithammel», dessen Titel noch in unserm Beiwort «hä̆me͜l» weiterlebt. Häme͜l ist, wer keck und munter voran geht, «ins Zeug geht.» «E Zit isch er no fei e chlịị häme͜l gsii, vo wäge, er 258 het es uuszahlt’s Heimetli vom Alte chönne erbe.»50 Dervo hämele bedeutet: in raschen und zugleich zierlich kurzen Schrittchen davon eilen. Hämele ist auch: flink und geschickt (gewandt) arbeiten. Öppis erhämele ist: etwas (z. B. ein Paar Strümpfe) rasch (und zugleich gut) herstellen.

Tiere oder auch Menschen, die ebenso zwang- wie wahllos einem Führer folgen, göhn ihm na wie d’Geiße dem Bock.51 Das Vorangehen des letztern spiegelt sich auch in Übertragungen wie Bock mache, d. h. eine Spielkarte zurückbehalten, die nachher Stichkarte wird, wenn nicht ein Gegner sie vorweg «sticht». G’stoche der Bock, warum geit er i Chabis!52 Um Roß bocke: ein Kartenspiel um Baumnüsse, sonderlich an Winterabenden am großen Tisch der Wohnstube.

In tollen Sätzen («Bocksprüngen») bocke übermütige Jungtiere, z. B. Kälber an der Tränkwehre.53 Der stößige Bock auf anstoßendes, unmanierliches Wesen übertragen:54 Die freundlich Begrüßten «wurden böckisch, taten fremd, gaben kurze, schnippische Antwort».55 Geil: «das wüest Böckli»;56 «böckele».57 Die Vereinigung solcher Eigenschaften führte bekanntlich zu einer der Personifi­kationen des Teufels, aus dessen Bereich die feurigen Ziegenböcke kommen, welche noch heute da und dort auf Kirchhöfen erblickt werden.

Eine merkwürdige Zersplitterung berrscht in den Bezeichnungen des Wucherstiers. Schon «Stier» selber, welches Wort eigentlich den Kastraten, also den Ochsen bedeutet, ist in verwirrender Weise (vergl. Gotthelfs Sprache) aus dem Schriftdeutschen in die Mundart gedrungen. Denn nicht selten nimmt auch der «Stier», gleich dem Ochsen58 sowie dem einstigen Hĕgi und Sterchi,59 die Bedeutung an, die die urchige Mundart eigentlich einzig dem Mŭ̦ni zuteilt.

259 Der dem Zweck seines Daseins zuliebe mit Arbeitslast verschonte Wucherstier darf ungehindert wie kein anderer Zögling den Launen folgen, die sein angestammtes Naturell oder auch seine «Erziehung» mit sich bringen. Dieser Launen gibt es bekanntlich viel böse, wenig gute — obschon es recht lieblich anzusehen ist, wie solch ein Tier, das eben noch mit Ingrimm die erhaltenen Schläge auf die Nase verarbeitete, in der nächsten Minute die Hand des Melkers leckt, den es mit éinem Stoß über den Haufen rennen könnte.

Drị luege wie n e taube Muni:60 damit wird die einzige Saite angetönt, welche die Sprache über unser Tier anzuschlagen weiß. Muni böös! ist eine der Kindersprache nachgeahmte Bezeichnung unheimlich übler Laune der Umgebung: in Familie oder Nachbarschaft, in der politisch oder sonstwie aufgeregten Volksstimmung. Vgl. «’s ist nid guet Wätter!» — Den Kopf gesenkt, mit den Hörnern pflügend, fährt der Stier blindlings auf den vermeintlichen Gegner los. Drum heißt unbesonnenes Dreinfahren: drị schieße wi n e Muni in61 (oder: dür)62 e Chrĭ̦shụụffe; oder: «dür ne Bohneblätz».63 Wütet aber das Tier mit den Hörnern im Stall, so reichen menschliche Kräfte und Mittel bei weiten aus, «eso nes Muneli ahez’bin͜de», daher ’s Muneli ahebin͜de64 = mit einem aggressiven Gegner kurzerhand fertig werden. Das so gebändigte Tier schaut dann verblüfft, ratlos, verlegen drein: «si hei mi [nach meiner ihnen unbegreiflichen Aufforderung] agluegt wi n e Muni.»65

Bei den alten Untertanen­verhältnissen war der Grundherr durch Gewohnheits­recht, nötigenfalls auch durch oberherrlichen Entscheid (wie z. B. 1547 der Freiherr von Brandis) zum Halten des Wucherstiers (und des Ebers) verpflichtet, wofür ihm etwa «das zänist Kalb und Schwindli» gebührte.66 Später lastete dieses Servitut auf staatlichen Pfründen, bis das Halten des Dorfmuni67 nach der Reihe den Viehbesitzern anheimfiel. Gegenwärtig ist die Haltung freier Konkurrenz überlassen, was aber dazu führen kann, daß Gemeinde­behörden um Vermehrung des Zuchtmaterialz einkommen müssen. Denn die richtige Pflege eines solchen Tieres, dessen gedrungener Nacken (Muniäcke)68 zum Vergleich mit fettleibigen Magnaten (oder auch mit «Regiments­büffeln»)69 herausfordert, ist ein etwas kostspieliger Hablichkeits­beweis.

260 Zu erwähnen ist noch (gleich dem zum Abkühlen des Sägeblattes gebrauchten Säuzäärn) der als rohes Züchtigungs­mittel seine Rolle spielende Ochsenziemer: Munizäärn («Munizehn»),70 im Simmenthal: «Stirenzän», 1789: «Muhni-Zand»,71 vgl. 1792: «Rinderzähn­streiche».72

Uspunnig, untaan ist auch der Hängst. Bei der geringsten Reizung, durch eine Bremse nur, schlägt er hinten und vornen aus wie «die Berner, die so verflüemeret ungern folgen».73 Er steḷḷt sị uf di Hin͜dere, wie eine währschafte Bäuerin, der jemand in ihren Haushalt hinein regieren will.74 Er bäumelet also, wie im Traum das eigensinnige Annebäbi;75 wie eine zu demütigende Bäuerin;76 wie Peter Käser, bevor unendlicher Jammer ihn übernimmt.77 Bäumeliger aber als die Schläger von «Erdäpfelkofen» «können die Helden von Morgarten nicht heimgekommen sein.»78 — Einmal im Geschirr sodann, ist der Hengst ein ungestümer Draufgänger, er hängstet ụụs; wie denn auch mit Schulaufgaben unzufriedene Eltern den unerbittlichen «Schulmeister»79 einen Fragen­buchhengst schelten. Muß er aber die Überlegenheit seines Lenkers anerkennen, so «zottelt er erst» «täubelnd»80 (täubbele = seinen Zorn auslassen), taub­süchtig81 wie Ulis «ertaubeter Kohli»82 seines Wegs. Dann verraucht sein Zorn, und sobald er später seinen Meister wieder gewahrt, schwenkt er gegen ihn zu, den Kopf an ihn schmiegend, an ihm reibend.83 Beugt er aber erst, um sich liebkosen zu lassen, vor vornehmen Töchtern den Hals:84 welche Folie seiner imponierenden Stattlichkeit! Wie ein in der Ferne verschwindendes Abbild derselben erscheinen im emmenthalischen Voralpengelände di sịbe Hängste.

Der Hengst, dessen Bändigung die Prärogative Weniger ist, bildet eine Hauptzierde des stattlichen Bauernhofes als Tragụụner (Dragoner, wie Roß und Reiter zumal heißen). Für den landwirt­schaftlichen Gebrauch aber wird der als Beschäler nicht anerkannte Hengst zum Münch (Wallach) umgewandelt. Diese Benennung «Mönch» erinnert an die Redensart: es U̦u̦rfe͜lläbe füehre, etwa mit Zusatz des schnurrigen Wortspiels: aber es chunnt mängem wĭ̦derig (widrig oder widder-ig) vor. Urfe͜l85 heißt nämlich der kastrierte Widder, wie Baarg oder Mu̦tz der ebenso behandelte Eber. Der Strị̆mätz = der kastrierte Ziegenbock. Chịịber = halbkastriertes Pferd oder Schwein, Heeḷbock = ebensolcher Schaf- oder Ziegenbock; Zwick = Zwitter; einmal auch: zugleich mit einem Stierkalb geworfenes weibliches Rind 261 mit männlichen Körperbau und Wesen.86 Im ebenen Unterland in der Regel, im emmenthalischen Gebirge nur noch selten (Lützelflüh z. B. hat keine Zugochsen) konkurriert der Stier als Zugvieh mit dem Pferd,87 und es bilden z. B. «vier schwarze Stiere»88 das Ideal eines Ackergespanns, mit welchem der Säuhändler im «Annebäbi»89 renommierend seine vier handfesten Töchter vergleicht. Das niemals beschleunigte, dafür immer gleichmäßige, anhaltende Wärche wi n e Stier, «wie d’Stiere»90 hat zu drolligen Mechanisierungen geführt wie: «Ein aaranze wi n e Stier»; «tubacke wi n e Stier», «er ist rịịch wi n e Stier» u. dgl. (wie «stockfinster» zu «stockblind», «stocktaub» usw. geführt hat). — Einem einmal angespannten Ochsenpaar scheint wirklich keine Last zu schwer: si löö nụ̈ụ̈t staa. Drum auch die Bezeichnung dürestiere91 für die stramme Willensrichtung, Sammlung und Anspannung auf ein um jeden Preis und mit allen Mitteln zu erreichendes Ziel hin. «Bestimmt, wir stieren es durch»92 (nämlich das «Bärndütsch»). Dafür heißt’s im «Schulmeister»:93 im Zeichen des Stiers verharren.

 
1 Volksw. 2, 289.   2 Ök. fol. 15, 1, 48.   3 Geiser Aw. 189.   4 Geiser Lw. 7; vgl. Käs. 320.   5 Käs. 302.   6 Ök. Q. 29, 23, 12-14.   7 = nach der Lombardie; Volksw. 1, 204.   8 AB. 1, 91.   9 UK. 277.   10 UK. 403.   11 OB. 1903, 25.   12 SchM. 1, 143.   13 Michel 192 uö.   14 Gf. SF. 1899, 92.   15 Vgl. Michel 215.   16 Christen 154.   17 Michel 253.   18 Ebd. 254.   19 Bsp. 164.   20 Küherlied.   21 z. B. AB. 2, 384.   22 z. B. 2J. 230.   23 Müll. Hk. 42.   24 Beitr. 366.   25 GG. 3, 40.   26 AB. 2, 401.   27 Ott 1, 103.   28 Müll. LK. 46.   29 Kuhn AR. 1830, 104.   30 AB. 1, 32.   31 Zolltaffel.   32 AB. 2, 143.   33 LZ. 1904, 135.   34 Vgl. basl. chispere = heiser sprechen.   35 SchM. 2, 147.   36 Käs. 194.   37 Lischeb. 14.   38 MW. 2J. 85.   39 AB. 2, 473.   40 Ök. fol. 17, 39.   41 BSp. 113 uö.   42 Jesuiten 328.   43 Käs. 247.   44 Lischeb. 4.   45 UK. 106.   46 UK. 41.   47 Käs. 151.   48 Ott 1, 101.   49 Erbv.   50 Trebla im EvE.   51 Kongreß 165.   52 Vgl. KL. 02, 224.   53 Land 8. 64a.   54 AB. 2, 448.   55 Ball 42.   56 UK. 346.   57 AB. 2, 252.   58 RB. 100.   59 mit «Stärke» (= Gusti) zu mhd. stër, Schafbock (mhd. WB. 2, 2, 619), verwandt mit lat. sterilis, unfruchtbar. Unter diesen Begriff faßt die Tierzucht gern alles, was nicht als Muttertier aufgezogen werden kann oder soll, daher jung der Schlachtbank verfällt (vgl. «die juden branden wîlent gern bocke, rinder unde stern»; Renner 6888). So ist auch der Widder eigentlich der «Jährling» und verwandt mit lat. vitulus, le veau, Kalb (vgl. Kluge5 405). — Der Bock hinwieder wird als der «Flüchtige» gedeutet und stimmt mit armenischem buc = Lamm (Kluge5 47), fachlich auch mit unserm «Fasel». Großes und starkes Zugvieh dagegen bedeutet der «Stier» (vgl. nord, «storr» = groß), wie auch der Hengst ursprünglich soviel wie Wallach (mhd. Wb. I, 661), «der Angespannte» (Kluge5 165) sein kann. Gerade den umgekehrten Bedeutungs­wandel erfuhr die einzige uns bekannte Bezeichnung, die von Haus aus einem männliden Zuchttier gegolten haben kann: «Ochse» (Kluge5 274). Zielstrebige Züchtung und deren Terminologie ist eben eine Angelegenheit erst der neuen Zeit; die ältere legte größern Wert auf Arbeitsleistung. Tiere, die sich durch solche in Friedenszeit vor Pflug und Wagen auszeichneten, übertrugen ihre Benennungen erst als Ehrennamen auf Männer, dann als Geschlechts­namen auf Familien: Ochs und Öchsli, Hegi, Sterchi (hieher? — in Lützelflüh häufig). Ganz wie in Kriegszeiten der wehrhafte Schwinger des Schwerts ein Wolf, ein Bär, ein Beer (Eber) hieß.   60 LZ. 1904, 134.   61 An AB; Beitr. 63.   62 AB. 1, 100.   63 Michel 156.   64 Spieß 115.   65 Gf. SB.   66 JoSt.   67 Raben 210 uö.   68 Michel 254.   69 BSp. 257.   70 Berner 254; MW. Ws. 63.   71 GerTw.   72 ebd.   73 AB. 2, 261.   74 Ztgst. 1, 201.   75 AB. 1, 187.   76 Käs. 266.   77 SchM. 1, 328.   78 UK. 69.   79 1, 325.   80 GG. 2, 48.   81 ebd. 159.   82 UK. 275.   83 GG. 2, 48. 49. 72.   84 Servaz 7.   85 Kätheli 288.   86 Ök. Q. 29, 20, 21.   87 UP. 39.   88 Amtsr. 104.   89 1, 211.   90 Lischeb. 3.   91 Besuch 139 uö.   92 Gf. Brief.   93 2, 447.  
 

Das Roß.

«Beim ächten Bauer gräfelt’s».1 Heute wie ehemals, nur mit andern Mitteln. Zierte einst das Viergespann schwanenhalsiger, rabenschwarzer Erlebacher2 die fürstliche Kutsche,3 so tat der patrizische Bauer es ihm gleich mit einem ebensolchen Ackerzug. Noch zieht da und dort ein Paar solch schlanker, sehniger Tiere den Pflug und Wagen; ein stolzes Gespann aber von «vier schwarzen Rappen» setzt sich heute eher mit Aneinander­passung vorzüglicher Zugkräfte, als mit vorherrschender Rücksicht auf Rassenreinheit zusammen.

Soweit aber die letztere gebietet, kommt heute für unser meist gebirgiges Gelände das rasche und gewandte belgische Gebirgspferd unter dem Namen Ardenner in ersten Betracht. Diesem vornehmen Tier mit seinen tadellosen gedrungenen Gliedern, dem feingebauten, leichten und edlen Kopf mit den freundlichen, lieben Augen stellt sich als nah verwandt4 zur Seite der Freibärger: das Pferd der jurassischen Franches Montagnes mit der charakter­istischen Einsenkung mitten durch das mäßig ab­g’schlagne Chrụ̈z. In mehrköpfigen Bauerngespannen 262 ist auch etwa noch der mächtige hellbraune Einsiedler5 (Pferd aus Einsiedeln oder überhaupt dem Kanton Schwyz) «mit dem stolzen Halse und der (trotz ihrer Größe) zierlichen Gestalt» zu erblicken.

Neben all diesen Rassentieren, besonders aber natürlich neben einem Vollblut-Nórmänner, nimmt sich recht bescheiden aus der Mĕtscher oder der Franzoos aus Mêche. Dieses in der Regel schlapp- oder wappel­ohrig Tier erinnert mit seinen seitwärts gerichteten Hörorganen an den Schopf eines Schlapphutes und veranlaßt den Witz: es het e Wuḷḷhuet uffe — gleichsam als Bahnbrecher des Strohhutes, mit welchem anderwärts in heißer Jahreszeit edle Rosse gegen Sonnenstich geschützt werden.

Diese Tiere sind in der Regel gutmütiger Natur. Allein gar zu dicke oder schlaff hängende — schlampigi — Ohren deuten auf ein Übermaß solcher Eigenschaft: auf einen entweder faulen oder abgerackerten Gstăbi, Schlăbi, Pị̆gger, Määrit­pigger,6 der zudem wegen Ungelenkheit auf steilem oder holprigem Weg leicht umfällt. — Grade deswegen aber heißt in kosender Schelte ein niedliches, zierliches, darum gehätscheltes Pferd es Pịggerli.7 Umgekehrt muß der Name «Engländer», der wie «Amerikaner»8 und früher der «Tụ̈tsch» ein stattlich präsentierendes Kutsch- oder Reitpferd bezeichnet, im Stallknechten-Witz9 als ironische Bezeichnung für minderwertige Tiere herhalten: Chacheler (Gaul eines Geschirr­händlers),10 Grangge͜l­bei, Plaasti; gueter aḷter Trappi;11 Pletschi, «mit dem das dümmst Wiibervolch fahren kann, so lang die Räder trolen können».12 Ein ähnlicher Name, auf hässige und häßliche Weibsbilder übertragen, ist Gu̦u̦re, Gụụrli.13 Gegenüber solch abschätzigen Benennungen beziehen sich nicht wenige wirkliche Pferdenamen auf die Farbe: Der Brụụn, ’s Brụ̈ụ̈n͜dli;14 der Chŏli (Rappe); der Schü̦̆me͜l (Schimmel). Das beim Müller beliebte weiße Viergespann ist wegen der schtwierigen Reinigungsarbeit ein Kreuz des Pferdeknechts. Daher das alte mystische Rezept, um die in erster Jugend noch nicht weißen15 Haare schwarz zu färben: «Sied ein Maulwurf im Salzwasser gar wohl, damit schmeir oder nez das Pferd oft.»16 Die Redensart dagegen: mach mer der Schü̦̆me͜l nid schụ̈ụ̈ch!17 (laß ab von deinen Intrigen) gehört zu den Verall­gemeinerungen eines einmal gehörten Ausdrucks.

Ist die Farbe des Schimmels unbeliebt, so ist die des Fuchs 263 ominös, weil sie zugleich an den Charakter Reineke’s erinnert. Auch der gutartige Fuchs (franz. alezan) unterliegt dem Mißtrauen, das in der Sentenz sich birgt: Es ist kem «Fuchs» nüüt z’traue; en iedere Fuchs het öppis.

Hieher gehören auch die Benennungen nach dem Zeiche: dem weißen Fleck auf der Stirn oder, wenn unschön18 groß, bis auf die Nase hinunter reichend und in diesem Falle den Pferdenamen Blaß oder Bläß veranlassend. Hübsch nimmt sich dagegen ein kleiner gezackter Fleck: der Stärne, aus. Bei Einsiedler und Erlenbacher finden sich die Zeiche selten.19

19-jähriger Bauernsohn mit Füllen.

Bekannt sind die Redensarten: der Mähre i d’Auge20 und: i’s Mụụl luege. Sie stammen vom Markt, wo das «Täuschen» in seiner modernen Bedeutung Gebrechen und A.ter verhüllen soll. In ersterer Beziehung ist unserer Mundart eigentümlich das Glĕsaug: die grau getrübte Regen­bogenhaut des einen Auges (welche allerdings häufiger beim Hund, auch etwa bei der Katze vorkommt).

Die hie und da unschön heraustretende Biegung des Raums zwischen Augen und Nase, welche an den Widder (alt: râm, «Bock» überhaupt) erinnert, führte auf den Namen Rams-Chopf. Zu dem schön gebauten Kopf namentlich des Ardenners dagegen stimmen die feinen Lippen (Lä̆fzge), deren häufige und lebhafte Bewegung bei sonstiger Ruhe als ein lebhaft interessiertes Lesen aufgefaßt wird: ’s Roß lĭ̦st. Der Lăbi: die Unterlippe. Vom Menschen sagt man: er het der Labi la hange. Mit ähnlichen Personifi­kationen bezeichnen wir zwei üble Gewohnheiten, deren eine bei zu lang müßig stehenden und im Stall sich langweilenden Tieren — auch Kühen — angetroffen wird: das Wä̆be (mit dem Kopf beständig hin und her fahren). Die andere ist das Schmi̦de: schlecht ausgreifende Rosse schlagen mit den hintern Hufen 264 beständig laut hörbar an die vordern, bis ein paar tüchtige Peitschenhiebe an Ort und Stelle sie davon abbringen. Andere Pferde vertreiben sich die Langeweile mit Chăwle (knuspern, knoppern) an der Krippe, und gerade wegen dieser Gewohnheit können aus jungen Tieren die leidigen Chrü̦̆pfe­trücker21 (Krippenbeißer) hervorgehen. Dieses schließlich zur Nervenschwäche des Schlundes führende pressen (Trü̦̆cke) der Zähne an den Krippenrand vor Hinunter­schlucken des Bissens erinnert an Leute, die in ihrem ganzen Wesen eso öppis vertrückt’s, verträäjt’s, verz­woorgets hei, dass me si nüüt cha uf se verstaa, dass nid mit nen ụụsz’choo ist. Auch die heißen daher Chrüpfe­trücker.

Eine ebenso schlechte Gewohnheit von Füllen, die im Müßiggang absolut öppis Chrumms u Tumms müeßen aasteḷḷe, ist das Ringen nach Atem, wie sie es dem Luft­schnapper (Luftkopper) absehen. Der Grund kann aber auch ein zwingender physischer sein, indem «’s Mụụl so tumm g’macht ist», daß die obern Zähne vor die untern hervorstehen. Ein solches Pferd heißt u̦berbi̦i̦sig.

Damit haben wir begonnen, der Mähren i’s Mụụ (oder zo’m Mụụ) z’luege, was figürlich auch heißt: scharf auf Mittel und Wege sinnen und energisch jene anwenden, um aus einer schlimmen Lage wieder herauszukommen. Im eigentlichen Sinn ist darunter verstanden: aus der Beschaffenheit der Zähne eines drei- bis neunjährigen Pferdes dessen Alter erschließen. Das lassen nämlich zunächst die zwölf Vorderzähne in folgender Weise zu.22 Zuerst fallen die zwei mittelsten Zähne oben und unten aus und werden binnen vierzehn Tagen durch neue ersetzt. Dieselben sind schmutzig­gelblich gefärbt und tragen oben eine schwarze Vertiefung: ’s Roß zeichnet. Die neuen Zähne heißen Drụ̈ụ̈zän͜d: sie deuten auf ein Alter von dritthalb bis drei Jahren.23 Ihnen folgen die vier benachbarten oben und unten links und rechts: d’Vieri­zän͜d, welche auf vierthalb bis vier Altersjahre schließen lassen. Die nach einem weitern Jahre als Feufizän͜d hervorbrechenden äußersten Schneidezähne sind vorläufig noch hohl und tragen in der Vertiefung einen schwarzen Fleck: d’Bohne oder der Chäärne (Kern). Beim sechs- bis achtjährigen Pferd füllt sich die Höhlung allmählich aus.

Ein bäuerliches Rappen-Gespann.

Anderwärts24 heißen diese Feufizän͜d «Eckzähne». In Lützelflüh dagegen gilt der schriftdeutsche Name «Eck-» oder «Hundszähne» für das, was man mundartlich Häägge nennt. Diese vier Zähne brechen ums vierte Jahr hervor,25 werden aber erst vom neunten an — und nur bei 265 Hengsten — deutlich sichtbar, indem das Zahnfleisch sich zurückzieht. (Die 24 Backenzähne gewähren keine Alterszeichen, zeichne nụ̈ụ̈t.)

Wie «der Mähren i’s Mụụ», muß der Bauer auch dem Roß uf d’Ịse luege. Wegen der Einläßlichkeit solcher Nachschau heißt das bildlich: seine Nase in alles stecken, spionieren.26 Anmutiger ist das Forschen nach Spuren, welche die uralt germanische Verehrung des Götterrosses, des weißen Pferdes Odhins, noch in der Gegenwart zurückgelassen haben mag. «Eine blinde Henne findet auch ein Körnchen», heißt bei uns: Es het e Blin͜d es Rŏsịse fun͜de. Gefundene Hufeisen standen nämlich einst, als vom Götterrosse selbst verloren, in noch einmal so hohem Ansehen wie die vom Schmied bestellten. Sie wurden an die Türen genagelt, um böse Geister zu verscheuchen und die guten Götter zum Schutz herbeizurufen. In christlicher Zeit wurden sie auch auf die Schwellen geheftet, um den Teufel glauben zu machen, er sei bei seinem letzten Besuche hier verbläut worden und habe dabei dies Eisen von seinem Pferdefuß verloren. Bei uns beschränken sich diese aufgenagelten Eisen auf die Schmieden und auch hier nun lediglich als Handwerkszeichen: Hier wohnt ein patentierter Hufschmied, hie cha me la bschlaa. Übertragen hat «beschlagen» einen merkwürdigen Doppelsinn. Er ist (guet) bschlăge heißt: im lebhaften Wortgefecht mit Argumenten gut ausgerüstet, fähig «stand zu halten» wie ein Roß auf schwierigem Terrain. Dann aber kann der Widerpart in dieser Weise gut beschlagen sein, und bschlăgen ist sein Gegner vielmehr im Sinn von «besiegt», «zum Nachgeben gezwungen». So wird ein Hansli27 vom Pfarrer «beschlagen», und so «beschlägt» (in neuer aktiver Wendung) der «Schulmeister»28 den examinierenden Inspektor; so «beschlagen» Indizien den zum Geständnis gedrängten Verbrecher.29

Wie aber ein mit Beweisgründen Ausgestatteter bschlăge ist, so heißt ein im Handel und Wandel in Kniffen, in Ausflüchten und Ränken Bewanderter e Gspitzte, en Uus­g’spitzte. Er weiß sich jedem augenblicklichen Stande seiner Angelegenheit so anzupassen, wie der Huf des Pferdes den mannigfaltigster Gestaltungen des Glatteises, wenn der Huf und damit das Pferd selbst gspitzt ist; ebenso, wenn die abgenutzten Griffe erneuert sind: we me wider het la gri̦i̦fe. — Letzteres kann nun mittelst der neuen Erfindung der Strụ̆b-Stŏle (Schraub- oder H-Stollen) der Bauer selbst besorgen.

Ebenso kann er nötigenfalls eigenhändig die nur noch schlaff und locker aufsitzenden Eisen e chlịị aazieh,30 oder gegenteils die zu straff angezogenen abreißen, damit der schmerzende Huf «chönn verchuele.»31 266 Dieses Eim d’Isen abbräche dient auch wieder als Bild: Einem «Abbruch tun», sein Verfügungsrecht über Hab und Gut, seine Handlungs­freiheit einschränken. Dem Bild liegt der Umstand zugrunde, daß ein der Eisen beraubtes Pferd nicht mehr wirksam ausschlagen, in keinem Fall mehr zu den «Schlagern», höchstens noch zu den «Beißern» sich stellen kann. Ein Schlager heißt spaßig es Schlăg­wärch.

Zur Kunde und Kunst des Schmieds gehört dagegen vor allem, die fleischige Sohle des Hufes: ’s Läbige,32 «das Leben» zu schonen. Es ist ihm a’s (oder: i’s) Läbige g’gange bedeutet: er ist empfindlich verletzt worden. Zwecks solcher Schonung hat der Rŏsnăge͜l seinen eigenen Zuschnitt. Nach der Form desselben heißen Rŏsnege͜l auch die Kaulquappen im Teich. — Ferner ist der Strahl33 oder Strähḷ wegen allerlei Erkrankungs­gefahr fleißig ins Auge zu fassen. Wie denn überhaupt der Huf trotz seines Umfangs (vgl. e Bitz Fleisch oder Brot wie ne Roßzeejje: ein sehr großes Stück) und trotz seiner scheinbaren Plumpheit ein fein gebautes und empfindliches Organ ist.

So kundig in dieser Beziehung unsere Schmiede die Arbeitskraft des Pferdes schonen, so tierquälerisch und zumeist auch geschmacklos üben sie einen anderen Eingriff «i’s Läbige» durch das auch hier in Mode gekommene «Englisieren». Zum Glück noch keine Mutzöhri,34 wohl aber die Mutz­schwänz35 sind bis zu oberst in unser Gebirge vorgedrungen.

Dagegen ist noch heute dem richtigen Bauer alten Schlags ein schönes Roß soviel wie ein möglichst in seiner Natur belassenes und zudem richtig genährtes Pferd. Was aber überhaupt für den Emmenthaler es schöns Roß bedeutet, zeigt das ihm in den Mund gelegte Wort: Emene schöne Meitschi un emene schöne Roß söḷḷ me naaluege, bis me’s nümme gseht.

Mit welchem Spott dagegen übergießt er den Eigner eines abgemagerten Pferdes! Lueg, es suecht der Spiher­schlüsse͜l! (um sich selbst Hafer oder Dinkel zu holen.) Gäḷḷ, das brụụcht der Un͜der­chŏmet! (Das aus gepolstertem Tuch bestehende, lose anliegende Unterkummet schützt ein abgemagertes oder wundes Pferd gegen den Druck des Zuggeschirrs.) Es rächts Huetgsteḷḷ! (wie am Markt zu sehen.) Si hei däm Roß Stei­chrätte g’fueret, mi g’seht ihm no d’Rü̦ppi dü̦ü̦r­stächche! («Rippen» heißen die hölzernen Schienchen, welche das Wandgeflecht dieses unter «Lastgeschirr» behandelten Handkorbs tragen.) Dagegen rühmt man ein Pferd als es ghaberet’s, das 267 für einen schweren Gang nicht bloß ein «Halbimmi Haber»36 in den Leib bekommt, sondern eher das «große Ordinäri» (½ statt ¼ Mäß), wie der bekehrte «Mordio­fuhrmann» es nunmehr seinen abgeschundenen Gäulen gönnt.

Wie dagegen unabgemessene Fütterung Schönheit, Gesundheit und Charakter beeinträchtigt, so ist insbesondere auch das Ubersụ́ụffe sorglich zu verhüten, wenn nötig, mit halbmagischen Mitteln wie diesem: Steck dem Pferd während des Reitens ein Holunder­zweiglein auf den Kopf, und während es trinkt, laß über ihm der eine Geißel im Wasser schweben, in welche eine Zunge eingeflochten ist, die einer lebendigen Schlange ausgerissen worden.37

Mit richtiger Erfrischung paart sich richtige Schonung der Kraft. Auch der Lützelflüher läßt das Roß sprechen: Ni̦dsi jag mi nit, obsi rịt mi nit, äbes Wäg’s mach mit mer, was d’ witt. Und so schädlich dem Pferd eine zu lange Stallruhe ist: in strenger Arbeitszeit gönnt der Meister ihm die Sonntagsruhe. Seine sechs Rosse läßt der Anken­ballenbauer38 stehen und geht zu Fuß. Seine vier Rappen läßt ein Haueter-Ueli im Stall und reist «auf Schusters Rappen»,39 und selbst ein Felix40 schämt sich, um des schlechten Marktweges willen ein Roß aus dem Stalle zu nehmen. Ihr einziger Ärger ist das G’rösse͜l, das Rößle, das «Reutern» mittelloser Leute mit entlehnten Fuhrwerken.41 Wohl dagegen leben sie an der Vorstellung, wie jetzt daheim das noch junge Tier vor Behagen sich um und um wälzt: si wălet, si uber un ubertrööḷt. Ein solches si wăle wird auch von Menschen gebraucht, die nach harter Arbeit die doppelt verdiente Bettruhe aufsuchen: mir wein is gă wăle.

Solche Behandlungsart kettet Roß und Mann mit einem tiefinnigen Gefühl unzertrennlicher Zusammen­gehörigteit aneinander. Ein Kavallerist im Dienste gab seinen Briefen an die Eltern regelmäßig den Schluß: «Ich und mein Roß sind gesund. Uli.» Die Dragoner sollen sich ehemals mit der ständigen Formel begrüßt haben: Salüt, Hans, was macht dị Mähre? wogegen es unter den Guiden hieß: Bonjour, wie geit’s daheim? sị Frau u Chin͜d gsun͜d?42 Vgl. der Sálüü, so viel wie der Dragoner.

Nur bei solchem Roßverstan͜d im éinen Sinn: Verständnis für Behandlungsart der Rosse,43 kann auch der Roß­verstan͜d im andern Sinn: Verstand der Rosse, sich frei entfalten. Zu den Uver­nünftige44 zählt der Sprachgebrauch auch dieses Tier. Allein wer hätte nicht schon 268 auf den Augenliedern alter Pferde jene ganz eigentümlich menschelnden, feinen Runzeln beobachtet, ohne sich die Intelligenz zu vergegen­wärtigen, welche jahrzehntelange Erfahrung auch hier ansammelt! In einen engen Horizont eingeschränkt wird allerdings diese Intelligenz durch den angewöhnten Arbeitskreis im Dienst des Menschen (vgl. Pferd und Hund mit Biene und Ameise). Wi tumm cha so n es jungs Roß drị luege! Dafür ist mäṇg’s Roß gschịịder weder e Möntsch innerhalb seines Erfahrungs­kreises, wenn es ’s afe chlịị mäṇgist het g’hört tonnere, u wenn es ihm o scho uf e Grin͜d g’schneit het. Wer sah nicht das Vorroß vor dem Pflug am Ende der Ackerfurche auf ein bloßes leises Zeichen mit der Peitsche des hinter ihm stehenden Lenkers umwenden und ohne Fehl die neue Furche antreten! Wer hätte nicht ein einzelnes Roß auf dem Wege mit wiederholtem und ganz eigentümlich klingendem Gewieher auf Steinwurfsweite einen seit Monaten von ihm getrennten Gspaane (Stall- und Deichsel-Gefährten) begrüßen hören, ohne bei sich zu überlegen, was doch alles es gchannt­sḁm’s Roß bedeutet! Selbst Ausdrücke wie vertraut, «fromm» («militärfromm») geben die Sache nicht wieder. An allen ethischen Eigenschaften des Menschen scheint das Roß Teil zu haben. Dieselbe Mähre, die als Schlịtte­roß45 «der Gring gar meineidig ụụfhet, we si der Chomet aahet»,46 schaut, wenn sie einer Ungezogenheit sich zu schämen hat, nicht rechts, nicht links.47 Wi wenn es Augen i de Füeße hätt, zieht es letztere blitzschnell an sich, wenn ein Kind unter sie geraten ist, oder wenn der Reiter abgeworfen da liegt. Aber mehr: die Rosse gewahren, was den Menschen verborgen bleibt.48 Schon im alltäglichen Erfahrungs­bereich. In dunkelster Nacht, wo der Mensch nicht die Hand vor dem Auge sieht, kennt das Pferd sich aus,49 und der Führer darf auf dem Heimweg getrost Chŏli la waḷte. Das heißt auch: Dingen, an denen nichts mehr zu ändern ist, Ereignissen, die uns über den Kopf wachsen, ihren Lauf lassen.50

Wie aber erst auf übernatürlichem Gebiet! I der aḷte hĕlige Nacht z’Mitti­nacht cheu d’Roß rĕde, aber auch dem Lauscher die unliebsame Kunde seines baldigen Todes zu Ohren tragen. Und wieder, während es, als wüßte es, was es ziehe,51 die Leiche seines Herrn zu Grabe führt, zeigt es mit allfälligem Zrugg­luegen u Rü̦̆hele an, daß jemand aus dem Geleite bald den selben Dienst beanspruchen werde.

Was Wunder, wenn der eigene Tod eines solchen treuen Tieres 269 mit Tränen betrauert, im Kriege aber mit einer Salve gefeiert wird,52 und ein Bertram mit ihm alles verloren hat — «was ist ihm noch das Leben?»53

Wie unklug indes ein blindes, schrankenloses Vertrauen in das doch immerhin in vielem unberechenbare, launenhafte und vor allen außerordentlich nervöse Tier! Auch dem allerzahmsten nicht, also gar kem Roß söḷḷ me traue, bis me d’Hụ̆t im Sack oder sogar schon i der Gärbi het. Einige Gründe dafür liegen unaustilgbar in der Natur auch des dressiertesten und trainiertesten Pferdes; so das Entsetzen vor allem Geruch und Geschmack tierischer Abfälle. Es tschụ̆deret’s am ganze Lịịb vor Trinkgefässen, welche Fleisch oder Blut geborgen haben; es erschụ̈ụ̈cht beim Vorübergehen an Schlächtereien, an Knochenstampfen.

Für einmal erlittene Unbill aber hat es ein ebenso scharfes Gedächtnis, wie für die Krippe, vor der es erstmals Einkehr gehalten. Dazu kommt das feine Gefühl für die Kunde oder Unkunde, die stramme oder schlaffe Achtsamkeit seines Lenker, und der noch so flüchtige Blick auf das Fehlen oder die Gegenwart der Peitsche. Weh dem Wagenlenker, der einem «scheuen, tückischen, falschen» Tier54 nicht unausgesetzt uf d’Ohre luegt, wenn es dieselben hin͜dere u fü̦̆re leit (legt), mit den Ohre gä̆belet (sie wechselweise vor- und rückwärts stellt), oder in zorniger Erregung d’Ohre lĭ̦tzt, litzt wi ne bissigi Achermähre! So litze auch Menschen, die einen Zorn, Ingrimm, Groll innerlich verarbeiten;55 wer die Erregung in Poltern und Pochen anslöst, litzt ụụs; der pochende Großtuer aber verlitzt sein Geld.

So die quasi Choleriker unter den Rossen. Neben ihnen gibt es Sanguiniker: teils l̦üftigi, zu keiner nachhaltigen Arbeit gewöhnbare, teils fü̦ü̦r­schü̦tzigi, im ersten Anlauf die beste Kraft vergeudende Pferde. Sodann recht eigentlich faule Tiere: e Fühlimähre, wo der Gring laht lampe;56 es Müḷḷerroß, wo (im Gschirr) hin͜dere hanget57 oder hin͜dere lịịt (liegt), wie bildlich auch faule Menschen tun.58 — Im Gegensatze zu mutigen Rossen, die «wie Teufelskerle» ins Feuer laufen.59

Die zwiefache Arbeitsart des Pferdes: Tragen und Ziehen ins Auge fassend, beachten wir zunächst die Bezeichnungen der Gangart. Doppelsinnig von Roß und Mensch gesagt, «bedeutet Karriere galoppieren, oder, wie wir sagen, in den Längen reiten.»60 Es geit i de Länge. Ebenso 270 doppelsinnig geht das Pferd i d’Sätz und peitscht der Mensch sich oder andere zu einem schweren, mühevollen Werke auf: i d’Sätz!61

Eine besonders beliebte und geübte, namentlich an Pferdeschauen eine erste Rolle spielende Gangart ist das Traabe. Auch Menschen, die sich zu neuer Arbeit anschicken, sagen: mir wei traabe. Das Roß ist es traabigs (es trabt gut). Statt «traben» braucht Gotthelf auch «trablen»: Der Roßhändler ließ die Braunen trablen, trotten, Füße aufheben etc.62 Sonst aber ist trăble so viel wie traben machen. «Die Pferde vor den Fenstern der Liebsten trablen.»63 Eini gă trăble heißt: ein Mädchen zum Empfang einer Gruppe von Besuchern veranlassen. Jemand trable: ihn kujonieren.64 Einem Kauflustigen wird ein Pferd vor’­trăblet, und so kann man Einem eine neue Erfindung, einen Einfall, eine Idee vortrable: sie ihm in erläuternder und gewinnender Weise zur Anschauung bringen. — In einen schwerfälligen Trott dagegen, «daß der weite Kommet auf ihrem Halse grimmig hin- und herzottelt», verfällt die Ackermähre eines Hansli Jowäger.65 Im zierlichem Trott hinwieder geht des Knaben hölzernes Pferd «lustig d’Hostet ab».66

Überhaupt gebührt ja dem Roß und Rößli im Kinderspiel die bekannte Hauptrolle, auf die wir hier bloß mittelst einiger in Lützelflüh üblicher Varianten zu der schönen Doppelausgabe «Kinderlied und Kinderspiel» von Gertrud Züricher aufmerksam zu machen brauchen.

Das Schaukel- als Reitpferd gehört begreiflich mehr in städtische Kreise, woher sich z. B. das abgestutzte Kniereiter­liedchen erklärt: «Rĭ̦ti rĭ̦ti Rößli, z’ Basel ist es Schlößli; z’ Bu̦u̦rtle̥f ist es Summerhuus, luege schöni Meitschi druus.» (Die «drei Jumpfraue» sind weniger bekannt).67 Häufig in zwei Fragmente zersplittert hört man: «Gịịgampf, Rößli stampf!» — «Guḷdige Ring, Rößli spring!»68 Echt bäuerlich dagegen sind natürlich Liedchen wie:

Rößli bschlaa, Rößli bschlaa,
Wi mängs Negeli müeße mer ha?
Eis, zweu, drüu, eis, zweu, drüü,
Alli, alli, alli müeßen ii!69

Im Gäu, im Gäu, im Gäu
Gää si de Rößline das Heu, das Heu, das Heu
U de Hüennere der Haber, der Haber, der Haber.
Drum si di Rößli so mager, so mager, so mager,
Di Hüenner so feiß, so feiß, so feiß!70

Das gute Beschlagen und Ernähren gilt aber im bäuerlichen Kinderspiel wie im männlichen Schaffensernst in erster Linie dem Zugpferd. Und zwar dort natürlich dem jugendlich raschen Läufer vor leichtem Gefährt. Am Gụtsche­rößli übt sich das Spiel des Knaben von den 271 Tagen an, da er vor dem hölzernen Hotteli selber noch notdürftig her pföselet, bis zu der Zeit, wo halbgroße Buben und Mädchen Hottelis mache, hottele. Da steckt sich einer (oder auch ein ganzer Trupp) den ersten besten Knebel als Gebiß in den Mund. Ein irgendwo aufgetriebenes Rö̆li (baumnußgroße Blechkugel mit Schlitzöffnung und drinnen umherrollendem Eisenkügelchen) oder gar ein Postpferd­glöckchen hängt er sich als G’schäḷḷ (Roß­gschäḷḷ)71 an den Hals. So läßt er sich von einem, der sich in angemaßter Selbst­herrlichkeit zum Rosselenker aufgeworfen, in bisweilen ziemlich derber Weise jagen, zügeln und auf alle Weise, vornehmlich recht laut und husarenmäßig, meistern. Ruhiger und wortkarger wird der künftige Emmenthaler­bauer die «starken und glänzenden Rosse»72 lenken, die die Berner-Wägelchen ziehen, das vornehme Gụtscheroß73 aber sogut wie den ausgedienten «Postgaul»74 andern überlassen.

Vom Spiel, dieser Arbeit der Kinderwelt, führen uns eine Reihe Metaphern ins prosaische Arbeitsgebiet des eigentlichen Pụ̆re-Roß, wie es sonderlich für die Chräche u Grebe des Emmenthals paßt. Genannt sei hier bloß: der Chŏli, das im Doppelsinn kohlschwarze «Dampfroß» mit seinem «chịịche, schnụppe, schnütze, dampfe, als wett’s der Berg i Bode stampfe.»75 Einen gewissen Gegensatz dazu bildet das in seine vier Wände eingepferchte Bürooroß,76 wie der Bureau-Angestellte gelegentlich sich selber betitelt, während drastischer Bauernwitz ihn den i-Tüpfli-Zü̦̆tteri u. dgl. schilt.

Wä̆rche win es Roß: das deutet auf des Pferdes Los, und bedeutet den als Glück oder Unglück empfundenen Wert auch des Menschenlebens. Ein Bauernknecht,77 dem das Schicksal seines Anneli als Zentnerlast auf dem Gewissen liegt; ein «Schuldenbauer»78 und sein Weib, welche ihre Weltunkunde und Vertrauens­seligkeit bitterlich büßen; ein im Kommunismus entgleister «Brannt­weinsäufer»79 sogar machen in «Wärche wi n es Roß» ehrenvoll ihre Verschuldung wett. Nur das der traurigen Versorgungsehe huldigende «Branntwein­mädchen»80 empfindet solches «Wärche» als ungerechtes Schicksal.

Das Roß ist überhaupt bald der Maßstab, bald die Dezimalwage aktiver und passiver Menschenkraft. Starch wi n es Roß zu werden, ist eines echten Bauernsohnes Ziel, wie es die Mutter des achtjährigen Micheli81 durch eine fortan alle Frühjahre zu absolvierende Rosmiḷch­kur zu erreichen strebt. Was daher ein Roß nicht ab Fläck bringt, 272 muß auch der Mensch dort belassen; und wer absolut auf solchem Fleck verharren will, erklärt kategorisch: nit mit vierne Rosse brächt me mi da- oder dorthin. Im Ertragen von Übel und Fährlichkeiten aber ist und bleibt das Pferd dem Menschen über. Fieber wi n es Roß;82 e Roßmedizin; Rŏsmü̦ü̦rder oder Roßtööder, d. h. mit Opium gesättigte schlechte Tabaksorten, vo dene drei Pfị̆ị̆ffe voḷḷ es Roß tööde, gehören daher ins Gebiet der plastischen Hyperbeln.

Aber auch in der Ausdauer bei harter Arbeit sucht das Pferd unter Menschen seinesgleichen. Wer hätte nicht an den sechsspännigen Landfuhren der Burgdorfer Müller, auf denen sie den Landbäckern ihre z’Mü̦̆li z’Hụụs u z’Hei bringen lassen, diese so gleichmütig den knarrenden Wagen ziehenden Rosse beobachtet! Diese «so echten Emmenthaler-Müller­rosse mit ellenbreiter Brust und einer Rinne über den Rücken, durch welche man füglich einen artigen Brunnen hätte leiten können!»83 Und hinwieder die Mähre (so heißt die Stute, nachdem sie ihre Mutterdienste getan, als gewöhnliches Arbeitspferd, eben als «Roß», womit «Mähre» ursprünglich synonym war)! Die Mähre z. B. des Jowägerschen Ehepaar’s, wem bliebe sie nicht unvergeßlich? Universell wie ein Doktor dreier Fakultäten, ist sie in allen drei Arbeitsbereichen heimisch: sie zieht ebenso unverdrossen den Jauchekarren, wie sie, mit stoischem Gleichmut die Launen Annebäbis ertragend, das Märitwägeli nach Solothurn und wieder heim bringt, und dem um Rat ausreitenden Hansli als Trägerin dient. Abgesehen erst noch von ihrer Muster­haftigkeit als Pensions- und Anstandsdame: durch das von Jakobli heimlich gereichte Halbimmi Haber «mutwillig wie ein junges Böcklein» gemacht, hütet sie sich doch hintenaus zu schlagen, «weil sie nicht wußte wie machen, daß es eine Gattig hätte.»84

Ihr eigentlicher Beruf und Stand, oder sozusagen ihre Spezialität, war immerhin der Dienst einer gewöhnlichen Achermähre, eines Acherroß, also für Pflug und Lastwagen. War sie doch des Besitzers einziges Pferd, drum es eispĕnigs (einspänniges) oder eileitigs Zugtier. Er ist găr en Eileitiger, sagt man auch von einem Herrn, der mehrspännig zu fahren vermöchte, aber sich mit éinem Pferde begnügt; eileitig ist daher auch soviel wie anspruchslos, bescheiden. Einspännig fährt aber ebenso der Ökonomische, wohl auch etwa der Geizhals, weil ein zweites Pferd erspart werden kann oder erspart werden will. Denn allerdings: es guets Roß zieht zwu̦u̦ri (zweimal). Das heißt im eigentlichen Sinn: es zieht soviel wie zwei, und «edle Rosse leiten vernünftigen Herren in Augenblicken der Not das Unmögliche, 273 gehen in ihrer Rettung unter.»85 Witzig übertragen aber heißt das Wort: Wer einmal Glück gehabt (wer het Gfeeḷ ghaa, gfĕlig gsi ist), dem lächelt das Glück auch ein zweites Mal. — Zu bloßem Vorspann vor dem durch Menschenhände gezogenen Gefährt dient das Handroß.86

Für zweu­spĕnige Fahrt («zweispännig» bedeutet auch: voll Eile und Eifer, höchst erregt und aufgebracht)87 spannt man zwei womöglich gleiche Pferde als Gspaane nebeneinander an die Deichsel. Links oder zúe der Han͜d (nämlich des nebenher gehenden Lenkers) zieht das Zueder­han͜droß, das Zueder­händig oder der Zueder­händer; rechts oder vón der Han͜d: das Vónder­han͜droß, daß Vonder­händig oder der Vónder­händer. Die schrift­deutschelnden technischen Ausdrücke «zue» (bei) und «von» (entfernt von «der Hand» des Lenkers) belassen auch das nd bei der schriftdeutschen Aussprache; die Ausgleichungs­tendenz jedoch verwandelt auch es allmählich in n͜d = ng. Daher das Inkonsequente in der Aussprache und in unserer Bezeichnung.

Für dreispännigen Zug spannt man vor diese zwei Tiechsle­roß ein zur Führerrolle geeignetes, also ebenso energisches und selbständiges,88 wie aber auch leicht lenkbares und aufmerksames89 Vorroß. «Vorrosse» oder «Vorgumper» (nämlich der eigentlichen Käsherren als «Deichselrosse») werden in der «Käserei»90 die Aufspürer käuflicher Mulchen genannt.

Satte͜lroß endlich heißt das linke vordere Roß des Viergespanns, welches gelegentlich der Führer reitet,91 selten wohl doch auf Weiber Weise, behaglich sich in des Rosses Bewegung wiegend.92 Solch ein Viererzug, zwei tüchtige Stuten hinten, zwei lustige junge Münche vornen,93 ist allerdings das Ideal eines Bauerngespanns, und eine durch nichts Minderwertiges verunehrte94 Reihe solcher macht den Stolz eines Dorfes aus. An ihnen sollen die Leute im Lande merken, daß in Gytiwil auch noch Bauern seien,95 und daß man zu Liebiwil noch einen Roßzug vermöge.96

Dabei kommt es weniger auf die Ausstattung von Wagen und Schlitten,97 als auf die Vornehmheit der Rosse an. Grad auch eine so gediegene Frau wie Änneli gedachte auf ihres Sohnes bedeutungsreicher Fahrt in erster Linte mit den Rossen bei den Schwiegerleuten in spe Ehre einzulegen. Wirklich standen die Leute still, wenn der Draguner daher kam wie in den Lüften.98 Denn, wie gesagt, «beim echten Bauer gräfelt’s».

 
1 GG. 3, 68.   2 Schwarznecker3 128.   3 Servaz 6.   4 Schwarznecker3 127; Krämer im SB. 1902, GG.; Volksw. 2, 572 ff.   5 Schwarznecker3 128; Käs. 328.   6 Michel 182; Käs. 241. 327 uö.   7 Käs. 253; Geltst. 44, 102 uö.   8 Schwarznecker3 200.   9 Käs. 327; Ball 40.   10 GG. 2, 72.   11 UK. 429.   12 Geltst. 193.   13 AB. 1, 329.   14 Ott 1, 103.   15 Ök. fol. 15.   16 RB. 98.   17 Bitt. SE. 4.   18 UK. 24.   19 Volksw. 2, 572 f.   20 Ztgst. 2, 185; Schuldb. 190.   21 AB. 1, 330.   22 Schwarznecker3 304 ff.   23 Ök. fol. 15, 1, 52.   24 z. B. ebd.   25 ebd.   26 BSp. 36.   27 AB. 1, 59.   28 1, 8.   29 Ger. Tw. (1789.)   30 Käthi 209.   31 Ztgst. 2, 6.   32 Ök. fol. 15, 1, 217.   33 Ök. fol. 22.   34 Beitr. 15.   35 UK. 327.   36 AB. 1, 166; Ball 40.   37 RB. 98 f.   38 Ztgst. 1, 212.   39 Obstb. 1903, 25.   40 Käs. 881.   41 Ztgst. 1, 212.   42 Gygax.   43 SchM. 2, 85.   44 Vgl. Bund 1904, 23. Mai ff.   45 LZ. 1904, 135.   46 AB. 1, 120.   47 AB. 1, 164.   48 Kurt 123.   49 AB. 2, 419.   50 SchM. 1, 277.   51 Erbv. 75.   52 Ott 1, 159.   53 Vgl. die prächtige Erzählung Sintram 47 ff. 77. ff. 98 ff.   54 Ök. fol. 15, 1, 44.   55 Geltst. 269.   56 SchM. 2, 305.   57 UK. 199.   58 MW. Ws. 132.   59 Alte Gesch. 254.   60 SchM. 1, 158.   61 Gf. St. 1903.   62 Käs. 320.   63 Käs. 326.   64 Geltst. 165.   65 AB. 1, 122.   66 Kuhn AR. 1819, 192.   67 KL. 02 Nr. 164 ff. 03, 134. ff.   68 02, 217; 03, 161.   69 02, 126; 03, 115.   70 02, 215; 03, 160.   71 UK. 301.   72 Fröhlich VII.   73 AB. 1, 117.   74 Böhneler 20.   75 Ott 1, 154.   76 Nschwander 149; 71, 78.   77 BSp. 217.   78 16.   79 Dursli 214.   80 BwM. 114.   81 Michel 147.   82 Käs. 314.   83 Alte Gesch. 258.   84 AB. 1, 163.   85 Mordiof. 198.   86 Bsbinder 356.   87 Heiri 9.   88 Käs. 246.   89 GG. 3, 94.   90 176.   91 GG. 3, 95 ff.   92 Wege 303.   93 GG. 3, 68.   94 Käs. 240.   95 SchM. 1, 383.   96 GG. 3, 67.   97 Ball 38.   98 GG. 2, 45.  
 

Die Kuh.

Die Milchkühe, deren im Jahr 1891 Lützelflüh 1813 zählte, bilden 64% des Rindviehstandes (in der Schweiz 62%, im Kanton Bern die Hälfte). Zudem leisten sie, da eine weise bemessene und nach der Witterung gerichtete Feldarbeit dem Milchertrag nur nützt, eine beträchtliche, auf sehr vielen kleinern Gütern sozusagen die einzige Zugkraft. Dies ist um so erklärlicher, da Lützelflüh in einem derjenigen Fleckviehgebiete liegt, wo Kunstwiese und Ackerfeld zusamt die alte Weide beerbt haben, womit auch das große und starke Simmenthaler­vieh bis ins wegsame Gebirge hinauf gedrungen ist. Distinguierte Viehzüchter hielten sogar darauf, es an dem cachet dieser Rasse: dem charakter­istischen Räbme-Fläck im Gesicht, nicht fehlen zu lassen. Immerhin kann ein besonders schönes Tier noch das Motiv abgeben zum Auszeichnungs-Namen Sĭ̦me.

Das Fleckvieh gilt etlichen Forschern als bloße — allerdings sehr alte — Abart des Braunviehs: das gleichmäßige Dunkelrot durchsetzte sich allmählich mit den aus kleinen weißen Zeiche an der Stirn entstandenen grauweißen oder fahlen Flecken.1 Dies erklärt die hohe Schätzung der auch hierzulande noch etwa einheimischen, aber allerdings seltenen, drum im Preise fast unerschwinglichen rote Chue. «Hans hätte eine rote Kuh gegeben, wenn der (ihm ungelegene) Besuch unterblieben wäre.»2 Es geit um ke roti Chue (laßt uns daher ein Spiel machen u. dgl.)! Das ins Braune Umschlagende dieses Rot aber kennzeichnet sich in der tadelnden Bezeichnung chüerot für unnatürlich, übertrieben rote Gesichtsfarbe,3 entstanden aus Überernährung oder, vorübergehend, aus ungewohnter Erregung, bösem Gewissen oder dgl.

Mit dem Simmenthaler Rindvieh konkurrieren in der Größe die Freiburger-Schwarzschecken,4 und die mannigfaltigsten Kreuzungen ergaben Färbungs-Nüancen, die sich in Kuhnamen abspiegeln wie die Brụụni oder das Brụ̈ụ̈ni; der Faḷb (fahl; hier soviel wie hellbraun; Blaß oder Bläß, Stäär5 oder Stäärn.6 Möglicherweise gehört zu «Bläß» als Adjektivbildung auch Plö̆schsch, der Blösch, das Blöschli,7 wie denn wenigstens der neben dem Rotblösch paradierende Schwarz­blösch8 durch das mit wenig Weiß durchsetzte Schwarz charakterisiert ist. Mit den vor Farbensattheit oft schwärzlichen und hell getupften Blättern des Klees (mhd. der klê, des klêwes) könnte hinwieder zusammenhängen der Name Schwarz­chleeb,9 kurz: der Chleeb,10 und dann nach ähnlicher Farbenverteilung: der Rotchleeb (1790: 275 «eine Rotklebe»).11 Eine Kuh mit seiner verteilten, wie mit dem Pinsel aufgetragenen Farben heißt der Bluemm, das Blüemmeli, «Blüemli».12 Sind die Farben in Querstreifen angeordnet, so veranlaßt dies den Namen Rä̆mi, wie denn überhaupt g’rämet heißt: in zwei Farben quergestreift. Bildet die Färbung einen Gürtel (lat. cingulum), so ist die damit geschmückte Trägerin selbst ein Zinge͜l. Sozusagen ein genereller Name ist Schägg, Tschägg, Rootschägg,13 Schwarz­tschägg. Mi seit e ker (keiner) Chue Tschägg, oder si heig öppis Wịị̆ßes: ein Körnchen Wahrheit liegt in jeglichem Gerede; «wo Rauch ist, ist ein Feuerlein.»

Ganz weiß dagegen — wie schön auch die Namen Schwan, Blanca, Blondine klingen — liebt man bei uns eine Kuh nicht. Wịịß bschịịßt. Denn weiße Kühe sind immer schmutzig, fressen noch einmal so viel als die andern, und sehen doch immer mager und elend aus.14 Es handelt sich dabei eben um großes und rassenfestes Gebirgsvieh, das sich unserer Stallwirtschaft nicht mehr akklimatisiert wie dagegen ein aus dem Berner Oberland geholtes Bäärgi, eine im Frutigtal heimische Kander, ein Ober­haslerli, ein Brienzerli oder sonst ein vom Viehmarkt in Unterseen geholtes Un͜dersööjje-Chueli. Solche kleine, mitunter vortreffliche Milch- und Zugtiere15 heben sich von der Ziegenschar des empor­gearbeiteten Besitzers geradeso ab wie von einem Stall voll Kühe der zum Präsentieren an den ersten Platz gestellte Zeiger; vgl. das Chrooni.

Ein Rind oder Stier mit gekräuselten Haaren heißt Rŭ̦bi, Rŭ̦beli. Das Bŭ̦merli, der Bŭ̦mer hinwieder ist ein gefällig rundliches, kleineres Tier, das wie ein Pommerhündchen zum Schmeicheln einladet.

Auch das Gä̆beli, der Gä̆be͜l mit seinem hübsch regelmäßig gegabelten Hörnerpaar ist in der Regel ein gutmütiges Tier, dem schon in der Jugend nicht eingefallen ist, sị̆ni Höörndli fü̦̆re z’laa oder füre z’strecke, wie man dies ebenso von streitbaren oder necklustigen Menschen sagt.16 Gefürchteter ist der Gü̦̆fer, der mit seinen seitlich gestreckten spitzen Hörnern beständig an oder in etwas herumstochert (gü̦̆feret). Ebenso der Spieß mit seinen langen geraden Hörnern, dessen Anlockung in der Reihe: «Chleeb und Blösch und Spieß und Stern, chömet numen, i g’sehn ech gern!»17 sicherlich oft mit sauersüßer Miene geschieht. Denn Ein aaluege, wi wen er Hörner hätt, ist nicht immer ein grundloses Verhalten. Wie jedoch häufig nach längerm 276 Hinsehen die Furcht in Neugier und diese in Klatschsucht übergeht, so kam man dazu, über ein lästig oder verdrießlich gewordenes Tagesgeschwätz sich mit dem Wort hinwegzutrösten: «Es chunnt grad (bald einmal) e Chue, wo (no) lengeri Hörner het.»18 — Bekannt ist der alte Gebrauch, des Kuhhorns als Ruf zur Mahlzeit,19 als Jeger­hörnli, als Fụ̈ụ̈rhörnli, gelegentlich auch zum Hülferuf für eine einsam wohnende Person. Der einförmig langgezogene Ton wird übertragen auf langweiliges kindliches Weinen: Du̦ het es (gleichsam) ’s Horn (ab der Wand) ahe gnoo u het aafaa horne. Eine drollige Anwendung dagegen (wobei keineswegs etwa an das Trinkhorn zu denken ist), ist horne, will sagen: das Fläschchen zum Trinken an den Mund setzen, als ob es gälte, ins Horn zu blasen.

Wie die Ringe im Baum, dienen die Ringe im Horn zur Alters­bestimmung: in den ersten drei Jahren fehlen sie, dann aber bringt jedes Jahre eine sicht- und fühlbare ringförmige Vertiefung hervor. Sie ergänzen also in dieser Hinsicht die Zähne, beim Rindvieh Schụ̆fle genannt.

Charakteristisch ist bei demselben auch die (oder seltener: der) Lämpe, d. h. die Wamme. Die häßlich fette Kühersfrau «hatte einen Lempen unter dem Kinn trotz ihren besten Hoopi.»20

Der Schwanz heißt Sti̦i̦l. Auf das Kompliment an einen Genesenden, er gedeihe wieder ganz zusehends, gewinne an Kraft und Jugendlichkeit, erwidert derselbe etwa: Ja ja, i wachse wi ne Chaḷbersti̦i̦l (bodenwärts; es geht mit mir dem Ende zu). Über störende Unruhe eines Menschen aber beklagt man sich: das geit umen un anne wi n e Chüesti̦i̦l (zur Zeit der Fliegennot)! Wer seine Zeit mit zwecklosem Hin und Her tot schlägt, schwanzet nume so de̥s ume. Aus diesem schwanze (älter: swank-ez-en) ist durch Stamm­rückbildung «Schwanz» entstanden. Dies Wort brauchen wir bildlich, um in einer Rangordnung das Hinterste, Letzte zu bezeichnen (als Gegenstück zu französisch tête). So kann ein wettsingender, ‑turnender, ‑schießender Verein a Schwanz choo.

In all den angeführten Einzel- und Gemeinnamen liegt nichts von dem, was den gewöhlichen Redeweisen von der schwerfälligen, plumpen, dummen, tölpischen Kuh entspräche: «I verwungere mi uber nüt meh, mira chöm en alti Chue d’s Tanzen a21 So lautet Annebäbis Nil admirari. — Du Chue(lä̆bere)! «Dumm wi d’Länderchüeh22 «Bricht mi, du Chue!»23 «Chue, was i bi!»24 277 «Mach nit d’Chue»25 (wi̦ḷ [= während] ’s Heu so tụ̈ụ̈r ist)! Di letzti Chue tüej d’Türe zue! (oder: der Gatter, das Zauntor). Uf der Chue rị̆te bedeutet: etwas verkehrt beginnen und sich damit dem Gespött aussetzen.

Die Kuh verdankt eben der modernen Stallwirtschaft die ihr hier als Schuld beigemessenen Eigenschaften, die ihrer Natur als Weidetier ferne liegen. Als solches entwickelt sie eine beachtenswerte Intelligenz; und übrigens, «was keine noch so dumme Kuh tut, tut der Mensch.»26 Drum jener Bauer zu seinem in den Dragonerdienst ausziehenden Sohn: So, iez gang, un am Aabend mach di lustig u sụụf wi ne Chue! Als der Sohn ob solcher Zurede ein verdutztes Gesicht machte, der Vater: Ja ja, ’s ist me̥r Äärst! E Chue, we si gnue het, hört si uuf; mach’s ó so!

 
1 Volksw. unter «Viehzucht».   2 Ztgst. 1, 55.   3 SchM. 1, 131.   4 Volksw. 2, 242.   5 UK. 205.   6 Glutz.   7 SchM. 2, 65.   8 AB. 2, 359.   9 UK. 25; Land 10.   10 AB. 1, 451 uö.   11 Ger. Tw.   12 Widm. 106.   13 UK. 403.   14 Erbv. 32.   15 Bsbinder 358.   16 MW. 2J. 161.   17 Glutz.   18 Gf. SF. 1901, 38.   19 Michel 155.   20 SchM. 2, 131.   21 AB. 1, 171.   22 Geltst. 55.   23 Käs. 252.   24 UP. 335.   25 Ott.   26 AB. 2, 157.  
 

Fahren.

«Fahren» heißt ursprünglich: irgendwie von Ort zu Ort gelangen. An den «fahrenden Schüler» früherer Tage erinnern unser de̥s ume fahre (herumvagieren) und der Vorwurf: si ist e Fahre (une qui cherche des aventures). So kann denn, selbst wo von «Fahren» mit Roß und Wagen die Rede ist, der Lenker zu Fuß gedacht sein: «I bi no nie gfahre»1 (habe noch kein Zugtier gelenkt). Fahre heißt auch: einen Umzug besorgen.2 Mit Pflug und Zugvieh auf den Acker fahren und ihn pflügen ist z’Acher fahre. (s. «Acker».) Möge gfahre: mit seinem Gefährt eine Last fortzubringen vermögen.3 Ökonomisch verstanden: er mag nid g’fahre4 (oder g’choo) d. h. seine Ausgaben übersteigen seine Mittel. Auf eine Arbeitslast,5 eine Geistes­anstrengung6 angewandt: Nimm die geschriebene Leichenrede «nit füre, wenn d’ süst gfahre magsch».

Auch abfahre braucht sich bildlich: «Jez huḷf er mit de Chäsen abfahre»,7 sie losschlagen. «Hör Junge, wenn das Meitschi dich will, so fahr ab»!8 mach, daß es dermit ab Fläck geit, «führ es heim.» Zuefahre: in angefangener Weise fortfahren. — Uusfahre ist 1. eine «Ausfahrt» machen (daher häufiges Wortspiel mit Auffahrt = Himmel­fahrtsfest); 2. eine Fahrt zu Ende bringen. Bildlich sagt Annebäbi:9 «Heit der’s [in der Heirats­angelegenheit] so wit ’brunge, so fahrit iez us!» — Dä ist wüest aagfahre! z. B. an eine Mauer, 278 eine Hecke; bildlich: er hat sich übel verrechnet; oder: hat eine derbe Abfuhr erlebt.

Zu ahd. fâra (Nachstellung, Hinterlist, Gefahr) stellt sich mhd. âne gevær-de «ohne Gefährde», «in guten Treuen» (bonā fide). Daher unser aṇ’gfährt: arglos, vertrauensselig, ohne Vorsicht und Überlegung. Er fahrt da so aṇgfährt dri (geht ins Zeug), wi’s grad ’breicht (sich trifft); dann: ohne genaue Berechnung = nhd. «ungefähr», wofür die ältere Mundart jedoch lieber «in der Acht» (Acht = Schätzung) sagt. Verloren ist dagegen «befahren» — befürchten.10

Das Fahri ist ein Fahrtvergnügen.11 Ironisch: mit Eim es Fahri haa: «ein Hühnchen zu rupfen haben.»

Füehre ist als Faktitiv zu «fahre» so viel wie: irgendwie von der Stelle bringen. Es bedeutet also 1) gehen machen, im Gehen anleiten (ein Kind), oder unterstützen (einen Blinden); 2) auf einem Gefährt weiter befördern: «Bänz chönnt ech doch e Blätz füehre!»12 3) ein Gefährt lenken, den Fuhrmann machen.13

Aus «fahren» leitet sich «die Fahrt» ab, und hieraus erklärt sich: fertig = zur Fahrt bereit. In eigener mundartlicher Färbung bedeutet fertig: eine ausgemachte Sache, unbestreitbare Tatsache. «Es sind wüste, hundshäärige Leute dort, das ist fertig!»14

«Fertig» führt weiter zu «fertigen», zusammen­gestoßen: fergge. «Gekarreter (auf der Landstraße gefahrner) Wein wird besser, als zu Wasser verfertigter.» Ligerz 1764.15 1789 wird in Lützelflüh einer beschuldigt, er habe diebisch «Büntel ausgefergget»16 (nämlich Waren aus einem Laden). Der Arzt,17 der Beamte fergget («spediert») seine Besucher; die gerichtliche Fertigungs­behörde fergget z. B. einen Acker,18 indem sie dessen Handänderung behufs Eintragung ins Grundbuch legalisiert. Einen abfergge,19 ihm eine Abferggete20 (Abfuhr) erteilen, churze Prozäß mit ihm mache.

Si heigi früeher (zur Heimfahrt bei jedem Wetter) numen es offnigs Gfergg ghaa, aber iez heige si «es deckt’s»: es Schĕsli, rühmt die Wirtin im «Geltstag»;21 vgl. «Gefergge».22

Ebenfalls zu «fahren» gehört: «Die Fuhr», z. B. die berüchtigte ehemalige Armefuehr oder Bätte͜l­fuehr (Abholung abgeschobener Armer in die Heimatgemeinde).

Der Fuhrmann heißt Fuehrme «En aḷte (gewesener, ancien) 279 Fuehrme chlepft no gern.»23 Mühlehänsel, der verwegene Franzosen-Fuhrmann.24 Der «Mordiofuhrmann». Es Fuehrme­bier ist 5 dl Bier.

Fuehrwärche heißt einen mit Tieren bespannten Wagen leiten. Bildlich: ein Geschäft, ein Amt führen. Mit Lügen und Verleumden fuhrwerchen.25 Einen Wohlstand verfuehr­wärche.26

Sinnverwandt mit «fertig» ist grääch (mhd. gerech, grech),27 wozu auch grächche (mhd. gerechenen, sowie «das» gerech und «das» ungerech). Bist nit glịịch grääch (zur Abreise, zum Mitkommen usw. bereit)? Bisch mit dem Chŏsle (d. h. hier Windeln waschen) nit glii grääch?28 Si ggrächche: sich auf etwas hin bereit machen. Bist bald ggrächchet?

Eine ähnliche Geschichte wie «fahren» hat reiten, rĭ̦te; nur liegen uns die Anfänge ferner. Altirisch rith ist Lauf, rethim: ich laufe; dazu: lat. rota = Rad, rot-undus = rund usw. Innerbalb unserer Mundart bedeutet rịte beharrlich: auf dem Wagen (oder Schlitten) fahren. «Meitschi, wottsch rite? hock uf e Chaare.»29 Änneli war selig; «es war ihm, als täte es Schlitten reiten im Himmel.»30 Jung rite, aḷt z’Fues laufe; jung Here, aḷt Bättler.31 Das nhd. «reiten» ist als «rị̆te» absolut nur aus dem Militärleben oder sonst aus dem Zusammenhang verständlich: dä cha rächt guet rịte! Sonst muß man dafür sagen: uf em Roß rite (wie fz. aller bzw. monter à cheval, lat. equō vehi u. dgl.). Auch Gotthelf, dem die Reitkunst keineswegs fremd war,32 muß erst erzählen,33 «wie Hansli auf die Mähre hocket», bevor wir ins klare kommen, wie er «um Rat ausreitet».

Der Wage chehre bedeutet: ihn umwenden. Umg’chehrt ist o gfahre: eine in mechanisierte Redensart gekleidete Mahnung zum Umkehren (auch moralisch verstanden). Auch eine Widerlegung liegt darin: gerade das Gegenteil ist richtig!

Ein gleichzeitiges Wenden vieler Wagen auf belebtem Platz erzeugt Gedräng, Unordnung: es G’chehr. Solches G’chehr herrscht als dauernder Zustand dort, wo beständig alles durcheinander geworfen erscheint. «Ums Haus war ein bedenklich Gekehr; es war fast, als wollte man auswandern.»34

«Beim ‹Adler› hielten sie und stellten ein»35 — hei ịịgsteḷḷt —: nämlich das Pferd in den Stall, den Wagen ins Bereich des schützenden Daches. Doppelt nötig, wo es entweder schwer ist, eine wilde Mähre 280 «im Gleus z’ebha»,36 oder wo eine schwere Last auf weichem Boden tiefe Geleise (Gleus; Chargleus)37 eindrückt. In letzterm Fall bleibt der Wagen stecken, er e̥bsticht (ist stecken geblieben = ist e̥bstoche). Der Fuhrmann muß Vorspann mieten, der angesprochene Pferdebesitzer ihn leisten. Beides heißt niete. Das Wort wird in diesem Doppelsinn auch auf Hülfe jeglicher Art, besonders finanzielle, angewandt.

Hụ̈ụ̈ i Gotts Name! Damit eröffnen Männer wie der edle Bauernsohn Resli38 ihre Fahrten. Lassen doch solche auf einen guten Ausgang rechnen! Sind sie ja nicht derart, daß sie, wie in der schauerlichen Tragödie des Fuhrmanns am Mü̦̆nnebe̥rg,39 sachgemäßer i ’s Tụ̈ụ̈fe͜ls Name angetreten würden! — Mit «Hüü, Bläß!» treibt ein Küher auch seinen Hund an,40 indes dem ziehenden Rind ein energisches Hai! gilt.

Grundverschieden wie diese Antriebe-Rufe können auch alle die Halt gebietenden U̦haa! U̦u̦hă! U̦u̦hä̆! Uhaa hu̦u̦! Hu̦u̦! Hü̦ü̦! sowie alle die Bitzianischen «Ohä!» erklingen. Dies namentlich, wenn sie Menschen gelten, die nach des Rufers Ansicht auf dem Holzwege sind: «Ohä, Bürschli!»41 «Aber ohä, du bist an der Lätzen!»42 «Aber uhä, iez chasch mer blase!»43

Pferdekundig aber bringt Uli der Knecht44 unter beständig beruhigendem «ü̦! ü̦! ü̦!» in engem fremdem Stall sein Tier hinter aufwerfenden Schlagern durch.

Ein leises Anziehen des Zügels, ja auch nur momentanes Auflegen des Leitseils auf die Kreuzseite lenkt ein geschultes Pferd zur Rechten oder Linken. Für weniger feinfühlende Tiere dagegen ist ein Hü̆st und Hŏtt erforderlich, welche Rufe in burschikos-derber Sprache auch sonst die Adverbien «links» und «rechts» ersetzen. «Das kommt daher, daß ihr hüst wollt, wo ihr hott sollt!»45 «Dräj der Gring hüst, we si hott e wägg näbe der ist!»46 das heißt: behandle sie offen als eine Feindin. Dieses «hottewägg» («hotteweg»)47 vergleicht sich mit unserm ewä́gg (und en weg) = fort, und bedeutet: rechts von jemand weg gerichtet. — Du̦ isch es du̦ hott ggange: da nahm die Sache eine andere Wendung. — «D’Seeländer schreien hüst, die Oberländer hott, und die Oberaargauer hüsthott, und am Ende gebt es hüsthott, d. h. bald hüst und bald hott, bald in den Graben, bald in den Zaun, und die Hüst­hottler behaupten dann, ohne sie wäre es ‹viel z’übel ergangen.›»48

281 Solches das Pferd verwirrendes und schließlich stettig (störrisch) machendes unaufhörliches Hü! Hüst! Hott! bezeichnet der richtige Fuhrmann mit hụ̈̆stere, «hustere».49

Ein solcher Fahrkundiger war Uli der Knecht. «Im Fahren war Uli ein Meister, und seine vier Rosse zogen so satt und glịịchlig (sachte und gleichmäßig) an, wenn er die Geisel hob, daß sie wenigstens ein Drittel mehr als andere ab Platz zogen.»50

Die Wucht dieser Geisle (Peitsche) kannte Uli wohl — hätte er doch selbst beim Haar zu erfahren bekommen,51 was es heißt: Einen ergeisle.52 Auch der Emmenthaler weiß es, der, wenn seine Geduld und Langmut erschöpft ist, den das Hausverbot Übertretenden mit der Geisle vom Huus ewägg chlepft. Mit Wagenschmiere gesättigt, zieht eine solche Peitsche «nach Noote», «us em ff», auch ohne daß noch — wie bloß raffinierte Tierquäler tun — ein Bleiknopf in das Ende eingeflochten wird. Dies Ende, der Zwick, von dessen empfindlichen Hieben das verallgemeinerte zwi̦cke53 sich herleitet, wird von Bauernknaben selber g’seilet. Von Hanfstängeln streifen sie Bast ab, halten ihn zu zwei Teilen (daher «Zwi-ck», wie in der Schneider­sprache Zwü̦̆-spẹl = Zweispann, doppelter Knopffaden) zwischen den Zähnen fest und drehen ihn mit den Fingern. Kunstgerecht wird sodann das äußerste Ende mittelst Un͜derzug oder Chnöpfli abgegrenzt und zu einem Bụ̈tzi aufgepinselt. Der so gefertigte Zwick kommt an das Vorseili, den vordersten Teil der Peitschenschnur, der, wenn er uuf­g’chlepft, d. h. durch Knallen aufgefasert (ụụfgfĭ̦seret) ist, von kundigen Jungen ebenfalls selber hergestellt wird. Die ganze Peitschenschnur endlich wird mittelst des Bindbaum­lätsch, dem der künftige Heu- und Garben-Lader eben hier lernt, am Peitschenstock befestigt — wo möglich hinter einem eigen hierzu belassenen Ästchen desselben, damit destoweniger bim Chlepfe d’Geislen abfahr. Denn das versteht sich, daß auch der Geise͜l­stäcke selber aus Busch oder Wald geholt wird. Was bedeutet dabei das Zerstechen des Gesichts, das Verchrä̆ble der Finger? Wenn nur irgendwo ein Räckolter- (Wacholder-) strauch ein einigermaßen gerades, ob auch immer noch mit einem dummen Chrümpli behaftetes Stämmchen nach langem Gü̦̆ggele zwischen den eine Gasse machenden Händen hindurch verraten hat! Was ist dann aber auch, im Vergleich zu solch selbsterworbener Waffe, so ein aus den Pyrenäen-Gehölzen von Perpignan in die Krämerbude geratener Barbilium-Stäcke! Ob auch nicht so elegant wie dieser, gibt er allenfalls 282 nicht weniger zu kosten, wie der umg’chehrt Geise͜l­stäcke54 auf dem Buckel schmeckt.

Doch unsere Jungen sind friedliebende Eroberer. Ihr häufigster Gebrauch der Peitsche dient dem Spiel. Zu Zweien stellen sie sich gegenüber, um, die Peitsche im Takt hin und her schwingend, z’viere z’chlepfe. Das teilweise um den Stock gewickelte (umglịịret) Seil löst sich in schön geschwungenen Schlangenlinien ab, und in sauber geschnittenen Knallen tönt es in die Luft hinaus: eis zweu, eis zweu, rädä dädä dädä dädä dää, rädä dädä u. s. w.

Sein Spiel mit der Peitsche liebt auch der Fuhrmann. In bisweilen kunstreichen rhythmischen Folgen läßt er sie knallen, und leicht wie uf der Geisle g’chlepft,55 gehen sonst recht schwere Geschäfte von statten. Was Wunder, wenn die Freude an solchem Spiel bis zu der eitlen Selbst­bewunderung gedeihen kann, welche Seminardirektor Rickli unserem Gotthelf mit den Worten vorwarf: Mich dünkt, Ihr ghöret Euch selber z’gern chlöpfe (chlepfe).56

Allein wer sich auf das Krallen einer Peitiche versteht,57 legt darein und liest daraus noch ganz andere Dinge. Merkwürdig war, wie Ulis trunksüchtiger Karrer allemal, wenn er einen Stich hatte, mit der Peitsche ganz eigen knallte, so daß Uli von weiten hörte, was Trumpf war.58 Ebenfalls mit einem «Stich» kehrte der edle Resli von seines Annemareili Heim zurück. Aber es war der Herzstich bitterer Enttäuschung, mit dem er still und ohne Peitschenknall durchs Türli lenkte. «Es hat gefehlt,» sagte die Mutter.59

Wie brutal erscheint solchem Gebrauch der Peitsche gegenüber das zwecklos eitle Knallen in der Nähe Krankliegender oder stark mit dem Kopf Arbeitender! Wie roh erst recht das Zwicke oder Chlepfe von Mensch oder Tier!60 Drum erklärte schon mehr als ein wirklich Fahrkundiger wie jener Emmenthaler Lehrer: I chlepfe kes Roß. Sein Knallen gilt bloß als Zeichen zur Abfahrt wie beim Postelioon,61 als Warnung: us Wääg! oder als Meldung der Ankunft: Roßchnächt vor!

Aber die Peitsche wird auch er nie zurücklassen, ja im Fall des Vergessens sie holen gehn.62 Denn ’s Roß mues d’Geisle gseh, wenn auch nur im Moment, da sie ins Lederfutter auf dem Reitwagen gesteckt wird. Sonst läßt es seine Tücken walten, oder es liegt träg zurück.63 In beiden Fällen ist der läng Haber, d. h. eben das Antreiben 283 oder Züchtigen mit der Peitsche,64 unentbehrlich. Das faule Tier mues men ụụfchlepfe, wie gelegentlich einen faulen65 oder einen energielos hinbrütenden66 Menschen; liegt es in mehrfachem Gespann zurück, so ist ein Nahe­chlepfe67 erforderlich.

Hier noch ein dit-on über Bitzius. Unmittelbar nach einer Predigt über Dienst­fertigkeit und Gefälligkeit, und unter Berufung auf sie, ersuchte ihn ein schlauer Bürger, den der Pfarrherr von Lützelflüh bestens kannte, um Überlassung seines nagelneuen Wagens für den Nachmittag. Er wurde aber mit dem Vermerk abgetrumpft: Jä loset, mi liebe Ma, r chlepft, zieht ni̦i̦d!

Zum Schluß möge derselbe Mann uns in urchigen Emmenthaler-Deutsch die Bedeutung der Peitsche gleichsam als des Kommandostabs im Regiment des bäuerlichen Haus- und Feldherrn — des «Giselhêr» in neuer Deutung — nahelegen.68

Es ist e Freud, eso mit vier ferme Rosse i Waḷd z’fahre un uf en Acher, we Fuehrmen u Roß eso an enan͜dere gwennt sịị. Die lauffen ihm da un͜der der Geisle, wo n er wi̦i̦ḷ, u wi n er wi̦i̦ḷ, er bruucht nume kes Wörteli z’sä̆ge. Drumm ist d’Geisle schier gar e̥so n e̥s Szepter, wi d’Chünige hei. Es ist en Ehr fast ohni glịịhe, wenn Eine d’Geisle i d’Han͜d uberchunnt. Wen e Vatter sịm Junge d’Geislen ubergit, so seit er ihm dermit: du hiḷfst mir iez bịfä̆le, u wen i nid da bi̦i̦, so machst du’s aleini. Mi chönnt fast gar o säge, d’Geisle sịg e Marschallstab, oder e Fäḷdherestab, wüßt er, wi n en e Chünig sịm beste und treuiste Soḷdat git.

Aber das ist erst de rächt öppis, wenn denn e Vater sịm Suhn d’Geisle wider nimmt! «Eh täich o, er het ĭ̦hm d’Geisle gnoo!» so säge de aḷḷ Lụ̈t z’ringetum. Un e Vatter cha sịm Suhn nid hurti öppis Ergers̆ träue, weder wenn er ĭ̦hm seit: «i nime der d’Geisle!» Das het fast no meh z’säge, weder we ne der Vatter tät eteerbe. Wen e Generaḷ wider un͜der di gmeine Soḷdate mues: es chan ihm nid schlächter gaa, weder wen e Suhn vom Flueg ewägg mues ga Fu̦hre hacke, wi d’Chnächte u d’Jumpfraue u d’Tawner. U mi mues nid öppe meine, das gang bloß denn eso, wen Eine schlächt fahrt, mit dem Wagen i Dräck, oder mit de Rosse z’Bode. Nei, der Vatter ist öppis so imstand z’mache, we der Suhn zo mene Meitschi geit, wo den Alte nit aständig ist. Oder wen er in es Wirtshụụs geit, wo dem Vater nụ̈ụ̈tguetsig vorchunnt, oder wo n er öppe der Wirt hasset. Churz, es ma sịị was ’s wi̦i̦ḷ, der Jung cha si in Acht näh.

 
1 SchM. 2, 93.   2 1, 369.   3 Vgl. das höhnische «Magst gfahre?» SchM. 1, 191.   4 Barthli 11; UP. 87.   5 UK. 213.   6 MW. BK. 47.   7 Käs. 223.   8 Ztgst. 2, 198; vgl. AB. 1, 169.   9 1, 368.   10 Pfr. Ber. (1764) 315.   11 AB. 2, 415.   12 MW. 2J. 179; vgl. Besuch 174.   13 Schuldb. 284.   14 Käs. 254.   15 Ök. Q. 4 H 1.   16 ABB. C 176.   17 Heiri 111.   18 Michel 29.   19 Michel 231.   20 Barthli 34 uö.   21 261/72.   22 Eggiw. 58.   23 Ott. 1, 174.   24 Alte Gesch. 263/4.   25 Ztgst. 2, 156.   26 UP. 262.   27 Mhd. WB. 2, 589 f.   28 MW. 2J. 286.   29 Barthli 10.   30 Käs. 136.   31 Geltst. 289.   32 Manuel 25.   33 AB. 1, 333.   34 Ztgst. 1, 56.   35 AB. 1, 124.   36 Geltst. 173.   37 UK. 66.   38 GG. 3, 72.   39 Gf. im SdB. 1903, 222 f.   40 N’schwander.   41 Michel 291.   42 UK. 374.   43 MW. 2J. 287.   44 161.   45 AB. 1, 68.   46 Käs. 366.   47 Käs. 215.   48 Bsp. 413.   49 GG. 3, 79.   50 UK. 135.   51 UK. 401.   52 Käs. 268.   53 RKuhn AR. 1812, 116.   54 UK. 401.   55 BSp. 261; SchM. I, 209.   56 Beitr. 51.   57 UP. 40.   58 UP. 205.   59 GG. 3, 107.   60 Beitr. 64.   61 Böhneler 202.   62 AB. I, 135.   63 Käthi 324.   64 Vgl. Bitzius VII, 369.   65 UP. 166.   66 AB. I, 618.   67 AB. II, 421.   68 GG. III, 68 f.  
 

Melken.

Begreiflich sind bei Kuh und Ziege Milchorgane und Miḷch­zeiche Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit. Vor allem natürlich das Euter, Ụter, welches bei der Kuh schön «viereckig», vier­g’egget(ig)1 sein und in vier zapfenförmige, bei der Ziege in zwei längere trichterförmige Zitzen — Bü̦̆ppi, Tĭ̦ḷḷe,2 Stri̦i̦ch, Strichch3 — auslaufen soll. Bei der Kuh fällt weiter in Betracht: der Miḷch­spiege͜l, d. h. die längere oder kürzere schmale Strecke seiner und (im Gegensatze zur übrigen) nach oben gerichteter Behaarung zwischen After und Euter. Sodann: die sogenannten Miḷchădere (Eutervenen), die Milchgruebe (Vertiefung zwischen den Dornfortsätzen des letzten Rücken- und ersten Lendenwirbels),4 der wie ein Ịsewegge abgespitzte Hinterleib. Ferner: das Jumpfere­gsichtli, mit welchen im Einklang stehen: tiefliegende Haarwirbel zwischen den Augen, feine Behaarung, dünni rị̆tigi (dem Griff geschmeidig nachgebende) Hụ̆t, feine dünne Hörner, langgestreckter — raaner — Bau.

E früsch-mäḷchi(gi)5 oder neu­mäḷchi(gi) Chue oder Geis hat vor kurzem geworfen, en aḷt­mäḷchi(gi) seit langem nicht mehr. Mäḷchigs Gras6 ist Grünfutter, das viel Milch erzeugt.

In Gotthelfs «Käserei» spielen eine mächtige Rolle die g’reisete Chüe, welche gerade zur gelegenen Zeit, namentlich zum Beginn des Sommermulchens, kalben und ihren höchsten Milchertrag liefern.7 Gerade das Haschen aber nach solchem Vorteil brachte viele vom Händler Betrogene ins Ungreis8 mit ung’reisete Chüene,9 und am besten war doch schließlich dran, wer versorgeti Chüe besaß: «solche, die man erprobt hat als gesund im Fressen, zahm im Melken, gut bestellt im Euter, fett und reich in der Milch, bereit alle Jahre zu kalben, wenn die Zeit um war.»10 («Versorget» also in aktivem Sinn: den Besitzer versorgend.)

Uberspringt (übergeht) das Milchtier eine solche Periode, so heißt es úbergäänt («übergänt»)11 oder úbergään. — Die paar Wochen vor dem Werfen, in welchen das Milchtier «trocken geht», d. h. nicht mehr gemolken wird oder von selbst vo der Miḷch absteiht («verseicht»12 — versiegt), geit es gŭ̦st (anderwärts, z. B. im Berner Oberland und in Zürich: «galt»). «Galt» oder geḷtig ist aber ein Milchtier auch dann, wenn es infolge Erkrankung der Milchorgane unbrauchbare 285 Milch gibt. Immer unverkäsbar und untrinkbar ist die Biestmilch (Briesch­miḷch), welche während der drei bis fünf Tage nach dem Werfen abgesondert wird. Höchstens dient sie zur Bereitung des Briesch. Die dicke Masse dieses auflaufartigen Gebäcks veranlaßte den Vergleich mit einer faul und klotzig dasitzenden Person: da hocket si wi ne Briesch,13 u mir müeßen is derwĭ̦le fast tööde!

Melker im Mutz und Lederkäppi, mit Melkstuhl.

Mit der Genauigkeit der Uhr werden auf dem richtigen Bauernhofe die Melk- und gleichzeitigen Fütterungs­stunden eingehalten. Mitten in der dringendsten Erntearbeit ruft, wenn nötig, der Bauer: Mäḷcher, du muest däich gaa! Und der Melker wäscht sauber die Hände, fettet nach rauher Erdarbeit sie wohl ein wenig ein, zieht — namentlich im Sommer — die zwilchenen Mäḷcher­hŏse über die getragenen an, über das Oberkleid das blaue Uberhemmli, wechselt bei strammer Ordnung der Hausfrau auch die Schuhe gegen die Staaḷ­schueh aus. Wer ihn sodann beim Melkgeschäft die Stirn an die Kuh lehnen sieht, begreift sofort, daß das so kleidsam wie eine Studenten­fuchsmütze ihm auf dem Wirbel sitzende lederne Mäḷcher­chäppi, der Mäḷcher­tschäppe͜l, keine müßige Zierat ist. Dagegen bedeutet allerdings der blitzblanke zwilchene Mäḷcher­mu̦tz mit aufgestülpten Hemdärmeln für ihn etwa, was dem Offizier die grande tenue, was — die Gegensätze berühren sich — der Stadtdame die rauschende Schleppe mit zugehörigem décolleté. Arbeiten und Erobern haben auch bei ihm ihre Zeit. (Abb. oben.)

Nun gürtet sich unser Mann den einbeinigen runden Mäḷch­stuehl an: sein Berufs-Insigne, wie dem städtischen Metzger der weiße Schurz und der bammelnde Stahl, womit er in Wirtschaft und Gasse paradiert. Nur daß zuweilen auch die zarte Weiblichkeit sich kühne Eingriffe in 286 seine Hoheitsrechte gestattet, wenn es auf dem Felde Flachs zu jäten oder in der Tenne Rübenlaub abzuschneiden gibt. Er seinerseits revanchiert sich damit, daß er, im kühnen Bewußtsein seiner Würde, in Ermangelung eines eigentlichen Stallbuben einen noch jungen Meisterssohn zum Gehülfen heranzieht, ihn nach Erfordernis biḷdet oder trässiert (dressiert), ja bei allfälligem Widerstand oder bei Pflicht­vergessenheit bŭ̦r­schi̦ḷtet (züchtigt). Ein Hauptgeschäft eines solchen Stall-Pagen ist das Ụter-Pu̦tze, sowie das Aarü̦ste oder Aamäḷche: ein leises Streifen der Zitzen behufs Anreizung der Milchsekretion.14 Einen aamäḷche heißt: mit ihm anbinden, sei’s herausfordernd, sei’s um ihn für ein Vorhaben zu gewinnen. Kitzlige Tiere sind dabei schwierig zu behandeln: sie lassen sich nicht un͜dere recke (ans Euter langen), ohne auszuschlagen, oder doch durch unausgesetztes stämpfle ihre Unruhe zu bekunden. Bildlich heißt Eim un͜dere recke:15 ihm zu nahe treten.

Ein störriges Tier ist imstande, einem ungewohnten Melker die Milchabscheidung zu versagen, zu hinterhalten, die (vermeintlich oder wirklich im Euter nach und nach angesammelte) Milch aus dem Euter ụụfz’zieh,16 so daß nur die Aufwendung aller möglichen Beschwichtigungs­mittel oder noch einfacher: das Überspringen einer Melkzeit es veranlassen kann, d’Miḷch ahez’laa. Daher d’Miḷch ahelaa auch: nachgeben, willig werden.17 Aber wohḷ, dä het du̦ d’Miḷch aheg’laa! In solchem Sinn wurde z. B. 1789 ein nach hartnäckigem Leugnen seines Verbrechens Überführter «herablassend».18

Nun faßt der Melker zunächst die zwei rechtsseitigen Zitzen der Kuh (der Emmenthaler weiß nämlich genau, warum er nicht hin͜derụ̆se miḷcht) zwischen den gekrümmten Daumen und die vier übrigen Finger. Ist der Daumen mit dem obligaten Mäḷcher­chnŏde (einer elastisch schwieligen Hautverhärtung auf dem Vordergelenk) ausgestattet, so geschieht das Melken z’Chnood. Z’voḷḷer Han͜d oder hampfelig (was eigentlich als Nachahmung des Saugens das rationellste wäre), milkt man nur, wo eine besonders stark und auf Kosten der verkümmerten vierten entwickelte Zitze dies nötig macht. In kurzem rääßem Strahl, dick wie eine Packschnur, trị̆bt der Melcher abwechselnd links und rechts die schäumende Flüssigkeit in den Miḷch­chesse͜l oder das Miḷch­mäḷchterli. Zwischen den Knien hält er das längliche Milchgefäß gegen das Ausschlagen (Schlaa) der Kuh geborgen, und das ist die Hauptsache. Daraus, daß eine rauhe Zunge ihn beleckt, oder daß ein hartes Quastenknötchen des nicht mit einer Schnur lose an ein Bein gebundenen 287 Schwanzes ihn im Angesichte liebkost, macht er in seinem Berufseifer sich nichts. Hat er es doch mit einer der Miḷch­pletsche zu tun, die im Tag ihre zwanzig Liter ịịschäiche. — Mittlerweile füllen die linksseitigen Zitzen, durch das Streifen der rechtsseitigen zu noch reicherer Sekretion angereizt, das Milchgeschirr anständig. Der Melker trägt es behufs Entleerung hinaus zu der (höchstens im kalten Winter im Stall behaltenen) Bränte. Hier hat bereits eins der Bụ̈ụ̈ßi des Hofes lauernd Posto gefaßt, um an seinem durch altersgraues Gewohnheitsrecht ihm zugesprochenen Anteil Schụụm sich schnurrend gütlich zu tun, ihn sogar ritterlich mit einem emanzipierten Sperberhuhn zu teilen. Wichtiger ist, daß auch schon der Miḷchbueb oder ein sonstiger Hausgenosse sich eingestellt hat, um ungesäumt die Milch zur Käserei zu tragen, oder, im Sommer, mit Hülfe des Miḷch­rosses, eines Esels oder Hundes auf dem Miḷch­chaare zu ziehen.

Wer begriffe nicht, warum im Bauernhaus der Mäḷcher eine Haupt-, ja unter dem Gesinde die Respektsperson ist! Etwa wie im Gasthause der Küchenchef hier, der Stallknecht dort. Es kann nicht leicht eine rühmlichere Nachrede geben, als: er het gäng toḷḷ gmu̦ḷche, brav gmu̦lche. Dies in zweierlei Sinn: in kundiger und gewissenhafter Weise, daher auch mit Erzielung eines hohen Ertrags. E guete Mäḷcher z’uberchoo, ne z’haa (zu halten) und z’bhaa (zu behalten) ist ein Hauptgegenstand bäuerlicher Politik und Haussorge. Wie schwer, seine Leistungen richtig zu würdigen, ohne sich ihn doch im Bewußtsein seiner Unent­behrlichkeit über den Kopf wachsen zu lassen! Da indes ein so hoch angesehener auch ein gut bezahlter Posten ist, so müeßt eis e rächte Löhḷ sịị, wenn nicht auch er seinerseits dazu Sorge trüge. Umsomehr, da manch ein hablicher Bauernhof auch hierin ohne fremde Hülfe auskommt. Ein ledig bleibender Bruder oder Sohn des Meisters besorgt den Posten gern und mit Stolz. Im übrigen gilt der Satz: E Pụụr ist doch e g’schlagne Maa, wenn är nid sälber mäḷche chaa.

 
1 AB. 1, 451.   2 Schuldb. 307.   3 UK. 178.   4 SB. 1903, 26. f.   5 UK. 295.   6 UP. 223.   7 Käs. 40.   8 AB. 1, 428.   9 Käs. 102,   10 Käs. 60.   11 SchM. 1, 103.   12 RB. 88.   13 vgl. LZ. 1904, 134.   14 Gf. ST. 1903, 25.   15 AB. 1, 297; Geltst. 173.   16 Käs. 151.   17 Ball 53; Michel 142 uö.   18 Ger. Tw.  
 

Die Ziege.

Bildet das Rind als Zug-, Milch- und Schlachttier die Hauptmacht der bäuerlichen Bsatzig, so das Pferd die (vielmals entbehrte) Vorhut, das Schmalvieh nach drei Seiten die Nachhut. Unter letzterm fehlt auf großem Gehöft die Ziege; es ist, als müßte ihre Kleinheit neben der Größe des Pferdes ganz verschwinden. Auf kleinerem Gut und Gütchen aber ist sie die schwer entbehrliche Milch­lieferantin für den Hausbedarf, 288 damit die Kuhmilch womöglich ganz in die Käserei wandern und des Landwirts Haupteinnahme auf das erreichbar größte Maß steigern könne. Manch ganz kleinem, aber nach einem grünen Zweig strebenden Mann hinwieder ist die Ziege die Vorstufe zu einer Kuh,1 und ein Volksmann, der im reichbesetzten Bauernstall Bescheid wußte, verstand auch des Korbers einzige Ziege nach Gebühr hervorzustellen: «Achtung gebietend trug sie ihr Haupt, und in glänzendem zottigen Fell ging sie würdevoll einher, während hinter ihr, gleichsam der Hanswurst, ihr Töchterlein, graziöse lustige Sprünge machte.»2 Von solcher Selbst­einschätzung als «Kuh de Armen» in dessen Ökonomie weiß aber auch der Besitzer selbst zu sagen: We d’Geis merkt, das me Gäḷt für n en an͜deri im Sack het, so gĭ̦blet (stirbt) si. Ja schon, we men e Geis su̦u̦r aaluegt, so ggrebiert («krepiert») si.

Sie ist überhaupt, wie physisch gegen Nässe und Kälte, die bisweilen geradezu ein Ịịnääjje (Einnähen in Tuch) erfordert, so auch psychisch ein sehr empfindliches Tier. Sieht sie einen Schicksals­genossen sterben, so schaudert alles an ihr, die Augen treten gespenstisch aus den Höhlen. So erklärt sich u. a. die Rede von einem an Katzenjammer Leidenden: er luegt drịị wi n e Geis uf em Toodbett.

Damit steht im Zusammenhang ihre Kundgebung erhöhten Wohlgefühls durch lebhaft merkiges Wesen. Achtung, d’Geis g’seht öppis, d. h. gib Acht! schau hin! Ferner durch munteres Gemecker, das in mannigfaltigster Abtönung eine ganze Skala seelischer Erregungen auslösen kann. Drum der Rat an einen, der nicht grüßt oder sonst nicht redet, wo er sollte: We si a men Ort e Geis metzge, so chauf de d’Zunge! oder ’s Muul! In übermütigem Spiel ergehen sich auch die Beine. We’s der Geis z’wohl ist, so schaaret si (und verletzt sich empfindlich am Fuß): angewandt auf voreilige Unternehmungen (z. B. Heiraten).3 Lästig wird sie oft genug durch wählerisches — schmä̆der­frääsigs — und naschhaftes — schnausigs — Gebahren im Stall, obschon sie grade durch solches Ausscheiden unbekömmlichen Futters nur den Nutzen des Besitzers fördert. Denn d’Geis git d’Miḷch mit däm, was si g’schän͜d’t, nid mit däm, was si frißt. (Orymoron.) Welch Gehaben erst auf freier Weide, wo dem schläärmige (leckerhaften) Tier das am schwersten Erreichbare am besten schmeckt! Solches Schläärme oder Schlü̦ü̦rme geschieht natürlich am allerwenigsten zur Erbauung etwa der Boden- und sonderlich der Waldbesitzer. Der Tüüfe͜l u d’Geiße hei z’sämen e Vertrag: 289 är laat se n uber aḷḷ Zụ̈ụ̈n uus lauffe, u si müeßen ihm d’Lüt mache z’flueche. — Das gemsenartige Klettern unseres Tiers veranlaßte den Namen Geis­leitere für die Spierstaude (oder den ulmblättrigen Bocksbart,4 Spiræa ulmaria) und danach für eine hochauf­geschossene, überschlanke Weibsperson: e g’schleejjeti, wie man mit seltenem altem Wort auch sagt.

In einer kleinen Dorfschmiede (Schärhüsli).

Das Beknuppern — Aachäfle, Aaraffle — jungen Holzes wegen des bei der Ziege außerordentlich beliebten bittern Pflanzensaftes ist übrigens auch kein Vorteil des Ziegenhalters: die dadurch erzielte Milch rä̆helet — schmeckt ranzig, ist rähelig, und sie gị̆belet: schmeckt und riecht nach der schlecht gepflegten, allezeit unsaubern Ziege. Einen üblen Ruf hat in dieser Beziehung namentlich die lang­häärigi oder gfotzleti Geis, die Fotze͜l-Geis. Zur Gewinnung der für Kinder und Lungenkranke so zuträglichen tuberkelfreien Geismiḷch bedarf es eines Tieres, bei dem die erforderliche peinliche Reinhaltung nicht schwer zu handhaben ist. Man zieht daher churz­häärigi und womöglich ungehörnte — un­g’hü̦ü̦rnti oder mutzi — Exemplare gleichviel welcher Rasse allen andern vor.

Fehlt solchen zuträgliches Futter und zu jeder Jahreszeit öppis Grüens nicht, so geben sie selbst für den Winter ordentliche Milchtiere ab, die den spöttischen Spruch zu Schanden machen: Drụ̈ maḷ siben ist eine­zwänz’g u vieri (nämlich vier Batzen) druuf e Chroone, u wär im Summer Geiße het, dä het im Winter Bohne (statt Milch). So wußte denn auch beispielsweise ein Mann wie «Müller»5 seine Tiere bi’r Miḷch z’bhaḷte und bewies in seiner unverfrornen Art dem scheinbar belehrungs­bedürftigen Nachbarn drüben im Pfarrhaus, daß nicht bloß «zu hinterst im Tschaggenei­graben eine Geiß wohl leben könne».6

Damit wird freilich bei dummstolzen Großviehbesitzern das Eis der Vorurteile nicht gebrochen; noch weniger die Protzigkeit, die eso mene Geiße­pụ̈ụ̈rli Zurufe bereit hält wie: du hest ja nume Geisbohnen am Chneu (vom Melken her)! Ist doch so manches an dem Tier, das zur Vergleichung mit einer stattlichen Simmenthalerkuh auffordert. Vor allem ist so ne Geis bb’ring (schmächtig) und ladet den Muskelkräftigen zu einem Oxymoron ein wie: mit G’waḷt steḷḷt (oder bringt oder bü̦hrt oder lü̦pft) men e Geis hin͜der ume; oder zum Sarkasmus: stiḷḷ mụ̆dere, d’Geiß ist chrank! oder zum spassig warnenden Zuruf an einen Tugendbold: der Best het e Geis g’stŏhle (selbst der Beste stiehlt doch noch eine Ziege). Er heig müeße 290 der Geis miste: faule Ausrede eines sich ernster Arbeit Entziehenden. Vom breiten Rücken des Großviehs hebt sich insbesondere der gratförmige Geisrügge ab. Mitleidig nennt man ein schlecht genährtes Lebwesen măger wi ne Geisrügge. Schmaḷ wi ne Geisrügge ist ein nicht stattlich breit geladenes Heufuder. Und den verschiedenen Geisgrat, Geishŏger im Gebirg des Emmenthals entspricht ein Acker zu Lauterbach: der Geisrügge; ebenso ein Wald zu Obergoldbach.

 
1 Bsbinder 357. 362 f.   2 Barthli 3.   3 Jacob 2, 232; Schuldb. 104.   4 LZ. 1904, 136.   5 MW. BK. 40.   6 EbM. 251.  
 

Das Schwein.

In einer landwirt­schaftlichen Gegend, welche nicht bloß die Anforderungen zweier bis dreier wöchentlicher Fleischtage und den Bedarf an Schmalz größtenteils aus eigener Einschlachtung (ịịmetzge, i’s Huus metzge) bestreitet, sondern mittels des Handels­schlächters auch es Schöns us em Staaḷ löst, ist selbst­verständlich auch die Mastung des Schlachtviehes (das Mẹste) von Belang. Dennoch läßt sich dieser bäuerlichen «Kunst» in unserm Buche kein eigenes Kapitel einräumen, weil auch hier die Sprache mit dem Leben nicht Schritt hält. Es heißt etwa: Vom bloße Verspräche wirt e ke Chue feiß.1 Es gibt witzige Metzger Ausdrücke, welche einigermaßen auch in die gemeine Sprache übergegangen sind, wie: e grĭ̦figi Chue: eine Kuh, die beim Betasten der Brust-, Rücken- und Schenkel-Partien guet i d’Han͜d git, oder e guet­tuehigi. Bloß e haḷblinigi ist eine halbgemästete, en indiänigi eine magere Kuh. (Dagegen bedeutet «indiänig» = bunt wie Indienne, im Braunviehgebiet — z. B. in Zollikon — eine gescheckte Kuh.)

Ist das Fettwerden beim Milchtier und Wollträger immerhin bloß letzter Lebenszweck, so doch beim Schwein der ausschließliche. Das Leben als Fase͜lsau ist eine bloße Vorstufe, ein Vorbereitungs­stadium auf die Vollendungszeit, wo die Mastsau den Tisch mit den höchsten Merkmalen bäuerlicher Fürstlichkeit ausstatten darf, als da sind: Hamme u Laffli, Säurü̦ppeli u Chinn­bäckli, Säu­schnüüre u Säuohre, ordinäri Schwịnigs, Würst u Späcksịte, nicht zu vergessen den Säuschmutz, der Küche unentbehrlich jahraus jahrein.

Wie verachtet gegenüber solch leckern Genüssen das abg’wärchet Roßfleisch mit seiner widerlichen Süßlichkeit! Das Pferd lebt seinem Frondienst, das Schwein stirbt in seinem Krondienst; und beständig schwebt des rechnenden Bauern Wagezünglein zwischen dem Lebenswert des einen und dem Todeswert des andern.

291 So ist denn auch das Trüejje (Gebeihen) der Faselsau und das Feiß wärde (Fett werden) der Mastsau lebenslang beider einziges «Tun». Wohḷ wohḷ, si tüe! si tüe guet — das ist der Inbegriff alles Lobes, den Menschenmund über ihre Leistungen aussprechen kann. Und damit, daß sie tüe, erwahren sie sich als g’schlacht, d. h. ihrem «Geschlecht», will sagen: ihrer Art entsprechend. Sie benehmen sich, wie man es von einer braven Sau erwarten darf.

In allererster Linie also, womit aber im Grund alle Grade der Wertschätzung mit umfaßt werden, bewährt ein Schwein, das nicht «aus der Art schlägt» — un­gschlacht ist — seine vielgerühmte Gefräßigkeit. E gueti Sau ma gäng. Und zwar frißt sie allezeit mit Heißhunger, der sich bei jeder Hörbarkeit menschlicher Tritte durch Schreien kundgibt. Grad use brüele wie hungerig Säu2 und zo’m Tisch gaa wi d’Säu zo’m Trog (d. h. ohne Tischgebet)3 sind geläufige Übertragungen.

Wie bescheiden dafür die Wohnungs­ansprüche des Dickhäuters! Was anderwärts als Vorwurf gilt: chaḷt wi i mene Säuste̥l inne,4 kann hier unter Umständen sogar zum Vorteil gereichen.

Wie wenig kostspielig also die Haltung! Und wie einfach! Alle denkbaren Abfälle des Haushalts und der Landwirtschaft, wo süst z’nụ̈ụ̈te giengi, lassen sich für die Sau verwenden: d’Säuhärd­öpfe͜l, welche vom Acker nicht in den Keller wandern dürfen; das Säumähl aus den Körnern des Roggens, der um des Strohs willen gepflanzt wird; das Abzụ̈ụ̈g5 der für den Tisch zugerüsteten Gemüse. Alles Siedbare wandert samt dem Wäsch­wasser (Spülicht) in den Säuzüber, i ’s Säubocki, oder direkt in den Säuhafe, errichtet auf eigenem Herd — in größern Betrieben auch in eigener Säuchuchi, bedient von der Säuchöchi. ’s ist für d’Säu! Durch gelegentliche Fußwaschungen noch um einige Würze bereichert, wandert täglich drei Mal solche Säuträihi mittelst der Säu­mäḷchtere in den Säutrog.

Das waren die Fundamente des «Glücks» (studentisch und sonst burschikos: «Schweins»), womit im ältern Betrieb selbst ein armes Weib sich zu Wohlstand und zur Würde einer Bäuerin emporschwingen konnte. Freilich nicht, wenn der Mann mit seiner «Tränke» immer wieder alles verdarb und die kummerbeladene Frau bei heimlicher Revision der Börse die Bilanz zu ziehen bekam: Es hätt es stịịfs Säuli ggää, was er versoffe het.6 Vollends, wenn der Mann in der Sau oder dem As der Karte sich zu gut auskannte, ging daheim 292 trotz allem Aas das «Schwein» dahin — im Wirtshaus blieb es liegen.

Die Fundamente freilich fordern den Auf- und Ausbau, und die geheimnisvolle Kunst desselben bildet erst das Kriterium einer richtigen Bäuerin7 — heute mehr wie ehemals. «Trĭ̦ben Säu8 z’uberchoo» («’triben» heißt auch ein übernährter Mensch) war schließlich keine so große Kunst im vorkäsereilichen Zeitalter, wo der Vorrat an guter Milch oder sogar an Rahm oft nur eine «Verlegenheit des Reichtums» bereitete. Heute, wo bloß die immerhin äußerst wertvollen Abfallprodukte der Käserei unserm Stalltier jenen Genuß bereiten, der sich in so behaglichem Sü̦ü̦rfle kund gibt, sieht sich die einsichtsvolle und geschulte Bäuerin vor etwas schwierigere Fragen gestellt.

Vor allem die: Ist es wahr, daß e gueti Sau aḷḷs frißt? Darf wirklich «was ke Sau wurd suuffe»9 und «was ke Sau gfrässe hätt»10 den höchsten Grad der Ungenießbarkeit bezeichnen? Epidemien wie Schweinerotlauf, Tiphtherie (Haḷsbrụ̈ụ̈ni), Magenverschluß geben hierauf eine deutliche, bisweilen fürchterliche Antwort.

In Wahrheit ist das Schwein ein ebenso wählerisches, wie reinliches und intelligentes Tier.11

Letzteres mußten uns die Künste beruflicher Tierbändiger beweisen, nachdem die unheimlich kleinen, tiefliegenden Säuäugli es lange genug verhüllt hatten. Man vergleiche aber auch mit dem lieben offenen Auge eines Ardenner-Pferdes das Säuäugli eines gesichtsschwachen Gauls,12 der um deswillen das Unglück hat, als scheu und tückisch verkniffen zu gelten. Man denke an das geist- und gemütverlassene Säuäugli eines Lebemanns,13 der in halbverstecktem Winkel eines Stadtkellers oder eines ländlichen Hin͜derstübli sich gueti Bitzli u zugehöriges «Geistigs» zu Gemüte führt.

Auf Augenschwäche deutet beim Pferd auch dessen kurzer und dicker Säuhaḷs, während das Säumụụl an ihm eine häßliche Beigabe zur Überbissigkeit ist. Der Rüffelstumpf am Schweine selbst, Schnööre oder Schnü̦ü̦re geheißen, wird auch dem vorlaut und unverschämt alle Gespräche Beherrschenden beigelegt; der Schnööre­wagner vollends ist ein unausstehlicher Kannegießer am Biertisch. Der gleichbedeutende Ausdruck Schnŭ̦fle (womit das Tier alles «beschnauft», beschnuppert) gilt beim Menschen eher der «Nase», die er «in alles steckt». Wie die aufgeworfene Schnauze des Tannworth-Schweines, so ist auch das Säuohr ein Rassenmerkmal; besonders das kurze, steile Răbmụụsen-Öhrli 293 (Rabmu̦u̦s = Rattmaus, Ratte) ist heute das Kennzeichen einer gesuchten englischen Spielart. «Einen bim Säuohr nää» aber knüpft an die langen hangenden Lampiohre der ehemals so beliebten Ländersäu oder auch der aus Ungarn eingeführten rötlichen Ungersäu.14

Letztere zwei Arten zeichneten sich auch aus durch längere und gekräuselte Borsten, welche bei uns kollektiv das Bu̦u̦rst, gelegentlich15 auch der Buurst heißen. In den Spaß, «er heig Säuhaar (statt der Pferdehaare) am Boge» (Fidelbogen), kleidet sich das Übelleben der Hausgenossen an einem Anfänger im Geigen, der noch kratzt.

In musikalisches Gebiet hinüber reicht aber sogar das Säu­schwänzli. Ein Gesangleiter, der sich in der Führung des Dirigentenstabes eine eigene Taktstock-Symbolik sauber herausgearbeitet hatte, reklamierte wegen der Ungenauigkeit eines Einsatzes, erhielt aber zur Antwort: Jä, du hest drum dị̆s Säuschwänzli nid g’macht!

Ein derberes, obwohl alltäglich gewordenes Bild ist die Übertragung des stoßweisen Harnens auf eine häßlich ungerade Naht, einen unschön krummen Weg, eine nachlässig krumme Acherfurche, überhaupt eine unordentliche, liederliche Feldarbeit: das ist e rächti Säu-Seikete!

E rächti Sauerei! ruft oder denkt der Emmenthaler ebenfalls, wenn er an einem unexakt, uneigelig bearbeiteten Ackerstück vorübergeht. Dies führt uns auf das Kapitel der Unsauberkeit des Schweins — destwegen so peinlich, weil diese Untugend durch die moderne Stallwirtschaft dem von Natur so reinlichen Tier förmlich aufgezwungen worden ist und ihm nun als Schuld zugerechnet wird. Säu sị Säu! Dräckig wi ne Sau! u. dgl. fliegt uns nur so vom Munde. Doppelsinnig sagen wir: es sị i menen iedere Spi̦i̦l Säu. «Wir haben eine Saunatur», erklärt selbst ein Doktor16 in pessimistischer Stimmung. «Die Sau auslassen»17 heißt: sich viehisch geberden. «Sich hinter ein Weinfaß setzen und die Sau pflegen.»18 — Aus dem hoffärtigen Mädchen wird «nicht eine Hausfrau, sondern eine Haussau,»19 die überall, wo sie hantiert, es Gsau20 oder es Gsäu aasteḷḷt.

Meyeli «lasse Mädi sauen und karen, wie es wolle.»21 Etwas versaue: äußerlich oder seelisch22 beschmutzen.

Es ist einem sauübel,23 oder im Gegenteil so «sauwohl»,24 säuwohl, säuliwohḷ, daß er aus Übermut sowohl «sackgrob», wie auch saugrob25 werden kann.

294 Ästhetisch wie grammatisch unanfechtbar reihen sich an: alle die in der Welt, diesem «Saunäst»26 umhergehenden oder ‑fliegenden Sau- oder Säunigge͜l, die «Saukerl»27 oder Säukärli mit ihrem «Saugesicht»,28 die e Sauläärme verfüehre.29 Aber selbst im Salon und überhaupt im Bereich des zarten Geschlechts fliegen die Sau- und Säumeitli und Säu­meitschi,30 die Säubuebe und die «Säu-Theodöri»31 nur so herum. Und zwar im Eifer der Rede noch gar mit frevler Verletzung eines Schulgrammatik-Paragraphen. Der lautet: Säu- ist im Wesen eine genitivische, Sau- eine abjektivische Zusammensetzung. Säu- ist, was naturgemäß, Sau-, was ethisch mit dem Schwein zu tun hat. Eine Säumueter ist 1. eine Muttersau,32 2. die menschliche Pflegerin einer solchen; eine Saumueter ist (im Affekt gescholten) z. B. eine Katze, die ihre Jungen schlecht pflegt, oder sogar eine ihr gleiche menschliche Rabenmutter. Das Schwein wohnt im Säustall, Säuste͜l; eine Kuh z. B. oder sogar der Mensch im Palast kann einen Saustall bewohnen. So bietet auch der Metzger im Laden wohlweislich Säu-, nicht etwa Sau- («säuisches»33) Fleisch an. (So auch ist der Sụ̆rchabis am beste, wenn er säuisch g’chochet u sụ̆fer ag’richtet wird.) Die Schweinemagd läuft mit der allzeit peinlich sauber gescheuerten Säu­mäḷchtere, gefüllt mit dem Inhalt des Säuzü̦ber, fegt vor Eingießen mit dem Stumpbäse den Säutrog rein und hält so das der Sau Gemäße und das Saumäßige reinlich auseinander.

 
1 MW. Anna 205. Vgl. Kyburtz (Theologia naturalis) a. 6.   2 AB. 2, 90.   3 LZ. 1404, 134.   4 MW. 2J. 116.   5 MW. 2J. 169.   6 BSp. 2.   7 Spinne 22.   8 Michel 247.   9 AB. 1, 15.   10 BSp. 255.   11 EB. 1904, 27.   12 Ök. fol. 15, 1, 45.   13 Bitzius I, 302.   14 Ztgst. 2, 91.   15 MW. Mg. 269.   16 AB. 2, 324.   17 Ztgst. 2, 217.   18 Jesuiten 313.   19 Käthi 65.   20 UK. 166 uö.   21 AB. 2, 364.   22 Käs.   23 UP. 273 uö.   24 Ztgst. 1, 67.   25 Barthli 6.   26 GG. 3, 99.   27 Käs. 30,   28 Ztgst. Hs.   29 MW. Mg. 265.   30 AB. 2, 271; MW. Anna 161.   31 MW Anna. 153.   32 Käs. 247.   33 SchM. 2, 366.  
 

Das Schaf.

Mi het glịị (bald) vịịl u glịị weeni. Das gilt von kleinen Menschenkindern und den von der Bibelsprache her am häufigsten mit ihnen verglichenen Tieren: den Schafen, und Lämmern. Von kleinen Wesen also, deren Kommen und Gehen eine Familie und eine Einzelseele aus dem Gleichgewicht bringen kann, und von Tieren, deren Geburt und Tod dem Eigner höchstens ein He nu! abnötigt. Darum hat der oben zitierte Spruch in seiner Anwendung auf das Schaf diese andere Form angenommen: Ring derzue u ring dervo. Fast ohne Kontrolle bleibt sein Erscheinen in der Welt; beinahe ohne solche geht die Schar, wo auch bei uns eine solche besteht, am Morgen aus dem geöffneten Stall auf die uneingezäunte und dennoch den Tieren bekannte Weide und von ihr wieder in den Stall, wenn die ältern von ihnen die Zeit dazu für gekommen erachten. Die ältern hüten die jüngern 295 selbst: eine kleine reichs­unmittelbare Presbyterial-Republik. Über solchen Sachverhalt kann uns freilich das «Kinderlied und Kinderspiel» hinwegtäuschen, das sich mit dem wertvollsten und dem wertlosesten Tier, dem Rößli und dem Schööffli, gleich viel zu schaffen macht: «Schlaf, Chindli, schlaf! der Vater hüetet d’Schaf» usw.1 Allein schon das Voranstehen dieser «Wiegenlieder» vor den lebensvollen, muntern und poesiereichen «Kniereiter­liedchen» zeigt, wie das «Schööffli» oder allenfalls das Lämmli, Lä̆meli, als bloßer unverstandener Name am erst sich entwickelnden Ohre der Wickelkinder vorüberfliegt. Von diesen heißt es: «Wenn si größer wärde, rị̆te si uf Pfärde;» oder sie identifizieren gar sich selbst mit diesen zu wahren Personen erhobenen Tieren. Kaum dagegen versucht das Kinderlied vom Schaf den doch so naheliegenden individuellen Stimmenwechsel (vgl. die Wildtaube) zu personifizieren: ’s Lämeli seit [fröstelnd]: Mir wei heeei! mir wei heeei! D’Aue seit: mir wei no n e Mal en e Mụụ voḷḷ nää! oder: no ne Schmä̆le nää! no ne Schmäle nää!

Wenn der heranwachsende Bauernsohn, um zu seinem Taschengeld zu kommen, sich sein Schaf2 oder gar eine kleinere Anzahl Schafe hält, so beruht auch dies ganz einfach auf der Genügsamkeit und Friedlichkeit des Tieres (vgl. frein wi n es Schööffli). Un͜der der Chrüpfe dü̦ü̦r sich drückend, liest es die von den Kühen verworfenen Halme zusammen; oder es nimmt, im Verschlag mit andern zusammen­gepfercht, mit dem Ertrag des «wäḷtsche Heuet» vorlieb. Die Zutunlichkeit seines Wesens aber3 macht der Besitzer sich damit zu nutze, daß er zu gegebener Zeit «d’Schaaf­schääri fürenimmt» (wie bildlich der Advokat).4 Bei dieser Gelegenheit erweist er ihm jedoch auch eine Wohltat, indem er es von seinen schlimmen Blutsaugern, den Zecken, befreit: ihm d’Zächchen ahelist. In die bildliche Rede ist sowohl dieser Parasit übergegangen: e rächte Zäch = ein unabtreiblicher Mensch, als die Befreiung von ihm. Eim d’Zächen aheläse: ihn abkapiteln; vgl ihm «d’Lụ̈ụ̈s tööde».

 
1 KL. 02, 1-10; 03, 1-7.   2 SchM. 1, 379; Käs. 308.   3 Servaz 7.   4 UP. 308.  
 

Schiff und Geschirr.

Einrichtung.

E

 

inen Trossel wohl, selb muß es haben, und einen braven!»1 So erklärt selbst ein geldarmer Vater, wenn von der Heirat seiner Tochter die Rede ist. Und mit dreifuederigem Trosse͜l (trousseau, zu trousse und «Troß»), vor hundert musternden Augen zur Schau ausgestellt (im Gegensatze zum geheim gehaltenen Muetech2), zieht am Frauentag (25. März) ein schlichtes bäuerliches Ehepaar ụụf oder zü̦̆glet ịị. Zu solcher Zü̦glete hat die gesamte künftige Nachbarschaft Roß und Wagen und Mann zur Verfügung gestellt — ohne andern Entgelt als die Hụsräuki, die den anstrengungs­reichen Tag beschließt.

Bescheidener nimmt sich das allmählich selber beschaffte Trösseli eines Junggesellen3 aus — wie erst das Pünteli eines armen Mädchens, das man vielleicht aus seinem Platze weggeschickt, dem man Püntelis­tag gemacht hat!

Verhüllter nennt man die Art, wie man einen ungern gelittenen Menschen los zu werden sucht: Einen zü̦gle (si wette mi gärn zügle, we si’s derzu brächti). Dies geschieht begreiflich, wo es öfters gelingt, zu mannigfacher Schädigung, auch ökonomischer, eines «unstät und flüchtig zu sein» Verurteilten. Denn drụ̈ụ̈ Maḷ ’züglet ist einist ab’brönnt.

Und nun, wie nehmen unsere noch jungen Leute ihre Einrichtung vor? Notieren wir vorderhand nur rasch (etwa als Mobiliar­schätzer uns gebend) die Hauptgegenstände einer solchen Ịịrichtig, um hernach auf einzelne der bedeutsamsten Geräte-Gruppen etwas eingehender zurückzukommen.

Brattighüsli (Kalenderrahmen).

298 Durch die Küche treten wir ein. Zur Linken begegnet uns der Hoḷzchaste, der das Brennmaterial für einen Tag birgt. An ihn stößt der Wasserbank oder -bawch, belastet mit zwei schweren Wasserkesseln. Über ihm hängt die Cheḷḷer­ịịgle: ein hübsch gearbeitetes Brett mit Einfassung, das die ganze nötige Anzahl Kochlöffel und Kellen birgt. Zwei Tische, mit allen denkbaren Utensilien für die ersten Nöte der Köchin besetzt, flankieren den Äschenofe: den steinernen Kasten zum Bergen der Asche. Ein «flotter» Chuchi­schaft samt Pụffert und Gänterli stößt an den einen Fensterwinkel; an den andern der Schüttstein mit Gschịịr­chrääze (im Oberaargau: Gschiirbähre) zum Trockenstellen des ausgewaschenen Geschirrs, bisweilen praktischer ersetzt durch den G’schiir­bawch. Der darüber sich dreifach hinbreitende Chache͜l­bank enthält das trockene Chache͜l­gschi̦i̦r in gefälliger, wiewohl für den täglichen Gebrauch berechneter Aufstellung. An der Feuerwand zwischen dem mächtigen Säuhafe und dem Kochherd hängt die kleine Lampe mit Reflektor.

Es öffnet sich uns die große Wohnstube, deren Ausstattung aber auch im reichsten Bauernhause4 bald überblickt ist. Der Fensterreihe entlang reicht von Wand zu Wand der Speisetisch, kurzerhand der Tisch geheißen. An die gegenüberstehende Wand lehnt das Pụffert; durch die Küchentüre von ihm getrennt, birgt das Zịthụ̈sli seine schwer entbehrlichen Kleingeräte. Mit einigen Gemälden größern oder zweifelhaftern Wertes, über die Wände hin verteilt, konkurriert die Brattig (der Kalender), hier und da noch in einer hölzernen Fassung, dem Brattig­hüsli geborgen, das für den laufenden Monat gültige Kalendarium zu jedermanns erstem Blick aufgeschlagen. (Abb. S. 297.)

Auch ein Blick ins Nebenzimmer ist uns, dem einigermaßen vertraut gewordenen, vergönnt. Nehmen wir also Notiz von den zwei Betten, jedes in dem hiefür vorgesehenen fensterlosen Bettegge versorgt. Daneben in tunlicher Verteilung die für die Kinder benötigten Betten und, wo es nicht in der großen Wohnstube Platz finden soll, das allen Schmuckes entbehrende Ruhbett, Fụụlbett gescholten. Dazu Sessel, Tisch, Sekretär für den Tagesbedarf, Spiegel usw.5

Denn alles, was an Luxus grenzt oder erinnert, oder auch ihn wirklich vorstellt, gehört in die Hinterstube. Wo noch altbäurische Sitte herrscht, überziehen hier selbstgehäkelte Decken aus feinstem Baumwollzwirn das kostbare Wịsịtte­bett, das geschweift­lehnige Ruewbett, das harthölzerne Nacht­tischli und den runden Tisch in der Stubenmitte. Zwei mächtige Photographie-Album eröffnen dem Aufschlagenden 299 einen ausgedehnten Verwandtenkreis, wohl gar eine Reihe vornehmer Besucher aus städtischen Kreisen. Auf kunstvoll gearbeitetem Sekretär schlägt die Stockuhr unter sauberer Glasglocke an die Metallfeder und mahnt uns, die paar Minuten noch unscheinbareren Räumen zuzuwenden.

Ein solcher ist das Wärchzụ̈ụ̈g-Chämmerli: ein enges Gelaß etwa unter dem Brüggistock. Hier hängen oder stehen, in sauberer Ordnung jedes an seinem Ort, all die Hacken, Schaufeln und Pickel, die allezeit rasch zur Hand sein müssen. Axt und Beil, Wald- und Handsäge dagegen stecken in ihren Gelassen an der Wand des Ganges, welcher Wohn- und Ökonomieteil trennt. «Hauigi» und zugleich sperrige Gegenstände, wie Sensen, hängen hoch an der obern Speicherlaube. Drunten aber, durch einen Schopf am Speicher (wenn nicht an Ofenhaus oder Scheune) geborgen, stehen Wagen und Pflüge, Karren und Bännen usw.

Bauernstube.

Mi ist nie rịịcher weder bi’m Zügle. Da kommen einem tausend Gegenstände un͜der d’Finger, welche man nicht missen mag, weil sie einem unerwartet kumod chöme, und wo doch niene sötti sịị. Man sucht sie also da und dorthin außer Sehweite zu bringen, se n öppe chlii z’verstoße, um sie doch im Bedarfsfall rasch zur Hand zu haben. Man muß sie alsdann wohl auch unter einem Haufen Krimskrams hervorziehen, fü̦̆re­schrịịße, was begreiflicher­weise nicht immer in aller Stille geschieht. Vielmehr räblet das, wie wenn eine 300 Gebirgskuh, wo cha räble, über zerbröckeltes Gemäuer oder verwitterte Feldsteine setzt. Es rumplet, wie man von länger anhaltendem, verworrnem, tieftonigem Geräusche sagt. Drum heißt ein solcher ordnungslos umherliegender Haufe verschieden­artigster Gegenstände das Ggrä̆be͜l oder der Grümpe͜l; auch etwa: das Ggrăgéeḷ, wo es sich um einen aufgetürmten Haufen handelt, der bei leisester unkundiger Berührung schwerfällig und polternd einstürzt. (Vgl. «krakehlen».) Geringschätzig braucht man das «Ggräbe͜l», «das Ggräbeli» auch von einer ärmlichen Ausstattung.6 Dagegen hat der doch auch bloß im Grümpe͜l­chämmerli verwahrte Grü̦mpe͜l, wie schon der Grümpe͜l­schießen im Stand oder die Grümpe͜l­wurst im Metzgerladen lehren, einen etwas hoffähigeren Anstrich. Immerhin gehört «herrschelige Narre­grümpel» doch «gar nit zu üser Tracht»,7 und gleich abschätzig redet das Volk und schrieb Gotthelf vom wäḷtlige, vom irdische Grümpe͜l. Z. B.:8 «Da kam endlich auch ihm der Schlaf über alles, deckte den weltlichen Grümpel ihm zu. Doch, ein unzuverlässiger Mantel ist der Schlaf für den irdischen Grümpel.»

 
1 Michel 299.   2 BSp. 106. 392.   3 Z. B. SchM. 1, 384.   4 Amtsr. 73.   5 AB. 1, 467.   6 Müll. LK. 11.   7 Widm. 85.   8 AB. 1, 185.  
 

Feuer und Licht.

Es dunkelt und fröstelt im neuen Heim. Nun, im Bereich der elektrischen Kraftanlage, welche seit Neujahr 1904 die Dorfschaft Lützelflüh mit Hasli und Rüegsauschachen gemein hat, wie zuvor schon auf dem Gumpers̆mülihof und auf der Säge Grünenmatt, dreht man einfach ein Hähnchen auf, und blendendes Licht durchflutet die Räume. Länger wird es anstehen, bis das Drehen eines Gashahnes im Nu zum dampfenden Kaffee das Wasser brodeln macht. Auf keins von beiden können unsere Leutchen auf dem entlegenen Hofe warten. Das Neuste für sie ist immer noch das Streichholz, Zünthöḷzli, und nicht einmal das schwedische, sondern das einheimische, dessen Schwefelbelag und dessen mit farbiger Gummihülle bedeckte Zündmasse insgesamt mit Schwä̆fe͜l, früher regelrecht Schwäbe͜l, bezeichnet wird. Es sticht eben immer noch die Erinnerung durch an das ehemalige Schwäbe͜l­hoḷz, Kollektivform für die einzelnen Schwäbe͜l­höḷzli, für Hausiererinnen einst eine der ersten Erwerbsquellen. So ernährte sich auch 1790 ein verarmter Trunkenbold «mit Besen- und Schwefel­hölzlimachen».1 Vgl. den Spottvers auf das französische Monopol: 301 Napolion ist nümme stoḷz, er handlet iez um Schwäbe͜lhoḷz.2 Noch die Jowägerin3 mußte für ihre Küchengeschäfte zu dem Notbehelf greifen, das ein oder andere Ende des Schwefelholzes an der heißen Asche zu entzünden, welche, von Mahlzeit zu Mahlzeit unter kalter Asche geborgen, zu einem Häufchen in einer Ecke der Feuerplatte zusammengekehrt war. Denn ihr Mann will von den gefährlichen neumodischen Hölzern nichts wissen. Lieber trägt er das «konservativ Fụ̈ụ̈rzụ̈ụ̈g» überall in der geräumigen Westentasche mit sich: das mächtige Fụ̈ụ̈rschlăhe­mässer mit dem stählernen Rücken, oder auch nur die halbringförmig um vier Finger sich legende Schlăhe; dazu den Splint: Fụ̈ụ̈rstei, und den Zunder: Schwụmm (dem hier noch wenig bekannten Badeschwamm in Weichheit und Farbe ähnlich). Ein Stückchen Zunder reißt er, wenn er die gestopfte Pfeife in Brand setzen will, gemächlich ab, schiebt es unter das abgegriffene Splintstück, das er kaum noch zwischen den Fingern halten kann und doch nicht wegwirft, obschon er zu jedem Päckchen Tabak ein halb Dutzend dieser Steine obendrein kriegt.4 Und nun schlaat er Füür mit der Geduld, die eines bewährten zünftigen Rauchers würdig ist. Alle Zehntels-Minuten fliegt ein Funke, und endlich fängt der feuchte Zunder doch Feuer. Das hätte er in der Küche rascher und noch billiger haben können; allein zum Auflegen eines Stückes (Kohlen-) Gluet trieb ihn just seine innere Glut, wie einen Felix.5

Ein spartanisch zu nennendes Kinderspiel ist das Füürschlaa: zwei der kleinen Gegner ballen die Faust und schlagen die spitzen hintern Fingerknöchel gegeneinander, bis einer, vom Schmerz übermannt, das Feld räumt.

Von der Unermüdlichkeit solchen Klopfens schreibt sich auch her, daß man bei einem erlustigend schlagfertigen Wechsel witziger Rede und Gegenrede sagt: Das geit ja gäng ḁn eim wi’s Füürschlaa!

Fụ̈ụ̈re («feuern»)6 bedeutet sowohl Feueranmachen7 als das Feuer unterhalten.8 Es fụ̈ụ̈ret mer i den Ohre (bei Fieberhitze). Eim un͜dere fụ̈ụ̈re, Fụ̈ụ̈r un͜dere mache9 oder tue: ihn zu energischen Entschluß und Handeln antreiben. Füür un͜der den Hafe tue:10 eine Angelegenbeit in Gang bringen. Es sei ein braver Abputzer für ihn ob em Füür.11 «Da git’s Füür»,12 d. i. Streit. Wi Füür u Büchse­pulver: zornmütig, rasch aufbrausend. Fụ̈ụ̈rtaub:13 äußerst aufgebracht.

Flädere ist «lodern» (Seeland und Stadt:14 lädere). Sprätzle: 302 prasseln, knistern. Z’glanzem (Fụ̈ụ̈r) brönne: in hellem, leuchtendem Feuer brennen. (Vgl.: der Himmel ist glantz vnd liechter Sternen vol. 1558.) Unter mächtiger Rauchentwicklung: rauchne. Der Übermut verrauchnet.15 — Das Feuer schüren: (Hoḷz) aalĕge oder schaḷte. Gegenteil: ’s Füür vernü̦̆dere (vernŏdere): es im Brennen stören; auch vergü̦̆fere, vergŭ̦ßle. Brennen lautet brönne (also mit Rundung, im Gegensatze zu zürcherischem bräne; dagegen entspricht das alte zürcherische brüne,16 gerundet wie das inner­emmenthalische brünne, dem alten «brinnen»). Vgl. die Gartenpflanze brönnigi oder fụ̈ụ̈rigi Liebi (auch Jerusa­lämli, eine Spielart von Lychnis). Der Tag verbrönne: bis in den hellen Tag hinein Licht brennen und damit es Loch i Tag brönne.

Einen hastig Davoneilenden frägt man: wo brönnt’s? Vgl.: «Es brönnt mer gar nit hei z’gaa.»17 Dabei ist an Schadenfeuer gedacht; vgl. öppis im Fụ̈ụ̈r haa!18 = in Verlustgefahr; «us em Füür zieh»19 = «retten» in dem anrüchigen Sinn von unterschlagen. Eine solche Feuersbrunst — Brunst, alt: Broust — hat Gotthelf zweimal20 meisterlich geschildert. Zu ihrer Verhütung ging früher auch hier der Nacht­wächter umher («uufbigähre wi ne Nacht­wächter»).21 Die zwei Fụ̈ụ̈r­g’schauer (amtliche Untersucher der Feuerstätten) ersetzen ihn heute.

Allarm heißt Fụ̈ụ̈rlärme: Fụ̈ụ̈rio! Es brönnt! Man stürmt: es lụ̈ttet z’säme,22 wenn’s im Gemeindebezirk brennt, sonst nur mit éiner Glocke. Ihre Fụ̈ụ̈r­hörndli ergreifen zum Hörndle23 die Fụ̈ụ̈r­läuffer, deren in Lützelflühs zwei Feuerwehr­bezirken je zwei bis vier bestellt sind. (Die Enklaven sind in ihre Nachbargemeinden eingegliedert.) An der Spitze der sieben Feuerlösch­mannschaften, welche alljährlich an der Sprü̦tze-Musterig inspiziert werden, stehen:24 der Gemeinde­brandmeister mit Hauptmannsrang, dann die sieben Orts-Brand­meister und Un͜der-Brand­meister, die sieben Sprütze­meister und deren Stellvertreter, zwei mal sieben Wändrohr­führer und 7 Rundäḷḷe­trĕger,25 deren jeder seine halbrunde Laterne (Rundä́ḷḷe26) auf ihrer Stange voranträgt. Aus möglichst zentral27 gelegenem Füür­sprütze­hüsli (anderwärts etwa behufs leichter Erkennbarkeit grell rot28 bemalt) schaut die Deichsel der (Fụ̈ụ̈r-) Sprütze29 hervor. Unter allgemeiner Beteiligung («da bin i o bi’r Sprütze!»30 = bin auch dabei, mache mit) wird sie hervorgezogen und rasselt auf 303 ihren niedrigen Rädern («Auge wie Füür­sprütze­redli»31) der Brandstätte zu. Hier kann sie bei der heute fast allgemein eingeführten Saugspritzen-Einrichtung (es besteht bloß noch éine Schöpf­sprütze) sofort Wasser gää. Wie mühselig vormals die Aufgabe, in der allgemeinen Verwirrung aus den müßigen Gaffern einen Wasserzug32 (Eimerzug) zu organisieren, zu welchem Behuf jede Haushaltung ihren ledernen Eimer zu halten verpflichtet war!

Von Gotthelfs eifriger und praktischer Mitbetätigung an drei Brandfällen33 weiß man sich noch heute lebhaft zu erzählen.

Ein Gegenbild zur «grausig schönen» Feuersbrunst bietet das Fụ̈ụ̈rwärk (ja nicht «Fụ̈ụ̈rwäärch», welches vielmehr = Kochherd). Von solchem füür­wärkere z. B. am 1. August kennt man bei uns wenigstens das Entzünden von Ragéete (Raketen) und besonders des blitzartig züngelnd über eine Fläche dahinfahrenden Fụ̈ụ̈rtụ̈ụ̈fe͜ls34 aus nassem Pulverstaub. Auch unser Rezeptbuch35 kennt Mittel, wie man z. B. ein «brennendt Wasser», «ein Kerzen, die im Wasser brennt», unlöschbares Feuer u. dgl. herstellt.

Zwischen Feuer und Licht stehen vermittelnd die Verba aazü̦nte: in Brand setzen oder stecken und das einfache zünte: leuchten. Die im Zorn flammenden Augen haben «fry zündet»;36 vgl. züntrót. Spezieller heißt «zünte»: Beleuchtung bieten. «So züntet ihres Ampeli z’Nacht»37 (zur Nachtarbeit). Dann: Beleuchtung verschaffen: zünt mer da chlịị! Man «zündet» durch die Küche hin,38 «zündet» nach den schlafenden Kindern,39 und kein Bauer wird je unterlassen, vor Schlafengehen auf seiner nächtlichen Runde no i Staaḷ z’zünte. Einem «heimleuchten» (sarkstisch): ihm hei, furt, vom Huus ewägg, wịters̆ zünte. — «Ich schob mich fort, (freundlich) bezündet von dem Pfarrer bis vor die Haustüre.»40

Z’Liecht sagt man anderwärts für «z’Chịlt». Liechte: ’s Liecht aazünte; dann auch: das Licht lange Zeit unterhalten, z. B. bei Krankenwacht.41 ’s Liecht abblaase: ausblasen, löschen. Mir wei no eini (nämlich eine Flasche Wein) abblaase (ihr «das Lebenslicht ausblasen») oder tööde.

Die älteste Form eines andauernden und zugleich tragbaren Lichts war neben dem Kienspan wohl die Fackel, Fackle (im obern Mittelland: Fachchele, zu l. facula und fax = gr. phos, Licht). Solche facen (vermutlich Kienfackeln) figurieren 1261 unter den Einkünften der Kyburger.42 304 Eine handlichere Form von Licht und Träger zugleich bietet die aus Unschlitt, Ụụschlig,43 hergestellte Kerze, Cheerze, auf deren beste Fabrikation 1770 die ökonomische Gesellschaft von Bern Preise setzte.44

Ein zu ernster Arbeit taugliches Licht gewährt doch erst das Öḷ. — Jez ist ’s Öḷ verschüttet (also unbrauchbar geworden, und zugleich der Fußboden ärgerlich beschmutzt): jetzt hat’s gefehlt, die Sachlage ist verdorben; vgl. «es» bei jemand «verschütten»45 (oder ist hier an die Ris̆pi des Webers zu denken?). Deshalb die bittere Verlegenheit, die Ratlosigkeit, das keinlaute Benehmen, welches zu der Frage herausfordert: Was steist de da, wi we d’s Öḷ verschüttet hättist?46

Eigenes Brennöl im Vorrat zu haben, es nicht beim Krämer oder Hausierer kaufen zu müssen, gehörte ehedem zu der Ökonomie selbst ganz kleiner Leute wie einer Käthi.47 Ärmern diente hiezu ein Teil des selbstgezogenen Flachssamens.48 Ein weit besseres, weil weniger rauchendes Öl bereitete sich der Leineweber aus gesammelten Bucheckern (Buechnüßli), der Landwirt aber aus dem Lĕwăt, auch Rä̆ps («Reps» oder «Raps») genannt. Der Lewat wurde früher als Handelspflanze (für Farben) gebaut49 und beanspruchte neben dem Getreide die Hauptsorge des Landwirts.50 Auch in Lützelflüh baute man noch 1890 etwa 190, 1895: 250 Aren Raps und erntete im Durchschnitt per Ar 15 Kilo Samen.51 Noch heute kann man auf den Waldhausäckern im Mai jene goldgelb blühenden Rapsfelder in ihrer Farbensattheit mit dem Grün der Wiesen wetteifern sehen. Fürs Ohr nicht so poetisch nimmt sich die Zusammenstellung aus, durch welche wir an die tierärztliche Verwendung des Rapsöls erinnert werden: ja, Tüüfe͜lsdräck u Lewatööl!52 (warum nit gar...! geh mir mit solcher Rede!) — Man säet den Raps bereits im Spätsommer,53 um ihn besser durch die gefährlichen Spätfröste54 und den Wildfraß55 zu bringen, und schneidet die roggenhohen, zähen Stengel56 im Juli, zur Verhütung des Samenausfalls am liebsten mit scharfem Messer.

Die Samen wandern zum Öölen in die Ölmühle, Ööli, oder Öḷstampfi.57 («Einen ärgern Lärm machen als die größte Ölstampfe».)58 Eine solche, zugleich als Gut, hatte 1783 auch Lützelflüh im Bezirk Rahnflüh, und 1828 bestanden im Amt Trachselwald sieben Ölmühlen.59

305 Um das Öl zum Brennen nutzbar zu machen, ist der Docht — Tăhe — unentbehrlich, obschon auch er beim gewöhnlichen un­glụ̈tterete (nicht raffinierten) Pflanzenöl immer viel zu schaffen macht. Bald toḷgget der Docht: seine Spitze verkohlt und verlangt neues Nachschieben, Schaḷte. Bald wieder sprä̆tzlet («sprenzelt»60) er: das Öl geht schon wieder auf die Neige. Immer ist an etwas herumzu­korrigieren, gibt’s zu schalten und zu schelten — wie an einem tölpischen Weibsbild, einem «Feufi», das deshalb ebenfalls Tahe oder Ölbụ̈tzi61 genannt wird. Drum meinte ein endlich zum Beerben seines Schwiegervaters Gelangter: I ha iez der Tahe lang ghaa; es ist guet, chunnt ’s Öḷ äntligen (endlich) ó afe.62 Ein Vreneli63 allerdings verachtet einen Mann, «der jeden Dachen nimmt, wenn nur ein Tröpfli Öl dran hanget.» Wäre er ein Zürcher, würde solcher bald inne, daß selbst, wo es an Gescheitheit nicht fehlt, nun auch das Öl sich rasch aufzehren kann.

Meiel-Latärnli.

Der Behälter von Pflanzenöl und Docht hieß (oder heißt) das Lampeli oder Ampeli,64 gewöhnlicher indes: der Tä̆ge͜l. Höḷzig. glĕsig, häärdig (aus Holz, Glas oder Ton bestehend), konnte er bei dem Ausschluß jeglicher Explosionsgefahr als Wä̆b-, Chuchi-, Latärne- usw. Täge͜l sich in seinem Bau allen denkbaren Bedürfnissen anschmiegen und damit unserm im Klassizismus verbohrten Kunstgewerbe vielfach vorbildlich werden. Haupt­erfordernis war nur fleißiges Nachgießen von Öl. Das gab Anlaß, von einem Betrunkenen zu sagen: er het aber e Täge͜l voḷḷ (in der Stadt65 heißt der Rausch selbst Tägel); ja noch über den «Täge͜l» bezw. den Kopf hinaus ist übervoll gegossen: er het Öl am Huet.

Wie nämlich das Haupt zum übrigen Leib, verhält sich der Tägel zum Liecht- oder Ampeli­stock, auf welchen gestellt er den in der Stube um den Tisch Versammelten ungefähr die Dienste der heutigen Petrol-Hängelampe leistete. In der Regel ohne große Kunst aus Holz 306 gedrechselt,66 machte er gern etwa den Eindruck des geistlos Starren, Schwerfälligen67 (vgl. den hölzernen Brunnenstock). «Und hatte Hans nicht geredet, daß Salomo neben ihm nur noch ein Ampelistock war!»68

Dieselbe passive Rolle ist im «Böhneler»69 der Latärne zugedacht, in welche man das Ampeli stellt. Gleichwohl schreibt man gewöhnlich kurzweg das Leuchten des letztern jener zu (wie denn auch die griechische Grundform unseres Lehnworts «Leuchter» bedeutet) und sagt zu einem, der uns im Lichte steht: sääg du (hör einmal), dị Vatter ist de ke Latärne­macher gsịị!

 
1 Ger. Tw.   2 K. L. 03, 241.   3 AB. 2, 9.   4 E. v. E.   5 Käs. 322.   6 SchM. 1, 247. Hs.   7 z. B. UK. 357.   8 Z. B. Käthi 405.   9 MW. BK. 49.   10 Schuldb. 177.   11 Amtsr. 135.   12 Geltst. 268.   13 Ball 90 und ö.   14 BME. 56.   15 AB. 2, 346.   16 Tappolet 126.   17 MW. Vs. 131.   18 Geltst. 213.   19 Geltst. 202.   20 BSp. 182 ff.; Erbv. 121/2.   21 AB. 2, 110.   22 MW. BK. 58.   23 Ebd. 57.   24 Vgl. Eggiw. 79.   25 GG. 2, 4.   26 BSp. 184.   27 GG. 2, 4.   28 AB. 1, 169. 261.   29 Burnands Zeichnung in der «Schweiz» 1901 zu 28.   30 Ott 1, 88.   31 GG. 2, 11.   32 GG. 2, 5.   33 Vgl. Manuel 162.   34 Schuldb. 377 und ö.   35 RB. 49. 50.   36 GG. 3, 166.   37 Kuhn 24.   38 BwM. 170.   39 SchM. 2, 317.   40 SchM. 2, 346.   41 Müll. LK. 29.   42 Kib. Urb. 152.   43 Kongreß 162.   44 Ök. fol. 6, E 41.   45 SchM. 1, 235.   46 Vgl. AB. 1, 388.   47 139 Hs.   48 Ök. fol. 29, F 13.   49 UP. 159. 428, 498.   50 UK. 401.   51 Erntebericht.   52 LZ. 1904, 136.   53 UK. 232.   54 Schuldb. 211.   55 Amtsr. 125.   56 Vgl. Ztgst. 1, 214.   57 Käs. 135.   58 Heiri 129.   59 Ök. fol. 29, F 13.   60 Käthi 235.   61 Amtsr. 116.   62 Vgl. SchM. 2, 391.   63 UK. 374.   64 UK. 104.   65 BME. 56.   66 Käs. 375.   67 Heiri 9.   68 Ztgst. 1, 181.   69 179.  
 

«Tisch und Bett».

Wenn das Gesetz eine temporäre «Scheidung von Tisch und Bett» vorsieht oder das Gericht zwei Eheleute «des Tisches halb» scheidet,1 so ist damit der Inbegriff der zur Lebens­gemeinschaft unentbehrlichen Ausstattung ausgedrückt, und das darin Befaßte soll nächster Gegenstand gleichsam unserer Inventur sein.

Nach dem Preis von «Pänsion u Bett»2 (statt «Logis») fragt eine halbwelsch gebildete Frau und rückt damit richtig das Bett in den Mittelpunkt der Möblierung. Wie ja auch ein Gasthof, ein Krankenhaus etc. seine Kapazität nach der Zahl der Betten bemißt. In der Tat, was ist so ein weiches, warmes, «molliges» Bett für eine Wohltat, ein «Freund» sozusagen, wenn man an Wind und Wetter gewesen einen lieben, langen Tag!3 Drum, «wenn eine Magd von den bessern ist, so sinnet sie an ein Bett»; dann hat sie «ein Hei»,4 und es darf einst «dem alten schitteren Muetterli sein Bett sein Trost»5 sein. Den alten Bauersleuten6 aber, denen man das große Bett aus dem «Hinterstübchen» in den Wohnstock hinüberschleppte, «war es fast, als trüge man ihnen einen großen doppelten Sarg voran.» Zweu­schläfig heißt ein solches Bett und demgemäß in spassiger Mechanisierung auch ein recht großer Regenschirm u. dgl. — Schmeichelworte dagegen wie es warms Hŭ̦li,7 es Hŭ̦schi heben das wohlige Geborgensein im Bette hervor, während das G’lĭ̦ger,8 das G’lĭ̦gi9 die erste beste Schlafgelegenheit bezeichnet: Früschi Lische ist üses Gliger.10

Bestandteile des Bettes: Zunächst die Bettstatt, Bettstḁtt, dissimiliert: Bettschge̥t. Dieselbe ist alt einheimisch so eingerichtet, daß das 307 Kopfende, d’Hau(p)t­e̥te,11 höher ist als das Fußende, d’Fueße̥te,12 und mittelst eines kleinen, tafelförmigen Aufsatz­brettchens einigermaßen die Dienste des Nacht­tischli leistet (Abb. hier unten). Im Gegensatze zu der «französischen Bettstatt»,13 die auch an Platz der schmucklos gradkantigen Bettstollen, Bettstu̦ḷḷe, breite Erdbretter mit kunstvoll ausgehauenen Füßen (Kárni̦ß [Carnies] und Doppe͜l-Karniß), sowie geschnitzte Seitenbretter hat — seinerzeit ein Gegenstand der Sehnsucht solcher, die es zu Kirchmeierinnen und womöglich noch höher bringen wollten.14

Bett mit Bänkchen auf Fuß- und Kopfende.

Einem Miasli15 dagegen mußte als Bettstatt der Ofen dienen, als Bett ein Laubsack mit Hubeln darüber: «So, schlaf. wohl!»16 Eine wahre Herrlichteit ist gegen den Laub- der Strouwsack, wenn mit schön trockenem und regelmäßig erneuertem Roggenstroh gefüllt und jeden Morgen tüchtig ụụf­gschüttlet. Zu diesem Behuf greifen die Hände durch den Hauptschlitz in der Mitte oder durch je einen der vier Site­schlitz, welche auch die einzigen Angriffspunkte zum Transportieren bilden. Deshalb auf ein neugieriges «was ist das?» die Abfertigung: en Anthäbi (Handhabe) an e Strouwsack! Das Möbel dient auch als bequemes Versteck für allerlei Dinge,17 sogar Geld.

Fast luxuriös wurde zuweilen über den Stroh- noch der Spreuer­sack18 gebreitet, für sich allein die richtige Unterlage des Kinderbettes, hier sogar zweckmäßig das Kissen überflüssig machend. Aber auch im Bett der Großen ist er hundertmal besser am Ort als das mit Federn gestopfte Un͜derbett, das manche sogar über der Lischen-Matratze nicht missen wollen, obschon bereits der alte Ernst Mahner rief und schrieb: «Auf, schaffe fort das Krankheitsnest! Im Federsack steckt manche Pest.»

Die Matratze — Măderátze — begegnet uns bereit 1787 in einer 308 Vogtsrechnung.19 «12 Batzen für gegebene Wollen in eine Madrazen.» In bessern Bauernhäusern schlafen heute auch die Dienstboten auf Roßhaar­matratzen erster Güte. Die Kosten der Anschaffung bringen sich ein durch lange Dauer und leichte Handhabung der Reinlichkeit.

Als einzelne Bettstücki20 folgen nun: wenigstens ein (Unter-) Leintuch, das Lĭ̦lachche,21 und das mit Federn gestopfte Hauptchü̦ssi, Haupte­chüssi, welches so einem Annebäbi22 gelegentlich auch als Sitzpolster auf dem Rịtwägeli dient. — Wie schön aber ist die Mahnung der von der Erde Abschied nehmenden Gattin:23 (Behalte unsere Kinder) aḷs Gschwisterti un͜der enan͜dere, dass eis dem an͜dere sị Trost ist, si̦s Hauptechüssi, we’s Härz schwär ist u der Chummer z’vorderist!

Dem ursprünglichen Zweck des Chü̦ssi24 entspricht heute einigermaßen das aus Pferdehaaren gepolsterte Ohrkissen, Ohre̥li (französisch oreiller).

Behaglich nun streckt sich der Leib, und vergnüglich lachen über eine Tagesgeschichte «der Joggi und das Bäbi»25 unter der Techchi. Darunter ist im Bauernhause selten eine Woll- oder Steppdecke, in der Regel vielmehr die bloße Federdecke verstanden, diese aber für den langen Winter berechnet und so umfänglich, daß mit ihr die Hände einer Kühersfrau verglichen werden.26 Eher in den Oberaargau weist heute der Name Tachchbett («Dackbett»).27 Der Techchi entspricht im Kinderbett das Techcheli.28

Der Federsack für Unterbett, Kissen und Decke heißt Făssi.29 Damit die Federkiele nicht durchstechen, muß das Fassi-Tuech extra dicht gewoben sein (vgl. 1776: «3 neue große Schörlitz­fassen»).30 Da es früher nicht leicht zu beschaffen war, wurden die Fassine alljährlich gschli̦chtet oder bstri̦chche: mit der kleisterartig aus Leinsamen (besser: «Mehl, Claret, Wachs und drei Handschäfflein voll Wasser»)31 hergestellten B’strịịchig überzogen. Dies geschah ehedem sogar berufsmäßig durch eine Weibsperson: die Bstrịịchere. Ein Procedere allerdings, das dem Stoff alle Geschmeidigkeit (Glĭ̦mpfigi) benimmt und ihn steif (prättig) macht, so daß er bricht (sich haut). Auch verbreitet ein derart neubereitetes Bett nicht gerade an Iris erinnernde Düfte.

Der Deckbett-Überzug heißt die (großi) Ziehe, der Kissen-Überzug: die Chüßziehe, der Kinderbett-Anzug (auch vielfach als Tragsack dienlich): das Ziechli.

309 Über einem nur irgendwie «bessern» Bett fehlt natürlich niemals das selbstgehäkelte, zuweilen kostbare Táppĭ̦ (frz. tapis). Dazu die schöne Bettvorlage: das Bŏde­techcheli, sowie zur Schonung des heute nicht mehr so seltenen Parkett-Bodens der Läuffer. Aber mehr. Zum großen Bett der Nebenstube gehört selbst­verständlich auch der Umhang, hinter welchem die bekannten Gardinen­predigten gehalten,32 die Tagesereignisse verhandelt33 und die Schachzüge weiblicher Politik getan werden.34Si ist hin͜der dem Umhang, d. h. im Wochenbett.

Der poetische Nimbus aber, der sich von Alter her um die Wiege, Wăgle oder Wiegle gewoben hat, ist so ziemlich im Schwinden begriffen angesichts der Elternplage und Kinderqual, die sich an das hirnzerrüttende Bụttele, Bụ̈̆ttele, Wăgle mittelst des fatalen Krummholzes, die Schnääre genannt, heftet.35 Und so müßte wohl auch der seinerzeit vielbesprochene Erfindergeist eines Fri̦dli-Üeḷḷeli, der behufs Zeitersparnis die Wiege seines einzigen Kindes durch ein vom Hausbrunnen getriebenes Wasserrad in Bewegung setzte, sich heute auf andere Bahnen werfen.

Der bei Nichtgebrauch unter das große Bett schiebbare Kasten mit Spreuersack für Kinder heißt das Gụ̆tschi. Dasselbe Wort bedeutet eine Art Ruhbett ohne Rück- und Fußlehne. «Es het mi düecht (sagt der bäurische Besucher in der Stadt nach dem Mittagessen), wenn i iez numen öppe es Halbstüngeli chönnt der Chopf uf mịs Gutschi ablege, es Pfyfli dürezieh un es Nü̦ckli näh»36 (ein leichtes Schläfchen halten). Ein anderer Name, den der fleißige Landmann dem äußerst anspruchslosen Möbel gibt, ist das Fụụlbett oder der Fụlänz. Wie dieses, besteht aus einfachen Seegras-Polster auch das eigentliche Ruewbett; sogar oft das der Hinterstube, auf welchem häufiger «der Maudi» spinnt oder schläft, als daß auf ihm der müde Eigner den Ruewbettli-Waḷzer tanzt, d. h. humoristisch: der Ruhe pflegt. Vgl. d’s Ruewbett haa (halten), wie: der Ofe haa.

Ungefähr so selten wie noch zu des «Amtsrichters»37 Zeiten ein solches Ruhbett, sind heute im Bauernhause das Sopha, der Diwan, das Tête-à-tête; ganz so, wie an Platz eines Fauteuil höchstens der einfache Krankenstuhl zu erblicken ist. Auch der harthölzerne Sessel mit oder ohne Rohrgeflecht gehört bloß in die Hinterstube. Als höchst charakteristische Sitzgelegenheiten finden sich dagegen in der Wohnstube: der Bank, der Stuehḷ, die Stabälle.

310 Der Bank (schon ahd. «der» und «die» banech) heißt zunächst die — eben wegen ihrer Allgemeinheit nicht näher bezeichnete — unbeweglich befestigte Wandbank, die, den Winkel der Hausecke mitmachend, von Tür zu Türe reicht. Er bietet die Sitzplätze am großen Wohnstubentisch für das «Mannevolch»: oben am Tisch für den Hausherrn, der Fensterreihe nach für Söhne und Knechte. Zunächst der Küchentüre aber behauptet bisweilen noch der «weitbauchige Salzkübel»38 sein niemals bestrittenes Recht; auch der im Winter ebenfalls «vor Nässe zu schützende» Futtermehlsack bittet keineswegs um Entschuldigung, daß er da ist. Um so weniger, da für höhere Bedürfnisse noch Raum genug sich findet. Denn über dem Tisch unter der Zimmerdecke ist ein Eckbänkchen oder eine längere Bank — Bänkli, Bäwchli, Bäichli aufgeschlagen, worauf Erbauungsbücher und bisweilen die Brattig (Kalender), ältere Zeitungen und Zeitschriften zunächst zur Hand liegen oder stehen, während in der Ecke der Wandbank die alte Piscator-Bibel zugleich allerlei Andenken (Buech­zeiche, gedruckte Sprüche u. dgl.) zu bergen pflegt.

Mit der winterlichen Ofebank (oder aber Ofenecke) konkurrieren an Beliebtheit39 die sommerlichen Bänke um das Haus herum,40 die «schöne grüne Bank vor den Hause»,41 das Bänklein vor dem Futtergang42 oder dem Stall43 (verschieden vom Staaḷbänkli drinnen im Stall). Da wartet am Sonntag das Mannevolch auf sein Mittagessen,44 sitzt und sinnt sorgenbeladen der Hausvater45 oder verarbeitet eine still verhaltene Trauer;46 Sohn und Knecht «werweisen» über landwirt­schaftliche Fragen,47 indes «der Götti» sein Pfeifchen raucht,48 die Frau aber nach Feierabend den Mann erwartet und mit ihm «mängi schöni Stund erläbt».49

Speziellen Zwecken dienen «die Leubank oben am Stutz», wo der vagabundierende Kleine auf guten Schick wartet;50 das primitive Leubänkli da und dort am Wege zur Käserei; besonders aber, auf einsamen Gehöften, die sehr einfache Ruhebank auf geschickt ausgewähltem Schattenplatze zu sonntag­nachmittäglicher Ruhe oder Geselligkeit im Freien. In der Küche ersetzt öfters der Wäschbank den Schüttstein, der Chache͜l­bawch aber birgt das Tischgeschirr. Der Mịlchbawch im Keller verdrängt nunmehr überall die alte Schweibe, Miḷch­schweibe, welche, fix oder hängend unter der Kellerdecke angebracht, die ehedem viel reicheren Milchvorräte vor ungebetenen Gästen schützte.

Eine leichtbewegliche kleine Bank heißt Stuehḷ. So die vom alten 311 Schultisch getrennte Bank, manchem dadurch unvergeßlich, dass er het müeßen uf e Stuehl uehe staa.51 Angenehmere Erinnerungen birgt jederzeit der Vorstuehḷ am Eßtisch, der Fensterreihe gegenüber, auf welchem sitzend Hausfrau, Töchter und Mägde zugleich die Bedürfnisse des Tisches und die Vorgänge draußen überblicken.52

Die Form einer Bank haben ebenso der dem Holzarbeiter dienende Zü̦̆gstuehḷ,53 und — unseligen Angedenkens — der beim Schlagen mit der Rute (Schwinge nämlich der Rute) gebrauchte Schwing­stuehḷ. — Ein Stuhl in der Bedeutung «Einzelsitz» ist der leicht hin und her schiebbare Strau­stuehḷ:54 ein Gestell ohne Lehne, mit Strohgeflecht als Sitz.

Dagegen heißt der unten an den Eßtisch gestellte und auch sonst die Wohnstube ausstattende Einzelsitz, der ganz in Hartholz gearbeitet ist, die Stabä́ḷḷe. Das vorn etwas ausgeschweifte Sitzbrett, in welches die vier dünnen, vielkantigen Beine unter etwas stumpfem Winkel eingezäpft sind, bieten samt der etwas zurückliegenden Lehne einen Sitz, wie keiner der modern gebauten Sessel der Hinterstube. Zudem befriedigen die oben und zur Seite oft recht zierlich ausgeschnittenen Ränder der Rücklehne und der meist herzförmige, hie und da doppelte Einschnitt zum Anfassen das Schönheitsgefühl ganz anders als die fabrizierte Dutzendware. Da solche Möbelstücke nicht mehr verfertigt werden, mag in manch einem Bauernhause ein «wurmstichiges»55 Exemplar der Art anzutreffen sein. (Abb. S. 151.)

Zu den sehenswertesten Altertümern von noch heute unübertroffener praktischer Brauchbarkeit gehört der eichene56 oder birn- oder nußbaumene,57 meist einfach oder doppelt ausziehbare Familientisch, kurzweg der Tischsch oder altväterisch: Ti̦i̦sch genannt. Z’Tisch gaa: zur Kost gehen, Pensionär sein; Tischgäḷt: Kostgeld, Pflegegeld. — Die Mitte des nicht selten mit kostbaren und zierlichen Beschlägen geschmückten Tisches bildete früher vielfach (heute z. B. noch in Oberfürten) eine eingelassene Schiefertafel, «welche das Hausbuch oder den Kalender vorstellte».58 Hieraus erklärt sich die vornehme Bezeichnung «Tafel» (tabula). — Mit dem politischen «grünen Tisch» beziehw. «grünen Tischlaken»59 setzt Bitzius in launige Parallele die weißen Tischtücher, welche man über Privattische breiten dürfe, «weil man auf denselben weniger verzattert.» Letzterem baut man allerdings bei Kindern zweckmäßig vor mittelst des Äßmänteli, während das Mundtuch (die 312 Serviette) der Erwachsenen am Bauerntisch weder Verwendung noch Namen hat. Daß es aber im Linnenschrank der Bäuerin auch an derartigem Zeug nicht fehle, beweist sie bei Bewirtung eines geschätzten Gastes durch Hinbreiten (Darlĕge, als technischer Ausdruck der Ergänzung meist entbehrend) eines blendend weißen Zwä̆heli. Die Grundbedeutung von Zwähele60 und Zwäheli (Waschtuch, zu mhd. twahen twuog getwagen = waschen wusch, gewaschen) ist vergessen. Um so appetitlicher ist der mannigfache heutige Gebrauch61 dieses feinen flächsernen Linnen mit eingewobenen Bildern. — Den Alltagstisch deckt heute in mehr städtischer Weise das einförmige, aber für Reinhaltung sehr bequeme Wachstuch. Für das sonntägliche Mittagsmahl jedoch schimmert noch nach altem Brauch über den riesigen Tisch hin das etwas gröbere Tisch­lachche.62 Bei der frühern Gemächlichkeit des weniger intensiven und alle Kräfte aufs Feld rufenden Landbaus fehlte dieses Tuch auch auf dem Alltagstische nicht, und selbst eine Großmutter Käthi63 hätte sich ohne solches auch das ärmlichste Mittagsmahl nicht denken können.

 
1 Ger. Tw. (1789).   2 Lischeb. 7.   3 AB. 2, 28.   4 Ebd. 29.   5 Wass. 60.   6 UP. 5. 17.   7 BwM. 104.   8 MW. Ws. 81.   9 E. v. E.   10 Kuhn.   11 Wass. 47.   12 GG. 2, 47.   13 BSp. 155 und ö.   14 Ebd.   15 BSp. 99.   16 Vgl. Barthli 15; Arm. 186.   17 UK. 18.   18 BSp. 229.   19 Bifang.   20 SchM. 1, 197.   21 BSp. 227.   22 1, 163.   23 GG. 3, 51.   24 Kissen, alt: Küssen, franz. coussin, mlat. cussinum, gut lat. culcita, altind. kûrtschám, ist zunächst ein schlummer­rollenartiges Bündel.   25 SchM. 1, 298.   26 SchM. 2, 131.   27 Arm. 54 und ö; Ger. Tw. (1791).   28 UP. 266.   29 SchM. 1, 264.   30 Bifang.   31 RB. 90.   32 BSp. 8.; UK. 154.   33 AB. 1, 168.   34 BSp. 410.   35 Vgl. Pfr. Müller im Alp. 1903, 20. Juni.   36 So natürlich statt des entstellenden Schlückli: Gf. SF. 1899, 82.   37 73.   38 Gf. SF. 1902, 213.   39 An AB. 52, 110.   40 Ztgst. 1, 6.   41 Joggeli 23.   42 BSp. 47.   43 AB. 1, 180.   44 Ztgst. 1. 6.   45 BSp. 47.   46 AB. 2, 189.   47 AB. 1, 180; 2, 359.   48 Geltst. 347.   49 Müll. LK. 29.   50 BSp.   51 Burri V.   52 Elsi 48 und ö; Gladbach 1, 23.   53 SchM. 1, 53; SB. Kal. 1903, 36.   54 Käthi 377.   55 Berner 2 l.   56 Amtsr. 73; MW. 2J. 185.   57 Spinne 6.   58 SchM. 1, 371.   59 BSp. 314.   60 AB. 2, 311.   61 Z. B. UK. 140.   62 UK. 117.   63 79 Hs.  
 

Kisten und Kasten.

Was wäre aber der währschafteste und sauberste Bauerntisch ohne die beiden Tisch­trụcke (Tischkasten), von denen eine jeweils den angeschnittenen Brotlaib, die andere das Tischzeug birgt! So bekannt ist erstere als Versorgerin des bedürftigen Leibes, daß ja auch dem Staat eine «Tischdrucke»1 für wohlverdientes und anderes Brot zugeschrieben wird.

Das einfache Wort «Trucke» aber (hölzerner Kasten oder papierne Schachtel) wendet Gotthelf launig auf die verschiedenen «Fächer» der «Seelenvermögen» der alten Psychologie an;2 eins derselben ist die «Gespenster­drucke».3 Bei Wiedmer4 heißt «Drucke» ein invalides Uhrwerk, und das Geringschätzige oder Bemitleidende dieser Benennung klingt wieder in «aḷti Trucke» (alte Schachtel); «o du gueti alti Drucke!»5 (albernes Ding).

Dagegen gilt das Truckli als hermetische Absperrung gegen alle den Leib oder die Seele verunreinigende Berührung. Eine solche ist praktisch undenkbar und wäre für Kinder nicht wünschenswert: «mi cha se nid gäng i mene Truckli inne ha.»6 Wohl aber kann ein 313 Mädchen bei und trotz jeglicher Hantierung Herz und Hände sauber behalten und «choo wi us ẹme Truckli ụse.»7

Schŭ̦blăde und Schŭ̦blä̆dli8 sind Bestandteile von Möbeln wie des einfach gehaltenen ältern Schublade­stock oder der modernen Gú̦mode9 (Kommode), des kunstreich ausgefertigten Bụ̈̆roo (Bureau), «welches das Herz des Hauses, d. h. die Schatzkammer» ist,10 oder des Sekretär. Ähnlich gebaut und für die Hinterstube bestimmt sind die modernen Sekretär- und Büroo-Schäftli.

Von der Trucke führt das vermutlich zugrund liegende ahd. truccha hinüber zum Troog, und durch die Mittelform «Truge»11 zur «Truhe». Dem unhandlichen, schwerfälligen, daher mehr und mehr in den Speicher verwiesenen Möbel wurde im alten Bauernhaus oft eine geradezu liebevolle ornamentale Ausschmückung zu teil (S. 121). Kein Wunder auch: Hier bargen sich die geheimen Schätze wie an Tuch und Weißzeug, so auch an Geld und Wertschriften, an Andenken und Schmucksachen. Zu diesem Zwecke klappt sich dicht unter dem Deckel ein besonderes kleines Fach auf: das Un͜der­schlacht12 («Undergschlacht»13). Innen- und Außen-Abteilung aber wird gemeinsam verschlossen durch das solide Beschläge mit dem alten, klirrend einspringenden Chlĕpf­schloos, Chlĕpfer­schloos oder Schnäpper.14 Die verschiedenen Dienste dieses Möbels zeigen sich durch Speziali­sierungen an wie Schnitztrog,15 «3 Kleidertröge, 1 Mähltrog, 2 Kastentrög, 4 kleine dito.» 1776.16

Zierlicher, obwohl immer noch umfänglich genug schmückt die Dienstboten- und oft noch die Nebenstube das Trö̆gli, von alten Schreinern an der Vorderseite hübsch in Felder abgeteilt, daneben mit Blumen, sowie dem Namen des Eigners oder der Eignerin übermalt. Hier ist das Un͜der­schlacht sozusagen als Allerheiligstes, als Berger teurer Andenken und Kostbarkeiten, von ganz besonderer Bedeutung.

An Stelle des Trögli tritt nun mehr und mehr die moderne Gụ́fe̥re (der Koffer), die übrigens noch häufig den ältern Namen Chiste (Kiste) trägt und sich vom Handkoffer, dem Gü̦̆ferli,17 sehr unterscheidet.

Auch Chaste (Kasten) ist ein altmodisches Wort geworden, und im Satze: «Wir brauchten zum Laufen allen Atem, den wir im Kasten hatten»,18 müßten wir schon verdeutlichend «Brust­chaste» (thorax) einsetzen.

314 Vielmehr vereinigen sich «Kasten», «Schrank» und «Spind» in unserm «Schaft». Soweit hierunter jenes fast untransportable zweitörige Möbel verstanden ist, das unterhalb des Kranzes regelmäßig den Namen des eigentümerischen Ehepaars, die Jahrzahl der Verfertigung und einen Bibel- oder andern erbaulichen Spruch aufgemalt trägt, ist es in neuerer Bauart durchwegs durch den eingebauten Wandschrank ersetzt. Aber auch das handlichere eintörige Schäftli gehört mehr und mehr unter den ausgemusterten Bestand. Wie also das Möbel selbst, eḷtelet («ältelt») auch das darin lange Zeit aufbewahrte Zeug; es greewwelet oder grääjjelet (schimmelt), es müechtelet oder nüechtelet (riecht modrig); oder es schä̆ftelet, wie jene Pfarrfrau von einer Predigt sagte, die sie schon früher einmal vortragen gehört. Etwa wie dies ihr selbst bei leiblicher Speise begegnen konnte, die sie bis zum Vergessen lange im Chu̦chi­schaft oder -schäftli aufbewahrte. Chu̦chischaft heißt im Volkswitz auch ein hohler Raum unter einem Felsvorsprung in Trachselwald.

Den Ausdruck «einschränken» im Sinne teilweisen Freiheitsentzuges gibt noch schärfer unser ịịggänterle wieder. Das Ggänterli nämlich, welches den an die Decke reichenden dritten Teil der Zimmerhöhe einnimmt,19 birgt hinter einem bis drei Glastürchen alle einer permanenten Ausstellung fähigen Kostbarkeiten des Hauses: das bei besondern Anlässen hervorgeholte Tischgeschirr, in der Mitte etwa die Stockuhr, in einfachern Verhältnissen aber auch das sonst im Sekretär Geborgene. Denn «dieses Gänterli ist ein gar bedeutsamer Behälter, an manchem Orte fast was das Herz im Leibe; er ist die Schatzkammer des Hauses, birgt Kleinodien, Schriften und Barschaft.»20 Es enthält aber auch die Hausapotheke für Mensch und Vieh. Das Ggänterli kann seinen Platz in jedem Zimmer des Hauses haben, als Chu̦chi­ggänterli auch das im Tagesgebrauch stehende Geschirr enthalten. — «Wenn Bitzius zwei oder drei Male in einem Hause gewesen, so hatte er die ganze Hausordnung los bis ins Kuchigenterli.»21

Die schweizerische Grundform «Gänter»22 bedeutet (wie mlat. cantherius und wie frz. chantier) Sparrwerke verschiedenster Art, sonderlich zur Absperrung von Aufbewahrungs­räumen (vgl. «Schrank» neben «Schranke»). Ist nun chantier u. a. auch «Faßlager» und hat sich für «Gänterli» die Bedeutung «Spirituosen­behälter» durchs Mittelalter bis in unsere Tage23 hinein erhalten, so macht letzterem das Pu̦ffe̥rt24 (französisch buffet eigentlich = «Kredenztisch») auf allen Punkten Rang 315 und Würde, ja eigene Existenz und Namen streitig. «Aus dem glänzenden Schrank von Kirschbaumholz, Buffert genannt, wo hinter Glasfenstern des Hauses Zierden prangten, nahm die Frau zur Bewirtung der Taufgäste einen schönen Teller hervor»;25 bei ähnlicher Gelegenheit «die geblümten Kacheli»26 u. dgl. (Abb. hier).

Puffert.

Entweder also verliert das Gänterli als oberster Teil — Ụụfsatz — des Puffert seinen eigenen Namen; oder es existiert für sich allein gleich 316 dem bis zu Manneshöhe reichenden eigentlichen Puffert, dessen offen liegende Hauptbank nebst dem an die Rückwand sich zurückziehenden schmalen Bänklein zum bequemen Verbringen und Entnehmen beliebiger Gebrauchs­gegenstände27 dient. So in der Regel das Chuchi-Puffert. Den Unterbau bildet ein niedriger Schrank.

Sehr gefällig sind in neuern Gebäuden Wandschrank, Gänterli und Buffert zu éinem Einbaustück ineinander­gearbeitet. Ein eigener Name dafür fehlt.

 
1 SchM. 2, 262.   2 UP. 178.   3 BSp. 376.   4 126.   5 MW. Anna 195.   6 Burri XIII.   7 Käs. 324.   8 GG. 1. 9.   9 MW. Vs. 128.   10 Geltst. 156.   11 RB. 97.   12 AB. 2, 433.   13 Ger. Tw. (1793).   14 Vgl. UK. 158.   15 Wass. 83 und ö.   16 Bifang.   17 Spinne 8, 13.   18 Strafe 172.   19 Käthi 119 Hs.   20 Käthi 119.   21 Manuel 30.   22 Schwz. Id. 2, 381.   23 BSp. 174; Ztgst. 1, 132; Gf. SF. 1902, 276.   24 OB. 1904, 20 ff.; Ger. Tw. (1789).   25 Spinne 6.   26 BSp. 20; vgl. auch Segen 90; Sonnt. 93.   27 UK. 84; AB. 1, 180; Käs. 322; Gladbach 1, 23; Ger. Tw. (1789).  
 

Faß und Gefäß.

Faß und Fẹßli spielen im bäuerlichen Haushalt keine große Rolle. Nebst den Behältern für Obstwein und Produkte der Obstabfälle (Bätzi), Kirsch u. dgl. ist nichts Bemerkenswertes zu erwähnen. Denn von aufgestapelten Weinflaschen sagt der richtige Bauer: Das sị die rächte Cherze, wo de Puren ab de Höfe zünte! Nur für ganz besondere Anlässe wandern aus dem Gänterli das geblümte Glas und die wịịßi Fläsche1 mit aufgemalten oder eingeätzten Namenszügen und Sprüchen. Der Soldat im Feld und der Arbeiter im Wald kennen aus früherer Zeit etwa noch das flachgedrückte Busenfläschchen: das Plụtzgerli oder die Wäntele («Wanze»), letztere auch Schieberli genannt, weil sie sich leicht in die Tasche schieben läßt. (Abb. S. 156.)

Der verschließende Korkpfropfen (Bandoffe͜l­zapfe; Bandoffe͜l­holz = Kork) dient vielfach als Bild für Charakter­losigkeit und flatterhafte Leichtlebigkeit. «Niggi Ju2 war ein herrlicher Pantoffelzapfen, ein lustiger Bruder, immer hellauf.» Wohl von den Mienen oder Grimassen her, womit ein Weinkenner mißtrauisch am Zapfen «zringsetum schmöckt»,3 mag zäpfle, Einen uuszäpfle oder «uusgränne», höhnen und spotten,4 sich herschreiben.

Die offene weiße Flasche heißt auch der Ggŭ̦tter, die Medizinflasche: die Gguttere.5 (Vgl. die Aufschrift «Gutter-Trucken» in dem sehr einfachen Verschlußkasten des einstigen Rüederswiler-Arztes.) Das Ggü̦tterli (Fläschchen) dagegen dient zu allem denkbaren Gebrauch, so u. a. auch zum Luftdruckspiel mit dem Cartesianischen Taucher. «Eim der Tüüfel im Gütterli (im Öḷgü̦tterli) zeige»6 heißt: durch Drohung ihn einschüchtern, in anderer Wendung zeigt man einem «der Großrat im Gütterli».7 Wer aber in beständigen kleinlichen Gesundheits­sorgen 317 mit seinem Gütterli zum Wassergschauer läuft und es voll Medizin wieder heimbringt, ist ein Gütterler. (Desgleichen8 in spöttischer Erweiterung der «Gütterlidokter»,9 «Gütterlifürst»,10 «Gütterlimaa»11). Solch ein Ggütterler verggütterlet fast, d. h. zittert vor Furcht entsetzlich bei der geringsten — auch nur eingebildeten — Gefahr. Wie er, ver­gütterlet der Frierende «i sim dünne Gwändli»:12 eine reiche Ideen­assoziations­kette.

Ein hohes weites Glas ohne Füßchen, mit oder ohne Handhabe, heißt in der Schweiz ein «Meyel».13 Jener «Meiel uf em Bänkli obe... het d’Rundi g’macht zur Hochzit, Taufi, Grebt».14 Heute ist der Meie͜l fast nur noch bekannt als Handelsmaß für Saatzwiebeln.

Der aus dem Glas oder aus der Tasse getrunkene Kaffee leitet über zum Kapitel Chache͜l­gschi̦i̦r. Wir eröffnen es mit dem Bedauern über das Eingehen der Langnauer Töpferei im achtzehnten Jahrhundert aus Mangel an Ton. Ihre eigentümliche Malerei unter der durchsichtigen Glasur und über der gelbweißen, bei tiefhohlen Gefässen oft kaffeebraunen oder marmorierten Grundfarbe15 hätte ihr neben der (ebenfalls eingegangenen) Simmenthaler und der Heimberger Töpferei jederzeit ihre Bedeutung gesichert. Um so rarer und antiquarisch wertvoller sind die erhaltenen vereinzelten Stücke, von denen hier zwei Nịịdlenäpf erwähnt seien, wie sie anläßlich der sommerlichen Milchmessungen auf der Alp den Eignern mit Rahm gefüllt aufgetischt wurden. Ein in der untern Flüh aufbewahrter trägt den auf S. 77 hievor wiedergegebenen Spruch auf der Innenfläche. Herr Derendinger in Rüederswil besitzt einen andern Napf mit der Jahrzahl 1804 und der Umschrift: «Der Segen Gottes machat Reich und Bringt doch keine Müh mit Seich.» «Anna Hapheger» (Habegger). Vgl. S. 156 f.

Das Inventar von 1776 16 verzeichnet: «1 Korb voll weiß­herdiges Kachel- und Blattengeschirr.» Glasur heißt Glĕsụ̈ụ̈ri. «Der Längnauer Wein vergläsürt die Magen.»17

Die Konkurrenz von Namen wie «Hafen» und «Topf» reiht dem Ton- unmittelbar das Metallgeschirr an: als Zinn, Eisen, Kupfer, Erz. — Eine eigene Bezeichnung dieser Kategorie ist stu̦u̦rzig d. h. aus Zinnblech. Mhd. der sturz und die stürze18 bedeuten einen aus Zinnblech gefertigten Deckel, der rasch über ein Kochgeschirr «gestürzt» wird. «E stuurzige Techche͜l» ist also Tautologie, aber durch den Gegensatz zu «hölzig» usw. verdunkelt, und e stuurzigi Bränte erscheint nun 318 ohne weiteres als Stoffbezeichnung wie «ịsig» (eisern), «möschig» (messingen) usw. — Vom runden Pfannendeckel, den etwa Knaben (in Nachahmung des Wagenrades am Sonnenwendfest) bergab kollern lassen, schreibt sich das Bild her: er ist ’techchlet, dervo ’techlet d. h. er hat sich eilig auf und davon gemacht. Vom langgestreckten Brentendeckel aber stammt der Spott: er brännte­techlet, will sagen: beleckt sich gewohnheitsmäßig die Lippen, züngelt beständig.

Zum vornehmsten Metall am Hausgeräte zählt immer noch das Eer (Erz), und wie heute en eeriger Hafe, stehen im Inventar von 1776 voran: «2 ehrene Häfen.» Daneben 1807: «1 eherner Beinhafen». Vom fußlosen Kochtopf nämlich, der, um den Küchenboden nicht zu berußen, auf einen Strauring oder in einen Hafestuehḷ gestellt werden muß, unterscheidet sich der Beihafe, das «Bei­häffeli»19 mit drei ganz kurzen, früher jedoch20 bis 5 Zoll langen Füßen.

1776 wird auch «1 Mußhafen» aufgeführt. Nicht sowohl ein solcher Mueshăfe, als z. B. etwa der Härdöpfe͜l­hafe wird nach seiner besondern Verwendungsart benannt. Bildlich aber hieß es früher im Bauernhause: Der Fleisch­hafen ist e tụ̈ụ̈re Hafe.

Durch Ton als Stoff, durch einen Henkel (Anthäbi) statt der zwei Griffe, und durch Ausflußschnabel (der Zuegge, das Züeggli) unterscheidet sich vom Chooch- der Miḷchhăfe, das Miḷch­häfeli. Für Gebrechliche aber steht, zu allen Zeiten dienstbereit, im Ofeneggeli der mit allerlei Kräutertee gefüllte T’heehafe.

Mit einer Stimme wi n e verheiti Treichle — wi n es verheit’s Nacht­gschi̦i̦r — renommiert eine, si hätti den und den auch haben können. Die verspottet man: We’s e Huṇ’ghafe wär, si hätt ne langist ụụs­g’schläcket.

Das nächstliegende Gemeinsame an diesen gleichgeheißenen Dingen (Kochtopf und Flüssigkeits­behälter) ist die Tiefe des Bodens, der sich dem oberflächlichen Blick entzieht. «Der Fues im Hafe haa»,21 «z’un͜derist i Hafe ggugge»22 und die Erfahrung machen, daß «en iedere Hafe e Bode hett» sind von daher wohlbekannte Übertragungen.

Jebermann kennt Hebels «Habermues», das die Kinder gleich vom Feuer weg aus dem «rueßige Tü̦pfi» sich schmecken lassen. Früher eine beliebte neckische Hochzeitsgabe,23 gereichte das Tüpfi — ähnlich der ebenso gern geschenkten Wiege — nur zu oft Kindern wie Eltern zur Qual. Denn Eltern, die die Kleinen durch Aufpäppeln erst leiblich, dann seelisch verderben, werden später inne, «daß sie nichts anderes sind 319 als die Tüpfi, aus denen das Kind den Brei ißt.»24 Diese Stelle kann uns das Tüpfi auch als Bild willenloser Einfalt, gutmütiger Borniertheit,25 und von hier aus das «Glücks­tüpfi»26 erklären helfen: Mensch, dem ohne Einsatz von Intelligenz und Mühe alles gelingt.

Bei der Schüssel­gemeinschaft, an der noch heute auch im fort­schritt­Iichsten Bauernhaus als uralter Sitte festgehalten wird, spielte bis vor kurzem das Täḷḷer bloß die Rolle des Fleischtellers.27 Es entspricht dies ja auch der Herkunft des Worts27a aus französisch tailler = (das Fleisch) «schneiden». Und zwar kannte man ursprünglich bloß den hölzernen Teller:28 eine flache Holzscheibe ohne Rand, daher auch als Bild für flaches Gelände29 dienlich. Daneben kamen im Gebrauch allmählich auf und machen auf dem Puffert der Bauernstube Parade: die aus Zinn gestanzten zĭ̦nige und die aus Zinnblech ausgewalzten stu̦u̦rzige Täḷḷer mit ganz wenig erhöhten Rand, zum individuellen Gebrauch.

Ganz ähnlich kennt das alte Bauernhaus die Suppe­sch̦üßle oder einfach Schü̦ßle mit zudienendem Deckel, und zwar hie und da noch als besonders kunstfertiges Langnauer-Geschirr. Ebenso das kleinere Schüsseli zum Warmstellen von Speisen. (Ganz verschieden vom Schu̦sse͜l oder Schụ̈sse͜l zum Einschießen von Brot und Kuchen; siehe «Brot».) Dann, besonders für Breispeisen, die große irdene, runde, oft kunstreich bemalte und am Rand ausgezackte Blatte. «8 Stück Blatten.» 1776. Das dem einzelnen Tischgenossen zugeteilte Blättli dagegen ersetzt mit seinem Namen einerseits den irdenen (Suppen-) Teller, andererseits die Untertasse; und zwar die letztere so, daß das im allzeit geschäftigen Bauernhaus gewohnte rasche Speise-Tempo es nicht im Dienste müßiger Dekoration beläßt. Entweder wird es gar nicht aufgetischt, oder dann wirklich gebraucht. Behufs rascher Abkühlung, nötigenfalls durch Kaltblasen gefördert, reichen auch Kranken­pflegerinnen wie nicht nur ein Annebäbi,30 sondern gleicherweise eine geborne Geistes­aristokratin Annemareili31 sie «süße Labung» in der Untertasse dar, was «das Trauliche dieses Hausfrauenamts noch erhöht.»32

Die irdene Obertasse — gleichviel ob mit, ob ohne Henkel (Anthä̆bi, im Aargau: das «Hebi») — heißt Chăchcheli. Bei der heutigen Allgemeinheit des weißen Geschirrs heißen Chacheli ohne weiteres auch die Isolatoren elektrischer Leitungsdrähte. Vgl. «Chacheler» = Porzellankugel.33 Bei uns ist Chacheler 1. der wandernde Geschirrhändler, 320 2. sein oft minderwertiges, aus erstklassigem Bestand ausgemustertes Pferd. Bilderreden: ’s Plääreli (oder ’s Brieggeli34) u ’s Lächeli sị in éim Chächeli, d. h. Weinen und Lachen können einander erstaunlich schnell ablösen; ja sie finden nebeneinander Platz auf dem so unsagbar anmutenden Gesicht eines Kindes oder Weibes, das «unter Tränen lächelt». — Die Weisheit35 «mit Löffeln essen»: mit Ggaffe­chacheline treiche.36

Für Kinder bei Tisch und etwa zur Mahlzeit auf dem Felde dient das gehenkelte zinnblecherne Beckeli. Größer, so daß der Deminutivsinn des Worts verloren gegangen, ist das Becki, z. B. das Pfäffer­becki: Blechgefäß mit durchlöchertem Boden zum Waschen von Pfefferkraut oder von Gemüsen, die man ehemals stark zu würzen beliebte.

Der hölzerne oder irdene Napf, von welchem bereits die Rede war,37 ist heute ersetzt einerseits durch die große irdene Miḷch-, Suppe-, Brot-Chachle38 (worein das Suppenbrot geschnitten wird), anderseits durch das etwa ein Liter fassende Chŭ̦chcheli und das im Umfang sich der Tasse nähernde Chu̦chche͜l­chachcheli. (Treffliche Velarübung!)

Wo’s Chacheli git, git’s Schi̦rbi. (Das Schirbi = die Scherbe.) Ein unscheinbares, gebrechliches Mädchen ist nume so n es Schirbi. Vielleicht war es einst hübsch und stattlich; allein mi g’sääch dem Schirbi nümmen aa, was d’s Chacheli gsi ist.39

Die Vergänglichkeit alles Irdenen hat auch den Ausdruck ver­chachele für ungeschicktes, tölpisches Verderben einer Angelegenheit, eines Unternehmens herbeigeführt. Das Heimwesen ist durch deine Heirat «ver­chachelet, verspielt, verliederliget.»40

Kostbareres Kachelgeschirr findet übrigens über das Gebirge hin noch heute seinen «Tokter» im wandernden Becki­hefter41 oder Beckiböhri. Die zwei Kreuzer, welche ehemals für einen Haft aus Eisendraht gefordert wurden,42 langen indes heute zu einem ordinären kleinen Tongerät.

E hohli Mueter, e chrummen Att, drụ̈ụ̈ Chin͜d un e Spritzgrin͜d — was ist das? Antwort: die altbäuerliche, bloß noch für festliche Anlässe43 aus dem Gänterli hervorgeholte dreibeinige Ggaffe­channe (S. 321). Gleichsam den Rumpf derselben (oder den Mantel eines nach oben abgestumpften Kegels) bildet blitzblankes Zinnblech. Der als Kaffeesack dienende Bụụch und der zum Öffnen mit einer Spitze versehene Deckel sind von 321 Messing (was den Gebrauch mehr poetisch als gesundheits­förderlich erscheinen läßt). Das Ausgießen der braunen Flüssigkeit geschieht mittelst des von unten sich allmälig heraushebenden Schnabels — ebenfalls Zuegge geheißen. (Von der Form der Flurname Channebóde.) Das heute noch zürcherische Channte findet sich auch im Inventar von 1776: «3 mäßige zinnerne Kannten, 2 halbmäßige dito.» Vornehmelnd sagt man etwa für Ggaffĕ­channe: die Gáffe̥tiere̥, wogegen andere mittelst Verdrehungen zu Ggaffee­tier und Ggaffe­stier in patriotisch-puristischem Eifer Einspruch erheben.

Messingene Kaffekanne (ältere Form).

Ein aus braun glasiertem Ton bestehendes bauchiges Kaffee- oder Teegeschirr mit separatem Deckel heißt Chrüegli;44 dazu mit eigenem Ausflußröhrchen: das Chrụụsi oder auch Chrụ̈ụ̈si. Aus Steingut gefertigt erscheint 1776 «ein Steinkrauslein».45 Bezeichnend für unser Kaffee- und Tea totaler-Zeitalter ist der Gegensatz zum Gebrauch bei den «alten Deutschen»: «Den allerbesten wyn, den trinkend wir vß Krusen.»46

In noch ältere Zeit, wo der um den Herd versammelte Familienkreis gemeinsam aus dem Kochgeschirr das Essen herauslangte, versetzt uns der Hauptbestand unserer hier einschlägigen einheimischen und entlehnten Wörter: «Hafen» zu heben, in sich fassen, also wesentlich so viel wie Gefäß. «Pfanne» erinnert an lateinisch patina, und auch «Blatte» ist das platte, weit offene, «Topf» dagegen das «tiefe» Geschirr. «Kachel» kam uns (mit Endungstausch) aus mittel­lateinisch cacabus (Kochtopf),47 während «Becken», ahd. becchi neben französisch bassin (das Păssäng = die Waschschüssel) zu mittel­lateinisch baccinum und lateinisch bacca (Wassergefäß) gehört.

 
1 Käthi 119; Beitr. 646; Spinne 20.   2 199.   3 MW. Vs. 129.   4 Käs. 325.   5 SchM. 2, 322, Hs.   6 Ztgst. 2, 213; LZ. 1904, 136.   7 Ztgst. 1, 118.   8 AB. 2, 95 und ö.   9 AB. 2, 188.   10 AB. 2, 270.   11 AB. 1, 217.   12 E. v. E.   13 AR. 1814, 315.   14 Ott, 1, 186.   15 Volksw. 1, 213.   16 Bifang.   17 Dorbach 5.   18 Auch RB. 119.   19 Ger. Tw. (1790).   20 Ebd.   21 AB. 1, 118.   22 Ztgst. 2, 74.   23 Bsbinder 300.   24 SchM. 2, 424.   25 Käs. 303.   26 MW. Anna 178, 199; Michel 301 und ö.   27 Gf. SF. 1902, 276.   27a Vgl. altfz. tailloir, Vorlegeteller.   28 Michel 269.   29 UK. 118.   30 1, 36.   31 GG. 2, 35.   32 Ebd.   33 BME. 52.   34 KL. 03, 23.   35 BME. 52.   36 GG. 1, 73.   37 Vgl. noch Michel 268.   38 AB. 2, 233.   39 LZ. 1904, 134.   40 Müll. LK. 72.   41 Joggeli 37.   42 Dursli 249.   43 Spinne 7.   44 Vgl. UP. 264.   45 Bifang.   46 R. Man.   47 Vgl. Du Cange 2, 11b.  
 

Das Lastgeschirr.

Zunächst das wasserdichte hölzerne. Der Chü̦be͜l, ein einhändiges tiefes Gefäß, deutet seine relative Größe an durch Vergleiche wie 322 Chübel für 1. Tabakspfeife mit mächtigem Kopf;1 2. Trommel (vgl. «Einen verchüble», gleichsam auf die Trommel bringen, «ausführen», «auslachen»2); der Chübeli­trummer = Trommler; Chübeli rumpumpum (Nachahmung eines Trommelmarsches); 3. alte mächtige Kopfbedeckung des Soldaten. — Von einer bekannten Verwendung3 schreiben sich Drohungen her wie: Er wolle der Chü̦be͜l uuslääre, «daß es stinke im ganzen Lande»,4 nämlich durch vernichtende Enthüllungen;5 durch Verderben einer im Gang befindlichen Angelegenheit;6 oder durch schroffen Abbruch eines Verhältnisses7 (vgl. «dem Faß den Boden ausschlagen»). Vom nämlichen Gebrauch wird stammen: Einen ubers̆ Chübeli lü̦pfe oder bü̦ü̦re: boshaftes Spiel mit ihm treiben, ihn beluchsen.

«Eintragig», alt «ein-bar» ist auch der Eimer, «zweitragig» dagegen, «zwi-bar», der Zuber, Zü̦̆ber.8 Das Tassenzüberli9 zum Aufwaschen in der Küche.

Sehr umfangreich ist die Bụ̈tti, worunter meist speziell die «Wösch­bütti» oder Bụụchbütti10 verstanden ist. Die kleinere Säubütti, worin die abgestochenen Schweine gebrüht werden,11 dient — wie auch das Bütteli — noch sonst zu allerlei Gebrauch.

Diese «Bütte» ist lateinisch butina, und dies ist wohl verwandt mit «Bottich». Letzteres aber wird zusammen­gestoßen und zugleich verkleinert zu Bocki. Die verdunkelte Verkleinerung wird aufgefrischt durch Bockli und die daraus konstruierte Vergrößerung: die Bocke. Anlehnung an «Bütti» erzeugt daneben: das Bü̦cki. Auf die mannigfachste Anwendung12 deuten auch Bildungen wie: das Sụ̆rbocki oder die Sụ̆rbocke, die «Sauerkabis­stande»13 oder das -standli,14 mit Stämpfe͜l zum Wasserablaß.15 Das Stoosbocki zum Stoßen von Jauche in den Garten etc.16 Das Trag- oder Mist- oder Bschütti-Bocki mit Ösen zum Durch- oder Unterschieben zweier Tragstangen.17

Meist noch hölzern sind auch die Wäschgepse, die (Milch-) Gepse. «We scho die Nịịdle sụụri ist: he nu, was ist dra gläge? Mir säge, d’Gepse sigi d’Schuld; ihr liebe Lüt, heit doch Giduld, mir möge nit gäng säge!»18

Auch die Mäḷchtere ist eigentlich ein Milchgefäß in des Melkers Hand, so daß z. B. in «1 Milch­melchtern» (1776) und in dem bekannten 323 Miḷch­mälchterli ein Pleonasmus steckt. Auf weit allgemeinern Gebrauch deuten aber schon 1776: «2 Wasser­melchteren»; ebenso die Säu­mäḷchtere. Auf die Größe dieser eintragigen Gefäße deuten Hyperbeln wie: Es rägnet (oder schüttet) wi mit Mäḷchtere;19 er treicht Th’ee ganzi Mäḷchtere voḷḷ.20

Bloß in des Kühers bezw. Milchträgers Hand oder «Faust» sind dagegen verblieben: das Tụ̆teli21 und der Hand­fụụster22 oder das Fụụsterli.23 In letzterm verträgt er die Milch ins Kundenhaus, in jenem ganz kleinen bewahrt er den Rahm auf, womit er das freundliche Lächeln einer Kundin lohnt oder zu gewinnen sich befleißt. Auch die Geḷte, eine kleinere Melchter mit Ausfluß-Erweiterung am Rand, figuriert zunächst speziell als Nịịdle-Geḷte z. B. zum Eingießen des Rahms ins Butterfaß. Mit einer Gelte voll Wein jedoch nebst zwanzig Batzen konnte z. B. während des Bestehens der Schmiedezunft Emmenthal ein Meister einen Sohn einkaufen.24

«2 Milch­brenten». 1776. Nach diesem umfangreichen und vom Gebrauch angebräunten hölzernen Rückentraggefäß älterer Anfertigung heißen Bränte auch handfeste und zugleich von strammer Feldarbeit sonnengebräunte Töchter.25 Eh wi ist doch das e Bränte! Eh, heit de̥r di schwarzi Bränte gseh! — Heute sind, wenigstens für den Milchtransport, bloß noch die (weit leichter rein zu haltenden) zinnernen Brenten im Gebrauch.

Nur aus Zinnblech besteht: das Pintli (Blääch­pintli) mit Henkel und Schnabel. Der kleine Ölbehälter: das Öḷpintli. Das eigens geformte Miḷch­pintli (le toulon). Die größere Pinte für Spirituosen. Aus solcher, statt aus dem mächtigen «Landfaß» des großen Gasthauses, wurden ehemals Gäste bewirtet in dem kleinen «Pintenschenk»26 (vgl. das «Pinten­schenkhaus zu Oberwald»).27 Aus dem einen Worte spalteten sich ab «die Schenke» («das Schenkhaus») und die Pinte. Vgl. «der Krug».

Den Chesse͜l, das Chesseli (Verkleinerung), das Chessi (die verdunkelte Verkleinerungs­form rückbildend als Vergrößerung gebraucht) charakterisiert vornehmlich der eiserne Halbring zum Anfassen: der Reiff oder die Jele (gespr.: ïële). An seinem Liegen oder Stehen veranschaulicht man sich gerne (obwohl nicht ganz zutreffend) die Gleichheit der Anstrengung, die das Übersteigen oder das Umgehen einer Anhöhe erfordert. — Seinen Gebrauch verschmähend, zieht namentlich die Oberaargauerin es vor, selbst ein sehr großes und zum Überfließen volles Gefäß graziös 324 auf dem Kopfe zu tragen. Eine andere, bloß der Zierde dienende Auszeichnung des Kessels ist der Reiß: ein um Daumenlänge vom obern Rand abstehender Ring, in fortlaufender Rinne oder in erbsengroßen Tupfen von innen ausgetrieben. Er zeigt allenfals auch die Grenzlinie der Füllung ohne Ausgußgefahr an.

Da dieses Lastgefäß vor allen andern sich durch Solidität auszeichnen muß, sind namentlich die kupfernen Wasserkessel in Übung. Von 1791 datiert «ein kupferner Melchkessel»,28 von 1792 «ein kupfernes Kessen».29 Kupfern ist auch das Chäs-Chessi, aus Schmiedeisen dagegen das Bụụch­chessi der Waschküche. Daher begreift sich, daß das Hantieren mit solchen Geräten nicht ohne Lärm abgeht. Drum heißt ein Mark und Bein durchdringendes Geklirr: cheßle. So cheßlet der Lärm der Marktbuden, cheßlet gleichsam der heftige Streit mit jemand. «Mit (dem Buchhändler) Rätzer habe ich gekesselt.»30

Die Kategorie der (zumeist aus Weiden und Haseln) geflochtenen Geschirre eröffnet der Chrătte. Zunächst als kleiner rechteckiger Korb mit einem Henkel an der Langseite und Bretterboden. «Jetzt ging dem Kratten der Boden aus»:31 jetzt war’s gefehlt. Die aus zollbreiten dünnen Holzschienen bestehenden Rippen des Wandgeflechts rufen der spottenden Vergleichung mit einem magern Pferd. — Ein prosaischeres und zugleich unentbehrlicheres Lastgerät läßt sich nimmer denken. Wie könnte der Bauer es machen ohne den Stein­chratte,32 in welchem er nicht bloß Steine von der Wiese und Unkraut vom Acker schafft, sondern auch sonst alles Mögliche hin- und herschleppt! Wie die Hausfrau ohne den Ghü̦̆der­chratte (Kehrichtkorb)!33 Und doch hat gerade dieser zu allererst den Ausdruck «der Chratte trääge» zum Bild der verschätztesten Arbeit, des Aschenbrödel-Dienstes gemacht. Zum Chratte­trääge ist der Einfältigste im Hause gut genug; er chaa’s, wenn er scho chlịị e Tü̦̆se͜l ist. Drum auch die Rede zu einem zweitmals Verheirateten: «Du wärest auch besser zwääg, wenn du nicht einen neuen Kratten zu tragen hättest.»34 — Der aus einem gebogenen Ast bestehende Henkel, welcher sich über der einen Langseite (selten wie z. B. im Entlebuch über die Mitte hin) wölbt, gibt auch schon von selbst dem Gang des Tragenden etwas Hinkendes oder Schleppendes. Dazu kommt, daß das so unentbehrliche Gerät vielfach bis zur Invalidität ausgenutzt wird. Daher das Bild vom alte Chratte: «I bi es schöns Meitschi gsi, un iez bin i en alte Chratte.»35 «Ich tat, was mir möglich war; aber jetzt bin ich (neben dir, dem reichgewordenen Ehemann) nichts mehr, 325 ein alter Kratten.»36 — Der Zịberli­chratte heißt die zynische Lise auf dem Zịbeli­hoger.

Unerschöpflich üben sich drum auch Phantasie, Witz und Spaß im Anfüllen eben dieses so prosaischen Geräts. «Meitscheni würden sich ihm anhängen ganze Steinkrätten voll.»37 Si lügt ganzi Stei­chrätte voḷḷ. «Ganze Krätten voll Klagen.»38 «Nach der Tat hat jedes Babi Steinkrätten voll guter Räte.»39 In jedem Maulecken Sami’s saß ein ganzer Kratten voll Spott,40 und Sophie trumpfte den Vikar ab «mit einem Gesicht, in welchem ein ganzer Kratten voll Lachen sprühte.»41 «Empfangen Sie Grüße, Empfehlungen, Versicherungen für Sie und die werten Ihrigen ganze Steinkrätten voll!»42 — Das «Gedächtnis­krättlein»43 — Personifiziert: Plauder­chratte,44 «Plaudertasche».

Umgekehrt: der Chratte lääre45 = seinen Zorn auslassen.

Ein Kratten zweiter Art ist kleiner, der Boden mit ins Geflecht einbezogen, die Wand rund und bauchig,46 der Rand mit ein oder zwei Schlaufen versehen und so zum Festbinden um den Leib mittels Gurt oder Schnur eingerichtet. So der Chirs̆i­chratte («11 Kirschekrätten», 1776), in kleinerem Umfang zum Beerenpflücken gebraucht.47 Die sorgfältige Behandlung der darin geborgenen Früchte erzeugte die von den vorigen scharf abstechenden Bilder: Einem oder bei einem im Chrättli sịị,48 sich seiner schonenden, sorgfältigen Behandlung, seiner Gunst erfreuen. Aktiv: eim chrättele d. h. schmeicheln, «zutätig sein».49 Daher der politische Streber und Liebediener ein Chrätteler.50

Ebenfalls eintragig ist das Chörbli, in welchem Kinder die Geschenke des Osterhasen,51 Eltern die der Hebamme in Empfang nehmen; das «Äxgüsi-Chörbeli» (oder -Chrättli), womit Mädchen oder Frauen einem Ausflug, dem Gang zum Bad oder dergleichen das Ansehen eines geschäftlichen Ausgangs verleihen. Für ernstere Gänge nehmen sie aber den Chratte­chorb52 oder den Bŏgechorb53 mit.

Den Henkel ersetzen am zweitragigen, großen Korb zwei Handgriffe. Der aus geschälten Weiden geflochtene heißt wịịße, der aus rohen hergestellte: raue (roher) oder schlechthin Wịdli-Chorb. Doch ist nach Ott54 auch der geschälte «Wịdli-Chorb» «üsi Welt», so lange wir Säuglinge sind.

Die Fertigkeit sowohl, mit der ein Chorber Barthli «den Bauern 326 ihre Wịdli verkorbete»55 (verchorbet het), als die wirkliche Kunst, die es für Ausfertigung schöner Produkte braucht, hat den Sinn von chorbe zu dem von öppis zwä̆g chorbe56 erweitert: ein Heiratsprojekt «korben»;57 «an einer Antwort korben».58

Der tiefe und schmale Rückenkorb mit Bretterboden: die Hŭ̦tte; bauchig und nach oben verjüngt: Spitzhutte. Von Hausierern und Hausiererinnen gebraucht59 und gelegentlich auf die damit geplagte Trägerin selbst angewendet: armi Hutte! Bildlich wie «Chratte»: unanstellige Knechte, «ganze Hutten voll»;60 «eine Hutte voll Gutes»,61 «voll Verbesserungen»,62 «voll Respekt»63 — «voll Kläpfe».64 Er seit Lugine ganz Spitzhutte voḷḷ.

Der Käfig, die Chrääze. Zunächst ebenfalls als Rückenkorb getragen, daher Chrääzi­bu̦u̦rdi mache: ein Kind Huckepack tragen; allgemeiner chrääze = (kleine Kinder) tragen, besorgen, sich mit Kindern zu schaffen machen. «Aber wie geht es, mein lieber Großpapa, mit Wiegeln, Gaumen und Kräzen?»65Zuehe­chrääze: «Ich kräzte Mädeli zu, was ich konnte.»66 Geschwätze umenan͜dere chrääze.67 Öppis verchrääze:68 verlegen, «verniste».

Die Chrääze als angenehm gestalteter Aufenthalt, als Heim für Stubenvögel: Voge͜l­chrääze.69 «Söttig Vögel, wie ich, seien rar, und die fänden immer ein Krääzli»70 (Chrääzli, hier soviel wie Anstellung, Lebensstellung).

Hauptsächlich aber als qualvolles Gefängnis. «Ja dieser Taubenmarkt! In schmutzigen Kräzen (Hüehner-, Tuube­chrääze) stehen zusammen­gepfercht die armen Tauben und Hühner.»71 Baufälliges Häuschen: Das Hüsli ist o afen en alti Chrääze! e böösi Chrääze! Daher als Gefängnis, die Chĕfi, (zürcherisch «das Chefi» = der Käfig, beides aus lat. cávea) für Menschen. «I bi dert i der Chrääze gsi.» Dann die Erziehungs­anstalt mit ihrem Konviktzwang.72 Als strenge Berufs-Lehrzeit: «Juheh, us em Chräzli!»73 Im Volkswitz der vergitterte Ehe­verkündigungs­kasten auf dem Standesamt (auch «das Truckli» genannt). Die, wo drinn sịị, haḷsen use, u die, wo dusse sịị, halsen ihe.

Zum Tragen von Geschirren: «Ein Krätzen mit Gläser 1 Creutzer.» 1673.74 — Die Täḷḷer­chrääze zum Trocknen des aufgewaschenen Geschirrs75 über den kleinen Querstangen (Stangeli).76

327 Bŏge, Graasboge heißt ein Rückentraggerät besonders für Viehfutter im kleinen Betrieb. Es ist dies ein Geflecht aus zusammen­geknoteten (filo­schierte) dünnen Hanfseilen, gehalten durch zwei zum Beladen ausbreitbare, zum Verschließen zusammenklappbare halbrunde Eichenstämmchen. Chrumm wi n es Bogeschị̆t sind z. B. Kinderbeine.

Im unfahrbaren Gebirg werden Bogen und Wagen ersetzt durch das Netz, Äschetuech oder Heutuech, letzteres in den Alpentälern zugleich als Heumaß (50-60 kg) dienend. Diese Gewebe tragen Verschlußhölzer, Trüegle, an den Ecken, woran die Bindseile befestigt sind.

Rääf (Reff).

a) Deckel, b) Rücken, c) Gabel, d) Tragband, e) Tragringli, f) Leistenende, g) Rääfstäcke, h) Zwinge, i) Griffzge oder Stäffzge, k) Tragringli­schnuer.

Es bietet dies ein sprechendes Charakterbild mühevollen Älplerlebens (noch jetzt in Trachselwald und Sumiswald, wie ehedem auch in Teilen von Lützelflüh). Ebenso das damit in Verbindung stehende Rääf. Das Heu wird in sehr gebirgigen Gegenden selbst auf beträchtlichen Gütern mittelst dieses Geräts eingetragen. Drum redet man dem Truber nach, bei seiner Frauenwahl laute die entscheidende Frage: Cha si rääfe? — Ein Rääfer ist aber auch der Senn, der auf schwerem Rääf die köstlichen Erzeugnisse seiner Wirtschaft herunter auf den Markt trägt;77 der Wirt, der auf dem Reff78 das Weinfäßlein in das abgelegene Gasthäuschen spediert.79

Der letztere hatte aber noch in anderem Sinne «das Reff zu tragen». Es könnte auch auf ihn die Nachrede gemünzt sein: «Er isch ume so n e Gali u mueß mache, was sis Rääf (das Eheweib) will.»80 Vgl.: «Du hast ein böses Rääf von Mutter.»81 Diese Bedeutung «Hausdrache», «Megäre», «Xanthippe» beruht auf dem Vergleich der hagern, gleichsam nur aus Haut und Knochen bestehenden Leibesgestalt (die man ja auch der Hexe beilegt) mit den das Rääf zusammen­setzenden langer und dünngesägten Hölzern (aus denen auch, die Rafen bestehen).82 Von daher: Einen abrääfe: ihn hart anfahren, schroff abfertigen. Soviel 328 wie ’s Rääf absteḷḷe oder «mit eim z’Bode steḷḷe», einem unwirsch «den Standpunkt klar machen». Hier liegt eine leicht begreifliche buchstäbliche Bedeutung zugrunde: Das Abstellen einer so schweren Last kann unmöglich ohne starkes Geräusch vor sich gehen.

Das vorgenannte Aschentuch zum Bergen einer Last führt auch über zum Sack: dem Maltersack, dem Mähḷ-, Spreuer- u. dgl. Sack. Er ist wi mit dem Sack g’schlage (getroffen):83 ratlos, unbeholfen, wie ein mit vollem und plumpem Sack Beladener, der durch einen Stoß zu Fall gekommen. Ein kleiner Sack, wie auch die Kleidertasche, heißt besonders seeländisch «der Pieter»,84 dagegen emmenthalisch: das Aaser­seckli, abgekürzt: der Aaser, Oser, das Ööserli,85 zunächst um Lebensmittel (ääsigi Rustig86) zu bergen. Gewöhnlicher jedoch sagt man einfach: das Seckli,87 besonders wenn es sich mittelst einer Schleifenschnur oben zusammenziehen läßt. — Seine Umdeutung aus Watsack88 und ‑säcklein (mhd. wât = Gewand) verrät der Wartsack89 oder das Wartseckli90 noch als Verwahrer mitgebrachter Kleidungsstücke, wie des Trauungsanzuges für Mädeli,91 der armen Habseligkeiten für Meyeli.92 Eine andere Umformung des mhd. wâtsac (wenn nicht eine Herleitung aus ital. viaggiaro93) lautet Wätschger.

 
1 Michel 130, 136.   2 BME. 54.   3 Vgl. SchM. 2, 200.   4 Segen 84.   5 Ebd.   6 Michel 207 und ö.   7 UK. 225.   8 SchM. 1, 244.   9 MW. 2J, 152.   10 AB. 1, 206; Dursli 304.   11 Gf. SF. 1902, 230.   12 SchM. 1, 264.   13 SchM. 2, 102 Hs.   14 MW. 27, 260.   15 BwM. 101.   16 AB. 2, 96.   17 Vgl. die drollige Szene Wass. 76.   18 Das bekannte Küherlied: Un uf der Wält si kener Lüt.   19 Michel 192.   20 AB. 1, 272.   21 Nschwander Alp. 71, 75.   22 Ebd.   23 Käs. 111.   24 Rahnfl. 27.   25 Michel 252 f.   26 Ger. Tw. (1793).   27 Ebd. (1789).   28 Ger. Tw.   29 Ebd.   30 An JR. 92.   31 Ztgst. 2, 185.   32 MW. Anna 253.   33 MW. BK. 57.   34 Ztgst. 2, 63.   35 Geltst. 227.   36 Bsbinder 370.   37 BwM. 182.   38 Besuch 152.   39 GG. 3, 108.   40 AB. 1, 112.   41 AB. 2, 446.   42 An JR. 93.   43 Ztgst. 2, 126.   44 Burri I.   45 Ztgst. 2, 188.   46 Vgl. AB. 1, 74.   47 EbM. 260, 261.   48 SchM. 2, 227.   49 Dorbach 22.   50 Ott 2, 67.   51 Wyss j. AR. 1826, 103.   52 Alp. 1871, 150.   53 UK. 140.   54 Im «Dorfglüt».   55 Barthli 62.   56 GG. 3, 23.   57 Besuch 147.   58 Amtsr. 117.   59 Gf. SF. 1901, 86; Christen 153.   60 UK. 52 f.   61 JG. bei Manuel 31.   62 SchM. 1, 388.   63 AB. 1, 280.   64 AB. 1, 19.   65 An AB. 67.   66 SchM. 2, 128.   67 MW. 2J. 284.   68 AB. 123.   69 Kurt 119.   70 SchM. 1, 141.   71 N’schwander 154.   72 MW. Ws. 72.   73 MW. Anna 149 (Überschrift).   74 Zolltaffel.   75 MW. 2J. 201.   76 Geltst. 304.   77 Tell 77.   78 Grimm WB. 8, 489 ff.   79 Michel 266.   80 SchM. 2, 234.   81 Ebd. 271.   82 Reff und Rafen: s. Grimm WB. aaO.   83 N’schwander 18.   84 MW. 2J. 158.   85 Gf. SF. 1899, 81, 82.   86 Schon im 16. Jahrhundert auch Schulsachen.   87 SchM. 1, 111.   88 Kuhn 1; Ger. Tw. (1788).   89 Ger. Tw. (1793); Gf. SF. 1902, 213.   90 Müll. Hk. 6. 30; SchM. 1, 22; Spinne 8.   91 SchM. 2, 96.   92 AB. 1, 475.   93 Wackernagel.  
 

Das Schöpfgeschirr

ist gleichzeitig eine technische Vervollständigung der hohlen Hand (wie diese für sich das Gefäß darstellt), und eine Verlängerung des ausgestreckten Arms. Sehr gut kann uns dies die Hausfrau z. B. am langstieligen Strụ̈ụ̈bli­trichter vordemonstrieren, womit sie für dieses spiralige Gebäck den dünnen Teig in die siedende Butter kunstverständig eingießt. Für sonstiges Umgießen, z. B. in ein engeres Gefäß, kann freilich der Trachter (Trichter) den Stiel durch eine einfache Handhabe ersetzen. Ebenso beim Milchtrichter, die Voḷḷe genannt. (1776: «1 sturzene Milchfolke»). Dem Zweck eines gründlichen Durchseihens genügt immer noch am besten die alte Einlage eines Voḷḷe­schü̦be͜l aus Equisetum (Schaftele), Clematis vitalba (Waldrebe, Jele), oder Lycopodium (Hasesprüng). Bekannt ist Die Witzfrage: Was ist’s Dümmsten i der Wäḷt? Antwort: E Voḷḷe; si laat ’s Guete gaa u b’haḷtet der Dräck.

Aufgemalte Füllungen
an einem Schrank.

Glaskrug mit Ornamenten in Emailfarbe.
Langnauer Majolika-Krug.

Sprüche auf Trinkgläsern und Flaschen.

329 Ein alle Augenblicke zum Wasserschöpfen gebrauchtes, daher gleich dem Plauder­täschchen, Plappermäulchen (Schnä̆der­gätzi) sich jederzeit bemerkbar machendes Gerät ist das Gä̆tzi. Aus starkem Zinnblech gefertigt, widersteht es gleichwohl der raschen Abnutzung. Daher der höhnich abfertigende Beischeid: chast mer am Gätzi rätsche! ungefähr soviel wie: blaas mer! Häufig aus Kupfer besteht die etwas größere Gatze (ital. cazza).

An der Cheḷḷe-Rịịgle, wesentlich aus einem eisernen Aufhängestab bestehend, präsentieren sich in blanker Eisen- oder messingener Rüstung vor dem musternden Blick der Feldherrin: die duchlöcherte Schụụm­cheḷḷe, welche zum Schaumabhub ab der Fleischbrühe, der Siedebutter usw., also zum Abschụụmme, Ver­schụụmme dient; die Mues- oder Suppe-Cheḷḷe, und in stolzem Bewußtsein der Ebenbürtigkeit die mächtige Säucheḷḷe zum Anrichten der Schweinetränke. Ein ungeschlachtes, rohes Mädchen heißt schlankweg eine Cheḷḷe,1 und mit irgend einer große Cheḷḷe «richtet an», wer nur an Umgehen mit großen Summen, an vertuerisches Haushalten gewohnt ist. Fast wie der kleine Finger an der Hand hält sich beiseite das kleine hölzerne Cheḷḷeli: der Kochlöffel, um dennoch als das kühn geschwungene Szepter der Hauskönigin zu gegebener Zeit aus dem letzten der erste zu werden. Ein ähnliches Hinaufrücken war dank äußerer Ausstattung dem Eß-Löffe͜l vorbehalten. Der ursprünglich hölzerne2 wich dem eisernen, der nun seinerseits vor dem zinnernen oder sonstwie nach der neuen Legierkunst gefertigten das Feld räumt. Ebenso wich dem modisch eiförmigen allmählich der runde Löffel, dessen beträchtliche Kapazität ihm etwa den Zunamen Goon eintrug. Doch kann da und dort im Bauernhause des Gebirges so ein eiserner Löffel, der um wenige Rappen sich neu ersetzen ließe, derart zum eisernen Bestande des Haushaltes und zum eigensten Eigentum gerade des Hausvaters gehören, daß sein brandschwarzes Aussehen vom Bestand eines langen Menschenalters zeugt. Es hat diese scheinbare Nichtigkeit ihre große Bedeutsamkeit. Das damit symbolisierte «Behalte was du hast» bezieht sich neben Anderm und Höherm auch auf die Klugheit, der Löffe͜l nid us der Han͜d z’gää, gäb me säḷber gnueg het, d. h. ohne Gewähr ausreichender Altersversorgung nicht Gut und Habe abzutreten. Wer das tut, ist selber e Löffe͜l, d. h. nach Wortwurzel und Grundbedeutung soviel wie e Lappi.

Er wird sachte beiseite geschoben: ab­g’schụ̈felet oder geradezu in unverhüllt brutaler Weise ab­gschụ̆flet (vgl. abschụ̈ssele). So «schiebt» 330 das Röösti­schụ̈feli in der Küche, schafft die Ghü̦der-, die Grien-, auch die alte krummstielige Stäch­schụ̆fle beiseite, was nicht auf sie geladen werden soll.

Im (west­schweizerischen) Kartenspiel ist Schụfle = pique (die Pickelhaube). Die Schweins­schulter oder das Laffli heißt auch das Schụ̈feli. — Nach solchem als Ackerzinsabgabe (an das Kloster Trub) könnte die jetzt so ansehnliche Häusergruppe Schụfe͜l­büeḷ benannt sein.3 1257 verkaufte Konrad von Brandis der Abtei Trub die Vogtschaft über den Hof Ober­schaufelbühl, ebenso Nieder­schaufelbühl («Senvelbuol superior» und «Schuvilbuol inferior»).4 Nicht undeutlich jedoch breitet sich von der östlichen Egghöhe (dem Büeḷ) aus die Hauptgruppe Ober­schaufelbühl mit der Käserei und der alten Hufschmiede wie eine riesige (Kies-) Schaufel hin, deren gekrümmter «Stiel» bei einiger Phantasie in der westlichen Fortsetzung der Egghöhe gesucht werden mag.

Wie schon der moderne Ersatz von Stechschaufel und Spaten durch die Grabgabel lehrt, ist auch die Găble ein Schöpfgerät: zum Aus- und Wegheben kompakter Massen. Die nun vielfach zweckmäßiger und vielseitiger ersetzte zweizinkige Garbegable oder Schoßgable diente immerhin in alter Zeit auch als irreguläre Landsturmwaffe; so Elsi, der «seltsamen Magd».5 Nicht weniger entschlossen griff jene 70jährige Fraubrunnerin6 zum ersten besten Mistgäbeli, dessen ehemalige Qualität doch zur Verspottung eines schlechten Messers Veranlassung gab: es ist Mistgable-Stahe͜l (oder Pfannesti̦i̦ḷ-Stahe͜l) dranne (vgl. «Trumpeete-Guḷd»). Zum «Worbe» (Verzetteln) des Heugrases, sowie zu schonendem Umgehen mit dem Stallvieh leistet dagegen immer noch die höḷzigi Gable vorzügliche Dienste, während die mächtige Heugable zum Uehegable des Dürrfutters auf Wagen (und Bühne) gebraucht wird.

Mit dem Ausdruck öppis a d’Gable bestellt man im Wirtshaus bescheidentlich andeutend ein (gerade verfügbares) Fleischgericht (vgl. «Öppis uf eme Täḷḷer»). Nichts Gutes bedeutet dagegen: Einen uf oder a der Gable haa, d. h. ihn (mit Wort oder Tat) «hernehmen», ihn als Wehrlosen unsere Übermacht fühlen lassen.7 Einem Kind ’s Gäbeli mache:8 ihm zur Verspottung Klein- und Zeigefinger entgegenstrecken (vgl. fi! les cornes! und Rüebli schăbe). Mit de Beine găble:9 weit ausschreiten; mit den Armen: unschön gestikulieren.10 Beides tut der Găbli. Găblen heißt aber auch: fleißig mit der Gabel, besonders der Heugabel hantieren. Gäbele: mit der Eßgabel in etwas herumstochern.11

 
1 Weber bei Kuhn 17.   2 Vgl. engl. spoon und Span.   3 Vgl. Bäbler: Ortsn. des aarg. Amts Schenkenberg.   4 Fontes 2, 459.   5 Elsi 75.   6 Trost 332.   7 Käs. 425 und ö.   8 MW. Ws. 44.   9 Christen 165.   10 Kongreß 154.   11 GG. 3, 21; UK. 1, 69.  
 

Schlagwerkzeuge.

«Mir fehlt der Arm, wenn mir die Waffe fehlt.» Und sicherlich ist das Schlagwerkzeug die nächstliegende Vervoll­ständigung des ausgestreckten Arms mit der zur Faust geballten Hand. Das konnten uns z. B. 1903 die 36 Entlibucher an der Schybi-Feier in Escholzmatt an ihren aus Tanngrotzen zugeschnittenen und am dickern Ende mit Eisenspitzen beschlagenen Entlibucher-Chnü̦tte͜l oder -Trü̦sse͜l lebhaft veranschaulichen. Der benachbarte Emmenthaler kennt den Trüssel wenigstens in bildlicher Anwendung: schwerfälliger Mensch, Gstăbi mit hinterhältiger, versteckter Geistesart, dem nicht beizukommen und aus dem nichts herauszubringen ist (vgl. der Chnŭ̦tti).

Der Stei in der werfenden Hand, der Namensbedeutung nach bereits soviel wie «Hammer», wird zu solchem als Schlagwerkzeug umgewandelt durch den Stiel. Ihn ersetzen die Fäuste, wie die Bịịßzange die kneifenden Finger in dem etwas rohen Spiel: Tịppis tappis Haberlappis, wie mänge Finger streckt der Bock auf seinem Kopf? Der mit dem Kopf zwischen die Knie des also Fragenden Gepreßte hat im Fall des Erratens die Wahl, entweder mit «Hammer» oder mit «Bịịßzange» sich den Rücken bearbeiten zu lassen. Hat man ihn in gutscheinendem Maße g’fụụstet oder g’chlemmt, so wird er freigegeben.

Mit Schlegel u Wegge uf ĭ̦hn: mit der Gewalt, die es zum ersten Zerspalten eines Baumstammes oder ‑Strunks braucht. Der eindringende Keil (Wegge) kann in der obern Hälfte hölzern, oder aber ganz aus Eisen sein: en Ịsewegge. Die Redensart: eim mit dem Holzschlege͜l winke deutet auf den Kraftaufwand, den es für die Handhabung schon dieses Geräts — wie dann erst des Ịseschlege͜l! — braucht. Vollends mit der Schlĕgel­achs lassen sich wuchtige Schläge führen. Ebenso wirksame Hiebe ins stehende Holz führt die «Fellaxt»,1 ins Bauholz die hellebarden­ähnliche Breitachs des Zimmermanns, in die Erde die ähnlich gebaute Wuerachs. (Abb. S. 77.) Jede Achs (Ax-t, «Ags»2) charakterisiert sich nämlich durch den verstärkten Eisenbelag hinter dem Öhr, welcher dagegen dem Beil — Bieḷ, ahd. bîhal,3 basl. aber: der Beiel — fehlt. Dagegen führen Axt und Beil den gemeinsamen Namen Haḷm für den Stiel. Länge oder Kürze des Bieḷshaḷm gestalten das Instrument zu dem zweihändigen länge Bieḷ oder aber zum einhändigen Bieli; Länge und Kürze der Schneide zum gewöhnlichen oder aber zum Breitbieḷ.

332 Gleich dem Beil handhabt sich der einhändige Gerte͜l,4 mit klingenartig gebauten Eisenteil.

Wie anderwärts Hammer und Hämmerli, ist in Lützelflüh «Bichsel» ein Geschlechtsname geworden, und Bi̦chse͜l­huus heißt ein hübsch gelegenes Gut zu Schaufelbühl. Nun bedeutet im Oberhasli «bäcke» soviel wie hacken, mit der Hacke arbeiten,5 und Bächse͜l ist in unserer Zimmer­mannsprache ein Hohlbeil zum Aushauen von Wasserrinnen; im Schwarz­bubenland heißt dasselbe Wort «Bichsel»;6 eine niederdeutsche Form lautet: «Picksel».

Verwandt ist in Wort und Sache: der Picke͜l. So heißt die Spitzhaue zum Loshacken steiniger Massen, zu diesem Zwecke stark beschlagen. E rächte Picke͜l! d. i. ein derber, robuster Junge, aber auch ein ungeschlachter Mensch. Ein ander Mal von diesen Biklen!7

Ähnlich beschlagen, aber mit schmaler scharfer Schneide versehen ist d’Stöckhaue (Abb. S. 77), zunächst zum Ausheben von Wurzelstöcken gebraucht. Wie sie auch zum Öffnen von Gräbern dient, illustriert der Kichen­rechnungsposten von 1658: «Den Schmid von einer Stöck Houwen zu belegen (stählen) sächs Krüzer.»

Zum Bearbeiten besonders zähen Lehmbodens und zum Bewältigen großer Erdmassen ist die ungewöhnlich lange und etwas breite Waḷḷishaue mit scharfer gerader Schneide geeignet. Sie ist daher über unser Gebirge hin teils aus alter Zeit vereinzelt erhalten geblieben, teils neulich wieder eingeführt worden. — Ein Eigner ungewöhnlich, vielleicht auch unförmlich großer Füße het Waḷḷishaue, Füeß wie Waḷḷishaue.8

D’Haue teuff un͜der nää (tief unten am Stiel anfassen) heißt: es mit einer Aufgabe ernst nehmen, sie gründlich und mit Aufbietung aller Kraft durchführen. — Sich nüt la a der Haue chlä̆be9 (nämlich keinen Kot, keine Erde) bedeutet bildlich: «nichts auf sich sitzen lassen» (vgl. «den Schild blank erhalten»), keine Antwort schuldig bleiben.

 
1 Ger. Tw. (1790).   2 Ebd. (1789); vgl. Acker und Acher.   3 Vgl. die Feile = Fiele = fihala.   4 Ger. Tw. (1789).   5 Vgl. la bêche.   6 Schweiz. Id. 4, 998.   7 SchM. 1, 290, Hs.   8 Vgl. LZ. 1904, 136.   9 Schuldb. 284.  
 

Wiegegeräte.

Was nicht mit Schlag und Stoß in gewünschter Weise zu bewältigen ist, fügt sich unsern Absichten durch eine Gruppe nachhaltiger Bearbeitungen, die wir trotz ihrer Viel­gestaltigkeit unter das alte Zeitwort 333 wigen, wag, wâgen, gewëgen1 befassen können, Wir kennen und brauchen aus dieser einst so belangreichen Wortgruppe mit so vielen isoliert fortlebenden Formen (wie Wiege, Wage, Wagen, Woge) noch das Intensiv-Verb weigge nebst weiggele = 1. in «Bewegung» geraten (bouger, remuer), 2. in Bewegung setzen (mouvoir).

Hieran knüpft sich in Wort und Sache zunächst die «Wiege», das «Wiegenmesser» oder die Gnị̆ppe, womit wir in bekannter Weise Wurst- und Hackfleisch, Spinat, Mangold u. dgl. gnị̆ppe. Das gleichförmig abwechselnde Auf und Ab und Her und Hin, das auch in letzterm Worte liegt, malt sich noch anschaulicher in der Ablautreihe gnị̆ppe, gnŏppe (hinken), in der Lautverstärkung gnĕpfe (schwanken) und ịịgnepfe (einnicken), und besonders im Rätsel vom Uhrenpendel: «Es gnị̆ppet, es gnăppet en ịsige Batze, es gnippet, es gnappet en ịsige Traat, es gnippet, es gnappet, daß ’s niemmer errat.»

Mit leisem Hin- und Herwiegen handhabt sich auch die Schuester-Gnị̆ppe: die von der Rechten erfaßte Eisenklinge mit kurz abgeschrägter scharfer Schneide. Meist allerdings gebraucht sie sich nach Art der Messerklinge, die Lăme̥le genannt (lat. lamélla, Metallblättchen). Hier wird das Hin- und Herwiegen bereits zum Fehler. Ein Messer mit schwacher Verstellfeder oder schlechtem Rücken lămelet, und wer in sorgloser, liederlicher Weise etwas versäumt hat, muß gestehen: das han ig iez verlămelet. Ist obendrein die Schneide (’s hauig Ort) stumpf geworden (verhöhnt) oder schartig, so cha me mit eme söttige Hĕge͜l, Hăli, Hăligụx, Háligg­wăxer nume gwăxere. Das tut freilich der Stümper auch mit einem guten Instrument, mit welchem er am gegebenen Stoff ume morxet, de̥s-ume gnorxet. Er verschnäflet daher auch alles Schneidbare, während der gewandte Bauer in seiner Schnäfe͜l­stube alle Notarbeiten in Holz selber brauchbar ausführt: regelrecht schnäflet. Hierzu bedient er sich besonders des eigens eingerichteten Ziehmessers, Zü̦̆gmässer (ursprünglich: «Zụ̈ụ̈gmässer», vom Zeugschmied verfertigt) und setzt sich dabei auf den Zü̦gstuehl (Abb. S. 335), ganz wie auf dem nämlichen Bild unser Rechenmacher es tut.

Zugleich läßt der Gesichtsausdruck erraten, daß der Mann (der obendrein Gerichts-Unterweibel ist) auch in bildlicher Weise das Hefti des Messers zu handhaben versteht und weiß, was es heißt: ’s Meister­hefti füehre. Das ist nämlich: in seinem Verwaltungs­bereich wirklich Meister sein und sich von Unberufenen nicht hineinregieren lassen.2 — «Das Hefti des gut beglaubigten Rechts»3 wird darum am besten auch in derartige Hände gelegt.

334 Mit dem drückenden Stoßen verbinden wir ein drehendes bei Anwendung des Bohrers, Böhrer,4 gewöhnlicher aber der Nääjjer geheißen; in der Verkleinerung: ’s Nääjjerli oder Bohrerli. Eine Zusammensetzung aus naba-gêr («spitzes Eisen zum Ausbohren von Naben»),5 umgestellt nagabêr, ist der Näpper6 («Näber»,7 das «Näpperlein»),8 oder gewöhnlich Gnäpper.9 An diesem bildet aber das scharfe Ende grad eben keine Spitze, sondern eine Schneide, die sich eng an den nächsten Umlauf der überall gleich breiten Bohr-Spirale schließt. Das Werkzeug arbeitet daher im Hartholz langsam, aber ausgreifend; ähnlich wie der «Gyzgnäpper»10Gị̆tgnäpper — selbst mit schuldigem Gelde nur zögernd «herausrückt».

Das langsame Vorrücken malt sich auch in dem tadelnden gnäppere, d. h. mühsam und schlecht schneiden. Brot u. dgl. abgnäppere: unter Hinterlassung einer häßlichen Schnittfläche.

Der dem Baumzüchter bekannte Erdbohrer läßt sich ersetzen durch das Stemmeisen, Stäckịse, welches überhaupt (in trefflicher Veranschaulichung der Gesetze des ungleicharmigen Hebels) leichte Bewältigung großer und schwerer Lasten ermöglicht. Die hierzu nötige Stärke und Starrheit dieses einfachsten aller Geräte spiegelt sich in der unwilligen Witzrede über einen ungelenken Menschen: Er tuet, wi wen er drụ̈ụ̈ Gleich min͜der hätt weder es Stäckise.11

Ein schartiges Messer saagt (sägt), statt zu schneiden; es wirkt eher als (allerdings ebenfalls schlechte) Saage (Säge, wogegen Saagi = Sägemühle). Arten von Sägen: die Gnịppe­saage (mit einer Kronseite, die einen schwachen Bogen bildet und damit an die Schneide eines Wiegenmessers erinnert) und die ebenfalls zum Um- und Zersägen von Stämmen gebrauchte amerika­nischi Waḷdsaage; die Franzose-Saage mit grober, und die Absetz­saage oder das Absetz­saagli: Handsäge mit feiner Krönung zum Sägen dem Strich naa, z. B. bei Laden. — Leueblatt­saage: mit Löwen als Fabrikzeichen, usw. — Das Bŏge- oder Zwei-Saagli in der Hand de Baumzüchters; der Fuchs­schmanz usw.

Rechenmacher.

Zum bloßen Ziehen: der Rä̆che. Arten: der schmale Garte-Räche, der wenig breitere, weitzinkige, starke Schär­hụụffe- oder Hoḷz-Räche, der breitere umd engzinkige Gras- oder Heu-Räche, der mächtige eisenzinkige, mit Handhabe versehene Haḷm-Räche. — Der Räche 336 zieh: ein dem Ährenlesen paralleles Gewohnheits­recht unbemittelter Nachbarn, besonders Mietsleute und Taglöhner, nach der Futterernte der Bauern die liegen gebliebenen Halme zu sammeln. — Zu ausgiebiger Handhabung des Rechens gehört ein langer Stiel; daher das komische Bild von einem, der bis zum Ermüden anderer unermüdlich pfeift: er pfịịft Rächestĭ̦le.

Im Hause: die Ofeziehe und d’s Fụ̈ụ̈rziechli: gestielte Brettchen zum Herausziehen von Feuer und Asche.

Zum Seitwärtsdrücken: die Sĭ̦chle (Sichel), etwa noch zum Futterschneiden in Wald und Hecke (Chööle) für Ziegen. Namentlich aber die Sense — Sä̆ge̥sse (ahd. sëg-ansa = Schneide-Werkzeug). — 1673: «Das Dotzet Sägissen 1 Batzen.»12 — Auch zur alten Landsturm-Bewaffnung13 diente die Sense.

Kein Werkzeug aber muß wie dieses sich dem Mähder «in die Hand schicken»,14 wenn derselbe unverdrossen von drei bis zehn Uhr früh zähes und gelagertes Heugras mähen soll und dabei den verschiedensten Umständen sich anzubequemen hat. Dahin gehört als elementarstes: uf em Stotzige (steilem Gehänge) d’Sägesse hin͜de̥fer lüpfe; beim Grasmähen mehr das Hinterblatt — d’Hamme —, zum Getreideschneiden mehr das Vorderblatt — den Spitz — brauchen. Viel kommt dabei darauf an, daß das Blatt am Worb ni̦d z’häägg (spitzwinklig) u nid z’graad aag’macht (befestigt) sei; daß dabei nicht das richtige Maß straffer, strammer Spannung überschritten — das Blatt etstremmt werde, Blasen werfe: Plaatere uberchööm, und bei jeder Hebung dumpf klinge wie beim Schlucker: ’s Glụ̆xi heig. Ferner wählt sich jeder gerne die ihm passende Länge des Blattes aus: sĭ̦behändig, achthändig (sogar Nụ̈ụ̈nhänder kommen vor). Man achtet auch etwa auf die Fabrikzeichen, welche das Werkzeug zu Trụ̈ụ̈be͜l­säge̥sse, «Blitz», «Herkules», «Schneideteufel» u. dgl. stempeln. Ein anderer läßt sich vielleicht durch Namen und bläuliches Aussehen der Stăhe͜l­sägesse anlocken, bis er erfährt, wie bald sie an sonniger Halde in der Hitze schwärzlich anläuft: e Rụụmme uberchunnt.

Der am liebsten aus Ahorn gefertigte Worb (Sensenstiel), dessen Haupteigenschaft eine gut in der Hand liegende Krümmung ist (vgl. Bei wi ne Sägesse­worb: krumme Kinderbeine), trägt in der Mitte als rechtwinklig hakenförmigen Griff für die rechte Hand das Häuchli, hinten den einfachen, leicht gebogenen, fußlangen Griff für die Linke: das Gụ̈ụ̈rbi.

337 Ihre äußerst scharfe Schneide erhält die Sense durch das Aushämmen: Tängele. Zu dieser Arbeit setzt sich wo möglich der Meister selbst15 oder der Meisterknecht auf den Brettersitz — Tänge͜l­stuehḷ — vor dem Tange͜l­stock:16 dem «kleinen Block»,17 auf welchem das 1 dm. hohe Tangel-Ịse oder kurzweg das Tange͜l aufgepflangt ist. (Das Tange͜l oder die Tängeli heißt aber auch die der Sense erteilte Schärfe). Die stählerne Oberfläche des «Tangelise» bildet in den allermeisten Fällen eine 3 cm. breite, glatt abgerundete Kante (lätzes oder linkes Tange͜l), selten eine in der Mitte leicht gewölbte quadratische Fläche von nämlicher Seitenlänge (rächts Tange͜l). Eine mit Gewicht beschwerte (bschwaareti) Schnur umschlingt das Gü̦rbi, und über das «lätz Tange͜l» legt sich die beim Mähen dem Boden zugekehrte (lätzi) Seite des Sensenblattes, um mittels der quadratischen Fläche des Tange͜l­hammer geschärft zu werden. Oder über das quadratische Tangel schiebt sich die rechte (dem Mäher zugekehrte) Seite des Blattes, und der Dängelnde greift zum rächte Tange͜l­hammer, gestaltet wie das «lätz Tange͜l». Die ältern Tangelhämmer waren für beide Arten eingerichtet, die neuern tragen beidseitig quadratische Flächen. Beide Arten, die durch die Dängelmaschinen heute noch bei weitem nicht ersetzt scheinen, erfordern große Übung. Ein einziger Fehlschlag, und das Blatt hat einen Riß; d’Sägessen ist lahm, ver­tängelet, und zum Mähen für immer unbrauchbar. Daher braucht es für dieses gern auf Nachmittag und Morgen18 versparte Geschäft gute Augen und helles Licht. Es ist darum eine interessante Zeitbestimmung in dem der zuverlässigen Uhren noch entbehrenden Mittelalter, wenn laut einer Verordnung von 1371, erneuert 1417, der Abt von Trub zu Frondiensten spätestens am Vorabend so zeitig aufbieten lassen sollte, daß «man noch sihet eine Sägessen dänggelen.»19

Selbst­verständlich fand auch ein solch wichtiges Geschäft seine bildliche Anwendung: Tängele ist überhaupt20 klopfen, schlagen. Wart, i wiḷḷ der de der Grin͜d tängele! (vgl. «d’Lụ̈ụ̈s tööde»). Auch mit Worten: Dä het du uf ihm tängelet! Beharrlich Feuer schlagen: «Wenn du Freude am Dängeln hast, so dängele!»21

Für einige Zeit kann das abgenutzte Tange͜l durch wiederholtes Wetze nachgeschärft werden. (Vgl. auch die Übertragungen: «verwetzte Kleider»,22 «de̥s-ume wetze».23) Der Norddeutsche bedient sich hierzu eines flachen, mit Pech und scharfem Sande überzogenen Streichbrettes,24 der Schweizer braucht «das Steinfaß mit dem lärmenden Wetzstein».25 338 Die Schwere des Wetzstei, dieses fußlangen Doppelkeils aus schwerem kieselhaltigem Tonschiefer, gab Anlaß zur Frage und Antwort: Chaast du schwümme? «Ja, wi ne Wetzstei!» Die Schärfe desselben wird erhöht durch Wasser und allfälig noch zugegossenen Essig. Beides im hölzernen oder blechernen Steifaß (vergl. S. 158), das an einem schmalen Ledergurt — Määjriemme — der Mähder am Rücken trägt. Daneben ist das Gefäß, aus dessen sauber gehaltenem Innern in der Not auch der Mähder zu trinken nicht verschmäht, ein geeigneter Trichter, um dem Vieh Medizin einzugießen. Daher der Protest «so unmerkig bin i nid» auch in die Worte sich kleiden kann: Das bruucht me mer nüt mit em Steifaß iiz’schütte!

So kann es auch beim jungen Mähder in der Dinkelernte heißen, wenn ein rücktwärts geworfener Blick ihm sagt, die seine Schwaden hinbreitende Náhelegere fühle sich müde. Ist er einer der Merkligere, so wartet er ihren Zuruf nicht ab: Kŏbi, wetz no chlii, so chan i leue! Von selber stellt auch er sich erschöpft und meint gelassen: Mir wei däich wider e chlii wetze (u der Rügge strecke). Er stellt die Sense auf das Gü̦rbi; eine Handvoll Gras säubert das Blatt, zwei Finger bessern an der Schneide nach, und der Mähder kehrt, je nachdem er rächts oder linggs z’wetze gewohnt ist, die entsprechende Blattseite gegen sich. Nach dem Wetzstein holt die Rechte aus, sichern Griffes setzt sie an, und metallen klingt es in die Nähe, leise verhallend haucht es in die Ferne:

Miner Mueter Chuchimesser haut uf beede Site;
Schätzeli, we d’ mi nümme witt, so säg mer’s de bi Zite!26

 
1 Mhd. WB. 3, 626 ff.   2 Gf. SB.   3 Schuldb. 177.   4 RB. 126.   5 Kluge 5265.   6 RB. 48.   7 Ger. Tw. (1790).   8 Ebd. (1793).   9 Wie gnage = nagen und dgl. Vgl. das schweizerische «Näpper­recht»: Verfügungsrecht über Holz, das man mit einem 3 Fuß langen Näpper über die Marche hinüber erreichen kann. SB. 1903.   10 AB. 1, 70; 1, 403; BwM. 164.   11 LZ. 1904, 134.   12 Zolltaffel.   13 Trebla im E. v. E.   14 UK. 211.   15 UK. 220.   16 AB. 1, 337.   17 MW. BK. 29.   18 Käs. 156.   19 JoSt. 142.   20 Wie mhd.   21 AB. 2, 9.   22 Segen 83.   23 Geltst. 233.   24 B’schweig 244.   25 Konrad Meier.   26 KL. 02, 815; E. v. E. 1903, 24. Juni.  
 

Das Gefährt.

Wie dem Bauer die landwirt­schaftliche Maschine die beschwerlichste Handarbeit abnimmt, so das Gefährt das Schleppen der schwersten Lasten, unter welche gegebenen Falls er selber mitgehört. Das dem vorigen Abschnitt zugrunde gelegte «wegen» hat also auch hier seine Geltung, mit der Erweiterung, daß das Gefährt Arm und Bein und Rückgrat zugleich ist.

Der elementarste Ausdruck für G’fe̦hrt, G’fĕrt, und ursprünglich gleichbedeutend mit ihm, ist Chaare. Die keltischen «carros» und «carron» bedeuteten einen zwei- oder auch vierräderigen offenen Packwagen zu militärischem Gebrauche.1 Solch umfassenden Sinn hat «Chaare» 339 noch heute beim Seeländer, der damit (nicht bloß burschikos wie wir) ebensogut das moderne Zweirad wie den altmodischen Kinderwagen bezeichnet. Bildlich sagen wir: am Angstchaare zieh,2 und: der Chaaren uber d’s Port ụụs spränge.3 Auch uns ist der Pferdeknecht der Chaarer,4 und der Fuhrmann mit den vierspännigen Mehlwagen: der Mü̦̆li-Chaarer. Erst mit dem Aufkommen der verschiedenen Gefährt-Arten spezialisierte sich der Chaare auf das leichteste und handlichste, für Gebirgsgegenden bequemste derselben: das zweirädrige mit leiterartigen Wänden und ebensolchem Boden.

Eine eigene Geschichte hat das Zeitwort chaare. Zunächst ist es soviel wie fahren. «Was das für ein interessantes Karren ist an einem Wagen, an dessen Deichsel das eine Roß zieht, das andere hinteren hanget!»5 Dann heißt es: mühselig am schwerbeladenen Karren oder Lastwagen ziehen. «Manche karren und trappen mühsam daher, möchten auch eilen, aber es geht nicht.»6 In die neumodischen Grundsätze eingekarrt (ịịg’chaaret): eingefahren, eingewöhnt. Es abe­g’chaarets (vgl. «zu Schanden gerittenes») Roß.7 So werden auch «Zeit und Welt» gleichsam als Zugpferde «abgekarret».8Verchaare: «Man verkarre (bei diesem schlechten Weg und Wetter) alle Wagen»:9 verberbe sie. Dann: unter den Rädern zermalmen, oder doch übel zurichten. «Kinder, die sozusagen auf der Straße leben, werden am seltensten verkarret.»10 Felix zu Eglihannes: «Verkarret» hast du mein Mädchen mit deinem Wagen; mit deinem Tanz-Antrag «versauen» sollst es nicht noch!11 Die Prägnanz, welche damit dem «Verchaare» durch das «Versauen» erteilt wird, führt über auf die Bedeutung: Jemand oder etwas um seine Wohlgestalt, um das Gewinnende seiner Erscheinung bringen, verunstalten (wie das zermalmende und beschmutzende Wagenrad es tut11a). Dem Erdbeeri Mareili12 «blutete das Herz, wenn die Leute die schönsten Beeren hervorgrübelten, alles verchaarten». «Speisen vercharen»;13 Milch.14 «Verchaaret» wurde der pockenkranke Jakobli durch aufgeschmierte Salben,15 so daß der Arzt fragen mußte: «Wer hat da gekaaret?»16 Der Charakter dieses «chaare» (schmierig an etwas herumhantieren), als Simplex-Rückbildung wird noch deutlicher in Stellen wie: «die Töchter chaare i der Pfanne ume»,17 und in dem neutral gewendeten: «Gehst du nicht in den Wald, so charen die Erdbeeren»18 (werden unansehnlich). — «So n es Tüfels G’chaar vo Brịị!»19 «Es seligs 340 Gchaar (nämlich Malerei) sịg ke Kunst.»20 «Meyeli sei (in Mädis Augen) ein ag’chareter (salopp angemalter) Hauenstiel.»21 Eh wi bist du n e Chaari, e Chaare! (Einer und Eine, der oder die schmiert.)

Auch mit dem Karst, der in der Kartoffelernte zuweilen Knollen verunstaltet, tritt chaare in sinnverwandte Beziehung, indem chaarste sich wie eine effektvolle Verstärkung dazu ausnimmt: Aḷḷs verchaaret und ver­chaarstet!

Treffliche Dienste, namentlich zum Eingrasen, leistet im Berggelände der «Schnecken­karren»,22 abgekürzt: der Schnägge, auch: der Schnägg. Er ist von der Länge eines kleinen Wagens; die Stangen sind zum Ziehen von Hand oder durch Tiere eingerichtet. Die Stelle der zwei vordern Räder versehen zwei meist hölzerne, hie und da auch eiserne Schlittenkufen (Schlĭ̦tte­chuehe), die beim Abwärtsfahren zur Hemmung dienen. Unsere Abbildung veranschaulicht speziell einen länger gestreckten Heu­schnägge. Dieser «Halbschlitten» oder «Schlitten­karren» erinnere uns gleich an den Schlitten, die Redensart: ’s la schlittle (es gehen lassen wie ’s mag), an die Vergnügungs-Schlittlete23 zur Zeit wo Schleif ist. Nach den ziegen­hörner­ähnlich sich spreizenden Stangen heißt der kleine Lastschlitten, den eine Person zieht, Gĭ̦be.24 (Vgl. den «Hoori», d. h. Hornschlitten im Oberhasli.)

Bretter, welche die Leitern des Karrens überdecken oder ersetzen, gestalten diesen zur Bänne. Die alt-gallische (und römische) benna war, wie noch oberitalienisch und rhätisch, ein Korbschlitten, wie der «man» in der Bretagne ein Tragkorb für Lasttiere.25 Die Gestaltung zum zweiräderigen Gefährt mit Flechtkorb (ähnlich den Handwagen unserer Wochenmarkt-Besucherinnen) führte über zu unserer emmenthalischen Bänne. Dieselbe dient auf steilen Äckern, wo Wagen und Pferd nicht hingelangen, zum Führen von Erde und Dünger. Als drollige Pendants vereinigen sich zu éinem Straßenbild: das Mist­bänndli der Gassenjungen26 und das Automobil («Töff Töff»): so n e neumodischi Stinkbänne ohni Roß.27 Dem allgemeinern Sinn von Wagen nähern sich: die vierräderige Säubänne und die ebensolche Schnẹḷḷ­bänne28 zum Transport von Kies und Sand. An letzterer bringt das Lösen einer Kette ab der Vorderachse den Kasten zum schnellenden Umkippen behufs leichter Entleerung. — Bänndli heißen mit Vorliebe auch die Spielwagen der Kleinen.

Zu mannigfaltigem Gebrauche dient die Bähre: die einräderige Stoßbähre mit niedrigem Kasten; die ebensolche Grasbähre29 mit 341 leiterartigem Rand und Boden. Das leichte, handliche Trucke-, Stei- oder Härd-Bährli. Die Tragbähre; eine solche mit Füßen: ’s Wösch­bährli.

Heu-Schnägge.

Nun der Wăge. Allgemein als Gefährt hingestellt wird derselbe z. B. durch die «Zolltaffel» von 1673, wonach «ein Wagen mit zweyen Räderen im Durch- und Zurückfahren 1 Creutzer» zu bezahlen hat. Dem umfänglichen Sinn von Wăge und Wägeli folgt auch wägele: 1. ein Fahrtvergnügen anstellen,30 2. ein kleines Kind im Wagen fahren. Will der Bauer sich genauer ausdrücken, so spricht er von Gras- und Chlee-Wägeli, von Heu-, Holz-, Stei-, Mist-, Bschütti-Wage.

Zu beliebigem Mitfahren auf all diesen Wagen hat er gut einladen (wie er gerne auch spaßweise tut), da er nicht alle nebeneinander fix und fertig zur Verfügung zu haben braucht, sondern jeweils zum augen­blicklichen Bedarf rasch den einen aus den Einzelteilen der andern herstellen kann.

So lieferte der alte Breit­schĭ̦ner, breit­schĭ̦nig Wage31 das breite G’fäḷg oder G’fi̦ḷg, sowie den breiten Schienenbelag der Räder, welche z. B. am Jauchewagen ein Einschneiden tiefer Geleise in aufgeweichtem Boden verhüten. Zum Einfahren von Dürrfutter und Garben wird rasch der Leiterwage uuf­g’leiteret: Eine eigens gebaute Art Leitere mit schräg gestellten Sprossen (Seige͜l) bildet je links und rechts die Seitenwand. Vier Leuse («Leuchsen», «Rungen») verbinden sie mit dem Spatt. Vorn und hinten verbindet die Leitern ein Sperrschị̆t («Sperrscheit»). Spaßweise heißt auch ein rasches sich Umkleiden: si an͜ders̆ aaleitere.

342 Der wahre Chumm-mer-z’Hüḷf auch auf dem Bauernhofe, für alle möglichen Lasten brauchbar, ist aber der «Brückwagen»: der Brü̦̆giwage, das Brügi­wägeli.32

Als Übertragung erwähnen wir: der Wage, Hĕrewage oder Cheerwage, d. h. das Sternbild des großen Bären, dessen sieben sichtbare Sterne (oder Stern Systeme) an vier Räder und eine das Wenden andeutende Deichsel gemahnen.

Vom Last- zum Lust-Wagen bildet den Übergang das altmodische, nunmehr in die Rumpelkammer verwiesene Gsteḷḷ­wägeli,33 verjüngt und eleganter gefertigt als Rị̆twägeli. (Städter und Nichtberner nennen es Bärner­wägeli; vgl. «Landauer» u. s. w.) Auch auf ihm läßt sich allerlei, sogar zur Not Hausgeräte34 verladen. Die Hauptbelastung bilden indes Marktbesucher (heute noch in Sumiswald wie ehedem auch in Langnau35 und Burgdorf36). Auch Ausflüge gestalten sich bei günstigem Wetter auf dem gefällig hellblau oder gelb bemalten Gefährte so angenehm, daß da und dort einer gärn e chḷị z’viiḷ wägelet, wohl gar si Sach verwägelet. Schließe jedoch einer seine Laufbahn so oder anders: auf eigenem oder nachbarlich geliehenem Rị̆twägeli tritt auch er die letzte Fahrt an zur Stätte, die alle gleich macht.

Seine vielseitige Brauchbarkeit erhöht das «Bärnerwägeli» dadurch, daß der mit allerlei kleinen Verschlägen ausgestattete Polstersitz entfernt, oder daß gegenteils die Sitz­gelegenheiten mittelst aufgebundener Bretter bis auf sechs vermehrt werden können. — Selbst­verständlich werden vor jeder Fahrt die abhebbaren Wägeli­chü̦ssi «ausgeklopft und sauber gebürstet».37 Der Fußsack38 aber, «das Leder, welches über die Füße geht»,39 schützt gegen Kälte und Schmutz.

Dem Ungewohnten freilich, sowie dem Verwöhnten kommt «öppis Teckts» (bedachtes Gefährt) «kommoder vor».40 Da bildete denn ehemals die erste Etappe zu «Höheren» der Char-à-banc = der Schärebank, oder noch glücklicher verdolmetscht, weil man ja seitwärts oder unter Umständen halbseitlich («z’schärbis») darin sitzt: die Schärbis­bank. (Drolliger suchten Fühlung mit dem nie recht eingebürgerten Fremdling die Schreibeformen «Charabanc»,41 «Chärbank»,42 «Charabänkli»,43 die «Charabanken»,44 die «Schärbank»45 und die «Schärbänk»).46 «Der 343 Char-à-banc, dienlich für einen Landpfarrer,47 Arzt oder Beamten, schwebte dabei namentlich dem politischen Streber als Muster vor.»48

Dagegen ist auf dem Lande noch heute die Schĕse, «Chaise», das Schĕsli («Chaisli»,49 «Schäsli»,50) ein rarer Vogel.51 Selbst der reiche Hofbesitzer legt sie sich bloß nach einem besonders glücklichen Jahrgang zu (läßt sie z. B. durch ein fleißiges und gut gehaltenes Bienenvölklein sich verdienen). Wer aber zu etwas kommen will, darf nicht «in einem Chaisli herumfahren»,52 nicht «i’s Oberland uehe schesle ga der groß Heer mache»,53 noch nach Luft und Willkür sich ergehend, wie gleichsam die ausgebrochene Emme tut, «ga Schese rite».54 Höchstens eine leichte Haut läßt sich auch, wie Gotthelf55 ebenso ergötzlich wie mit bitterer Satire ausführt, von Ausbeutern ein liederlich gebautes Gefährt aufschwatzen; eine Kutsche, so mit Schüüch­lädere (d. h. hier Verhäng-Fensterchen), «wo me si guet ịịmache chönn»,56 «u wo me drin sịịg wi i re Stube, so warm u troche».57

Sehen wir im Lastgefährt die alten Gallier, in «Schärebank» und «Schese» ihre Nachfahren, die Franzosen, so in Droschke und Kutsche deren slawische Bundesgenossen als Vorbilder nachgeahmt. In einem «Droski»,58 in «Trotschlene»,59 Trotschge fahren nur Städter; i der papiirige Gụtsche60 (des Amtsblattes) aber «reitet» ein Fallit.

Nun die Hauptbestandteile des Gefährts. Vor allem die oder auch der61 Rĕdig, Vor- und Hin͜der-Rĕdig, getragen von der Achs (Achse). Der Achsestock läuft entweder dünner abgesetzt aus in die (hölzerne) Spiḷḷe oder trägt diese, wenn eisern, mittelst eiserner Bänder (Brị̆de). Der haken-, scheiben- oder früher auch nur nagelförmige62 Lu̦ng steckt in der durchlöcherten Spiḷḷe oder wird, wie bei Karren und Bänne, von dem unter der Achse durch laufenden Lĕg-Ịse63 getragen. Dadurch beschränkt er den Spielraum des Rades auf das zum sichern Gang nötige Maß. Wer seine oder anderer Sachen mutwillig oder liederlich zu verderben gewohnt ist, kann die an der Behandlungsweise eine so unscheinbaren Dinges sich erwahren lassen. Drum die Rede: Er het sịs Gäḷtli müesse gää für Wagelüng: hat es verzettelt im Ersatz für verlorne oder verdorbene Dinge. Da ferner der Lung kaum je anders als schmierig anzugreifen ist, heißt auch eine nicht in Ehren gehaltene Tabakpfeife: der Lung.

344 Halt , der Lung ist uus! «Da geht ein Rad ab.»64 Da ist Gefahr im Verzug; es gilt, einzuschreiten. Es ist mer fei e chlii es Rad abg’gange heißt aber auch: ich habe einen Förderer meiner Sache, einen Nothelfer, einen Gönner verloren.

Um die eiserne Spil̦l̦e dreht sich zunächst der eiserne Buchs als Auskleidung des Hohlraumes der Năbe. «6 Nabring von Rederen» figurieren 1790 in den Gerichtsakten von Trachselwald.

In der Nabe stecken die Speichen, in welche es wacker einzugreifen gilt, wenn der Wagen stecken geblieben ist. Solches speiche65 bedeutet auch übertragen: in schwerer Not mit empfindlichen Opfern nachhelfen. — Über je zwei Speichen Enden wölbt sich eine harthölzerne Fäḷge, deren 5-7 den Radumfang oder das Gfäḷg, noch häufiger: das Gf̦̆ịlg ausmachen. Als man von der schwerfälligen und rasselnden Radscheibe zu der Speichenform überging, war dieses bloß hölzerne durchbrochene Rad natürlich raschem Verderb ausgesetzt. Gleichwohl waren noch 1510, im Jahre des Sumiswalder Kirchbaues, im ganzen Kirchspiel an keinem einzigen der schweren Lastwagen die Räder mit Eisen eingefaßt.66 Man verfiel in der Folge zunächst darauf, die Felgen mit heißen eisernen Schienen, deren Fugen zwischen denen der Felgen zu liegen kamen, zu überziehen und diese mittelst großköpfiger Nägel aufzunieten. So entstand u. a. der «vierzöllige» Breit­schĭ̦ner. Heute nun wird das Rad mit einem frisch geschmiedeten ganzen Eisenreif überzogen. («Der Reiff ụụfzieh»). In dem Maße, wie sich der abgekühlte Reif zusammenzieht, zụ̈̆pft sich das Rad, d. h. der vom Wagner absichtlich belassene Spielraum zwischen den Felgen zieht sich zusammen. Ohne solche Vorsicht würde der Reif ’s Rad erwöörge. Dieses sị zụ̈pfe wird auch ethisch angewendet. Ein in heftiges Weinen und Schluchzen verfallenes Kind, ein Schimpfender, ein Tobender wird aufgefordert, an sich zu halten, sich zusammenzunehmen: zụ̈pf di̦ ieze, sü̦st...!

Anhaltendes Fahren vermehrt die Reibung namentlich zwischen der hölzernen Spiḷḷe und dem Buchs oder der Nabenhöhlung bis zur Unerträglichkeit. Wie das rụ̆gget und gịgarschet, gịxet und gaxet!67 Solch «wandernden Seufzerbüchsen»68 muß geholfen werden und kann es mittelst einer andern, wirklichen Büchse: an der Wand hängt die Wagesaḷb­büchse oder ‑Pinte stattlich schlank wie ein langgestreckter Menschenhals. Drum sagt man ja auch von einem etwas überlangen solchen: mi chönnt zwüsch’use nää für ne Wagesaḷb­pinte.69

345 Mit dem hierin geborgenen Wagesaḷb läßt sich das Gefährt wieder gängig machen; und die Not kehrt nicht so bald wieder, wenn man regelmäßig nachspeist, das Gefährt im Saḷb b’haḷtet.70 Das gilt auch bildlich von einer behaglichen und flotten Lebenshaltung,71 namentlich wenn dabei noch die Untüchtigkeit und Trägheit eines Weibsbildes — eines Öḷbụ̈tzi72 — im Spiele ist.

Wie nun das Saḷbe73 des Leibes und dasjenige des Wagens, also auch mit der Seḷbe (Salbe) das Wăge- oder Chaaresaḷb zusammenhängt, lehrt in preiswürdiger Art die Wissenschaft und Kunst unseres Hansli Jowäger. «Wenn Hansli sich wirsete, so strich er Wagensalbe darauf»;74 und dies an dem «kerngesunden»75 Mann trefflich bewährte Universalmittel mußte unfehlbar auch für die Pocken seines armen Kindes gut sein: «Wagensalb sei sonst bsunderbar heilsam.»76

Schmiere u saḷbe hiḷft ja aḷḷethaḷbe, und so «salbet» denn auch mit Wein der eine «sein Gedankenrad»,77 der andere den Mund,78 der dritte den Hals,79 «um holdselig und glatt zu reden wie ein Engel vom Himmel»,80 ein vierter «die Zeit», damit sie «rutsche»;81 und schließlich «salbet» seine Arbeitskraft einer, dem des jüngern Bitzius82 Predigt gilt: «Ihr glaubet vielleicht, daß der Wein euch gescheiter mache, daß er, des Abends in vollen Zügen genossen, wie ihr das nennt: als Wagensalb diene, so daß ihr zur Arbeit des folgenden Tages munterer und stärker werdet. Hütet euch ja vor diesem Glauben!»

Das Schmiere im Kartenspiel berühren wir bloß; ebenso das Saḷbe, d. h. das Bestechen, dessen «der edle Gönner»83 und der Schmieradvokat bedarf.84

Den Gegensatz bildet die Hemmung beim Abwärtsfahren. Unter Umständen genügt hierzu ein bloßes Hin͜dere haa, wie Menschenarme es hinten am Wagen, die Zugtiere selbst an Deichsel oder Gabel üben können. Die Regel bildet aber durch eine mechanische Hemmung: das Spanne.85 Alt ist die Spannung mittelst Schleipf­troog:86 früher aus Holz, und wegen seiner Breite und Dicke mit den Füßen der ungeschlachten Zyberlihoger-Tochter87 vergleichbar. Dieser unter das Rad gelegte Radschuh gestattet keine Abstufung der Hemmung und wird daher vom Zugtier stellenweise als lästiges Hindernis empfunden. Dies übertragen auf den vorwärts strebenden Menschen: «So ist’s Läbe süeß, wo eis dem an͜dere hiḷft u keis dem an͜dere sị Schleipftrog ist.»88 «Ich weiß, 346 das Lob gebühret Gott. Darum vermag ich kein Schleipftrog zu sein für alles, was ich nicht selbst gedacht, selbst gesagt, selbst gemacht.»89

Die Kette, an welcher der Radschuh hängt, kann ohne diesen zur Spannung dienen, wenn sie als Spann­chötti um eine Rad-Felge geschlungen, als Chrịtz­chötti oder Un͜derleg­chötteli90 unter dem Rad — besonders aber auf winterlichem Holzweg unter der Sohle des Schlittens — befestigt wird. — «Sein Herz war frei, hatte weder Schleiftrog noch Kette.»91 — Änlich wirkt der Spann­strick mit Schlüssel.

Ein abgestuftes Spannen92 gestattet aber erst die Schrauben-Mechanik, kurzweg: der oder die Mechănik,93 die Mechanig,94 der Mechaan, der Mekaan, der Vor- oder der Hin͜der-Mekaan, je nachdem die Vorrichtung die zwei hohlkehligen Eisen- oder Holzstücke gegen die Vor- oder Hinterräder preßt.

Um den Zugtieren auf steiler Bergfahrt wirkliche, wenn auch noch so kurze Ruhepausen zu ermöglichen, ist das Rückwärtsrollen der Räder zu verhüten. Zu diesem Zweck un͜derleit me, d. h. man schiebt einen Stein, Holzkeil oder dergleichen unter ein Rad. Da dies den Tieren Behagen gewährt, nennt man Un͜derlége auch eine Sättigung, die ein ähnliches Lustgefühl erzeugt. Auf steilem Gehänge aber, wo in strenger Erntezeit keine Hände für solches Unterlegen frei sind und der Fuhrmann den Zügel fest in Händen behalten muß, besorgt den doppelt nötigen Dienst aufs beste in automatischer Weise der Hun͜d, Wagehun͜d. Ähnlich wie ein tierischer Träger dieses Namens Schritt vor Schritt mit dem Hals unter der Hinterachse dem Wagen folgt, schwebt eben dort an zwei Kettchen ein meterlanges Holzstück, um im Augenblick des Anhaltens bergan mit den beiden Eisenspitzen seines hufeisen­ähnlichen Ausläufers in den Boden einzustechen.

Ein Fahren ohne plötzliche Stöße, oder doch mit Verminderung solchen Holperns (hoppere; vgl. höpperle, tänzelnd laufen) ermöglicht die elastische Feder. Daher auch vom angenehmen, leichten Fortgang einer Sache: das geit wi uf Fädere!

Ein Heu- oder Garbenfuder aber würde auch bei sanftester Fahrt auseinander­fallen, wenn es nicht durch Aufbinden Zusammenhalt und Festigkeit empfinge. Erst solches Bin͜de macht also das Fuder fertig, und drum heißt «aufbinden» auch: «fertig machen», gepflogene Unterhandlungen schroff abbrechen. Zu solchem Binden braucht es dreierlei. Einmal den «Bindbaum» (Bimpaum): ein glatt entrindetes Tannenstück. 347 Dann das leiterartige, nach oben sich verjüngende Fü̦ü̦rgstü̦tz vorn, bisweilen zugleich auch hinten am Wagen, das je nach der Höhe des Fuders eine bestimmte Öffnung zum Durchstecken des Bindbaums bietet. In «spuckiger» Sprechweise heißt die oberste Öffnung, welche zum Aufbinden des höchstmöglichen Fuders dient, nach der vornehmsten aller Bauernspeisen das Hammeloch. Dem Schinken folgen in der allgemeinen Wertschätzung die «Chüechli», und sie dürfen der zweitobersten Öffnung den Namen Chüechli­loch erteilen. Als armer Rest nur präsentiert sich dagegen das Fueder oder Füederli, das im un͜deriste Loch gebunden sein will: im Chrụ̆tloch, dessen Namen an den ehemals durch seine Häufigkeit verekelten Mangold erinnert. — Nun läßt sich der Lader das ebenso starke wie geschmeidige Wellenseil (Wäḷḷeseeḷ) zuwerfen, faßt es gewandt auf, schlingt seine Mitte zu einer eigenartigen Schlaufe, dem Bimpaum­lätsch (s. Abb. S. 387), legt sie über den Baum an und läßt die beiden Enden frei herunterhängen. Schon aber sind vier Hände bereit, dieselben um die beiden Nẹge͜l des vielkantigen Wellbaums (die Wäḷḷe genannt) am Hinterende des Wagens zu schlingen. In beide Öffnungen des Wellbaums stecken sich die etwa 60 cm langen Scheitle aus Hartholz oder Eisen, und nun wird durch wechselseitiges allmähliches Aazieh das Seil zu äußerster Straffheit gespannt. — «Der Hals war mir zugeschnürt wie mit einem Wellenseil.»95

Ein entsprechendes Zusammenpressen von Holzladungen heißt Reiggle. Die Bindekette, ’s Bind­chötteli schlingt sich um die Stämme, Reisigästen usw. und wird mittelst eines verstellten Holzstückes — Reigge͜l — in straffer Spannung erhalten.

Über Ladungen, die notwendig vor Nässe zu schützen sind, breitet sich das große, mit Wachs und Teer durchtränkte Segeltuch: die Plăhe. Wie dieser Fachausdruck sich in die Wortgruppe «flach», «Blachfeld» usw. einreiht, weist z. B. «des Regenbogen plahen thon», nach welchem «ein Lied von dem todt, wie er alle Stendt der Welt wegk nimpt,»96 gesungen werden soll. — Bei Nichtgebrauch verbringt der weit reisende Fuhrmann die Plahe in der Fuehrbähre,97 der Fuehrbänne98 oder dem Fuehr­chratte,99 der auch zwecks Bergung von Reiseproviant an Ketten unter dem Wagen hängt — spielenden Kindern gelegentlich ein bedenklicher Versteckplatz.100

Einigermaßen mit unserm Rückgrat zu vergleichen ist der die Vorder- und Hinterachse verbindende Spătt:101 das starke Tannenstück, das auch für sich allein, dem Stemmeisen ähnlich auf die Schulter gestützt, 348 zum Fortbringen eines stecken gebliebenen Wagens dienen kann. Daher spătte bildlich: mit Opfern und nachhaltiger Anstrengung einem aus schwieriger Lage helfen.102 Mit dem Spatt verbinden sich am Hinterwagen mittelst des Gretti-Nagels die beiden von der Hinterachse der zusammen­laufenden Flügel der Gretti (zu grĭ̦tte, spreizen). Ihnen entsprechen am Vorderwagen die Tiechse͜l­bäcklig, welche sich nach hinten mittelst des unter dem Spatt durch sich frei bewegenden Chaar- oder Rank-Schị̆t zu einem Dreieck abschließen. Nach vornen laufen sie zusammen in den verklammerten Ansatz der Deichsel oder Gabel, welche an neuern Wagen nach Belieben anzubringen sind. Über die Vorderachse legt sich, in gleicher Länge mit ihr, das Riesbrätt (-ïe-) als Träger des ebenso langen Hĕbli, welches seinerseits den Vorderteil der Wagenleitern (am Leiterwagen) stützt. Der bewegliche eiserne Hĕblis­nage͜l verbindet von oben herunter diese drei Querhölzer.

Für zwei- oder mehrspännigen Zug nun balanciert hinten an der Deichsel — Tiechsle — die an den Waagnage͜l gehängte Waag, an deren beide Chlö̆bli oder Wöögli die Tiere zue und von der Hand gespannt werden. Ein ebensolches Wöögli oder Chlöbli zwischen den beiden Stange der Gabel — Lande — bietet die Angriffspuntte für einspännigen Zug.

A d’Tiechsle choo103 heißt an einen Platz gestellt werden, wo es Bewährung der ganzen Leistungs­fähigkeit gilt («hic Rhodus, hic salta»). Dagegen us der Stange oder uber d’Stange schlaa104 = pflichtvergessen seinem Posten untreu werden; «nid guet tue». Einen Pflichterfüllung, Gehorsam und Ordnung lehren: i d’Stange steḷḷe.

Und nun kann das Aaspanne (nämlich der Zugkräfte an das Gefährt) vor sich gehen; bezw. das Zsäme­spanne (zweier oder mehrerer Zugkräfte), wie denn auch Kameraden oder Freundinnen (gleichsam sich selber) zsäme­spanne.105

Zugochsenpaare wurden ehedem auch hier, wie noch heute im Jura, tier­quälerischer­weise gejocht, doch in etwas milderer Weise: g’wä̆ttet. Ein solches G’wätt (Joch ohne Seitenstücke, bloß mit Einbuchtung für den Nacken, Abb. S. 349) wird noch da und dort als Zeuge alter Zeit aufbewahrt. Heute werden bloß Pferde und Kühe eingespannt, alle mittelst des (Roß- bezw. Chüe-) Chŏmet. Statt der Chomet (das Kummet) wird gleichbedeutend auch Gschi̦i̦r oder Chomet­gschiir gesagt.

349 Bilder: «Laß dem Mannli (als Pächter und Schuldner) den Kommet zwei Jahre, nachher wirf ihn übers Nest»106 (treibe ihn ab dem Hof). «Aus dem Kommet» kommen und «ab dem Angstkarren».107

Ab der Chomet-Rịịgle also, einem Holz mit Aufhängenägeln, nimmt der Fuhrmann das für Pferde geschlossen ovale, für Kühe unten mit Haken und Ring schließbare Geschirr und legt es dem Tier über den Hals. Vgl. (sich selber) der Chomet aalege = «sich ins Ehejoch spannen». Dä het ihm (sich) der Chomet aagleit, iez mues er zieh. Für sich allein gebraucht, bedeutet dagegen aalege nder aahäiche: die Zugstricke an die Haken der Wage hängen. — «Düecht es Michel, das Meitschi gefalle ihm, so kann man anhängen und luegen.»108

Altes Stiere-G’wätt (Joch).

’s Roß, d’Chue gschi̦i̦re oder aagschi̦i̦re wird spaßhaft übertragen: si an͜ders aagschi̦i̦re, d. h. sich umkleiden. Eine Sache «an͜ders aagschi̦i̦re»:109 «es anders anstellen». Zsäme gschi̦i̦re, mit öppere gschi̦i̦re: wie zwei Deichsel. pferde sich aneinander gewöhnen, sich vertragen. «Doch mi mueß si halt o lịịde, daß men öppe gschire cha.»110 «Herrje, wie wurd das zsäme gschi̦i̦re, hätt Chlaus das Lisi i sim Hus!»!111Uus­gschiire (ausschirren) heißt auch: sich gleichsam selber des Geschirrs entledigen, aus unerträglichem Joche sich losmachen112 und mit Auslösung bisher verhaltenen Grimms andere in Furcht setzen. Letzteres Moment für sich allein auffassend, sagt man: mit Eim uus­gschi̦i̦re, d. i. seinem Zorn Luft machen. — Doppeldeutig: wen i (spät abends mit Roß und Wagen) hei chume, so bruuchen i numen uha z’säge, de chunnt d’Frau schŏ cho uusgschi̦i̦re.

Geschirrteile: Von den Hörnere der beiden Chomet­schịter,113 die über den gepolsterten Chometring hinausragen, löst der Fuhrmann Reih um Reih: über den Rücken hin den Schwanz­riemme, über beide Seiten die breiten Sị̆te­bletter, woran die Zugstricke hängen, und die vom Rücken abwärts gehenden Verbindungsstücke: die Ru̦ggriemme. Dazu am Kummet des Vonderhand-Tieres: der Laufriemme (1791: «Leitriemen»)114 für das Rind, bezw. den Zügel für das Pferd. Dagegen heißt der Lederriemen, der beim Einspännig­fahren die Stange hält: die Strŭ̦ppe. Am Kummetscheit hängt ferner die Brustchötti, an welcher je ein Teil der vorn an der Deichsel hängenden 350 doppelten Uufhaḷt­chötti oder Uufhalte befestigt wird. Ein ähnlich dienendes Lederstück heißt die Hu̦ḷf.115

Am Hin͜dergschi̦i̦r des schweren Pferdekummets (1788: «Zwilchkommets»)116 früherer Zeiten waren noch bemerkbar: die großen messingenen Blatte,117 kurzerhand: ’s Mösch, welches beständiges Scheuern erforderte.118 Hierauf mag sich die bedrohliche Rede beziehen: Dir will i de ’s Mösch putze, dir!

Zur Ausstattung des leichten englischen Geschirrs gehören: der Zaum mit den von tierfreundlicher Seite scharf angefochtenen Scheuklappen — dem Schụ̈ụ̈ch­lädervor den Auge , das man bildlich auch einem befangenen Menschen beilegt.

Zum schweren Kummet für Lastpferde dagegen gehörte ehedem regelmäßig und ist noch heute an den Landfahrten der Burgdorfer Müller (wie an den Lastzügen der Stadt Bern) zu erblicken: ein von der rechten Seite des Deichselrosses «von der Hand» herunter­hängendes Dachsfell. Heute bloß noch eine unverstandene Zier, galt dies ehedem als Abwehr böser Geister auf der nicht vom Fuhrmann schützend gedeckten Seite.

Das durch des Pferdes Maul gezogene Gebiß (Bi̦i̦s, bei der Kuh allenfalls durch die Chlemm­haḷftere ersetzt), steht in Verbindung mit Zaum und Zügel. «Ich habe eine des Zaums entwöhnte Gemeinde.»119 Der Zaum a d’Wan͜d häiche: nicht mehr Kinder haben wollen.

Aufzäumen heißt zäume. Der Esel (oder «das Roß»120) bim Schwanz zäume, vgl. «uf der Chue rịte». «Wenn der Urgroßätti die Kuh beim Stiel gezäumt, so werde so fortgezäumt in der Familie.»121

 
1 Holder 1, 810 ff.   2 Käs. 35 und ö.   3 Müll. Hk. 64.   4 MW. 2J. 214.   5 Heiri 125.   6 Barthli 16.   7 Spinne 32.   8 Mutte 234.   9 UK. 171.   10 Schuldb. 43.   11 Käs. 336.   11a Vgl. schwz. Id. 3, 421.   12 EbM. 273.   13 So natürlich statt «verwahren» BwM. 149; Beitr. 371.   14 UK. 132.   15 AB. 2, 94.   16 AB. 1, 47.   17 UK. 131.   18 EbM. 277.   19 MW. 2J. 291.   20 Schuldb. 434.   21 AB. 2, 37.   22 Trub 29, 38.   23 AB. 2, 415.   24 MW. 2J. 136.   25 Holder 1, 399.   26 BSp. 101.   27 Bern. 2 l. 7.   28 Ger. Tw. (1790).   29 UK. 42.   30 Ott 1, 260.   31 GG. 3, 53.   32 Berner 2 l. 7; MW. 2J. 193; AB. 1, 121; Ball 38.   33 AB. 1, 121; Ball 38.   34 N’schwand. 17.   35 Käs. 195.   36 SchM. 1, 43.   37 GG. 2, 45.   38 UK. 142.   39 Ebd. (1850).   40 Geltst. 43, 258.   41 Dursli 207.   42 Schuldb. 261.   43 BwM. 172.   44 SchM. 1, 44.   45 SchM. 1, 48. und ö.   46 Geltst. 224.   47 Ammann JG. 11.   48 Dursli 207.   49 BwM. 146.   50 UK. 262 und ö.   51 Erbv. 23.   52 BwM. 146.   53 MW. Ws. 37.   54 Widm. 101.   55 Geltst. 258-261.   56 255.   57 262.   58 Schuldb. 382.   59 AB. 1, 293.   60 Ott 1, 18.   61 Ök. fol. 29, F. 20 (1827, Belp).   62 So daß er einem Dieb zum «Erbrechen» eines Vorlegeschlosses dienen konnte: Ger. Tw. (1792).   63 Ger. Tw. (1788).   64 Ztgst. 2, 217.   65 Wege 364.   66 EvE.   67 Amtsr. 123.   68 Dursli 244.   69 LZ. 1904, 136.   70 Schuldb. 30.   71 Barthli 48; Jakob 2, 133.   72 Amtsr. 116.   73 Ursp. spez. = ölen.   74 AB. 1, 11.   75 Ebd.   76 40, 44.   77 Geltst. 176.   78 Käs. 176.   79 Jakob 2, 90.   80 Michel 184.   81 Ebd. 210.   82 VII, 368.   83 Vgl. Land 16.   84 UP. 308.   85 BSp. 377.   86 Ger. Tw. (1790).   87 AB. 1, 157.   88 Geltst. 310.   89 SchM. 2, 345.   90 Ger. Tw. (1790).   91 Geltst. 21.   92 So lies statt «pannen» auch Wege 338.   93 Berner 2 l. 4.   94 Widm. 119.   95 SchM. 2, 108.   96 RMan.   97 MW. Anna 226.   98 Ebd. 225.   99 Rabeneltern 221.   100 MW. Anna 225.   101 Ger. Tw. (1790).   102 Sonnt. 109; Käs. 76.   103 Ztgst. 2, 11; AB. 1, 280.   104 Widm. 24.   105 MW. Ws. 72.   106 Schuldb. 102.   107 Ztgst. 1. 36.   108 Michel 183.   109 Widm. 131.   110 CRitter.   111 Ott 1, 26.   112 UK. 214.   113 AB. 1, 165.   114 Ger. Tw.   115 Ebd. (1791).   116 Ebd.   117 UP. 226.   118 GG. 2, 45.   119 An AB. 42.   120 Käs. 452.   121 Ebd. 333.  
 

Was das «Zithüsli» birgt.

So großen Raum in Leben und Sprache das Fahren beansprucht: das Wandern wird der Emmenthaler, der arme wie der reiche, nicht verlernen. Einen Unterschied macht bloß die Art des dritten Beins, das wir als Zier oder Hilfe zur Hand nehmen. Mit graziös geschwungenem Spazierstock stäcklet1 der eine durchs Talgelände dahin, indes der Träger wichtiger Angelegenheiten, mit Stock und Beinen ergiebig ausgreifend, wacker staabet. Seinen «Backel», dem Studenten abgesehen und abgelauscht, kann jener heute im ersten besten Schirmladen um ein 351 Weniges erstehen. Seinen Stäcke dagegen schnitzte sonst auch der habliche Bauer aus einem Dornstrauch oder Eichenstämmchen sich selber zurecht,2 und was dabei irgend ein rechtschaffenes Möbel heißen wollte, mußte einen bequem in die Hand passenden Bug, wohl gar mit Fistelpfeife zum Heranrufen des Hundes, aufweisen. Weit anspruchloser als solch ein Haagge­stäcke nahm sich der aus der nächsten Hecke geholte Haselzweig aus. Was der an Glätte missen ließ, holte er durch Hinausragen selbst über eine hohe Mannesschulter reichlich ein. «Einen halben Schuh» unter dem obern Ende angefaßt, gab er, Stütze und Wegweiser (Han͜d) in Einem, weit vorausgreifend Ziel und Richtung des Weges an. So marschierte der alte «Schulmeister»3 dem es werden sollenden voran, «stattlich und stolz»; so des Bauernhauses langjähriger Knecht dem jungen Meistersohn, schlau und treu zugleich.4

Allein noch andern Zwecken dient der Spazierstock — als verlängerter Arm zur Auslösung hoher seelischer Erregungen. Zum Zị̆thüṣli schreitet der Ammann, wie aus einer Donnerbüchse hergeschossen aus der Kirche, wo sein Felix jenes «Mündschi» gefordert hatte, und den dicksten Dornstock reißt er zur Hand.5 In stille Trauer dagegen sieht man versunken, nach der Beerdigung des edlen jungen Arztes, «manchen alten Ätti auf einem Steine sitzen, den langen Dornstock zwischen den Knien, und leise bewegen sich seine Lippen.»6 In Unmut hinwieder wirft dieser den Stecken,7 köpft jener Disteln. Herausfordernd aber steckt, wer die Verächtlich­machung einer Sache öffentlich kundgeben will, e Stäcke, es Stäckli, e Chnĕbe͜l derzue.8

Im Zị̆thụ̈sli also (wenn er nicht etwa an die Ofenecke anlehnt) hängt halb geborgen, halb frei der Stäcke, falls man solchen überhaupt des Aufbewahrens wert erachtet. Zu diesem Zweck ist die Vorderwand des besagten Häuschens nur auf halbe Höhe geführt, während sie sonst, gleich den Seitenbrettern, zu voller Höhe der Wanduhr hinaufreicht.

Neben den Spazierstöcken haben auch immer die Regenschirme Platz — vom modernsten halbseidenen Parademacher bis zum ausstellungs­würdigen Museumsstück. Ihrem zur Brautschau abreisenden Jakobli und seinem Begleiter Sami trägt Annebäbi9 «einen alten Parisoḷ» nach, «vo wege, es könnte heute cho regne.» Die Eleganz eines solchen «Regendach» (wie man um Biel) oder einfach «Dach» (wie man im Entlebuch sagt) sticht seltsam genug ab von der dem franz. «Sonnenschirm» (para-sol) entlehnten Bezeichnung Parisóoḷ oder Párisooḷ. Da mit derselben 352 sowohl dem modernen eleganten Regenschirm als auch dem wirklichen Sonnenablenker der gebührende Name vorweg genommen ist, greift unsere auf dem Französeln beharrende Sprache zu drei Auskunfts­mitteln. Wo uns der einfache (Regen-) Schirm zu wenig vornehm erscheint, muß er «para-pluie» oder vielmehr und richtiger Bárḁplü̦ụ̈, Bárḁblụ̈ụ̈ heißen. Gilt es dann, das Sonnenschirmchen in städtischer Damenhand zu benennen, so wird aus ihm der Sunne­baraplụ̈ụ̈, oder das noch wunderbarere Sunne­parisööli, Sunnepari­sọ̈ọ̈ḷḷeli. Letzteres auf Grund des Parisọ̈ọ̈li10 oder sịdige Sunne­schirmli,11 mit welchem «z’Bärn i de Laube umez’laufe»12 zu den Zukunftsträumen gewisser Landtöchter mitgehört. — Ein burschikoses Hybridum ist Párischirm.

Und nun der Hauptinhalt des Zị̆thụ̈sli selber, von diesem sowohl gegen Verstaubung als gegen Störung der Schlag- und Zuggewichte durch Kinder geschützt: das Zị̆t.

So heißt, im Gegensatze zum kostbaren Regulator oder der altberühmten Sumiswalder-Uhr (vgl. S. 154), die in der Wohnstube hängende gewöhnliche Wanduhr: das Stubezit («Stubenzeit»).13 Meist ist es die bekannte Schwarzwälder-Uhr; selten nur noch erblickt man das vorzügliche höḷzige Zịt, dessen aus «ersticktem» Buchenholz gefertigte Räder ohne jegliche Kompensations-Einrichtung einen zuverlässig gleichmäßigen Gang bewirken. So figuriert im Inventar von 1776 «1 altes hölzernes Zeit».14

Zịt heißt ebenso die Turmuhr, bezüglich deren in der Kirchenrechnung von 1657 15 ein Posten lautet: «Den Zit man von Langnouw daß Ein gemein Erkant hat daß Zit zu färben und vß zu butzen das cost VI(Kronen) [und] Dinkell 1 müt.»

Dä g’seht no i’s groß Zit ihe! Der hat einen weiten und unbefangenen Blick gleichsam in «die große Weltenuhr», ins Weltgetriebe; er duchschaut Sachen und Personen. Umgekehrt fehlt solch ein heller und ungewollt leitender Kopf in einer hinter den Anforderungen der Gegenwart zurückbleibenden Ortschaft: si hei dert Keinen, wo ’s Zit uufzieht. Ein politisches Gedicht von Schlosser Wiedmer überschreibt sich: «Die schweizerische Uhr, oder d’s groß Zyt. 1847.»16 Dieses bedurfte, meint der Verfasser, beständiger Nachhilfe, während ein gut geregelter Haushalt und Geschäftsgang jeglicher Art ohne merkbares Meistern17 lauft wi n es Zit. «So eine Hausfrau ist in einem Bauernwesen das Hauszeit, die Hausuhr; sie ordnet die Zeit durch die verschiedenen 353 Mahlzeiten.»18 Ein so geartetes Mueterli hört, leisen Schlafs und feinen Ohres, selbst von zehn bis fünf die Uhr viertle («vierteln»,19 die Viertelstunden schlagen). Gleichwohl kündet die Ruhe des Tagesgeschäfts keine Unruhe der Nacht. Denn «das Redewerk schnurren zu lassen»20 hat da Sorgenmütterchen nicht Zeit, noch wohnt ihm gar etwa die Gemütsart inne, daß es als Schlach­wärch einem launenhaft ausschlagenden Pferde gliche. In etwas derber Sprache zwar, aber in allezeit liebevoller Weise wird bereits in der Morgenfrühe eins der Kleinen nach dem andern in Behandlung genommen: «Chu̦m, so chan i der ’s̆ Zị̆ferblatt (das Gesicht) wäsche! So geht es den ganzen Tag in ruhiger und sicherer Überschau und Beherrschung des Pflichtenkreises fort, nie den Kopf verlierend oder gar überschnappend wie einer oder eine, wo n es Redli z’viil im Chopf het21

Sonnenuhr.

Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch das Sunnezit: die Sonnenuhr, wie z. B. der originelle Haueter Ueli in Waldhaus deren eine (die hieneben abgebildete) auf einem Holzhaus am Dorfwege anbrachte.

Wir sagen also konform dem Schrift­deutschen die Zị̆t = die Zeit, während die Pendeluhr das Zị̆t benannt wird. In dieser Weise hat sich die Doppel­geschlechtigkeit des ahd. zît, wie sie noch im ältern Nhd. üblich war (vgl. aus der Berner Tauf-Liturgie von 1528: «alle bschwärde vnnd arbeit dieses Zyts»22) schroff differenziert — nicht ohne sichtbare Übergänge. Noch gemahnt einerseits «das Hochzit» (als Trauungsfeier und als zu trauendes Paar) an mhd. «das» oder «die» hôchzît (Fest jeder Art), wie man auch «eines zîtes» (soviel wie «einst») sagen und das Wetter «das zît»23 nennen konnte. Anderseits erinnert die Wendung du hest Zit g’haa! iez hest Zit! (d. i. hohe Zeit, höchste Zeit, «die zwölfte Stunde») an den Unterschied von Zeitdauer und Zeitpunkt, welchen andere Sprachen mit verschiedenen Wörtern bezeichnen.24 354 Praktisch ausgiebig wandte man dies im Mittelalter auf die kirchlichen Gebetsstunden: die «Horen» an, welches griechische Wort durch «Zeit» zu ersetzen versucht wurde: «Von zwölffen biß vff die sechßten zyt.»25 Das Wort erlosch allmählich in diesem Sinn, erhielt sich aber um so fester in der Übertragung auf das Instrument, den Zeitmesser, der diese «Horen» anschaulich darstellt. Deutlich ersehen wir dies aus der mundartlich geformten Frage nach der Tagesstunde: was isch’s̆ für Zit? oder: wi mäṇ’gs isch’s̆? wi mäṇ’gs hei mer ächt? und aus der Antwort darauf: Es ist eis; es ist haḷbi zweu (1½ Uhr); e Viertel ab drụ̈ụ̈ (3¼ Uhr), zä̆he Minute ab vieri (4.10); es ist drei Vierte͜l u̦f feufi oder e Vierte͜l vor de feufe (4¾ Uhr); zä̆he Minute vor de sächse oder zä̆he Minute min͜der weder sächsi (5.50). Es het englefi26 (11 Uhr) gschlăge. Grad iez het’s eis gschlăge! antwortete mit gutem Erfolg ein sonst sehr sanftmütiger Lehrer unter Applizierung einer Maulschelle einem «Schmingge͜l», der den ersehnten Schulschluß durch klirrendes Hervorziehen der Uhr und protziges «Schulmeister, wi mäng’s isch’s̆» herbeizuführen versucht hatte.

Wie sticht von der Genauigkeit und Promptheit solcher Antworten eine andere ab, die etwa auf die Frage «wenn chunnst hei?» erfolgt: Bi de zäächne; öppen eso bi de zäächnen ume! oder der gelassene Sarkasmus bei notdürftigem Gutmachen eines Schadens, Herstellen einer Ordnung u. dgl.: So, iez het es ’s de wider vo den Englefe bis z’Mittag.27

Es konkurrieren also in unserer Zeitabmessung die von eins die zwölf gezählten, meist oberflächlich und flüchtig in der Rechnung (im Kopf) behaltenen, im Notfall der Glocke28 abgehörten Stunden mit den auf das Zifferblatt hingemalten Zahlen: diesem Zweu (II), diesem Feufi (V). Daher dort die Mehrzahl,29 hier die sächliche Einzahl.

Solchem Zuge folgend, ging sogar das aus «hora» verdeutschte «Uhr» aus der plastischen Mehrzahl in die formelhaft versteinerte Einzahl über. Ganz wie franz. «après les neuf heures»29a heißt es 1792 in den Trachselwalder Gerichtsakten «nach 9. Uhren», im Jahr darauf dagegen: «nach 9 Uhr».30 Auch diese letztere Redeweise hat aber die Mundart vergessen oder vielleicht gar nie geübt. Sie ging bald oder gleich zu derjenigen Bedeutung des Wortes über, für welche die Erfinder 355 des Taschen-Zeitmessers den eigenen Ausdruck «montre» geprägt haben. Zu solch anschaulichen «Weisen» der Stunde behufs gedeihlichen Zeitauskaufs genügte dem gemeinen Mann «eine messingene Sackuhr»,31 wie etwa dem Statthalter eine silberne32 — beide von einer Gestalt und Größe, die ihnen heute Übernamen wie Bräter,33 Zĭ̦bele (Zwiebel), Rüebe, möschigi Rüebe u. dgl. eintragen würde. Keiner trug eben eine Uhr auf sich, er hatte sie denn nötig, und — er hatte sie selber verdient; der Güterbube z. B. damit, daß er nach treuem Aushalten bei ein und demselben Meister noch ein Jahr nach Schulaustritt bei ihm sich völlig in die Landwirtschaft einlebte.34 Da war aber auch das Verberben einer Uhr ein so sehr zu Herzen gehender Verlust, wie etwa in einem Kampfspiel (z. B. Schwingen) oder Glücksspiel das Besiegtwerden durch den Gegner. Nicht umsonst heißt es noch zur Stunde, man habe einen derart Überwundenen versack­uhret.

Sackuhr («Taschenuhr») nannte also noch unsere ältere Generation den im Gewande nachtragbaren Stundenmesser im Gegensatze zur daheim hängenden oder stehenden Wand- oder Stockuhr. Die Massen­fabrikation aber, die wohl das Äußere der Uhr kleiner und zierlicher gestaltete, den innern Wert dagegen bis zu dem eines Stummli (Uhr ohne Räderwerk, als Kinderspielzeug) hinuntersinken ließ, vulgarisierte die Sache und den Namen derart, daß heute auch jedes Hinausgehen über das zweilautige «Uhr» als albern altväterische Umständlichkeit erschiene. Auch das kindliche «Dummtun» mit einer geschenkten Uhr35 ist selten mehr die naive Freude an einem wirklich wertvollen Eigentum. Vielmehr kann noch die Zeit kommen, wo an den Besitzer einer guḷdige Repidier-Uhr der halbwüchsige Träger einer Scheinuhr oder auch nur eines Schue͜ltrucke­schlüsseli a mene sächschrụ̈tzerige Chötteli sich burschikos kollegialisch heranmacht: Zeig, was het dịs Münster? Wi viiḷ uhret’s? Wi viiḷ zĭ̦belet’s?

 
1 Herdenr. 2, 4.   2 OB. 1903, 4, 27.   3 1, 143   4 AB. 1, 198. 278.   5 Käs. 428; vgl. Michel 164.   6 AB. 2, 497.   7 GG. 3, 53.   8 Land 13 und ö.   9 1, 198.   10 MW. Anna 194; Kongreß 156.   11 Lischeb. 17.   12 Ebd.   13 Ger. Tw. (1789).   14 Bifang.   15 Ebd.   16 Widm. 125-8.   17 UK. 295.   18 Land 30.   19 Geltst. 311.   20 Käthi 52 Hs.   21 MW. Ws. 99.   22 Taufb. 21.   23 Wie le temps.   24 Vgl. frz. c’est le moment! oder griechisch chronos = Zeit, kairos = der angezeigte, der günstige Zeitpunkt.   25 RMan.   26 Aus eindlifi, alt: einlif.   27 Man muß hierbei wissen, daß nach altem Brauch auf elf Uhr das Mittagessen fällt.   28 Vgl. die engl. Stundenangaben: twelve o’ clock und dgl.   29 Vgl. ital. sono le due, le cinque.   29a Vgl. Vers les une heure und dgl.   30 Wie sechs «Pfund» Fleisch, drei «Mann» hoch und dgl.   31 Ger. Tw. (1793).   32 Ebd.   33 Käs. 6 und ö.   34 BSp. 180.   35 Bitzius 1, 245 («die neue Turmuhr»).  
 

Gewand.

Gespinnst.

A

 

m schönen Sonntag nachmittag vor Heuet-Anfang fährt auf gefällig schlichtem Bärnerwägeli Christen, der geweckte und behäbige Bänze̥be̥rg-Puur mit Rosetti, seiner jugendlich muntern Frau da us de Dörferen uehe (aus dem Oberaargau). Hinter ihnen sitzen, zum Mitfahren unterwegs eingeladen, auf aufgeschnalltem Lădli die allzeit redebereite Kleinbäuerin Annebäbi und das bescheiden wackere, blutarme Großmütterchen Käthi. Auf die baldige schwere Arbeit hin geschont, trottet das schon ältere Pferd nach freiem Belieben gegen die Talmühle. Die acht Augen haben daher Zeit, sich die im alten Emmen-Schwemmland1 so prächtig gedeihenden Gespinnst- (Gspünst-2) Pflanzungen mit gewohnt kritischer Tendenz anzusehen.

«Ist dä Flachs da nid dị̆ner?» fragt Käthi. «Er tüecht mi gar bsun͜derbar schöner; no ke Bluest u scho an͜derhaḷb Eḷḷ höch!»3

«Ho», entgegnet Annebäbi, «’s ist sị nüüt z’rüemme, für wi der Hansli im Herbst dem Blätz bim Umefahre mit Mist het müeßen un͜dere fụ̈ụ̈re, un i ne säl͜ber no grăd vor em Sääjje ‹’beimählet› haa.»

«He lueg», wendet sich Rosetti mit schelmischem Anflug um, «da die Bụ̈ụ̈nne g’seht emẹl leider (geringer) uus, weder dị Flachs­blätz

AB.: He jja, säḷb schoo! mịner n ist gottlob no chlii schöner.

Christen: Un eme̥l großer gnueg.

AB.: Nid für dás! (zugegeben). Aber das het e Chääreten (langwierige Zänkelei) abg’setzt, gäb (bevor) i ne gha haa. Der Hänse͜l, dä Stopfi, het mer gäng nume so n es Zöpfeli weḷḷe gää, u d’Bschütti vor em Hacke han ig ihm fast müeße abstähle.4 Das ist daheimen an͜ders 357 gsịị, wo n ig aḷs Meitli (Tochter) mi eigeni Flachsere gha haa, un aḷbe d’Lüt z’Dotzend wi̦i̦s dervor sị stiḷḷ gstan͜de! I ha’s vo wị̆tem wohḷ g’seh, wi dem Bụụchi­hụ̈sli- u dem Spinner-Püürli ihrer Buebe d’Chöpf zsämeg’streckt hei und de gägen üsem Huus ubere ’dụ̈̆tet und zo n an͜dere gseit: Jä gäḷḷ, die dert versteit ’s Flachsen us dem Fundḁmänt! Aber i ha bịị mme̥r sälber ’täicht: dir zwee cheut mir chụ̈̆derle!

Ch.: Aber worum hest de so n e Stopfi gnoo, wi d’ vorhin g’seit hest?

R. (mit Seitenblick): Emẹl mir g’faḷḷt di Maa, u das de no schröckeli guet, wenn er aḷbe so g’strackter da steit wi n e Hawße̥t- (Hanfsaat-) Stänge͜l im Augste, we d’Spatzge drŭ̦ff absteḷḷe.

AB.: Säg dŭ̦ lieber: wi im Herbstmŏnḁt, we ne der Luft schüttlet wi n e Bueb, wo me̥ bim Tschụ̆pp nimmt.

Ch.: Du wirst di wohḷ da drụụf verstaa! I glauben, er gu̦nder­bieri (gehorche) de̥r no stịịff (ordentlich).

AB.: He jaa, wen er mues, wohḷ. Wen ig ihm aḷben e chlii d’Sach g’seit haa, de chan er de da staa, wi wen e̥s i̦s (uns) i̦ ’s Wärch (den Hanf) g’hăglet hätt.

Ch.: Säg du n ihm numen aḷbe, gäb er nid wü̦̆s (wisse), wi schön ’s Chorn (der Dinkel) na’m Flachs chööm.5

K.: U bsun͜ders̆ na de Härdöpfle, wo der Bode so schön sụ̆fer putze.6

R.: I sieg ihm, ’s Gspünnst gääb i mene gute Flachsjahr meh uus, weder d’Säu.7

AB.: A bá, das versteit är drum niid!

Ch.: So frag ne doch, wi de̥r (ihr) der Zeis wettit mache (herausschlagen und entrichten), wo der (als Last auf euch) haa müeßit.8

K. (für sich): Oder wo n i dem Grotzepuur mues gää.

R.: Oder säg ihm, was är vertụ́backi, gääb scho drụ̈ Maḷ d’Chösten ume.

AB.: Settigs b’richt du̦ n e̥! I̦i̦ für mi̦i̦ wett lieber i n e chal̥ten Ofen ĭ̦he blaase.

Ch.: Ha ha ha! oder Flachs­saamme us ere Harzpfannen use lä̆se.9 Aber wenn dir me̥r chönntit sä̆ge, wäm das chlịịnne versteckte Blätzeli dert g’hört? Wi n e Säublueme-Pöschsch, wo ue eme Schü̦̆be͜l Tschŭ̦mi-Gras use luegt!

R.: U scho g’stäcklet!10 (Der Flachs wird mittelst 80 cm hoher Flachs­stäckli und dazwischen in Reihen und uber’s̆ Chrụ̈z gespannter 358 Fäden, dem aus minderwertigem Hanf gesponnenen Flachs­stäckli­garn, vor Lagerung und Fäulnis geschützt.) Nei, lueg men oo! — Und üser no nid emaḷ gjätte! Es macht mer scho ieze Himmelangst dervor, wi das ume gaa wirt.

Ch.: He wie öppe! ’s Trini, das Taascheli, wird ume brav druff ume bääre un ne n aḷḷe z’lịịbermänts vertaasche, das er vor vierzähe Tăge nid umen uufsteit.

AB.: He, der ganz Tag gäng nume der Chrump mache (sich bücken) cha men ó niid; das ist doch vil zo n e gnietigi Aarbĭ̦t.

R.: Das méinen i o niid. Es cha de miraa (meinethalb) dä ’zü̦pfet Strauring o wider haa für dru̦ffe z’chneule oder z’hocke oder z’gruppe (kauern). Wenn ig ihm nume (nur) nid ume (wieder) drŭ̦ber ịị choo mues, das e̥s ob em Jätte schlaaft!11 — U we me de nume no d’Flachsere-Rüebli zịtlig cha sääjje (gelbe Rüben als Nachfrucht der Flachspflanzung bei Zeiten säen)!

Ch.: Aber iez heit der mer ’s̆ Troom verloore! I ha weiḷḷe wüsse, wäm das Flachs­blätzeli dert ghööri!

R.: Isch’s öppe dịịs, Käthi? Du hest neue da so g’schämig vorăhe g’luegt, wo me’s g’rüehmt het, fast gar, wi n es jungs Meitschi...

Ch.: Säg’s Käthi, isch es dịner?

K.: He jja, es sött mine sịị. Weder öppe grad viiḷ z’rüemmen isch es o nid, ha de scho...

R.: Ja ja, du Häxemeistere, i ha’s wohl ’täicht! Zo dir chumen i no cho lehre, wenn i scho Püüri heiße! I welchem Zeiche hest eigetlig gsääjt, u was für n es Gsätzli heit de̥ derzue g’mü̦̆melet?

K.: Ach, i weiß wääger, wääger nüüt anders̆. I ha...

R.: Säg mer: hest der Flachs o scho i d’Winter­füechti gsääjt?

K.: He frị̆li!

AB.: U d’Hawßet?

Ch.: He däich wi d’Oberländer: i der Hŏwŭ̦che12 (Karwoche), wiḷ’s denn (alors) gärn rägni.

K.: Vo däm han i neue nie nüüt ghört. Mi het süst gäng gseit, mi sääj ’s Wärch (Werg = Hanf), we ’s buechig Laub tüej ụụstrịịbe.13

Ch.: Aḷso im Aafang Meije. Aber ieze, Frau, la mer das Fraueli brichte u red ihm nid gäng drịị! Säg, Käthi, wi nimmsch es fü̦ü̦r (wie stellst du ’s an)?

K.: He ganz wi an͜der Lüt. I...

R.: Für’s̆ Wärch u für e Flachs gli̦i̦ch?

359 K.: He jja. We mer der Huspuur g’fahre het, so hacken i schön teuff z’Bŏde. Dernaa tuen i chärstle u derbii, was mị aḷte Rüggen erlịịde maa, würzle u steine (alle Unkraut­würzelchen und Steine weglesen). De chärstlen i’s no einist u lĭ̦se gäng u gäng uuf, was obefü̦ü̦r chunnt, bis dass der Plätz ganz sụ̆fer ist un es de nume no weeneli Hüenner­tarm14 u Chneuele15 u Mäḷbele16 u Gluure17 u Säubluemme18 git z’jätte.

AB.: I säge däm: ablä̆se.

K.: De nimen i de der Schärhụụffe­räche...

AB.: Der Riedräche, wost säge...

Ch.: Jez, Annebäbi, la mer das Fraueli ó einist e chlii rede!

K: ... der Riedräche, u tue dermit bschlaa (die Schollen — Chnoḷḷe — zerschlagen), bis der Härd schön rein (fein zerkrümmelt) ist...

AB. (für sich): Das wird aḷbe sụụse!

Ch.: Annebäbi!

K.: ... u lise halt derbii gäng, gäng umen uuf, was si̦ öppe no fü̦re laat.

R.: Aber iez, wie chunnt o das: mir errünnt es gäng so unglịịchlig!

AB.: «Ungliichlig» — unglịịchsam het aḷbe mịs Müeti gseit. Gäll: hie ne Dickete u dert e Dünnete!

Ch.: Ja ja, Frau! a teeḷnen (einzelnen) Orte g’seht’s aḷben uus, wie we d’ Müüs am Saamme g’chä̆flet hätti, oder wi wenn d’Chrääjjen oder d’Tụụbe derhin͜der gsi wäri. We’s Salat wär, mi sieg, er weḷḷ furt (wie die zum Herbstfluge sich zusammen­scharenden Zugvögel).19

R. (flüstert lachend: Wi färn dị Roggen im Fuchsacher oben uusg’seh hett, gäḷḷ! (Laut): Die Bụ̈ụ̈nne­posterli...

AB.: Aha, di Bụ̈ụ̈nne­g’schụ̈ụ̈cher,20 hä hä!

R.: ... si haḷt nụ̈ụ̈t wärt gsii, wo der Sä̆me͜l het uufg’macht, we scho d’Bäsestĭ̦le fast an-an͜deren aa g’reckt hei.

Ch.: Derfür isch es de a mäṇgem Ort grăge͜ldick cho z’schieße, wi d’Wiiber z’Bärn am Zị̆belemäärit.

R. (halblaut): Oder wi d’Zystig-Pure (die an keinem Dienstags-Wochenmarkt in Bern fehlenden Bauern) aḷbe bim Säubänz. (Nach einer Weile auflachend): Das ist iezen e Stiḷḷi gsii! Da hätt men o chönne säge: Jez wär es guet Flachs z’sääjje!

360 K.: Hest öppen o d’Härdflöh drinne ghaa?

Ch.: Worinne meinst?

AB.: He däich im Flachs, du Stu̦u̦ — du bist doch o Einer! I ha se färn o dinne ghaa, di Ssacker­mänte, die Ssĭ̦besieche, die tuusigs Dĭ̦sen un Äine, u si hei mer der Flachs Rụ̈̆bis u Stụ̈̆bis aḷḷe gfrässe.

Ch.: Da treit ’s Fluehe nüüt ab. Säg du, Käthi, was machst du für (gegen) söttigi Viiher?

K.: Ach, was wett i mache! Öppe der Flachs rächt früeh sääjje u brav trịịbe, dass er dene Tierlinen us de Zän͜de wachst. Oder de erst sääjje, we si fü̦ü̦r sii (wenn ihre Zeit vorüber ist). I äim (jenem) Faaḷ wirt der Flachs de lenger, aber grö̆ber; sääjt me ne spaat, so wirt er chürzer, aber derfü̦ü̦ir de fiiner.21

Ch.: Weist, was di Aḷten no für n es Mitteli ersinnet hei?

K.: Neei.

Ch.: Si hei Waḷdchlammere (große Waldameisen) mit sante (samt den) Hüüffen i Flachs ihe gsääjt.22

K.: Eh aber, wa dụ́ nid seist! Nneei, llueg men oo!

AB.: Ahaa, die hei de mit Schịịn söḷḷe d’Härdflöh fresse.

Ch.: Wirt si̦ von ihm sälber verstaa.

R.: I ha bis ieze nüüt Bessers̆ gwüßt weder Äsche un Je̥bs (Gyps). Aber mir verlüüre gäng aḷben einist (je und je wieder) ’s Troom. Wettist mer nid säge, wi me ’s mache mues, das der Saamme schön glịịchlig chunnt?

K.: He, mis Müeti het aḷbe gseit, der Saamme sött esó dick am Bode lige, dass, we men es nasses Fingerbeeri dri stecki, sĭ̦be Chörndli dranne hangi. Aber iez mues i da rächts aab; i wott da grad äbe no das Pünteli Flachssaamme dem Waḷki-Vreeni bringe. Es het glaub sinen scho aḷḷe ’brụụcht (aufgebraucht) für Flachs­saamme­schlịịmm, wo der Zinge͜l eso die stiḷḷi Füḷḷi gha het.

AB.: U däich öppen o no für Flachs­saammebrịị (zu Kataplasmen), wo sị Bueb dä böös Finger gha hett.

K.: Jetze sött es no chli gää z’trücke (pressen lassen) für i d’Staḷ­latärne, un öppe für i d’s Nacht­liechtli, u vo mịm Saamme sig’s Ööḷ aḷbe fast gar so guet wie aḷbe von ihrem Lewat. I weiß ’s neue ni̦i̦d. Aber ieze bhüet ech der lieb Gott, u zürnit nüüt!

R.: I wüßt nit für was, im Gägeteel.

Ch.: Ja ja, un am Lehrlöhndli söḷḷ ’s ó nid fähle! We de na’m Ahetrösche (nach Beendigung des Dreschens) üse Sami stocket (Tannen­wurzelstöcke 361 ausgräbt) für Bräch­hüttehoḷz, so chann er de grad es băr schöni spẹltigi Bitze verschị̆te u Nigge͜l drụs mache, wi si da hin͜der Sumiswald äne säge, u de̥r s̆e vor ’s̆ Hüsli füehre.

K.: Eh aber neei, neei doch oo! Aber es isch gwü̦nd, gwü̦nd (verschleiertes «gewiß») rächt uverschant’s vo mme̥r...

Ch.: Hu̦u̦, Chrü̦̆gi, hu̦u̦, wart no chlịị! (Ist beim Absteigen behülflich.) Lueg da, vergĭ̦s dịs Pünteli nid! Adie!

K.: He nu, so vergäḷt ech ’s der lieb Gott fei z’tụ̆sig hundert Măle für Zịt un Ewigkeit, un i wünsche, dass der nüüt di̦ßt min͜der heigit.

Ch.: Hụ̈ụ̈, Chrü̦̆gi!

R.: Er chönnt ’s iez sawft (wohl) no chlii la zieh (ausgiebiger traben). Säg’s de, we d’ ab witt, Annebäbi!

Ch. (bei einer sanften Steigung): Ja ja, es schịịnt, di Aḷte heigi sị uf’s Gspünnst verstan͜de! Der Neuhus-Hans, wo z’Frauefäḷd23 i dene Sache (als Kommissär) het müeße derbii sii, het si z’Bärn i dene Handschrifte vo der ökonomische G’seḷḷschḁft e chlii umg’seh u da ganz nätti Sache fü̦re ’bracht. Zom Bịịspi̦i̦l ist er druf choo, wi scho die aḷte Kyburger Here...

R.: Aha, wo z’Burtlef nide gsi sii, u wo d’ mer der letzt Winter im Dändliker von ne vorgläse hest?...

Ch. (nickt): ... vo ĭ̦hrne Lähelụ̈te heigi Flachs­saamme u li̦nigs Tuech ịịzŏge.24 Wi du spẹẹter Eriswil der Aafang i der große Liinwandwäberei g’macht heig,25 u wi vo da uus e große Wohḷstand i ’s ganz Ämmethaḷ choo siig, bis die änglischi Máschine-Bauele (Bauwolle) ’s ganz Zụ̈ụ̈g verchrottet u verplitzget heig.26

R. (leise): ’E ’e! Was hest vori dem Annebäbi g’seit?

Ch.: He nu, mi seit emel oo! Di Ökonomischi het si gäng umen an͜ders̆ Müej ggää, der Sach uufz’häḷffe, u het vo 1764 aa e Huuffe Brịịsen uusgsetzt u ’zahḷt. U da het me gfun͜de, dass di aḷḷerimeiste Brịịsen i ụ̈sers̆ Amt (den Bezirk Trachselwald) cho sii. Im Jahr 1828 nid weniger weder 75 vo im Ganze 105. Denn (damals) het es si gfragt, wär am meiste Flachs baui, u da sii un͜der de Bremierten emel o n e Wittwe Geißbühler i der Farb gsii, un e Brunner i der Müligaß, un en Oberli z’Rawfli, un en Iseli im Pfaffebode. Sogar der Pfaarer Wagner z’Trachse͜l(wald) heig scho 1779 e Brịịs ’zoge, u d’Frau Pfaarer Lupichi z’Sumiswaḷd Anno 1766 — im glịịhe Jahr, wo n e Verena Tälebach z’Rawfli u der Hans Meister im Eige.27 Sĭ̦derbar 362 het der «Schwị̆zer-Pụ̆ụ̆r»28 gäng o sụ̈ụ̈ferli dranne g’stụ̈pft u gseit, ụ̈sers̆ Gspünst haḷti’s drụ̈ụ̈ bis vier Maḷ lenger weder das frönde Züüg.

R.: Ach, was wott me! D’Lüt hei’s gäng wie gäng! Si löö di hiesige Hantwe̥rchslụ̈t mit ĭ̦hrer solide Waar um ĭ̦hrer ehrligen Arbeit im Stiich u lauffen anne vorbii «de billige Läde» naa, wo sie Hude͜lwaar...

AB. (im Halbschlaf): Ja, aber we men e chlịị vi̦i̦ḷ zsäme nimmt, so git’s eme͜l do de gäng es Chacheli Ggaffee un es batzigs Mü̦tschli. Öppis so het üser ein o nid aḷḷ Tag...

R.: Ja ja, mit Schịggeree (Cichorien) u Chnopfmähḷ hụụse mir haḷt e chlii an͜ders̆. Nid eso wi gwüssi Wiiber, wo Cḥuder i d’Ri̦i̦ste tüe, we si mit z’Määrit göö.29 (AB. schaut seitwärts.)

Ch.: Sig das iez wi ’s weḷḷ, eme͜l d’Lützeflüejjer hei gäng no öppis uf em Säḷber­g’spunnigen. Lụt dem Kări hei si Anno Nụ̈ụ̈nzgi (1890) o no 340 Are Wärch u 250 Are Flachs ’pflanzet, un Anno Feufenụ̈ụ̈nzgi (1895) sogar 500 vo äir Gattig u 490 diser Gattig.

R.: Gäḷḷ, Annebäbi, das tuet di schröckeli interässiere, oder wie du aḷbe seist: trässiere.

Ch.: Ja ja, es het ja vor Erstụụne ’s Mụụl offen u d’Auge zue.

*  *  *

Weit der ga Wärch zieh? fragt spöttisch der Bauer Arbeitsleute, die das nötige Ackergerät —, fragt der Lehrer Vergeßliche, die ihre Schulsachen nicht mitgebracht haben. Denn zum Ausziehen des Hanfes bedarf es keiner weitern Ausstattung als etwa es aḷts Uberhemmli zur Abwehr des die Wäsche arg befleckenden Blütenstaubs. Es sind nämlich meistenteils die männlichen Pflanzen, welche im August behufs Ausbeutung des Bastes ausgezogen werden, damit man den so reich gedüngten Boden für eine Nachfrucht — z. B. Hanfrüben — bestellen könne. Und zwar wird der Hanf derart gezogen, daß zuerst, in Armshöhe büschelweise ergriffen, ’s lengeren obenab gerafft wird. Der Rest sodann — ’s churze oder d’Stü̦mplete — gibt, nach beliebtem Scherz, «Chinds­hemmeli» oder «Spreuer­seck». Als ringsum gehende Einfassung dagegen werden die schönsten Hawßet­stänge͜l — eben als «Hanfsaat» — bis zur Samenreife stehen gelassen. Mit merkwürdiger Namens­vertauschung heißen diese weiblichen Samenstengel (wegen des Eindrucks ihrer übermannshohen Größe und strotzenden Saftfülle?) auch Mä̆sche͜l (lat. masculus = männlich), die sämtlichen für Bastgewinnung im August gezogenen Stengel dagegen Fĭ̦mele (lat. femella = weiblich). Bast läßt sich natürlich auch ab dem 363 Mäschel nachträglich (nach der Brächete) mit der Hand ablösen: reite.30 Er dient aber bloß für bessere Seilerware (vgl. den rohen Ausdruck über einen Erdrosselten: «er ist im Hanf erstickt»31), oder für Peitschen u. dgl. — Mit dem Flachse macht man kürzeren Prozeß. Es würde auch bei ihm ein Ausscheiden für Bast- und für Samen-Gewinnung sich lohnen: die gleich nach der stärksten Blüte gezogenen schönsten Baststengel zeichnen sich durch seidenartige Feinheit und zugleich größte Solidität des Gewebes aus.32 Gleichwohl gibt’s nur ein einmaliges Flachszieh gegen Ende Juli. Handvoll (Hampfele) um Handvoll von beiderlei Gespinnst wird nach dem Ausraufen von der anhaftenden Scholle befreit — ụụs­gschlăge — und bildet, kreuzweis gelegt, eine Bụrdi. Bürde um Bürde wird auf die Spreiti:33 eine frisch gemähte Wiese, getragen und dort ausgebreitet: g’spreitet.

Beim Flachs geschieht dies jedoch vorläufig bloß zwecks Ausreifen der Samenkapseln Chöḷbli —, welches aber früher auch durch Aufhängen unter schützendem Dachvorsprung erreicht wurde. Der von den Luftwellen weithin getragene ölige Duft gehörte mit zur Charakteristik der Flachsbau-Gegenden.34

Bei schlechter Witterung werden die reifen Kapseln geerntet: In einem Schopf oder Tenn steht auf einem Balken die holzkammähnliche Flachsrä̆ffle aufgepflanzt. Ihre lang und schmal ins Freie starrenden Zähne erinnern an diejenigen eines ebenfalls (Flachs-) Räffle oder aber der Rĭ̦fe͜l, das Rĭ̦feli benannten großen oder kleinen Weibsbildes, das allezeit zum Keifen aufgelegt ist. Auf diesem «sinnigen» Instrument geht also das Flachs räffle,35 Flachs abzieh, Chöḷbli streipfe vor sich. Die oft noch zähe haftenden Kapseln sind nur durch energisches Schlagen und Streifen durch die Riffel ab z’bringe; daher auch etwa für Prügeln der Ausdruck: Einen (so recht vaterländisch36) abflachse.37

Nun teilt der geriffelte Flachs vollkommen das Schichal seines Bruders: des Hanfes. Behufs allmählicher Loslösung des Bastes — das Lĭ̦nti38 genannt vom holzigen Teil des Stengels und Aufsplitterung in die einzelnen Fasern werden beide dem Prozeß der nassen Fäulnis unterworfen. Mi mues se rooße39 oder rööße, sie ligen uf der Rooßĭ̦40 («Rooße»,41 «Röße»,42 «Röste».43 Ursprünglich ward 364 die umlautlose Form neutral, die umgelautete transitiv gebraucht: «der Flachs rooßet», «mi mues ne rööße».44) Statt aber die vorzügliche belgische «Wasserröste» anzuwenden,45 werden bei uns stetsfort beiderlei Gespinnste zur «Tauröste» der herbstlichen Witterung ausgesetzt. Bisweilen treiben drum auch Winde und Stürme mit der Spreiti ihr neckisches Spiel, wirbeln sie hoch in die Luft empor und machen das zeitweilige Wenden — Chehre — mit Stangli oder Rechenstiel zu einem verdrießlichen Geschäft.

Ist der Bast völlig gelöst, so handelt es sich um Entfernung der spröde gewordenen Holzteile des Stengels. Diese geschieht, trotz Verurteilung durch Kenner belgischer Gespinnstkultur,46 noch immer durch das zu Stadt und Land gleicherweise bekannte Brächche. Unter der noch im Oberland hiefür gültigen Bezeichnung rä̆tsche hat der jüngere Wyß in seinen «Hanfbrecher­innen» einen großen Weiberkonvent gefeiert: «Rätsch da, rätsch da! laßt es rätschen, daß es in den Ohren gällt! So zu hämmern, so zu knetschen, frommt der ganzen lieben Welt.»47 Auch uns ist die Rätsche noch 1. die Hanfbreche, 2. aber das Plappermaul, und rätsche, öppere verrätsche kennen wir bloß noch in dieser bildlichen Bedeutung: durch Zu- und Zwischenträgerei jemand kleinlich heruntermachen.

Lassen wir im Geist einen solchen großen Tag an uns vorübergehen.

Hin und wieder spricht noch, an stark begangenem Fuß- oder Fahrweg, eine ständige gemauerte Brächhütte48 (-chh-) mit abhebbarem Dach für die einstige Wichtigkeit der Sache. Anderwärts deutet wenigstens eine ausgehobene Fụ̈ụ̈rgruebe, oder auch nur ein Brächhütte­platzg (Wiese bei Ramsei49) auf die einstige Verpflichtung der Gemeinden, «an passenden Stellen der Gemarkung Brechhütten zu erstellen».50 Zumeist aber wird jetzt — am Vorabend «jenes Ereignisses» — eine eigene Brächhütte rasch ad hoc aus dicken Brettern über ausgehobener Grube erstellt.

In letzterer nun waltet an diesem seinem Ehrentag der Heḷḷ­meister (ja nicht etwa «Heizer») seines Amts. Die riesigen Wurzelstöcke in der Grube sind in Brand gesetzt. Der ebenso riesige Brächhütte­gatter liegt auf und empfängt das zum Deere (Dörren) ausgebreitete Brächwärch.51 Da gilt’s nun Vorsicht. Wie bald flamatzet ’s Fụ̈ụ̈r uehe und setzt die Halme in Brand! Rasch ergreift unser 365 Mann den langstieligen nassen Chri̦i̦sbä̆se, um, was Feuer gefangen hat, ahe­z’wüsche. Die in Entzündungsgefahr geratenen Bretterwände aber b’schüttet er mit Goon um Goon voll des in mächtiger Kufe bereit stehenden Wassers. Weh, wenn «die Hütte flackt»! Bald einmal trifft ihn der Verdacht, er habe beim z’Zweu oder z’Vieri e chlịị z’män’gist ’s Glĕsli g’hĕḷtet.

Diese Zeit (2 und 4 Uhr) für Erfrischungen an Ort und Stelle mit Brot, Käse und dem obligaten Brächere-Schnaps (selbstgebrannte Obstabfälle mit sehr viel Zucker nebst Zimt, Kümmelgeist u. dgl. versetzt) erklärt sich sehr einfach. Die möglichst zahlreich und meist auf Gegendienste hin geladenen Brecherinnen erledigen erst daheim ihre Hausgeschäfte samt dem Mittagsmahl, rücken daher meistens erst zwischen 10 und 11 Uhr ein. Brächere um Brächere trägt auf der Schulter ihr Klapper­instrument heran: die ehedem nebst Rad und Haspel niemals in der Aussteuer fehlende52 Bräche.53 Über spreizendem Gestell trägt dieselbe vier gleichsam als Unterlage dienende und drei von obenher wie Messerklingen zwischen jene eingreifende, 130 cm lange und etwa 15 cm breite buchene Bräche­schịtter. Hölzerne Querleisten (Bräche-Nẹge͜l) verbinden bei freier Beweglichkeit hinten alle sieben, vornen je für sich die drei obern und die vier untern, das mittlere der drei obern läuft in eine Handhabe (Anthäbi) aus.

Und num denke man sich — zur Ausmalung fehlen die Worte — den Ohrenschmaus, welchen, gesellschaftlich auf weiter Flur arbeitend, ein Dutzend oder zwei solcher Rasseln an schönem Oktobertag bereiten. An schönem: denn auch der Himmel spricht zu dieser Arbeit ein gewichtig Wort. Eine Brächete bei Regenwetter ist eine verlorne Schlacht.

Dafür bleibt einstweilen das Mundwerk unterdrückt. Anlangen, die Breche abstellen, zum Deerer (oder einem von zwei derselben) hinlaufen, eine Handvoll bereits ausgedörrten Gespinnst vom Gatter hin͜der ab nää, es allenfalls auf der Brech­maschine zwischen deren stumpf gezähnten Walzen durchgleiten lassen, dann unter wiederholten gewandtem Ausschwingen mit der eigenen Breche bearbeiten, bis bloß noch ein langer flatternder Faserbüschel in der Linken bleibt, diesen auf den mit einem Äschetuech bedeckten Schrăge hinlegen und e neui Hampfele ga reiche: diese unermüdet rasche Folge gewandter Funktionen ist ein rechtes kleines Kennzeichen emmenthalischen Arbeitsgeistes.

Es ist aber auch schon mehr als einmal ein veni vidi vici geworden — je unbewußter, desto siegreicher. Der Deerer, der auch nicht 366 gerade aus Methusalahs Zeit zu stammen pflegt, hat trotz eifriger Geschäftigkeit da und dort einen Augenblick frei für eine Gestalt, der die emsige Hantierung besonders wohl ansteht, und kann boshaft genug sein, in deren korrekte Abfolge ein bischen störend einzugreifen. Er hat es in der Hand, die völlige Brechbereitschaft der bereits zur Bearbeitung ergriffenen Hampfele um fünf Sekunden hinauszuschieben. Trotz dem die Hitze abwehrenden dicken Zwiḷch­händsche ziehen seine Finger mit Eleganz den kostbaren Stoff als noch zu wenig gedörrt wieder zurück und schieben ihn gegen den Anfang der Spreiti hin. Derweil reden die Augen ein Wort, das weder recht als Entschuldigung, noch als Rechtfertigung zutreffend ausgelegt werden mag. Sie hüten sich auch, inmitten des Kreuzfeuers von zwanzig oder mehr bedrohlichen Argusaugen eine zu leicht übersetzbare Sprache zu führen. Es werden höchstens, nach den Prinzipien nicht-euklidischer Geometrie, ein Paar im Unendlichen sich treffender Parallelen gezogen. — Denn durch eine Dornhecke schlüpfen feinere Gestalten, als durch die offene Tür.

Trotz aller Vorsicht kommt, was noch so fein gesponnen werden will, vielleicht schon am selben Abend dür d’Hächle. Denn nun wird, zum Schluß des strengen Tagwerks, das obligate Brächere-z’Nacht54 aufgetischt. Da aber bei solchen Anlässen mehr und mehr der Fleisch­hafe d’Chüeche͜l­pfanne z’tood schlaat und der vom Fleisch geforderte Wein die vorsichtige Schweigsamkeit: so ist leicht denkbar, wie manches nachmals gern im Busen bewahrte Wort dem Munde entfliegt. Dies noch um so eher, da an dem zum gemütlichen Höck oder Aabendsitz verlängerten Mahl die Geschäftigkeit der Hände die des Mundes veranständigt. Fast im Umsehen nämlich ist eine Stande voll zum Einsäuern bestimmter weißer Rüben (Sụ̆rrüebe) oder eine Deerete (ein zum Dörren bestimmtes Quantum) Obst g’rüstet. Dann ertönt die im Emmenthal so heimische Hand- oder auch bloß Mụ̆lharpfe, und die jugendlichen Füße liefern die von der Musik geforderte Interpretation.

Derweil schaffen sich halbwüchsige Jungen ebenfalls ihr Vergnügen. Die unter die Brechen gefallenen Stengel-Fragmente, die Dinge͜l55 oder «Agle», werden von ihnen an einen Haufen gezogen und in Brand gesteckt.56 Die darin gebratenen Äpfel57 entsprechen allerdings einem «gebildetern» Geschmacke nicht sonderlich, und die Dingel werden daher mehr und mehr der Verwendung zu Heizmaterial, Stall- oder Wegestreu überlassen. Um so eifriger werden die unter sie geratenen wirren Gespinnstfasern, 367 das G’chä̆tsch, für Peitschenschnüre herausgelesen. Sonst geben sie geringere Seilerware, füllen Bienenkissen usw.

Was die Brechmaschine, die Gesamtheit der Brecherinnen in ihrer Funktion als Vor­brächere, und die mit dem schließlichen Uusbräche betraute Matrone noch nicht zustande brachten, nämlich ein vollständiges Entfernen aller Holzteile und ein Geschmeidig­machen des Bastes, das muß nun am Hanf die Rịịbi58 nachholen. Ein kleines Wasserwerk setzt den breiten und schweren, für Ungeübte und Unvorsichtige gefährlichen59 Rịịbistei in kontinuierliche Drehung um die eigene Achse (womit drollig Annebäbis60 Sichwälzen im Bette verglichen wird) und um den Wendelbaum. Auf solche (anderwärts61 mit einer Getreide-, und z. B. im «Riibloch» zu Affoltern (1783) mit einer Ölmühle verbundene) Anstalten zum Riibe,62 wie deren auch bei uns mehrere eingegangen sind, deutet z. B. noch das Rịịbi-Mätteli. D’Rịịbi absteḷḷe: s. v. w. aufhören (mit irgend etwas). — Der Besitzer der Reibe wurde früher etwa mit einem Wụ̈ụ̈sch (Bündel) Wärch entschädigt.

Auch der Flachs würde, namentlich bei Überstreuen mit etwas Kleie (Chrü̦ü̦sch), durch das Reiben gewinnen.63 Indes begnügt man sich hier mit einem Herauslesen der besonders groben und ungeschmeidigen (unpĕnige) Fasern und einem Klopfen desselben mittelst des Hanmers. Ein solcher, ähnlich dem belgischen «Botthammer»64 zu ausgiebiger Arbeit eigens keulen- oder schlegelartig hergerichtet, dient anderwärts auch noch zum Weichklopfen des Webgarns u. dgl. und heißt dort «Blüwel». (So z. B. 1489 auch ein Berner­geschlecht.65) Bei uns ist Blouwe͜l, Blüwe͜l noch Spaßwort für einen dicken und derben Knabenkopf: La gseh, häb iez dị B. zuehe, so chan (i) di wäsche! Das Mittelwort «eingebläuelt» aber braucht Gotthelf66 einmal von Maximen, die gleichsam in den Kopf hineingeschlagen und nimmer aus ihm herauszubringen sind. Auf das einst übliche Klopfen des Gespinnstes auf freiem Felde deuten noch Flurnamen wie die «Bläuetschwändi», Alp in Eggiwil; die Blaumátt zu Heimiswil; die Blauägerten zu Aarwangen u. a.; auf Wasserwerke zu rascherer Erreichung dieses Zwecks die zusammen mit Walkereien, Schleifereien, Säge- und Getreidemühlen genannten «blöwen» (1325, 1335, 1375), «blouwen» (1376).67 Sie wurden später, oft noch unter Beibehaltung ihres Namens, in Rịịbine verwandelt. («Vermeinend, daß ein Blöuwe und ein Ryby eben eins sein.» 1711.68)

368 Anfangs Winter kommt in der für ihn kurzen, aber äußerst arbeitsreichen69 «Saison» der Hächler ins Haus: etwa ein Dachdecker, oder ein Weber, dessen eigentliche Berufsarbeit sich auf den Sommer beschränkt. Ungefähr da, wo vor kurzem die Flachsräffle, werden nun zwei Hächle (Hecheln) mit ihrem kleinen Walde fußlanger, nadelspitziger Stahlstäbe aufgepflanzt. Die bernische Obrigkeit selber besaß in den Dörfern ihre Hecheln,70 unter denen die belgischen71 als besonders vorzüglich galten. Schauen wir nun einen Augenblick dem Hechler zu, wie er eine Hampfele Flachs oder Hanf erst in hüpfend leichtem Durchziehen der Enden, dann der Mitte, schließlich allmählich der ganzen Länge zunächst auf der grobe, hernach der fịịne Hächle von deren Spitzen weg immer mehr nach der Tiefe hinunter zieht.72 Die bildliche Anwendung dieses Dürehächle, sowie der Hächle selbst, bedarf keiner Belege. — So gehen, jeweils mit einem am Ende zu einer Handhabe ausgedrehten Bụ̈tzi, aus der Hand des Hechlers hervor: zunächst Chlö̆bli um Chlö̆bli von lauter lang und schön gebliebenen Bastfasern des schneeigen Leins, im engern Sinne Flachs, doch z. B. 1776 auch Flachs-Rịịste73 geheißen. Ein wahrhaft königliches Gespinnst, mit seinem eigenartigen Schimmer und seiner Feinheit die Seide des Bauernhauses zu nennen. Im Linnenschranke der Bäuerin spielt es dieselbe Rolle, wie in ihrem Milchkeller die Sahne. Flächsig («flächsern»74) sind die feinsten Zwäheli als Tischbelag, sind die sonntäglichen Nastücher, die Hemdenbrust­einsätze und Vorhemdchen; ebenso vornehm wie — ungesund ist es ganz flächsigs Hemmli.75 Wie die in Schĭbe (Scheiben) verpackten und mit einer (rasch aus Flachs gedrehten) Schnur umwundenen Chlö̆bli des Flachses, gehen auch die Chlŏbe Rịịste76 (1776: «Wärch-Riiste»77) als Bündel langer und schöner Bastfasern des Hanfs aus der Hechel hervor. Die Rịịste liefert hauptsächlich das Bett- und das gewöhnliche Tischzeug. Wie hoch aber auch ihre Feinheit noch geschätzt wird, lehrt die figürliche Ablehnung einer Ungebührlichkeit: das ist wóhḷ grobs für Rịịstigs!

Halbflächsig und haḷb­rịịstig waren ehedem (z. B. 1776) aus Flachs- und Wärch-Riiste, oder aus letzterer und Chuder gemischte Stoffe. Heute liefert zu ihnen Flachs bezw. Rịịste den Zettel, Baumwolle den Einschlag.78 Unbeliebt ist nur die haḷb­rịịstige Gótone (cotonne), weil von der scharf einschneidenden Riiste (als Zettel) ’s Bauelige verhäue wird.

369 «Halb knöpfig, Halb riistig» war ein «wie für die Ewigkeit gemachtes» Hemd,79 und «gutknöpfiges» Garn spielt auch 1776 80 seine Rolle. Chnöpfigs oder Chnöpf81 heißen die in der Hechel zurückbleibenden und zu einem Bäḷḷi (bei Gotthelf auch «Bützi»82) vereinigten verworrnen Fasern des Hanfs, Flachs-Chụder die ebensolchen des Leins. Geläufiger ist uns indes die für beide gemeinsame Bezeichnung Chụ̆der. Chuderigi, wohl gar speziell chnöpfigi Hemmli83 oder wenigstens Hemmlistöck84 tragen Arme oder Knauser; ebensolche Chittel,85 Strümpf,86 Strumpfbändel,87 Haarschnüre88 gelten hyperbolisch als Wahrzeichen äußersten Elendes. Chuder dient zu Trug89 und Truggebilden.90 Dem Chuder­bäḷḷi oder -bützi gleichen unordentlich angezogene91 oder sonst unvorteilhaft sich darstellende92 Menschen. Der Chudergrau,93 der chuderig Hauptme,94 das chuderig Manndli95 oder Chuder­manndli96 und das Chuder­fraueli97 reizen zu Spaß und Spott; zu ersterm sonderlich der struppig Vollbärtige, von dem man sagt: Er luegt wi ne Mụụs us eme Chuder­bäḷḷi use. Ver­chụ̆deret u ver­hü̦ü̦rschet geht alles hervor aus den Händen eines unordentlichen, eines sorglosen, eines kindlich sich gehabenden Menschen: eines Chụ̆deri. Aber auch als kosende Schelte gilt das Wort. Ebenso: der Chuder­chnopf, das Chụder­lụụri, der Chuder­găge͜l. Wir benennen damit liebliche Kinder mit wohl unterhaltenem Haarwuchs (sonderlich Flachs­hääreline), die uns etwa anreizen mögen, sie mit dem prickelnden Kitzeln eines sorgfältig gepflegten Bartes zu erlustigen. Das vielleicht hiemit zusammen­hängende Ei’m chụ̈̆derle ist zu Stadt und Land heimisch.

 
1 Käthi 392.   2 Bei Krähenbühl (Widm. 114) einmal G’spunst: Kunst.   3 Christen 103.   4 UK. 199.   5 Ök. Q4. J3.   6 Trub 29, 37.   7 UK. 47.   8 Schuldb. 9; AB. 2, 409.   9 Alte Gesch. 271.   10 Käthi 15 Hs.; Beitr. 657 f.   11 Schuldb. 170.   12 Ök. Q2, G9.   13 Trub 29, 38.   14 Anagallis arvensis oder aber Stellaria media.   15 Ranunculus arvensis.   16 Chenopodium rubrum.   17 Galeopsis tetrahit.   18 Leontodon Taraxum.   19 LZ. 1904, 137.   20 Ztgst. 1, 3.   21 Ök. Q4. J3.   22 Ebd.   23 An der landw. Ausstellung 1903.   24 Kib. Urb. (1261).   25 AR. 1822, 68.   26 Vgl. Volksw. 2, 294; Käthi 225; Dursli 265.   27 Ök. fol. 6E. 26, 29, 45; 29 E1 Ia.   28 z. B. SB. 1902, 32.   29 SchM. 1, 34.   30 AB. 1, 174.   31 Gf. SF. 1901, 87.   32 Ök. Q4. J3.   33 Wass. 62; BSp. 163; UK. 233.   34 Ähnnlich, jedoch unangenehmer, charakterisiert der Nachtschatten­geruch die Häuser des tabakbauenden Broyegebiets.   35 UK. 233.   36 GG. 3, 99.   37 Käs. 300; BME. 54.   38 Käthi 385.   39 Gr. DWB. VIII. 1248 und Schade s. v.   40 BSp. 40.   41 MW. Ws. 74; Käthi 385; SdB. 1837, 74; UK. 232.   42 Käs. 34.   43 AB. 2, 402; BSp. (1837) 40; GG. 2, 133.   44 Vgl. die Vermischung von «hangen» und «hängen».   45 Vgl. Zür. Amtsbl. 1901, 1455?   46 Volksw. 1, 646.   47 AR. 1820, 318-23, mit Bild.   48 Besuch 160.   49 73 m².   50 Volksw. 1, 646.   51 Bifang (1776).   52 Volksw. 1, 646.   53 Thorb. 69.   54 MW. 2J. 85.   55 Nach Schild, «Consonantismus» 340, vielleicht zu einem mhd. «stingel» neben «Stengel».   56 SchM. 2, 327.   57 AR. 1820, 322.   58 Käs. 310.   59 Schuldb. 347; AB. 1, 361.   60 AB. 1, 181. 191.   61 Zollikon 314.   62 Segen 97.   63 Ök. Q4. J3.   64 Volksw. 1, 646.   65 Anshelm2 1, 344; vgl. Zollikon 315.   66 UP. 154.   67 Justinger 122; Fontes V, 475 und. ö; Berner Stadtrechnung (ed. Welti) 4; schwz. Id. 5, 249.   68 Teutsch Spruchbuch, Berner Staatsarchiv.   69 AB. 2, 79.   70 Volksw. 1, 646.   71 Geltst. 85.   72 Ök. Q4. J3.   73 Bifang.   74 Erbv. 85.   75 UK. 117; BSp. 24; SchM. 2, 228.   76 BSp. 112; SchM. 1, 71.   77 Bifang.   78 Vgl. AB. 1, 85; GG. 2, 101.   79 SchM. 1, 162.   80 Bifang.   81 AB. 2, 229.   82 SchM. 1, 40; GG. 2, 47. 102 und ö.   83 Ball 57; AB. 2, 229.   84 Michel 228; Niggi Ju. 208.   85 Dursli 225.   86 Ztgst. 1, 158.   87 Joggeli 28.   88 Ebd.   89 SchM. 1, 34.   90 Arm. 15; BwM. 150; Barthli 26.   91 Ztgst. 2, 50.   92 Geltst. 21; Ztgst. 2, 163; Käs. 456.   93 Schuldb. 138; Käs. 413.   94 Ztgst. 2, 106.   95 Geltst. 321.   96 Ebd. 198, 275; Ztgst. 2, 54; Barthli 21; BSp. 374.   97 Ztgst. 2, 62.  
 

Garn.

Chuder spinne:1 ein undankbares Geschäft, zu dem nur augenschwach gewordene Mütterchen sich selber verurteilen!2 Daher auch Der Knabenspott über ein Stubenkind: er mues deheime Chuder spinne!3 Und gleichwohl ist es obendrein eine mühselige, viel Geduld 370 und zähe Ausdauer erfordernde Arbeit. Das besagt die figürliche Anwendung: Wärch a der Chouchle haa. Dieselbe deutet auch auf eine obschwebende Angelegenbeit.4

Nicht viel besser steht’s aber mit dem Rein’s Spinne:5 Mi verdienet nid chaḷt’s (geichweige denn: warm’s) Wasser derbịị, oder: nid ’s Liecht. Einen Begriff vom Verdienst einer Lohnspinnerin schon vor fünfzig Jahren gibt der Bericht der treuherzig bescheidenen, 72jährigen Weggefrau von Grünenmatt, welche noch bis 1903 trotz ihrer Gebrechen das Vertragen von Gebäck über Berg und Tal bei jedem Wetter vorteilhafter fand: I ha im Tag drụ̈ụ̈ Tụụsigi gspunne u (wie noch heute) für’s̆ Tuusigi zwe Batzen uberchoo; aber de han i mer fast d’Finger vorab gspunne. Dazu stimmen Käthis6 sechs Kreuzer für das Tụụsigi gegenüber den 8-10 vor Eindringen des englischen Maschinengarns.7 Daher denn auch die ergreifenden Gotthelf’schen Bilder von den mit Spinnen halb oder ganz durchwachten Nächten um ein Löhnchen, das Mutter und Kinder knapp vor Verhungern schützte.8 Ein anderes ist’s mit der noch heute betriebenen Lohnspinnerei alter und bedürfnisloser alleinstehender Frauen.

Günstiger lauten Berichte z. B. aus dem Jahre 1764. Damals betrug allerdings im Mittelland der Tagesverdienst ebenfalls höchstens 2½ Batzen.9 Allein wenn eine wie Mädeli10 «brav spann und brav pflanzte», so mochte das bei dem höhern Geldwert auch «viel bringen». Sonderlich wenn sowohl «Mägdlein von 10 Jahren», (!)11 wie in Trub und Rüegsau, als «alte Männer mit großen Bärten»12 wie in Schangnau und ebenfalls in Rüegsau13 «bei der Kunckel saßen»; oder wenn letztere, wie in Biglen,14 das Verspinnen von «Schaf- oder Baumwolle» übernahmen. Noch 1827 berichtet Haldimann aus Eggiwyl:15 «Viele Arme, männliche und weibliche, verspinnen den ganzen Winter hindurch, zum Teil auch im Sommer, fremden Flachs für die Tuchfabrikanten.» (Solches z’spinne aanäa zweideutig z. B. bei Wiedmer.16)

Auch in Lützelflüh waren bis vor wenig Jahren spinnende Männer nichts Unerhörtes. Bis zu seiner späten Verheiratung spann der noch lebende Spinner-Christeli oder ‑Chrĭ̦gel (Christian Bütigkofer) auf dem Spinner17 — welches Gütchen schon 1783 als Spinner­hüsli figuriert — in eifriger Berufsarbeit. So erklärte auch der Vater unseres Post-Mareili seinen Kindern: (Als Bauernknecht spinnend) han 371 i d’Wịịber no aḷḷi möge, u das de im Reine o noo, nid numen im Chuderige!

Das ging also an ein Spinnen, schier gar ’s̆ Strau vom Tach ahe!18 Und erst wenn es sich nicht um kargen Erwerb handelte, sondern um winterliches Verarbeiten eigenen Produktes in warmer Stube sitzend nach dem Dreschen in kalter Tenne;19 und wenn dabei kein Hagelhans im Blitzloch20 zu fürchten war, dann hatten wohl «Spinnen und Singen»,21 Schnu̦u̦rle u Singe beieinander Platz. Das war aber auch die Zeit, wo Frauen aus gutem Hause mit Stolz Säl̦ber G’spunnigs22 vorwiesen; wo eine Oberherrin von Liebegg, Charlotte von Diesbach († 1862) am Spinnrad saß;23 wo «Königsweiber spannen»24 und damit der altgermanischen Unterscheidung von «Schwert- und Spill- (Spindel-) Magen» (männliche und weibliche Verwandtschaft) zur lebhaften Illustration dienten.

Wie wohl verdient war denn auch damals der Spinnet als festlicher Abschluß der winterlichen Spinnperiode! Was es damit heute (eben vor Karneval) auf sich hat, zeigt wie nichts anderes «der Spinnet im Lischebedli». Da wird auch gesponnen, und wie! Vor allem (nach entlehntem Studenten-Jargon) essend25 (vgl. «Hanf» = Brot26), während die Wirtin «ihr Garn spinnt in allen Ecken des Hauses».27 Nicht minder eifrig «spinnen» Mütter von daheim überflüssigen Töchtern ihr «Garn»28 oder ihr «Wärch»,29 wenn auch einer der «Zuehe’bun͜d’ne» halb überschnappend «spinnt» und mit seinen Versen in eine Lage gerät, als müßte er Töörn spinne.30

Obschon nun bereits 1887 drei Viertel alles bernischen Gespinnsts in Fabriken wanderte31 (bei uns in die Flachsspinnerei Burgdorf oder die Flachs- und Hanfspinnerei Rüederswyl), heute aber in Tal und Dorf die Spinngeräte samt und sonders im Kinderspiel verhụ̈tzt u vertrŏmet sịị, weiß man doch im entlegenern Berggelände noch zur Stunde recht gut, was vo Han͜d Gspunnigs für einen Wert besitzt. Noch nimmt hier bei Schnee und Eis es Mueterli, nimmt eine flotte Bauerntochter us em Grümpe͜l­chämmerli d’Chouchle (Kunkel) fü̦̆re. In das dreibeinige Gestell (Chouche͜l­stüehli) stecken sie den langen und dünnen32 Chouche͜l­stäcke fest ịị und befestigen daran mittelst der Chouchle­schnuer es Chlöbli Flachs oder e haḷben Chlobe (e Chouchlete) Ri̦i̦ste. Nach dem teilweise freien Herunterhängen 372 des Gespinnstes bezeichnet man die liebliche fliegende Haartracht junger Mädchen mit: ’s Haar la chouchle. E Chouchli dagegen ist ein Gassentreter, der nichtsnutzig nu̦me so des ume chouchlet oder fleugastet.

Und nun beginnt die Spinnerin wenn nicht Geld,33 so doch den eigenen Linnenbedarf us der Chouchle z’zieh — Name: «der Kunkelwendi soll 1 L.» (1776).34

Es setzt sich also die Spinnerin her und zieht zur Linken die Kunkel, zur Rechten das (Spinn-) Raad35 an sich heran. Der rechte Fuß setzt die Trätte und damit die Radscheibe (Schị̆be) in Bewegung. Der in ewigem Umgang doppelt um diese laufende Seite (die Saite) aus Schafdarm wird mittelst eines Schraubenwerks (Strụụbe) schlaffer oder straffer gespannt. Er übersetzt die Drehung vervielfältigt erst auf die Randkehle (Chrĭ̦nne) des den Dienst eines Schwungrads versehenden Wirtens (Wirte͜l), dann auf die Randkehle des den Spinnfaden aufnehmenden Spuele. (Der Spuele36 = die Spule.) Die Spinnräder des 18. Jahrhunderts zeigen nur einen Seitenlauf, ohne Wirten.37

Der Wirten ist fix, Die Garnspule locker über der eisernen Spindel (die Spiḷḷe, ahd. spin-ila od. spin-ala) aagsteckt. Der schlauchförmige Vorderteil der Spindel, das Röhrli, läßt den Spinnfaden duchschlüpfen und zu einer Öffnung (Löchli) austreten. Von der Spille gehen flügelartig zwei fingerdicke harthölzerne Ärmli aus, an deren je 1 cm auseinander­stehenden Haften — Hääggli — aus Eisendraht der Spinnfaden jeweils fü̦ü̦rers̆­g’häicht wird, damit die Häufchen sich gleichmäßig über die Spule hin verteilen. Für eine daherige Vergeßlichkeit wird die Spinnerin durch ungebührliches Sichauftürmen und schließliches Sichverwirren der gefürchteten Chlapper­hụ̈ụ̈ffli bestraft. Das ganze dieses von zwei Querleisten getragenen Fadenleitungs- und Aufnahme­apparats heißt das Anträ̆gli, seltener auch (nach seiner Gestalt) der Chräbs.

Kunkel mit Stüehli und Stäcke.

Spinnrad.

a) Obere Spannleiste mit Schmuck. b) Anträgli (Krebs) mit krummen Ärmli. c) Mit geraden Ärmli.

Die Spinnerin windet — lịịret — um die noch leere Spule ein vorrätiges Stück Garn, leitet es den richtigen Weg und hält sein Ende in der Linken, indes Daumen und Zeigefinger der Rechten, fleißig im Mund oder in einem Wassergefäßchen38 g’netzt, die zur Garndicke nötige Anzahl Fasern aasetze. Sie hütet sich dabei sorglich vor zwei Hauptfehlern junger Anfängerinnen. Das erste Gebot lautet: nid hin͜der de Fingere (der das Ansatzende darhaltenden Linken) aasetze (um 374 an der Dicke des Fadens nachzubessern)! Sonst entstehen halb- oder ungedrehte Stellen, und solche Streipfine sind böse Stücke im Garn. Drum sagt man auch von einem verunglückten Teil einer Laufbahn, eines Lebensgangs: das ist e wüesti Streipfi i mị’m (oder sị’m) Läbe. Das Gegenteil ist der Träḷḷ,39 eine zu stark gedrehte, daher sich kräuselnde, zuweilen auch knotige Strecke. Er entsteht, wenn der tretende Fuß nicht mit seinem Mitbewegungs­gefühl sich dem Tempo des Ansetzens anpaßt, oder wenn man den Faden nicht fest in den Händen hält. Es heißt dann: der Träḷḷ ist ị̆hm drị choo oder: uehe­gfläderet, was bildlich auch bedeutet: ein arges Mißgeschick, ein ärgerlicher «Zufall» hat sein Unternehmen gestört. Wer aber beim Spinnen de̥r Träḷḷ drị laat, wird selber e Träḷḷ oder e Trä̆li gescholten. Du bist e rächte Träḷḷ heißt auch: du bist ein unachtsamer, unanstelliger, dummer, läppischer40 Mensch. Beide Fehler sind indessen schwer zu vermeiden, wo die Gespinnstfasern rauh, spröde oder aus sonst welchem Grunde kaum zu verspinnen — ụ̆spu̦nnig — sind. Sie geben auch uspunnigs Garn, «uspunnigs G’wand»41 und tragen ihren Begriff des schwierig zu Behandelnden («Untraitablen») selbst auf Tiere, wie z. B. Hengste, über.

Der Urbedeutung von Spinnen (zu Geflecht drehen) entspricht die von Garn = Netz, Jägergarn42 (vgl. «i d’Hääre choo» = ins Netz geraten, Einen oder etwas i d’Hääre nää = hernehmen, in Behandlung, in Zucht nehmen43). Eigene Arten sind heute noch das vom Schuster zu Pechdrähten verwendete Trä̆ggarn («Drähtgarn»), das Flachs­stäckli usw. ‑Garn.

Für die vom einschneidenden Faden wunden, schier vorab­g’spunnige Finger ist eine willkommene Abwechslung das Haspe44 (Haspeln), wenn nicht dies ein Hausgenosse, Dienstbote,45 Angestellter,46 ein Kind,47 der Hausvater48 besorgt. (Zum «Spinnet» darf drum auch der Haspler nicht fehlen.) In gleichförmigen Drehungen, an die das mechanische Abehasple eines Liedes, Gebetes, «der täglichen Gewohnbeiten»49 und das G’haspe͜l wirr sich jagender Gedanken50 erinnert, geht der Haspe͜l um, bis an dem das Zählen der Umgänge ersparenden Uhrwerk ’s Hämmerli ịịchlepft (an eine Metallfeder schlägt) und das erste Hunderti (Hundert von Umgängen) anzeigt. Dasselbe wird mit dem Anfangs-Troom einmal unterbunden. Das Umdrehen geht 375 weiter, bis für grobes Garn es haḷbs Tuusigi oder es Feuf­hunderti, für feines ein ganzes Tụụsigi (tausend Umgänge, «das Tausend»,51 «das Tusig»52) auf dem Haspel liegt. Die so entstandene Strange53 (wie sie u. a. als Handhabe zum Sichaufrichten über dem Bette hängt und unter dem nämlichen Namen Bett­strange auch ein gehäkeltes, brodiertes etc. Band sein kann), wird mittelst des End-Trooms mehrfach unterbunden und verheftet. Dem die Strange Abwindenden wird damit ermöglicht, daß er sofort ’s rächte, nicht etwa ’s lätze Troom ergriift, ’s Troom verlụ̈ụ̈rt, vom Troom abchunnt, d’Stränge verhüür­schschet.54

Haspel mit Umgangzähler.

Zur Erzielung eines auch nur halbwegs weißen Linnens muß das Garn einer längern Behandlung durch Natronlauge unterworfen werden. 376 Diese Behandlung heißt bụụhe (bäuchen). «Weißbauchetes Garn» 1793.55 Der Stoff wandert zu diesem Zweck zum Bụụher, i d’Bụụhi. Eine solche besteht seit langem in Waldhaus, von wo aus der Bäucher im Frühling wiederholt in der Umgebung der Garn-Chehr macht (zur Entgegennahme von Garn in die Runde fährt). In Waldhaus steht auch noch ein Bụụchihüsli.56

Eine Industrie untergeordneten Ranges, von welcher noch z. B. der Name der Familie Wuḷḷe-Wịịmme̥’s zu Grünenmatt redet, bildete von jeher die Verarbeitung einheimischer Schafwolle. Das Wuḷḷe-Rüste57 besteht zunächst im Auseinander­zupfen (Rupfe58) der abgeschornen, gewaschenen und getrockneten Wolle. Das eigentliche Kunstwort für solches Zupfen lautet jedoch zeise; vgl. auch: söḷḷ (ich) de̥r d’Ohre zeise? (Neben dieser gut alemannischen Form hat das Mhd. (und Hessische) nur dinsen (ziehen), vgl. «gedunsen»). Das Werk der Hände vervollständigt die distelartige stachlige Doppel-Karde (Charte). Das Wuḷḷe charte59 bewirkt zugleich saubere Anordnung der Wollfäden zu wurstähnlichen Formen: den zum Verspinnen geeigneten Trä̆deli. Eine eigene «Kunstwollen»-Industrie60 versetzt den so bearbeiteten Stoff mit den in der Lumperịịßi aus alten Fetzen herausgezogenen Wollfäden: dem Hu̦de͜lru̦pf, Hudi-Hudi-Hudirupf! Der hiesige Bauer umgeht solche Kunst, indem er seine selbst produzierte Wolle in einer der Spinnereien, Halbleinfabriken und Walkereien zu Ramsei, Grünen oder Worb zu Tuch verarbeiten läßt. Eine alte Waḷki oder vielmehr es Waḷkeli besteht neben der Färberei zu Lützelflüh.

Das Verspinnen von Baumwolle, Bauele,61 hat bei uns niemals Platz gegriffen. Auch der (heute nun allerdings bei uns wie allerwärts vorherrschende) Verbrauch baumwollenen Garns und Tuchs hat sich erst allmählich bei uns eingebürgert. Daher in bauelig noch heute leise die Vorstellung des Minderwertigen, Verächtlichen62 mitklingt. E Bauelegrin͜d ist ein hohler Kopf, «Strohkopf». Er het ụus­’bauelet: aufgeschnitten (blagué, ’plagiert), wie z. B. jener Handelsreisende: «Üses bauelige Garn wird gäng z’erst mit zweune Rosse probiert.»63

Wie um die Wollindustrie,64 hat seinerzeit die Ökonomische Gesellschaft sich auch um die Heranziehung der Brennnessel (Neßle, deren Name ja auch mit «Netz» in Beziehung steht) zu dem bekanntlich sehr 377 feinen und haltbaren Gespinnste gemüht.65 So 1786. Sie tat es ebenso vergeblich für ihre und unsere, wie für alle Zeit in bezug auf die Seidenindustrie66 (1770/71). Sịde u Samet sind begreiflich dem an rauhe Feldarbeit gewöhnten Bauer meist nur ein Wahrzeichen ständischer und städtischer Vornehmheit67 — er weiß aber auch von sidiger Armuet zu sprechen.68 Schon Sidespinne ist ihm ein bloßes Bild für mühelosen, leichten Erwerb,69 vgl. Grüen’s mache. Demgemäß bedeutet auch sidig tue mit de Lüte nicht bloß urbane Umgangsweise, sondern auch ein berechnet zartes, ein­schmeichelndes Benehmen.70 Er ist sidig düre­gschloffe: 1) schnell, unbemerkt und unverletzt durch die Dornhecke geschlüpft; 2) einem Konflikt mit Polizei oder Justiz gewandt ausgewichen. Dä Ssidian! («Schwerenöter», «verfluchter Kerl»). Dä Cheibe Sidian! Dä weiß d’Sach, aaz’steḷḷe!

 
1 Dursli 282 Hs; Käthi 176 Hs.; UP. 432; SchM. 1, 292; 2, 76. 209.   2 Geltst. 307; BSp. 290; Ztgst. 2, 126.   3 AB. 1, 22.   4 GG. 1, 147.   5 AR. 1820, 320.   6 226.   7 225.   8 Dursli 262; Käthi 50; SchM. 1, 90 Hsa.; Geltst. 123.   9 Geiser Aw. 217.   10 SchM. 2, 107.   11 Pfarrer Schweizer.   12 Pfr.-Ber. 77.   13 Ebd. 216.   14 Ebd. 29.   15 82.   16 177.   17 Wh. Sp. Ack. Wd. 107,57.   18 BSp. 438 und ö.   19 Ztgst. 2, 126.   20 UP. 110.   21 Ztgst. 2, 171.   22 MW. 2J. 108, vgl. 109.   23 Vgl. die liebliche Silhouette in von Rodts «Bern im 19. Jahrhundert».   24 Servaz 8.   25 BME. 54.   26 Ebd. 56.   27 Schuldb. 139.   28 Thorb. 45.   29 Ebd. 91.   30 Christen 159.   31 Volksw. 1, 646.   32 Geltst. 146; SchM. 1, 295.   33 SchM. 2, 419; Wass. 60.   34 Bifang (Inventar).   35 Wass. 60; Dursli 245; SchM. 1, 249 und ö.   36 SchM. 2, 317; Dursli 295.   37 Vgl. Nr. 695 und 4348 im Berner hist. Museum.   38 Vgl. SchM. 2, 419.   39 Widm. 183.   40 Ebd. 157.   41 Ebd. 7.   42 Vgl. Kluge5 127. 354.   43 Das mhd. WB. verzeichnet wenigstens ein Verb haeren = ein Haarseil ziehen.   44 Käs. 384.   45 Ztgst. 2, 200; UK. 194.   46 SchM. 1, 133.   47 Dursli 293.   48 Schuldb. 158; Rabeneltern 218.   49 GG. 2, 106.   50 AB. 1, 53.   51 SchM. 1, 62.   52 Ebd. 2, 82.   53 UP. 439 und ö.   54 GG. 2, 158; 3, 17.   55 Ger. Tw.   56 Bemerke die Hauch­dissimilation.   57 BwM. 119, 170.   58 Michel 168.   59 Vgl. Widm. 7.   60 Volksw. 1, 198; 2, 223.   61 Volksw. 1, 203, Pfr.-Ber. 29.   62 UK. 123. 310. 397; BSp. 361; AB. 2, 29; vgl. Geltst. 342.   63 Lischeb. 10.   64 Ök. fol. 6E6.   65 Ök. Fol. 6 E 51; Q 4 J 3; Volksw. 1, 706.   66 Ök. Fol. 6 E 41; 15 F.   67 BSp. 195 f.   68 N’schwander Alp. 71, 78.   69 Arm. 172; Heiri 122; Käs. 128.   70 AB. 1, 72; Heiri 8; Ztgst. 2, 143.  
 

Tuch.

In Konkurrenz mit dem Schwaben-,1 Holländer-2 und Irländer-3 Tuch wahrte sich das schon 1307 bekannte wollene Bärntuech, im Emmenthal und Seeland gewoben, jederzeit seinen Ruf außerordentlicher Solidität.4 Aber schon ins dreizehnte Jahrhundert zurück reicht die Leinen-Industrie der Ostschweiz wie des Oberaargaus und von hier aus des Emmenthals. Sie behauptete sich in letzterm noch als kompliziertere häusliche Handweberei, als (seit dem achtzehnten Jahrh.) die Maschinen­industrie das leinene Glatttuech längst verdrängt hatte, besonders mittelst Einfuhr flandrischen Flachses.5 Zu diesem von der Ökonomischen Gesellschaft nach Kräften unterstützten «Leinwath»6 ‑Gewerbe («der Thuch-Gwerb»7) trat die von jeher im Bauernhaus übliche Verwebung des eigenen Gespinnsts. Diese geschah noch vor fünfzig Jahren bei uns — wie bis zur Stunde im Oberland — durch Frauen, Töchter und sogar Söhne des Hauses. Nunmehr übernimmt der Lohnweber — meist uf der Stöör — die Arbeit. Zu diesem Zwecke verfügt beinahe jedes Gehöft noch über einen Wäbchäḷḷer, oft sogar über eine — weit zweckmäßigere — Wäbstube.

Denn was wäre eine Bäuerin, zu deren Berufs- und Hausehre nicht auch ausgiebiges Tueche mitgehörte!8 Man denke an die hunderterlei 378 «Tuech» im Haushalt: all die Bett- und Tischtücher, früher als Lị̆lache («Leinlaken») und Tischlache (-s̆-chch-) bezeichnet; die Handtücher: Zwä̆hele und Zwäheli, und die Nastücher: Năselümpe; die Tröchni­tüechli; dann erst das Hemden- und Gewandtuch; das Äsche-Tuech, dienlich beim Waschen und zum Verpacken großer oder sperriger Massen: einer Tuechete Heu, Chrụ̆t u. dgl.

Im Jahr 1793 erscheint bei uns9 der oder das rịịstige Schürlez. Der ahd. mhd. schurlitz, scurliz,10 schürliz11 war eine Art Unterrock,12 bei Bauernfrauen eine mit Schafpelz gefütterte Jacke. Als «Überwurf der Frauen und der Geistlichen» erscheint mittellat. scorlitium.13 Als der Baumwollenstoff herrschend wurde, ging der Name von dem aus ihm gefertigten Gewand auf ihn selbst über, indem «Schürlitztuch» sich zu «Schürliz» kürzte. In diesem Sinn war Schürliz besonders in Basel im fünfzehnten Jahrhundert Gegenstand ausgedehnter Industrie.14 Der Barchent — Baarche̥t — hieß dort «gehorer» (gehaarter) Schürlitz. — Für das Emmenthal aber mit seiner Leinenindustrie ist obiger «rịịstige Schürliz» bezeichnend. Als Kleidstoff war der Schürlitz vielfach ersetzt durch den wifling15 oder das wifelin tuoch16 (zu mhd. wifelen = sticken, stopfen, vgl. unser verwä̆be von Blößen in Kleid und Strumpf). Es ist dies unter Haḷblịịn, dessen Einschlag aus Wolle, dessen Zettel (mhd. der wëpfe) aus Leingarn oder allenfalls auch Baumwolle besteht.

Wo n i (erzählt der Veterane Zaugg) zo’m Herren g’gange bi̦i̦ (als ich Konfirmand war), het bloß der Wäḷti Hans Ueli z’Flüele (ein hervorragend reicher Bauernsohn) e haḷblinigi Bchleidig ghaa. Das ist dennzumaḷ es tụ̈ụ̈r’s̆ Wäse gsịị; worum, mi het se nid chönne chehre (vom Schneider wenden lassen), weil nämlich der noch nicht blau gefärbte leinene Zettel fadenscheinig oben ụụf choo wär. So stark fiel der bloße baare Arbeitslohn in Betracht, da ja der wollene Einschlag aus eigner Schafzucht bestritten wurde.

Allmälich jedoch drang dieser Haḷblịịn als bäuerliche Sonntagstracht durch. «In die Kirche und auf den Markt geht in ehrbarem Halblein der Mann.»17 Und zwar zunächst in jener Naturfarbe des einheimischen Landschafs, welche so häufig als äḷb18 (dunkelgelb, fahl), auch brụụnäḷb19 oder wịịßlocht20 («weißlich») angeführt wird. In dem Maße aber, wie er zum Gemeingut auch der klein­gewerblichen und der 379 dienenden Klasse wurde, sank sein Ansehen in hablichern Bauernkreisen21 — zu nämlicher Zeit, wo Verkehr und Handel sonst schon das ganzwollene Guettuech (1793 «äschfarben»22) in allgemeinen Gebrauch brachten. Immerhin zunächst mit dem Bewußtsein der Kostbarkeit dieses Stoffes. Es hieß zum unökonomischen Schneider: Jä, das geit i’s Guettuech! oder auch nur i’s Tuech! (Da ist mit einem einzigen unbedachten Schnitt ein großer Schaden angerichtet.) Ebenso kann es nach einer unüberlegten Rede, einem verletzenden Worte heißen: iez isch’ s̆ i’s Guettuech g’gange (vgl. «i Ast g’saagt», oder: «’s Ööḷ verschüttet»). — Im Handel geläufige Wollstoffe: Schị̆pper, es schịpperigs Gloschli; es Merino-Tschööppli als Patinnen-Anzug;23 Mŭ̦le̥tung24 («Moleton»25 = molleton) für Unterkleider u. dgl.25a

Der rein wollene Stoff verdrängte also den halb wollenen gerade so, wie dieser vormals den Leinenstoff, zumal den Zwillich. Dieser gab vor dem Halblein sogar den ordinären Sonntags-Anzug ab. Dies allerdings zuweilen in der feineren Sorte der Stein­zwiḷche (aus besonders starkem Hanfgarn, dessen Rauheit durch starke Appretur behoben werden kann). So sị (erzählt unser Gewährsmann) aḷbe di rịịhe Waḷthus­pure z’Bredig (zur Kirche) g’gange mit zwiḷchige Aṇgleese, wo fast bis a Boden ahe g’reckt hei. In einem Steckbrief von 1793 26 ist von «gefeldetem» Zwillich-, in der Beschreibung des Anzugs einer 23jährigen Weibsperson27 von Rụ̈beli-Zwilchenzeug die Rede. (Vgl. g’rụ̈̆belet.)

Noch macht die Zwiḷche den Hauptbestand des ordinär bäuerlichen Werkttags­gewandes aus. Dazu tritt als Baumwollenstoff der leichte Bauele-Grĭ̦ß, für scharf zusetzende Hantierung dagegen die ungewöhnlich zähe «Eberhaut» (Äberhụ̆t).

Die Vorherrschaft der Leinwand aber zeigt sich darin, daß sie (ähnlich wie beim «Schürlitz») sogar bei der Gótone in der Namengebung um sich greift. «Cotonne», franz. coton, engl. cotton ist arab. kotn, s. v. w. Baumwolle, wie Kattun = baumwollenes Wäschkleid; allein der Emmenthaler kennt auch rein flächsige Gotone als die feinste, sowie haḷb­flächsigi = haḷb­baueligi Gotone (mit Bauwolle als Einschlag) als weibliche Kleidstoffe. Farbige Leinenstoffe sind: Chöḷtsch (kölnisches Tuch, vgl. «lündsch» = Londoner-Tuch) für Bettanzüge, mit zweifarbigem Zettel und ebensolchem Einschlag, wodurch quadratisch sich abhebende Felder (Hụ̈sli) entstehen. So wurde 1793 380 im Bŭ̦acher «1 Köḷtschziehen mit kleinen Häusli»28 gestohlen. Auf die hiefür üblichen Farben deuten Vergleiche wie chöḷtsch­blaau29 und chöḷtsch­brụụn30 für die Gesichtsfarbe bei Erstickungsnot. Wechseln dagegen weißes und gefärbtes Garn nur im Einschlag, so entsteht das Strĭ̦chli-Fürte̥ch,31 aus dessen Abgang noch Geldsäckchen gefertigt werden.32 Der Stoff selber heißt Strichli­zụ̈ụ̈g, und nach seinen Trägerinnen braucht man die Redensart: es ist Strichli­züüg derhin͜der (cherchez la femme). Noch anzüglicher heißt es von einem «Schürzenjäger»: er macht i Strichli­züüg.

Aus all diesem geht die Bedeutung eines Berufsmannes wie des Webers, speziell des «Leinewebers», genügend hervor. Trotzdem — oder vielleicht destwegen — erscheint der Wä̆ber, das Wäberli als ein zu lebenslänglicher sozialer Kleinheit prädestinierter Mann; als ebensolche Frau oder Tochter die mit ihm konkurrierende Wäbere. Ihre Wohnung ist das gemietete, selten eigene Wäberhüsli = der Wäber. (I mues gschwin͜d i Wäber use, ga der Wäber bsteḷḷe.)

Zu dieser Lage trägt Verschiedenes bei. Zunächst einmal die geringen Wäber­löhndli. Berufe, die sich erst so spät aus familiärer Hausarbeit allmählich herausentwickelt haben, drum ehemals ohne spürbare Geldausgaben in sonst verlorner Zeit ausgeübt wurden, unterliegen doppelt und dreifach dem kärglich zumessenden Überschlagen und Nachrechnen. Der ständige Aufenthalt sodann im Wäbchäḷḷer mit seiner dumpfen, oft moderig-feuchten, mit Kohlenoxyd, Staub und Flocken u. dgl. gesättigten Luft hält alle auf soziale Besserstellung gerichteten Gedanken unter den sich so wie so vereinzelt fühlenden Berufsgenossen darnieder. Endlich gehört der Weber vorzugsweise und naturgemäß unter die Zunft der gebornen Denker oder doch Grübler, deren noch nicht in hundert Branchen zersplitterte Arbeit stetsfort ihren gesamten Intelligenz-Apparat in Bewegung erhält. Sein Beruf erfordert vom Weber stetsfort kleine Erfindungen, Einfälle, Aus- und Umwege, deren glücklicher Erfolg ihm mehr Freude bereitet als ein mehr errungener Rappen. So ist das rechte Wäberli im Kleinen ein Held in den großen Tugenden der Geduld und Ausdauer, des Ertragens und Entbehrens, des Ansichhaltens und Sichzusammen­nehmens.

Dem entsprechen wenigstens teilweise die Gotthelf’schen Weber, die mageren blassen Männer, die in jedem Jahre acht Monate lang husten,33 mit denen aber gleichwohl nicht zu spassen ist,34 wenn man an ihre Berufsehre rührt.35

381 Vom Weber zum Gewebe: zum Wu̦u̦b, wie man im Emmenthal, zum «Wŭ̦bb», wie man im Seeland sagt. Letztere Form schreibt übrigens auch Gotthelf36 (vgl. «Wub» über durchstrichenem «Wupp» in den Trachselwalder-Gerichtsakten37). So heißt auch das Spinnengewebe z. B. in Obergoldbach die Spinn­wu̦bbele (in Lützelflüh: Spinn­hu̦bbele). In e Spinn­wubbele füehre = in eine scheinbar glückliche, in Wahrheit elende Ehe hineinlocken.

Zum Weber begibt sich also eine junge Bäuerin: I sött öppe de umen es Stücki Tuech haa. — «He nu, was ächt für eis?» — He, däich emel afen es Stücki Zwiḷche. Mịner Buebe verschriße d’Hosen, es ist e Schan͜d; u der Maa ist ĭ̦hm o so böös drŭ̦ffe gsịị, wo n er het g’hulfe zimänte für die neui Bsetzi. — «Was heit de̥r ächt für Garn z’wääg?» — He, i ha’s gester zĕllt: es si hundertfüfz’g Feuf­hunderti u neuis Ungrads. — «Jä so, Chụ̆dergarn aḷḷ’s zsäme.» — He ja, für Chụder­zwiḷche, wi söttig Ve̥rheijine müeße haa. — «Nu ja, hundertfüfz’g Strange: das gibt ech grăd hunderte für Zetti u füfzge für den Ịịtrag.» — So, rächnist du ieze däwääg? Wo mer bist di̦ Bettstücki cho gḁ mache, het’s doch für beedes glịịch viil bruucht. — «Ja hää, das sị drum äbe Bettstücki! Das isch haḷt nid gäng glịịch! Wüßt der no, wo n i n e̥ch ha di gstrĭ̦chlete Scheube g’macht? Da het’s ja grad no einist so viil Ịịtrag ’bruucht wie Zetti.» — Grad eso wie für e Haḷblịịn, i b’sinne mi ieze. Wi chunnt o das, Christe? — «Jä luegit, das chunnt drụf aa, was es für ne Zetti bruucht. Für Scheuben und für Haḷbliin, wo der Ịịtrag eso söḷḷ fü̦restaa, mueß d’Zetti gar e dünnbödigi sii. Für d’Zwiḷche bruucht’s e mitte͜l­bödigi. Dir weit se doch nid eso brä̆ttig (steif wie ein Brett) das me se mues dickbödig mache?» — Nei, das nid. — «Nu, so nimen i däich es 24traagig’s Gschi̦i̦r.» — Aber bim Bettzụ̈ụ̈g hest doch für di̦ sälber eso g’mü̦̆melet u nahe g’stụụnet u dŭ̦ g’seit, es brụụch 30 Traage. Wie chunnt de das? — «Jä, das chunnt uf d’Breiti vom Tuech aa. Das isch drum sächs­viertligs (6/4 Ellen = 90 cm breit) gsi̦i̦, u d’s Garn ist dernaa gsii. Eui Zwiḷche machen ig ieze nume feuf e halb-viertligi, de gibt’s e̥ch öppe grad es hundert­eeḷnigs Stücki.» — Hundert Eeḷḷ (oder wi ’s Müeti gäng g’seit het: Eeḷn38)! Das laat sie aanää! Aber wi cheut dir das grad so g’naau wüße? — «Jä, so ganz uf d’Eeḷn use chan i’s o nid b’reiche. Es chunnt de gäng druf ab, wi ’s Garn lauft (ausgibt): gäb vi̦i̦l zerhei, dass me gäng mues chnüpfe. Nu, euers̆ ist süst öppe gäng no guet glü̦̆ffe, es het wohl uusg’gää.» — Aber säg mer doch o einist, Christe, was sị daß eigetlich: Traage? — «He, 382 chömit de cho luege, wenn i ’s Wuub aaträäjje. Dir g’seht de da di Trä̆deli, wo schier gar eso sii wie Bauele-Tä̆he (Dochte aus Baumwollgarn). Da het es nieders̆ gäng 40 Fäde.» — Aber wo nimmt me de die her, wi chunnst de zue nne? — «He die git’s von i̦hm sälber bi’m Zette (S. 383). We men am Zetti-Haspe͜l einist aha gfahren ist u me de bi zwänzg Fäde, wo men i der lingge Han͜d het, um e Nage͜l ume (herum) schlaat, u de umen (wieder) uehe fahrt, so git das es Tschü̦ppeli vo 40 Fäde, u däm seit men e Traage.» — Ahaa, iez verstaan i! Drum chömen am Zetti-Haspe͜l die Strange (oder wi me seit) mängist nume haḷb ahe a sị derfü̦r eso dick... — «Ha ha, fast wie für Breittuech, wo bis 16viertlig cha wärde. Da rächnet men äbe vorher uus, wi viiḷ Traage me mues aasetze für so und so breits u dick’s Tuech, un erst da druus ergibt si de d’Lengi39

Zunächst nun muß d’Zetti g’spuelet sii. Das wagt nur eine in Sachen sehr erfahrne Bäuerin selber zu besorgen. Denn wie leicht ist infolge falscher Berechnung d’Zetti verspuelet: unrichtig auf Spulen verteilt! Daher auch bildlich beim Verfehlen eines Unternehmens: o wetsch, iez isch es verspuelet!

Linkerseits zu sich heran zieht also die Frau oder der Gehülfe des Webers die Garnwinde40 und richtet deren an den Schwinge auf- und abschiebbare dünne Querleistchen (Schĭ̦pfeli) derart, daß die darüber aag’leiti («angelegte») Strange ebenrecht straff gespannt wird. Die Rechte setzt die Kurbel und damit die umfangreiche Scheibe des Spue͜lrad (S. 385) in Bewegung. Die Drehung überträgt sich mittelst des Seite aus Wollgarn auf die etwa 4 dm lange Spi̦ḷḷe, deren spitze Enden in zwei Trägern umlaufen. Über die Spiḷḷe ist bereits der bis etwa 3 dm lange hölzerne Spuele fix aagsteckt. Die Linke führt den Faden in gleichmäßiger Verteilung über die in der Regel 20 (ausnahmsweise bis 24) Spuele hin. Das gemütliche Schnurren der Spindel wird auf das ebensolche der Katze übertragen: sie schnurrt oder spuelet.

Jetzt wird der Zetti-Gatter frei schwebend aufgehängt: ein sonst liegender Doppelrahmen, welcher in zwei Reihen die Zetti-Spuele an senkrechten Zettispiḷḷe uufgsteckt zu tragen bekommt. Ihre sämtlichen Fäden vereinigen sich in der Linken des Zettlers oder der Zettlerin. Bereits ist der etwa 2 m hohe Zetti­haspe͜l derart aufgestellt, daß sein unterer Zapfen über dem Fußboden, der obere unter der Decke eines niedrigen Gemachs sich dreht. Um die vier gleichmäßig aufgeschlagenen und mit der Rechten bedächtig gedrehten Bäume winden sich die vereinigten Fäden in schöner Spirale abwechselnd auf und ab. Unten kreuzen 383 sich die Fadenbündel einfach als Traage zwischen den Holznägeln des Arms, welcher unten den Haspel aufgespannt erhält. Ein ebensolcher Arm trägt oben zwei andere Nägel, zwischen welchen in sorgfältig durchgeführter Rịspi sich Fadenpaar mit Fadenpaar kreuzt. Ein Fehler in solchem rispen verderbt da ganze Gewebe. Drum die sorgfältige Obacht, mit welcher man auch sonst im Leben öppis z’wäg rispet (vgl. il se trame quelquechose) oder öppere i der Rispi («im Rispi»41) het. Wehe erst, wenn die nicht schließlich sorgfältig unterbundene Rispi «verschoben»42 wird oder sonst in Unordnung gerät. Jez ist d’Rispi verschüttet: jetzt hat’s gefehlt!

Alte Garnwinde.

384 Ist dagegen das Werk gelungen, so atmet der Zettler erleichtert auf — wie ein mit schwerer Verantwortung und deren Sorgen Beladener tut, wenn der Gegenstand derselben ĭ̦hm ab der Zetti choo ist. Allgemeiner heißt ei’m ab der Zetti choo: einem nicht mehr zur Last fallen.

Es wird nun also d’Zetti abgnoo oder g’chöttelet: das untere Ende des bis zu Armsdicke gediehenen Fadenbündels formt sich zu einer Schlaufe, durch welche der sich wechselweise durchstreckende rechte und linke Arm des Zettlers Partie um Partie nachzieht, bis eine stattliche Kette am sauber belegten Fußboden sich aufhäuft.

Die Kette gelangt auf den Wäbstuehḷ: ’s Wuub wirt uufzŏge. Zwischen den zwei hintern der vier Bäum, welche als Gerüst des Webstuhls dastehen, dreht sich wagrecht der etwa 2 dm dicke, vielkantige Garnbaum. In die eingemeißelte Chrinne desselben senkt sich das Garnstäckli. Dasselbe trägt in der berechneten Gewebe-Breite das Ende des Zettels, welch letzterer nun hier aufgewunden wird.

Über dem Garnbaum und parallel mit ihm ist der Schlịịch­baum (seltener auch Strịịch­baum) fest eingezäpft. Über seine glattabgerundete vierte Kante wird, behufs strafferer Spannung, der mit der Rispe versehene Zettel-Anfang geführt. Nun öffnet der Reis­chamme seine hölzernen, um 2 cm von einander abstehenden Zähne und läßt den Zettel in erforderliche Breite gegen das G’schi̦i̦r (Web-Geschirr) hin gleiten.

Dieses «Gschi̦i̦r» besteht aus zwei «Flügeln» für das gewöhnliche zweischäftige Gewebe (glatts Tuech). Für das dreischäftige (Zwillich) braucht es drei, für das vierschäftige (Drillich = Trĭ̦ḷch, «Matratzen-Drell» oder «Fischgrat»43) vier Flügel usw. Jeder dieser Flüge͜l enthält zwischen zwei Holzrahmen als Trägern eine dichtgeschlossene Reihe sehr starker Zwirnfäden (Häärle̥f genannt), etwa 3 dm lang. Jeder dieser Fäden formiert sich in der Mitte zu einem 1 cm langen Lä̆tschli (kleine Masche). Jede Masche ist bestimmt, einem Zettelfaden in ganz bestimmter Anordnung Durchtritt zu gewähren. Dies ermöglicht das Ịịzieh. Zu diesem Zwecke setzt sich der Weber auf die dem Garnbaum abgewandte Seite des Geschirrs und streckt sein schmales eisernes Hääggli durch die nächste Masche des wieder an die Reihe kommenden Flügels. Eine ihm gegenüber sitzende Hülfsperson häicht aa: hängt an das Häkchen Faden um Faden, den sie schön voor ewägg dem Zettel entnimmt. Damit sie hiebei nicht irre gehe, halten zwei Rispi-Stäckli, 385 die an zwei frei hängenden Rispi-Brättli befestigt sind, die Rispi sauber auseinander. Die zwei Stäckli werden nachmals durch vier bis fünf hölzerne Rispi-Schĭ̦ne ersetzt.

Spuelrad.

Zweck des Geschirrs ist, die Fabenkreuzung des Zettels so zu regeln, daß jeder Faden des Einschlags dem Tuch das beabsichtigte Aussehen der obern (am Gewand: der äußern) Fläche erteilen hilft. Das ist sehr einfach beim zweischäftigen oder «glatten» Tuch, kann aber sehr kompliziert werden beim 3-24schäftigen Biḷd-Tuech oder «’bildete Tuech». Für das vierfache Aufhängen zweier wechselseitig sich hebenden und senkenden Flügel genügen zwei einfache Gschi̦i̦r-Wöögli oder, wie man früher sagte, Gẹmpfli. Jedes derselben besteht aus einem Paar von etwa 4 dm langen Holzstäben, die sich doppelseitig miteinander kreuzen. Für mehrschäftiges 386 Tuch müssen sie durch ein unter Umständen äußerst kompliziertes System von Fläschline ersetzt werden, deren Funktionen dem kindlichen Zuschauer eine wahre Augenweide bieten. Ein System von Schnüren verbindet jeden Flügel unten mit der ihm entsprechenden Trätte. Bei ihrer Vielzahl (z. B. 24) tasten die der Schuhe entledigten und durch Aufstülpen der Hosen noch freier gemachten Füße mit bewundernswerter Feinfühligkeit jeweils die richtige Trätte ab, bezahlen aber auch ihre Kunstfertigkeit oft genug mit Rheumatismen, die sonst schon mit zum Kreuz des Webers gehören.

Aus den Maschen des Geschirrs wandern die Zettelfäden durch das Blatt. Es besteht dies aus einem etwa 1 dm breiten Rahmen, in welchem in dicht­geschlossener Reihe die Zähne — Blattzän͜d —, jetzt aus elastischen Stahlschienchen, früher aber und besser aus Schilfrohr (Arundo) bestehend, senkrecht eingefügt sind. Das ganze Weberblatt ist einigermaßen nachgiebig im Kammladen (Champlăde) eingelassen. Derselbe ist, frei balancierend, unten mit einer starken Querleiste beschwert, so daß der Weber mit etwelcher Kraft jeden neuen Einschlagfaden dicht an das schon gewobene Tuch fügen kann: zueheschlaa.

Vom Tuechbaum her nun, an welchen die Magengegend des Webenden aalị̆t (anliegt), begegnen den Zettelfäden die aufgeschlitzten Enden der über das Tuech­stäckli hin verteilten Traage. Durch Aaträäjje («Andrehen») werden die gegenseitigen Faden-Enden miteinander verbunden.

So kann nun endlich das Weben beginnen. Der Weber setzt sich auf den Sitzbawch: ein eigentümlich Gerät! An den Vorderbäumen des Webstuhls einhängbar, bildet es gegen die Mitte eine schmale Ausbuchtung, die aber beim Weben von Breittuch dem Körper höchstens einige Anlehnung gewährt. Die Linke faßt die Liiste (Leiste) am Champlade, in welche das Blatt oben eingelassen ist; die Rechte handhabt den Schnẹḷḷ­schutz, d. i. die Schnur an beweglicher Rolle, welche das auf gußeisernen Rädchen gleitende Schiffli,44 aus Buchsholz geschnitzt, in eiligem Tempo mit dem Einschlaggarn — Ịịtrag45 hin und her jagt. Fehlt aber der Schnellschutz — für mehrschäftiges und schmal­gestricheltes Tuch ist er gar nicht zu brauchen —, so schießt (wirft) abwechselnd die Rechte und die Linke das (alsdann ohne Redli gieitende) Schiffchen, und die freie Hand schlaat zuehe. — Aber, o weh, das wĭ̦bt ja gar nid! Kein Wunder: das Schiffchen lauft z’läärem; das Chnĕbeli aus Buchsholz (oder Stahl) trägt kein Spüeli 387 mit aufgehäuftem Einschlag. Also, es muß g’spüelet sii!46 Das besorgen allerdings in der Regel Kinder- oder sonstige eben freie Hände. Das hiezu dienende Spüelirad («Spuhlrädli»47) trägt an seiner chlịịnne Spiḷḷe, die nur durch éinen Träger gestützt ist, die aufzuhäufenden Spüeli: etwa 8 cm lange Röhrchen aus Schilf, Weichholz oder gekleistertem Papier. Es kann aber zum Spüele auch nur am Spueḷrad die große an die kleine Spindel ausgetauscht werden.

Weberknopf.

a) im Entstehen.
b) vollendet.

Bindbaumlätsch.

Aber wieder hapert es: ’s Zettigarn wott nid rütsche. Bei allen Kreuzungen und engen Durchpässen bleibt es flockig stecken. Zur Not genügt bloßes Lööse. Gründliche Abhülfe bringt indeß nur das Anleimen der Flocken an ihre Fäden. Zu diesem Zwecke wird der Zettel aus Baumwollzwirn mit steifem Rindsschmalz; bestrichern, der leinene Zettel dagegen g’schlichtet. Aus minderwertigen Kartoffeln oder Mehlsorten wird hiezu eine Pappe bereitet: die Schlichti48 (allenfalls auch «Glẹtti»49). Mittelst eigener Schlichti­bürste aus Polytrichum commune50 (wohl auch gewöhnlicher Bürsten) wird sie aufgetragen. Glutpfanne oder Blasebalg (Lufter) helfen bei feuchtkaltem Wetter tröchne.

Nun endlich kann der Weber ruhig ans Werk. Meint ihr? Ein Paar Schläge, und wieder heißt’s beim geduldigen Mann: e d’s Chätzer doch oo! (beim leicht erregbaren «hässeligen» — ein wenig anders). Eine Lücke im Tuche zeigt, daß ein Zettel-Faden gerissen («’brochen») ist. Immer derselbe perfide Faden erweist sich als besonders spröde (brööd). Mi mues ga chnü̦pfe, und zwar derart, daß der Knopf unbehindert durch Geschirr und Blatt schlüpft. Drum gibt es einen eigenen Wäber­chnopf. Derselbe läßt sich im Garn nicht wieder lösen, er geit nid ụụf. Drum die Redensart: der Chnopf ist g’macht, die Angelegenheit ist unwiderruflich erledigt.51Roma locuta, causa finita».) Und da der Weberknopf eine kleine Kunst in sich schließt, so heißt sịner Chnöpf mache: Intrigen anzetteln.52

Hin und her geht das Schifflein emsig — neuer Verdruß! Der Einschlag zeigt häßlich hervorstechende Bleifäden;53 die müssen aus feinem Gewebe wieder use gnoo werden.

388 Eine andere «Fehlerquelle» ist durch eine neue Einrichtung beseitigt: die Klemmschraube mit Stahlbelag unten, mit Lederbelag oben. Sonst hatte der von einem Än͜di (Tuchrand) zum andern dicht hinter dem Schiffchengang straff spannende Spannstab häufig Löcher gerissen. Neben ihnen nahmen sich Wäber­näster, durch unregelmäßig zugeschlagene Faden bewirkt, doppelt häßlich aus.

Nun, die Sache geht am Ende doch, und der Tuech­stäcke dicht vor den Knien des Webenden häuft sich mählich zur mächtigen Tuechwäḷḷe auf. Diese kann abgeliefert und dem Eigner mit dem — zuweilen recht hübsch geschnitzten — Eeḷḷstäcke vorgemessen werden. Dabei gehört es mit zur Standesehre des Webers, daß er zu jeder Elle die Breite des Daumens der das Tuch ab der Welle nachziehenden Linken ịịmißt.54

Seit dem siebenzehnten Jahrhundert werden die meisten Linnen ganz, oder halb, oder vierte͜l-’pleikt. Wịịß wi n es Pleiki­tuech (vor Schrecken, Entsetzen u. dgl.) ist ein bekanntes Bild. — Alten Rufes genießt die Pleiki55 zu Lützelflüh. Der um 1629 regierende Landvogt von Brandis, ein Herr mit offenem Blick und Herzen, veranlaßte den Sankt Galler Kästli zur Erbauung einer Bleicherei, um die vortrefflichen Wasserkräfte auszunützen. Das Geschäft ging in der Folge an einen Krähenbühl über, dessen Tochter den Urgroßvater des jetzigen Besitzers von Bleicherei und Färberei heiratete. Damit steht bereits die vierte Generation Geißbühler dem streng technisch geleiteten Geschäfte vor. Neben der benachbarten Farb56 steht die alte kleine Waḷki (’s Waḷkeli). — Bei den Brüdern Geißbühler: Farb-Hăneß (dem Bleicher), Farb-Ueli (Färber und Großrat), Farb-Fritz (dem welt- und menschenkundigen Junggesellen) hielt Gotthelf seinen Lieblings-Abstieg. Hier war es denn auch, wo ein im Oberaargau angesponnenes und angezetteltes «Annebäbi» seine Farbe, wo ebenso die Lichtgestalten in «Geld und Geist», wo ein Erdbeeri-Mareili, ein Meyeli und Mädeli das verklärende Schneeweiß ihrer Charaktere empfingen.

 
1 Geltst. 148.   2 Amtsr. 75.   3 Ök. Fol. 6 E 2.   4 Volksw. 1, 220.   5 Ebd. 1, 201-3. 200, 214; 2, 335 ff.   6 Ök. a. a. O.   7 Pfr.-Ber. 94.   8 Amtsr. 75; GG. 3, 86.   9 Ger. Tw.   10 Graff. 6, 545.   11 Mhd. WB. 2, 2, 229.   12 «Camisia quae sub alba induitur.»   13 Vgl. Du Cange 6, 445 f. s. v. superpellicium.   14 Geering, Handel und Industrie der Stadt Basel (1886), 259 ff; vgl, Z. f. d. Ph. 24, 530.   15 Mhd. WB. 3, 626.   16 Stalder 2, 450.   17 GG. 1, 4; vgl. BSp. 111; UP. 462.   18 Widm. 85. 95 und häufig.   19 Ger. Tw. (1789).   20 AB. 1, 130.   21 BSp. 154. 417; Ztgst. 1, 3. 213; Widm. 134.   22 Ger. Tw.   23 Ztgst. 2, 179.   24 SchM. 1, 8.   25 Ger. Tw. (1793).   25a Der Schewio (Cheviot) ‑Puur.   26 Ger. Tw.   27 Ebd.   28 Ger. Tw.   29 AB. 2, 137.   30 Geltst. 245.   31 Überraschung 341; Ger. Tw. (1791).   32 Überraschung 341; AB. 2, 46.   33 SchM. 1, 25; Übergang 315.   34 Ebd.   35 Amtsr. 76.   36 SchM. 1, 29.   37 Ger. Tw. (1791. 93).   38 Ahd. elina, lat. ulna, frz. aune.   39 Ök. Fol. 6 E 2.   40 AB. 1, 350.   41 AB. 1, 172; Geltst. 341.   42 Widm. 183.   43 Volksw. 1, 453. — «Zwillich, Drillich» sind Übersetzungen aus lat. bi-lix, tri-lix = Tuch, in welchem je zwei oder drei Fäden sich mit einem kreuzen.   44 Widm. 183.   45 SchM. 1, 287.   46 Spüele statt spuele lies SchM. 1, 42. 44 Hsa; 2, 43; Joggeli 26.   47 Geltst. 272.   48 Widm. 183.   49 Ebd.   50 Leunis Kryptog. S. 70.   51 AB. 1, 300.   52 SchM. 2, 295.   53 Ebd. 1, 28.   54 SchM. 1, 30 (ergötzlich!)   55 Wh. Bleicherei, Tröchnihuus, Wageschopf. Sp. Oh. Ack. Ws. 1847; E 5.   56 Färberei, heute Wh. Ack. Ws. Wd. 1338.  
 

Mit Schere und Nadel.

Lange vor unsern Zuschneidekursen lernte die ehrsame Bauern-, Handwerkers- und Taglöhners-Tochter von ihrer Mutter das Schroote ihrer selbstzu­verfertigenden Werktagskleider. Schroote ist überhaupt 389 ein Dialektwort von altem Schrot und Korn, auch in bildlicher Rede. Wir drohen: Wart, i will der d’Chappe schroote! (s. unter «Strumpf».) Einem über den Zaun fliegenden Huhn werden d’Fäcke b’schrootet, d. h. die Flügel gestutzt, und so «schrotet» man Einen, den man in Rechten und Freiheiten verkürzen will.1

Spuelehäber zum Zwirnen.

Wie schlechtes Schneiden ein Schnä̆fle, ist schlechtes Nähen — Nääjje — ein Su̦u̦rple, ein G’su̦u̦rpel, ein Sü̦ḷpere; oder ein G’schnu̦u̦rpf, ein Schnu̦u̦rpfe2 (zücherisch und auch bei Gotthelf3 «schnürpfe»). Das zu «Schnur» gehörende mhd. snërfen und snërchen bedeutet ein «Zusammenziehen» — zunächst etwa so, wie der in seinen Kleidern «Reduzierte» die Blößen z. B. eines Kniestückes durch Überstülpen und Vernähen nach dem Rezept «läng Stich, heit (haltet) enan͜dere!» zu heilen sucht. Vergl. nääjje wi n e Sattler. Verschnurpft sind auch Strümpfe, die nicht regelrecht gestopft worden. «Verschnürpft» war das blatternarbige Gesicht Jakoblis.4 Der Schnurpf­grin͜d: 1. häßlich aussehender, 2. verachteter Mensch. Auch «das Gnääj»5 ist Bezeichnung einer schlechten Näharbeit.

Aus den verschiedenen Arten Nähte (Vor- und Hin͜der-Sti̦i̦ch, Saumstiich, Chötteli- oder Lätschli­stiich, Fanäll­stiich, Gägestiich oder Lịlache-Naht, Bättler­naht, Trööḷḷnaht, letztere aus Hin͜der­stich und Saumstich zusammengesetzt)6 verwendet die Mundart bildlich die Uber­wi̦ndligs-Naht, das uber­wi̦ndlig Nääjje. Ein Betrunkener, der mit gekreuzten Beinen und einwärts gekehrten Füßen im Zickzack daherstolpert, macht Uber­wi̦ndlige.

Es Briefli (Paketchen) Naadle. Neben Nadeln liegen im Naade͜lhụ̈si oder stecken im Gu̦fechü̦ssi stets etwa eine Anzahl Stecknadeln: Gŭ̦fe und Gü̦̆feli. Auf ihre Kleinheit deutet der Vergleich 390 mit etwas Unauffindbarem: Da fun͜d men ĕhnder e Gufe i mene Fueder (oder Chlaafter) Heu! Interessant ist die Abstufung in Maßangaben: Es Gufe­chnopfs groß, en Ärbs, e Baummuß, es Ei’s groß. Wi n e Gufechnopf ist auch etwas mühsam zu suchen.7

In unsern Abbildungen fehlt auch der Spuele­häber nicht. Dies selten gewordene Gerät dient zu einer eben so selten gewordenen Verrichtung: dem Fade zwirne. Wer indes auf einen Nähfaden Wert legt, wo nid chrụ̈ụ̈selet (sich nicht kräuselt), und wo nid Chnü̦ḷz (übel gedrehte, knotige Stellen) drinne sịị, ersetzt sich den Spüelifăde der Maschine immer noch etwa mittelst eigenhändigen Zwirnens am gewöhnlichen Spinnrad aus selbst­gesponnenem Garn.

E Sach z’Fade schlaa («z’Fade zieh»8): eine Angelegenheit vorbereitend in Gang bringen. Der Fadeschlag. Der Sach der Faden abschnịịde. Fade, wo nääjt: ein Mittel, ein Vorgehen, welches wirkt.

Das Fadechörbli mit dem darin unvermeidlichen Minggis9 (Krimskrams). Ke Hushaltig ist ohni Ghü̦ü̦rsch (s̆s̆) im Fade­chörbli. Es ist eis e kei rächti Husfrau, we si nid es Ghüürsch im Fade­chörbli het. — Längfädig, d. i. ermüdend, umständlich kann sowohl eine Erzählung, Auseinander­setzung, als der Referent sein.

E Naadlen ịịfä̆dle, seltener: ịịfädne und ganz verschollen das gute alte ịịfädme (zu Fadem, wie Bodem, Gadem u. dgl.), «fädme».10 — Der Nähtlig11 ist so viel Faden oder Garn, als auf ein Mal eingefädelt wird. Von einem Redner, der nicht zu Ende kommen (vgl. ländte) kann: Aha, er het aber e länge Nähtlig ihe g’macht!

Die Fadenspule heißt das Spüeli. Der Garn- oder Faden-Knäuel: die Chlungele,12 das Chlungeli.13 Das Chlung­tscheli:14 reizend dralles kleines Kind. Rätsel: Es ist öppis nume chliin wi n es Ei, u doch möge ’s vier Roß nit zieh. — Mythologischen Hintergrund hat die Fasnḁcht-Chlunglere (die alte Berchta, welche die mit Spinnen nicht fertigen Mägde bedroht und straft). Ihrem vermummten Erscheinen entspricht einigermaßen die als Chlunglere bezeichnete Titelfigur des «Hinkenden Boten» mit ihrer Frisur und der an ein Spinnrad erinnernden Weltkugel.

Abgesehen vom Zeichne der Wäschestücke mit rotem Faden ist das Sticken oder Prodiere («brodiere», franz. broder und border, eigentlich: einen Tuchrand mit Garn einsäumen, saume) eine vornehme, 391 etwa für Besuchsstunden aufgesparte Arbeit. Es werden Pantöffeli prodiert, oder wenigstens die Schueh­blätze dazu. Es Paar Hose­trääger, e Schilee­blätz (Westen-Vorderstück): Mittel, um gewissen Orts bei noch nicht ganz gewissen Aussichten sich in freundliche Erinnerung zu bringen.

«Pantoffeln brodieren oder einen Tabakbeutel häkeln», war noch nicht Mode in der Vehfreude.15 Wie entschieden das Hääggle es heute im Bernerland ist, beweisen die altmodischen weißbaumwollenen Decken über Tisch und Kanapee, Bett und Schubladestock der Hinterstube.

Eine entschieden zu wenig geübte, ebenso feine wie solide Knüpfarbeit ist das Filo­schiere (-s̆-; la filoche = das Netz). Netz-Unterhemden und ‑Unterhosen, Halstücher und Halsbinden, Mịte (mitaines) und Handschuhe sind ebenso zierliche wie praktische Erzeugnisse dieser schönen Handfertigkeit. Im Groben veranschaulichen sie der Grasbogen und das Heugarn.

Um so geübter ist und bleibt (auch im Zeitalter der Strickmaschine) das Stricken: Lĭ̦sme. Seit 1535 aus Burgund über das Elsaß und Basel zu uns gekommen, ward ehedem diese Fertigkeit auch durch Männer geübt, erstreckte sich aber auch auf allerlei schätzenswerte Gewandstücke, von denen heute noch der Lismer (Spenz) Zeugniss redet. Vgl. das «Lismerhuus», ein Gütchen zu Huttwil (1783). Auf Frauenhand beschränkt, ist heute hier das Lisme eine so gewohnte und selbst­verständliche Betätigung (da und dort vielleicht auch Vorspiegelung) häuslichen Fleißes selbst an Schul- und Examen-Besuchen, daß sie — im Vergleich mit der rauhen bäuerlichen Hantierung — gar nicht mehr als Arbeit erscheint. Wer nüüt tuet, lismet. Und so eifrig lismet doch, wie heute bereits das ABC-Mädchen,16 nicht nur ein allzeit dem Haushalt lebendes Mädeli und Rösi.17 Es setzen auch Pfarrfrauen18 mit allem Fleiß und setzten Landvögtinnen19 wenigstens zum Schein die Lismete (das Strickzeug) in Gang. Die nämliche Geschäftigkeit vorspiegelnd,20 lismerle Welschlands­töchter «öppe dem Schatte naa»21 an einem Geldseckel.22 Nur vollständige Nichts­könnerinnen wissen nicht einmal um das elementare Dü̦restäche, umeschlaa, dürezieh un abelaa, und müssen sich von einem Kesselflicker foppen lassen, si heigi gäng einen Lätsch uf der Naadle un eine drun͜der.23 Oder es sei bereits ’s Pörtli obenab gfụ̆let,24 wenn es zum Einweben des Ratte­schwänzli (Garn-Endstümpchens) in den Zehen-Zipfel komme, 392 oder auch nur schon zum Abchäpple (zum Chäppli, dem Umbiegungsstück der Ferse), ja sogar bloß zum ersten Abnää (Abstäche, Verminderung der Maschen, diminuer) für das Wadenstück.

Nicht weniger als die Strick-, läßt sich die ebenso unentbehrliche Stopfnadel — Wu̦ḷḷe­naadle — mit Grazie handhaben, wenn auch der Dichter, der sie besänge, noch zu suchen ist. Mit dem Maschenstich, Lismer­stich Strümpfe stopfen oder umemache, wie man Blößen, Dünnine im Tuch, ausgefranste Enden (Ụụs­g’fiseret’s usw.) umemacht oder vermacht: das darf sich ebensogut sehen lassen, wie das Neumache eines Strumpfs, eines Kleidungsstücks. Umsomehr, da dem «Umemache» ein gewissermaßen solenner Gefühlswert inne wohnt, welcher ihm in der Unterscheidung zwischen höherm und niederm Stil eine Superiorität von mindestens zwei Graden über dem vulgär klingenden blätze zuteilt. Mitten inne steht das neutral sich haltende schriftdeutsche «flicken». Man beachte den Ton, in welchem man vom Blätze eines Kleidungsstückes, Kochgeschirrs, Zubers, Korbes, einer Kette usw. spricht; ebenso eines Häuschens, und bildlich von «Löchern»25 und Rissen in der Lebenskraft. Man «blätzet Verfassige zwäg»,26 wie man Wagen und Roßzüge zsäme­blätzet,27 mit unglücklichen Umbauten Geld verblätzet.28 Genau ist blätze s. v. w. Aufsetzen eines Flicklappens (Blätz) auf eine beschädigte Stelle z. B. durch die Hausmutter, welche an den Gewändern der Ihrigen von Zeit zu Zeit eine Blätzete29 vornimmt; durch den Flickschneider (Blätzli­schnịịder), der ebenso bessere Gewänder behandelt; durch den Schuster (d. i. «Schuh-Näher»30), der auf eine Blöße des Leders eine Riestere setzt. Vgl.: aus einem Unterkleid «zweu an͜deri z’wäg­riestere»,31 und so bildlich irgend etwas notdürftig herstellen: zwägriestere, zsäme­riestere. Ist die Riestere, das Riesterli, wie der gleichnamige Teil des Pfluges ausweist, ein zungenförmig ausgeschnittenes Stück irgendwelchen Stoffs (Eisen, Holz, Leder, Tuch), so ist Blätz s. v. w. Stück im weitesten Sinn. In unserm Zusammenhang ist es also Flickstück; für den Gemüsebau dient der (Pflanz-) Blätz ein Stückchen der Haut ist gemeint bei der Redensart: enan͜dere Blätzen abrịịbe; hyperbolisch sagt man: sich Blätzen abchlăge; in bloß linearer Ausdehnung gedacht: ein «Stück» Weges: i chume no ne Blätz, es Blätzli, es Blätzeli mit der.

Was man mit einem Flickstück bedeckt, kann sein: ein Riß oder Schranz. «Schranz» (zu «schrinden» und «Schrund») ist überhaupt 393 Riß, Spalte, Bruch (vgl. der «Hofschranze», der ein hofgemäß geschlitztes Keid zur Schau trägt), und ei’m öppis abschränze ist abzwacken. Ferner: eine abgenutzte Stelle, eine Blöße, also 1. eine Dü̦nni, die noch notdürftig zusammenhält, 2. «es Loch». Letztere Bedeutung als die ursprüngliche geht schon aus dem Synonymenpaar blutt und bloß (blutt u bblooß) hervor, welches sichtbar auf éiner Grundform32 beruht. «Blutt» spielt denn auch seine Rolle zunächst im Rechtsleben,33 woran sich anschließt: einen andern34 oder sich selber35 blutt mache, d. h. aller Habe bis auf das Unpfändbare entblößen; blutt s. v. w. vermögenslos, auch: ausgehungert.36 (Vgl. «bluttarm» als von Jakob Grimm vermutete Grundlage von «bluetárm» = äußerst arm, falls dies nicht doch wie «blutwenig» sich erklärt.37) E blutte Marchstei ist durch die Pflüge der Anstößer von aller Erde entblößt.38 Eine Lichtung im Wald: e Blü̦tti. Es Blutt­mụ̈ụ̈seli: in seiner Nacktheit reizendes Kindchen. Bluttfues gaa: baarfuß (baarfis39) gehen. Um 1790 ging ein Gemeinderat barfuß und in neuen Zwilchhosen ans Schulexamen.40 Das Wesen des Erdbeerimareili aber «hatte etwas Eigenes, fast möchte man sagen: Vornehmes, trotzdem daß es barfuß ging».41

Welcher Gegensatz dazu der «Lump», «Fötzel», «Hudel» auch im eleganten Gewand! Alle drei Synonyme gehen aus vom Begriff des kleinen Zeugstückes. Mit «Stück, Pletz, Lump» wird 1523 der «Lappen» umschrieben, und dasselbe bedeutet ja der um den Kopf gewickelte Lumpe42 (der «Gsunkets- (Gesundheits-) Lumpe» der unter Zugluft das Zimmer reinigenden Schaff­hauserinnen, das «Chopflueder» im Gadmental und das «Schnụ̈zlueder» (Nastuch) dortselbst). So stehen bei uns der Naselumpe, der Wäsch-, Putz-, Bodelumpe im eifrigen Dienst der Reinlichkeit; ja ersterer (das Schnupftuch) kann in gesell­schaftlichen Ettikette-Fragen eine wundersame Rolle spielen. «Vor aḷḷem uus — instruiert Müller seinen jungen Kollegen im Lehr- und Leichenredner-Amt 394 — nimm dị schönste Naselumpen i Sack, u häich e Zopfen e chlii voruse. Wenn d’ zum Huus zuehe chunnsch, so gib dene Manne d’Han͜d, zieh der Naselumpe füre, wüsch d’s Gsicht dermit ab u säg, du sigist starch glü̦ffe. Wenn d’ i d’Stube chunnsch, so zieh wider der Naselumpen usen u schnụ̈z es paar Maḷ, das biwịịst männlichi Teilnahm.»43

So fügt sich der Lumpe geschickt und geschmeidig in tausend Bedürfnisse und Wünsche. Allein — und das ist der Welt Lohn — gerade das Selbst- und Willenlose solchen Dienstes macht ihn zum Urbild alles verächtlich halt- und charakterlosen Wesens. Glumpelig und lümpelig (widerstandslos weich und nachgiebig) heißen die Übergänge hiezu. Am Ziel des Weges aber steht der aller Selbstachtung und Selbstzucht baare Mensch — der Lump. Es hat also mit dieser ethischen eine sprachliche Abspaltung sich verschwistert: «die Lumpen werden die Lumpe»,44 ganz so, wie der und die Tropfen zu «der arm Tropf», «die Tröpf». Solch ein Lump nun lumpet, stellt Lumpete um Lumpeten an, bis er alles ihm Anvertraute verlumpet het und schließlich verlumpet (bankerott) ist. — Sit Dir (Ihr) das Glump? lautet ein Neckruf beim Kartenspiel.

Der Hŭ̦de͜l (verwandt mit den «Hadern» und mhd. «der hadel») ist zunächst ein ebenfalls zu Ehren gezogener45 und erst bei gänzlicher Invalidität dem Hudilụmper,46 dem «grusam brave Hudlepeter»47 (verächtlich dagegen «Hudilump»48) ausgelieferter Lappen. Hudle gää ó warm: in Ermangelung eines Bessern nimmt man mit dem Vorhandenen vorlieb. Er het e Grin͜d wi n es Fueder Hudle (vgl. «Bauelegrin͜d»). E g’hudleti Geis (langhaarige Ziege); g’hudleti Chatz (Angora-Katze). Etwas oder jemand hudle: in schwankende oder zitternde Bewegung versetzen, schütteln, wie auch Fieber, Aufregung, Furcht es tun;49 ihn zwäghudle;50 bildlich: «das Volk hudeln und plagen».51 «Der Stier söḷḷ mi hudle, wenn...!»52 Moralisch: jemand ausschelten,53 über ihn losziehen.54 — Der schlimme Nebenbegriff nun stellt sich ein, sobald der Hudel als loser, flatternder Teil eines Ganzen an diesem hängt und ihm das Aussehen des Unsoliden, des noch Unfertigen oder schon im Zerfall Begriffenen gibt. So geht der Verlumpte in Hudle oder in Hüdeli, verhudlet, ghudlet, hüdelig55 einher; sein Gewand ist es Ghude͜l, gleichwie ein zerfallendes Gerät,56 baufälliges Haus u. dgl. Vgl. die Hudel-Ornig usw. 395 Wie aber Der Lumpen zum Lump, so wird der Hudel (Lappen) zum Hude͜l, Hüde͜l, Hüdeler. Diesen Übergang illustrieren zahllose (bekannte) Witze und Neckereien, u. a. die gegenseitige Mahnung unserer kleinen Schlittenfahrer zum Ausweichen: Achtung, es chunnt es Fueder Hudle! D’s Hude͜l’s gaa (den Weg des H. g.): ökonomisch zugrunde gehen, s. v. w. verlumpe.57 Als solcher «Hudel» handeln heißt hudle,58 hüdele, aḷḷs (das seine) verhudle, verhüdele; Hudleten aasteḷḷe. Der Hüdeler59 — In mitleidigem, erbarmendem Sinn: «der Hudi list» (wie ein Hund) das Weggeworfene auf.60 «Eh du arme Hudi, gschwin͜d, gschwin͜d a d’Wẹrmi!»61

Bolzwage (Hudilumper­wöögli).

Mit «Fetzen» endlich, was ursprünglich in gutem Sinn «Kleid» (vgl. sogar «Sonntags­fetzen»62) bedeutete, steht in Zusammenhang: das G’fotz, soviel wie Glump, G’hudel. E gfotzleti (vgl. ghudleti) Geis. Wie der Lumpen zum Lump, verhält sich der Fotzel63 zum Fötzel; fotzle (in Lumpen: verfotzlet, «verfötzlet»64 einhergehen) wird zu fötzle, d. h. 1. als Lump sich geberden, 2. über jemand als einen Lump spotten, ihn uusfötzle.

Eine ähnliche Wortgeschichte steckt in Plunder, das einst (z. B. 1441) auch in der Bernersprache65 u. a. Gewand und Hausrat bedeutete (Plunder zu plündern wie franz. robe zu dérober und Raub). Erst mit seinem verächtlichen Sinne des ordnungslos umherliegenden Allerlei machte es einer Reihe anderer, nach und nach auch wieder veraltender Ausdrücke Platz. So der «Waat» (Wat;66 «das Leinwat, damit er bekleidet ist;»67 altdeutsch die wât und das giwâti, gewaete). An Stelle der «Waat» trat das «Gewand», womit man den Leib «umwindet», umwickelt, umhüllt (wobei die Konkurrenz mit «Waat» ein Schwanken des Geschlechts hervorrief: «das Leinwat» — «die Leinwand» 1. Leinenkleid, 2. der Stoff dazu). Wie das «Gewand» auch die gesamte kriegerische Ausrüstung mit umfassen konnte («Gewandhaus» = Zeughaus), 396 so finden wir umgekehrt «das Gschütz» für Kleidung.68 Am allgemeinesten ist natürlich das «Kleid», und zwar bedeutet in mundartlicher Färbung es Chleid ein Kleidungs- als Ausstattungs­stück, das in prägnantem Sinne «kleidet», d. h. dem Träger vorteilhaft steht. Ein ganzer Anzug heißt B’chleidig, noch häufiger jedoch (und namentlich für Kinder-Gewand): Die Aalĕgig. Mit kürzender Objekts­verschiebung sagen wir statt «das Kleid an den Leib anlegen»: ’s Chin͜d aalege, sich aalege. Sich an͜ders̆ aalege: sich umkleiden. Dabei hat «aalege» den bemerkenswerten Doppelsinn von «bekleiden» (vêtir = mit Gewand ausstatten) und «ankleiden» (habiller). «Jez isch das Chin͜d doch ordlig aag’leit.»69 Mit jener Objekts­verschiebung sagt man auch: sich oder jemanden abzieh = auskleiden. Zu solch ordentlichen Anziehen steht im Gegensatz das bloße Aawu̦u̦sche,70 Aafungge,71 wie zum richtig glatt Ansitzenden das Ver­rumpfete.72 Beides ist der Fall beim Faaggeli und Hää(r)peli,73 beim Tămscherli und Schlamp, und hootschig (hotschig) chunnt dahaar der Hootsch oder Hŏtsch.

 
1 AB. 1, 345.   2 Geltst. 189.   3 AB. 1, 245; BSp. 355.   4 AB. 1, 245.   5 MW. 2J. 119.   6 S. Anna Küffer, Prakt. Anl. z. weibl. Handarbeiten Bern 8.   7 BwM. 176.   8 Kongreß 166.   9 Basl.: Miggis.   10 AB. 2, 53.   11 MW. Anna 143.   12 Schuldb. 299.   13 UK. 162   14 SchM. 2, 343.   15 Käs. 95.   16 Vgl. Ankers liebliches Bild «Schweiz» 1900, 179.   17 AB. 1, 383.   18 EbM. 253.   19 BSp. 243.   20 UK. 257. 288.   21 UK. 145.   22 Geltst. 19.   23 Joggeli 31.   24 AB. 1, 383.   25 AB. 1, 73. 276.   26 Kongreß 143.   27 Käs. 246. 264.   28 Barthli 43.   29 MW. Ws. 23.   30 Die scheinbare Endung -ster ist lat. sutor, «Suter», aus «súere», nähen, consuere = frz. cou-d-re, eigentlich zusammennähen.   31 MW. Ws. 26.   32 Got. blauthjan = aufheben, abschaffen; Marc. 7, 13.   33 Geltst. 203; Michel 208; UK. 201, Vgl. Beitr. 438.   34 Schuldb. 349 und ö.   35 Ebd. 351 und ö.   36 Ebd. 402.   37 Nämlich als Mechansierung aus Fügungen wie: Du söttist di schäme i dis bluetige oder blüetige Härz ihe = dein Herz, dessen wesentliche Eigenschaft es ist, «bluetig» oder «blüetig» = duchblutet zu sein; also in dies dein wahres, wirkliches Herz = in Wahrheit bis in dein Herz hinein. (Vgl. the very town = «die eigentliche Stadt» = die in Wirklichkeit so zu nennende Stadt = die City gegenüber dem Weichbild.) Vgl. auch «chidigi Nacht» S. 118 hievor. — Wie nahe «blutarm» mit «blutarm» sich berührt, zeige folgendes Gespräch um Biel: «Üse Bueb ist gäng e so matt, er hett’s wie Blii i de Beine», — «Er ist däich bluetarm.» — «O bhüet is nei, bhüet is nei, was täichit der? Er het vo sir Mueter feuftuusig Fränkli, u vo mir git’s einist o no öppis!)   38 BSp. 10.   39 Ebd. 381.   40 Berner Volksztg. 1902, 5. März.   41 EbM. 272.   42 Geltst. 279.   43 MW. BK. 46 f.   44 Käthi 86 Hs.; vgl. Goethes «bescheidene Lumpe».   45 Käthi 186; Kätheli 280.   46 Dursli 261.   47 MW. 2J. 156.   48 GG. 1, 25.   49 AB. 2, 328.   50 Widm. 126.   51 Tell 79.   52 MW. 2J. 87; SchM. 2, 305.   53 Ebd. 198.   54 AB. 2, 334.   55 Geltst. 343.   56 MW. Mg. 268.   57 AB. 2, 43.   58 SchM. 1, 93.   59 Bitt. SE. 4.   60 Dursli 216.   61 AB. 2, 419.   62 Kluge5 105.   63 AB. 1, 315.   64 Ball 57.   65 Schwz. Id. 5, 115.   66 Ztgst. Hsa.   67 RB. 67.   68 Ztgst. 1, 118.   69 MW. 2J. 253; vgl. aahaa, to wear, «antragen» (Rebm. 605).   70 GG. 2, 59; Geltst. 67.   71 MW. Anna 186; Geltst. 67.   72 UK. 293.   73 AB. 2, 35.  
 

Das Alltagsgewand.

«Die Toilette eines Bernermädchens fängt da an, wo manche Modedame noch gar nicht daran denkt: beim Hemde.»1 Auch den echten Bauernsohn erkennt man schon am feinen und weißen Hemd.2 Aber nicht weniger ehrenfest erklärt die Tochter aus armem Haus ihrem Bruder: «Diner Hemmli si öppe nid, wi n es si für ne Schulmeister schickt.»3 — So die Qualität dieses zu unserer Tracht unentbehrlichsten Gewandstückes. Auch am Werktag ist dasselbe, und zwar im Bauernhause bis zum Härdchnächt hinunter, es wịịßes Hemmli. Nur sehr allmählich macht dasselbe dem Wollhemde Platz, obgleich letzteres auch hierzulande längst bekannt ist.4 Etwas häufiger wird das Barchenthemd (Barchet­hemmli) getragen.

Und das Quantum! Es Dotze Hemmli,5 für aḷḷ Sundig chönne z’schang­schiere, ist ein Minimum, das jeder achtbare Bauernknecht überschreitet. Allerdings ein respektabler Luxus gegen die Tage der spinnenden Königin Bertha, wo mehrere Prinzessinnen zusammen ein Hemd besessen haben sollen.

Im sommerlichen Alltagsgewand.

397 Am Hemmli un a de Schuehne g’chennt me der Vagant. Flugs also, wenn wir nicht das Geschick eines Pestalozzi vor Brugg erleben wollen, zunächst hin zur Nääjjere (wie die Weißnäherin — Lingère — und Schneiderin noch zur Stunde heißt), und Hemden bestellt! Und zwar solche, an denen Ärmel und Stock (beim Männerhemd: der Schiḷt, Hemmli­schiḷt)6 vom gleichen Stück7 sind; die Brust noch nach alter Weise g’fäḷglet (platt anliegend gefaltet); die Eerme͜l (Ärmel) dagegen ohne Brasseli8 (bracelets), vorn weit offen, damit durch ihr Rückwärts­stülpen (Hin͜dere­litze) die Arme zu größter Kraftentfaltung frei werden; die (Achsel-) Bblĕgi9 und das Rụ̈̆tli (der rautenförmige Einsatz in die Achselhöhle) recht stark. (Beim Stock­hemmli der Frauen werden die Achselstücke durch die bis in das Halsbändchen hinauf­reichenden Ärmel ersetzt, wobei aber Ungewohnte sich fühlen wi i mene Chomet. Daher ist auch das pụ̈ụ̈rsch (s̆s̆) (bäurische) Werktags-Frauenhemd lieber ein weitärmeliges: es wị̆ts). Der Hemdkragen (Hemmlis-Chrage) 398 wird noch heute selten separat, lieber am Hemd aufgenäht, getragen; doch heute sieht man ihn allgemein umgelegt (ahe­glịtzt), nur noch bei ganz alten Männern «schön herauf über die Ohren» gezupft10 und zwäg’zŏge,11 zwäg­g’streckt.

An «Hemd» erinnernd, sei gleich hier das «Montur-Camisol» erwähnt, in welchem 1789 12 ein Strafgefangener entwich. Sonst erscheint damals13 «Hemd und Leibli» (das Lịịbli) als Nachtgewand eines Mannes. Die gewöhnliche Bezeichnung eines solchen Oberleibwärmers ist: der Mutz14 (mit Ärmeln: Ärmelweste), wogegen «ein weißes Leibli von Satinen mit gelben Knöpfen» (1793)15 und «es sidigs Libli»16 bereits unserer Weste gleichkommen. Vgl.: «1 halbleiniges Westli mit Ärmel»17 (1798), unser Eerme͜l­schịlee. Ihm entspricht der Brustlatz der Truber-Bauern von 1830,18 das «rote Brosttuech» der Appenzeller. Die heute allgemeine Bezeichnung der Weste ist: das SchịleeGilet»19).

Bei kleinen Knaben (beim Pfü̦̆deri) hängen die Weste (oder das Gstäḷtli, welches bei kleinen Mädchen auch als Anhalt der Unterkleider dient) und die Hosen noch zusammen; deshalb kleidet sich die Frage «hältst du mich für einen dummen Jungen?» etwa auch in den Auruf: Meinst öppe, der Schnịịder heig mer d’Hosen u ’s Schilee o no an enan͜dere gmacht?

Die früh mittelalterliche «Kotze» (die flockige Wolldecke, welche um den Leib geworfen wurde) kam aus der romanischen Entlehnung (cotta) wieder zu uns als «Kutte» — aber in wie vielsagender Bedeutung und Gestalt! An sie erinnert zunächst die Mönchskutte. Sie war also nicht unser knapp anliegendes Ober-, sondern ein den ganzen Leib umhüllendes Über-Kleid. Von seiner Art sind etwa der moderne Frauen-Überwurf oder auch der aus ältern Tagen in unsere Zeit hineinreichende Frauen-Shawl. (Das ursprünglich aus feinstem tibetanischem Ziegenhaar verfertigte Zeug heißt persisch schâl, englisch shawl, französisch le châle, bei uns die Schăle, das Schä̆li.20) Näher schon kommt jene «Kutte» unserer Gewandung in Form des Mantels; jedoch noch lange nicht unseres Überziehers, oder etwa des graziös auf dem Arm getragenen Mänteli eines modernen Elégant,21 das in etwas der sommerlichen Wịsịte (visite) einer Dame gleicht. Ebensowenig entsprechen der alten Form das moderne Schággett (la jaquette), die leichte Beḷḷerine (la pélerine) oder das einst sogar bei Bäuerinnen Mode gewesene Talma (nach dem berühmten Pariser Schauspieler benannt). Dagegen näherten 399 sich der «Urform» einerseits der mehr vornehme Bú̦rnu̦ß (maurisch «burnus») oder Burnu (französisch «burnous»), anderseits der währschaft bäurische Kabú̦t, der Kaputrock aus «elbem» Wollstoff, einst auch von Frauen und Töchtern im Unwetter getragen.22 Mit solchem Mante͜l, dessen Kragen als «Kappe» (Zipfelmütze) sich über den Kopf schlagen ließ, haben wir uns z. B. einen filzigen Joggeli in der Glungge ausgestattet zu denken.23 «Schäbig» nahm sich, dagegen 1789 das «halblinige Manteli» einer armseligen Hinter­lassen­schaft aus.24 Um so wirksamer ließ sich mit ihm ein unliebsamer Tatbestand vermäntele25 (vgl. «bemänteln»).

Spitzes Hemd.

Hinwieder erinnert «ein grauer tuchener Reitmantel» von 1793 26 an den vornehmen riding coat und la redingote. Wie erscheint neben ihm das blaue Uber­hemmli unserer Viehhändler und Bauern, die sich damit für unreinliche Hantierung aller Art zurüsten! Zierlich wird dagegen durch Wahl gefärbter Stoffe für das nämliche sackartige Gewand die Blụụse (la blouse) und das Blụụsli als Soummerkleid unserer Knaben.27 Ihm entspricht das Burgunder­hemmli oder der Burgunder, der von Westen her bis in unsere Gegend gedrungen ist.

Dient hier der Überwurf als Ersatz des männlichen Rocks, so ist 400 auch «Die Kutte» von ihrer Bedeutung als «Kaputrock»28 vollends zurückgetreten und hat diejenige unserer heutigen Chu̦tte, des Chü̦tte͜l und des (bewußt verkleinernden, den Nebensinn des Bemitleidens­werten tragenden) Chü̦tteli angenommen. Ihren Ursprung verleugnet sie aber noch jetzt in bäuerlichen Kreisen nicht: hier wird sie bloß zum Schutze gegen Kälte und Unwetter getragen;29 selbst d’Sundig­chutte (der Sonntagsrock) wird von Knaben und jungen Männern, die dafür ihr schönes blankes Hemd zu zeigen haben, auch beim gewöhnlichen sommerlichen Kirchgang zu Hause gelassen und ersetzt damit gewissermaßen den einstigen Mantel für feierliche Anlässe. Auch in ihrem Zuschnitt gemahnte sie bei alten Männern bis vor kurzem an das alte wallende Übergewand: Wie die Kutte des Trubers noch zu Schweizers Zeiten «die Strumpfbänder berührte» und auch bei uns fast bis zur Erde reichte, so glich sie in ihrem mangelhaften Sitzen30 etwa der «wärklige» (närrischen) Äärgauer-31 oder der Luzärner-Chutte, «wo me kem Posterli aalege törf».32 War sie damit auch für das Hineinwachsen der Jungen berechnet («für n es Läbe g’macht»33), so verschaffte die nicht karge Verwendung des Tuches ihr den Namen Späcksị̆te­chutte.34 Als Füdle­chlopfer verspottete man den für eine geraume Zeit sie verdrängenden Frack oder schwalben­schwanz­ähnlichen Flügelrock, dessen Flügel («Klopfer»35) seinerzeit zu manchem spassigen Bilde Veranlassung gaben; so mit ihrer beträchtlichen Breite,36 die sogar zum Schmuggeln einlud,37 oder dem Junggesellen zum Auswischen seiner Tassen diente.38 Ihr «Schwenken» bei eiligem Gang wurde dem Träger als Stutzer­haftigkeit zugerechnet.39 Besonders hat das eim a de Chutte­fäcke hange40 oder ein bi de (oder der) Chuttefäcke erwütsche41 (vgl. der «Ziehfecken»42 und das Zöpfli43) sich bis in unsere Tage forterhalten. — Man fand aber auch lange Zeit kein Gefallen44 an dem kürzer und kunstgerechter geschnittenen Gehrock, das Bálto genannt. (Le paletot ist eigentlich «Mantelrock».) Dasselbe ist aber heute fast durchgehends durch Schaggett und Westong (veston) wieder verdrängt. Der Ursprung seines Zuschnitts brachte dem Paletot die bis vor kurzem gehörten Namen der Aṇglees («die Anglaise»45), das Angleesli ein.

Auch zur (winterlichen) Sonntags-Frauentracht gehört das bis auf 401 die Hüften hinunter reichende Chu̦ttli. Mit seinem engen Anschließen an den Leib vertragen sich keine weiten Ärmel,46 obwohl solche einige Zeit Mode werden wollten. — Eine andere Bezeichnung für «Chuttli» ist Tschööpli: ein Kleid, das dem Tschoope ähnlich geschnitten ist. Die wirkliche Bedeutung von Tschoope und der bewußten Verkleinerung Tschööpli ist nämlich: Obergewand des Kindes, auf bloßem Leibe oder allenfalls über dem Hemdchen getragen. Daher Eim der Tschoopen aalege oder ihn tschööple:46a wie ein Kind behandeln, foppen, übertölpeln. Von daher bedeutet der Tschoope auch wieder ein tölpisches Mädchen. — Etwas lockerer schlägt sich um den weiblichen Oberleib das Jaggli; ganz lose tut dasselbe der altmodische Schlu̦tti oder der Flauti, Flaudi, Flauder.47

Gemalt von R. Münger.

Bei Gotthelf erscheint einmal48 ein «Schnepf» als Damenrock.

Der bäuerliche Frauenrock hinwieder, welcher mit der knapp an den Oberleib sich schmiegenden ärmellosen Chitte͜l­brust für den Werktag bisweilen éin Stück ausmacht und bis auf die Knöchel hinunterreicht, heißt der Chi̦tte͜l. Bei halbwüchsigen, oder auch bei augenscheinlich armen Mädchen heißt das entsprechende Gewandstück Chitteli. Seine obligate Farbe war bei Mädchen hellblau, bei Frauen tiefschwarz. Chittel war aber (wie z. B. noch im Appenzellischen) ehedem auch Bezeichnung des Männerrocks. So im Mittelalter, so noch bei Gotthelf.49

Für ein Mittelding zwischen Bäuerinnen-Kittel und Damenrock hörte man ehemals den Namen Jepe (ïe).50 Heute gehört das Schụ̈̆ppung51 (le jupon) als Unterrock und Notkleid52 der städtischen, das Gloschli «mit dem hellen roten Rande»53 in gleicher Verwendung der bäuerlichen Tracht an. «Die Kammerzöfchen, die Köchi, das Stubemeitli, und wie die Gloschli­husaren alle heißen mögen.»54

Wie ehemals alte Strumpfrohre als Stump-Hose55 im Frühling und Herbst das Gloschli ersetzten, dann aber den Unterhosen Platz machten, so haben bis zur Stunde Gloschli56 und Hose noch etwas gemeinsam: sie sind die symbolischen Vertreter der Hegemonie in Haus und Heim57 geblieben. Ungefähr gleich oft aber bezeichnen die Hosen den Gegensatz wie zum Weibischen, so auch zum Weiblichen,58 und es wird einer Person, die in erster Linie nicht in die «Hosen», sondern zunächst einmal unter die Haube schlüpfen möchte, das Diktum in den Mund gelegt: 402 We’s nume höselet — gäb wi n es pföselet! Nicht weniger bedeutet solch ein Kleid den schwarz-weißen Grenzpfahl zwischen dem «Kind» (wie bezeichnender­weise der Zürcher das beim Rock verbleibende Mädchen benennt) und dem werdenden Mann: dem Rockbueb und dem Hosebueb.

Der Umstand aber, daß diese toga virilis der Hosen schon in sehr früher Zeit an Stelle des Kinderrocks tritt, bringt den Träger solcher Auszeichnung bisweilen in drastische Verwicklungen mit ihrer Signatur der Männerwürde. Nur zu oft ist die Erinnerung an die «ersten Hosen»59 an das recht ernstlich entwürdigende d’Hose oder d’Höseli ahelaa59a geknüpft, und das keineswegs immer, weil etwa das Häkchen künftiger Mannheit sich zur Unzeit kümmern wollte. Vielmehr tritt ebenso oft jene «Verlegenheit» ein,60 die den Träger des Männerkleides zum Höseler61 stempelt. Höseler heißt dann nach solchem auch der Großgewachsene, der da, wo er «Mann» sein sollte, ’s Härz i de Hose nide het, und den Titel Hose­schịịßer aus dem Bereich des niedern Stils in den höhern der zornerregten Gefühlssprache hinaufrücken läßt. Ein solcher «Höseler» sieht überall Rot und Gefahr, selbst wo er keineswegs i bööse Hosen ist (in schwieriger Lage steckt), sondern bloß in momentaner Ratlosigkeit sich befindet.

«Es hatte dem Korn (Dinkel auf der Flur) weder in die Hosen noch in die Blüte geregnet.»62 Dieser Vergleich mit der etwas bauschigen Halmscheide über dem untersten Knoten (vgl. auch die Hösli an den Hinterbeinen der eintragenden Bienen, oder den Teigbelag gebratener Froschschenkel usw.) erklärt sich aus den «Knie-» oder «Stump-Hosen»63 älterer, bei uns etwa bis ins Jahr 1855 hinaufreichender Zeit. Als Fortsetzung der nord-gallischen «bracca» und der mittelalterlich-deutschen «bruoch» (Hüftenbedeckung) umschlossen sie eng und knapp die Knie, daher die Bezeichnung «Spitzhosen».64 Unterhalb des sie tragenden Gürtels (Hosebän͜de͜l) flatterten sie bauschig,65 weshalb Schweizer in Trub66 sie kurzer Hand «Schwinghosen» nennt. Sie waren so umfänglich, daß noch um 1800 aus einem einzigen Paar dieser gefalteten Beinkleider «ohne weiteres Hinzutun ein stattlicher Weiberkittel» verfertigt werden konnte.67 Das war nur möglich wegen der Zusammensetzung aus mehreren Stücken (Blätzli); deshalb auch der Name Plötzli­hose.68 Schlitzli an den Seiten69 mit Knöpfen70 oder Schnallen71 ermöglichten das An- und Ausziehen. Sie trugen aber auch den 403 altmodischen Eignern solcher «kurzen Hosen»72 den Titel Schlitz­hösler73 ein, als die «langen74 und straff anliegenden75 Hosen» mit ihren erst bis auf die Knöchel, dann bis fast auf den Boden reichenden Röhren, den Hosebei oder dem Hose­gschlötter, in allgemeinere Übung kamen. In den wunderlichen «Stegreifen»76 suchten dann Vornehmere eine neue Auszeichnung. — War also der Schlitz zur Seite altmodisch geworden, so gab dagegen der Schlitz, der den Latz, den Hoselăde, das Hosetööri allmählich verdrängte, um 1850 den Gegenstand eines heftigen Federkrieges unter den militärischen Verwaltungs­behörden ab.77

Und nun der Schurz, die Schürze, die Scheube, das «Vortuch» oder «Fü̦ü̦rtuech», Fü̦ü̦rte̥ch, «Fü̦ü̦er­te̥chli»,78 Fü̦ü̦rte!79 Letztere Form so geläufig, daß die Volksetymologie sie mit dem ursprünglich einzigen Sumiswalder-Hof «Fü̦ü̦rte» in éins nahm und aus der Fürte (Schürze) als Kaufpreis für den Hof nach der Pest von 1349 herleitete.80 — Zur Schonung des Gewandes trägt der Handwerker auf dem Arbeitsplatz «ein Fürfähl, von einem Rotgerber geliefert» (1790);81 trägt er den Metzger-, den Bäcker-, den Schmitte-, den Gärtner-Schurz, die Wäber-Scheube usw. An den «Kuchi­fürtechen»,82 «schwarz und klebrig» herumliegend, erkennt man das Köchinnen-Regiment; Kellnerinnen legen zum Bedienen «die weißen Präservativ-Scheuben»83 weg und ziehen dafür die Chäḷḷnere-Scheubeli an. Um «ein Kaffee zweg» zu machen, legt Annebäbi «ein ander Fürtech um»84 und legt die Ausgeh-Schürze weg. Letztere wird also zum Anstandskleid, zum Präsentations-, Ausstattungs-, Putzstück, ohne welches schließlich keine Weibsperson mehr denkbar ist.85 Ja schließlich kann das Fürtuch soviel wie «Weibsbild» bedeuten,86 und der «Schürzenjäger» fahrt eren iedere Scheube naa. «Um Öl zu holen»,87 um einen Besuch zu machen,88 bindet man e besseri Scheube um, so daß es sufers̆ Füürtech umlege geradezu identisch wird mit «einen Ausgang unternehmen».89 Kein Wunder, das man sich auch zum Empfang respektierter Gäste,90 überhaupt zum Repräsentieren,91 mit der Schürze ausrüstet, die dann freilich keine «wohlfeile Äärgäuer-Scheube»92 sein darf; oder daß man die bereits 404 umgebundene Schürze rasch losbindet und wendet, hurti d’Scheube chehrt.

Immerhin dient die Schürze auch noch zu andern, zu wie vielfachen Zwecken! In ihr werden Sämereien (wie Mangold, Kümmel) zum Trocknen aufgehängt. Über einen Transportkorb für Hühner spannt man verhüllend eine Schürze. In die hinten aufgebundene und derart vorn zu einer riesigen Tasche geformte Scheube sammelt die Ährenleserin beiläufig Ähren, sammelt die Hausfrau und trägt das Kind Obst,93 Bohnen, Salat; in ihr holt sie Schnitze aus dem Speicher, Eier aus dem Hühnerstall, trägt sie zur Hühnermahlzeit die Körner her. In solcher Tasche bringt die gewandte Heuerin ganze Scheubete voll zusammengerechte Halme dem Wagen nach,94 in einer «Schäube» holt eine arme Person ihre Gewänder ab.95 Ja in der «Wassernot»96 trägt eine Mutter ihren Säugling «im Fürtuch» durch die Fluten. Wehmütig zog eine andere Mutter ihr Fürtuch ab, «legte es über das Bett ihrer drei magern Kinder, setzte sich wieder ans Rad, spann und betete.»97 Mit dem Fürtuch auch schützt das weggelaufene Stüdeli das Kleine vor dem Regen;98 mit der Schürze wehrt eine andere die Fliegen vom schlafenden Kind. — Zum Ersatze fehlender Scheiben vermache si z’... am Sundig d’Pfäister mit de Wärchtigscheube, am Wärchtig mit de Sundigscheube; drum isch es dert viḷ schöner am Wärchtig düre z’gaa weder am Sundig. — Im Notfall deckt man das warmgestellte Essen in der Ofenecke mit ere Scheube. — Zum eigenen Schutze werfen vor dem Unwetter Fliehende sich die Schürze über den Kopf.99 Seine Erregung verbergend, tut dasselbe ein Mädi.100 Die frierenden Hände stecken Weiber,101 stecken Kinder102 unter das Fürtuch, wenn letztere nicht gar dem Müeti under d’Scheube schlüüffe,103 wie wenigstens schüchterne Mädchen104 wirklich und Muttersöhnchen105 oder Pantoffelhelden106 figürlich dem Müeti am Füürte hange. — Neugierigen oder kritischen Blicken entzieht man zu verbergende Dinge trefflich unter der Schürze.107 — Zum Schutz aber des Festgewandes bei einer raschen kleinen Hantierung bindet ein «tifiges» Mädchen sich eine Schürze um den Hals,108 wie eine gescheidte Frau zum Sitzen auf feuchten Boden sich die Schürze unterbreitet, ein Meyeli aber am Hochzeitsmahl sich das Fürtuch über den Schoß zurücklegt.109 Einem schäkernden Mädchen dagegen ist das vom Regen durchnäßte Fürtuch gerade gut, um es dem Melker um den Kopf 405 zu schlagen.110 Das trockene hinwieder dient einem Mädi111 wie einem Annebäbi als Handtuch, einer dritten als Schweißtuch,112 einer vierten als Nastuch;113 warum denn nicht auch als Staublumpe,114 als Hutbürste,115 als Gläsertuch.116 — Wenn Bedauern heuchelnde Nachbarinnen «mit einem Zipfel der Scheube» in den Augen herumfahren,117 «und die Tränen kommen wirklich»,118 so ist das eine wirksame Folie zu der rasch versteckten Rührung einer wackern Frau119 und zu den mit dem Fürtuch bedeckten nassen Augen, mit welchen eine Bäuerin vom wackeren Knecht,120 die Großmutter vom Enkel121 und die Mutter vom Sohn,122 «das arme Frauchen» vom Ernährer ihrer fünf Kinder für eine Weile123 und das wackere Mädchen von dem in den Krieg ziehenden Geliebten für immer124 Abschied nimmt.

Die vorn angeführte «Kutte» als Mönchsgewand bedeutete auch «Kappe», wie umgekehrt die «Kappe» (gleich der Kapuze der Kapuziner) Leib und Kopf miteinander bedecken konnte, und zwar bei Frauen wie Männern. Als weibliche Kopf- und Nackenbedeckung dieser praktischen Art figurierte noch vor kurzem bei uns das Gápuschung (-s̆s̆-, le capuchon, städtisch «Gapüschong»125) und für kleine Mädchen das Gapu­schungeli.

«’s ist wäger doch e gueti Sach, wer jetz (im Winter) e warmi Chappe het!» heißt’s bei Kuhn,126 und eine solche Kappe erscheint bis zur Stunde trotz immer neuer Form als die für den «gemeinen Mann» gegebene, die natürlichste Kopfbedeckung. So zunächst die «Mannenkappe» (1791),127 die beim höflichen Bauersmann auch den «Hut in der Hand» bedeutet,128 beim übermütigen Jungen aber, schief auf einem Ohre sitzend,129 den uf drei Schoppe gerichteten Hut. Hieher stellt sich auch das Vergnügen, womit man einer Sache, die man wohlfeilen Kaufs und doch auf gute Art losgeworden, no d’Chappe naa­schlängget.130

Unter all den Formen der Männerkappe kommt der «Urform» am nächsten die Zipfelmütze: die platt anliegend über den Scheitel und bis über die Ohren stülpbare Tschötteli­chappe, seltener aus Bauwolle gestrickt, häufiger aus Wolle, und wenn’s gelten soll, aus Seide gefertigt. In weißgrauer Naturfarbe tragen sie noch Gotthelfs «Erbvetter»131 der Sime Sämeli,132 ja der Statthalter,133 und für den in Solothurn vermißten Hansli dient sie zur Personal­beschreibung.134 Auf Haueters 406 und seines Knechtes Kopf aber,135 sowie für Müller «Moosbauer»136 erscheint sie bereits, wie heute ausschließlich, tiefschwarz gefärbt. Bei beiderlei Aussehen aber ist unerläßlich das die Bewegungen des Gehenden mitmachende137 und das Verb «abzotteln»138 veranlassende Chappe­tschötteli.139 Wie eine Miniaturausgabe dieser Kappenform nimmt sich aus das schwarze Chüejjer­chäppi, welches, wenn auch aus Samt oder Reps geschnitten und auf dem Kopf des studierten Stuben- oder des Bureau-Mannes sitzend, immer noch gerne diesen Namen trägt.140 (Noch bewahrt Gotthelfs Familie dessen eigenes «Chüejjer­chäppi» auf.)

Verschwunden ist dagegen die für unsere Bevölkerung unpassende, als Mailänder­chappe bezeichnete farbige Zipfelmütze. Ebenso die Schirm- oder Schụfe͜l­chappe; an ihren Platz trat die Schiḷt­kappe, welche gleich der Schnee­chappe unserer Knaben über Ohren, Kinn und Nacken stülpbar, unserm Klima entspricht und wieder dem Urbegriff der Kappe sich nähert. Wer solchen Schutzes nicht bedarf, begnügt sich im Winter mit der Beḷzchappe,141 wozu Katzen die Verbrämung liefern. Sie teilt ihren Namen aber auch mit der Blụ̈ụ̈sch- (peluche-) chappe, und selbst die oben flache Täḷḷer- oder Tä̆tsch­chappe142 aus irgend welchem Stoff hat mit der Pelzmütze ihre Benennung gemeinsam. — Necknamen wie Scheḷme- oder Lụ̈ụ̈se-Teche͜l sind natürlich auch hier nicht fremd.

Das im Winter über Haupt und Hals schlingbare Gáschnee (-s̆s̆-, cache-nez) wird in sommerlicher Kühle bei Frauen durch das dreizipflig gefaltete, sehr kleidsame Ohre­tüechli ersetzt. Dagegen ist die weibliche Kappe mit dem Blätz143 als Mittel- und Hauptstück und den berühmten Rŏshaar­spitzli144 ein Gegenstand des Museums geworden, so lieblich auch heute noch ein Meyeli145 und Mädeli146 sich in diesem bräutlichen Kopfputz ausnehmen würden.

Gar nicht so sympathisch dagegen, wie diese Spitzenhauben, erscheint dem unbefangenen Beschauer der Sammlung des Herrn Geißbühler in Grünenmatt das von Gotthelf,147 Widmer,148 Ott149 und neuerdings noch in der «Schweiz»150 so unermüdlich gefeierte, in Wahrheit recht unpraktische und im hohen Sommer mit seinem Geruch fast unausstehliche Schwäbe͜l­hüeti oder Schaub­hüetli151 (1751: «Schaubhut»): der mit Schwefel gefärbte und gesteifte weibliche Strohhut. Das Gefällige und Gute an ihm ist vollständig nachgeholt durch die von Fröhlich152 407 so bewunderten Strohhüte, welche die große Mehrheit unserer Frauen und Töchter ohne übertriebenes Mitmachen aller Modelaunen noch heute trägt, bei passender Statur und Bewegungsart der Trägerin speziell durch die von Gotthelf als Schlampi­huet,153 Lampihuet154 verurteilte Bergère, diese Nachahmung des der nord­französischen Schäferin Schirm und Schatten spendenden Hut. Das Heraus­forderndste der Modetorheit liegt übrigens bei jeglicher Hutform in der Art der Garnitur,155 und der Emmenthaler sagt in bedeutungsvollem Doppelsinn von etwas, das «über’s Bohnenlied geht»: das geit no uber d’Huetschnuer!

Der Wanneflueh-Müller (88-jährig) mit Pelzkappe.

Der sommerliche Strouhuet wechselte auch beim. Mann schon zu der Zeit156 mit dem «leichten Käppchen», als der «aufgestellte Wu̦ḷḷhuet»157 und der «niedere breite Wätter­huet»158 noch als Ausnahme­kleidung neben der Kappe figurierten, der moderne Filzhut aber als vornehme Auszeichnung159 galt. Un͜der em Hüetli spile160 (wie der Taschenspieler tut) heißt Intrigen anspinnen.

Als Ergänzung des Hüftgewandes (der bruoch) konkurrierte die Hose mit dem Strumpf in Sache und Namen, bis die Hose als Oberschenkel­bekleidung die bruoch mit zu umfassen anfing und dafür vom Strumpf als dem Unterteil (frz. le bas) abgetrennt wurde. Der Strumpf trat nun in Konkurrenz mit Stiefel und Gamasche (Uber­strumpf). Das erklärt Redensarten wie: d’Uber­strümpf aalege = «sich auf die Socken machen» = sich zu einem notwendigen Ausgang sputen;161 auch Späße, wie die bekannten von den «drei läderig Strümpf»162 oder den tannige Hose und hagebuechige Strümpfe.163 Fast buchstäblich konnte man von solchen sprechen, als man Fersen- und Sohlenstücke mit 408 dickem Tuchbelag übernähte, wo me d’Strümpf g’chappet u g’sŏhlet het. Damit es hiebei «kener Rümpf» absetze, mußte das Zuschneiden dieser Belagstücke mit etwelcher Kunst geschehen, und vollends die glatt anliegende Umhüllung des Fersenteils mußte gezeigt und gelernt werden. Drum galt «Eim d’Chappe schroote» auch als Bild für eine ernste Belehrung, scharfe Zurechtweisung, und eine recht erregte Drohung kleidete sich in den Zuruf: Dir will i de d’Chappe schroote, dir! Vgl. Eim abchappe, e Chappe gää; er het e Chappen uberchoo; en Abchappete.164 Natürlich mißriet auch dieses Kunststück bisweilen; dann war d’Chappe lätz: übel hergepaßt, verkehrt aufgesetzt. Es hatte gefehlt! Daher auch hier die Bilderrede: Jez ist d’Chappe lätz! jetzt ist’s gefehlt; das Feuer ist im Dach. «Nimm di in acht, süst ist de d’Chappe lätzi.» Eim d’Chappe lätz mache: Einen mutwillig herausfordern, necken.

Welche Wohltat dagegen ein in allen Teilen zü̦giger Strumpfqui ait du mollet»), der weder prättig (steif wie ein Brett), noch auch gatterig g’lismet ist, und in welchem man sich wirklich wohl und bebaglich, eben recht oder gut im Strumpf165 fühlt. Nur so ist man auch fähig, «sich in andere Strümpfe»,166 d. h. in die seelische Verfassung der mit ihnen identifizierten167 Eigner «zu denken».

An die Zeiten aber, wo die Strümpfe noch seltenere Kleidungsstücke waren, erinnert z. B. ein Mädi, das für den Sommer gar keine,168 für den Winter aber vor und nach Neujahr je ein Paar besaß.169 Allein noch heute legen auch habliche und zwar sogar ältere Erwachsene für den Sommer die Strümpfe fast ganz beiseite. Von Frauen und Mädchen zu Gotthelfs Zeit wurden sie wie die saubere Schürze zum Ausgehen angezogen.170 Um so entschiedener gehörten schöne weiße Strümpfe zum Sonntags- und Festschmuck auch der Männer, als die Kniehosen sie vollständig bloßgelegt ließen. Da hatte denn auch das Strumpfban͜d seine erhöhte Bedeutung, und vollends das silberne feierte goldene Tage. Das Strumpfband ging selbst in die Bildersprache über. Dä laat si d’Angst o nid uber d’Strumpf­bän͜der (oder «bän͜de͜l»)171 uehe wachse, d. h.: der nimmt’s gemütlich, übereilt sich nicht. Du mueßt d’Strümpf bin͜de u gaa!172 = spute dich, eile («gürte deine Lenden!»).173 Selbst der aufgegangene Hase bin͜dt d’Strümpf174 und entgeht dem Jäger. Das war auch die Zeit, wo Strickkünste wie das 409 schön gefurchte Pörtli (kleine Bord) gleich nach dem hübschen Anfang (dem Aa­g’li̦tschte) das Lob der Meisterin verkündete. G’löcheret Strümpf175 dagegen, in welchen umgeschlagene und abgestochene Maschen in zierlicher Anordnung Hohlmuster bildeten, schmückten die Frauenfüße. Ähnliche Hohlmuster, in dreieckigen Streifen über die Knöchelpartien sich hinziehend, gaben die am Frauenstrumpf noch geschätztern Mö̆deli (Zwickel, «Zwicke»).176 Aber auch der Gegensatz blieb nicht aus: Strümpfe ohne Fersenstücke («Ferseren»,177 Fäärs̆ere, ahd. fërsana), welche die Umschreibung des Glänzens: das glänzt wi ne Bättler­fäärs̆ere erzeugt haben; zerlumpte Füßlinge (Fü̦̆rfüeß),178 deren Abgang nur durch Neuersatz (ein Fü̦rfüeße179 des Strumpfes) zu decken war usw. Doch auch hier konnte neben der tiefsten offenkundigen Armut der größte versteckte Reichtum unterschlüpfen. Wer gegen den muffigen «Duft» (das Fürfüeßele) einer derartigen Sparkasse nicht allzu empfindlich war, versorgte in ihr, gleich wie in alten Fürtuch- und Strohsäcken, seine Ersparnisse; wie denn auch noch in unserer Tagespresse180 wiederholt die Kunde von neuen russischen Anleihen bei Frankreich mit dem Ruf glossiert wurde: Marianne, tue der Strumpf uuf!

Das Bild vom sommerlichen Barfußgänger, der jeweils vor Anziehen der Schuhe sich mit einer Beißzange die in den Fuß eingetretenen Fremdkörper herauszog,181 gilt noch für unsere Tage wenigstens so weit, daß Kinder und halbwüchsige Jungen zur Sommerszeit im Bereich von Haus und Heim mit größtem Vergnügen barfuß gehen. Im Winter aber ziehen sie, gleich den Erwachsenen, selbst für weitere und beschwerliche Gänge, wie für den Schul- und Käsereiweg durch Schnee und Kot, den billigen und doch warmen Hoḷzschueh bei weiten vor. Für den «Hoḷzschueh» kann auch gleichbedeutend die Bezeichnung Hoḷzbode gelten, worunter im engeren Sinne die der Ledersohle samt Absatz entsprechende Unterlage aus leichtem Weiden-, Linden- oder Tannenholz verstanden wird. Natürlich wird auch diese an der Unterseite gehörig mit großköpfigen (Roß-) Negle, sogar mit spitzig eingreifenden Mụ̈ụ̈se­chöpfe b’schlage. So gibt das Klappern (Troogle oder Trŏgle) solcher Hoḷz­tröglinen in dem ring­hörigen hölzernen Haus herum einen Ohrenschmaus ab, um dessen willen besonders Kanke, Nervenschwache und Studierende das Landleben bisweilen in eigenen Tönen segnen und preisen.

Das aus geringerem, oft nur altem Leder gefertigte Über­g’schüeh mit oder ohne Futter (Füeteri) geht natürlich nach nicht sehr 410 langem Tragen zugrunde, ohne einer Flickerei wert zu sein. Daher ein Vorsatz oder ein Versprechen, sich (moralisch) zu bessern, etwa mit dem Sarkasmus aufgenommen wird: Ja, du besserist di, wi n en aḷter Hoḷzschueh!

Das Hoḷzbödele,182 das Handwerk des Hoḷz­bödeler, ist demnach ein Gewerbe, das seinen Mann nährt. Ebenso das des Finke­macher, aus dessen Händen oder dessen Fabrik all das Schuhwerk hervorgeht, welches für leisen Gang im Hause herum dient: die Straufinke oder Strau­schueh aus dickem Strohgeflecht; die Tschụ̆gge, Tatze, Tási̦ne (Einzahl: der Tăsi) aus Filz, besonders geeignet, um unhörbar im Hause herum z’tä̆sele (vgl. auch eim täsele = schön tun) oder z’dụ̈ụ̈ßele; die Roshaar­finke, von besonderer Solidität; die fast ebenso haltbaren, dazu hübsch farbig herzustellender Än͜difinke aus Tuchrändern.

All dieses Gehzeug verfertigte ein junger Bursche als anstelliger, fleißiger Geselle. Hören wir in Kürze seine Geschichte! Derselbe hatte einen äußert jähzornigen und eifersüchtigen Meister, und eines Tages galt es rasche Flucht. Unser junge Mann muß d’Finke chlopfe (sich fortmachen, eigentlich: die Filzschuhe als zum Wandern undienlich ausklopfen und beiseite stellen). Aber dem noch Mittellosen fehlen gute Lederschuhe; bloß ein Paar uustrappeti Schlarpine sind sein eigen. Zum Glück ist der Schuhmacher (Schuehni) im Nachhbardörfchen sein guter Kamerad; der schuehnet ihm gewiß, damit er selber raschen Laufs zu schuehne183 (vgl. scheichle und zürch. «beindle») imstande sei. Sofort nimmt in der Tat der Schuhmacher ihm ’s Määs (das Maß), mißt ĭ̦hm Schueh aa und sputet sich. Denn der Verfolger kann dem Armen jede Stunde «auf den Fersen» sein, hinter ihm drein wie einer, der vexatorisch einem andern Schueh aamißt: beständig seine Schuehnase am Absatz oder am Hin͜der­stuck184 der Schuhe des Vordermanns anschlägt. Der Kamerad aber, der eben auch nicht Sŏhḷläder a der Hụ̆t het,185 sondern, die Sachlage durchschauend, sein Bestes zu tun bereit ist, überblickt erschrocken den geringen Rest des ihm vom Lädermaa (Ledermann, Geschlecht) gelieferten Materials. Doch, es langt gerade noch, wenn er auch alles knapp aufbrauchen, aḷḷs versŏhle muß. Ein Tag also Versteck- und Wartezeit, und der Junge ist für immer davor sicher, vom brutalen Meister noch ferner versŏhlet185a (als Wehrloser gleichsam wie Sohlleder «geklopft») zu werden. Das extra starke Vorderleder wird ein erneuerndes Vor­schuehne nicht so bald nötig werden lassen; und da aufgenähtes Über­g’schüeh 411 immer noch besser hält als aufgenageltes (g’năglet Schueh), nimmt unser Arbeitsmann Träggarn und Bäch (Pech) zur Hand und fertigt gewandt den Bäch- oder Spett-Traht. So entsteht der immerhin etwas schwerfälligere Bächschueh, dessen Eigner aber dafür, daß er ’s Bäch i de Schuehne het, eben kein Bäch mit de Schuehne het. Zudem fordert die Berufsehre auch vom schleunig erstellten Werk eine gewisse Eleganz. Der Schuster überstreicht also nach alter Manier die Ränder der Sohlen mit Saft von Teufelsabbiß (Tormentilla succisa), greift zum Fummelholz und fu̦mmlet (poliert) drauf los. Dem Burschen fährt’s durch alle Glieder: Grad so het ne n aḷbe der Meister g’fummlet! Und nun sind die Schuhe fertig; sie werden aa’probiert und sitzen trefflich! Obschon neu, änge si ni̦i̦d, ggöffle aber auch nicht, als zu groß geraten, um den Fuß. Mittelst der Straufen oder Strippen (Lăsche, -s̆s̆-) können sie rasch angezogen werden, ohne daß man eines Schueh­löffels bedarf, einen solchen wohl gar im Nachbarhause sich leihen muß.186 Flugs hat unser Junge d’Schueh bun͜de, gleichsam wie der jeden Augenblick zur Flucht bereite Hase (vgl. d’Strümpf); ein herzlicher Dank und Abschied, und der Flüchtling eilt fort: git Bäch («pächiert»,187 «pächet»188), was i d’Schueh maa. Nun mag sein Verfolger ihn verschimpfen, wie wen er i ke Schueh ihe meh guet wär:189 er chan ĭ̦hm i d’Schueh blase!190 Warum frönte er dieser Leidenschaft! es gscheht ihm i d’Schueh ihe rächt,191 daß er einen guten Arbeiter auf diese Weise verloren; dem Flüchtigen aber tuet das Gefühl seiner Befreiung wohḷ bis i d’Schueh192 ahe. Er findet bald Anstellung; ein glückliches Arbeitsjahr, und der Unternehmungs­lustige eröffnet ein eigenes Geschäft. Er heiratet — aber o weh! nid e schöne Schueh voỊḷ, nei, beed Schueh voḷḷ het er usegnoo! Er gerät in Schulden, er ist bald i böse, böse Schuehne! Er verliert den Kredit, verliert die Arbeitslust, verliert den Mut: ’s Härz gheit ĭ̦hm i d’Schueh (vgl. Hose) ahe. Das liefert ihn den Gläubigern vollends in die Hände: sie bedrängen ihn, steigen ihm ins Haus, si trappen ĭ̦hm uf de Schuehnen ume;193 sie göö mit de Schuehnen uf ĭ̦hn: bildlich194 zunächst mittelst Betreibungen und schließlich, da sie nichts kriegen, buchstäblich.195 Er ist ihnen auf Gnade und Ungnade ausgeliefert: er mueß si la un͜der d’Schueh nää.196 En iedere Schlarpi wott ieze der Schueh an ĭ̦hm abputze (abwüsche).197 Auch seine bisherigen 412 «Freunde» kehren sich kalt von ihm ab, ja feindlich gegen ihn: si gään (geben) ihm der Schueh. — Doch, selbst mit dem Mut ist noch nicht immer alles verloren. Ein alter Götti lebt noch, der Bruder jenes Meisters. Der hat im Stillen alles beobachtet und weiß genau, wo unsern Mann der Schueh trückt.198 Und er faßt einen großen Entschluß. Er saḷbet sịner Schueh:199 macht sich auf den Weg. Und sein Patenkind stiflet er uuf;200 spornt es an zu neuem Sichaufraffen. Schau, sagt er, der erste Blick auf die schief getretenen Schlärpeli201 deiner Braut sagte mir, daß sie eben selbst ein trauriges Schlärpeli202 oder vielmehr ein ausgemachter Schlarp sei, der aber zugleich mit seiner eingebildeten Bildung sich anmaßen werde, dich tüchtig z’pandoffle.203 Ich sah auch voraus, daß sie mit dem Geld umgehen werde, wi wen es numen eso dür n es Stịfe͜lrohr ahe rägneti.204 Wen ere n aḷben ihri Molière-Schüehli eso g’chääret hei, weist, eso wịsịtelig, hest nid gwüßt, was das bidütet? «Nei». He, wen Eim d’Schueh chääre, so sị si̦ no nüüt zahḷt! Sie führen ständige Klage für ihren Verfertiger. «Aber, Götti, worum hest nie o numen es Wörteli derglịịhe taa?» Das hätt nüüt abtreit! Wen Eim nid es Bitzeli Hụ̆t uber d’Ohren ab’zoge wirt, wirt der Schlimmst nid gschịịd. Du bist erst als junge Maa us de Buebe­schuehne use gschloffe,205 fürdaß de n iez als e rịịffe di rächte Wassersti̦fel aalegist,206 u schaffist, was zähen an͜der, wo nume Lăschine sịi. Fach (fang) früh aa: da si drụ̈ụ̈tụụsig Fränkli! (Nach langem stummen Blick des Dankes): «Aber u de du, Götti?» Häb nid Chummer für aḷt Schueh, Gott verlaat en aḷte Schwịzer nịi̦d!

*  *  *

Handschuh heißt Häntsche. So unpassend auch die feine Bäuerin «Häntschli im Summer»207 findet, so gut weiß sie für den Winter die fein wollenen Handschuhe, für Schlittenfahrten den Schlupf208 (Muff) und für Präsentations­zwecke etwa den Haḷb­häntsche zu schätzen. Für harte Winterarbeit im Freien dagegen dient der Zwịlch­häntsche, der bloß für den Daumen eine eigene Behausung (den Tụ̈ụ̈mlig), für die übrigen Finger aber nur éin gemeinsames Unterkommen darbietet. Mit seinem soliden Futter dient er auch zum Angreifen von Dingen, die man mit bloßer Hand nicht berühren darf oder mag. Alle feinere 413 Tastempfindung ist dann aufgehoben. Drum von etwas «Hand­greifflichem» die Rede: das cha me mit eme Zwiḷch­häntsche grịịffe. Ein solcher Handschuh ist auch leicht zu wenden, was aber der Eigner selber besorgen will. Sonst tritt der Fall ein wie bei der Kappe: iez ist der Häntsche lätz, d. h.: jetzt ist’s gefehlt!

Den Glacé-209 und den hirschledernen Handschuh kennt die gewöhnliche Sprache etwa so, daß sie von Fleisch und dgl. zääch wi Häntsche­läder, redet. (Ebenso von zäher «Gebuld»).210 Wịịß­läderig drịị aber luegt Einer, der mit verdrehten Augen ins Leere starrt.

Mị̆te211 (mitaines, Pulswärmer) und Mánschette (manchettes) verlängern nach Bedürfnis die Handschuh­bekleidung über den bloßen Arm hin, indeß die Stööslig (Stößli)212 die Gewandärmel gegen Abnutzung beim Schreiben schützen, die Stoos-Ermeli aber dem kleinen Kinde warm geben.

Futter (doublure) heißt Füeteri. Du gist ihm nid Füeteri213 (vgl.: reckst ĭ̦hn nid ’s Wasser): bleibst in geistiger Ausstattung weit unter ihm. Verstärkender oder steifender Tuchbelag unter einzelne Gewandteile: die Bblĕgi («Blegi»).214 Es Gloschli und dergl. bblege («blegen »).215

Ein schmales Band heißt (der) Bän͜de͜l. Den Saum eine Gewandes mit solchem einfassen: das Gewand ịịbändle216 oder verbän͜dle.217 Der Fü̦ü̦rtech­bän͜del218 = die Scheube­schnuer. Wi ne Scheube­schnuer soll beim Honigschleudern der edle Saft aus dem Ablaufrohr des Kessels rinnen. Der Schueh­bän͜de͜l = der Schuh­riemme. Wenn Eim e Schueh­bän͜de͜l uufgeit, täicht öpper an Ein.219 Du löösist ị̆hm nid d’Schueh­riemmen uuf (gist ĭ̦hn nid Füeteri). Der «Bändel» gelegentlich als Gängelband für Kinder gebraucht, erzeugte die Redensart Ein am Bän͜de͜l («Gwunderbändel»)220 füehre221 oder haa,222 Ein verbän͜dle:223 zum Besten halten, narren.

Zu einer Schleife geformtes Band: «Letschband»,224 Lä̆tsch. «Einen» oder «den» Lätsch macht an der Unterlippe der passionierte Pfeifenraucher (Tubak­lätsch), aber auch die Schmollende, oder die verblüfft und damit anscheinend dumm Dastehende, die daher selber Lätsch heißt: bis (sei) doch nid e söttige Lätsch!

Andere Zierden an Gewand und Kappe, an Stock und Pfeife usw.: Troddeln, Zotteln,225 Tschottle, Ttschötteli.

414 Zum An- und Übereinander­schließen früher allgemein an Hemd und Rock226 usw.: der Haft oder das Häftli aus Eisen oder Messing, zum Einhäkeln in das Ringli aus nämlichem Metall, oder in das aus Zwirn gewirkte Rĭ̦ckli. Ihre Anfertigung erforderte scharfe Augen; daher: luege, uufpasse wi ne Häftlimacher, und mit mechanischer Weiterführung des Bildes (vgl. «Stier»): uufbigähre, flueche und dgl. wi ne Häftlimacher («Häftlimönsch»).227 An Stelle dieser oft unbequemen und unkleidsamen Gebilde trat mehr und mehr der des Modewandels fähige Chnopf, zunächst als platte oder konvexe Metallscheibe mit Annähehaft, dann als das durchlöcherte Horn- oder Zelluloid-Scheibchen, welches früher gut emmenthalisch228 Foorm und Förmli hieß. Bekannt ist auch bei uns der (z. B. an der Hose noch einzig verbliebene) Notknopf (’s uf e Notchnopf la aachoo),229 und dä chlịịn Chnopf, Hosechnopf230 als Gerngroß; bekannt auch das Orakelspiel an der Knopfreihe des Rocks mit Ja, Nein, Ja, Nein.231

Zunächst zum Schließen des Lederschuhs an den Fuß dienten die «Schuhschnallen»232 oder die «stählernen Ringgen».233 Solche Ringge­schueh («Ringen schu»)234 gehörten auch zu Hanslis Marktanzug.235 Ein ähnlicher, in Sache und Namen236 aus dem «Ring» hervorgegangener Ringge dient auch zum Engerschnallen von Hosen und Weste, zum Zuschnallen von Gurt und Riemen und ging in bildlicher Rede237 über auf allerlei Beschränkungen der Freiheit des Handelns. Eim der Ringge iitue, zieh, baas anzieh238 wird ebenso oft gesagt wie: in «ringgle» («ringle»),239 reiggle. So reigglet auch (in neuer Übertragung) der Holzfuhrmann seine Baumstämme auf dem Wagen mittelst der Kette und des sie straff anziehenden Knüppels, der auch wieder der Reigge͜l genannt wird.

Gesetzt aber, selbst ein Hansli hätte seiner Jowägerin den «Ringgen» anzuziehen unternommen: was hätte das Gelingen genützt, so lang Annebäbi in jedem seiner zwei Chitte͜lseck «eine Maß Wein» (oder e Maaßgu̦tter) und «eine fünfbatzige Züpfe»240 (oder es zweu­pfündigs Brötli) unterbringen konnte, eingedenk des Wortes: Mi isch o gar ke Möntsch, we me nüt im Sack het!241

Solches «Versorgen» heißt insgemein: i Sack stooße.242 Erschlichener Profit wird i Sack g’macht, ehrlich erworbener vom 415 Egoisten im Sack b’hạlte, während der Altruist Ausgaben für das allgemeine Wohl us sim Sack bestreitet. Es sei ein Unglück, daß die Heldentaten, welche sie im Sinne gehabt, nun im Sacke blieben, erklären die Langenthaler im «Kurt».243 D’Fụụst im Sack mache heißt: gerechten Zorn tatlos in sich verarbeiten.

Taschengeld ist Sackgäḷt. Insbesondere wird unter Sack als Kleidertasche der Hosesack verstanden. Hier bergen sich Taschentuch, Geldbeutel, Messer und allerlei Kleinkram, sowie hier auch der Unerzogene gewohnheitsmäßig d’Hän͜d im Sack, d’Hän͜d i de Hose het. Wer damit in dummer Protzigkeit etwas vorstellen will, hebt sich freilich sehr ab von dem Finaud, der bloß zwei Finger in der Westentasche stecken hat, wie vom überlegenen Beherrscher seines Geschäfts — wozu auch die Wissenschaft gehören kann — der behaglich seine Daumen unter die Achselöffnungen seiner Weste schiebt. Da auch die Westentasche linkerseits die Uhr, rechts unter Umständen so viele Napoliöndli (Zwanzigfranken-Stücke) birgt, daß einer mit dem Werkholz auf der Achsel gleich ein unterwegs ihm angetragenes Pferd bezahlen kann, so ist öppis chenne wi si’s Schilee­täschli auch entsprechend feiner und wertvoller als das bloße Auskennen wi sị Hosesack. Desgleichen reicht, wer sein Patent oder sonst etwas sauer Erworbenes nun als gesicherten Besitz im Sack het, noch nicht zur gesell­schaftlichen Höhe dessen heran, der als Politiker seines Umkreises den und den Kandidaten im Schilee­täschli oder im Lịịbli­täschli het.

Entsprechend goliathmäßig klingt der Zuruf: Schwig, oder i stecke di i d’Chuttetäsche! In solchem Machtbereich bewegte sich auch die Überlegenheit eines Landvogts, der einen Amtsschreiber «fast in die Kuttentäsche hätte stoßen können.»244 Der Erfolg solcher Demonstration wäre ehedem noch durch die respektablen Seitenklappen garantiert worden, die als «Deckel» (Teche͜l) sich über die umfänglichen Taschen hinbreiteten.

So kann auch die Buese, wie die Busentasche des Rocks (Chu̦tte­buese) und allenfalls der Weste (Schilee­buese) in abkürzender Sprechart sich benennt, zur Not ein ganzes Archiv von absolut oder relativ wertvollen Schriften bergen. Bedächtig zieht, wer zu einem öffentlichen Vortrag das Wort erhalten, eine artige Aufstapelung von Zahlen und Daten aus so sicherem Gewahrsam hervor; seiner Sache ebenso sicher, langt von dort ein Erbvetter245 sis Plääterli, Säu­plääterli (Schweinsblase) hervor, um in klingender Münze eine hohe Summe zu zahlen. Verräterisch aber guckte einem protzigen Konfirmanden 416 der Beißer seiner Emanzipations­pfeife aus der Busentasche hervor, bis der Nachfolger Gotthelfs in seiner wirksam feinen Art zu ihm hatblaut sagte: Tue die e chlii băs hin͜dere.

 
1 GG. 2, 153 f.   2 GG. 2, 32.   3 MW. BK. 13.   4 Ger. Tw. (1793).   5 Lischeb. 18.   6 GG. 2, 153.   7 Gf. SF. 1899, 82.   8 MW. Anna 159.   9 Michel 190.   10 AB. 1, 199.   11 UK. 140.   12 Ger. Tw.   13 Ebd.   14 MW. BK. 57; 2J. 231; Ball 23; BSp. 301.   15 Ger. Tw.   16 Widm. 157.   17 Ger. Tw.   18 Trub 40, 104.   19 AB. 1, 7; SchM. 1, 233; 2, 43.   20 Lischeb. 13.   21 Herdenr. 2, 4.   22 Ball. 23 f.   23 UK. 406.   24 Ger. Tw.   25 Ztgst. 1, 189.   26 Ger. Tw.   27 Burri II; Herdenr. 3, 26.   28 Ball 24; AR. 1813, 12.   29 Schuldb. 159; SchM. 2, 398.   30 BSp. 301; Jacob 2, 15; Käs. 201.   31 AB. 1, 299.   32 AB. 2, 53; vgl. Käs. 34.   33 Ott 1, 24.   34 AB. 1, 7, 346. 429.   35 Ball 14.   36 Dursli 289.   37 SchM. 216.   38 Ebd. 1, 193.   39 Ebd. 145.   40 Ztgst. 2, 120.   41 JR. (an JG.) 129; Käs. 170; Michel 220; Käthi 366.   42 Joggeli 36.   43 AB. 1, 299.   44 AB. 1, 299; SchM. 1, 376; Käs. 5.   45 Käs. 5; BwM. 182.   46 Notar 83; SchM. 2, 28.   46a SB. Kalender 1905, 90.   47 Ger. Tw. (1793).   48 UK. 128.   49 BSp. 187; vgl. Ger. Tw. (1789).   50 Vgl. SchM. 2, 293.   51 MW. Anna 142. 189.   52 Käs. 98. 267.   53 Spinne 23.   54 Nschwander Alp. 71, 73.   55 BwM. 123/4; Michel 168. 228; AB. 1, 262/3.   56 Ztgst. 2, 4; Käs. 42.   57 UP. 81; AB. 1, 411; Übergang 316; Kurt 109 und ö.   58 Barthli 11.   59 Käthi 400.   59a UK. 106.   60 AB. 1, 443.   61 Ott 2, 67 f.   62 Christen 179.   63 Bitt. Zh. 4.   64 Ger. Tw. (1789/90); Dursli 200.   65 AB. 1, 134.   66 1830, 104.   67 Berger 10.   68 Widm. 85.   69 AB. 1, 7 (ergötzlich!)   70 Ebd. 130.   71 Erbv. 3.   72 Ebd.; Dursli (1846) 200.   73 AB. 1, 300.   74 Dursli 200.   75 BSp. 414.   76 AB. 2, 240; Geltst. 55, 148, 253; Jacob 1, 107; Überraschung 338.   77 EB. 1903.   78 MW. 2J. 207.   79 Geltst. 189.   80 In Wahrheit sind es zwei Furten über die Grüene (siehe Abb. S. 51), die noch heute zur Not etwa benutzt werden, und die dem heute dreifachen Gehöft in der Nähe den Namen gaben.   81 Ger. Tw.   82 SchM. 2, 96; vgl. Joggeli 43.   83 Ball 36.   84 AB. 1, 180.   85 MW. Ws. 92; UK. 12.   86 Ball 43.   87 SchM. 2, 47.   88 Thorb. 70; Käs. 280; Schuldb. 295.   89 Käs. 148.   90 GG. 2, 57; 3,14.   91 Ztgst. 250; Geltst. 109.   92 UK. 266; AB. 1, 70.   93 Vögelein 139.   94 UK. 218.   95 Ger. Tw. (1789).   96 26.   97 Sylv. 243.   98 Besuch 161.   99 UK. 219; Joggeli 28.   100 UK. 219; Joggeli 28.   101 AB. 1, 110.   102 Geltst. 303.   103 Vögelein 143.   104 UK. 65.   105 EbM. 262.   106 AB. 1, 30; Burri II.   107 MW. 2J. 294.   108 SchM. 2, 376 Hs.; Dursli 295.   109 Ztgst. 1, 6.   110 Joggeli 29.   111 AB. 1, 319. 339; UK. 162.   112 Brüder 205.   113 GG. 3, 47.   114 UK. 351.   115 Dursli 199.   116 Bsp. 20.   117 Geltst. 219.   118 AB. 1, 190.   119 Spinne 13.   120 UK. 159.   121 Bsp. 34.   122 UK. 348.   123 SchM. 2, 418.   124 Bitt. Zh. 16.   125 Lischeb. 13.   126 AR. 1812, 156.   127 Ger. Tw.   128 Amtsr. 70, 73; BSp. 164. 166.   129 SchM. 1, 116.   130 SchM. 2, 351 Hsa; AB. 1, 261; UP. 433; Beitr. 317, 450.   131 Erbv. 3, 65.   132 Land 10.   133 MW. 27. 263.   134 AB. 1, 130; vgl. GG. 2, 48.   135 Obstb. 1903, 27.   136 LK. 34.   137 AB. 1, 429.   138 SchM. 2, 293.   139 AB. 1, 18.   140 SchM. 1, 214.   141 BwM. 171.   142 Nschwander 153.   143 AB. 1, 403.   144 Widm. 85; AB. 1, 263; BwM. 160.   145 AB. 1, 427.   146 SchM. 2, 79.   147 SchM. 2, 267.   148 85, 95, 179, 180.   149 1, 272.   150 1900, 513.   151 BSp. 155; UK. 19; Jacob 1, 138.   152 XXX.   153 SchM. 2, 297.   154 Geltst. 269; GG. 2, 152.   155 Geltst. 269.   156 Trub 30, 104.   157 Ger. Tw. (1789).   158 Ball 24; UK. 207.   159 SchM. 1, 38.   160 UK. 377 und ö.   161 Schuldb. 166.   162 KL. 03, 225 O 3, 167.   163 Ebd.   164 EbM. 298; AB. 2, 206; Widm. 101; SchM. 2, 388.   165 UP. 47. 195; SchM. 26.   166 UP. 272.   167 Vgl. UP. 195; so auch Blaustrumpf und dgl.   168 AB. 1, 372; vgl. Ztgst. 2, 198.   169 AB. 2, 172.   170 BSp. 433.   171 GG. 2, 158; SchM. 2, 96.   172 Schuldb. 178.   173 Jer. 1, 17.   174 Amtsr. 85. 111.   175 AB. 1, 96.   176 BSp. 317; Dursli 200.   177 SchM. 1, 118. 292.   178 UK. 80; an AB. 110 und ö.   179 SchM. 2, 418 und ö.   180 SB. ö.   181 B. Volksz. 1902, 5. März.   182 Dursli 225.   183 MW. 2J. 282.   184 UK. 266.   185 EbM. 273.   185a SB. Kal. 1905, 88.   186 SchM. 1, 246; 2, 418.   187 BME. 54; SB. Kalender 1905, 88.   188 Ebd.   189 Bsp. 84 und ö.   190 SchM. 1, 62. 88.   191 AB. 1, 387.   192 BSp. 41. 160.   193 Käthi 274.   194 Müll. LK. 19.   195 Joggeli 34.   196 Müll. Hk. 17.   197 Ebd. 35.   198 Ztgst. 2, 66. Allgemein deutsche Redensart, aber auch von unserer Mundart lebhaft mitgebraucht.   199 Gf. SF. 1899, 81; Käs. 163.   200 SchM. 2, 331; BSp. 141.   201 Lisabethli 301.   202 Servaz 8.   203 SchM. 1, 141.   204 Geltst. 99.   205 An AB. 126.   206 Ztgst. 1, 164.   207 Spinne 20; Burri IX. XI.   208 Ztgst. 2, 194.   209 MW. A. d. H. 1, 4.   210 Michel 240.   211 GG. 2, 158.   212 Ball 52, 59.   213 MW. Anna 159. 253.   214 SchM. 2, 228; BSp. 16.   215 BSp. 155.   216 MW. Anna 253.   217 AB. 1, 475.   218 UK. 438; Ott 1, 170.   219 A. f. Vk. VII, 135.   220 Ztgst. 2, 154.   221 Widm. 24.   222 AB. 1, 463.   223 MW. Anna 244.   224 AR. 1822, 269.   225 Vgl. Ztgst. 2, 11; SchM. 2, 75.   226 Ger. Tw. (1793); Bitt. Zh. 5; SchM. 1, 292; 2, 42; AB. 2, 348.   227 Lisabethli 301.   228 Vgl. BME. 54.   229 Käs. 204.   230 MW. 2J. 249.   231 A. f. Vk. VII, 136.   232 Ger. Tw. (1793).   233 Ebd.   234 Ebd. (1790).   235 AB. 1, 130.   236 PBS. 7, 133.   237 Käs. 104, 295 und ö.   238 MW. 2J. 190.   239 Dursli 218 und ö.   240 AB. 1, 126.   241 MW. Anna 206.   242 SchM. 1, 177.   243 Kurt 58.   244 SchM. 1, 87.   245 Erbv. 7; GG. 2, 47.  
 

Das Feierkleid.1

«Mir Läbtig hätt i nid glaubt, daß d’Chleider sövli mache».1a Du bist ganz es angers, un i bi froh, daß du furt chunnst; nebe dir schien niemer nüt meh!2 So die flotte Wirtstochter zu dem von ihr mit der ganzen Liebe einer Freundin als Hochzeiterin ausgestatteten Meyeli. Dieses aber fühlt sich vor dieser «andern Person» in ihm so klein, «daß es sich gerne verborgen hätte in des Stübchens finstersten Winkel».3 Solche Bescheidenheit ist ein lieblicher Gegensatz z. B. zu «dem» 1764 vom Lauperswyler Pfarrer beklagten «Pracht, worüber die beschneyten Häupter Seüffzer ausstoßen».4 Gotthelfs Polemik galt dagegen dem eitlen Parịịserle5 und dem Mißverhältnis zwischen Stand und Aufwand: dem «Prächtlen, während die Mutter barfuß läuft».6 Die «wie eine mittelmäßige Jumpfere (Magd) angezogene reiche Bauerntochter» hatte seinen Beifall nicht:7 «Eine reiche Bauerntochter soll viele Kleider haben, und schöne!»8 Das ist viel gesagt angesichts der Kostspieligkeit der echt bäuerlichen unterbernischen Tracht, des Pụ̈ụ̈r’sch dahar choo gegenüber der städtischen — stettligen — Pracht. Denn «so ein wohl ausstaffiertes seiden- und silber­behangenes Bernermeitschi gilt seine paar hundert Franken»9 — genauer: etwa dreihundert.

Gemalt von R. Münger.

Allein eben diese Kostspieligkeit der einmaligen Beschaffung bietet die beste Garantie nicht nur gegen das befürchtete Aussterben der Tracht, sondern auch gegen die Herabminderung ihres ästhetischen Eindrucks und Werts durch das Hinunterziehen in die alltägliche Hantierung oder das Unterwerfen unter die Launen der Mode. Drum wird gerade die häuslichste Tochter, die in voller Bernertracht sich fühlt wie David in Sauls Rüstung, sich für den Sonntag im Fall der Not eher die silberige Häft ab ihrer einzige Chitteḷ­brust abtrönne, als sich zu jener halb städtischen Mischtracht herunterlassen, die ihr ein verächtliches öppis Dräcks esoo! den Lippen entreißt.

Denn auch im Gewande hält der richtige Emmenthaler Sundig 417 u Wärchtig scharf auseinander. Nur eine «Dorngrüt­bäuerin» machte alle Kleider zu Werktags­kleidern, während an Änneli (oder einem Erdbeeri­mareili auch trotz der strengsten Arbeit) «alle Kleider zu Sonntags­kleidern wurden».10 Buchstäblich wäre freilich dies so wenig wie das Uustraage sonntäglicher Gewänder am Werktag11 durchwegs dankbar. Das beweist schon ein Blick auf die seidene (sịdịgi) Schürze,12 mit welcher eine flotte Bauern­frau oder ‑Tochter im Sundig (g’sundiget) dahaar chunnt, während ehedem selbst gesponnenes Zeug ’s no taa het;13 auf den (im Gegensatze zum städtischen Rock) oben und unten gleich weiten Sundig-Chitte͜l aus schwarzem Gásch­mịịr (Kaschmir) oder Merino (früher:. Oberländertuch);14 auf das winterliche Tschööpli oder Chu̦ttli mit engen Ärmeln, ebenfalls aus Seide,15 wenn nicht aus schwarzem oder farbigem Wolltuch; oder endlich auf den Sommeranzug aus Chitte͜l­brust, wịtem Hemmli und Göḷḷer. Die Chitte͜l­brust ist ein mieder­ähnliches Brustkleid aus glattem oder geblümtem Samt oder Láßtäng (lastin), bei welchem aber der Hinterteil den ganzen Rücken bedeckt und mittelst zweier über die Achseln geschlungener Träger an der Brustseite befestigt wird. Hinten hängt der Läpper oder das Fäckli (Flügelchen) über den Kittel hinunter — neben den Ärmeln so ziemlich der einzige Teil der bäuerlichen Tracht, welche der Mode unterliegen darf. Das hat zur Folge, daß 418 man eine oberflächliche und dabei putzsüchtige Weibsperson mit dem Urteil charakterisiert: si weis vo nü̦ü̦t z’brichte weder vom Chabisblätz u vom Chitte͜l­läpper.

Zur vollen Präsentation gehören die in zwei dicht geschlossenen konvergenten Reihen die Brustseite zierenden, vom Samt sich stattlich abhebenden siḷberige Häft.16

15-jähriges Mädchen im Tschööpli.

Eine bescheiden werktägliche Chitteḷbrust unter dem Jaggli ersetzt bei ältern Frauen bis heute das Goorschĭ̦ («Gorsche»,17 den «Korsett­blätz»,18 le corsage), wie noch früher (z. B. 1789) eine «Brustkarte von türkischem Papyr» mit einem über sie gelegten «gedruckten Papyr»19 es tat. (Den heiligen Krieg gegen das Korsett haben nunmehr die Frauen selbst mittelst des Reformkleides eröffnet).

Mit den Chitte͜lhäfte wetteifern in blinkendem Effekt die 2-8fach unter den Armen durch frei schwebenben silbernen Göller­chötteli, unterstützt durch das silberne oder wohl auch goldene Uhre­chötteli mit Behängen (Plämpe͜l u. dgl). und die mehr oder weniger kunstreiche Brosche (-s̆s̆-, broche). An den Seiten blinken zwei silberne Göḷḷer­blätzli aus Filigranarbeit, meist Blumen nachahmend. Personen bescheidenern Standes ersetzten s. Z. die silbernen mit eisernen Göḷḷer­chötteline, oder diese gar mit Schnüren aus kleinen Glaskorallen: Chrääḷḷeli oder Chrääḷḷi. (Verkleinerung aus Chraaḷḷe, dies entlehnt aus lat. corolla, dem Namen für die Meerkorallen). Zierliche 419 Korallen­stickereien schmücken bisweilen auch das um den Hals gelegte Göḷḷer («Göllert»,20 «Göllet»,21 aus lat. collare, wie fz. collier aus lat. collarium).

Halstuch statt Göller.

Wie der samtenen Chittelbrust das sonntägliche Schilee, so entspricht dem Samtgöller das seidene Haḷstuech, das die Männer ebenfalls nur zur Feiertracht sich umbinden — oder umbinden lassen; wie denn jener Chorrichter, der deswegen auch Ammann zu werden hoffte,22 unter den Männern dreier Gemeinden als Einziger die Kunst des Knüpfens mit dem bolzgrad use stehenden Lätsch23 an sich selber zustande brachte. Wie jedoch ehedem bei Mädchen das Chnü̦pferli, so tritt beim heutigen Mann die Gráwatte (cravatte), ja der einfache Lätsch (noeud) mit ungemeiner Zeit-, Müh- und Kosten­ersparnis als Ersatz für Göller bezw. Halstuch ein.

Unerbittlich dagegen behauptet Platz und Würde das Hemd: in der weiblichen Tracht das wị̆te Hemli,24 so geheißen von dem nach hinten gefalteten und im über­geschlagenen Teil steif gestärkten (hert g’sterkten) und geplätteten Ärmel. Den Gegensatz hiezu bildet das spitze Hemli: Frauenhemd mit engen und kurzen Ärmeln, mit welchen sich bequem in das Obergewand (Tschööpli, Chu̦ttli usw.) schlüpfen läßt. Auch über der Brust trugen Frauen ehemals das Hemd in soeben beschriebener Appretur.25 Bequemer ist aber allerdings der Schmuck-Ersatz durch das eng geriefte (g’gŭ̦feriert) oder auch gefältelte Vorhemdchen 420 (Mänteli). In blendender Weiße schaut dasselbe durch den Hals- und Brustausschnitt des Tschööpli oder der Chittelbrust, wie das sonntägliche Männerhemd durch den Ausschnitt der Weste und des winterlichen Rocks.

An solcher Feinheit und Weiße strebten dem Hemd zur Zeit der Kniehosen die für den Sonntag bereit gehaltenen Strümpfe nach.26 Wie als Folie dienten zu ihrer Abhebung die starken dicken Männerschube, die man mit warmem Fett tiefschwarz zu färben (saḷbe) so wenig unterließ wie heute das Wichsen.

Das «niedliche Strohhütchen»27 der Mädchen, der im Sommer wie zu milderer Winterszeit gleich tragbare schwarze Strohhut der Frauen, fast ebensowenig den Launen der Mode unterworfen wie der sommerliche Strohhut der Männer, vollenden die gewöhnliche Sonntags- und Ausgehtracht. Für besondere Anlässe unterliegt dieselbe etwa folgenden Variationen.

Für Leid umd Leichengeleit (z’Lịịch gaa) ersetzen Schnüre aus schwarz gefärbten Glaskorallen die Göḷḷerchötteli, mattschwarze Wollstoffe (Merino, Kaschmir) den Samt des Göḷḷer. Dafür erhielt letzteres ehedem einen Schmuck in der breitern Plu̦nde («Blonde»,28 «Blunde»29) oder dem schmälern Plündeli: diesem aus Spitzen bestehenden aufstehenden Schirm (einer Krause, wie sie auch den Hut zierte). — Bild: Er ist nid i aḷḷi Spitzli gstoche30 d. h. nicht raffiniert, gegenteils etwas einfältig. — Dito mit Franse! d. h. dein Schimpf geht auf dich selber zurück. (Nimm di säḷber bi’r Nase!)

Der schwarzen Leid-Scheube und dem schwarzen Kittel entsprach ehemals bei Männern der ärmellose schwarze Mante͜l.31

Derselbe war freilich nicht bloß Trauermantel, sondern eine Auszeichnung der Vorgesetzten. Ehedem trugen diese ihn bei jedem Besuche des Gottesdienstes und, zu Gotthelfs Zeiten noch, wenn sie zum Abendmahl gingen.32 Heute vertritt seine Stelle ein schwarzer Rock, etwa d’Hochzit­chutte. — Überhaupt entspricht der Anzug für z’Nachtmahl sachgemäß dem Trauerkleid.

Für beide ernste Feiern ist, gleich wie für den Götti-Anzug am Tauffest und für die Patenwerbung33 des Chind­bettimaa der schwarze Woll- oder Filzhut «de rigueur»,34 — wie sehr dann hier auch im übrigen das flott Dahaarcho nicht nur erlaubt, sondern in gewissem Maße geboten erscheint. «Wie werden sie luegen in Gitiwyl, 421 wenn der fremde Götti daher kommt in seiner neuen Rụ̈belibchleidig!»35 Den Gegensatz des gutbäuerlich Soliden aber zu dem blendenden Putz einer andern Gotte36 vertritt jene Mutter im Rat an ihre Tochter: «Ziehe die schweren, aber altväterischen Göllerketteli an; das steht dir gut und fällt nicht in die Augen».37

Die herrlichen Gotthelf-Bilder der Zurüstung eines Meyeli,38 eines Mädeli,39 eines Züseli40 zur Hŏchzị̆t dürfen hier bloß erwähnt werden; so auch ihre kindlich reine Freude am Brautgewand und ihr berechtigt edler Stolz auf das Brautkränzchen.41 Besonders genannt seien bloß die Hochzịt­strümpf, die nachher nie mehr angezogen, sondern als Andenken aufbewahrt werden sollen. Daher (am sommerlichen Werktag) ohne Strümpfe gehen spaßweise etwa heißt: i de Hochzịt­strümpfe gaa. In schöner Weise dienten sie noch einer Großmutter Käthi als Sparkasse.42

Solcher und anderer Beschränkungen entledigt, zeigen die jungen Leute am Määrit und sonderlich a der Lü̦dere-Chiḷbi sich in der ganzen Fülle und Stattlichkeit ihrer Ausrüstung,

 
1 Vgl. S. 160 f. hievor; au SB. Kalender 1905, 90.   1a Vgl. Ztgst. 1, 40.   2 AB. 1, 467.   3 Ebd. 468.   4 Pfr.-Ber. 101.   5 Kongreß 163; vgl. Burri IX.   6 SchM. 1, 92; 2, 228.   7 GG. 2, 78.   8 Ztgst. 2, 173.   9 Schweiz 1900, 510.   10 GG. 2, 59.   11 Geltst. 90.   12 Fröhl. XXXI; Müll. LK. 26; BSp. 154.   13 Bitt. Zh. 3.   14 Ebd.   15 UP. 273.   16 Eggiw. 81/82; Lisabethli 297; UK. 266.   17 Lisabethli 296.   18 AB. 1, 126; Ott 1, 170.   19 Ger. Tw.   20 UK. 280; UP. 260, 476,; Beitr. 445.   21 Ger. Tw. (1788).   22 WwW. W. 161.   23 AB. 1, 18.   24 Vgl. Fröhlich XXXI.   25 UK. 303.   26 SchM. 1, 139; AB. 1, 155 f.   27 Trub 30, 104.   28 AB. 1, 467; CWeibel (1885) 74.   29 MW. Anna 208.   30 SchM. 1, 262; GG. 1, 13; Kongreß 143.   31 BSp. 51; WwW. 159-164.   32 WwW. 159.   33 UP. 254.   34 Geltst. 3.   35 SchM. 2, 142.   36 Berner 2 1. 5.   37 Ztgst. 2, 179.   38 AB. 1, 467.   39 SchM. 2, 67, 96.   40 Barthli 61.   41 SchM. 2, 67.   42 Käthi 229.  
 

Sauber.

Laubenormament.

Rein und Unrein.

S

 

einem Lande ähnlich ist der Emmenthaler... Es wohnt ein gar eigener Sinn der Reinlichkeit in ihm, die sich auf Häuser, Geräte, Vieh, Kleider, kurz auf alles erstreckt; selbst die Bettelweiber betteln nur in frisch­gewaschenen Hemden!1 So der nämliche Gotthelf, der auch für das Gegenteil ein scharfes Auge hat: «Der Landmann mistet fleißig, wäscht den Schweinen den ganzen Leib, den Pferden Schwänze und Füße. Und der gleiche Landmann läßt seine Kinder in nassen Betten liegen... So gibt es ganze Geschlechter, welche ihr Lebtag ungewaschen scheinen, Leib und Seele schmutzig, sie mögen sich kleiden, so kostbar sie wollen».2

Dieser Geistesart gemäß besitzt die Mundart für Sauber und Unsauber eine Menge treffender und kräftiger Ausdrücke. «Schmutz» zwar kennt überhaupt der Alemanne nicht im schriftdeutschen, und schmutzig höchstens im moralischen Sinne, wenn er spricht vom «schmutzigsten Saukerl, der zu allem fähig ist, nur zu keiner Wohltat».3 Dagegen kennen wir gschmŭ̦­slig; «schmuslig an Hemd und Händen»;4 ver­schmuslet, «eine verschmuselte Karrensalbe-Gret»5 gschmusligi Chi̦i̦rs̆i (mit eigenem Safte verschmierte Kirchen); der Brief sei gschmuslet.6

423 Ist «Schmutz» (im schriftdeutschen wie im alemannischen Sinn) eigentlich das von einer Flüssigkeit nach oben Abgestoßene7 (vgl. den Abschaum), so der Dreck8 das als Niederschlag zu Boden Sinkende (vgl. die Weinhefen). Das von entgleister Feinheit heute verpönte Wort wird auf dem Lande gerade dort, wo «dem Reinen alles rein ist», noch so ziemlich in alter Unvorein­genommenheit gebraucht: Wäm e Dräck uf d’Nase g’hört, däm g’heit er nid uf d’Schueh. Dem Fürspräch (dem sich unberufen als Vermittler in fremde Händel Mischenden) g’hört e Dräck uf d’Năse. Übertragen natürlich nur in erregter Rede: Einen z’Dräck verschlaa. Wart nume, i wiḷḷ der de der Dräck rüehre! Eine Gefallene ist i Dräck gheit, und im Dräck ist, wer «in der Tinte sitzt». Dräck ist auch Nichtiges, Nichts. Das geit di e Dräck aa! — Dräck! heißt 1. das ist eine faule Ausrede! 2. weg mit solchen traurigen Gedanken, die mich zu übernehmen drohen!9 Die Magd dräcket mit ihrem besten Zeug im Wüstesten herum.10 «A Dir wott i mi nid verdräcke!» («wer Pech angreift» usw.) ist ein unsagbar verächtlicher Verzicht auf Rache. Aber selbst von dem so weihevoll behandelten Großvater11 heißt es schön: Ja ja, der Alte hatte ein feines Gehör, und fein ist’s ihm geblieben, weil er es sich nie verdrecken ließ. — In einer schwierigen und schmierigen Angelegenbeit läßt auch Gotthelf12 Einen der Stäcken am dräckigen Ort nää. Er het Dräck am Stäcke: es steckt Unsauberes in ihm; gleichwie ein anderer dräckig Finger hat, an denen unrecht Gut klebt. — Der Lumpesami im Dräckgäßli.13

Noch knapper als diese aufs äußerste beschränkte Blumenlese darf eine solche über das unverfänglich gebrauchte b’schịịße (1. beschmutzen, 2. betrügen) und Bschi̦i̦s (Betrug) ausfallen. «Die (zum Tanze gehenden) Jumpfre zahle (zielen, richten ihre Füße) styf uf d’Stei (der Stadtgasse), daß si nit d’Schüehli bschyße.»14 Ähnlich Gotthelf.15«Es wird enan͜dere nid so übe͜l bschi̦i̦ße»:16 Schatzung und wirklicher Wert werden sich ziemlich entsprechen. Der Kuhhandel ist e bschi̦ßne Hande͜l17 (einer wobei Betrug geübt und erlitten wird). «Da ist Bschi̦i̦s derhin͜der»!18 «U Hübschi ist so mäṇ’gist Bschi̦ß.»19

Vom «Spangli-schwẹrze» weg wird der Schlosser Wiedmer20 zu einem Herrn berufen und begibt sich, zum Schaden seiner Würdigung, stehenden Fußes hin in b’rämtem Bart. Eine größere Rolle spielt 424 auf diesem Gebiet die «b’rämte Köchin».21 Unversehens kriegen berufen und unberufen an Topf und Tüpfi,22 an Kanne und Pfanne Herumhantierende diese bisweilen heimtückischen Brä̆msi («Bräämi») ab. Denn «wer sich an alte Kessel reibet, der empfahet gerne Rahm.»23 Hingegen gibt es einstweilen kein Mittel außer Behandlung «von Fall zu Fall». Gleichwie auch im Familienleben «Eines des andern Schwachheiten» ertragen muß, und man «nur so zuweilen mit dem nassen Finger ganz leise und süferli ein Brämi abmachen» kann.24 (Mehrzahl: «Brämeni»25).

Ist ja doch weit verdrießlicher als so ein Rußfleck der Tintenklex, der das Reinheft verunstaltet, wenn «d’Federe dolgget»26 (toḷgget), der die Hand, das Kleid befleckt. (Vgl. den Tolggenrock, welchen Zwingli in den Disputation­stagen von 1528 nach Bern kommen ließ). Einen Toḷgg gab es in Ulis27 Rechnung, wenn er das halb und halb zur Frau ausersehene Elisi schlärpeln sah. Vgl. dagegen den Puretoḷgg im Munde städtischer Galans.28

Hierher ferner: der Fläcke, der Fleck. Jez fläckets! Es het g’fläcket: gefehlt; «das Konzept ist verdorben».29 Der Schlaargg, wozu schlaargge und schli̦i̦rgge (einem Wickelkind Brii ịị­schli̦i̦rgge); es Gschlaargg. Pflastere (mit breiartiger Masse unsauber hantieren). Pflaster heißt auch Pflaarg, d. i. 1. Kuhfladen, 2. unsauberes, faules Weibsbild auch das Pflaag, der Pflaartsch.

Ein unsauberer Fleck auf dem Gewand (im Grund ein von Pflanzensäften herrührender) heißt Mŏse. Jez han i neui Hosen aa, keis Mösli u keis Fläckli draa. (Vgl. S. 443.)

Dänne rụụmme bedeutet wegräumen; ụụfrụụmme: im Haus und um dasselbe Ordnung schaffen, besonders am Samstag. Rụụmme ist insbesondere ein von Rand und Boden des Kochgeschirrs wegzuschaffender Belag ansitzender Speisereste. Daher (mit Objektswechsel): der Hafe ruumme. «Der Bär hat dem Burgunner die pfannen g’rumet» (derb zugesetzt). — Die Uusrụụmmi, Uusruummete aus der Viehkrippe. G’frääs, G’chä̆tsch, G’hü̦ḷḷ in Holzraum und Dreschtenne. Es G’nĭ̦st: ordnungsloses Durcheinander, wie scheinbar im Vogelnest,30 veranlaßt durch «Nisten und Zwäglege»,31 wobei alles vernistet (verlegt) und verzaagget wird, dass me niene nụ̈ụ̈t cha fin͜de.

425 Ghü̦̆der ist Kehricht («Stubenbözig»).32 «Die Milch im Chäller z’ver­ghüdere» sollen sich «bim Sackerhageli» die in der Wohnstube tanzenden kleinen Mädchen hüten.33 Zu einem sonst recht lieben Jungen aber kann es gelegentlich heißen: «Jez ha der scho zweu Maḷ gseit: gang leg d’Schueh aa! was bist du für ne Ghü̦deri

Das will sagen: ein Mensch ohne zielbewußt stramme Willensrichtung und Tatkraft und daherigen innern Wert. Einen solchen schilt man auch: Er ist nume so ne Flŭ̦deri, und was er schafft, ist G’flŭ̦der (vgl. «G’flauder»: Flaum enthaltende oder auch vortäuchende Bettdecke, «wo me nid wüß, heig me neuis uf ĭ̦hm oder heig me nüüt»).34 Solches Gfluder ist nur zum Wegwerfen gut, — gleich dem Spülicht. Spülen aber (bernd. schwäihe = «schwenken»)35 heißt mhd. vlaejen, und die vlât ist Sauberkeit, dann auch Zierlichkeit, Schönheit. Der in all diesem waltende Ordnungssinn aber ist erfahrungsgemäß verschwistert mit Unermüdlichkeit des Tuns, mit Behendigkeit, Raschheit, mit flinkem, fläätigem36 Wesen. Daher Anwendungen wie: Jez gang, u das nume fläätig! Mi mißt und schniid’t und nääjt so fläätig das me chaa.37 «Bete flätig fort, daß du heute noch fertig wirst!»38 «Krieg macht flätig, der Friede läßig.»39

Das Gegenteil ist: Der Uflaat, mhd. «der», «die» oder «das» unvlât s. v. w. Unsauberes, Unsauberkeit. (Vgl.: «Gräber voller Todtenbeine und alles Unflats.»39a) «Ein andermal, hoffe sie, rühre er nicht in jeden Unflaat.»40 «Es machts nun ein jeder nach seinem Kopf. So ist man hinger em Haus im Emmenthal, vor dem Haus im Oberland, nebendran im Seeland, und zuletzt ringsum im Uflat.»41 «Den Uflatz42 wäscht dir der Rhein nicht ab.» Persönlich gewendet: unflätiger, d. h. äußerlich und innerlich unsauberer, abstoßender, abscheulicher Mensch (mhd. auch: der Teufel). «En aḷter Uflat (als Ehemann) ist e wüesti Sach.»43 «Abscheuliche Hund, du wüeste Bure-Uflat!»44 Speziell s. v. w. Geizhals;45 aber auch: der Feind im Krieg.45a — Mehrzahl: Ufläät,46 Uflaate.47 «En ufläätige Grụ̈ụ̈se͜l.»48

«Unsauber» lautet usụ̆fer. In unserer Mundart häufig in der Schwebe zwischen Adverbiale und Prädikativ: «Er söll mache, das er furtchunnt, süst well er ne usufer da dänne gää!»49 «Wenn sie nicht gutwillig gehe, so zeige er ihr den Weg, aber unsauber.»50 In derselben 426 Bedeutung das ironische sufer: «Dert hei sie blaui Blüemli gnoo; das wirt ne sufer usechoo!»51 Auch als Attribut: «Das ist mir e suferi Gschicht!»52 — Häufiger natürlich als wirkliches «sauber»: «U Mädi i der Chrampe?» «Ist mir nit sufer gnue!»53 Es ist neuis nit sufer! (nicht geheuer; es spukt.)

Eine doppelte Stellung: als Attribut und als adverbiali­siertes Prädikativ, nahm ursprünglich auch «säuberlich» ein, spaltete sich aber mit der Zeit in sụ̈̆ferlig für jene, sụ̈ụ̈ferli für diese Funktion. Man sagt zwar noch etwa: er ißt usüferlig (in Ekel erregender Weise); allein das allgemeinere «er hält sich nicht sauber» heißt mundartlich: «er ist en Usüferliger» «D’Meitli si süferlig u g’ranschiert und g’wanet z’wärche.»54

«Drinnen hausierte die (über den unwillkommenen Besuch unwillige Bäuerin) etwas unsäuberlich.»55 «Beten und Lesen sind (diesem und jenem) Kratzfüße, die man dem mächtigen Herren macht, damit er süferlich mit Einem verfahre.»56 In jenem «unsanft» und diesem «glimflich» haben wir das Ziel, in dem unübersetzbaren «uneigelig» und «eigelig» den Weg, nach welchem hin und über welchen «säuberlich» seine Bedeutung entwickelt. Was Unrat dem Auge, ist Lärm dem Ohr, und störend für beide ist unzeitige Hast. Wenn ein Bäbeli57 den Ehemann bittet: Mach doch de süüferli, we d’ hei chunnst! — welche Gedankenreihe, halb angeerbt (automatisch), halb bewußt (plastisch) liegt in diesem Wort! Dem an Ordnung Gewöhnten hat alles seinen Platz und seine Zeit; so auch unser Schlaf: Zu dem trag uns Sorge, geb und schließ im Haus leise, und damit du das könnest, langsam. Diese ganze Summe von Überlegung und Bedächtigkeit aufbieten, heißt auch «süüferli tue.» (Ähnlich im Kartenspiel.) «Wenn Uli (in seiner schwierigen Stellung als Meisterknecht) nur im Anfang recht süferli tue und (bei Meisterleuten und Unterknechten) suche Boden zu bekommen, so werde sich alles machen.»58 So müsse man auch, ohne verständnislos störendes Eingreifen, «süferli luege wie es komme».59 Ohne Lärm: «süferli singe»,60 erzelle61 u. dgl.

Diese für die Volksseelenkunde äußerst belangreiche Bedeutungs­entfaltung, die eine weit einläßlichere Erörterung als unsere vom Raum gestattete Skizze verdiente, findet in der Verbalbildung sụ̈̆fere nicht statt. Dieselbe bedeutet einfach: äußern62 und innern63 Unrat wegschaffen.

427 «Halblein süferet sich immer von selbst.»64 — Eine spezifische Bedeutung entfaltet noch die Viehzucht in der bäuerlichen Sprache: da Muttertier süferet si, d. h. es stößt die placenta (d’Süferi oder die Rĭ̦chti) aus. Gschlĭ̦ferig wi ne Chuesüferi.

«Einstimmig useg’süferet»65 haben kurzsichtig herzlose Bursche den gutgearteten gewesenen Sträfling aus ihrer Spielgesellschaft. Und in derselben Gesinnung brave arme Leutchen von Haus und Heim treibend, «hätt me d’Gmein grad einist echli usgsüferet66 Es ist aber «wirklich eine strenge Sache, so abgsüferet zu sein von jemand, dem man das Vertrauen geschenkt.»67 So süferet man freilich auch zudringliche Bursche,68 ungestüme Schelterinnen69 usw. ab. — Seltener ist «usgsüferet»: «so ein ufgsetztes und ufgsüferets Meitschi.»70

«Mach süferli, Hans, ume hübschli71 (fahr beim Grasmähen nicht so drein in dieser futterarmen Zeit) «Mir fahre hübscheli gäge Bärn, gää d’Nịịdle schlächter weder färn.»72 — Dieses der Mundart äußerst geläufige nume hübscheli! führt über «hübsch» zurück auf «höfisch» und die Bedeutung: gemessen, sachte. «Sachte» hinwieder, als Adjektiv dem Oberdeutschen fremd, steckt doch als Adverb hinter unserm sătt (gelassen, ruhig, ohne Lärm) und săttli. «Satt und gleichlig» zogen Uli’s Pferde an.73 «Der Alte machte satt das Läufterli zu.»74 «Satt und sanft gingen die Preise wieder hinunter.»75 Es geit gäng so sattli vorwärts. Auch die Form mit -f- (engl. soft) und n-Einschub («sanft») ist in der Mundart ja nur als das Adverbiale samft (vgl. Rawft = Ranft u. dgl.) gebräuchlich in der Bedeutung: sehr wohl. «I ma das sawft» (nämlich tragen, essen u. dgl.); «er cha sawft» (nämlich dies oder das tun); «du chast sawft eso rĕde» (du hast gut reden, tu as beau dire.)!

Eine ähnliche Wortgeschichte wie «süüferli» bietet «doucement», welches als wunderlich neue Adjektivbildung auch in unsere Mundart hineinreicht: «di Chue ist neue so dụụße­mangigi!» (läßt durch schlaffes, schlappes Verhalten auf Unwohlsein schließen).

Auf «sauber» zurück nun führen uns drei als sehr charakteristisch hier nicht zu umgehende Ausdrücke: proper, eigelig und ordeli.

«Cathrinli war immer proper76 Entsprechend dem französischen «propre» reicht auch dies «proper» in die Sphäre von «eigen» und von «eigelig» hinüber.

428 «Eigelichkeit (ein unausdrückbar Wort: Reinlichkeit, Ordnung, Pünktlichkeit, alles drückt etwas davon aus, und doch nicht das Ganze).»77 «Mit seiner gewohnten Eigelichkeit schütttelte Uli das Futter durcheinander, den Staub davon.»78 Wir brauchen dafür das Dingwort Eige̥li̦gi̦, wie anderseits auch im gewöhnlichen Beiwort «eigen» etwas von unserm eigelig liegen kann: «Das Volk im Kanton Bern ist aber ein eigenes Volk; es schreit selten so laut, daß man es auch außer dem Dorfe vernimmt.»79 Auch es hat gerne si Sach aparti. «We du wüßtisch alles was geit, du wärisch nit halb so eigelich» (deinem Manne ehelich treu).80 «Mi weiß, wie eigelig dir gsi sit, u wie dir der erst Best guet gnue gsi ist!»81 Zur Entschuldigung wisse der Wirt «hundert Beispiele, daß die lustigsten Meitschi, die es mit Wein, Branntwein und Buben nicht eigelich genommen, die tollsten und brävsten Hausfrauen geworden seien.»82 Anderer Meinung ist man in «Geld und Geist»:83 «Die eigelige Meitschi sind gewöhnlich die besten»; und das Ideal einer Bauerntochter, «Anne Mareili sei so ein eigeligs, es schütt sich ab Sachen, wo üblich und brụ̈chlich sige.»84 So befürchtet auch Uli:85 Vreneli nimmt mich nicht, es ist gar ein eigeliges. Aber auch eine Braut wie Mädeli machte sich eigelig und zögerte lange, dem Bräutigam zum Glas Wein zu folgen.86 Ebenso macht der Götti sich e chlii eigelig, bevor er zum Tauffest erscheint.87 In anderer Weise: beim Angebot eines Nachtlagers macht der «Schulmeister»88 sich zuerst etwa eigelig. «Eigeliger als unsere Frau Pfarreri» machte sich die auf Besuch gekommene Tante, die um keinen Preis, trotz der Bitte des Gastgebers, am Platz der abwesenden Frau mit deren Geräten und Vorräten kücheln wollte.89 Ebensowenig ließe «eine eigelige Frau» zum Mitfahren im ersten besten Wagen sich herbei.90

Bei Tisch sich eigelig machen.91 «Eine eigeliche Sau möchte nicht fressen», was «diese Töchter kochen»92 — wenn und wofern sie an Ordnung gewöhnt ist. — Ordnung, dieser Oberbegriff, welchem sich auch «Sauber» unter- und nachstellt, ist natürlich auch hier geläufig als Ornig:93 d’Chin͜d, d’Stube, d’Bsetzi, d’Schịterbịịge, der Misthụụfe i der Ornig haa. Er het si Sach i der Ornig bedeutet zweierlei: er hält seine Sache(n) in Ordnung, und: er bekommt, was ihm gebührt, in regelmäßiger Weise und regelrechtem Maße. (Diese Bedeutungs­differenz 429 liegt freilich mehr im Doppelsinn von «haben»: halten und erhalten.) Die letztere, rein adverbiale Fügung «i der Ordnung» herrscht vor: «Es muß dort furchtbar aussehen und niemand in der Ordnung (i der Ornig) zusehen.»94 Dafür häufig das Adverb: «Es ist ordli (ordeli) ’gange.»95 Also s. v. w. «geziemend», vgl.: «Es trurigs Stückli will i zelle, ihr Meitleni, gäät ordlig acht!»96 — Soviel wie «ziemlich»: «Mir gebe der allweg ordlig Stüür.»97 En ordlig e rịịhi (reiche) Frau kann Einer allfällig erwerben durch Ordelitue.98 — Adjektiv: «Jakobli sei immer gar ein ordliger gsi,»99 «ordlicher»100 (ördeliger) als andere.

 
1 Arm. 160.   2 UP. 228.   3 Wass. 77.   4 Besuch 149.   5 Amtsr. 116.   6 Ball 16.   7 Heyne DWB.   8 Kluge5.   9 AB. 1, 324.   10 Lisabethli 298.   11 Sonnt. 120.   12 SchM. 1, 128.   13 Niggi Ju 2 6.   14 JRKuhn AR. 1811, 242.   15 UK. 428,   16 Geltst. 166.   17 Michel 174.   18 Müll. HK. 8; vgl. Kaput 346.   19 Kuhn.   20 157.   21 SchM. 1, 214.   22 Vgl. Hebels «Habermues».   23 Zitiert Bruinier 91. Wegen des Doppelsinns von «Rahm» vgl. «Schmutz».   24 GG. 3, 19.   25 Kongreß 151.   26 SchM. 2, 321.   27 UK. 267; vgl. auch Schuldb. 131.   28 UK. 300.   29 Vgl. Ztgst. 1, 129.   30 MW. Ws. 27; Besuch 167.   31 Käs. 74. 75.   32 RB. 91.   33 Gf. SF. 1902, 293.   34 Geltst. 297.   35 Käs. 172.   36 Ztgst. 1, 10; MW. Anna 200; Vs. 127.   37 Anna 180.   38 Alte Gesch. 265.   39 GG. 2, 157.   39a Luther, Matth. 23, 28.   40 Thorb. 71.   41 UK. 224.   42 Land 38.   43 GG. 2, 116; vgl. Wege 304. 329.   44 So natürlich statt «Burenflat» Schuldb. 56.   45 Gf. SF. 1902, 293; s. a. UK. 244; Käs. 453.   45a SB. Kalender 1905, 88.   46 Ztgst. 1, 78.   47 Trebla EvE.   48 AB. 1, 473.   49 Vgl. AB. 1, 388.   50 Schuldb. 388; vgl. Ztgst. Hsa.   51 Rigilied; vgl. Ball 12.   52 AB. 1, 316.   53 Kuhn 14.   54 MW. 2J. 169; vgl. SchM. 1, 292; UK. 107.   55 BSp. 164.   56 SchM. 2, 386.   57 Dursli 223.   58 UK. 155.   59 AB. 1, 274; vgl. Ztgst. 1, 43.   60 1, 416.   61 Wyß ä. AR. 1813, 248.   62 GG. 3, 67.   63 AB. 2, 175.   64 SchM. 1, 139.   65 Müll. Hk. 47.   66 Müll. LK. 18.   67 Schuldb. 230; vgl. MW. 2J. 282.   68 AB. 1, 206.   69 1, 235.   70 AB. 2, 414.   71 Käs. 152; vgl. 289.   72 Küherlied.   73 UK.   74 GG. 2, 107; vgl. Geltst. 103.   75 Käs. 188.   76 Heiri 118.   77 UK. 168.   78 Ebd.   79 BSp. 401.   80 SchM. 2, 227.   81 BwM. 156; vgl. AB. 1, 245.   82 BwM. 142.   83 3, 66.   84 2, 64.   85 UK. 366.   86 SchM. 2, 82.   87 Bern 2 l 5.   88 1, 354.   89 UK. 21.   90 Geltst. 256.   91 AB. 1, 56; Michel 198; Elsi 63.   92 UK. 131.   93 Der Ausfall des d fand früher auch in dem für uns nun erloschenen Verb «or(d)nen» statt: «Der Ber dem Fußvolk g’ornet was» (in der Laupenschlacht). Rebmann (1605) 517.   94 Bsp. 170.   95 Widm. 126.   96 Kuhn 4.   97 MW. BK. 45: vgl. Ws. 85.   98 Käs. 408; vgl. Barthli 23.   99 AB. 1, 351.   100 SchM. 2, 23.  
 

Reinigen.

Heißt Herstellen der Ordnung im allgemeinen Ụụfrụụmme, so beziehen sich auf den Reinlichkeits­dienst im besondern die folgenden Ausdrücke:

«Ob dem Rĭ̦blen und Rüsten (zur Brautschau) war Michel1 hungrig geworden.» — Aufweichen und Wegreiben des Schmutzes heißt fä̆ge. «Man pfleget auch auf das Wenigste des Jahres einmal das ganze Haus von außen und innen sauber zu fegen.»2 «Eine haarsträubende Fägete»3 stellen wackere kleine Mädchen am Stubenboden an, unverstanden von der Mutter, die bei aller Bravheit eben keine uusg’fägti4 Person (vgl. ụụs­g’schụụmet, «abgefeimt») ist. Nach dem eiligen Hin und Her der fegenden Arme heißt ein ruhelos sich bewegendes Kind es Fägnäst5 (vgl. es Pfi̦i̦ri); ein fleißig («gwi̦i̦rbig»), erfahren und intelligent sich umtuender Mann aber ist «e rächte Fäger». Die im «Hurnuße» bewanderten «alten Feger»6 machen dem Streit der unerfahrnen Jungen ein Ende.

Für «putze» eröffnet sich uns ein fast unüberschaubarer Zitaten-Schatz. Wir erwähnen daraus bloß: «Haus und Stube»;7 Kleider, Schuhe;8 die militärische Ausrüstung, besonders auch die Knöpfe,9 aus Messing bestehend, wie die von der Magd so sorglich rein gefegte Türklinke, der Boden der Kaffeekanne usw. ’s Chorn putze: die beim Dreschen zertrennten Dinkelfasern von ungehöriger Beimischung befreien;10 ebenso Samen;11 die Erdäpfel im Acker (von Unkraut);12 430 d’Runggle putze: im Sommer das Runkelrübenfeld, und im Herbst die mit Erde beschwerten Wurzeln. Bäum putze (im Astwerk und am Stamm),13 nach welcher nicht so leichten Arbeit bis vor kurzem der Baumwärter, sogar der Obstbaumzüchter Bäumputzer hieß. Das Vieh.14 In ganz spezifischem Sinn aber ist das Putze männlicher Haustiere svw. Kastrieren. — Mit weggelassenem Objekt beim Kartenspiel: du putzist! (darfst einen Kreidestrich wegwischen); du putzist zwee (du hast Recht! gut geantwortet!) — «Sellig (eklige) Sache putze man sonst fort.»15 — «Putzet das Licht und freuet euch!»16 ruft der Pfarrer, der in düstere Stube und düstere Herzen eine Freudenkunde trägt.

Die bei Gotthelf unzähligen Putzer (Wischer, Vorwürfe) seien bloß berührt. — «Die Hände seien fast nicht zu erputzen17 Es ist noch Zeit, den Braunen für die Käsfuhr zwegzuputzen.18

«Sie putzen hinten und vorn (an dem zu Fall Gekommenen) ab19 Aus dieser Fügung erklärt sich die bei Gotthelf neben der geläufigen20 ebenso häufige wie sonst ganz ungewöhnliche Dativ-Konstruktion: einem abputzen, d. h. ihm einen Wischer geben, einen «braven»,21 «tüchtigen»,22 «herzhaften»,23 «bedenklichen»24 Abputzer, «einen Abputzer vom Tüfel»,25 «eine vaterländische Abputzeten26

Eine Wohnung vor Bezug «sufer useputze27 «Göllerchötteli», Uhren uusputze. «Das Zit zu färben vnd vß zu butzen» (1657). «Es gspässigs Wäse, Zit uusputze»: das ist sonberbar! unbegreiflich! Eim ’s Zit uusputze: ihn rüffeln. Dä lumpig Zịtụụsputzer!28 Durch «ein Trank» der Lịịb uusputze oder Ein uusputze (siehe «Gesund und Krank»). «Lisi konnte sich nicht enthalten, in dem verwahrlosten Keller eine allgemeine Ausputzeten (Uusputzete) vorzunehmen.»29 «Wie mit dem Haus, so mache es auch mit deinem Herzen. Putz es alle Abend aus von allem täglichen Unrat... und absonderlich von allem, was nichts bedeutet und doch sich schwer machen will.»30

Sein Geld verputze. I cha das nid verputze (es wott mer nid ịị): es widerstrebt meiner ganzen Geistesart, meiner Geschmacks­richtung, meinen einschlägigen Grundbegriffen.

Durch Beschmutzen der Kleider, durch Trunkenheit u. dgl. sich (wüest) zueputze: sich äußerlich besudeln und damit zugleich verächtlich machen. Im Gegensatze zu Mädchen, die «si uufpützerle».31 «Hansli 431 pützerle sich z’weg, es habe keine Gattig.»32 Ausgegossene Milch,33 Schmutz u. dgl. vom Fußboden uufputze. Am Brotlaib die unebenen Schnitte naheputze.

Kehricht wegschaffen heißt wụ̈sche, wischen. D’Stuben ist nid g’wüscht.34 I cha das (Übel, z.B. Rheumatismen) haḷt nid ewägg wüsche. Es wüscht ne (oder: es putzt ne) öppe de ungsinnet (in plötzlichem Tod; gleichsam wie Kreidestriche auf der Spieltafel).35

Neu Bäse wüsche guet, «aber währen (als neue) nicht lang.»36 Angewandt auf rasch «verbrauchte» Magistraten: «So, si das scho mutz Bäse!»37 Ihrerseits dienen aber gerade solche Stumpbäse zum Verjagen unerwünschten Besuchs.38 Bekannt ist ihr Gebrauch zum Kartoffeln-Waschen (Härdöpfe͜l-Stu̦ngge), zum Ausräumen des Schweinetrogs.39

Noch wirksamer in Barthlis Sinn arbeitet der Bäsesti̦i̦ḷ — ähnlich dem Peitschenstiel — aber plumper. Daher auch Erklärungen wie: «Tanze tuen i nid mit dir, lieber mit eme Bäsestiiḷ40

Der Besenbinder von Richiswil.41 Der Bäsemaa im Salon statt des Wahl-Expressen;42 ’s Bäse­manndli;43 der Bäsebueb.44

Das Bäserịịs:45 besonders Beiwị̆de oder Birkenzweige, vgl. der Tokter Bäserịịs, d. i. die Rute. Dagegen der Rịịsbäse: aus Reisstroh. Der Chri̦i̦sbäse: aus Tannenreisig. Solche, sauber entrindet, geben das Ịịfüecht­bäseli46 zum Bespritzen der zu plättenden Wäsche, aber auch zum Nịịdle-Schwinge mit dem Bäse47 als alter Sennerinnen­kunst. — Aus Binsen: das Fụ̈rblatte­bäseli.

(Ertappst du den Eierdieb auf der Bühne,) «pack nume härzhaft ne bim Chropf u tuen en ahebäse48 Eine fu̦rt-, dänne-, ewäggbäse.

Üse Bü̦rstemaa ist mer grad i Weg g’lü̦ffe.49 Sụụffe (und daraus mechanisiert): fluehe, wi ne Bürste­bin͜der.

D’Mähḷbürste (ostschweiz. «der Wüscher»). D’Franzose bürste,50 erbürste. — Der Ofewü̦ü̦sch, Ofenwischer, zusammenraffbar zu einem Wüüsch, Wisch. E schöne Wüüsch (oder Schübel) Gäḷt. Der Schueh­wüüsch, an welchem man d’Schueh abputzt (eigentlich und figürlich). Di ganzi Sach an e Wuusch nää. Einen wuusche (prügeln). Sie war nicht ordentlich gekleidet, nume so aag’wuuschet.51

 
1 193.   2 Ök. Q. 10, 2, 41; UK. 415.   3 Schuldb. 187.   4 Niggi Ju 215.   5 MW. 2J. 249.   6 UK. 65. 69.   7 BSp. 4   8 SchM. 2, 52; Käthi 39 Hs.   9 BSp. 259.   10 UK. 175.   11 GG. 3, 13.   12 Wass. 60.   13 UK. 197; Obstb. 1902, 176.   14 Ztgst. 1, 7.   15 Barthli 64.   16 SchM. 2, 487.   17 Vgl. Käs. 77; Berner 247.   18 Käs. 246.   19 BSp. 212.   20 z. B. Bsbinder 366.   21 Amtsr. 135.   22 BSp. 249.   23 Schuldb. 306.   24 Michel 227.   25 UK. 156.   26 AB. 1, 423.   27 MW. 2J. 167.   28 Widm. 127.   29 Ztgst. 2, 51.   30 Besuch 176; vgl. 165.   31 Geltst. 339; Käs. 324; Heiri 117.   32 Bsbinder 356.   33 Ztgst. 1, 28.   34 Vgl. Geltst. 13.   35 Vgl. Geltst. 115.   36 Heiri 40.   37 Käs. 43.   38 Barthli 13.   39 Ztgst. 2, 171.   40 KL. 02, 237; 03, 177.   41 Fröhlich XVIII ff; Bsbinder 371 (schön!)   42 Böhneler 192.   43 Bsbinder 365.   44 Ebd. 346.   45 Ebd. 345.   46 AB. 2, 177.   47 Glutz.   48 GF. SF. J. 1900, 190.   49 MW. Mg. 268.   50 Elsi 62.   51 MW. Ws. 26.  
 

Waschen.

Waschen lautet wäsche (-s̆s̆-); daher bei Gotthelf auch «Wäscherlohn»,1 wie umgekehrt «schöne weiße Waschen»,2 aus «Wäschen»3 «hergestellt». Vor der Vermischung aber mit wäsche = waschen, nhd. Wäsche und Wäscherin weicht die Mundart in -ö- aus: Wösch, Wöschere, Wöscherwịịb (-s̆s̆-) neben Wöschwịịb (-s̆-).

Was wird nicht alles gewaschen! Vor allem im Emmenthal das Haus «alle Jahre mit der Feuerspritze»,4 oder nun eher mit der (zugleich im Garten dienlichen) Hausspritze. Denn «es wollen die Berner reine Häuser, ... sich selbst zum Wahrzeichen, daß rein auch die Herzen seien.»5 Jeden Morgen aber sogleich nach dem Aufstehen, am Sonntag vor Anziehen des Festkleides, begibt sich männiglich zum Brunnen, bewaffnet mit dem Wäsch­tüechli. Zum Händetrocknen tagsüber hängt da und dort (vor dem Hause, an der Küchen- und Stubentüre) an der Rolle mit ewigem Umgang das Handtuech6 oder Wü̦schte̥ch (Wischtuch). Die gute alte Zwä̆hele (Handzwähele)7 ist im Aussterben begriffen; noch das Hand­zwäheli8 ersetzt etwa in Namen und Begriff die Serviette. Der Wäschlumpe (-s̆-) dagegen9 gehört heute in die Küche zum Ab-10 oder Dänne­wäsche (Aufwaschen). Es schneit Wäschlümpe: mächtige Flocken. Er ist nume so ne Wäschlumpe (energie- und haltloser Mensch). Andere Bilder: «en un­gwäschnigi Zunge»11 u. dgl.

Im Besondern aber gilt das Wort Wösch, Wäsche dem Bettzeug und dem waschbaren Gewand. Alljährlich zwei- bis dreimal, im Frühling (Sommer) und Herbst, in nicht bäuerlichen Familien häufiger, tritt an die Hausfrau die große Prüfung ihrer Geistes­verfassung heran. «A der Wösch git’s hässigs Wịịber­volch», sagt der Volksmund, und im Gotthelf heißt’s:12 «Das Weib soll sich nicht kreuzigen (bekreuzen), wenn die Wäsche naht. Wie da doch bei nahender Wäsche, als ob sie die Hundstage wäre, Donnerwetter streichen über viele Weibergesichter, wie der Mann kusch machen möchte und sich doch nicht klein genug machen kann.» Bisweilen ist allerdings Grund des Unwillens genug da: Wenn ganze Partien wieder ab dem Seil in die Lauge wandern müssen, weil die Weiber statt sauber zu wachen «nume g’chrŏttet hei». Wenn das Waschhaus die ironische Aufschrift «Taubstummen­anstalt» verdient;13 433 dieser und diese ebenfalls i d’Wösch g’noo wird und einen neuen «Schlämperlig»14 abkriegt. Denn «Wäscherin zu sein ist das Privilegium bestandener wohlerfahrener Weiber, die über jeden Menschen Bescheid wissen.»15 Vergessen wir indes ob all diesen Banalitäten nicht die so überaus achtungswerten und des Schweigens kundigen Kolleginnen von Chamisso’s «alter Waschfrau», wie Marie Walden in ihren besten Lebensbildern deren eine gezeichnet hat.16

Also: Mir müeße wider d’Wösch z’wäg mache! Das erste ist: Sortieren des mächtigen Haufens in drei kleinere: ’s Wu̦ḷḷige, ’s Blaue (so heißt alles gefärbte Linnen und Baumwollzeug), ’s Wịịße. Ersteres darf in der Regel bloß mit heißem Seifenwasser, das Seiffḁlaa genannt, behandelt werden. Das zweite erfährt, wenn stark beschmutzt, zuerst einen schwächern Überguß von Natronlauge; bloß das Weißzeug wird einer gründlichen Durchtränkung mit Kali- oder Natronlauge unterworfen, und dieses Bụụche17 (bäuchen) geschieht wie folgt.

Unter dem behufs Holzersparnis eingemauerten Buuch-Chessi in der Wösch­chuchi (Waschküche) — kleinere Haushalte behelfen sich mit dem Dampfwaschhafen auf dem Herd — wird gefeuert. Hiezu dienen (als Wö̆schholz, -s̆-) grob zerkleinerte Wurzelstöcke. Neben dem Chessi steht die gewaltige Wöschbütti. Unter sorgfältiger Ausnützung ihres immensen Platzes wird darin die schmutzige Wäsche verteilt: ịịg’leit («eingelegt»); nicht ohne daß man sie zuvor im Brunnentrog durch Ịịtrücke einem ersten Bad unterworfen und sodann mit Teigseiffe (Kaliseife, Schmierseife) oder mit gewöhnlicher Natron-Seife durchsetzt (ịị­g’seiffet) hat. Nun breitet sich über den Rand der Wöschbütti das große, grobe Äschetuech. («Es war ihm, als ob ihm jemand ein Aschentuch vom Kopfe genommen»: so gingen dem jahrelang Verblendeten die Augen auf.18) Die auf die Wäsche hinunter sich einbuchtende Mitte des Aschentuchs wurde bis vor kurzem allgemein mit sauberer gesiebter Holzasche, am liebsten von Buchenholz, gefüllt. Dasselbe geschieht nunmehr auch mit den üblichen Wasch-Essenzen (Phénix u. dgl.). Wer den Trick versteht, unterläßt auch nicht, eine Handvoll Kochsalz beizufügen (wegen des schonend bleichenden Chlors).

Unterdes ist das Wasser im Chessi lauwarm geworden, und wird mittelst des Wöschgoon (Schöpfeimer) über das Aschentuch gegossen. Dem lauen Bade folgt ein wärmeres, sodann ein siedendes. Die jetzt volle Bütti wird mittelst des unten befindlichen Auslaufs, der von oben durch den rohrartig eingefaßten Stämpfe͜l (Stöpsel) sich regulieren läßt, 434 in das Chessi entleert. Die Lauge kommt in neues Sieden und wird wieder über die Wäsche gegossen. Dieses Uufschöpfe wiederholt sich, wenn’s recht zugehen soll, bis 27 Mal und dauert, wenn man in der Morgenfrühe beginnt, bis gegen Abend; die ganze Nacht durch aber, wenn die Buuchere19 (Bäucherin) selbst zuvor mit der Behandlung des «Blauen», dem Vorwäsche, sich abgegeben hat.

Nun kann das Morgengrauen des großen Tages erwartet werden. Um 5 Uhr rücken die bestellten Wäscherinnen an: zwei bis drei, wo erwachsene Bauerntöchter sich selbst mit in Reih und Glied stellen; vier bis fünf in besonders großen Haushalten. Das Aschentuch wird abgehoben und der ausgelaugten, immer noch als Dünger verwendbaren20 Asche (der Äscherich genannt) entledigt. Die Bäucherin, oder wer an ihre Stelle tritt, langt mit einem Scheit oder mit dem hölzige Cheḷḷeli Stück um Stück aus der Bütti und verbringt es in einen der bereitstehenden Wöschzüber. Eins nach dem andern nehmen die Wäscherinnen zur Hand, jede begibt sich an ihr Wöschbrätt,21 und brätsch! brätsch! schallt es, vom einstweiligen Fleiß bloß noch der Hände zeugend, weit in die Runde. Das Zeug wird umgekehrt, am andern Zipfel ergriffen, und tätsch! tätsch! tönt es noch energischer, entschiedener, dafür etwas kürzer. Jetzt wird das Stück auf dem Brett ausgebreitet und g’visidiert, d. h. nach besonders hartnäckigen Flecken spähend untersucht. Nach der Seife oben im eingelassenen Zipfel des Bretts langt die Rechte und bringt einen Schaum zustande, der einem kaiserlich königlichen Bart-Rat Ehre machen würde. Die Seife wird nicht vergeudet, aber auch nicht gespart. Das Emmenthal und überhaupt die Schweiz darf sich die Ehre nicht antasten lassen, an diesem bekannten Kulturmaßstab des Seifenverbrauchs mit jährlich 3 Kilo per Kopf (Gesamtausgabe der Schweiz: 4 Millionen Franken) beteiligt zu sein. Noch weniger braucht man im Emmenthal das Wasser zu sparen. Das beweist auch die stumme Antwort, die auf den Neckruf Troche­wöschere! zu erfolgen pflegt.

Jetzt wird das Zeug zusammengeklaubt, ausgepreßt, noch einmal ’brätschet, in der nebenan stehenden Mäḷchtere g’schwăderet (auf und ab und hin und her geschwungen), und kommt wieder in einen der mächtigen Zuber, um in heißem Wasser der anhaftenden Lauge und Seife entledigt zu werden. Diese Manipulation heißt Dü̦ü̦rzieh (Durchziehen). Nachdem das Zeug auf einem Wosch­bährli den Großteil seines Wassers in Strömchen abgegeben hat (verseikt het), gelangt es zum Wässere in den mit einem saubern Tuch ausgeschlagenen Brunnentrog.

435 Jetzt übt sich die Wäscherin in einem raffiniert ausgedachten Kapitel angewandter Optik. Das Bäuchen hat der Wäsche ein unansehnliches Grau erteilt, welches nur durch anhaltend intensive Besonnung sich durch schönes Weiß verdrängen ließe. Damit kann die Wäscherin nicht rechnen. Sie taucht daher diejenigen Partien der Wäsche, welche — wie Krägen, Ärmel, Brusteinsätze — von ihrer Kunst Zeugnis geben sollen, in eine Lösung von Waschblau: die Bleejji. Solches Bleejje verwandelt das häßliche Grau in den täuschenden Lichteffekt eines strahlenden Weiß.

Mittlerweile hat der an diesem großen Frauentag natürlich daheim gebliebene und hụ̈̆t gar grụ̈ụ̈seli g’föḷgig (folgsame) Ehemann, oder wer ihn vertritt, s’ Wöschseeḷ (das Waschseil) uufg’macht. Denn nun gilt es d’Wösch z’tröchne, wiḷ d’Sunne schịịnt, was übertragen auch heißt: seinen Vorteil wahrnehmen.22 Ebenso bedeutet bildlich es Seeḷ voḷḷ: eine stattliche Reihe, schöne Anzahl.23

An einem Höörndli also (einem der 4 vorspringenden Enden) wird der Haspeḷ ergriffen, der das Seil kreuzweis aufgewunden trägt. Man windet — lịịret — das Anfangsstück des Seils um die unterste Vergabelung (Grĭ̦ppele) eines starken Baumes, fährt mit dem Seil von einem der in den Boden getriebenen kleinen Pfähle — Wösch­stäcke — zum andern, lịịret einist (einmal) um, und befestigt das Endstück, wo und wie man kann. Eingedrehte Stangen erhöhen die Spannung des Seils, und im Notfall tragen es noch je zu zwei und zwei verbundene und gegeneinander verstellte Pfähle (Stŏgle) oder elastische Stangen (Sprụ̈tze). Mit Vorliebe dem nächsten Fahr- oder Fußweg entlang, meist in doppelter, bisweilen aber, damit die Wäsche «desto größer scheine»,24 in einfacher Reihe, breitet sich nun in ein- bis zweitägiger Temporär-Ausstellung vor scharf kritisierendem Auge und Mund aus, was nachher wieder für 4-6 Monate sich in Kisten und Kasten verbergen muß. Der Barometerstand des Humors der so stark beschäftigten Hausfrau zeigt sich in den Antworten, die sie auf Neckfragen wie «Heit der das z’erst gwäsche oder z’erst g’häicht (aufgehängt)?» bereit hält. Dem Chlämmerli­sack entnehmen ihre flinken Hände eine der buchenen Waschkluppen (Chlämmerli) nach der andern, um die Wäsche durch Chlämmerlen gegen den Wind zu sichern.

Noch am Seil hängend, werden während des Trocknens die zuvor gebläuten Wäsche-Partien g’stẹẹrkt, d. h. gesteift. Die Stẹẹrki («Stärke») wird heute fix und fertig vom Krämer bezogen (Amlung samt Borax). Das hiezu dienende Reismehl wurde ehedem von der Hausfrau eigenhändig ersetzt durch Kartoffelmehl, das sie aus g’rapsete Härdöpfle 436 ausschlemmte. Das war allerdings ein «Ammer­mähḷ» von etwas zweifelhafter Weiße, und «mit so Tüfelsdreck von Erdöpfeln» wollte ein Elisi «sich seine Mänteli nicht verderben lassen.»25 Sauberer war der aus Dinkelmehl ausgezogene Stärkestoff: chärnigs Ämmermähḷ,26 zumal der aus Sommerdinkel (Summer­chorn), dessen Name Emmer (ahd. amar neben amal) eben unserm Ämmermähḷ neben «Amelemähl» den Namen übermittelte.

Nun kommt die Büglerin, Glẹttere, uf d’Stöör oder nimmt kleinere Partien in Hausarbeit. Es schön g’glettet’s Hemmli entspricht allerdings in keiner Weise mehr den heutigen Gesundheits­regeln, ist jedoch für ein Auge, das nach blendender Weiße dürstet, nach wie vor «aḷḷwäg das Brävste, was man anhaben kann.»27 Und «wenn man im Sommer so einen behalstuchten, eingeknöpften Menschen sieht, so denke man nur zuversichtlich: oha, dem hapert’s am Hemde!»28 Welch ein Stolz daher, mit welchem auch eine Kämpferin ums karge tägliche Brod wie Mädeli29 am Sonntag Morgen seinem «Schulmeister» zuruft: Sä, Manndli, da hesch es sufers̆ Hemmli, und (zwar) es glettet’s! — indes es selber, zum Kirchgang sich rüstend, aus seinem schwach besetzten, aber sauber gehaltenen Tröögli es glettet’s Mänteli hervorlangt; ein flächsenes Vorhemdchen also, wie es ihm von seinen Mädchenjahren her als Schmuck und Zier übrig geblieben. Denn das Blätten konnte es hier selber besorgen, indes die baumwollenen Vorhemdchen zum Gu̦feriere (franz. gaufrer = modeln, speziell: in schmale Rinnen legen, eigentlich: nach Art von «Waffeln», gaufres, gaufrettes anordnen) aus dem Hause wandern müssen. Hinwieder wird Schürzen aus dunkelgefärbten Linnen (blau­zettigen und g’strĭ̦chch­leten) mittelst eines Kolbens aus Buchsholz oder Glas ein eigenartiger Schimmer (mhd. das «glander») erteilt; sie werden schimmernd («glander») gemacht, «’glan­deriert». (Gotthelf dachte bei dem Wort an «galant» und schrieb «galanteriert»30 oder «galanderiert».31)

 
1 SchM. (1838. 1848) 2, 43.   2 SchM. 2, 77 Hsb.   3 Hsb.; vgl. Beitr. 249.   4 GG. 1 4.   5 Sylv. 232.   6 AB. 2, 17.   7 SchM. 1, 245; AB. 1, 339.   8 Gf. SF. 1902, 245.   9 UP. 18; MW. 2J. 254.   10 Michel 273.   11 MW. BK. 68.   12 Arm. 120. Vgl. SB. Kalender 1905, 83.   13 Vgl. Käs. 276: «Stadt­wäscherinnen haben Mäuler, welche den Rheinfall zum Schweigen bringen würden.»   14 SchM. 2, 120 Hsa.   15 Ebd. 2, 52; Käs. 276.   16 MW. Vs. 131-5.   17 SchM. 2, 112.   18 BwM. 167.   19 MW. 2J. 171.   20 Pfr.-Ber. 1764, 194.   21 MW. Ws. 41.   22 MW. Anna 210.   23 Ztgst. Hsa.   24 SchM. 2, 77.   25 UK. 292.   26 Geltst. 233; auch UK. 292 durfte «Kärnigs» statt «Körnigs» zu lesen sein.   27 Käthi 82; vgl. GG. 2, 154.   28 SchM. 2, 43.   29 Ebd. 2, 51.   30 SchM. 2, 96.   31 Geltst. 248; BwM. 116.  
 

Gesund und Krank.

Laubenormament.

Übel.

D

 

as Berg- und Talgelände Lützelflühs darf fast ausnahmslos zu den gesundesten Gegenden der Welt gerechnet werden. Keine stagnierenden Gewässer, keine Sümpfe verderben die reine, zu Zeiten geradezu wonnige Luft unserer Hügelregion mit ihren sechsmonatlichen Wintern, aber überaus vegetations­kräftigen Sommern. Die berufsmäßige oder wenigstens als Nebenerwerb betriebene Bezwingung der harten, zähen Scholle erzeugt eine regsame und abgehärtete Bevölkerung, deren streng geregelte, solide und nüchterne Lebensweise in Verbindung steht mit durchgehends wohl geordneten, mindestens erträglichen ökonomischen Verhältnissen. Die weithin bekannte gute Besetzung des Emmenthaler Bauerntisches räumt dem Alkohol keine Rolle eines vermeintlichen Nahrungs-Ersatzes ein, und das ehemalige Wohnungselend in den Flußniederungen reicht — dank unserer Armeninspektion und Armenpflege — bloß noch spurweise in die Gegenwart herein.

So werden denn auch die Tage der «Schwarzen Spinne» kaum je wiederkehren. Dennoch erfährt und beobachtet auch der Lützelflüher, daß Krankheit leider so wenig wie Krieg aus der Welt zu schaffen ist, und seine Sprache stempelt die Häufigleit der abnormen Leibes­funktionen damit ab, daß sie wohl das Wort «Krankheit», nicht aber «Gesundheit» stark mundartlich färbt. Der Chrankĭ̦t steht die «G’sundheit» 438 gegenüber, und erst das Beiwort g’sun͜d (ahd. gisunt) hat in seiner mundartlichen Bedeutungs­differenzierung von g’sün͜d (gisunti) stärkere Beeinflussung erfahren. Der (durch die Schulsprache zusehends wieder verwischte) Unterschied ist nämlich der, daß «gsün͜d» sich auf den Leibeszustand, «gsun͜d» dagegen auf die ihn beeinflussenden Umstände und Mittel bezieht. Gsün͜d ist «heil», gsun͜d aber «heilsam» (bzw. «geheilsam»: g’hĭ̦ḷsḁm)1 oder zuträglich; dies auch in dem erweiterten Sinn, womit wir Einen zu einer unsanften Belehrung, einem mutwillig oder leichtfertig sich zugezogenen Übel spöttisch beglückwünschen: Jä gäḷḷ, das ist der iez einist gsun͜d!

Bohnehüslihanes (geb. 1827).

Mit «gesund» verwandte Ausdrücke sind: Zunächst wohḷ, s. v. w. «sich wohl befindend». Man sagt: er ist wohḷ, und im Vergleich mit einem schlechtern Befinden: er ist wöhḷer, oder: er ist baas. Von einem zu energischer und allseitiger Lebens­entfaltung Aufgelegten heißt es: er ist ụụflĭ̦g. Damit berührt sich unser chächch («keck», ursprünglich identisch mit lat. vivus, frz. vif und vivant) im Sinn von «robust», stark und fest. Er ist nümme chächer wie aḷbe: er ist gebrechlich geworden. Wie «keck», «frech» und «kühn» sich im schriftdeutschen Sinne von «dreist» zusammenfinden, so mundartlich in der Bedeutung: von Lebensfülle strotzend. Wie eine Leibesgestalt, ein Gesicht rotbräch,2 rotbrächt, umgedeutet: rotfräch, fräch aussieht, so ist auch eine Wunde, ein Geschwür vor der Heilung chüen, fräch, chäch, oder chịịdig. Letzteres (bereits verhandelte) Wort geht überhaupt auch hier in Bedeutungsfülle voran. Ein Mensch, der wie eine Chị̆de (wie ein saftstrotzender Pflanzentrieb, vgl. S. 118), voll Gesundheit und Leben dasteht, ist e chịịdiger Milion, e chịịdiger Sackermänt. So spricht man namentlich, wenn das Wollen eines solchen Individuums lange 439 nicht im Verhältnis zu seinem Können steht. Endlich sagt man prägnant: er ist z’wääg im Sinn von guet zwääg, aber in der Beschränkung auf leibliches Befinden. Das Gegenteil ist: böös zwääg, übe͜l zwääg, aber in weit ausgedehnterer Bedeutung. Ume z’wä̆g choo heißt «genesen» im heutigen schriftdeutschen, aber nicht im alten mundartlichen Sinn dieses Wortes.

Buechrüti-Peter (geb. 1826).

Ga-nisan (wozu nas-jan = nähren, «am Leben erhalten» das Faktitiv bildet) hieß: am Leben bleiben, aus schwerer Gefahr mit dem Leben davon kommen; vgl. «eines Kindes genesen» und «die Genißt» (Entbindung), die gerichtliche Genißtzeugin, das genißtliche Examen.2a Es sagen noch zur Stunde ältere Lützelflüher z. B. von einem Haustier, das unzweckmäßig gepflegt wird: es cha däwääg nid gnä̆se, d. h. es kann so nicht gedeihen, sich nicht wohl befinden. Einen vollen Ersatz dagegen für das alte ganisan bietet unser fü̦ü̦r choo («fürkommen»2b). Chunnsch fü̦ü̦r? lautet etwa die derb joviale Begrüßung eines Genesenden, und die Erfahrung, daß keine noch so verderbliche Gewalt alles von ihr Erfaßte zugrunde richten könne, kleidet sich in den Satz: Es ist ke Schlacht so großi, es chunnt gäng öpper (oder öppis) fü̦ü̦r.

Zäher als das vorhin erörterte «gsün͜d» haftet das gegenteilige 440 ungsün͜d sowohl im subjektiven Sinn3 («mit allerlei Schwächen und Gebrechen behaftet»), als im objektiven: unzuträglich, unbekömmlich.4

Verwandt mit «ungsün͜d» in ersterer Bedeutung ist «fehlbar». Er ist fä̆ḷbḁrer, sie ist fäḷbḁri, es ist «fäḷbḁrs̆» heißt: es «fehlt» ihm oder ihr etwas, das zur vollen Leistungs­fähigkeit mitgehört; er (sie, es) ist häufig, und so auch jetzt wieder, unpäßlich.

Vorübergehend in Arbeits- und Genußfähigkeit gestört, unaufgelegt ist ung’rächt. Der Grund liegt hier in Verdauungs­störungen. Das Chin͜d ist neue so ungrächts; es mag nid o ässe (nicht auch, nicht wie es sollte, essen): es wird öppen urịịffi Bire g’chätschet haa. Der Ausdruck gilt auch für Stalltiere.5 Vgl. oberländisches «unhirtig».

Wer plötzlich von einem Unbehagen, einer unerklärlichen Übelkeit, einem Schwächeanfall, einem halben Schwinden der Sinne übernommen wird, sagt: es ist mer neue so wunderlig! Daneben bedeutet das Wort «launenhaft»; ein Doppelbegriff, der auch in Wunderligi6 («Wunderlichkeit») steckt.

Noch stärker divergieren die in Leid steckenden Abspaltungen des Urbegriffs «widerwärtig», von welchem auch das abgestufte Verb «leiden», lịịde (Widerwärtiges erdulden)7 und unser ebenso schwer übersetzbares wie vortreffliches Emmenthalerwort sich lịịde herstammt: mit großer Seele sich in die alltäglichen Beschwerden seines mühevollen Berufs oder seiner drangsalvollen Lebensumstände schicken. Dem dinglichen «leid» («es ist mir leid!» «leid-er!») stellt die Mundart ein persönliches zur Seite. Vgl. «das Alter ist ihnen ein leider Gast».7a Die älteste Bedeutung zwar: von häßlichem Aussehen (entlehnt frz. laid) ist in ihr erloschen, hat aber der doppelten des körperlich Mitleid-Erregenden und des moralisch Erbärmlichen Platz gemacht. Er gseht leid uus: er ist körperlich heruntergekommen; er het g’leidet: ist in seinem Gesundheits­stande zurückgegangen. Du bist doch e Leider: ein Furchtsamer (e Förchti-Hans), ein mutloser oder zaghafter Mensch.7b

Diese vielumfassenden Ausdrücke führen uns auf den Hauptbegriff des vorliegenden Kapitels über, der heute gleicherweise durch schriftdeutsches «krank»7c und «Krankheit» wie durch mundartliches «chrank» und Chrankĭ̦t bezeichnet wird. Er ist e chranker, e chrankner, e 441 chrankniger Möntsch — was het er ächt für ne Chrankĭ̦t? Das Wort mit seiner ursprünglich andern Bedeutung8 ward früher in Schriftsprache und Mundart durch siech und Sụ̈ụ̈ch (Seuche) ersetzt. Genauer sagen wir: die Ausdrüde schleppen auch hier die Abdrücke alter Zustände nach. Der Begriff von «unheilbarem Siechtum» ist ein anderer geworden; so mancher Süüch unter Menschen, Haustieren und Kulturpflanzen weiß man heute vorzubauen, und der trotz allem von ihr Ergriffene braucht nicht mehr ohne weiteres «dahinzusiechen»; er ist zum Gegenstand wissen­schaftlichen Interesses sowohl, wie allgemein menschlicher Teilnahme geworden. Wie anders die Zeit, aus welcher die städtische Sprache den Zuruf an ekelhafte, verabscheute Menschen, die ländliche die Beschimpfung eines Fluchbeladenen herübergeerbt hat: du Siech! du Ssiech! du Sĭ̦besiech!

Uhrmacher.

Die ebenfalls hieher gehörige Sucht aber hat sich in seelischer wie leiblicher Deutung auf besondere, eigens charakterisierte Übel oder deren Symptome spezialisiert. Kyburtz8a nennt (1754) die Epilepsie «die Seuch, wovon die Menschen fallen, oder fallende Sucht». Nach Rebmann aber8b verkünden «die Erdbiben Pestilenz und Süchten schwer». «Lebersüchtige 442 Mädchen meinen, es fehle ihnen auf dem Herz.»9 Erkrankungen der großen Unterleibs­drüsen (Leber, Milz, Nieren) äußern sich auch in Leiden, die man für eigene Krankheiten hält, wie Gäḷbsucht und Wasser­sucht. Mit allgemeinern auffälligen Schwäche­zuständen sind verbunden die Rü̦ppsucht («englische Krankheit») von Kindern, die an Mangel knochenbildender Kalksalze leiden; die Bleich­sucht (Chlorose) von Jungfrauen, deren mangelhafte Diät die Aufspeicherung eiweißreicher Blutstoffe für den künftigen Mutterberuf in empfindliche Leiden ausschlagen läßt; die Schwind­sucht (Uuszehrig, «Auszehrung», vgl. das «Sich außmerchlen»9a) der mit Lungen­tuberkulose Behafteten. (Auffällig ist der Name «Schwindsucht», welchen Haldimann 182710 für Schwindel­anfälle gebraucht.) «Die Wunden aber, welche der fleißige Landmann oft erhält in seinem schweren Kampfe mit Erde und Wasser, mit Wind und Wetter»11 — «ein hart Leiden und ein noch härter Heilen» — fassen sich zusammen unter der Bezeichnung Glĭ̦der­sucht. Der akute Gelenk-Rheumatismus insbesondere heißt Gleich­sucht. Reißende rheumatische Schmerzen aller Art nennen sich die oder etwa auch das Gsü̦̆chti. «Er sei krank und habe grusami Gsüchti.»12 «I ha hüt aber mis Gsüchti. Ai ai!»13 Im mhd. sagte man «die» gesüchte für «Krankheit» im allgemeinen; Zusammen­setzungen dagegen wie z. B. hant- und vuoz-gesüchte (Chiragra, Podagra, «das Podengram»,14 Podagran14a) trugen sächliches Geschlecht. Die allgemeine Bedeutung ruhte auch auf dem Beiwort «süchtig», und zwar so entschieben, daß «süchtig» mittelst der Übergangs­bedeutungen «schmerzhaft», «empfindlich», «in hohem Grade bemerkbar», «auffällig» sich bis zum mechanisch verstärkenden Adverb verflachen konnte: «süchtig gueti Milch»;15 «sie hätt süchtig Gäld chönne verdiene».16 Es wiederholt sich also hier die Wortgeschichte von «sehr», welches wir ja in der alten Bedeutung «schmerzhaft empfindbar», «den Wundsein nahe» noch «sehr» gut kennen; vgl. auch «unversehrt.»

Einen Gegensatz zu solcher Begriffs­verall­gemeinerung bietet der Ausdruck Säärbe. So heißt im Grunde jede Krankheits­erscheinung, die mit starker Kräfteabnahme riesigen Appetit verbindet, wie Rhachitis, Amyloïd von Leber oder Darm, die (bei uns seltene) Diabetes u. dgl. Wir reden auch konsequent von hungerigem wie von tu̦u̦rstigem Säärbe. Mehr der allgemeinen Bedeutung von mhd. serwen (dahinschwinden) 443 nähert sich ver­säärbelet («verserbet»)17 als Bezeichnung eines dahinschwindenden oder wenigstens im Wachstum sehr zurückgebliebenen und völlig abgemagerten Kindes, eines Säärbeli, das zum Jammer säärbelig uusg’seht.

Ein im Niedergang begriffenes Synonym zu «Seuche» ist der Bräste. Noch redet man etwa vom Härdöpfe͜l-Bräste (der durch Peronospora verursachten Kartoffel­krankheit), sonderlich von dem verhängnisvollen ersten von 1845;18 seltener vom Brästen im Stall,19 der einen Pächter ruinieren kann;20 kaum mehr von eines «Branntwein­mädchens» «ekelhaften Bresten».21 Zäher erhält sich das Adjektiv: er ist brästhafter, mit einer kaum oder gar nie gründlich heilbaren Krankheit behaftet.

Wer von solcher Krankheit jeweils vorübergehend oder zur Not hergestellt ist, trägt zeitlebens ein Näggi22 oder Näggis23 davon, gleich als wäre er verhext.24 Noch empfindlicher als ein solches «Näggis» ist die Letzi,25 die an einem schwer Verletzten haften bleibt.

Wer sich eine solche Verletzung zugezogen hat, het sich gwi̦i̦rschet, übe͜l gwiirschet, ver­wiirschet (1661: gewirßet;26 Gotthelf: «sich wirsen»)27 und muß nur froh sein, dass es nid no wiirscher g’gangen ist.28 Unsere Mundart, die jedes rs zu rs̆ wandelt, verwischt jede Unterscheidung zwischen unwirsch (aus mhd. unwirdisch s. v. w. einen unwert behandelnd), vgl. er wird unwirsch (-s̆s̆), d. h. launenhaft gereizt, dem verdunkelten Komparativ29 wirsch (mhd. wirs30), und dem aufgefrischten wirscher (mhd. wirser).

Jenes «sich wirsche» bezieht sich auf Verletzungen leichtester bis schwerster Art: Schnătte (Hauteindrücke von Schlag oder Pressung); Mŏse (Hautstellen, die infolge von Schlag, Stoß, Aufprallen blau unterlaufen sind, früher auch schwere Wunden: «durch seine Masen sind wir gsund»;30a vgl. vermŏseti Gli̦der31 wie vermoseti Öpfe͜l und dgl.);32 Schlitze (Einzahl: der Schlitz: Schnittwunde), mit dem Aussehen aufgesprungener Hände (Chleck), unter Umständen auch von Frostbeulen (die Gfrü̦ü̦ri).

Eingedrungene Holzsplitter: Sprịịße («Spreißel», «Spị̆se»).33

444 Infektionen: die Röötle (Rubeola), häufig in éins genommen mit den Masern (Morbilli), wogegen von beiden das wegen seiner Folgen für Ohr und Auge so gefürchtete Schaarlḁch­fieber (Scarlatina) richtig unterschieden wird. Gefürchtet ist, wie billig, der Rotlauf (Gesichtsrose).

Durch Schmarotzer ist verursacht: die Rụ̆de (Krätze), oft mit andersartiger Bịịßigi verwechselt. Statt rụ̈dig waren früher schĕbig und schäbig die entsprechenden Bezeichnungen.33a Heute gilt die Form mit ẹ für das Abschelfern der Haut; die Form mit ä steht übertragen für «armselig», «erbärmlich».

Nicht einer so radikalen Kur wie die in die Haut eingebetteten Krätzmilben (vgl. das Rụdestübli im Berner Arbeitshaus 1793)34 können die einer großen Freizügigkeit sich erfreuenden Huslüt uf em Chopf oder di obere Zähetụụsig35 unterworfen werden. Das ist bei der erstaunlichen Vermehrungs­fähigkeit dieser Parasiten (e Nịß wirt i eim Tag Großmueter) in einer von ihnen heimgesuchten Familie bedenklich genug. Als Trost kann immerhin der Umstand gelten, daß sich der schlechthin Lụụs genannten Kopflaus höchstens etwa noch die Kleiderlaus (Gwantlụụs) zugesellte, bevor unsere organisierten Verpflegungs­stationen mit dem Über­nächtler-Unwesen aufräumten. Die richtige Emmenthaler Hausfrau führt auch gegen die gebliebene éine Art einen unermüdlichen Krieg mittelst einer sehr geeigneten Offensivwaffe: des enggezähnten Kamms, Lụụser geheißen. Neben dem Trutz versäumt sie aber auch den Schutz nicht: ihre Kinder hält sie mit scharfem Auge ferne von schulbank- oder spielgenössigen Lụụsbuebe, die kürzer ebenfalls Lụụser genannt werden. Gerade solcher Reinlichteits­beflissenheit kann es nur zu vorteilhafter Hervorhebung dienen, wenn einmal so ein urchiger kleiner Bauernsohn auf den Einfall gerät, eine stattliche Zahl angesammelter Vịịcher dieser Spezies in eigenem «Stall» zu verwahren, sie bei anwandelnder Lust in Reih und Glied aufzustellen, ein besonders ansehnliches Exemplar mit schönem schwarzem Streif über den Rücken als Treichle-Chue voran, und so nach Herzens­bedürfnis z’chüejjere.36 Liegt übrigens der sarkastischen Selbst­vertröstung unter Großen: besser e Lụụs im Chrụt weder gar e kes Fleisch etwa eine appetitlichere Vorstellung zugrunde? Eim d’Lụ̈ụ̈s tööde, oder d’Niß ahemache: ihn «hernehmen», ihm «den Standpunkt klar machen».

445 Als Ungeziefer (1791: «Unzeifer»)37 oder umgedeutet: Ung’sụ̈fer pflegt man in einem Atem zu nennen: Lüüs u Flöh (man sagt die Floh und bildet das Verb flohne wie luuse) u Wäntele. Wäntele heißt auch das wanzenartig plattgedrückte Busenfläschchen. Den Brand des (seither so ansehnlich erneuerten) Lützelflüher Armenhauses von 1848 schiebt man etwa einem Insaßen unter, der beim Anblick des hell loderndern Feuers gerufen habe: We das nid guet für d’Wäntelen ist, was Tüüfe͜ls ist de guet! Die zum Sprichwort erhobene Rede bedeutet: wenn diese im Verhältnis zum Zwecke überreich aufgewendeten Mittel nichts helfen, dann usw.

Den Fremdkörpern, Schmarotzern und Ansteckungen reihen sich die Vergiftungen an, die bei dem Geheimnisvollen ihres Wesens immer noch Gegenstand einer besonders mangelhaften Kunde sind. Kröten und Igel, bei Rebmann (1620) auch die Wiesel, müssen als vergiftigi37a Tier gelten, indes Tuberkeln und andere Miasmen bei weitem nicht in ihrer Gefährlichkeit erkannt sind.

Infektions­krankheiten wie die Pocken, Plaatere, welche übrigens bei der hier herum nicht starken Impfgegnerschaft selten sind, hinterlassen lebenslängliche Spuren, eben die Blatter-Narben. Es plaaterigs oder plaatere’­tü̦pflets Gsicht heißt im Spaß (ohne Spott) auch es ’bäse­wuurfets.

Mit tuberkulösen Knochenschwund (Beifraas) hängen neben Narben auch Exsudate zusammen, welche die allgemeine Bezeichnung Ụụsschlag (1793: «Ausgschlächt»)38 führen. Der Ausdruck ist ebenso vag wie etwa nassi und trocheni Flächte;39 er bezeichnet übrigens Erscheinungen, die noch heute als dem Wohlbefinden förderlich gelten, als eine Art Kneippscher «Ausleitungen», besonders bei nur zu stark genährten (trĭ̦benen) Kindern. «Gesunde Kinder seien alle wohl flüssig, und das gebe die chächste (‹kecksten›) robustesten Leute, wo in der Jugend viel ausgebrochen (ụụs’broche) seien.»40 Die Kruste (die Ru̦u̦f, Mehrzahl: Rü̦ü̦f), welche die Ausscheidungs­stelle deckt, wird daher seitens älterer Pflegerinnen etwa «behandelt» wie die ausgeschiedenen Hautschuppen (Tschüepe) der Säuglinge; d. h. sie werden nicht behandelt: mi söḷḷ nụ̈ụ̈t dranne mache.

Als verunzierend reihen sich an: die Warzen (Wäärze); die Muttermäler («Amäler», das «Anmahl»41 oder «An-Maal»);42 die Hühneraugen, als Ägersten-Auge («Elster-Augen») bezeichnet.

446 Nicht so leicht findet man sich ab mit kleinen Entstellungen wie Laubfläcke («Märzenflecken», Ephelides) und Läber­fläcke (Lentigines),43 so unwirksam und teilweise ekelhaft auch (bei der Unbekanntheit des Wasserstoff­superoxydes) die dagegen angewandten Mittel sind. «Ein fatal Gügerlein (Gụ̈̆gerli, vgl. der Gụ̆ger, Eiterpustel), das hält Manche von gottseligen Betrachtungen ab.»44 Dies geschieht natürlich erst recht, wenn die gesamte umgebende Haut g’grụ̈̆belet u ’pü̦ggelet ist, wie etwa bei Nesselfieber, also bedeckt mit Pụ̈ggeli oder Zi̦theru̦ssen («Zitrachten»,45 ahd. zitharoh, umgedeutet: Zi̦tterhuus). Ebenso lästig, wie die Namen Üü̦rs̆eli (Ursula) und Grị̆tli (Margarita) hübsch klingen, ist das Gerstenkorn am Auge, weil in ihm gleich wie im Abszeß (der Eiß oder auch Ese͜l genannt) und in der Eiterbeule (der Chnụppe geheißen) Eiter wachst. Die Entfernung des letztern wird als Wohltat oder Plage empfunden, je nach der Gründlichkeit, womit man bei der Prozedur dem Bildungsherde: dem Chärne (Kern) oder dem Cheiste (Keim) zu Leibe geht. Eim der Eiß uuslaa ist daher eine ebenso doppeldeutige Übertragung wie: Ein i d’Kur nää.

Das Geschwür überhaupt heißt, wenn es mit hochgradiger Schmerz­haftigkeit verbunden ist, das Gschwäär. Es entspricht dies auch der Grundbedeutung: ahd. dër swëro ist allgemein so viel wie Krankheit und Schmerz, swâr, swâri, swârlih ist schmerzhaft, schmerzlich, drückend und schließlich, unser schwär, schwer.

«Wann sich die Schad am allermeisten zwischen die Gläich setzet, allso das sich das Eyter dahin versamlet»,46 so haben wir es mit dem Wurm zu tun, welcher auch das47 oder der Ung’nannt betitelt wird. Spezieller heißt ein Abszeß um die Nagelwurzel herum der bös Finger,48 der oder das Umlauf. Die ehemalige Scheu vor dem Aufschneiden eines solchen Geschwürs kennzeichnet der Satz: «Nur nicht in einen Umlauf geschnitten, ehe er reif ist! Das gibt verfluchte Schmerzen und einen neuen Umlauf.»49 (Blinder Eifer schadet nur.) Ein Ekzem in der Gabelung zweier Finger (i der Grĭ̦ppele), genauer in der Interdigital­falte, nennt sich das Grĭ̦ppeli.

Fụụlfleisch ist der urchige Name stark wuchernder Granulationen; i mag nid Fuul­fleisch trääge! die barsche Abweisung eines lässig Bequemen, der sich an meinen Leib lehnt oder auf denselben stützt.

Der Muskelschwund heißt die Schwịịnigi. Der Arm schwịịnet («schwindet») ihm, het ihm gschwịịnet. («Schweinen» bedeutet in 447 älterer Sprache überhaupt schwinden; «der Man [Mond] schweint und wächßt»;49a die «Schweinung» ist das Schwinden49b).

Er het e Hŏger, e Pu̦ggeli-Rü̦gge (Kyphosis); er ist uusg’stoße, uus­g’stoßner, uus­gstoßniger. Der Klumpfuß heißt Stoḷḷfues.

Zufällig erworbene Beulen (Pụ̈ụ̈le) sind nach herrschender Ansicht sogleich mittelst einer kalten Messerklinge, eines Glasbodens und dgl. plattzudrücken. Sie eröffnen eine ganze Reihe verschieden­artigster Geschwülste, deren Erscheinungs­form auch auf ethisches Gebiet übertragen wird. Mach nid der Gschwu̦ḷḷnig! d. h. tue nicht so groß!

Eine schmerzhafte Sehnenscheiden-Entzündung am überanstrengten Handgelenk nach anhaltendem Säen, Dreschen, Dängeln, Trommeln und dgl. heißt der Naarbe. Das Wort macht den Eindruck einer Neubildung aus «die Narbe» (cicatrice), hervorgerufen durch Gleichartigkeit des heftigen Narbenkrampfs.50

Die Blä́schwinte oder Flä́schwinte ist eine akute, die Truese eine chronische Lymphdrüsen-Entzündung; das Ohre­mü̦̆ggeli (der Mumps, zürcherisch «Mumpf») heißt eine Anschwellung der Ohrspeicheldrüsen. Eine ebensolche der Schilddrüse kann entweder nach außen zum gewöhnlichen Chropf sich ausdehnen, oder sie kann, die Atemwege bedrohend, als Stein­chropf innert sich wachse. Weniger Kunst als die schwierige operative, erfordert die seelische Entlastung, die da heißt: der Chropf lääre, s. v. w. sein Herz erleichtern; einmal so recht vo der Läbere wägg rede, de Lüte d’Sach säge.51 Use mit (heraus mit dem, was du zu sagen hast), süst git’s e Chropf!

Zum Verdauungstrakt übergehend, erwähnen wir zunächst die im Menschenleib schmarotzenden Würm, unter deren zahlreichen Gattungen und Arten jedoch höchstens der Bandwurm näher benannt wird. «Er het einen Bandwurm, oder der Bandwurm» bedeutet, der schlecht verhüllenden Entschuldigung entkleidet: er ist ein gewaltiger Esser. Auch auffallende Abmagerung wird etwa oberflächlich Würmern zugeschrieben. «Der Dokter seit, das Chind heig e mangelhafti Ernährung; mi het dem albez glaub Würm gseit.»52 Eim d’Würm us der Nase zieh heißt: ihn ausholen, ausfragen. (Eine Kunst, in welcher Vater und Sohn Bitzius Meister waren.)

Seine bekannte Rolle spielt das Wasser im spezifisch medizinischen Sinn: der Harn, auch etwa der Zü̦̆be͜l geheißen. Ebenso die Stuhlentleerung, deren abnorme Häufigkeit der Dü̦ü̦rlauf (Durchfall) oder 448 bei gleichzeitigem Blutabgang der rot Scháde (Darmentzündung) genannt wird. (Ruhr, Dysenterie.)

Gefährliche Unterleibs-Erkrankungen dieser Art setzten ehedem auch unsere Gegend stark in Tribut. Noch erhalten ist der Eisenreif um den runden Tisch im Bären zu Sumiswald, an welchem 1434 die vom «schwarzen» oder «großen Tod» Verschonten Platz fanden,53 während in Rüderswyl bloß zwei Personen übrig blieben. In Trachselwald aber herrschten laut Aufzeichnung von Pfarrer Ris:54 Im März 1765 «faule hitzige Fieber, Schnuppen, Geschwulsten, allerhand Arten der Blutflüsse.» Sehr gefährlich, wenn nicht durch Schwitzen getilgt, war im Januar 1763 «ein Fleckenfieber, da der ganze Leib mit Flecken von allerhand Farben bedeckt wurde.» Im April 1763 ließen «starke und gefährliche Bauchgrimmen» für den Sommer «rote Ruhr» befürchten, die denn auch eintraf, und die noch im September «Mann dasiger Enden gespürte». Ebenso herrschte den ganzen Winter «der Rotlauf» (Erysipelas), sowie Halsweh «mit Geschwürden». An Trub starben 1750 von Mitte September bis Ende November 41 Personen an der Ruhr, 1761 viele «an dem Stich und hitzigen Fieber.»55 Vgl. was Cysat in Luzern von der roten Ruhr zu Anfang des 16. Jahrhunderts erzählt.56

Das war die gute alte Zeit der Hünen und Recken.

Einem bis zum Ersticken vom Zorn Übernommenen ist d’Gaḷḷen ubergschosse. Ärger und Aufregung erzeugen das Gaḷḷefieber, welches seinerseits wieder in ein «Nervenfieber» übergehen kann. Dies Wort Närve­fieber für Abdominaltyphus ist, wie der Ausdruck Schlịịm­fieber, der Volkssprache geblieben. «Was der Eine ein Schleichfieber nennt, dem sagt ein anderer Schleimfieber; wissen sie mit etwas nichts zu machen, so sagen sie ihm Grippe»57 (’s Grị̆ppe­fieber). Dem Fụụlfieber ist ähnlich: ein in der Stadt umher­schleichendes, sehr lange währendes und entkräftendes Fieber.58 «Faulfieber» bedeutet bildlich (sarkastisch) Faulheit. Er het ’s Fụụlfieber; mi mues ị̆hm däich es Plaatere­pflaster (Spanisch-Fliegen-Pflaster) ụụflege, für das er öppis z’grŭ̦chse heig.

I fieberle: ich werde von leisen Fieberschauern durchrieselt. Mit Subjektswechsel: «Viel Jahre kränkelte ich an diesem Stolz, und noch jetzt fieberlet er in mir.»59

«Hitzige Schäden», «das wilde Feuer».60

«’s Härzwasser chunnt mer» bei Magenstörungen mit oder ohne Brechreiz und mit starker Speichel­absonderung.61

449 Mụụlfụ̈̆li62 bezeichnet auch bei uns ein ganzes Konglomerat von Mundhöhlenübeln des Kindes (Aphten usw.). Reihen wir gleich hier das Zan͜dweh an, dessen Hauptursache natürlich auch bei uns die Zahnfäulnis (Caries) ist. Während der natürliche Zahnwechsel uns höchstens zu Neckereien mit Zan͜dlücke­baabi reizt, führte der bisweilen rasende Zahnschmerz Erwachsener zu Erzählungen wie die folgende: Ein von einer Tanne Gestürzter wimmerte am Wege. Ein Zwerglein kam vorüber, erkundigte sich teilnahmsvoll nach dem Grund und rief dann: Jää soo, nume ’s Bei ’broche! Ich ha gmeint, du heigist öppe Zan͜dweh. — Das als Ohre­tüechli über (wie sonst unter) dem Haupt geknüpfte Nastuch gilt als indicium graviditatis.63

Krankheiten der Luftwege:64 Haḷsbrụ̈ụ̈ni (Diphtherie) und Grụpp (Croup: sowohl die diphteritische Bräune wie die akute Laryngitis der Kinder). Der Gógge­lụ̈̆schsche (-Hueste oder Keuchhusten, la coqueluche). «Ich hatte meinen Buben seit dem Neujahr hier am blauen Husten krank. Jetzt (9. März 1845) ist er am Vorübergehen.»65 Erwähnt ist bereit die Uuszehrig. «Wenn der Kaminfeger nicht brav saufe, so bekommme er die vertrocknete Auszehrung.»66

E rụụche Haḷs ist verbunden mit Heiserkeit, Chịịstigi, Chịịsterigi; «heiser» ist chịịstig, chịịsterig.

Der Schnupfen (Coriza) heißt der Rụ̈ụ̈mme, gröber: der Pfnü̦̆sel. Ich habe Schnupfen: i bi flessig, schnü̦̆derig; i ha ’s Schnŭ̦der­fieber.

D’Nase blüetet ĭ̦hm. Hurti steckt ĭ̦hn es (chaḷts) Mässer oder e Schlüsse͜l i Äcken ahe! So, iez gang zom Brunne u schnü̦pf (oder: zieh) gäng an eim Wasser i d’Nasen uehe!

Statt des veralteten Grị̆ppe­fieber oder der Grịppe ist natürlich nun auch bei uns die zum Bettliegen nötigende Fụ̆lä́nzia, d’Fụ́länze, ’s Fụ̆länze­fieber, d’Influänze eingezogen, hat sogar im Pferdestall sich ihr Revier abgesteckt.

Blutlaufsorgane. Der Schlag — Gott behüet i̦s (uns) dervor! — het ne ’troffe. Mit ganz seltener Unterscheidung zwischen «Herz-» und «Hirnschlag» befaßt man unter Schlag(fluß) sowohl alle lähmenden innerlichen Blutergüsse, wie auch den fast plötzlichen Stillstand des Gaswechsels.

Hämorrhoiden: Guḷdadere. — Chrampf-Adere bringen, wenn sie platzen, die uus’brochnen, offenen, bösen Bein, deren Fließen man nicht g’steḷḷe dürfe.

450 «Das Symptom an Stelle der Krankheits­ursache»67 setzt man besonders bei den verschiedenen Arten Chopfweh der Erwachsenen, bei den Gichtern — Giechtine («Giechteni»68) — der Kleinen. Dieser durch unsinnige Ernährungsweise (Einzwingen von geschmälztem Brei und dgl.69) herauf­beschworne Quälgeist der Säuglingswelt ist ein ebenbürtiger Bruder des Alkoholteufels.

Giecht und giechtig hat aber in unserer Sprache noch eine weit umfassendere Bedeutung. «Man nimmt Kinder­krankheiten wie Croup und dgl. auf dem Lande etwa wie sog. Giechti.»70 Ein andermal ist «’s Giecht» ein nervöses Zucken in den Gliedern.71 «Giechtig» ist speziell, was bei einer Verletzung zu Infektion der betroffenen Hautstelle führt: z. B. das Ritzen eines rostigen Nagels, der Biß unsauberer Zähne. Vgl. Vertröstungen wie: Wenn einist der Sprịịßen usen ist, so ist de ’s Giecht o furt. Giechtig ist sodann eine für derartige Verletzungen besonders empfindliche Person. Es ieders̆ Chrä̆beli (jede kleine Kratzwunde) eiteret ĭ̦hm: er ist drum găr e Giechtiger. Giechtig ist ebenso der für jedes kleinste Unrecht Überempfindliche, der Übelnehmerische, der Zornmütige.72 Das «Giecht in der Wechselrede.»73

Der Häxeschutz (Lumbago). Der Äcke­chrääzer oder Äckegstăbi (steifer Hals, Torticollis). Die fliegendi Glĭ̦der­sucht.

Der Chrampf. «Da stand Annebäbi mit offenem Munde, als ob es den Kifelkrampf (Chị̆fe͜l­chrampf) bekäme.»74

«Hie n es Absinth, dert es Absinth, nah di nah der Zitter75 Burschikos nachgesprochen: der Dătterĭ̦ch. Für die hier herum recht wenigen und darum viel besprochenen Fälle alkoholischer Erkrankungen, welche mit dem gelegentlichen Tĭ̦ps, Tĭ̦psli, Stụ̈̆ber (Spitz, Rausch) beginnen und entweder mit dem trunkenen Eländ76 oder mit manieartigen Stööre Familien heimsuchen, sind glücklicherweise heute auch bei uns Trinkerasyle wie die Nüechtere bei Bern nicht mehr so schwer erreichbar. So führen auch ernste Seelenstörungen paranoischer und maniakalischer Art in die Irrenanstalt: mi mues däich mit ĭ̦hm i d’Waldau oder nun auch: ga Münsige. Er ist rịịf für d’Waldau heißt: er ist verrückt. Für Melancholie besteht auch hier herum ein gewisser Zug nach Männedorf. Seltener denkt man für die Epilepsie (’s faḷḷe̥t Weh) an die Anstalt in Tschugg.

Gehirn-Entzündung (d. h. Entzündung einer der drei Hirnhäute) heißt bei Gotthelf «Hirnbrand»,77 «Hirnebrand».78

451 Der eigentlichen Volkssprache sind indes alle die letzt­aufgeführten Bezeichnungen bloß angeschult. Sie führt hier ganz andere Kategorien ins Feld, freilich auch diese mit Begriffs­wandlungen. So bezeichnet taub nicht mehr «toll» und «rasend»,79 wie noch in dem traditionellen taube Hun͜d, oder «verrückt» wie in dem Gotthelfschen Satz: «Jetzt seien halbtaube Leute da oben, welche nicht ganz ins Narrenhaus gehörten.»80 «Der NN. ist gäng e so haḷb taụ́b» bedeutet jetzt: er macht zu jeder Zeit eine saure, verdrossene Miene. Taub aber ist uns so viel wie «zornig», allerdings mit dem Nebenbegriff des dem Emmenthaler eigenen verhaltenen, stillen, auch nachhaltigen Zorns, der für gütliche Vorstellungen einstweilen (im schrift­deutschen Sinne) «taub» bleibt und dafür um so schwerer, bis zu Störungen führend, auf der Seele lastet. So ist die Verbindung mit dem Ausgangspunkt des Wortbegriffs (der Außenwelt entfremdet, empfindungslos) doch nicht ganz gerissen: «I bi mängsmaḷ vor Täubi sövel verstöberete gsi.»81 Dieses ver­stö̆beret ist so viel wie «verstört» im Sinne rasch vorübergehender Geistes­verwirrung. Etwas stärker sind die Ausdrücke: Er ist gar nümme bi n ihm säḷber, oder: sị̆ner säḷber. Er tuet wie nid gschịịd. Er ist u̦s em Hụ̈̆sli ụse. Ein länger andauerndes «von Sinnen sein» wird bezeichnet mit: er hin͜der­sinnet sĭ̦, oder: es chunnt ĭ̦hm lätz i Chopf.82 Ist der Zustand chronisch geworden, so ist der Patient nach einem als verletzend grob, ja roh und als Schimpf empfundenen Ausdruck verruckt (also mit ganz anderem Gefühlswert als das psychiatrische «verrückt»). Schonender sagt man: ver­hü̦ü̦rschet (s̆s̆), und noch zarter: veri̦i̦ret, welches «verirrt» auch vom Irrereden bei Fieberphantasien gilt. So war der in Fiebern liegende Uli83 «tagelang verirret, wie man zu sagen pflegt.» «Annebäbi84 meinte, Jakobli sei verirrt» (rede irre), und vielen Leuten kommt das Verirren vor wie ein Vorbote des Todes. Wenn einer andeuten will, wie nahe er dem Tode gewesen, so sagt er: «ich bin schon verirrt gewesen.»

Mit einem unwilligen, unwirschen stu̦u̦rm, die Stü̦ü̦rmi (Zustand des «sturm»-Seins), stü̦ü̦rme, das Gstü̦ü̦rm, der Stü̦ü̦rmi und die Stü̦ü̦rme, der Stu̦u̦rm (Stammrück­bildung) verurteilen wir dagegen unzählige Male die Äußerungen rasch verfliegender und nicht belangreicher Geistesverwirrung oder ‑Abwesenheit, die Unüberlegtheit oder Beschränktheit eines Urteils; kurz: alle die «psycho­pathischen Minder­wertigkeiten», deren ungeheures Reich von Koch85 aufgedeckt, 452 ja recht eigentlich «entdeckt» worden ist. Anknüpfend an «stören» (im Kreis herum rühren, vgl. oberhasl. «der Brịị störren», und den emmenthalischen Beeri- oder Chirschi-Stur-m), verstehen wir doppelt gut einen Satz wie: I bi ganz sturm gsii, es ist aḷḷs z’ringet um g’gange mit me̥r.86 «Man zog heim mit blutigen, schläg- und weinsturmen Köpfen.»87 So die sturmi Chatz,88 der sturm Storch,89 die sturmi Gans.90 Bist öppe sturm a der Läbere91 (da du mich falsch verstehst und meinen Auftrag falsch ausrichtest)? «Ob er ein Narr sei oder sonst sturm?»92 «Das Weib wurde sturm» (verrückt).93 «Einen sturm schwatzen.»94 Schlafsturm: schlaftrunken. Er ist g’stürmter: angetrunken. — Unserer Mundart ungewohnt ist die Aufforderung: «Chum, mir wei im Huus ume stürme un erläse, was (von der Steigerung her) öppe no da isch!»95 Um so bekannter klingt und de̥s ume stürme (zweck- und ziellos umherfahren). Wo stürmst du ume, Stüdi?96 Besonders geläufig ist stürme im Sinn von ordnungslosem Gerede. «Grosmüeti, hör jetzt auf zu stürmen; fang einmal an, ordentlich zu erzählen!»97

«Mag das Gred und Gstürm [der Leute] nicht mehr hören!» erklärt das Erdbeeri Mareili.98«Sturm» von Branntwein, erkannte Liseli erst zu spät, daß es seine Kinder im brennenden Hause «vergessen in seiner Stürmi».99 «Aber wie ich leider sehen muß, bleibst du immer der gleiche Stürmi100 «Auf die Stürme, das Mädi, könne man sich nie verlassen.»101 «Sellig, wie da gestern einer im Dorf herumgelaufen wie ne Sturm102 «So ein halbverrückter Sturm.»103 «Chunnt dä alt Sturm o no [auf späten Abendbesuch]?»104 «Für n es Glas Schnaps brichteti ja dä Sturm, der Moon sig i ne Bratispfanne gheit.»105 Abă, Sturm bin i! (Was schwatze ich da! Was stelle ich Verkehrtes an!)

Es wird im trü̦̆mmlig (schwindlig). «Ganz bleichs u trümmligs han i [erschrockenes Mädchen] zo’r Tür ụụs welle.»106 — «I cha guet chlättere, trümmle tuet’s mer nit.»107 «D’Rüter trage Strüß wie Bäse; ’s pott, es mues ne d’runger trümle!»108

[Das unter Wagen und Pferde geratene] «Änneli ist alls z’weg, umen es bitzeli g’schmuecht isch’s ihm worde»109 (es ist in Ohnmacht gefallen). So kann es einem gschmuecht werden: bei Blutverlust;110 453 aus Hunger;111 von Ekel erregendem Geruch;112 auf holperigem Wagen;113 wenn der Freier die Geldsäcke der Umworbenen sieht;114 «wenn man in viele Häuser hineinsehen könnte bis z’hinderst»;115 wenn man einem «ein Kapitel» liest.116 Nach Jahresfrist ist «dem [Geld-] Säckli gschmuecht worde».117 — «Das Lehren wurde unerchannt getrieben, daß es mir zuweilen fast gschmuechtete.»118 Es gschmuechtet mer.

Muecht heißt: bis zu gänzlicher Erschöpfung ermattet. Jakobli kehrte im Wirtshaus ein, «ganz mucht und öde an Leib und Seele».119 «War’s ihm doch, als sollte er Stück um Stück auseinander­fallen vor Müechti120 (1846: «Mattigkeit».)

Er wird ohnmächtig: die Sinne «schwinden» ihm, es schwịịnet ihm (vgl. Muskelschwund). «Es faht ihm (dem an jäher Felswand von Schwindel Befallenen) afa schwịịne, bis ihm der Schrecke d’s Herz abdrückt.»121 Es thuet ihm gschwin͜de (g’schwinge). «Da isch es dem Händler gschwunde.»122

Eine andere Begriffsreihe eröffnet mụ̆derig: unaufgelegt, apathisch. «Jetzt werdet ihr ob harter Arbeit und vielem Wassertrinken etwas mudrig und kützig (chụ̈̆tzig) sein». Vgl. «ein seltsamer Kauz».123 «Der Alt ist [oder: het] muderig des ume g’chuppet.»124 (Chụ̆ppe ist schmollen und grollen.) «Warum doch die Hühner so mudrig seien?» dachte Züseli.125 Er ist nid eigetlich chrank, aber er mụ̆deret eso des ume. Drollig klingt die Aufforderung, sich ruhig zu verhalten: Stiḷḷ mụdere, d’Geis ist chrank! («Still!» ist Vertreter des Imperativs: «Hör auf!»)

Zu diesem großen nosologischen Kapitel ein kleiner ätiologischer Anhang: Dem schwedisch-norwegischen «Eisenhauch» entspricht bei uns das in e böse Luft choo als Erklärung infektiöser Geschwülste ohne Wunde. «Wenn jemand unversehens der Kopf aufschwillt zu einem unförmlichen Klotze, so heißt es, man sei in einen bösen Luft gekommen.»126 Neugierige Weiber, welche um Mitternacht durch eine Lucke der Buchenfuhr des Teufels nach Bärhegen zusahen, «wehte ein giftiger Wind an; das Gesicht schwoll auf, wochenlang konnte man weder Nase noch Augen sehen, noch den Mund finden».127 Ein nicht weniger «böser Luft» trennt Eheleute,128 scheidet Meisterleute und Dienstboten;129 «und wenn jemand dir ein kleines Ärgernis aufbläst, daß es dir Kopf und Herz 454 zersprengen will, dann bedenke, o Mensch: das ist der wahre böse Luft!»130 «Mit wunder­lieblichem Mieneli» dagegen setzt Meyeli seinem Jakobli auseinander: «Es ist mer gsii, as we me m’r’s aawurf [daß ich dich lieb haben müsse], oder as wen i in e böse Luft cho wär, oder i öppis trappet wär.»131

Als Folie zu solch innig sinniger Deutung diene der Rationalismus jenes Vieharztes in Eggerdingen (Affoltern), der auf eines Mannleins Klage, sị Geis sịg ihm i ne Luft choo, «rauzig» fragte: isch s̆i scho höch obe?!

 
1 Vgl. modern frz. bien portant und sain.   2 Das bekannte alte bëraht, glänzend, hell; vgl. Wyß j. 329.   2a ABB. C 19.   2b Rebmann (1620).   3 UK. 287.   4 AB. 1, 136.   5 Käs. 157; UK. 207.   6 Käthi 125.   7 Kluge5 233.   7a Rebmann (1620) 604.   7b In diesen Zusammenhang gehört auch: Einem etwas erleide und: är oder das erleidet mir. Früher einfach: «leidet». «Duck dich Häslein und wart der Zeit, biß daß dem Hund sein Bellen leit». Rebmann (1620) 571.   7c Vgl. Z. f. d. Ph. 28, 527.   8 Sich im Todeskampfe windend; vgl. Kluge5 213.   8a A 29.   8b 82 (1620).   9 AB. 2, 173.   9a Rebmann (1620) 603.   10 Eggiw. 47.   11 Sonnt. 197.   12 BSp. 120.   13 MW. BK. 9.   14 RB. 14.   14a Rebmann (1620) 612: «Als Bacchus Veneren lieb g’wann, gebar sie ihm das Podagran». Ebendort (34) heißt der langsam rotierende Saturn «podengränisch».   15 MW. Ws. 18.   16 Ebd. 89.   17 BwM. 97.   18 Käthi 140 ff.   19 Käs. 103.   20 UK. 359.   21 BwM. 176.   22 AB. 1, 43.   23 Michel 158 und häufig; vgl. Zsch. f. hd. Ma. III 32.   24 Käs. 319.   25 AB. 1, 43.   26 Bifang.   27 AB. 1, 11.   28 MW. 2J. 233.   29 Zu einem Positiv, den Jakob Grimm in ags. vear findet (mhd. Wb. 3, 747), als Gegensatz zu bat, woraus unser Verb batte (nützen) entspringt: es battet nüüt.   30 Parallel unserem baas = besser; vgl. engl. worse (schlechter) als Komparativ-Ersatz zu bad.   30a Rebmann (1620) 564 nach Jes. 53, 5.   31 Dursli 278, Hs.   32 Vgl. «vnuermaßgete conscientz» Taufb. 19 (1528).   33 Stoll 188.   33a Doch sind schon nach Rebmann (1620) 332 von den Leukerbadgästen «einer rüdig, der ander blöd».   34 Ger. Tw.   35 The upper-ten.   36 Vgl. Spr. Sch.2 § 227; abgedruckt in der «Tierwelt».   37 Ger. Tw.   37a «Vergifftig»: Rebmann 84; «vergifft»: ebd. 84 und Vorrede.   38 Ebd.   39 Stoll 184.   40 AB. 1, 16.   41 AB. 1, 356.   42 Beitr. 613.   43 Stoll 186.   44 SchM. 2, 117 Hsb.   45 RB. 33.   46 RB. 33.   47 Käs. 135; Geltst. 145.   48 Stoll 186.   49 Ztgst. 2, 162.   49a Rebmann 108.   49b Ebd. 111.   50 «Wie brennt meine alte Wunde!»   51 Käs. 180.   52 MW. SdB. 262a.   53 Näheres erzählt E. A. Türler 170; vgl. Spinne 107.   54 Ök. fol. 22-25.   55 Schweitzer 79.   56 Stoll 178.   57 Fr. Pfr. 54.   58 Heiri 110.   59 SchM. 1, 109.   60 RB. 30, 31.   61 Stoll 176.   62 Ebd.   63 AB. 1, 93 f.; zu Stoll 168.   64 Stoll 173/4.   65 An JR. 127.   66 Schuldb. 287.   67 Stoll 181.   68 SchM. 2, 170; Hsa: «Gichter».   69 Gf. SF. 1901, 2.   70 AB. 2, 178.   71 Wyß ä. AR. 1813, 245.   72 Nschwand. Alp. 71, 77.   73 Geltst. 11; Amtsr. 140.   74 AB. 1, 189.   75 Spieß 98.   76 Stoll 184.   77 Strafe 194.   78 Käthi 300.   79 Wyß j. AR. 1819, 151.   80 Jacob 2, 241.   81 Müll. LK. 30.   82 AB. 2, 194.   83 UP. 364.   84 AB. 1, 270; vgl. auch 2, 231.   85 Das Nervenleben. Ravensburg, 1895.   86 SchM. 1, 108; vgl. das uns im Kopf herum gehende «Mühlrad».   87 Ebd. 86.   88 Ott 1, 48.   89 Spinne 21.   90 SchM. 2, 134.   91 AB. 1, 133.   92 Barthli 52.   93 Schuldb. 1, 257.   94 SchM. 1, 290.   95 Geltst. 283.   96 AB. 1, 215.   97 Käthi 93 Hs.   98 EbM. 253.   99 BwM. 192.   100 UP. 18.   101 AB. 1, 270.   102 Ebd. 1, 438.   103 Ebd. 2, 333.   104 Bern. 2l.   105 MW. 2J. 287.   106 MW. 2J. 216.   107 MW. BK. 60.   108 Wyß ä. AR. 1813, 245.   109 Käs. 267.   110 UK. 68.   111 MW. BK. 4.   112 Käs. 431.   113 Käthi 210. Hs.   114 Überraschung 341.   115 Ztgst. 1, 194.   116 SchM. 1, 137.   117 Dursli 260.   118 SchM. 1, 154.   119 AB. 1, 242; vgl. Dursli 293.   120 Dursli 286.   121 Kuhn 7.   122 Ott 1, 56.   123 An AB. 42.   124 Müll. LK. 66.   125 Barthli 30.   126 GG. 3, 41.   127 Spinne 49.   128 UP. 233.   129 Ztgst. 2, 172.   130 GG. 3, 41.   131 AB. 1, 381.  
 

Mittel.

Die «materia medica»1 eröffnen wir billig mit dem Hinweis auf zählebige alte Leute, die wie ein Sahli-Rees das für neu geltende Problem einer Medizin ohne Medizin glänzend an sich erprobt haben. Sie bestätigen freilich als Ausnahme nur die Regel, daß die Leute doch eben noch heute wie zu Annebäbis Zeiten für jede Krankheit abso̥lut Mitte͜l haa wei, wenn möglich ganzi Gu̦ttere voḷḷ, und wenn es auch nur mit Syrup gefärbtes Wasser wäre. «Mitte͜l gị̆ben i da keini»: eine solche Erklärung des Arztes trägt ihm noch bei weitem nicht das verdiente Zutrauen in seine Kunst und seine Uneigennützigkeit ein.

Die «Naturheilkunde» hat es daher nicht in erster Linie ihrer Unwissen­schaftlichkeit zuzuschreiben, und anderseits dankt es die neulich auch in Lützelflüh versuchsweise als wandernder Broterwerb aufgetauchte Hypnotisierung nicht ihrem laienhaften Mißbrauch, daß beide allgemeinem Mißtrauen begegnen. Vielmehr erwecken sie gerne den Eindruck unzulänglicher Auffrischung der uralten Volksmedizin, deren magischer Charakter tief in der allgemeinen Menschennatur gegründet liegt. Und die kam nicht nur ohne Mittel nicht aus, sondern das Mitte͜l war im eigentlichsten Sinn eben das, was das Wort besagt: ein Medium, ein Mittelding, Mittelglied, Vermittlungsorgan zwischen dem armen leidenden Menschen und der reichen übermenschlichen Kraft, die zur Hülfeleistung veranlaßt werden soll. Auf welche Weise? Die eindringlichste, weil augenfälligste und den motorischen Apparat am sichersten in Bewegung setzende Beeinflussung einer andern Person ist erfahrungsgemäß das Vormachen der von uns gewünschten Handlung. Können die Geberden noch durch Worte unterstützt und kommentiert werden: um so besser; machen diese 455 gar jene überflüssig: um so einfacher. Drum die symbolischen Handlungen, welche in ihrer Kompliziertheit an irgend ein augenfälliges Einzelmoment anknüpfen, dessen Wahl dem an logisches Denken Gewohnten allerdings oft seltsam genug erscheinen muß. Drum die Beschwörungen und Besegnungen, welche in Ersetzung jenes demonstrativen Moments gerne die Form einer Erzählung annehmen. («Jesus Christus ging über die Heid’» usw.).2

Drum bis in die Gegenwart hinein beachtete Räte wie folgende: Um das fallende Weh verschwinden zu machen, lege ohne Vorwissen der Hinterlassenen in den Sarg eines Toten (Tootnige) ein ungewaschenes Hemd des Epileptischen. Die höhere Macht, unter deren Schutz der Tote ruht, wird den im Kranken wütenden «unsaubern Geist»3 anlocken und zunichte machen. Gewänder werden auch sonst mit Vorliebe als Träger des im Menschen wohnenden Geistes, gleichsam als des Menschen «äußere Seele»4 gedacht. So hat denn auch eine Jowägerin, als ihre Sohnsfrau den Erstgebornen zur Welt bringen soll, nichts Dringenderes und zugleich Feierliches zu tun, als die Mutter in des Vaters militärische Rüstung (Mundụụr) einzuwickeln, damit das Kind mannhaft werde.5 Noch wirksamer sind freilich dem eigenen Leib eines Toten entnommene Reliquien. So hilft z. B. gegen Zahnweh ein in der Tasche getragener Zahn, der auf dem Kirchhof aus dem Schädel (aus der Haupte-Schü̦̆dele) eines Toten gezogen worden ist.6 In nicht weniger konkretem Zusammenhang stehen tausend Dinge, die wir nur noch unter dem logischen Gesichtspunkt des Symbols zusammenbringen können. Ihr neugebornes Großkind un͜der den Tisch legend, denkt eine Jowägerin es im Leben un͜der düre z’gaa zu lehren, es demütig zu machen.7 In die Einwicklung des Taufknaben aber gehört «ein Scheibchen Brot und ein dito Käse»,8 damit er später nie Mangel leide. In den ersten Kindsbrei gehört eine Prise Rübensamen,9 damit der dem Säugling sein schnelles Wachstum «einverleibe», «in Fleisch und Blut übergehen» lasse. Tüchtiges Singen bei dieser Kocherei wie während des Tauffestes bildet auch des Kindes Stimme aus.10 — Wie sollte nicht erst eine so augenfällige Erscheinung wie die Farbe helfen! Rote Wịị git Bluet, und das Umwickeln eines kleinen Fingers mit rotem Faden stillt Blutungen sowohl, wie zu ungelegener Zeit eintretende menses. Eine Frau trug gegen «Rotlauf» ein («rotes») Zweirappenstück an einem Schnürchen um den Hals.11 — Rot ist rot — wie sollte drum nicht auch andere 456 Namens-Gleichheit in gleicher Weise helfen? So band eine ganz gescheite Frau bei Biel einen Regenwurm um den vom «Wurm» befallenen Finger. Andere legen einen Krebs auf die an Krebs leidende Körperstelle,12 und im ganzen lieben Schweizerland heilt man gelegentlich einen Beinbruch mittelst Umwicklung eines Tischbeins.13 — Wirksam wie der Name ist die Zahl. So vieler Warzen am Finger sich einer zu entledigen wünscht, so manchen Knoten knüpft er in eine Schnur und läßt diese fallen. Wer sie aufhebt, erbt die Warzen.

Um dagegen ein Gerstenkorn aus dem Auge zu vertreiben, mues me dür n es Astloch düre luege.

Bisweilen liegt der mystischen Vorschrift eine feine Berechnung zugrunde. Das wegen seiner Natürlichkeit nur zu gering angeschlagene Mittel der stark gebückten Körperhaltung gegen Miḷzi-Schnịịde (Sịte-Stäche) und gegen das Schluchzen (’s Glŭ̦xi) erhält imponierende Gewichtigkeit durch die Einkleidung: Lüpf es Steindli us em Bode, speu drụ̈ Mal drun͜der u tue ’s Steindli wieder dar.14

Dagegen sind ebenso undurchsichtig wie nichtig Räte wie diese: Trag Odermänigen (Agrimonia) am Hals gegen den «brennenden Sood»,15 «weiß Violkraut» in der Hand gegen blutende Wunden. Gegen Zahnschmerzen söḷḷ mḁn e schwarze Schnägg i ’s Mụụl nää.16 Auf ein «böses» Bein werden Kröten gebunden, und insbesondere gegen Rheumatismen ist es geraten, e läbigi Chrott i mene Seckli uf der Brust z’trääge.17 Das Aufbinden eines solchen Entsetzen erregenden Tieres über den Vorderhals aber drängt bei Blutstürzen das Blut nach dem Herzen zurück. (Ein Körnchen Wahrheit liegt in der Erfahrung, daß man durch einen recht kräftigen Ärger, der den Blutstrom in heftige Wallung bringt, sich Rheumatismen aus dem Leibe schafft.)

Wie in der Divination, so spielt auch in der Magie die linke Leibesseite ihre Rolle. So soll man bei Zahnschmerzen am Morge z’erst der lingg Strumpf aalege.18

Auch christliche Festtage wie der Charfritig spielen hier herein. So liefern Palmstöcke, am Karfreitag vor Sonnenaufgang in den drei höchsten Namen geschnitten, das Sprịịße­hoḷz, welches, in Spänchen über eingedrungene Splitter gebunden, diese herauszieht.19 Zu nämlicher Zeit soll man, um Zahnschmerzen zu vertreiben, von laufendem Wasser 457 trinken.20 Dagegen genügen drei aufeinander folgende gewöhnliche Freitage (ursprünglich ja ebenfalls Karfreitage), um durch ein Fußbad Hühneraugen zu vertreiben.21 So soll man auch Kindern das Zahnweh damit nehmen, daß man ihnen jeden Freitag die Nägel schneidet.

Ein Achselbruch infolge Sturzes wurde als bloße Ausrenkung («Achsle-Räichi») genommen und mit Einreibung von Salz und Schmalz behandelt unter dem Spruch: Als Jesus Christus ging über die Heid, fiel er um auf einen Stein und enträichte sich die Hand; und mit Salz und Schmalz wusch er sie im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.22

Ungefähr diesen Zuschnitt23 haben schließlich alle die Sprüche bekommen, deren murmelndes Hersagen (mü̦̆mele) die vormachende Geberde erst begleitete, dann ersetzte, um selbst wieder durch ein drittes Moment unterstützt und schließlich außer Kurs gesetzt zu werden: das Zaubermittel. Letzteres sollte überhaupt höhere Gewalten beeinflussen: bedrohliche, wie z. B. tobende Ströme beschwichtigen, Hülfe verheißende gewinnen.24 Kam dies Mittel zugleich der Natur einer abzuwehrenden Krankheit entgegen, dann um so besser, und im angeführten Beispiel zeigen Salz und Schmalz bei aller Verkehrtheit ihrer Anwendung ein Nebeneinander mystischer und medizinischer Mittel. Je entschiedener nun diese jene in den Hintergrund drängten, um schließlich vor der Heilkraft der Natur selber zurückzutreten, mit desto mehr Aussicht auf Erfolg konnte der natur­wissenschaftlich gebildete Arzt den Kranken i d’Kur nää. Freilich haftet dieser «ärztlichen Besorgung» oder «Bemühung»25 noch vieles vom alten Zauberer, Schamanen usw. an. Er tuet Kuren ụụstrịịbe heißt: er ist ein Spaßmacher, ein «Fatzikus».26 Der aufgesetzte Ernst dagegen, der dem Beschwörer vor Augen der Zuschauer ziemte, reflektiert sich im Gefühlston der Redensart «ein i d’Kur nää», welche auch besagt: einen moralisch hernehmen, ihn b’schuele oder, wie der Seeländer sagt: «biḷde». Diese Bedeutung wird noch verstärkt durch die Ableitung kuranze. «Du mußt der Mann sein, welcher (das herrschsüchtig intrigante) Eisi kuranzen kann!»27

Auch auf dem wirklichen Heilmittel selbst, dessen Zurüstung doch der Patient in der Apoteegg («Apideegg», «Appendeck»)28 mit eigenen Augen verfolgen kann, ruht bis heute die suggestive Macht («der 458 Glaube») als Hauptfaktor der Wirksamkeit. Die Leute, denen der Natur, «welchen» man walten lassen solle, als ein geheimnisvoll unbekanntes Wesen vorkommt, «e Mönsch oder süst neuer»,29 brauchen nicht alle Annebäbi zu heißen. Es ist drum keineswegs verwunderlich, wenn noch heute zuweilen ein aus der «Zauber­trankbude» geholter Stoff für alle Fälle, alle Individuen und alle Zeiten gut sein soll. Ja, dä Zụ̈ụ̈g, dä tuet guet! Zo däm wei mer Sorg haa u nid z’viiḷ dervo nää! Aber aufgebraucht muß «er» sein, aus demselben Grund. «Es chönn de öppen eis oder d’s andere vo ihne drab treiche, wenn’s ihm öppe fähli».30 So hat denn auch für Jakobli’s Pocken eine hülfsbereite Nachbarin no öppis fü̦ü̦rig vo ihrem Elixier, u chönnt’s wŏḷfe͜l gää.31 Und in einem Streitfall entscheidet Hansli: Nimm du den Laxiertrank! Wenn es ieze nüüt nützt, so isch es guet für n es an͜ders̆ Maḷ!32

Neben den Medizinalpflanzen33 sind heute die animalischen Heilstoffe in den Hintergrund getreten. Doch spielt immer noch des Patienten eigener Urin eine bisweilen verhängnisvolle Rolle, unterstützt durch die «Dreck-Apotheke» der alten Zeit, welche z. B. gegen Mundfäule, Rheumatismen u. dgl. Kuhfladen verabreichte und einen Knecht ermutigte, gegen letzteres Übel Roßmisttee zu trinken.

An die «Moxa»,34 den brennbaren kleinen Kegel, der aus dem Leibesinnern rheumatische Schmerzen ụsezieht, erinnert der Läbes­wecker, den für die nämlichen Gebrechen hie und da eine Hebamme aasetzt. Die Prozedur besteht immerhin aus dem weit verständigeren Schröpfen mit nachheriger Einreibung von Kroton-Öl. Auch angesichts eines Faulen, wo nid fü̦ü̦rer’s̆ mag, sagt man: mi mues ĭ̦hm däich der Läbeswecker aasetze!

«Christeli, ich habe dir heute Trank angerichtet, du gehst nicht aufs Feld!»35 So die sorgliche Mutter zum allzeit kränkelnden Sohn. In der Tat ist das Trawch, das Träichli die Hauptform häuslicher Medizin, der sich auch der Landarzt anbequemen muß, wenn er öppis wott chönne.36 Der Spott: es tröchnet u zieht dü̦ü̦r, verschlägt hier nichts. Erst, wenn einer für sich selbst oder «mit» einem Stalltier afe̥ lang ohne sichtbaren Erfolg «träicheret» het, gilt die Krankheit als hoffnungslos.

All diese Trawch oder Träicher («Tränker»37 neben «Tränke»)38 sind Absüde von Heilpflanzen. An sie reihen sich unter der Bezeichnung Wasser (Mehrzahl allenfalls: «Wässer») Auslaugungen und Destillate; 459 letztere mehrfach ohne vorausgegangene Gärung, so daß sie auch dem Vieh zuträglich sein können. So sind in erster Linie das Münze­wasser (aus Gartenminze) und das Chörbli­chrut­wasser (aus Myrrhe, Myrrhis odorata), wie auch das Kamiḷḷe­wasser und Neßle­wasser, wie das aus Baldrian (Valeriana officinalis) bereitete Tannmarg­wasser für allerlei Unterleibs­beschwerden gut; die Lunge wird gekräftigt durch Ehrenpreis- (Ehrebrịịs-) Wasser und von Schwindsucht befreit durch Aronechrut­wasser (von Arum maculatum). Bei spezifischen Beschwerden ist geschätzt das guḷdig Mueter­wasser (vom Tausend­guldenkraut), und wenn nicht «mit Hofmanns­tropfe» löffelweise39 vermischt, oder gar durch rasch betäubendes Karmeliter­wasser ersetzt, hat es ähnlichen Wert wie etwa Jänzene (Enzian-Wasser) oder Räckoḷter-Wasser.

Massenweise wird ab Kamille, Lin͜debluest u. dgl. «trauche», d. h. der siedende Wasseraufguß über eine Reihe heilsamer Pflanzen wird als T’hee getrunken, und es gibt namentlich ältere Leute, für welche gäng öppen e Hafe voḷḷ im Ofeggụggeli z’wäg steit. Seine teilweise sehr berechtigte Souveränität behauptet bis zur Stunde der Kamiḷḷe­t’hee. Nur soll er für alles mögliche gut sein, während man dem Lin͜de­bluest (man sagt das Bluest), dem Wuḷḷ­blüemli (Königskerze), dem Mejjeroon oder Mejjeraa (Majoran), der Wärmüete (Wermut) begrenztere Gebiete der Wirksamkeit zuteilt. Auch Howler- (Hollunder-) und Ịbsche- (Eibisch ) Thee sind für ganz bestimmte Übel gut. Den Preis eines Universal­mittels dagegen trug zu Gotthelfs Zeit der Melissen­thee davon.

Nur in verzweifelten Fällen machte ihm das (Magen-) Elixier den Rang streitig. «Es ziehe stịịf durch», behauptete Hansli,40 während ein aufgenötigter Schluck dem armen Meyeli bekam, «als fahre man ihm mit einem Garbenknebel im Leibe herum». Beides begreift, wer ein Rezept gelesen hat wie dies: «2 Maß guten Brantenwin (Brantewịị = ‹Brönt’s› oder Schnaps), 6 Lod Laubersalz (Glaubersalz), 3 Lod Tausend­guldensalz, 4 Lod Läberen Aloes, 3 Lod feine Rebarberen (Rébarbere oder Rụ̈barbere), 3 Lod Starnli Aloes», — Ähnlicher Wertschätzung erfreut sich der Măge-Trääs, welcher mittelst allerlei Süßigkeiten auch für Kinder mundgerecht gemacht wird, die an Magenschwäche oder an Übeln der Mundhöhle leiden. 1754 riet Abraham Kyburtz:41 «Wem Enzianwurzel zu bitter ist, der kann sie mit kandiertem Zucker, Zimt usw. versetzen, und einen Magen-Träset draus machen».

460 Ein schreckliches Mittel für Säuglinge, die man bei Konvulsionen beruhigen wollte, war (oder ist etwa noch?) der opiumhaltige Theriak, mit dessen Vertrieb sich seinerzeit sogar eigene Theriak-Hausierer abgaben. Aus Sumiswald wird sein Gebrauch i. J. 1796 bezeugt,42 und Hebammen sollen ihn selbst gegen einfache Schlaflosigkeit löffelweise verordnet haben43 — mit dem gründlichen Erfolg eines ewigen Schlafs. Der Name «Theriak» (eigentlich: aus Teilen giftiger Schlangen bereitetes Gegengift gegen giftigen Tierbiß) wurde in «Treyak»44 und weiter zu Dreiák, Dreiáx entstellt: «Da hiḷft ke Dreiáx nüüt (nid emaḷ e Vierachs)!» Da hilft alles nichts: kein Gegenmittel, keine Widerrede u. dgl.45 — Nicht weniger verhängnisvoll wirkt das so unschuldig scheinende, aus Mohnsamen bereitete Schlaf­wasser. — Rheumatismen und Zahnschmerzen wurden seinerzeit durch Millionen-Jäger mittelst Expeller (englisch pain-expeller = «Schmerz-Austreiber») ausgebeutet; Augs̆burger-Läbens-Essänz, Franz- oder Saḷz-Branntewii, Krémor (Cremor Tartari) waren oder sind ähnliche Industrie-Produkte.

Die Wirktungsweise all dieser und ähnlicher Mittel wird schematisierend eingeteilt in Hitz’ge oder Wärme, und Cheḷte. «Solche Einteilung in heiße und kalte Arzneimittel entstammt der Schulmedizin älterer Zeit und ist durch dieselbe, z. B. in romanischen Ländern, zur allgemein verbreiteten volks­medizinischen Anschauung geworden».46 Besonders hitziger Art sind Mejjeroon-, Howler- und Wärmüete-Tee; desgleichen natürlich die konzentrierten Alkoholika; doch so, daß z. B. Kirschgeist (Chirs̆i­wasser) in dem (eher nach Kühlung verlangenden) Nachmittag hitzget, im Vormittag dagegen cheḷtet. Zu allen Zeiten cheḷtig sind begreiflich Bier und Most (d. h. Obstwein).

Über beide Kategorien aber stülpt sich sozusagen eine dritte von eminenter Wichtigkeit: das U̦u̦spu̦tze. Der begründende Gedankengang ist folgender: Das Haus, in welchem der Leib wohnt, bedarf Jahr für Jahr einer gründlichen Reinigung nach innen und außen und von der First bis zur Haustürschwelle. Wie dann erst das Haus, in welchem die Seele wohnt! Der Leib also mit seinem so viel Molesten bringenden und dabei so schwer erreichbaren, dunklen Innern! Diesen Leib sollte man von Zeit zu Zeit wie einen Handschuh umkehren können, um den im Innersten ihre geheimen Werke treibenden Kobolden und Unholden mit einer richtigen Razzia beizukommen. Einstweilen nun begnügt man sich mit dem Erreichbaren, und kein Heldentum käme der Todesverachtung 461 gleich, womit einer im Frühling die ersten Schü̦tzlig (Sprossen) von Sträuchern und Bäumen des Waldes, sonderlich von Weißtannen bricht und ein solches Chri̦i̦s-Trawch nach Maßgabe eines anständigen Milchtopfes sich einverleibt. Diese kostbare Gelegenheit lassen sich namentlich mit Ụụs­schleegen Behaftete nicht entgehen; es sei denn, daß Mangel an Zeit sie zwinge, sich aus der Apotheke ein halbpfündiges Paket Bluets­reinigung zu verschaffen. Allfällige Versäumnis oder im Jahresverlauf eintretende Krankheit legt den Gebrauch einer Laxierig oder Burgierig nahe. Vor allem ist so ne rächti Bu̦rgátz (Purganz) e fürnähmi Sach, u we me so rächt z’Bode «purgiert het, so het es ’s denn e Rung».47 So auch strömen aus Züselis Augen Wasserbäche aus Gram darüder, daß für den nunmehr toten Barthli nicht wenigstens noch eine Laxierig geholt worden ist.48 Solch verspäteter Reue vorzubauen, zwingen Miaßlis Pflegeeltern ihr Aschenbrödel, von jeder Laxierig oder Burgatz den Rest oder einen zweiten Aufguß zu trinken.49 Seltener findet man, daß «vielleicht dann noch müsse g’chri̦stiert sein»,50 in welchem Falle die Hebamme oder Schröpferin mit der Chri̦stier­sprütze anrückt.

Von den unzähligen Pillen-Sorten erwähnen wir bloß die Sị̆te-Pöḷḷi,51 auf dem Bauerngut «die Seite» bei Doggelbrunnen (Rüderswil) fabriziert.

Kurz können wir uns auch über die verschiedenen Pulver fassen, wie das obligate Wurmbuḷver, das von Oberländer Hausiererinnen feilgetragene Jänzene- (Enzian-) Buḷver u. dgl. — Es Büḷverli: ein in der Apotheke gefertigtes Pulver-Paketchen.

Von anerkannt medizinischem Wert sind namentlich zu Zeiten, wo Städter sich an unreifen und verdorbenen Import-Früchten und Gemüsen Typhus, Blinddarm- und Venen-Entzündung u. dgl. in den Leib hineinessen, unsere herrlichen einheimischen Früchte. Vor allem die Kirschen (Chi̦i̦rs̆i, Einzahl: das Chi̦i̦rs̆i), welche die Ärzte angeblich ungern gedeihen sehen. Sodann die verschiedenen Wald-Beeren (Beeri, Einzahl: das Beeri): Erd-, Heidel-, Him-, Brombeeren (Ärdbeeri, Heiti, Hinti oder Himpi, Brammer­beeri; dies eine verdunkelte Tautologie: «Bram-Beer-Beeri», wie sie am Bram-Beer-Dorn (‑Strauch) oder Brammer­torn wachsen). So auch die Hollunder- (Howler-) und die Wacholder-Beeren Räckoḷter-Beeri). Wer jeden Tag drei der letztern äße, dessen Augen würden nicht bloß selbst 462 aussehen wie Räckoḷter-Beeri, sondern sie würden so scharf, daß sie bei hellem Tage die Sterne am Himmel sähen.

«Zum äußerlichen Gebrauch» dienen zunächst die verschiedenen Kompressen: Uuf- oder Uber­schlẹẹg, sowie zum Aufweichen von Geschwüren die Kataplasmen (cataplâmes), Chaarte- oder Gaarte­plame auch Milch und Brot, aus Leinsamen samt frischem Schweinefett (Schwị̆feißi, bezeichnender­weise fz. sain-doux genannt).

Von den Salben, welche die kleine (und nicht auf Gewinn berechnete) Haus-Industrie bereitet, führen wir bloß an: die Hoḷz- oder Zŭ̦guetsẹḷbe,52 von einer aus dem «Holz» nach dem «Zuguet» (beides in Trachselwald) übergesiedelten Familie bereitet aus Wachs, Baumöl, Silberglätte, Menning (roti Mịịne) und Lörtsch (Harz aus der Rinde der Lärche, pinus larix). Die ebenso geschätzte Taḷ-Seḷbe kommt vom Taḷ-Haneß im Taḷgrăbe. Sodann wird natürlich auch Männedorf-Seḷbe verhausiert. In Form von kleinen Zụ̈̆geli oder größern Pflaster werden die Stoffe auf die bekannte Weise appliziert. Ein Kind, das in ähnlicher Weise mit ähnlichen Dingen hantiert, het e rächti Seḷben aagrichtet! ist e rächter Seḷbeheer («Schmierfink»). — Bloße Einreibungen von Schweinefett mit Zwiebeln, das Aufbinden von Speck u. dgl. ersetzen die Salbe in vielen Fällen.

Mit dem bisweilen sogar innerlich (!) angewandten Länder-Baḷsḁm (aus dem Entlebuch) konkurrieren etwa der (Ober-) Diesbḁch- und (mehr im Oberaargau) der Aarwange-Balsḁm; sodann natürlich der Wunder-Baḷsḁm und der durch seinen fremden Namen anreizende Pagliano.53

Den Schluß bilde das Bad im Sinn von warmem Heilbad in der Wanne. Diese nach dem Gebrauch eines Gastes ausschöpfen ist eine Arbeit, mit welcher gerne die demütigende Stellung eines Aschenbrödels, eines Prügeljungen, eines Sündenbocks verglichen wird (aḷḷs ụụsbăde). Während einzelne Bäder der fernern Umgebung sich zu verdientem gutem Ruf emporgeschwungen haben, sind eine ganze Anzahl anderer längst eingegangen (ergange),54 wie z. B. das einstige Brügg- oder Baderhüsli an der Emme, das nachmals einer Hafermühle und nun einer mechanischen Schreinerei Platz gemacht hat. Der Bader war zugleich Schräpfer, und diesen Namen trägt noch heute ein Gütchen auf dem Ramisberg. Denn zum Baden in der Wanne gehörte ehemals das nun neuerdings zur Anerkennung gelangte Schräpfe (schröpfen). Das durch die Schräpf­hörndli (Schröpfköpfe) bewirkte heftige Heraussaugen 463 verdorbener Blutklümpchen durch die etwas schmerzenden kleinen Schnittwunden vergleicht sich gerne mit pekuniärer Ausbeutung. In diesem Sinne versteht sich: einen schräpfe, ihn einer Schräpfete unterwerfen. «Lisette setzte munter ihre Schrepfhörner an ihres Mannes Geldsäckel.»55

In noch höherm Ansehen als die Schröpferei stand ehedem der Aderlaß: das Bluet ụse laa, welche in der Regel unsinnige Prozedur noch heute mancher Kopf sich nur schwer ausreden läßt. Zu was allem sollte sie ehedem gut sein! Sogar gegen Schwäche-Anfälle56 mit Zittern der Glieder57 und gegen das fallende Weh. Und zwar hier an drei Freitagen hintereinander.58 An diese fixe Zeitangabe reihen sich andere, welche die Schulmedizin der aufgeklärten Revolutionszeit in ein förmliches System gefaßt und in populären Schriften wie dem Berner «Hinkenden Boten» für 1791, im Solothurner Kalender für 1792 dargelegt hat. Indirekte Indizien sind: das Erscheinen der Elstern,59 namentlich der ersten,60 u. dgl. — Ist einmal der hohe Tag gekommen: welch gespannte Erwartung des Augenblicks, wo die Fliete (der Schnäpper) einsetzt und der Blutstrahl hoch aufspringt!61 Wie belohnte aber auch schließlich den kurzen Heldenmut die Erfüllung der lange gehegten Aussicht auf den Schoppen roten Weines, der das verlorne rote Blut mit Zins und Zinseszinsen ersetzen sollte! auf die Satisfaktion für den kleinen Schnitt in’s eigne Fleisch durch den ausgiebigen Schnitt in’s Fleisch eines Tieropfers! Ein solcher Tag war den obligaten Aderlaßbatzen immer wert.62

 
1 Stoll 193-6.   2 Vgl. mit unserer bloß andeutenden Skizze die feine Ausführung Singers im A. f. Vk. 1, 202-9.   3 Vgl. Marc. 5, 1 ff., 9, 14 ff.   4 External soul, vgl. Singer aaO.   5 AB. 2, 132 162.   6 A. f. Vk. 7, 137,76.   7 AB. 2, 168.   8 Ebd. 164.   9 Gf. SF. 189.   10 Weiteres siehe unter «Taufe».   11 A. f. Vk. 7, 138, 89.   12 Ebd.   13 Ebd. Beitr. 606.   14 Vgl. A. f. Vk. 7, 70, 137.   15 RB. 9.   16 A. f. Vk. 7, 137, 77.   17 Ebd. 85.   18 Ebd. 74.   19 Vgl. Rohtenbach: Volkstümliches aus dem Kanton Bern (Zürich, 1876).   20 A. f. Vk. 7, 137, 75.   21 Ebd. 94.   22 SB. Kal. 1903, 96.   23 Vgl. die Merseburger Zaubersprüche.   24 So ist griech. phármakon, woher frz. pharmacie, im Grund nur so viel wie Zaubermittel.   25 Lat. cura ist sorgsame Bemühung um jemand oder etwas.   26 Vgl. die römischen Auguren, deren keiner dem andern in seinem Aufzug begegnen konnte, ohne zu lachen.   27 Käs. 403.   28 RB. 50.   29 AB. 1, 79.   30 AB. 1, 292.   31 OvG. AB. 18.   32 AB. 1, 125.   33 Volksw. 2, 408-12.   34 Beitr. 121 zu SchM. 2, 453.   35 GG. 1, 51.   36 AB. 1, 43.   37 BwM. 170.   38 Kurt 97.   39 BwM. 147.   40 AB. 1, 113.   41 Theologia naturalis A 16.   42 Ök. Q2B. 5a.   43 Ztgst. 2, 172.   44 Ebd.   45 Vgl. die Entstellung «drei Joggis» im aargauischen Badenerbezirk. Ztsch. f. hd. Ma. III. 39.   46 Stoll.   47 AB. 1, 273.   48 Barthli 65.   49 BSp. 219.   50 GG. 3, 151.   51 In «Pille» wird durch vorausgehenden Labial das i zu ü gerundet, und durch den offenen l-Laut ü zu ö erhöht; vgl. schaffhausisch «Artollerie» und dgl.   52 Zuguet ist ein zum besessenen Hof hinzu erworbenes, später dann auch selbst ständiges Gut.   53 Wie deutsch gesprochen.   54 So bloß in dieser Parzialform.   55 Käthi 64.   56 GG. 2, 24.   57 Ebd. 1, 41.   58 SchM. 2, 48 Hsa.   59 AB. 2, 258.   60 Ebd. 107.   61 Wie beim Papúa-Neger, wenn der Pfeil seines Arztes ihm den unfehlbar treffenden Glassplitter in den stramm hingehaltenen Arm sendet.   62 SchM. 1, 31.  
 

Nothelfer.

Dem einstigen Bader und Schräpfer, sowie seiner Kollegin, der Schräpfere1 stellte sich ehemals zur Seite der Schärer, in älterer Form: der Schär (wie «Deck», «Beck», «Fürsprech»). Einen «scher» führt 1377 die Berner Stadtrechnung auf,2 und recht alten Datums ist auch das Schärhüsli oben am Schär­hüslistutz zu Grünenmatt, jetzt eine kleine Schmiede. Solche Bartscherer, welche zugleich das Geschäft des Zahnarztes (d’Zän͜d uuszieh) und des Chirurgen in der ehemaligen Wertung dieser Ausdrücke besorgten, 464 müssen gleich dem Schröpfer und Bader zunächst in sehr bescheidenen Verhältnissen gelebt haben. Allein in einer Zeit, wo Erfahrung und praktisches Geschick noch alles galten und die Kenntnis der Menschen die Kenntnis des Menschen noch bei weitem überwog, arbeiteten sich einzelne dieser Schär und Schärer zu so viel Ansehen und Kredit empor, daß ihr Titel im Volksmund lange Zeit auch dem des «Doktor» die Wage hielt. Gerade ein so berühmter und namentlich in der Pharmazeutik so bewanderter Arzt wie der Langnauer Michael Schüpbach (1703-82)3 hieß nie anders als der Schärer-Micheli, und bei Kuhn heißt es: Gegen solche Krankheiten wie Liebesgram «bschụ̈ụ̈ßt aḷḷs nüüt, was der Schärer git, ke Rustig u ke Zụ̈ụ̈g». So sind es denn auch zwei «Schärer», welche 1789 der Landvogt von Trachselwald als Experten für zwei Mordfälle beruft.4 Allein die Unterschriften gleichzeitiger Kollegen zeigen in interessanter Weise, wie gerade damals der volkstümliche Titel mit vornehmeren kämpfte. Nur ein gerichtlicher Experte von 1793 (Johannes Lantz) benennt sich noch «schärer»; ein anderer, schon von 1786, der doch mit seinem gerichts­ärztlichen «Visum Räbärt» (visum repertum) nicht gerade auf sehr viele absolvierte Semester deutet, will bloß noch «chirurgus et medicus» betitelt sein. Auch die Züge ihrer Handschrift weisen sie allzumal auf ungefähr dieselbe nicht allzu stark abgerutschte Schulbank. Desgleichen bei einem Christian Küpfer im Trubschachen, der sich 1792 als Arzt erklärt, wie auch 1789 zwei Hutwiler sich als «Artz» unterschreiben.

Wir ersehen daraus, wie es vornehm klingende Titel sind, gegen welche der «Schärer» zu wenig vorstellte. «Arzt» (ahd. arzât aus gr.-lat. arch-iatêr) bedeutete ursprünglich soviel wie heutiges «Oberarzt» und der Sache nach etwa, was für Landleute der Her Profässer aus der Stadt. Volkstümlich ward die Bezeichnung «Arzt» niemals. Es mußte eine andere Bezeichnung sein, welche den «Schärer» auf das Geltungsgebiet des Baḷbierer, des Barbier einengte und ihn nötigte, als «Coiffeur» seinen Beruf nach anderer — kosmetischer — Seite hin zu heben. Es war denk­würdigerweise eins der reinsten römischen Fremdwörter, welches als eins der deutschesten Wörter in der Mundart sich einbürgerte und mächtig fortwucherte. Während docère (lehren) als «dozieren» sich auf eine ganz bestimmte Begriffs-Nuance einschränkte und der Titel «Dozent» ihm hierin folgte, brachte die kirchliche Scholastik den doctor als «Lehrer» aller Fakultäten zugleich5 mit dem Volksleben auf derjenigen Seite in unmittelbare Berührung, die noch heute 465 den richtigen Tokter zum wahren Familienrat, zum Hausfreund und zum intimsten Vertrauten der Einzelperson macht. Des Leibes tausendfache Not, die der Kämpfer ums Dasein nicht wie die Not der eigenen Seele für sich allein zu verarbeiten in der Lage ist, und die nicht wie philosophische und staatswissen­schaftliche Probleme Gegenstand öffentlicher Diskussion sein kann, hat den Mediziner zum «Doctor» par excellence, zum Tokter erhoben. Begreiflich nimmt besonders in einer landwirt­schaftlichen Gegend auch der Veterinär, der Vehtokter, wenigstens in der Anrede «Her Tokter» an solcher Auszeichnung teil, und die neuliche Erhebung der Tierarzneischule zu einer Fakultät der Hochschule kann diesem Sprachgebrauch nur Vorschub leisten. Dagegen bedarf die Bezeichnung eines «Dr» einer andern Fakultät als «Tokter» einer speziellen Kenntnis oder Belehrung, damit die Meinung, es handle sich um einen Arzt, vermieden werde. So wenn Gotthelf den Dr jur. Karl Schnell in Burgdorf (1786—1844) den «Doktor Kari»,6 ja aus erregter politischer Gegnerschaft heraus den Tökti7 nennt. Tökti («Dökterli»,8 «Dokterli»9) heißt in herunter­setzender Vertraulichkeit eben auch mitunter der Arzt, zumal in Kreisen, die ebenso von «Tokterlis mache»,10 von «doktörlichem Übermut»11 u. dgl. zu reden wissen.

Während ferner aus Mangel an einem eigenen Wort «Doktorin» auch die weibliche Promovierte sich in den Titel «Doktor» teilen muß, heißt die Toktere längst die Frau des Land-Arztes, die in weise bemessener Freundlichkeit und mit vollendeter pharmazeutischer Schulung des Mannes Gehülfin in der Apotheke ist.12 — So wird sie in bestem Sinn des Wort e haḷbe Tokter, während diese Bezeichnung als schillerndes13 Kompliment sonst einem Laien gilt, der einige medizinische Kenntnisse besitzt und ohne pekuniäre Absicht anwendet. Gerade ein solcher wird in ernsten Fällen als der erste gleich jener geschickten und selbstlosen Krankenwärterin14 erklären: Lueg, uf’s Toktere verstanden i mi nüüt! und wird im Fall eigener Krankheit mit dem berufenen Arzte toktere, d. h. hier: sich von einem solchen ärztlich behandeln lassen.15 Und müßte er sein gesamtes Guthaben vertoktere, müßte er aḷḷs ụụstoktere: Ärzte und Mittel und Geld — wenn nur schließlich einer ihn wieder z’wäg­tokteret! Würde jedoch der Mann seines Vertrauens ratlos an ĭ̦hm ume toktere, den Rest seiner Gesundheit vertoktere, ihn wohl gar z’Tod toktere, dann hätte er 466 wohl für immer ụụs’­tokteret. — So auch kann man die Seele und das Gemüt, kann man Schule16 und öffentliche Verhältnisse, kann man irgend einen beschädigten Gegenstand toktere oder auch vertoktere.

Wer als Laie oder Dilettant andere oder sich ärztlich behandelt, tökterlet — ver­tökleret wohl auch Gesundheit und Geld und bürgerliche Ehre. Damit betreten wir die schwankende und im Doppelsinn Schwindel erzeugende Brücke hinüber zum Wunder­tokter, zum Zungen- und Wasser­gschauer, zum Wasser­schmöcker (in diesem anrüchigen Sinn), zum Wasser­tokter. Was ein solcher «hinter Murten» in der Trunkenheit auskramte,17 führte Prof. Fueter18 in wissen­schaftlichem Ernste aus: daß das Wasser­gschaue (das oberflächliche Anschauen des Harns durch das «Gütterli» hindurch) höchstens einmal unter tausend Fällen eine bestimmte Krankheit erkennen lasse.

Als 1764 die bernischen Landesväter an sämtliche Pfarrer jenes uns schon öfters begegnete volkswirt­schaftliche Fragenschema richteten, ließen die emmenthalischen Geistlichen u. a. auch schwere Klagen über Kurpfuscher und schlechte Hebammen in ihre Antworten einfließen und riefen dringend nach Hebung des ärztlichen Standes. Drastisch schildert zumal der Pfarrer Lienhart in Huttwil die allgemeine Landesnot in medizinischen Dingen:

«Daß ein Waasenmeister und Schinder nichts kann als schinden und im Mutterleibe das Recht zum Schinden bekömmt, das kann ich begreifen. Aber daß ein Jeder ohne Probestücke und Examen, wenn er einem Pferde den Rachen stechen, einem gesunden Zahne die Krone absprengen, und Wind-Pulver sieben kann, ein Arzt und Chirurgus ist und wird, das will mir nicht in meinen Kopf. Was sind die mehristen Land-Ärzte? Unerfahrne, ungelehrte Leute! Was tun Sie? Lügen aus dem Urin. Sie haben mehr böse Winde zu ihren Befehlen und im Wasserglase, als bald auf dem Weltmeere blasen. Diese Ärzte sehen im Glase nichts tödliches. Der fromme Sohn eilt mit diesem Troste nach der kranken Mutter. Aber, hilff Himmel. Wie erschrickt er, da die Nachbarinnen das gute Weib schon in den Toten-Leinewand einwickeln! Ist der Schaden äußerlich, so ist man in ein Windspihl gekommen, oder in einen Nacht­schatten getreten. Indessen ist das nämliche Trank für alle Krankheiten gut. 1764 ist hier herum das Magenfieber Trumpf und Moden geworden. Lasse man doch keinen praciticeren, er sei denn zuvor von der chirurgischen (und) medizinischen Fakultet geprüft worden!»19

467 Als solche Quacksalber begegnen uns20 mit Namen: Der «Bircher-Ueli»;21 Lụ̈ụ̈rli­peeter oder -peeterli, der «Bettelmusikant und Quacksalber»;22 der Seppli (Joseph Hotz);23 der Lyßdokter;24 der Gunte-Dökti;25 der «Löchli-Dokter»26 (Jakob Beck im Löchli hinter Wasen, «der Doktor im Emmenthal»); vgl. die «Wasemer-Tökter» Zürcher Ueli Großvater, Vater und Sohn. Dem letzteren aber mit seinen an Michael Schüpbach gemahnenden Zügen und seiner eben so geschickten wie gutherzigen Hülfe «für Mensch und Vieh» durfte selbst ein so nüchterner Darsteller wie Pfarrer Romang in den «Bernischen Biographien»27 einen Denkstein setzen.

Wie ist doch schon zu Gotthelfs Zeit die Sachlage eine andere! Auch er weiß zwar von einem brutal egoistischen Engelmacher zu erzählen.28 Allein mit wahrem Hochschwung setzt er diesem einen die Bilder entgegen vom abgehetzten,29 vom praktisch verständnis­vollen und mutigen,30 vom jugendlich dogmatisierenden aber edelsinnigen,31 von dem in heldenhafter Pflichterfüllung sich den frühen Tod holenden und in weiten Kreisen tief betrauerten32 Menschenfreund.

Damit steigt auch das Zutrauen des Publikums, bei dem es in jedem Ernstfall heißt: da mues e rächte Tokter zuehe! und: da lauft me nid en iederen Augeplick zu menen an͜dere!

Im umgekehrten Verhältnis daher, wie bei uns die Krankheitsfälle abnehmen, wächst die Zahl der vollbeschäftigten Ärzte. Sah sich noch ein Gotthelf an den Arzt in Oberburg32a gewiesen, so hat das weit ausgedehnte Lützelflüh heute die Wahl zwischen dem Arzte des Orts und wenigstens sieben seiner Kollegen in den Nachbargemeinden. Damit stellt sich das Verhältnis zwischen Einwohner und Ärzte-Zahl weit günstiger als 1902 im Kanton Bern (2019 : 1) und selbst 1900 in der Schweiz (1605 : 1).

Nehmen wir dazu die soeben noch vergrößerte Bezirks­krankenanstalt in Sumiswald am Platz der einstigen Notfallstube, wo eine Verwalterin den Kranken verdorbene Speisen zuzuweisen pflegte: das ist guet für i d’Notfall usi. — Welcher Unterschied erst gegen das ehemalige Siechenhaus der Landschaft Emmenthal in Huttwil!

Sähe der Verfasser der zweibändigen Annebäbiade zu alle dem noch unsere Samariter ihr Krankenmobiliar äufnen, in Notfällen die rasche erste Hülfe bringen und schleunig den Arzt zur Stelle rufen; sähe 468 er die Geschäftigkeit, womit soeben unser Samariterverein Grünenmatt auf den Winter 1904/05 einen achtwöchigen Kurs für häusliche Krankenpflege im dortigen Schulhaus unter der Leitung des Hern Dr W. Müller in Sumiswald33 vorbereitet; sähe er auch die gelegentlichen geselligen Veranstaltungen dieser an Leib und Seele gesunden jungen Krankenpfleger und ‑pflegerinnen: sicherlich würde er auf medizinischem Gebiet einem viel zitierten Sprüchlein die gegenteilige Wendung geben: difficile est satiram scribere.

 
1 Schuldb. 251.   2 ed. Welti 64a.   3 SchM. 2, 125; Kuhn AR. 1822, 83; Heiri 115; Fröhlich XIV.   4 Ger. Tw.   5 Vgl. den Doktor Faust zu Anfang des Göthe’schen Dramas.   6 Beitr. 115.   7 SchM. 2, 310.   8 MW. 2J. 265.   9 AB. 1, 218.   10 AB. 2, 270.   11 Ebd.   12 Vgl. dazu MW. 2J. 160; AB. 2, 412 ff.   13 MW. Ws. 56.   14 GG. 3, 151.   15 AB. 1, 235.   16 SchM. 2, 374. 397.   17 SchM. 1, 125.   18 Beitr. 586.   19 Pfr. Ber. 165/6.   20 Vgl. auch Beitr. 566. 575 f.   21 Gf. SF. 1901, 13.   22 UP. 297 ff.; 362 f.   23 BSp. 235; Beitr. 15.   24 MW. 2J. 84, 86.   25 Beitr. 576.   26 AB. 1, 74.   27 I, 612-618.   28 BSp. 229 f.   29 Heiri 111 f.   30 UP. 367-371.   31 AB. 2, 272 bis 287.   32 Ebd. 491 f.   32a Dr. Maret; vgl. Bern. Biographien V, 164 ff.   33 EvE. 1904, 82.  
 

Sachlige Zuverlässigkeit und mannigfache Bereicherung dieses schwierigen Kapitels verdanken wir neben Herrn Prof. Dr. Stoll in Zürich unserm verehrten Lützelflüher Arzte, Herrn Dr. Lindt.

Rauchen.

Chammepfiiffe.

W

 

ofür hätte man sie sonst, die Tabakstinker, wenn man sie nicht zuweilen an etwas hinschicken könnte, das man nicht selbst anrühren mag!»1 So redet eine stramme Stockbäuerin, der ihre tägliche Erfahrung noch mehr derartige Komplimente an die Männerwelt in den Mund legte. Bei aller Rassigkeit derselben aber kommt uns ihre Urheberin doch unvergleichlich anmutiger vor als ihre Kolleginnen vor zweihundert Jahren, die vom obrigkeitlichen Verbot des Tabaktrinkens ebenfalls ausdrücklich mitbetroffen wurden.2 Man vergegenwärtige sich einen Augenblick das liebenswürdige Bild einer Hausfrau am Herde, die gleich einer heutigen schwarzhändigen Italienerin da Rroma mit der Stummelpfeife im Mund des Kochtopfs waltet! An den «Batzen» vom Pfund Tabak oder von einer «Pfyffen», der 1673 in Lützelflüh als Einfuhrzoll erhoben wurde,3 leistete also auch das zarte Geschlecht seinen Teil. Heute ist’s wohl die elegante Boudoir-Welt und der weniger «eigelige» Teil der studierenden Weiblichkeit, aber keine einzige Frauensperson vom 470 Lande, die an dem erstaunlichen Tabakverbrauch der Schweiz von 2,1 Kilo per Kopf und Jahr mithaftet.

Daß einer Frau höchstens einmal rasender Zahnschmerz die Pfeife des Mannes für ein paar Züge in den Mund zwingen kann, ist weniger erwähnenswert, als daß auch sie von einer Diplomatie weiß, die man in gutem Bilde mit fu̦rt­b’räuke4 bezeichnet. Der Imker b’räukt vor gefährlicher Hantierung im Stock die Bienen mit Rauchapparat oder Pfeife; und so «b’räukt» man Personen aus einer Gesellschaft weg, die die Heimlichkeit einer Verhandlung gefährden oder die Ungeniertheit eines «Unter uns» stören könnten. Hinausärgern und Hinausekeln sind von hier aus vermittelnde Übergangsstufen zu der alle Worte sich ersparenden Strategie eines Barthli.

Der schleudert kurzerhand einem unwillkommenen Gaste Schnupf (Schnupftabak) ins Gesicht.5 Damit wird allerdings jegliche Sorte, auch die schwächste, starcher Schnupf. So nennen mir im Bilde starke Zumutungen an unsere Gläubigkeit, Gutmütigkeit, Objektivität,6 Belehrbarkeit. «Mein diesjähriger Kalender enthält wieder starken Schnupf», schrieb Gotthelf 1843 an Reithard,7 Der allerdings auch fand, Gotthelf gebe den Gewalthabern «Schneeberger» zu schnupfen, während sie an «Blümlitabak» gewöhnt seien.8Schnĕ­bärger ist Schnupftabak aus Roßkastanien und Maiblume (Convallaria majalis), Blüemmeler wird aus Gänseblümchen (Gense­gismeli, Bellis perennis) bereitet.

Die spielende Leichtigkeit, womit das Einziehen (schnu̦pfe) solcher Ingredienzien in die Nase sich vollzieht, erzeugt eine Menge von Vergleichen. Dinge, die dem Ungeübten schwer oder unmöglich scheinen, gehen beim Bewanderten wi Schnupf, wi g’schnupfet. Zu einem Werke dagegen, das uns schwer vorkommt und daher zuwider ist, peitschen wir uns mit dem Ausruf auf: da wirt nid gschnupfet! rasch daran!9

Kostet also das Schnupfen wenig Anstrengung, so doch eine geraume Zeit,9a und es erklärt sich daraus all die Gemütlichkeit höherer und niedrigerer Art, mit welcher die Schnupfdose (Schnupf­drucke) gehandhabt wird. «Ein wüst alt Fraueli», das in Huttwil sein Wesen treibende Schnupf- oder Bock-Seckeli,10 übte mit der Dose Wahrsagerei, ein anderes11 Männerfang. Um so verständlicher noch wird der Abscheu echter Bauersleute — gleich dem der Kindesnatur — vor solch 471 künstlichem Nasenreiz. Verstärkend tritt hinzu die Tischgemeinschaft (vgl. S. 516 ff.), welche dadurch verekelt wird.

Noch mehr ist letzteres der Fall bei dem — allerdings noch seltenern — Tabakkauen (Schĭ̦gge). Der «Schnapps­kosak» etwa12 führt den obligaten Schĭ̦gg im Munde, und Erd- und Steinarbeiter haben, nach der grotesken Hyperbel eines Arbeitgebers, aḷḷi Stäck-Ịse g’chrümmt, für d’Schiggen im Mụụl z’chehre.

Um so verbreiteter ist auch bei uns das Rauchen (Rauke), das Nä̆ble (vgl. Rauch = Nebel), dass es Wu̦ḷche gi̦t; das Tubacke und Tubäckle, nicht ohne das übliche Geleit unangenehmer bis böser Folgen. Zu den leichtesten derselben gehört es ver­tụbakets Mụụl, d.h. ein gestörter Geschmackssinn. Jez isch’s̆ ụụstụbacket: die Mittel, die Kräfte und der Wille zu einem Unternehmen sind erschöpft; es ist nicht mehr zu helfen.

Der Raucher-Passion frönen insgeheim und halb geheim, durch Verbote nur zu deren Übertretung gereizt, bereits zehnjährige Jungen. Und da zu regulärem «Stoff» die Mittel nicht langen, müssen allerlei Surrogate her: ausgemusterte Parisoḷ-Stängeli von Schilf, dürre Stengel der Waldrebe (Clematis vitalba), soviel wie Jele­stenge͜l (-ie), in der Knabensprache Räucherli, Räukerli genannt; auch getrocknete Schosse von Spalierreben: Trụ̈bel­chnĕbeli sind gut genug. Alles unter den unaus­bleiblichen Zwerchfell-Reaktionen, die sich in Umschreibungen hüllen wie: bü̦ü̦re, gärbe, chörble, obenab gää, sich ergää, umeschü̦tte, rétuur (retour) schlücke, en gros speue, Uelin rüeffe, de Chrääjje chötte, Bröcheli lache, en Aaspraach a d’Stụde haa, Note singe wo dreien e Chü̦bel voll gää usw. usw. — Am meisten richtet zur Abwehr solcher jugendlichen Torheit aus, wer ans Ehrgefühl appelliert: Mi tarf rauke, we me ’s Gäḷt für rächte Tụ́back verdienet het.

Samt der klirrenden Kette an selbstverdienter Uhr darf alsdann am Sonntag auch eher das aus elegantem Etui hervorgelangte Sị́ggaare-Röhrli aus Meerschụụm mit Bernsteinspitze Parade machen helfen. Oder mit dem gewählten Anzug mag das silberbeschlagene Hăsebein sich in Einklang setzen. An die Stelle des veralteten deutschen Stumpen tritt das hoch moderne Bụụ (le bout) gleichviel welcher Sorte, wenn es nur nicht die als Ratte­schwänz verschrieenen Vevey longs, oder Stinknege͜l («Stinkadores») irgend welcher obskuren Herkunft sind. Die Tụ̈̆tschi (deutsche Zigarre) aber setzt, als Wahrzeichen altbäuerlicher Behäbigkeit, dem ländlichen Rauchsport die Krone der Würdigkeit auf.

472 Dagegen nähert sich das zweubatzig Holzröhrchen bereits der «Seugge» oder «Zeugge»,13 «Zeuggere» der «Berner Stadtjungen»,14 sowie der Su̦u̦rggeli­pfịịffe,15 aus welcher der Tụbak­su̦u̦rggli, der Pfịịffe­chä̆tscher sein schwer stillbares Bedürfnis befriedigt. Der hölzernen Pfeife aber mit mächtigem napfartigem Kopf entlockt ein anderer Inhaber gigantische Wolken: er pafft, er napfet. Sein Chrụ̈̆zer­pfịịffli dagegen (kreuzeriges Pfeifchen) langt der Genügsame aus halbem Versteck hervor und stopft es, um hurti es Pfịịffli dürez’ieh.

Mit dem Wert des Behälters steht begreiflich die Qualität der Füllung im Einklang. Es ist etwa Murte-Chăbis: im Broye-Gebiet neben dem Kohl (Chabis) gepflanzter wohlfeiler Tabak. Oder Kanaster, welcher Name merkwürdiger­weise sehr billige Sorten irgend welcher Art bezeichnet. «Knaster» ist in Wahrheit gerade die feinste Art des Rauchtabaks, die in Körbchen (spanisch canastro) spediert wird. Allein an der häufigen Frage: was raukst du da für ne Kanaster? wurde allmälig die Ironie als solche vergessen, das Herunter­setzende derselben aber auf das Wort übertragen. In Wirklichkeit billig ist der aus geschnittenen Blattrippen bestehende Störzeler.

Immerhin hält auch solche Sorten der kleine Mann des haus­hälterischen Aufbewahrens im Keller wert. Die Feuchtigkeit des letztern bewirkt, daß der Tabak nid so dü̦re brönnt wi Haberstrau. Ein Abscheu sind dagegen allgemein die verfälschten Rŏsmürder, Roßtööder (s. u. «Roß»).

Die Billigkeit solcher Rauchstoffe bereicherte die Sprache mit Synonymen für das Wertlose, Nichtige. «Ke Pfiiffe Tuback gäb i drum.»16 «Solche Knechte bekomme er genug bloß für den Tubak.»17 Bis Anno Tuback muß Einer warten, der ad calendas græcas, auf den Niemmerlis­tag, auf den trịịßigste Horner, oder auf den Trachse͜l-Märit18 sich vertröstet sieht. Solche Zumutungen an die Geduld und andere Tugenden mögen Einem wohl als starcher, stränger, grober Tuback vorkommen. Wer es kann, ver­tubacket sie.19 Und eben das damit so leicht herstellbare seelische Gleichgewicht macht das Tubacke zum Möntsche-Rächt,20 für das sich gegebenen Falls bereits ein junger Sohn sogar dem sonst gebührlich respektierten Vater gegenüber wehrt. Ein solcher wollte seinem «Tronfolger» jährlich hundert Franken 473 am Pachtzins nachlassen, wenn er vom Rauchen lasse. Der aber antwortete mit Nein.

Grabe-Robi (geb. 1860).

Wofern nur nicht der Vertreiber leiden­schaftlicher Erregtheit einer neuen Leidenschaft ruft, die sich schon äußerlich an dem bekannten Tụback­lätsch der Unterlippe abprägt, mag solch ein Befriediger eines «längst gefühlten Bedürfnisses» in der Tat recht manche «Lücke ausfüllen». «Da, Gerichtssäß, ist Tabak! so was (wie der Lebenslauf eines Erdbeeri-Mareili) muß mit Verstand angehört und erzählt werden.»21 So redet, wie sehr begreiflich, ein Pfarrer. Ein anderer steckte nach jeder Zusammenkunft mit Kollegen eine ausgesucht gute Zigarre zu sich: die ist für mị Frau. Das hieß: Ich erzähle ihr in gemütlichem Plauder­stündchen vom heute Erlebten. Und einen braven Bauersmann, der aus Sparsamkeit die Pfeife für immer weggelegt hatte, bat seine Frau nach wenig Tagen, er söḷḷ se doch der tụụsig Gott’s Wiḷḷe ume fü̦re nää, sie halte es bei seiner Reizbarkeit unmöglich aus. Seinem Sohn aber brachte aus dem nämlichen Grunde dessen kluge Frau ein Bündchen bester Zigarren als Geschenk heim, und der Mann war brav genug, sie gleich in Brand zu setzen — ungleich einem andern, 474 der sie weglegte: die sị de für am Sundig! und am Stinknagel weiter lutschte.

Die durch Rauchen erworbene philosophische Gelassenheit, welche auf dem Gesicht eines tagtäglich von früh bis spät der schwersten Arbeit und Selbstentsagung obliegenden Existenz­kämpfers zu lesen steht (Abb. S. 473), versöhnt mit mancher Schädigung, die das «Chrụ̆t» Nicotiana Tobaccum volkswirt­schaftlich und sanitär unzweifelhaft anrichtet. Was in aller Welt auch käme der Geduld nahe, womit Einer auf seinem Wege zum Sonntags­schoppen eine Halbstunde lang unermüdet Feuer schlug und, als endlich der erste Funke auf den Zunder flog, in herzlicher Zufriedenheit äußerte: es brönnt ja schoo!

Ein tiefes himmelblaues Meer von Seelenfrieden, der auch den Todfeind dem Todfeind zwar keineswegs die Hand, auch nicht zum Zeichen der Unterwerfung Erde und Wasser, wohl aber im Notfall Wasser und — Feuer reichen läßt. Wasser dem Verschmachtenden und Feuer Einem, dem die Pfeife ausgegangen! Ist nicht die hervorgezogene Pfeife ein stillschweigend verabredetes Erkennungs­zeichen der Bruderschaft? oder, wenn nicht der amerikanischen Friedenspfeife gleichzustellen, doch eine Parlamentär-Flagge für Waffen­stillstand? Auf Lützelflüher Boden erwuchs folgendes «Se non è vero»: «Herme, chum ahe!» ruft ein Bauer zweimal dem beim Kirschen­diebstahl ertappten Tawner Hermann zu. Der klettert, eingeschüchtert durch das drohende «Oder söl i zue der uehe cho?», endlich den Baum hinunter, und der Bauer prügelt ihn windelweich. Dann zieht er die Pfeife hervor: «So, Herme, iez wei mer eis ịịmache!» und dem Widerpart bietet er den wohlgefüllten Tabaksbeutel. Beide stopfen ein, der Bauer reicht dem Taglöhner Feuer, und ohne ein Wort zu wechseln, wählt jeder am nahen Borde sich seinen Sitz. Nachdem die Pfeifen ausgeklopft, sagt trocken der Bauer: «So, Herme, iez wei mer no einist d’ruber!» Herme freut sich sehr auf eine neue Ladung; aber o weh! die war anders gemeint: der Bauer klopft ihn noch einmal «vaterländisch» durch.

Wo der andere Teil nicht Gegenrecht zu halten in der Lage ist, kann die Pfeife wenigstens als willkommener Vorwand gesuchter Annäherung dienen. «Alle Augenblicke hatte Christen in der Küche seine Pfeife anzuzünden», um seiner wieder ausgesöhnten Gattin nahe zu sein.22 Mit einem andern Änneli hat ein Felix einen gewichtigen Zwiespalt ins Reine zu bringen und «zündet» in der Küche «wohl lange die Pfeife an.»23 Zum Wiederholungs­kurse aber reist ein betagter Lehrer ab, «und wie er unter’m Dachtrauf an seine Taschen greifend die Tabakpfeife 475 zu vermissen glaubte... und wieder hineinging, und sein Weibchen noch einmal sah, und seine Tabakpfeife in der Tasche fand...!»24

Im «Krieg» aber kann die Pfeife zum alles abwehrenden Schilde werden. Jener von einer Erbhyäne «wie vom Himmel herab» angedonnerte alte Testaments­vollstrecker «het sịs churze Pfịịffli i’s Mụụ gnoo, het’s zwüsche de Zän͜de la plampe, het gmüetlich us em Schileetäschli ’s Füürzüüg use zoge, het es Bitzeli Schwumm ab’broche, het langsam am mutze Stei Füur gschlage u ne no es bar Maḷ müeße trääjje, gäb’s het weḷḷe brönne; u bi däm Aḷḷem seit er: i g’chenne di nüt, u förchte di nüt. Du wettist mit Schịịn e Heer si, aber» usw.25

Zu schwerer Verantwortung geht, das Herz übervoll von Gram, der Schulmeister26 seinen schweren Gang zum Pfarrhaus. Da, «o liebe teure Zeit! als ich mein Nastuch suchte, fand ich meine... Pfeife noch ganz geladen, fand ein klein Stück Schwamm in der Tasche, Kiesel am Boden, und konnte tubaken.»

Wie er zum Anhören, sammelt unter «Tubaken»27 der Pfarrer sich zum Halten der Strafpredigt. In gemütlichem «Hock» dagegen, einer Art «Tabaks­kollegium», beraten nach Feierabend Bauern vor dem Hause wichtige öffentliche Angelegenheiten.28 In der «Vehfreude»29 klopft Einer die Pfeife aus, macht ein ernsthaft Gesicht dazu und sagt: «Etwas sollte doch geschehen... er hülfe eine Käserei bauen».

In andern Fällen darf das Kraut grad eben auf dem Höhepunkt der Erregung als Stimulator nicht fehlen. Ob Verhandlungen, welche für die Zukunft des Stammhalters mit schlimmer Wendung drohten, «seufzte Änneli, und Christen tubakete stark.»30 «Langsam» dagegen, schwermütig steigt zuweilen ein Tabakwölkchen aus der fast erlöschenden Pfeife eines über eigene zarte Angelegenheiten Sinnenden.31

Hinter dichten Wolken oder zarten Nebelschleiern also wälzen oder weben sich inhaltsreiche Gedanken. Andere Male dagegen verbirgt sich Denkfaulheit, unergründliche Trägheit hinter dem verhüllenden Umhang. «Auf der faulen Haut liegt Einer, tubacket und trinkt Feuerwasser.»32 Ein «Kirchmeyer» aber, sogar zum Aufstehen und Schlafengehen zu träg, «tubackete bis Mitternacht hinter dem Tisch oder auf dem Ofen ganz alleine»,33 und er scheint mit solchem Gehaben nicht ohne Gesellschaft zu sein.

Wie ganz anders deutet sich das Verdauerli eines «Götti» am Tauffest,34 eines zu strenger Arbeit sich Sammelnden nach dem Mittagsmahl! 476 Wie das Pfeifchen des Bauernknechts auf einsamem Gehöft am Feierabend, am Sonntag nachmittag! Ins Wirtshaus kann oder mag er nicht, was täte er ohne Pfeife! Was sollte er nur schon mit seinen Händen anfangen! Er kann also sịs Vermögeli dür kes ängers̆ Röhrli düre zieh. Und wie viel lieber sieht der Meister den Burschen bescheiden und treu in der Umgebung des Hauses, als etwa in Gesellschaft von «Frevligern», denen zu widersprechen keinem geraten werden darf, «wenn sie zufällig eine Tabakspfeife im Maul haben»,35 und sie boḷzgrad use hei36 wie ein naseweiser Dreikäsehoch.37

Denn oft genug gefällt Einem nicht sowohl «das Tubaken selbst», als vielmehr «die Pfeife und die Postur, die man mit ihr macht.»38 Hier auch ist’s, wo ein «Händle und Prächtle mit Tubackspfeifen, (mit Silber)39 beschlagen und unbeschlagen, Einem mitunter recht viel Geld aus dem Sack nimmt.»40

Denn was irgend ein der Beachtung würdiger Tubäckler ist, hält sich doch seine sieben bis acht Pfeifen, hübsch in Reih und Glied an der Wand aufgehängt. Zur alltäglichen Hantierung langt noch heute der Vermögenslose nach dem Chrụ̈zer­pfịịffli; das tuet’s noo, u macht eim nid (mit Aufheben) Chrützweh, wenn es einmal dem Mund entfällt. Ähnlich das kurze Stutzerli. Gilt es aber Staat zu machen, «de mus de die Pu̦rschläänige (mit Porzellantopf) fü̦re» oder d’Meer­schuum­pfịịffe (vgl. zart wie Meerschaum);41 oder der Aarauker: die Pfeife mit ebenfalls weißem Kopf, welche erst nach Anrauchen die darauf angebrachte Zeichnung hervortreten läßt. Zu schweigen erst noch von der Chamme­pfịịffe (s. Abb. S. 469), welche einen Hahnenkamm über die Unterseite des Wassersacks hin zu sehen gibt, als Ersatz des häufigen Hirsch­chopf, Eierchopf usw. Den Deckel kann auch ein Silberbeschlag mit feiner Filigran-Arbeit zieren; ja er kann vollständig aus massivem Silber bestehen, so daß die ganze Pfeife 20 bis 80 Franken an Wert repräsentiert. Bäuerlicher sehen die auf dem Kopf eingebrannten Bilder aus: die Helvetia, der Wilhelm Tell, ein Wappen, oder der Jeger (-ie-), ’s Roß, d’Hirsche, auch der Raucher selbst, oder statt seiner eine Mädchenfigur.

Wo nicht, wie meist bei der Höḷzige (der Harthölzernen Pfeife), Kopf und Seufersack eins sind, ist letzterer ebenfalls «pu̦r­schläänig», oder aus Horn; immer aber so gebaut, daß er mittelst des am Tabakbeutel befestigten Gü̦̆se͜l (zu gŭ̦sle, stochern) leicht und gründlich gereinigt werden kann. Solches Entfernen der durchnäßten Tabakasche 477 ist natürlich eine ebenso unangenehme wie unumgängliche Beigabe zum Rauchvergnügen. Das mag auch der Grund sein, warum ein nur auf magerem Boden wachsendes unvorteilhaftes Pflänzchen wie das Mäuseöhrchen (Myosotis) den verächtlichen Namen Pfịịffe­rụụmmerli bekommen hat. Im Wassersack steckt’s Pfiiffe­röhrli oder -rohr, kürzer oder (für die Sundig­pfịịffe) länger, immer aber — behufs sparsamern und angenehmern Brennens — mit so enger Höhlung, daß rede wi dür n es Pfịịffe­röhrli42 als Bild für eine mädchenhaft hohe, dabei sanfte Stimme gelten kann. Wenn das eigentliche (Schilf-) Rohr durch Weichsel, wo so wohḷ schmöckt un e gueti Chu̦st git, ersetzt sein darf, bildet das hörnene Nüßli das Verbindungsglied zwischen ihm und dem Bịịßer. Letzterer heißt, wenn er aus dem sehr harten äußersten Ende des Kuhhorns gefertigt ist, der Chärnspitz. Eine angedrehte Scheibe (Schị̆be) verhütet das Herausfallen der Pfeife aus zahnlosem Mund. Ein genügsamer Hansli Jowäger43 hilft sich freilich noch einfacher mit einer Umwicklung aus dem Fadenkörbchen.

Mittelst zweier Zwingli am Rohr befestigt, dient das in eine Quaste (Tschötteli) auslaufende Schnüerli oder aber neusilberne Chötteli sowohl zum Aufhängen des so sorglich zu hütenden Instruments, wie zur Befestigung des Pfeifenkopfs am Rohr.

Und nun der Gebrauch! Eine Haupt- und Staats-Aktion ist natürlich vor allem das Aarauke einer neuen Pfeife. Dabei erhält namentlich di Pu̦r­schläänigi ein nochmals jederzeit sorgfältig gehütetes Rụ̈ụ̈mmeli. Das ist eine Schicht aus Asche und Tabakteilchen, welche durch mehrmals eingestreuten und eingebrannten Zucker grŭ̦se̥m (körnig und zugleich geschmeidig) gemacht wird.

Mit nicht weniger Sorgfalt vollzieht sich Mal für Mal das Ịịmache: das Stopfen der Pfeife. Man muß aus dem Gesicht eines echten Rauchers schon einmal die Seelenstimmung zu erschließen versucht haben, mit welcher er den Berger des kostbaren Stoffs aus seinem Versteck hervorlangt. Absolute Neutralität steht im Einklang mit dem an Schnüren zusammen­ziehbaren schöne wịịße läderige Tubacksecke͜l, dessen langer Titel zum Permutations-Spiel mit seinen Silben anreizt. Etwas Berechnendes liegt im Wesen jenes andern, der jetzt eben die mit roter Schnur umrandete Schweinsblase (Säu­plaatere) aufdreht. Ein halb träumerisches, halb bewußtes Sinnen aber, von einem leisen Anflug milder Wehmut spurweise durchmischt, zieht über das Antlitz dieses Dreißigjährigen, da er ein zweifarbiges Netz, dezent mit kleinsten Glaskorallen (Chrääḷḷe­line) besetzt, bedächtig aus der Tasche zieht.

478 Jetzt wird der Säckel, die Blase, das Netz ausgebreitet und der Tabak, ohne daß ein Jota nebenaus gerät, sauber und gleichmäßig eingestopft. Nun eine weitere Bewährung spezifischer Rauchertugend: mit ein paar mächtigen Zügen, unter Einziehen der Wangen, wird die Füllung angeraucht. Denn zwar nicht wegen Zeit-, wohl aber wegen Material-Verlust soll der richtige Raucher nicht mehr als ein Streichholz einer Füllung opfern. Wer aber deren gar meh weder drüü brụụcht, mues d’s Padä́nt abgää: verdient als armer Nichtskönner aus der ehrsamen Zunft der Raucher ausgestoßen zu werden.

 
1 UP. 104; vgl. Land 23; MW. 2J. 281.   2 Sterchi im «Hausfreund» 1876; im «Bernerheim» 1904.   3 Zolltaffel.   4 Ztgst. 2, 38.   5 Barthli 26.   6 Ztgst. Hsa; Käs. 32. 288; Schuldb. 406.   7 An JR. 116.   8 Ebd. 145.   9 Es Schnupfetli = wenig.   9a Eine Wette ward damit gewonnen, daß eine kleine Gesellschaft eine Flasche Wein aus dem Keller holen, entkorken und einschenken ließ und trank, bevor ein beobachteter Maurer der bereits hervorgezogenen Dose eine Prise entnommen und versorgt hatte.   10 AB. 1, 293; Beitr. 612.   11 Bsp. 111.   12 N’schwander 153.   13 Aus «die Seugge».   14 BME. 53.   15 Gf. SF. 1902, 277.   16 Kuhn 2.   17 N’schwander Alp. 71, 74.   18 Trachselwald ist ein bernischer Amtssitz, das benachbarte, beträchtlich größere Sumiswald dagegen Marktort.   19 Michel 219.   20 Müll. Hk. 54.   21 EbM. 253.   22 GG. 1, 121.   23 Käs. 323.   24 SchM. 2, 418.   25 Erbv. 65.   26 1, 312.   27 Ebd. 313.   28 BSp. 129.   29 Käs. 8/9.   30 GG. 2, 67.   31 Joggeli 23.   32 Arm. 119; vgl. Dursli 263.   33 SchM. 2, 353; vgl. 1, 161 Hsa.   34 Spinne 22.   35 UK. 264.   36 AB. 1, 293.   37 Käthi 173 Hs.   38 SchM. 1, 248.   39 AB. 1 157; Michel 130.   40 SchM. 1, 248.   41 AB. 1, 338.   42 GG. 3, 10.   43 AB. 2, 52.  
 

Milch, Anke, Chäs.

Neuhuus-Peter.

W

 

er begriffe nicht die Fülle gesunder und nerviger Kraft, die einem noch aus dem Antlitz eines fünfund­achtzig­jährigen gelähmten Greises entgegenstrotzt, nachdem er einmal an einem gut bäuerlichen Mittagsmahl hat mithalten dürfen! Da fehlt sogar bei sonntäglich reicher Fleischkost der echteste aller Durstlöscher auch noch im Käserei-Zeitalter nicht: die jedem einzelnen in seiner Tasse zugeteilte, oder nach alter Väter Sitte in großen Kacheln über den Tisch hin aufgestellte Miḷch. Drum auch deren bemerkenswerter direkter Verbrauch 480 in Lützelflüh: 1,5 l per Kopf und Tag oder (1894) 65,33% des Gesamtkonsums, gegen 0,7 l oder 42,9% in der Schweiz. Und zwar ist es nun heute — im Zeitalter der Tuberkeln — meist frisch gesottene (erweḷḷti), seltener kühl gestellte (chäḷḷer­chalti) süße Vollmilch, welche aufgetischt wird. «Ranzig» (rä̆helig) oder auch nur sauer (sụụr) zu werden, findet dieselbe keine Zeit.

Neuhuus-Peter.

Gleichwohl versteht sich der Bäuerinnen­haushalt auf Milch in allen Stadien des Rahmgehalts, in sämtlichen «Tonarten» und in einer ganzen Farben-Skala.

Das Vornehmste, womit die extra gesäuberten Hände zu tun bekommen, ist natürlich die Nịịdle (Sahne, oberdeutsch: der Rahm, zürcherisch: der «Ni̦del»). Bei unverkünsteltem Verlauf langsam an die Oberfläche steigend, zieht d’Nịịdle uuf, het uufzŏge, und schwimmt wie ein feiner Pelz, zum abnää einladend, an der Oberfläche. Damit kann sie als Bild für ebenso leicht wie unverschämt angeeignete Vorteile dienen. Da aber selbst die allerbeste Milch höchstens ⅛ ihres Volumens Rahm ergibt,1 begreift sich, daß ein von einsichtslosen Käuferinnen erwarteter niedriger Preis2 nur mit 481 schlechter Qualität verbunden sein kann: «Mir fahre hübscheli gäge Bärn, gää d’Niidle schlächter weder färn; ’s ist nüüsti gar wohl z’gspüüre.»3 Um so protziger gestalteten sich im 18. Jahrhundert im Bernerland (auch in der Stadt) jene Nịịdle-Ggaffee-Orgien,4 die zu der so schwer beklagten Butterverteurung führten.5 Unter den Ratschlägen, welche sich die Ökonomische Gesellschaft zur Abhülfe erbat, seien die eines biedern Trachselwalders von 1787 erwähnt: «Die gafe neidlen wirt sühß und gar yung bei küheren und bauren gebraucht. Wan man die neidlen auf der milch sitzen laßen wurde mer als 2 Mahl 24 stund», so könnte der Butternot abgeholfen werden. —6

Neuhuus-Muetter.

Mit der Großtuerei verband sich die Raffiniertheit 482 des Rahmgebrauchs zur Schweinemast. — «Währschaft» bäuerlich nimmt sich dagegen aus die Bewirtung hoher7 und werter8 Gäste mit der «goldgelben Niidle, wie kaum ein König sie hat».9 Und um so nobler macht sich solche Aufwart, wenn am Alltagstisch so gut wie der gehätschelte Großätti10 auch die Stör-Schneiderin11 die von keinen Bauersleuten verschätzte Rahmdecke über der gesottenen Milch (der Chüejjer genannt) mit zum Kaffee abbekommt. Den vornehmsten Gebrauch macht freilich von früscher Nịịdle die feinsinnige Bäuerin,12 die das seltne Labsal in geeigneter Weise an arme Kranke wendet. Sie macht damit auch manche unsinnige Behandlung Leidender13 wett.

Eine Haupt- und recht eigentlich festliche Form für Himmelfahrts- und etwa auch Ostertag,14 für Schlacht- und Drescherfest alten Stils (Metzg und Fleglete), für Abendsitze und extra veranstaltete Nịịdlete ist die mit Zucker und allenfalls Zimmet überstreute Schlagsahne: g’schwungni oder gstoßni Nịịdle. Hiezu sei angemerkt, daß auch in lustigster Gesellschaft eine (auf alte Spendopfer zurückführbare) Verschleuderung als empörender Frevel gebrandmarkt würde.

Etwas häufiger schon als dieser seltene und kostbare Stoff erscheint besonders da, wo zur Winterszeit nicht gekäs’t wird, auf dem Tisch die 483 g’nịịdleti oder roui («rohe») Milch, d. h. ungesottene Milch samt deren ganzer Rahmschicht. Frische süße Vollmilch, in welcher die Fettkügelchen noch suspendiert schweben, ist gueti oder ganzi Miḷch; mit Sahne etwas angereichert, führt sie den verlockenden Titel: e chlịị besseri weder gueti.

Gemalt von R. Münger.

Ganz gut ist aber auch noch die halbgueti Miḷch, zu welcher ganze und entrahmte z’säme­g’schüttet, oder von ersterer die Rahmpartien leicht weggeblasen worden; in letzterm Fall spricht man auch von ab’blasener Milch. Von der gänzlich entrahmten, «abgenommenen» (ab­g’noonnen) oder blaauen Miḷch führt die Skala der Wertigkeit hinunter zur Butter- oder Ankemiḷch.15 Ihre Schätzung als kühle Beigabe zu heißen Siedekartoffeln steigert sich noch damit, daß die Bäuerin gezwungen oder freiwillig auf das Herauskriegen aller Butterknöllchen aus dem Stoßfaß verzichtet und sich mit dem Spruche tröstet: es chunnt i der Ankemiḷch ume. Dies geschieht auch bildlich in dem Sinne: was mir in éiner Form entgeht, kommt mir in einer andern wieder ein. Der greise Berner Pfarrer Ammann verteidigte einen hoch ideal gestimmten Seminarlehrer gegen den Vorwurf, er bereite zu wenig konzentriert auf die Examen vor, mit dem Trost; es chunnt ech i der Ankemiḷch ume. Die scheinbar verlornen Stunden werden später in vertiefter Charakter- und Gemütsbildung ihre Frucht zeigen. Aber auch ein Zorniger, der eine erlittene Unbill eben jetzt nicht rächen kann, droht: wart, es chunnt der i der Ankemiḷch ume!

Im übrigen konkurriert mit der Buttermilch an Wert (und spezifisch medizinischer, drastischer Wirksamkeit) die Chä̆smiḷch, welche jedoch bloß ausnahmsweise von irgend welchem Chäsmiḷch-Vreeni für die andern Tischgenossen gut genug gefunden wird. Ist aus ihr auch noch der Ziger ausgefällt, so bleibt als Rückstand die Schotte übrig. «Chaäs und Ziger, Milch und Schotte hei die Chüejjer gnue; und der Wein ist nicht verbŏte, wenn sie chöme derzue.»

Dies führt uns bereits von «Milch» zu «Molken», wie denn beide Ausdrücke im Ursprung und auch noch in der Mundart vielfach ineinander fließen.16 Wer auf eigene Rechnung Milchindustrie treibt, beginnt damit, daß er e Mil̦ch chauft, d. h. um einen vereinbarten Einheitspreis von einer Gesellschaft sich deren gesamte Milch-Produktion je eines Halbjahres liefern läßt. Von Monat zu Monat wird die gelieferte Milch 484 oder das Milchḷi zsäme’zeḷḷt und zur Grundlage der halbjährlichen Abrechnung gemacht. (Vgl. «ein Mal Milches», d. h. das Milchergebnis einer Melkzeit.)17 Nachdem nun die gelieferte Milch technisch (und kommerziell) verarbeitet worden, heißt das Erträgnis das Mu̦ḷche (bei Gotthelf: «das Mulch»). Ist täglich zweimal gekäs’t worden, so spricht man von Doppe͜l-Muḷche, oder, da dies nur im Sommer geschieht, von Summer-Muḷche.

Die feinste, aber auch seltenste Art der Molkerei ist die Butterbereitung. Denn es ist nid aḷḷs Anke, was d’Chue git vgl.: «nicht alles Gold, was glänzt»). Aus dem gleichen Quantum Milch gibt es 2 kg Fettkäse oder 1 kg Butter.18 Drum ist auch etwaige Ankebättle ein recht undankbares Geschäft, und schwitze wi n en Ankebättler19 ein Merkmal äußerster Bedrängnis und Mühsal.

Das Anke (die Butterbereitung) ist denn auch nur ein Nebengeschäft der Käserei, in welches sich mit ihr das Haus teilt (in Lützelflüh mit etwa 200 hl Milch jährlich). Natürlich ist der Käser mit seiner Erfahrung und seinen motorischen Apparaten hierin im Vorteil, und die Hausfrau muß oft genug in den Verzweiflungsruf ausbrechen: es wott hü̦t aber nid anke, es wott absolut nit Anke gää! D’Ankete20 (d. i. sowohl der auf einmal verbutterte Rahm, als die Arbeit damit) ist aber einist verpfuscht! Kein Wunder auch! Das Stoos- oder Anke-Chü̦beli, mit dessen Gestalt auch dralle Arme und Beine verglichen werden, faßt ein zusammen­gespartes Quantum Sahne, dessen Butterreife bei der wenigen der Käserei vorenthaltenen Milch nur schwer zu erreichen ist. Da können nun vielleicht über eine Stunde lang die Kniee das Gerät festhalten, können die Arme den durchlöcherten Kolben (der Stämpfe͜l) in unermüdet gleichem Tempo auf und ab führen, bis endlich es Gịịmmeli Anke für den Haushalt da ist. Nur eine rasch und reich angesammelte Milchmasse vermag allen Ansprüchen an eine richtige Butterbereitung zu genügen. Diese Ansprüche werden allerdings von Sach- und Fachkenntnissen verschiedener Grade diktiert, sind auch ungleich schwer zu befriedigen. Das lockende Goldgelb läßt sich, wo es absolut zur Sache gehören soll, leicht durch ein feines Hanföl hineinbringen. Der so gebieterisch verlangte Grasanke dagegen kann höchstens in der Stadt21 das ganze Jahr hindurch bereitet werden. Das ist dann freilich sogar beim Meien-Anke möglich, der auf dem Lande bloß zur Zeit des ersten, vollsaftigen Graswuchses, eben im Mai, herstellbar ist. En Ankebaḷḷen im Meie22 ist aber auch das sprechendste 485 Bild der Zartheit, Weichheit, Nachgiebigleit, und die bildliche Rede: das geit wi dür den Anke! ist zunächst von ihr hergenommen. Die Baḷḷe aber, oder im Hause das Bäḷḷeli, wird dadurch geformt, daß die durch Kneten der Flüssigkeit sauber entledigte Butter einer immer neuen Mengung der Einzelpartien unterworfen wird. Beim Bäḷḷeli geschieht dies durch fortgesetzt aufwerfendes und auffangendes Wälzen auf dem Teller. Dies wird als Anke­bäḷḷele gerne mit Kindern auf ausgestreckten Armen nachgeahmt. Zu solchem Spiele reizen namentlich «lustige und liebe Kinder, klein wie Ankebäḷḷi, mit roten Backen und Augen wie Reckholder­beeren».23 Aber nicht bloß wohlgeformt, sondern auch peinlich sauber und appetitlich, nicht unaa­schauelig, tanggelig und schli̦i̦rggig muß das delikate Gebilde aussehen. Denn an eren Ankebaḷḷe un an ere Schwi̦ger­mueter g’seht men aḷḷs.

Die bis 10 kg schweren, halb eckigen und halb kugeligen Baḷḷen, mit welchen gelegentlich der «Grin͜d» eines doppel­zentnerigen Weibsbildes verglichen wird, nimmt der Anketrĕger in den Handel. Die Haḷb­pfün͜dli dagegen, zierlich gemodelt (g’mödelet), dienen im Hausverbrauch zu Butterbrot (die Anke­schnitte, der Ankebock).

Um der Butterbereitung willen ist in der Käserei um vier Uhr Tagwacht (wie um elf Uhr Feierabend), selbst dort, wo die Zäntri­fụụge oder wenigstens der Wassermotor die Arbeit mächtig erleichtert hat. Da steht bereits der Anke­chü̦be͜l z’wääg: das mächtige altmodische Mühlstein- oder das neue tonnenartige Rollbutterfaß.24 In dasselbe wird d’Ankete ịịp’hackt («eingepackt»). Mit der flachen hölzernen Nịịdle­cheḷḷe wird im Winter, wo man nicht fett käs’t und daher die sämtliche Sahne in Nịịdlen-Anke verwandelt werden kann, der Rahm den Gepsen enthoben. Im Sommer dagegen liefert die Käserei bloß Vorbru̦u̦ch-Anke aus dem jeweils am Tage zuvor abgeschöpften Vorbru̦u̦ch. Es ist dies das Butterfett, welches nach Entheben des Fettkäses durch Einrühren von «Sauer» in die «Sirte» (s. S. 490) und durch neues Nachwärmen zum Emporwallen gebracht wird.

Ein gleichmäßiges Drehen während ungefähr einer Stunde bewirkt ein fortwährendes Stürzen und Erschüttern der in der Milchmasse schwebenden schwerflüssigen Fetttröpfchen. Gleichzeitiges Einhalten einer gewissen Temperatur «unterkühlt» die Tröpfchen (setzt ihren natürlichen Erstarrungspunkt herunter). Dadurch werden sie zur Verdichtung und zum Aneinander­haften veranlaßt. Ist schließlich die ausgeschiedene Flüssigkeit 486 durch das Zapfeloch entleert, so wird durch einige neue Umzüge der Anke zsäme’­tröölt oder zsäme’­pletscht: die Masse klatscht zusammen, u de g’steit sie no chlịị: Das Zusammenballen vervollständigt sich und ermöglicht das Ụsezieh Hampfele (Handvoll) um Hampfele.

Aber Käse, und zwar ausschließlich Ämmetaler, ist das Hauptprodukt sämtlicher Käsereien, die ganz oder anteilweise zu Lützelflüh gehören. Derselben gibt es elf; und zwar gehören ihrer vier «Genossen­schaften» an, während die übrigen sieben Eigentum von «Gesellschaften» sind, d. h. von Aktien­gesellschaften, die nicht im Handelsregister eingetragen sind. Zu jenen zählen sich: Grünenmatt, Schmidshueb, Schaufelbühl, Talsäge; zu diesen: Lützelflüh, Waldhaus, Rahnflüh, Benzenberg, Fuhrlimatten, Schwandenmatten, Bolzisberg. 1885 kam auf etwa 300 Einwohner eine Käserei; im gesamten Emmenthal: auf 390, im bern. Mittelland auf 573, im Oberaargau auf 716, im Seeland auf 825.

Abgesehen von dem gegenwärtigen Milchverkauf in Schmidshueb, unterhalten sämtliche Korporationen auf ihre Rechnung einen Lohn-Chä̆ser. Bei der Ständigkeit der bäuerlichen Bevölkerung begreift sich, daß die Mitgliedschaften auf den Höfen haften, also mit ihnen vererbt oder veräußert werden können. Neuangesiedelte Milchlieferanten, oder solche mit nur kleiner Produktion, welche solcher Käsereirechte («Stammanteile») entbehren, dürfen als Gastpụụr ebenfalls ihre «ịịtreiti» Milch liefern, müssen aber ein Saumgäḷt, d. h. per Saum 50-100 Rappen (doch selten mehr als das Minimum) entrichten. Aber auch die Aktionäre haben für die über ihre Rechte hinaus gelieferte — úbertreiti — Milch eine auf demselben Fuß berechnete Gebühr zu bezahlen.

Und nun die Geschichte eines Mitchtropfens vor dem Augenblick an, wo er aus dem Stalle eines Emmenthaler Bauers wandert, bis zu dem, wo er neben Austern und Champagner auf dem Prunktisch eines Pariser oder Petersburger Gourmet paradiert!

Sein erstes Geleit ist dasjenige des Chäserei­bueb, Hüttebueb, Chäs­hü̦ttler, Hü̦țtler, Chäsereiler, des Milchbueb mit der Bränte,25 im Winter aber wo möglich eines Knechts. Letzterer steht namentlich ein, wo die leichter gewordene Last das Miḷch­wägeli oder den Miḷch­charre (Abb. S. 487) entbehrlich macht. Ja zu unwarteter Stunde schlụ̈ụ̈ft einmal der Bauer mit selbsteigenen Schultern in die Schlängge (lederne Tragriemen mit Anhängehaften) des vielleicht platsch­voḷḷ beladenen Milchgefässes, um, unter der sich stauenden 487 kleinen Menge nur halb bemerkt, dem geheimnisvollen Tun des Käsers (ehemals: Senn)26 und seiner Frau (der ehemaligen Sennị, «Frau Sennin»)27 oder seines Hü̦tte­chnächt in Muße zuzuschauen.

Der Milchträger schüttet oder läärt (gießt) den Inhalt seiner Bränte in den Wääg­chesse͜l, der an der Schnellwage hängt. Der Käser wäägt oder wäägget,28 und schrịịbt das Gewicht nach Kilo(grammen) auf der einer Schulwandtafel ähnlichen Lieferanten­tafel ụụf. Über Tag findet er dann etwa Zeit, die Zahlen in das große hauptbuch­ähnliche Miḷch­buech ịị­z’schrịịbe. Der Hüttler besorgt da und dort zur Kontrolle ebendasselbe mittelst Bleistift in seinem Hütte­büechli.

Milchwägeli.

Nun haben sich auch die Milchkäufer mit ihren gehenkelten Blechgefässen — Pintli — eingefunden: kleine und halbwüchsige Mädchen, deren Gewändchen auf allerlei Stand hindeuten, leise geneckt von einem drallen Bübchen, dessen Miḷch­g’sicht den auf 15 Rappen herunter­gesetzten Literpreis ohne Ziffern zu lesen gibt. Jenes im Alter vereinsamte schĭ̦ttere (kärglich unterhaltene) Männchen findet die mühsam zusammen­geklaubten Rappen noch immer als hohe Zahlung, indes dieser behäbig zur Rube gesetzte Staatsdiener das Geld rasch hinstreckt u macht, das er us däm Zụ̈ụ̈g ụse chunnt, mit dem Häfeli der nahen Haushälterin zu. So wird in Ganz- und Halbliter-Bechern ụụsg’mässe; das am Boben des Wägekessels verbleibende Glü̦nggli aber, sowie nach Bedienung der Käufer der Vollinhalt, wandert in das mächtige Chääs­chessi.29 (Das größte im Emmenthal faßte 1827 400 Maß,30 heute faßt es 1500 Liter.)

488 Ist — etwa um halb sieben Uhr — di haḷbi Miḷch da (die Hälfte der zu erwartenden Morgenmilch angelangt), so fụ̈ụ̈ret eine Hülfsperson un͜der’s Chessi. In den frühern Käsereien hing (wie noch auf der Alp) der Käsekessel an mächtigem drehbarem Balken, dem Turner, über dem Feuer oder seitwärts neben ihm. Heute feuert man im Fụ̈ụ̈rwăge, einem auf Rollen gleitenden Eisenbehälter, u fahrt dermit un͜der s̆ Chessi, fahrt nahher mit dem Fụ̈ụ̈r wider ewägg. Die auf 26-28° R31 gesteigerte Wärme schmelzt das Rahmfett (3½% der Milch), so daß es samt dem (ungefähr ebenso stark vertretenen) Käsestoff cha verchäset wärde. — Es wott nid chäse: die Milchmasse will sich nicht zu Käse gestalten. Es git nüüt us dem Chääs: daraus wird nichts! Steh ab von deinem Vorhaben! Von einem Menschengewühl heißt es: dás het g’chäset! Einen verchäse: zermalmen, z. B. zwischen Tür und Angel, zwischen Tür und Pfosten.

Nun folgt ein Prozeß, der besondere Sorgfalt erheischt: z’dicke lĕge, z’dicke tue, der Chăslet ịịrüehre. Von dieser etwas weinsäuerlich riechenden Flüssigkeit werden aus einem glasierten Gefäß 2-3 l in 10 hl Milch eingerührt.32 Der Käser hatte Chaḷber­mäge, d. h. Labmagen von 2-3 Wochen alten Saugkälbern g’schnä­tzlet (zerschnitten), etwa 150 g davon in 3 l Schotte von 20-30° Wärme ịịg’leit und die Flüssigkeit nach 1-2 Tagen durch einen Filter g’richtet. Der Name Chăsle̥t («Kaselt»),33 seltener «Chasle̥ch», geht durch die Formen Kaßleb,34 «Käslupp» (1371), «Käslub», «Käslab» eben auf das Lab zurück, in welchem bloß noch die Milchsäure­gährung gewaltet hat, die jetzt dem Käse gleichsam eingeimpft werden soll. Ehedem ward das Lab aus dem danach so geheißenen gelben Labkraut (Galiun verum) gewonnen.35

Käserei.

Nach etwa zwanzig Minuten, welche Frist der Käser nach drei Stunden schwerer Morgenarbeit zum Frühstück benutzt hat, ist Mịlch dick; iez mues me dranne schaffe! Der Käser greift zur Chääs­harpfe, um während 15-30 Minuten d’Dickete z’verrühre (Abb. S. 489). Weitere 10-15 Minuten läßt er ihr Zeit, sich z’setze, d. h. zum Niederschlag des Käse- und Fettstoffes. Damit aber derselbe nicht vorzeitig sich zu einer Masse vereinige, wird er durch neues Umrüsten (Vorchäse) während etwa dreißig Minuten mit der Harpfe oder nun mit dem Brächer (der früher, wie noch auf der Alp, ein einfaches Tann­grotzli war) zu erbsengroßen Klümpchen zerteilt. Jetzt 490 folgt (wie für allen Hartkäse) das Brennen (Brönne) oder Nachwärmen.36 Durch neues Erhitzen nämlich, das für den Emmenthalerkäse auf 43-48° R, gesteigert wird, sowie durch wiederholtes Umrühren werden die Käsebollen vor dem verfrühten gallertartigen (zĭ̦gerigen) Aneinanderkleben bewahrt. Ferner wird die Si̦rte («Sirpe»),37 d. h. die sich aus der Käsemasse abscheidende Flüssigkeit entfernt (drụ̆s g’schaffet). Die Klümpchen werden durch Ụụsrüehre trocken und bröcklig gemacht; sie lassen sich zerreiben und erzeugen, zur Probe zwischen die Zähne genommen, einen leisen quietschenden Ton: si gĭ̦xen e chlịị. Das schließliche z’Bode rüehre drängt sie nach der Mitte des etwas konkaven Kesselbodens hin, wo nun das Ụsezieh vor sich gehen kann. Der Älpler besorgt dies größtenteils von Hand; zweckmäßiger38 braucht er eine schöne biegsame Haselgerte, der moderne Talkäser nun eine 2 cm breite und 2 m lange, schön elastische Stahlschiene als Chaäsbö̆gli. Um dasselbe wickelt er das groß Chäästuech, ein natürlich sehr starkes Gaze-Gewebe, indem er dieses an zwei Zipfeln erfaßt und in einmaligem Umgang das Chääsbögli drịträäjt.

Letzteres nun an beiden Enden ergreifend, fährt der Käser damit scharf und sachte dem Rand und Boden des Kesselc nach, um alle Käsemasse sauber ins Tuch zu bringen, indes eine Hülfsperson, die zwei andern Zipfel erfassend, in feiner Fühlung nachgibt: sụụ̈ferli năhe laat. Mittelst der Aufzugs­vorrichtung über dem Kessel wird die Masse emporgehoben, damit sie sich stromweise der Flüssigkeit entledige (verseiki). Dann wird sie schleunig auf den Prässe͜l oder die Trü̦cki verbracht und in den Järb («Käsjarpe»39 1702), den starken Ring aus Buchenholz, eingezwängt. Die Pressung geschieht anfänglich nur leise, damit der Käse sich nicht fast unlösbar in die Maschen des Umschlagtuches hinein dränge: dür’s̆ Tüechli düre wachsi. Am folgenden Morgen ist das erste Geschäft, den neuen Käse samt Järb umzchehre oder z’uber­schláa, was selbst bei den üblichen zweizentnerigen Laiben des Sommermulchens mit Eleganz, sozusagen spielend mit drei Fingere geschieht. Nach einigen Stunden wandert der Käse in den sorgfältig temperierten Chäs­chäḷḷer, um auf Chääslăde gebettet zu werden (vgl. den bei Landwirten beliebten Ruf: Chääs uf e Lade!). Hier unterliegen die Laibe der täglichen Arbeit des Chääs­saḷzers, der die zweizentnerigen Stücke mit bemerkenswerter Leichtigkeit handhabt. Je und je wird dabei den Laiben auch die charakteristische konvexe Formung des Randes neu erteilt mittelst Entkanten: Chäässpähn abhaue.

491 Die halb gereiften Käse wandern in den Chäs­spị̆her, die ganz gereiften in die Magazine des Großhändlers, des Chääsheer; soweit nämlich, als derselbe sie nicht als gfähḷti Chäse, als Ausschußware (Ụụsschu̦tz) zurückweist, ụụs­schaubet. Und wie leicht kann bei der heutigen Futterbau­methode trotz kundigster Behandlung ein Käse fehlen! Er kann randhohlig oder bläästig (gebläht) ausfallen. Als Glääsler kann er Sprünge im Innern bekommen, begleitet sogar von Nästere (Nestern), d. h. Stellen mit unvergohrenen Käsestoff­körnern und eingeschlossener Sirte, welche beide Fäulnis erzeugen. Oder als Ni̦sser gerät er, statt erst in 3-4 Wochen, schon viel früher in Gärung; vielleicht bereits auf dem Pressel, in welchem Fall er Präßler gescholten wird. Das auffälligste Resultat solch unzeitiger Gärung ist die zersplitterte, unregelmäßige Lochung; die Nisser heißen deswegen auch Tụụsig­löchler.

Als strenger Richter entscheidet daher am Chääs­g’schauet40 der Chääs­bohrer, ob die richtige große und dafür seltenere Lochung nicht fehle. Drụ̈ụ̈ Löcher uf einen Böhrlig (Bohrzäpfchen): so lautet die strenge Regel. Zugleich chü̦stet die Zunge, ob der reine Nußkerngeschmack mit dem charakter­istischen Aroma vorhanden sei.

Daß dann der Vorwääget41 und der entscheidende Chääs­wääget42 nicht zum ominösen Vorspiel einer trochene Chääsfuehr werde, dafür sorgt der Käufer. Macht er seine Sache recht, so ist er ein «Käsfürst»,43 «Käskönig»;44 unzeitiges Sparen dagegen würde ihm Titel wie Chääsrawft eintragen. Die Verkäufer ihrerseits ehren den großen Tag, indem sie ihn zu einer richtigen Pferdeausstellung45 in Form eines langen und flotten Chääszu̦u̦g gestalten.

An der Abtee͜ltig46 endlich beziehen die Lieferanten ihr Hüttegäḷt, das manchem seinen Pacht- oder Hypothekarzins ausmacht. Auch verteilen sie hier unter sich die verbliebenen fetten (feiße) Sommerkäse, die halbfetten (haḷbfeiße) und magern Winterkäse. Letzterer, doch auch etwa halbfetter, wird in Scheibchen zerschnitten (g’schị̆blet) oder gröber zerstückelt (g’schnätzlet) und in einen Sammler ịịg’macht. Gewählte Zugaben bestehen aus Kümmel (Chü̦̆mi) und Salz, sogar oft mit Pfeffer; als Flüssigkeit wird Sahne oder noch besser Wein zugegossen. So schafft man sich eine treffliche Zukost zu Siedekartoffeln. Die Käseschnitzel werden ähnlich als Chääs­spähn­zĭ̦ger zubereitet oder zu Chääs­spään­chä̆sli gepreßt.

492 Namentlich aber der eigentliche (der süeß) Zĭ̦ger fehlte ehemals auf keiner bäuerlichen Tafel.47 Es ist dies das Albumin, welches mittelst «Sauer» aus der Käsmilch ausgefällt wird. (Sụụr ist eine aus Schotte und Essig bereitete Flüssigkeit.) Der so stark eiweißhaltige, blutbildende und dabei ungemein billige Ziger, dem bei richtiger Bereitung auch keine Wörggigi (Schling­beschwerden schaffende Wirkung) anhaftet, ist eine Nahrung, die nur der Unverstand aus dem Speisezettel gestrichen hat. Ehedem bereiteten Bäuerinnen ihn auch aus Buttermilch; Sumiswalder Älpler verpackten und verhandelten ihn in Baumrinde48 (so z. B. 1787). Ehedem bildete er auch ein ständiges Gefälle der Klöster und Rittergüter. So entrichtete beispielsweise 1363 ein Pachtgut in Schangnau: «2 Mes Zigeren, 5 Käß, 7 Mes Anken.» Wer ihn heute noch schätzt, genießt ihn entweder frisch aus der Käserei mit Fruchtsäften (Saft) und dgl., oder behandelt ihn als Schli̦i̦rggi­zi̦ger mit Kümmel und Salz ähnlich wir den Chääsziger.

Das Lob der Milchspeisen klingt durch ungezählte Schriften vergangener Jahrhunderte. So tönt’s uns aus dem «Eidgenossenlied» entgegen: «Käß vnd ziger was jre spyß, sie zugend her in heldes wyß, mit eim seckly uff dem rucken; frisch wasser was ynn ein edel tranck... vnn thatend dapffer ynher trucken.»

 
1 Trub 29, 38.   2 Land 52.   3 Küherlied.   4 Geiser Lw. 61.   5 Ök. fol. 17.   6 Ebd. 17, 68.   7 Amtsr. 77.   8 UK. 20; Spinne 70; MW. 2J. 120.   9 Käs. 26.   10 BSp. 130.   11 MW. Anna 146.   12 GG. 3, 146.   13 AB. 1, 44, 66.   14 Michel 144.   15 Er verträäjt d’Auge wie n es Huehn, wen es Ankemilch suuft. LZ. 1904, 136.   16 Man vergegenwärtige sich nur, daß die ganze Wortsippe vom Verb «melken», mälche, dem spezifizierten streiche(l)n = lat. mulgēre ausgeht (vgl. frz. traire aus trāhere, ziehen), so daß «Milch» wie «Molken» eigentlich «das Ermolkene» bedeutet.   17 Schangnau 1409; vgl. Wyß j. AR. 1825, 330.   18 Ök. Q. 29, 19, 1.   19 LZ. 1904, 136.   20 Arm. 178.   21 Land 51.   22 Michel 293.   23 Dursli 252.   24 Wüthrich.   25 Widm. 84.   26 Käs. 77 und ö.   27 Käs. 286.   28 Vgl. lige neben ligge und dgl.   29 Käs. 196.   30 Eggiw. 42.   31 Celsius ist in der Käserei noch nicht durchgedrungen.   32 Vgl. die hübsche Stelle Käs. 87.   33 Käs. 89.   34 Kyburtz (1754) A 18.   35 Ök. Q. 29, 14, 7.   36 Schaffer 93. 99 Flückiger.   37 Ök. Q. 29, 14, 19.   38 AR. 1825, 330.   39 SF. 1902, 277.   40 Käs. 177-188.   41 Ebd. 231.   42 Ebd. 234.   43 Ebd. 231.   44 Ebd. 176.   45 Ebd. 239 ff.   46 Ebd. 284-304.   47 Trub 30, 103; Ök. Q. 2 A1; Volksw. 2, 444.   48 Ök. fol. 17, 80.  
 

Unser täglich Brot.

Laubenornamente.

E

 

chlii an͜ders̆ Brot z’ässe, schadti däm o nụ̈ụ̈t!»1 Wem? Dem meisterlosen Dienstboten, dem verwöhnten Sohn des Hauses, dem Töchterchen, das es zu hoch im Kopfe bekommen hat. Sie mögen ein wenig hinausziehen unter fremde Menschen, die ihnen der Brotchorb höher häiche, d. h. sie bei Tisch und in alle Wege einschränken. Dort werden sie in saurer Arbeit und harter Entbehrung lernen, wo’s Brot har chunnt. Wohl ihnen, wenn sie schließlich auch in einer bescheidenen Stellung «ein prächtiges Brot»2 finden!

So reden wir in täglicher Bildersprache vom «täglichen Brot» als dem Inbegriff aller Nahrung, ja des gesamten Leibesbedarfs. Und zwar haben wir dies vom Landmann gelernt. Der Beduine der Wüste, der Nomade in der Steppe, der Krieger im Zelte nennt das Fleisch sein «Brot».3 Der Landmann aber ist ein Körneresser: so reden Zahlen. Der Franzose, der Brotesser par excellence, verzehrt im Jahre 259 Liter Brotfrucht. Ihm folgen der Holländer (237), der Belgier (225). Den Mittelweg in der Besetzung des Tisches schlagen ein: die Schweiz (190), Österreich (184), Dentschland (180). In England (160) und den Vereinsstaaten (146) überwiegt das Fleisch; des Italieners (139) Brot aber sind Polenta und Makkaroni.4

494 Der Körneresser ist zugleich ein Milchtrinker: die ergiebigsten Grasfrüchte assimiliert er sich unmittelbar, die andern samt den Halmen «dür d’Chue düre». Wie gehören zumal in der Kindernahrung, in der Krankenspeise Miḷch u Brot zusammen! Eine Miḷch­brŏchche (die vom Brot abgebrochenen oder geschnittenen und in die warme Milch versenkten Stücke als Einheit gedacht) war vormals eine gewöhnliche Winterspeise der ganzen Familie. Wie diese, wo’s nach alter Sitte zugeht, gemeinsam aus großen Kacheln ausgelöffelt wird, so genießt das Kind aus seiner Tasse das (Miḷch-) Bröcheli. Die einsame schlichte Frau aber, die wohl gar ein hübsches Sümmchen ersparter Batzen dem Patenkind zinstragend anlegt, lebt zwei- bis dreimal im Tage so wohl an Ggaffee u Brot, wie der vielleicht minder Habliche an seinen zweu Fleisch. Die Suppe hinwieder, in welche die Köchin nicht kärglich (Brot) ịịschnịịdet, ist eine ebenso ungern entbehrte Einleitung jeglichen Mittagmahls, wie Käs und Brot un öppis Dünns derzue unter Umständen trefflich eine ganze Mahlzeit ersetzen kann. Mit Chääs u Brot ist me g’fuehret; het me un͜derleị̆t; het me fei e chlịị sị Sach g’haa, cha me’s mache, we’s sịị mues. Ist nicht «Käs und Brot», den Eidgenossen auf dem Laupenzug gereicht, im Ortsnamen verewigt? Deutet nicht die Zusammensetzung «Käsenbrot»4a auf die Zusammen­gehörigkeit dieser Dinge? Drum auch ihre hohe mystisch sinnbildliche Bedeutsamkeit. «Als man das Mädchen zur Taufe fäschete, band Annebäbi ein dünnes Scheibchen Brot und dito Käse ein und sagte: He nu so de, so wirst öppe so Gottel nie Mangel leiden, sondern gäng öppe gnue z’esse ha. Bi Bube ist das nit sövel nötig.»5

Zu welcher Speise auch sonst sollte Brot nicht gehören! Man denke nur an die bäuerliche Brot­schnitte und Brotröösti. Aber selbst bloßes troches Brot kann etwa dem Unverwöhnten genügen. We si es Chin͜d nümmen uber n es Bitzli troches Brot freut, so het’s g’fähḷt! Ebenso freilich, wenn die humoristische Wort­vertauschung d’Stube voḷḷ Brot u kes Chin͜d ihre bitter reale Unterlage findet. Ein Pfund für Kopf und Tag: diese Norm wird also eben so oft nicht erreicht, wie sie anderwärts weit überschritten wird. Aus dem Oberaargau mit seinen mächtig wogenden Getreidefeldern wird erzählt,6 wie ehedem männiglich bei Verlassen des Tisches noch Hände und Taschen mit Brot füllte, für no öppis z’mü̦ü̦rpfe z’haa. Im Oberhasli dagegen macht die Meisterin dem Handwerks­gesellen7 «ein gar häßliches Gesicht», weil er bei Tische nach dem Brote gelangt, statt wie die andern «als Brot magern Käs zu essen». Auch in Emmenthaler-Berggegenden 495 wie Trub wurde früher das Brot fast durchweg durch Erdäpfel ersetzt;8 heute auch dort nicht mehr.

Zum Spott über die karge Natur selbst hieß bis unlängst ein schattiges, früher fast nur Moos erzeugendes, jetzt gut gepflegtes Lützelflüher Berg-Gütchen «d’Brot­heiteri». (Das Brot sei dort so rar, wie in einer Lichtung die Waldbäume.)9 Aber selbst wo zur Genüge, ja im Überfluß Getreide gepflanzt wurde und wird, galt noch zu Gotthelfs Zeiten das Brot beinahe als Luxus. Als Schnurre erzählt man von einem Bauer, er habe nie unterlassen, über den Tisch weg zu rufen: Seh, Chnächte, näät Brot! habe aber den Laib unangeschnitten im Bereich seiner Hände behalten.10 Wenn dagegen jene Bäuerin bei Tische mahnte: «Schnịịder, näät Brot! mir nää keis, we mer Härdöpfel hei»,11 oder wenn die Mutter angeblich ruft: Chinder, weit der Brot? (So) sägit Nei! so weis i’s! so liegt dem noch heute die Tatsache zugrunde, daß bei uns ein sonst ordentlich besetzter Tisch das Bedürfnis nach Brot kaum aufkommen läßt. Höchstens es Techcheli, es Bitzeli, es Mü̦mpfli obedrụụf wird als zur Mahlzeit gehörig gefunden. Brotgeiz hätte übrigens heute um so weniger Sinn, je mehr der Handel und Verkehr die Getreidepreise gedrückt, aber auch bis in die letzte Hütte hinein eine mächtig gehobene Lebenshaltung getragen hat.

Wie gerade das Brot in diesem Punkte der richtige Kulturmesser ist, so ist die Art, mit ihm umzugehen, auch ein zuverlässiger ethischer Maßstab. Eben dort, wo in angestammter Herzlichkeit die Bäuerin «das kernichte Brot aus der Tischdrucke» hervorzieht: «We d’ hungrig bist so nimm afe»,12 bis auch «etwas Warmes» bereit ist — da wird auch der letzte Brosamen zu Rat und Ehren gezogen. Wenn man zu guten Leuten noch mehr Sorge tragen soll, als zum Brote,13 so ist damit letzterm eine hohe Stellung angewiesen; und an manchen jungen Menschen ist noch heute das Wort gerichtet:14 «Brot schänden (g’schän͜de) und Arbeit verachten, das sind zwei Dinge, die sich schwer rächen früher oder später.» Manch ein Auge beobachtet im Stillen, was eine Frau oder Tochter beim Räumen des Tisches mit den Broosme, den Bröösme­linen, Brot­broosme beginne. Und wer so einen breitrückigen, wohluntersetzten, behäbigen Bauer beim Brotabschneiden den Laib sorgsam über die Tasse halten oder während gemächlicher Zwiesprach von dem saubern Wirtstisch die fallen gelassenen Brosamen 496 mit dem nassen Finger auftupfen sieht, muß wohl bekennen: Der weiß die Früchte seines Fleißes zu schätzen — wie der französische Weinbauer, der ob jedem verliederlichten Tropfen Wein sich empört.

Nur so erklärt sich auch, wie weit der Brosam («Brotsamen»,15 mhd. die brosme, die Krume) in den figürlichen Sprachgebrauch hineinreicht, parallel gehend mit «Bissen» = Bitz, Bitzeli. An die Litotes es Bröösmeli Brot reiht sich: es Brösmeli Saḷz; und so auch: es Brösmeli Gäḷt,16 und abstrakt: es Bröösmeli Verstand, Glauben,17 Geduld, Gutmeinen. Als künftige Sohnsfrau will ein Meyeli niemanden auch nur es Bröösmeli Verdruß bereiten;18 es will, was man ihm auch zumute, kes Bröösmeli derggäge haa,19 und nid es Bröösmeli chlage,20 falls man es o numen es chlịịs Bröösmeli lieb het.21

Von einem Felsen bröösmet unter dem Brecheisen Stück um Stück ab. Nume so ab’bröösmet wird eine Antwort erteilt, die dem Gefragten schwer fällt. Verbröösmet zahlt ein Geldknicker seine Schulden, und mühsam zsäme­bröösme muß einer die Bruchstücke seiner Rede.22 Sollen die letztern zugleich Häkchen sein, die mit ihrem Charakter versteckter Anspielung einem «Heraus mit der Sprache!» rufen, so sagt man: Er het da neue schier weḷḷen afa bröösme!

Unliebsam viele Brosamen erzeugt die kindische Unart, an der Brotkrume herumzuklauben; die daher häufige Mahnung: «hör uuf, am Brot chnụ̈ụ̈ble!» wurde denn auch zur automatischen Formel, in welche etwa der allgemeine Zuruf: hör auf! laß ab! sich kleidet.

Gegenstand bäuerlicher Tischzucht wird das Brot im Fernern durch gebotene Rücksicht auf andere. Es fällt sehr unangenehm auf, wenn jemand den Laib an sich heranpreßt und wählerisch an der ihm zusagendsten Stelle abhaut, statt zu veräbbne oder nahe z’putze, d. h. eine möglichst ebene Schnittfläche herstellen zu helfen. Einen tiefern mythischen Hintergrund aber hat es, daß man weder den Laib auf der obern Kruste ruhen lassen, noch etwa gar mit darin steckendem Messer ihn herumbieten soll. Für jenes ist jegliche Erklärung verschollen, dieses deutet man doppelt. Die einen rufen entsetzt aus, man steche damit in den Leib des Heilandes; die andern weisen daß Brot samt Messer zurück: i bi ke Häx!

In anmutigerer, obwohl ebenfalls halbvergessener Weise reicht in übernatürliches Gebiet zurück und hinein jenes eigentümliche Berner 497 Backwerk von feinstem weißem Mehl, Eiern und Butter, in Form eines eingebundenen Kindes, groß wie ein jähriges Kind und fast ebenso schwer.23 Die Nachahmung oder auch nur rohe Andeutung der Menschengestalt (Bääbi, Manndli) wurde, gleich der weihnächtlichen Lammsfigur (Lämmtschi) mehr und mehr dem Bäcker überlassen und in der häuslichen Kunstübung durch die Nachahmung der weiblichen Haarflechten ersetzt. In Reih und Glied marschieren während der Weihnachtwoche, sonderlich aber am Sylvesterabend die Zü̦pfe auf dem bäuerlichen und auf dem Wirtstisch auf, hier in Begleit von Schweins­schultern (Laffli) und dgl. zum Verlieren oder Gewinnen mittelst des «Rams» (primitives Kartenspiel). «Es geit um ene Züpfe!» ruft am Markt oder an Sommersonntagen auf freiem Feld der «Zwi̦i̦r­beler»,24 wenn sein schetterndes25 Glücksrad zu höherem Einsatz als für bloße Lebkuchen auffordert.

Weggefrau.

Wie dürften wir aber insbesondere die Chind­betti­züpfe unerwähnt lassen: als Gabe an die Mutter, wie als Zierde des Tauffest­tisches.26 498 «Un͜der der Scheube»,27 und zwar «in es Ziechli» (Kissenanzug) oder «in ein fein weißes Handtuch eingewickelt»,28 wandert dieses vereinzelte Kunstprodukt vom Bäcker an seinen Bestimmungsort.

Mit den Züpfe konkurrieren im Emmenthal die Weihnacht- und Neujahr-Ringe und ‑Ringli, ‑Chueche und ‑Chuechli.29 Alltagsgebäck dagegen sind die zehn- und fünfräppigen (früher auch «kreuzerigen»)30 Buttersemmeln: die Weggli und (Bärn-) Pŭ̦derli. Nach den Wecken trägt sämtliches Gebäck außer dem Brot den Gesamtnamen Weggezụ̈ụ̈g; über abgelegenes Gelände hin trägt die Weggefrau31 (Abb. S. 497) es feil in regelmäßiger Runde, um namentlich Kinder zu erfreuen. Die feiern mit Weggen ihre Versöhnungs­mähler nach Span und Zwiespalt;32 und ein Weggen, mit einer heimat- und elternlosen Schicksals­genossin geteilt, kettet über Kindheit und Jugend hinüber ein Anneli an seinen Mias.33

In brutalem Gegensatze hiezu scheinen diese Gebäcke im 18. Jahrhundert (als Geleit der Rahmkaffee-Orgien) zu großartigen Schlemmereien gedient zu haben. Aus Sumiswald wurde 1787 die herrschende Butterteurung also erklärt: «Von denen Pfisteren wird viel Anken in Züpfen, Ring und Kuchen verwandelt», die doch nur «für Leckerbissen heimlich genossen werden».34 Ähnlich lautete es aus Huttwyl,35 und die Klage fügt sich an, es werde von «denen beken kein kleines Brott, daß heißt Mützen, daß gantze Jahr hindurch gebacken». Und doch bildeten diese aus Mehl und Milch bereiteten «Mutschen», «Mütschen» (Mutze, d. h. abgestumpfte36 Weggen, eigentlich Keile37) damals die einzige Art und Form des käuflichen Kleingebäcks.38 Mit «Zehnt­lüten-Mutschen» belohnte die Komturei Sumiswald die pünktliche Entrichtung schuldiger Abgaben,39 und in Form von Spend­mütschen unterstützte man die Armen.40 Heute, wo die Bäcker auch auf dem Land den Klein-Konsum aller Art befriedigen, und Gestalten wie der Brot-Christeli als rührende Illustrationen des Kampfes ums Dasein das Gebirge zu beleben kommen, hat sich das Bild beträchtlich verschoben. Das lang ovale, oben der Mitte entlang gefurchte, zwanzig- bis dreißigräppige Mü̦tschi, sowie das etwas rundere zehnräppige Mü̦tschli, Miḷch­bröötli oder Miḷch­weggli nehmen nun 499 eine Mittelstellung ein zwischen dem Gebäck mit Butter und Ei, und dem Weißbrot.

Denn auch dies letztere ist für den Bauernstand ein entschiedenes Luxusgebäck. Man erlaubt es sich als Sunndigs­brötli zur Suppe, zum Kaffee, zum Butterbrot für Kinder. Es ist ein Gegenstand der Weihnachts­bescherung,41 des «Krams» bei der Heimkehr,42 der Bewirtung,43 dient aber besonders als Speise für Gebrechliche44 und Kranke.45 Was tut der anscheinend stumpfsinnige, überall verschupfte kleine Peter, als er hört, sein Lehrer, die einzige Sonne seines Lebens, liege auf dem Todbett? Geht und wendet seinen ganzen Besitz an ein weißes Brötchen, das bringt er dem Kranken und sagt: «Sä, da hesch es Brötli, aber stirb mer nit!»46

Eine andere Schätzungsart als dort, wo dies alle Tage vom Bäcker frisch gelieferte, daher immer weiche Weißbrot der Inbegriff alles Glücks ist: das Himmelreich gleich «Juhe und all Tag lind’s Brot.»47 Ein moderner Epikuräer meinte: Es isch mer nüüt liebers̆, weder e Tag aḷts Brot, u früschen Anke, u so ne schöni Herbstsunne.

Daß der an harte Arbeit und ihr entsprechende derbe Hausmannskost Gewöhnte anders denkt, spricht er etwa in der spassigen Entschuldigung ungewöhnlichen Festgebäck-Verbrauchs aus: Züpfe spart Brot. Nämlich Pụrebrot, wie alle Emmenthaler­bauern und selbst besser gestellte Mietsleute es jahraus jahrein selber backen. Und zwar zählt dies zu den Ehrenämtern für den weiblichen Teil der Familie. «Gutes Brot zu backen, gehört zur Reputation einer Frau, und ist einer der chutzlichsten Punkte.»48 Ja ehemals galt es, gleich dem Spinnen, als Ehrenamt vornehmer Damen. Das Brot, das die Töchter des Reichen kneteten, «war das kräftigste auf Erden».49

Da heißt’s also, wenn der Brotvorrat — der letzte Baach — zur Neige geht: Es ist e Băchchete nahe; mi mues ume bachche.

Der Vorabend des großen Tages ist da. Schon steht auf einem Stuhl der Sack voll rụụchs Mähḷ bereit: der Kerngehalt des für Brotmehl so außerordentlich geeigneten Dinkels, ohne die Kleien und das Semmelmehl, welches noch heute bisweilen in der Bauernmühle als Mahllohn zurückbleibt. Ein Zusatz von Roggenmehl, der das Brot länger feucht und frisch erhält, hat heute keinen Sinn mehr, wie noch zu Gotthelfs Zeit50 und vollends 1764, wo ein Trachselwalder 500 Rezept lautet: «⅔ Dinkel und ⅓ (in Dürrenroth: ½ 50a) Haber oder Roggen, Wiki, Gersten».51 Die Wicke wird etwa mit dem Wortwitz abgetan: «Vier Määs Chorn, eis Rogge un eis (aber nicht ein Mäß, sondern ein Körnchen) Wiki.»

Von der letzten «Bachete» her ist ein kleines Quantum Teig (ein bis zwei Pfund) als Hebe͜l aufbewahrt worden. Seine Wirkungsweise muß man genau kennen, um nicht hebisụụrs̆ Brot zu bekommen. In heißem Wasser wird dieser Sauerteig aufgelöst. Unterdeß nimmt der auf dem Ofen angewärmte Backtrog, die Mulde (Mue͜lte), das Mehl auf. In einer Ecke aber muß dasselbe einem Gu̦nggeli (Höhlung) Platz machen, in welchem Hĕbe͜l und etwas Mehl zu einem Brei, der Hĕbi,52 zusammengerührt werden. Der Grad, in welchem nun diese während der Nacht uufgeit und damit das Gären (hăbe, bei Gotthelf auch «haabe»53 und «g’habe»54) des Teiges garantiert, hängt von tausend verborgenen kleinen Umständen ab.55 Es gibt «Weiber, welchen es nicht haaben will», wie Sennen, «welche die Milch nicht zusammenbringen».56 So wollte es absolut «dem Mädi nicht haben», worüber sich der Doktor höchlich verwundert: «Mädi sei ja selbst eine lebendige Hebi.»57 Allein auch das an Mädi’s Platz getretene Meyeli muß sich einmal vor dem Doktor entschuldigen, daß das ihm aufgetischte Brot «nicht aufgegangen». Da sei jedoch der Müller schuld,58 und es wird so sein. Er hatte etwa ver­schli̦ffes Mähḷ gefiefert: die nicht genügend neu geschärften (g’hauene) Steine ließen unzermahlene Partikelchen durch, welche sich denn auch damit verraten, daß der Teig de so glänzt. Allerlei kleine Vorkehren müssen dann nachhelfen, daß ’s rückt.

In der Morgenfrühe beginnt das Backen. Wer wenigstens im Sommer nicht um vier, ja während der «grooße Wärche» (Saat- und Erntezeit) um zwei bis drei Uhr sich erhebt, verdirbt sich den Tag und hat zum Schaden den Spott.59

Zunächst wird aa’teigget: das Mehl mit Wasser, Salz und Hebi durchmischt. Jez isch’s̆ aa’teigget heißt auch: das Unternehmen ist in’s Werk gesetzt, und man kann den Fortgang abwarten.60 Ebenso kann der Teig60a alles der Gestaltung und Umformung Fähige bedeuten.61 D’Finger im Teigg haa, d’Armen i dä Teigg 501 stoße62 will sagen: sich ebenso energisch wie auch aufdringlich und rechthaberisch, wohl auch eigennützig in eine Angelegenheit mischen, sich einer Sache bemächtigen.

Am Backtrog aber, welch heiße Arbeit! Da wird, was beide Hände zu fassen vermögen, ergriffen, gehoben und geschlagen; das klatscht und gurgelt, das «brätschet» und «tätschet», das «bịịstet und päärstet! Wie man vom Bäcker sagt: wenn er nid päärschet (s̆s̆), so git’s nid guets Brot», so vom Bauernbrot: «es wirt nie chü̦̆stigs, we nid es bar Schweis­tröpf dri chöme.» Nicht weniger gilt es, jedes Teigklümpchen zu zerreiben, damit nicht ungebackene Knöllchen (Chnöḷzeli, Chnü̦ḷzeli) im Brot verbleiben. Weniger nötig wäre, meint der «Erbvetter»,63 jeden geringfügigen Vorfall in der Nähe und Ferne so einläßlich mit dem Mundwerk zu behandeln. Um aber alle Partien des Teigs in gründliche Verarbeitung zu kriegen, wird auch mue͜lte­g’chratzet: mit dem Mue͜lte­chrătzer, der kleinen eisernen Ziehhacke, wird auf dem Boden des Backtrogs Stelle um Stelle für erneute Arbeit frei gemacht. (Ehedem diente diese nicht gerade schöne Musik auch mit zur feindlichen «Begrüßung» einer mißbeliebigen Hochzeit.)

Unterdessen ist im Bachofen, der noch beinahe in jedem ältern Bauernhause als ungeschlachter Riese «fast e haḷbi Stube» in Beschlag nimmt, das Feuer verglommen. Der lange Besen aus Tannreisig hat die Asche entfernt, wohl auch der an eine Stange gekettete durchnäßte Ofewü̦ü̦sch die Backfläche vollends gesäubert. Nun erleuchtet den Ofenraum ein in dessen Vordergrund aus Kleinholz entfachtes Voorfụ̈ụ̈r zu einem Vorspiel und dem Hauptakt. Die Bäuerin setzt nämlich eine Ehre darein, bereits zum Morgenimbiß, allerspätestens doch immer zum Mittagessen (z’Imis), Chuehe auftischen zu können. Zu diesem Zwecke hat sie dem fertigen Teig einen kleinen Teil entnommen, ihn mit der hölzernen Handwalze, dem Chuehe­trööḷḷi oder Trööḷholz uus’trööḷt (ausgewalzt). Nun wird die richtige Ofenwärme abgewartet; denn mi mues der Chuehe bachche, wiḷ der Ofe warm ist: das Eisen schmieden usw. Zum ịịschieße des Gebäcks dient der Schŭ̦sse͜l oder Schü̦sse͜l (mißdeutend auch etwa «die Schü̦̆ßle»). Ein tannenes Brett ist zu einer glatten Kreisfläche ausgearbeitet, die für einen Chuehe­schüsse͜l größer, für einen Brotschüsse͜l etwas kleiner ausfällt; der mit ihr ein Stück ausmachende lange Stiel dient als Handhabe. Nachgeahmt wird dies ịịschieße im Spiel mit Kindern: Mütschi bache, Mütschi bache! ịhe schieße, ịhe schieße!64 502 Ein ebenso gewandtes wie energisches Abschütteln entledigt den Schüssel des teigig aufliegenden Gebäcks. Daher heißt auch jemanden ab­schüssele:65 so gut es geht, ihn los werden, sich seines Dabeiseins auf gute Art entledigen.

Nun wird die Hauptmasse des Teigs ụụs’brotet: zu Brotlaiben, bis sechs Kilo schwer, geformt. Versteht sich, daß dabei von dem so sauer erarbeiteten Teig möglichst wenig in der Mulde zurückbleibt. Daher auch bildlich uusbrote bedeutet: nichts verschweigen, mit nichts mehr hinter dem Berge halten. We’s doch mues uus’brotet ṣii, so mues iez grad aḷḷs fü̦̆re!

Im Ofenraum werden die sorgfältig verteilten Laibe mittelst Fü̦ü̦rers̆­zieh ausgewechselt, bis sie (nach zwei Stunden) zum Ụsezieh fertig sind. In der Mulde aufgestapelt, wandern sie samt dieser in den Speicher oder Keller. Doch nicht, bevor den Kleinen ihr besonderes Teil geworden ist, auf das sie längst mit Sehnsucht gewartet haben: ’s Mue͜lte­chratzerli! Das sind die nachträglich aus allen Ecken der Mulde zusammen­gekratzten und zu einem Brötchen geballten Teigreste. Am unvoll­ständigsten durchsäuert, bieten sie dem Geschmack der Großen nichts besonderes; allein als Umhüllung eines Apfels mit diesem verbacken, «sị sị gar schröckeli guet!»

Wer auf einladendes Aussehen hält, verleiht solches der Oberseite der Kruste durch ein während des Backens aufgelegtes Wirsingblatt. Auch ohne dies jedoch unterscheidet sich der ober Rawft (Brotrinde66) vom untern, auf der Heizfläche aufliegenden, durch größern Wohlgeschmack. Er ist aber auch das Kriterium für den wohl oder übel getroffenen Grad des Ausbackens. Gutes frisches Brot chrä̆schelet unter den Zähnen, ist chrä̆schelig (knusperig), und gut geraten ist in diesem Fall auch der von der entweichenden Kohlensäure seitlich ausgetriebene Mü̦ü̦rggel (Knorren).67 Nach dem Aussehen desselben heißt «Müürggel» auch der Knorren am Tannast, und ebenso ein untraitabler, klobiger, knorriger Mensch;68 ist derselbe obendrein ein versteckter alter Sünder, nennt man ihn Sünde­müürgge͜l. Auch «Knorren» selbst kommt vor als Chnü̦ü̦re. Da der Wählerische und Unverschämte mit Vorliebe um solchen herum sich ein recht großes Stück herausschneidet (dabei wohl gar etwa eines eigenen großen Taschenmessers, des Pụre­grụụser, sich bedient), heißt auch im allgemeinen ein mächtiges Brotstück 503 «e Chnü̦ü̦re», und den glücklichen Besitzer eines solchen pflegt man zu necken: Lue, du hest di g’häue! Eh, wi du blüetist! Oder: iez adie! Adie, Hans! i gseh di nümme! (Auf Nimmer­wiedersehn, denn du wirst dich zu Tode essen.)

Überhaupt findet die Kruste vor der Krume (dem Lin͜den) den Vorzug: «Rauft kam mir süßer vor als Basler-Leckerli»,69 und selbst der Zahnlose setzt lieber, als daß er auf den Genuß verzichtete, sich dem Spott aus: «Du käulst (chawlist) ja an einem Brotrauft vom Neu bis zum Wädel (Vollmond).»70

Den herrlichen Duft und Wohlgeschmack frischen Bauernbrots weiß man auch im Bauernhause selbst so wohl zu schätzen, daß man sich um seinetwillen heute gern alle acht, spätestens alle vierzehn Tage der Mühe und Umständlichkeit einer neuen Bachete unterzieht. Wie war das anders noch zu Gotthelfs Zeit! Da bedeutete es schon viel, wenn man «auf’s kürzeste alle drei Wochen»71 buk. Ja selbst «feuf Wuchen» altes Brot konnte noch «bsungerbar guet»72 schmecken, und wenn es im Sommer «grau» (schimmelig) wurde, fand eine gewisse Geschmacks­richtung es «nur dest chüstiger».73 So «liebte Schnitzfritz das Alte und das Brot am meisten, welches den längsten Bart hatte».74

Die Bäuerin im «Geltstag»75 aber, die in einem Laib ein Mäusenest mit sieben Jungen fand, het doch eme͜l der Rawft du̦ no ịịgschnitte.

 
1 BSp. 119.   2 Heiri 8.   3 Aus «lacham» (essen) leitet der Araber sein «lachmün» = Fleisch, wie der Jude sein «lächem» = Brot; frz. viande ist s. v. w. «Proviant» (Vorrat), und selbst chair, lat. caro ist das «Vorgeschnittene», wie unser «Mues» (vgl. Mues u Brot) das «Zugeteilte».   4 Vgl. Volksw. 4, 396.   4a Schwz. Id. 3, 504.   5 AB. 2, 164.   6 Ök. fol.   7 Jacob 2, 133.   8 Pfarrbericht von 1764; Christen 188.   9 Eine andere «Brotheiteri» zu Sumiswald soll von Zimmerleuten so benannt worden sein, die mit der Beköstigung unzufrieden waren.   10 Vgl. Böhneler 209.   11 BSp. 150.   12 Ebd. 130.   13 UP. 175.   14 Jacob 2, 31.   15 SchM. (1838) 1, 134.   16 AB. 1, 397.   17 Vgl. «ein Schlückchen Glück» bei Spitteler.   18 AB. 1, 351.   19 AB. 2, 48.   20 AB. 2, 26.   21 AB. 1, 53.   22 Schuldb. 216.   23 SchM. (1848) 2, 151; Erbv. 16; Spinne 7.   24 Müll. Hk. 9.   25 Vgl. tschädere.   26 Spinne 8, 19; AB. 2, 80; Ztgst. 2, 179.   27 SchM. 1, 53.   28 Spinne 8.   29 Käthi 244; Schuldb. 148; Dursli 289.   30 Michel 132; Barthli 9.   31 Gf. SF. 1899.   32 Burri VII.   33 BSp. 192.   34 Ök. fol. 17, 80.   35 Ebd. 39, 67.   36 Winteler in PBS.14, 464.   37 Vgl. Scheidwegge = Spaltkeil.   38 Vgl. Bsbinder 346.   39 EvE. 1902, 9.   40 Dursli 220; vgl. SchM. 1, 261.   41 Dursli 288.   42 BSp. 28.   43 Ebd. 49.   44 SchM. 2, 481; MW. BK. 18.   45 SchM. 1, 40; 1, 51; 2, 179; MW. 2J. 221.   46 MW. BK. 69.   47 Arm. 35; Ztgst. 1, 181; Käthi 305; AB. 1, 86.   48 SchM. 1, 262.   49 Servaz 6.   50 SchM. 1, 261; Joggeli 37.   50a Pfr.-Ber. 194.   51 Ök. Q 2. A1.   52 «Hebel» unb «Hebi» sind verwechselt SchM. 2, 117.   53 An AB. 81; Käs. 75, 89; SchM. 1, 261 Hsa.   54 Ebd. Hsb.   55 Die äußerst verwickelten Vorgänge, die sich hier abspielen, sind noch heute von der Chemie nicht alle aufgeklärt.   56 Käs. 89.   57 AB. 2, 376.   58 Ebd. 2, 375.   59 SchM. 1, 361.   60 GG. 3, 40.   60a Man denke an das verwandte «gedeihen» und «gediegen», besonders aber an lat. fingere = bilden, gestalten.   61 Vgl. Ztgst. 2, 155.   62 Erbv. 79; Michel 301; an AB. 115; MW. Ws. 51; Segen 82 (l. Teig statt «Tag»).   63 49.   64 KL. 02, 24; 03, 111.   65 AB. 1, 153; GG. 3, 9; Käthi 375; Käs. 339.   66 Vgl. «den dünnen Brotrinden nachgehen» = betteln: Barthli 15.   67 Vgl. «der Murks» (um Aarberg) als Anschnitt des Brotlaibes, und «Murgg». Schwz. Id. 4, 405.   68 Vgl. luzernisch «Mürks» Knirps; ebd. und Grimm WB. 6. 2716.   69 BSp. 83.   70 Ball 14.   71 BSp. 150.   72 Geltst. 224.   73 AB. 1, 212.   74 Wege 306,   75 228.  
 

Das Essen.

Wann gegessen wird.

V

 

om Turme hallt’s elf Uhr.1 Weit wie die Schläge trägt die Luft zwei langgezogene Hornstöße. Es ist das z’Imis-Horn, das nach alter Bauernsitte, jetzt vielfach durch die Hausglocke ersetzt, entfernte Tischgenossen zum Mahle ruft. Dieses «Mahl» oder die «Mahl-Zeit» zerlegt, in ursprünglicher Wort- und Sach-Einheit mit altem «Maal» und mit «Mal»,2 den Arbeitstag sehr regelmäßig in sechs Abschnitte. Denn schon vor dem z’Morge muß die ganze Bauernfamilie selbst in gewöhnlichen Sommerszeiten ein gut zweistündiges Werk verrichten: das Grünfutter einbringen, den Stall besorgen, die Milch in die Käserei spedieren,; und die Bereitung des z’Morge (Morgenessen) selbst gibt doppelte Arbeit, wenn es zur Erntezeit ins Feld getragen werden muß.3 Denn da sind die Arbeiter, durch ein kleines Vormahl gestärkt, seit vier oder mehr Stunden am Werk. Sonst ist der Tag verdorben. Für ein wichtiges oder zeitraubendes Werk mues me vór em z’Morgen ụụf, d. h. bei guter Zeit dran. Dafür gerät dann auch spielend leicht, was andern unerreichbar vorkommt: mi nimmt d’Prụ̈ụ̈ße vor em z’Mórge, sagt man seit dem Neuenburger­handel von 1857. — Gleich na’m z’Morge (na’m z’Morge tischschi­niere4déjeuner — wie man in städtelnder Sprechweise sagt) beginnt neue Arbeit bis zum Neun-Uhr-Brot (zo’m z’Nụ̈ụni).5 Diese Zwischen­mahlzeit, welche je nach Umständen das Frühstück um etwas vor- oder das Mittagsmahl um etwas zurückschiebt, ist eine der letzten Etappen allgemeiner Hebung bäuerlicher Lebenshaltung. Aḷbe (ehemals) het es im haḷbe Tag6 505 (d. h. im Laufe des Vor- und des Nachmittags) nüüt g’gää. Du̦ het me du̦ ăfen aagfange, i de große Wärchen öppis z’Aabend z’gää wäge de Tawnere; aber wenn es eso dŭ̦sem (trübes, regnerisches) Wätter gsi ist, dass me nüüt rächts het chönne mache, so het me nüüt uberchoo. (Der Veterane Zaugg.) Als welche frevle Vergeudung7 hätte das vor Zeiten in einer Älpler-Gemeinde wie Schangnau erscheinen müssen, wo nach Pfarrer Ringiers Darstellung (1764)8 sogar drei Mahlzeiten im Tag als ein Zuviel gelten konnten! Letztere aus der Beschäftigungs­art erklärliche alte Anschauung prägt sich ab in der Bezeichnung unseres Mittagessens als «Imbiß». Z’I̦mĭ̦s heißt im Seeland und anderwärts die Zwischenmahlzeit, bei uns aber das Mittagsmahl,9 wie denn auch der ländliche Zürcher letzteres mit «Imbi̦g», den Nachmittag mit «na’m Imbig» oder wieder bloßem «Imbig» bezeichnet. Das z’Imis heißt jedoch auch ’s z’Mittág,10 namentlich wo es von der alten Essenszeit um elf Uhr weg auf den wirklichen Mittag oder doch auf halb zwölf Uhr verlegt ist. — Auf die Zeit zwischen drei und vier Uhr fällt das z’Aabe11 oder z’Vieri. Was dagegen der Städter unter z’Aabe12 versteht, ist für uns das zwischen sechs und sieben Uhr aufgetragene z’Nacht.13

Der Städter sagt z’Aabe «trinke»; wir nennen jede Hauptmahlzeit «ässe»: z’Morge, z’Mittág, z’Nacht ässe, dagegen: z’Nüüni oder z’Aabe (z’Vieri) nää.

Bezeichnend genug: denn namentlich die aufs Feld verbrachten oder mitgenommenen Zwischen­mahlzeiten laden nicht zu langen Ruhepausen ein; besonders nicht, wenn der dampfende Kaffee am Platz des entschieden zurückgedrängten Branntweins und des nicht so sehr wie in der Ostschweiz beliebten Mostes zu entschlossenem Zulangen einladet: mir wei’s nää, wiḷ’s (während es) warm ist!

 
1 BSp. 372; Barthli 29, 40; AB. 1, 381; Käthi 233; SchM. 2, 34; MW. BK. 30.   2 Schuldb. 75.   3 AB. 1, 327.   4 MW. Ws. 83.   5 AB. 1, 192; BwM. 168.   6 SchM. 1, 132.   7 UP. 57.   8 Pfr.-Ber. 77.   9 Ger. Tw. (1789); Widm. 173; AR. 1813, 247; SchM. 1, 372; 2, 300; Gf. SF. 1902, 245; vgl. das verschobene Verhältnis der «neunten Stunde» zum engl. after-noon = Nachmittag.   10 Gf. SF. 1901, 15; MW. 2J. 111; UK. 17.   11 Burri V. XIII.   12 MW. Vs. 131; SchM. 1, 214; BSp. 165.   13 BSp. 38; SchM. 1, 195; 2, 277; Gf. SF. 1899, 82.  
 

Was gegessen wird.

Mit dem bekannten Rasch-Essen (früech uuf u späät nider, iß gschwin͜d u spring wider) steht die ebenso bekannte Güte emmenthalischer Ernährungsweise in keinem Zusammenhang. Die besonders 506 über das Gebirge hin noch immer in alter Weise geübte Gastfreundichaft ist die alteruistische Kehrseite des Satzes: E nüechtere (d. h. hungriger) Möntsch het e kes Gfeeḷ.

Drum das allmorgendliche «währschafte» Frühstück aus Ggaffee (gutem Milchkaffee), Brot und Röösti. Letzteres Wort ist die gewohnte kurze Form für Härdöpfe͜l­röösti, welche vollständige Bezeichnung nur gebraucht wird, wenn es sich um einen Gegensatz zu Öpfe͜l-, Bĭ̦re-, Eier-Röösti handelt. Röösti «im engern Sinn» bedeutet: in ausgiebig viel Schmalz gebratene (g’schmutzgeti, g’schmützgeti, schmutzigi) Scheibchen von gesottenen Kartoffeln. Rohe statt gesottene Erdäpfel in nämlicher Weise bereitet, geben (zumal im Oberaargau) die roui Röösti, gesotten gedörrte gaben früher, vor Aufschwung des Lebensmittel­handels, die dü̦ü̦ri Röösti. Die Kartoffeln wurden hierzu mittelst eines eigenen Geräts, des Härdöpfe͜l­stüehli oder der Hardöpfel­mü̦li (Abb. S. 507) zerkrümelt. Kleine Stücke (vgl. zürcherisch «Stückli») statt Scheibchen verändern die Namen «Röösti» und «roui Röösti» zu g’wärmti und roui Bi̦tzli. Wer aber beobachtet hat und sich aus der Natur des Stärkemehls erklären kann, zu welchem Vorteil für den Wohlgeschmack die rohen Kartoffeln mit dem Messer unter leisem Krachen halb zerrissen statt zerschnitten werden, duldet fürder auf seinem Tische bloß noch g’chlepfti Bitzli. — Aber auch das Gemenge zusammen gesottener, zerstampfter (g’stungget) und geschmälzter Äpfel und Erdäpfel mundet namentlich zur Abendzeit unter dem Titel Mi̦nggĭ̦s,1 Chöusi, Stu̦nggis, Tangge͜l vortrefflich. Natürlich tun dasselbe die schon eigens für sich gepflanzten Siedekartoffeln, welche g’schweḷḷt und i der Munduur (monture, hier spaßhaft für Kartoffelschale) auf den Mittags- oder Abendtisch kommen. Frisch geerntet platzen sie beim Sieden vor Stärkefülle (springen uuf); die aḷte Härdöpfe͜l dagegen erhalten neuen Wohlgeschmack als Saḷzhärd­öpfel: sie werden vor Einlegen ins Siedewasser bis in die Mitte geschlitzt (g’hi̦ckt), damit das beigegebene Salz sie recht durchdringe. — Von den «sechzig» Zubereitungs­arten der Kartoffel sind bei weiten nicht alle üblich oder auch nur dem Namen nach bekannt. Erwähnung verdienen außer den gelegentlichen Härdöpfe͜l-Chuehe und ‑Brịị immerhin die hochgeschätzte Härdöpfe͜l­suppe mit Käse und der vornehme Härdöpfe͜l­stock, zu welchem die gesottenen großen Stücke mit dem Härdöpfe͜l­stämpfe͜l zerquetscht (gstampfet) und mit Milch aufgekocht werden.

507 Eine auch vom Städter goûtierte sommerliche Besetzung des Abendtisches bietet der Chirs̆i- und sonderlich der Beeri-Stu̦rm. Mit braun geröstetem Mehl werden die roh zerquetschten Früchte energisch durchmengt und mit Sahne, Zucker und Zimmt (oft sogar noch mit Brotkrümchen) versetzt.

Härdöpfel-Stüehli (Erdäpfel-Mühle).

In «alte Zeiten» dagegen, wo Bleichsucht und Blutarmut, Nervenschwäche, Skrofulose noch keine Töchter und Frauen interessant machte, versetzt uns der Haberbrịị2 oder, nach Hebelscher wie ost­schweizerischer Sprache, das «Habermues». Was aber viele noch seltsamer anmuten mag, ist die Gestaltung dieses Kraft- und Schönheit­spenders zu einem Leckerbissen mittelst echten Bienenhonigs. Ein alter Spruch lautet: Wär’s̆ het u ’s vermag, strịịcht ’s Hu̦ṇ’g uf den Haberbrịị. Da indes zu keinen Zeiten überall Milch und Honig floß, lieferte auch die Habersuppe, lieferten Ärbs- und Bohne-Mues einen geschätzten Morgenimbiß. (Mues ist bei uns Leguminosen-Suppe, früher speziell auch aus den frischen Acker- und den Feuerbohnen, Säu- und Meie-Bohne). Weniger schon war dies der Fall beim Mais (wir sagen das Meis oder das Meerchorn), welchen der Emmenthaler nicht so trefflich wie z. B. der Oberhasler zu bereiten versteht. Ersetzt er daher diesem bei Reich und Arm unsere Röösti, so heißt dagegen im Unterland eine gewisse Strafanstalt der Meishŭ̦be͜l oder Meis­chnŭ̦be͜l, und einem Vorsteher der ehemaligen Knabenanstalt Trachselwald rief sein späterer Nachfolger als Hülfslehrer an einem schwülen Juni-Vormittege zu: Matti, der Meerchorn­brịị määit nümme! Wie ganz anders schmeckt ein richtig bereiteter Reisbrei (Rịịsbrịị), den die Köchin nicht angebrannt hat (’bränntet het)! Er kann sogar als vollwertiger Ersatz des Fleisches am sonntäglichen Mittagstisch gelten. Das Rịịs (der Reis) erwahrt überhaupt auch bei uns seine Souveränität als das in der Völkerkunde so belangreiche Nahrungsmittel.

Um so enttäuschter mag daher ein Gesicht ausgesehen haben, wenn es schon auf dem Morgentische so etwas wie Reisbrei schimmern sah, 508 um beim ersten Löffel voll enttäuscht zu entdecken: ach, nume Rüebe! weiße Rüben, welche dagegen, g’hŏblet oder g’năglet (in lange schmale Parallelopipede zerschnitten), zu Siedefleisch oder Gemüsesuppe eine herrliche Eigenwürze liefern. Oder: aber einist Chrụ̆t­stĭ̦le! das sind Mangold-Rippen, gewiegt (g’gnịppet) oder auch unzerteilt als Gemüse behandelt und, nach Bericht des Pfarrers Ris in Trachselwald, zuweilen bis drei Mal täglich aufgetragen. — Chru̦tsuppe dagegen ist ein abendliches Labsal aus gewiegtem Spinat (Spi̦nḁt) mit Eiern und andern Zutaten. — Das Sauerkraut heißt Sụ̆rchăbis oder, wenn Wirsing ịịg’macht worden ist, Sụ̆rchööli. Heute eine nur schwer entbehrte Zutat zum Fleisch, gehörte Kohl überhaupt ehedem zu den Speisen, die3 durch Häufigkeit und Einförmigkeit verekelt wurden. Daher spöttische Klangspiele wie: Üse Chabis chäbesselet, chäbesselet euer n au?

Öppis Fleischigs gelangte früher höchstens am Sonntag auf den Mittagstisch; heute ist zwei- bis dreimalige Verabreichung in der Woche die Regel. Dü̦ü̦r’s̆ Fleisch und magerer Späck aus der Rauch-Einrichtung wechseln mit grüenem (frischem) Fleisch aus dem Schächterladen, dü̦ü̦r Schnitz (Äpfelstücke) oder dü̦ü̦r Bohne mit den vorn genannten Zutaten.

Je besser die täglichen Mahlzeiten ausfallen, mit desto mehr allgemeiner Zustimmung dürfen die alten häuslichen Festlichkeiten wie Fasnḁcht und Neujahrete, wie Heuete und Sichlete, Fleglete und Brächete sich auf ein etwas mannig­faltigeres Mittagsmahl beschränken. Bei aller Einschränkung aber wird der Hausfrau von ihrer Aufgabe einer Chüechli­mueter auch nicht ein Jota erlassen. G’chüechlet mues’s sịị, u we’s o grad nume Ggaffee derzue gääb. Drum wird auch eine steile Anhöhe über einem Bauernhaus, das jeweils bei der Heuernte zuletzt dran kommt, in Erwartung gewisser Dinge ’s Chüechli-Port geheißen.

Sind überhaupt die Chüechli (schweizer-französisch: beignets) ein west­schweizerisches Gebäck, welches nach dem «Granßenlied» schon «der Burgunner zu Bern vnd Fryburg essen wöll», so sind besonders die Emmenthaler­frauen in diesen Stück anerkannte Meisterinnen. Einige von ihnen aber verfügen noch über ganz besondere Geheimnisse,4 denen namentlich eine Wirtin da und dort an Sonn- und Markttagen ungemeinen Zulauf verdankt. Es ist darum bezeichnend, daß Jungbursche zur Fastnachtzeit sich von den Mädchen ihrer Umgebung Chüechli erbitten, 509 um aus deren Beschaffenheit sich ein Urteil über die Chüechlere und deren gesamten Haushalt zu bilden.5 Bewirtung hoher und lieber Gäste mit Chüechli (wie mit Nịịdle) gilt drum auch als Ehrenpunkt;6 und da man voraussetzt, mit solcher Aufwartung jederzeit wohl anzukommen, bedeutet ’s eim g’chüechlet gää, ’s eim chüechle: eine Angelegenheit einem möglichst annehmbar vorlegen, sie ihm «mundgerecht» machen. Mit eim rede wie g’chüechlet:7 ihm schmeicheln. Zwei Leutchen würden zueinander passen, wie g’chüechlet.8 Wer aber einer solchen Liebesmüh unwert scheint, cha’s mir-aa ung’chüechlet frässe.9

Hat nun für solche Besuche die Hausfrauenarbeit nichts besonderes an sich, so ist dagegen die Anstrengung für die erwähnten Anlässe eine enorme. Nicht umsonst ruft man einem Menschen mit vor Hitze glühendem10 Gesichte zu: du hest Backe wi n e Chüechli­mueter! und wenn jemand ausruft: iez isch’s̆ uusg’chüechlet! so bedeutet das: nun geht’s an ein ganz anderes mühevolles und schwieriges Werk.

Das ist dann aber auch ein ansehnlicher Turm, eine stattliche Bịịge̥te, die da auf blitzblanker riesiger Blatte auf dem Tische paradiert. Wie man einen «Baum» gesägter Bretter mit zwischenein geschossenen Scheitern oder Chne̥ble durchlüftet und damit auch höher aufbettet, so muß man, nach spassiger Übertragung, auch eine solche Ladung Chüechli chnĕble.

Schutz vor Verderbnis, vor Alt- und Ranzigwerden ist allerdings keiner vonnöten. Esser zwar wird es wenige geben, die den bekannten «Vers» buchstäblich bewahrheiten: Wenn üsi Mueter chüechlet u nume sibni macht, so issen i se z’Morge; was Tụ̈ụ̈fẹls git’s de z’Nacht! Allein man bedenke die Spenden, welche über die Schwelle weggehen, und welche Taglöhnern,11 Stör-Arbeitern usw. heimzutragen gegeben werden! Spenden, die wirtlich (wie auch der Rahm) an einstige Erstlingsopfer anklingen. An solche erinnert auch die Sitte, ’s erst Chüechli dem Hun͜d z’gää oder, wo kein solcher da ist, der Chatz — als Stellvertretern der uralten Hausgeister (vgl. «Heubühne» unter «Dach und Fach»).

Als Zweck dieses Brauches gibt man noch heute sinnvoll an: dass es im Ankehafe nid so min͜deri. Dem wird allerdings bei solchem Anlasse nicht übel zugesetzt, namentlich wo man sich etwa noch diesen protzigen Hablichkeits­beweis leistet, d’Chüechli zwu̦u̦ri (zweimal) z’bache.12 Die Gebäcke müssen in der Chüeche͜l­pfanne schwimmen. 510 Es versteht sich daher, daß auch ungezählte Nasen weit in der Runde von solcher Festlichkeit ihr Teil abbekommen, und die Aufforderung: schmöck, wenn i chüechle übersetzt sich: Merk’s, Marx! was ich da sage, ist auf dich gemünzt. Damit es aber unter diesen Riechorganen nicht allzu viele unberufene gebe, wird auch hier Rat und Wandel geschaffen: ein ins Feuer gerworfener alter Schuh verdeckt den Buttergeruch gründlich.

Und dann ist es wieder für eine geraume Zeit ụụs­g’chüechlet auch für die Genießenden. Die Seltenheit eines solchen Beginnens prägt sich ab in dem Sarkasmus, womit man auch die alltägliche, besonders die sehr einfache und kurze Kocherei mit «chüechle» bezeichnet: so, i mues däich ga z’Mórge (oder z’Mittág, oder z’Nácht) chüechle.

Ist man aber wieder einmal dran, dann entspricht der Menge auch die Viel­gestaltigkeit der Kunstprodukte. Alles mögliche läßt sich ver­chüechle — sogar einmal gestohlene Schuhsohlen, die einem Stör-Schuster unbemerkt entfielen und ihm in dieser appetitlichen Gestalt zum Heimtragen wieder zugestellt wurden.13 Läderig, häntsche­läderig wie diese können allerdings auch die Gebäcke aus bestem Stoff ausfallen, je nach Behandlungsart des gekneteten oder des angerührten Teigs.

Des letztern bedarf es für all die Beläge von Blättern und Früchten, die unter Namen bekannt sind wie Münze-, Bụ̆ratsch-, Chrụ̆t- (d. h. Spinat, junge Bohnenblätter u. dgl.) Chüechli, sowie Bire- (besonders Channebire-)14 und Öpfe͜l-Chüechli, zu deren Bereitung man etwa einladet: I hätt der da n es bar Öpfe͜l, leg se denn aa (kleide sie an).

Eine beim Feldarbeiter ausgiebigere, daher noch beliebtere Abschlags­zahlung auf die Dinge hin, die da erst recht kommen sollen, sind die am Vorabend des großen Tages um vier Uhr auf’s Feld verbrachten Chüche͜l­schni̦tten oder ‑schni̦ttli: die in Teig oder auch bloßer Butter verbackenen Brotscheiben oder Brot­schnitten. Solche in geschlagenes Ei getaucht, welches flockig anhängt, führen den Namen Fotze͜l­schnitte.

Aus angerührtem Teig, welcher mittelst des Strụ̈ụ̈bli-Trichter oder der Strụ̈ụ̈bli-Cheḷḷe spiralförmig in möglichst heißes Schmalz gegossen wird, bestehen auch die Strụ̈ụ̈bli; ebenso die Rŏse-Chüechli, zu deren Bereitung das eigens gemodelte Rŏse­chüechli-Ịse erst in siedende Butter, dann in den ziemlich dickflüssigen Teig getaucht wird. Mit einem Spöörli, etwas größer und stärker gezackt, als wie die Schneider es zum Durchdrücken der Muster brauchen, wird für Schlụ̈ụ̈f­chüechli 511 der Rand des handflächen­langen und halb so breit ausgeschnittenen Teigstücks umfahren, damit er nach dem Backen gezackt aussehe. Der Name aber stammt daher, daß das obere Ende durch eine Schlitzöffnung gegen die Mitte hin gezogen und wieder ausgebreitet wird. Ebenfalls handflächengroß, aber rautenförmig wird der Teig für Hasenöhrli ausgestochen.

Derselbe ist geknetet und ausgewalzt wie für Mŭ̦schschelen und Chneu­blätzen, diese schwierigsten Kunstgebilde ihrer Art. Namentlich erstere sind Paradestücke, an deren Bereitung sich eine Hausfrau selten mehr wagt. Das eine Ende eines anderthalb Meter langen Teigstücks wird um eine Fleischgabel gewunden und in siedende Butter getaucht; um die von Zeit zu Zeit sich drehende Gabel häuft allmählich die ganze Länge sich auf. Chneu­blätze dagegen werden auf dem mit weißem Tuche überdeckten Knie zu äußerster Dünne ausgezogen. Während des Backens macht die rasche Gärung, welche auch den Namen «Habchüechli»,15 verhabni Chüechli, Verhabni veranlaßt hat, sich durch welliges Zusammen­schrumpfen bemerkbar. Damit steht das knuspernde Geräusch beim Essen in Verbindung: Chneublätze müsse chrä̆schelig ụsechoo.16 Ähnlich knuspern die Grü̦̆m­scheli: Teigtropfen, weiche in der Butter erhärten.

Die Sprü̦tzchüechli, welche in dieser Art grü̦mschele, werden gelegentlich17 als «Spritzkuchen» mit «Strụ̈ụ̈bli» identifiziert. Belangreicher ist das Ungeschick, «Chüechli» mit «Kuchen»18 zu übersetzen, da die Verkleinerung des letztern Worts absolut nur Chuechli lautet.

Des Kuchen ist unter «Brot» gedacht worden, und es sei hier bloß nachgetragen, daß der Brotteig gelegentlich mittelst verschiedener Auflagen zu Öpfe͜l-, Zwätschge-, Anke-Rụụmme-Chueche (aus dem Niederschlag der geschmolzenen Butter) usw. gestaltet werden kann. Der Genießende hat allen Grund, sich auch solche Produkte schmecken zu lassen — bis an den Rand, welcher bezeichnender­weise der Chummer genannt wird. Man könnte versucht sein, gemäß der Urbedeutung von «Kummer»19 an hier sich ansammelnde gröbere Niederschläge der Teigmasse zu denken, wenn nicht nach lebendig gebliebener Deutung die schließliche Bearbeitung dieser Rinde den Zähnen im heutigen Sinne Chummer miech.

Einfachere Mittel und beschränkte Zeit gestatten höchstens dann und wann einen Pfannkuchen: Eiertä̆tsch; besonders als Stärkung 512 zu längerer Reise,20 im «Annebäbi»21 auch als Einzugsmahl für Brautleute, sowie als Entgelt für kindliche Unterwürfigkeit.22 Die Beliebtheit dieses Gebäckes zu Stadt und Land zeigt sich darin, daß sogar ein zimperliches «Häärpeli» seine Kochkünste an einem «verstrupften Eiertätschchen»23 (kürzer: Tätschli) erprobt, also eier­tätschlet24 oder überhaupt brö̆selet (zürcherisch: «tätschlet»).

Wird hiermit und etwa noch an seltenern Mehlspeisen wie Klößen (Chnö̆pfli) und Flụte («Pfluten») das Nahrungs- und Genuß-Bedürfnis des angestrengt arbeitenden Landmanns weit zweckmäßiger als das des sitzenden Stubenarbeiters befriedigt, so sind — gleich erklärlicherweise — jenem die Süßigkeiten zuwider, die als Güezi, Läckerli, Tä̆feli (Zucker-, Rueße- usw. Täfeli) oder die Dreizingge einer «Wirtin zu Zinggiwil»25 die Nahrung z. B. von Fabrik­arbeiterinnen verbessern müssen. Dagegen dürfen die altbäuerlichen Taatere,26 Daaterech-Chuehe (kleine Kuchen aus Blätterteig) auf dem Festtisch einigermaßen die städtische Basteete oder Pasteete (namentlich in deren übergetragenem Sinn: di ganzi Pasteete! e schöni Pastete!) ersetzen. Nur das jene eher mit dem Endstück, diese eher mit dem Anfangsglied einer altrömischen Mahlzeit ab ovo ad mala sich vergleichen ließen.

Den Rang der Pastete nimmt im bäuerlichen Festmahl das Vorässe (etwa = fricassé) von Schaffleisch oder Hirn ein, an welchem der Safran (Sáffe̥re̥t) ebensowenig fehlen darf wie an der vorausgehenden Fleisch­suppe. Die darauf folgenden Bịịgete Fleisch: Rinderigs, der Säubräge͜l, das Braatis (der Rindsbraten), die Cŏtelette, die sụụri Mocke (Sauerbraten von Rindsschenkel), die Rü̦ppeli (Schweinsrippen), Lăffli (Schweinsschultern), Hamme (Schinken), Hamme­schnittli samt zudienendem Gemüse (G’chööch) geben ein Mahl ab, «wie es Fürsten selten haben, und keine Bauern auf der Welt als die Berner».27 Bescheiden also sieht vergleichsweise aus, was Pfr. Ris 1772 aus Trachselwald28 berichtet: «In den sog. großen Werken und zu festlichen, auch sonntäglichen Zeiten ist die herrlichste Speise Küchli, Reis- oder Hirsbrey (Hirs̆brịị), geräuchert Rindtfleisch, auch Schweinenfleisch, davon sie einen Überfluß aufstellen und an festlichen Zeiten abwechslen.»

 
1 Zsch. f. hd. Ma. III 38, 40.   2 Thorberg 95; Spinne 77.   3 Etwa wie boiled cabage and potatoes der englischen Sudelküche.   4 Wir glauben sie zu kennen, plaudern sie aber natürlich nicht aus.   5 SchM. 1, 263. Hsa; Beitr. 186.   6 Spaßhaft SB. 1902, 39.   7 Schuldb. 8.   8 AB. 1, 87.   9 Vgl. UK. 19.   10 Bitt. Th. 6.   11 UK. 234; BSp. 132.   12 Michel 144. 163.   13 Vgl. SchM. 1, 154.   14 Besuch 33.   15 MW. Anna 205; Spinne 7.   16 Lischeb. 7.   17 Jacob 1, 102.   18 Ebd.; vgl. SchM. 1, 48 und ö.   19 Vgl. frz. décombres, encombrer und dgl.   20 AB. 1, 195.   21 2, 18.   22 1, 34.   23 Joggeli 30.   24 UK. 124; Geltst. 26.   25 Erbv. 8, 85; als Spott auf welsche Amtstracht; SchM. 1, 149 f. 177.   26 GG. 3, 70; Spinne 85; Michel 197; Geltst. 193.   27 Spinne 7.   28 Ök. Q2. A.  
 

Bauernfamilie am Mittagstisch.

Wie gegessen wird.

Müeßt’s nää, wi mer’s̆ hei,1 meint lächelnd zu uns der Bauer, dessen freundliche Einladung zu einem sonntäglichen z’Ịmi̦s wir mit dem obligaten «He nu, so wil i so uverschant sii» angenommen haben. Seine Entschuldigung ist namentlich heute so gegenstandslos wie der gewohnte Ruf des Horns, da die männlichen Tischgenossen alle in Gruppen um das Haus versammelt sind. Gleichwohl tuet no niemer e Wawch (Wank): Keiner will als der Flinkste gelten, wenn’s zu Tische geht. Da ertönt die etwas rääßi und dennoch melodische Stimme der Bäuerin unter der Haustür: La gseh, wott aber niemmer zuehe! Es chaḷtet ja aḷḷs! — He nu, so wei mer’s däich zue n is zwänge! meint mit humoristischem Anflug einer, dessen Gestalt und Gehaben den langjährigen Meisterknecht erraten läßt. Nun ein gemächliches Räumen und Einstecken der Pfeifen, ein Räuspern da und dort, endlich ein allgemeines Aufstehen. Die ersten Schritte aber gelten — auch am Sonntag — dem Brunnen. In beinahe solennem Marsche sodann beschreitet einer hinter dem andern die Bsetzi vor der Stubestür oder im ältern Hause die Küche, um vor den Augen der Hausherrin die Hände am aufgehängten Wü̦schte̥ch (Wischtuch) abzutrocknen.

Der Tisch ist besetzt. Zwei Kinder und der Güeterbueb verrichten die Gebete. Jetzt senken sich gleichmäßig die Löffel in die gemeinsame Schüssel.2 Das gewohnte rasche Speise-Tempo darf heute etwas gemäßigt werden; gleichwohl wird auch jetzt das Sprechen vermieden, und namentlich unter Kindern duldet man keine Schnä̆der­gätzi bei Tisch. Des Lobes und Tadels der Speisen enthält man sich völlig; kaum daß der Meister, wenn auch einmal das Sauerkraut noch so lästerlich angebrannt wäre, den Sarkasmus fliegen lassen würde: Wäge mị̆ne brụụchit der e̥ch de witers̆ eke Müej z’gää, der Surchabis z’brännte.3 (Vgl. die Kritik eines Städters: We der vo däm da ’s Rezäpt verlụ̈ụ̈rit, suechit’s nümme!)

Man hört also vorläufig nichts als das leise Klirren des Tischgeräts. Denn noch strenger als Sprechen ist das Schlürfen (Sü̦ü̦rfle) der Flüssigkeiten und das Schmatzen (Tä̆tsche, Tä̆tschle) beim Kauen verpönt. — Überhaupt hat eben diese anscheinend unappetitliche Schüssel-Gemeinschaft, die allerdings mehr und mehr der städtischen Sitte weicht, 514 eine bäuerliche Tischzucht geschaffen, die manch einer fashionablen Table d’hôte zum Muster der Disziplin dienen könnte.

Man sehe dieses Ansichhalten bei aller Ungezwungenheit der Bewegung! Das Vorbeugen des Oberleibes über den Tisch herein ist so anstößig, daß ị̆he lĭ̦ge auch als Bild für Unverschämtheit jeglicher Art gilt. Wer mit hastigem Essen (schwaarble, ịhe schwarble) eine ungezügelte Begierde verrät, also schwị̆ttig4 tuet («schwitisiert,»5 sich am «Schwiten» als «Schwitie»6 gebärdet), stellt auch seiner Meisterschaft und Umgebung ein schlechtes Zeugnis aus: mi gönn ĭ̦hm’s nid. Denn, we men a men Ort am Tisch hocket, wo me g’seht, daß ’s ei’m reut, so mag me viiḷ meh. Man vermeidet also schon aus Politik jede Erinnerung an tierisches Gehaben, womit einer sich selbst fueteret oder fueret, für d’Fürsorg fueteret,7 «wi we’s nümme guet wär».8 Derartige Benehmen erweckt bald einmal den Vorwurf: er ist e Frä̆shun͜d, e Fräswoḷf; er ist chrank am Fräßbank; er geit e menen iedere ääsige Möckli9 naa, er schläcket aḷḷi Täḷḷer uus, ist e Täḷḷer­schläcker u. dgl.

Ebenso unbeliebt ist freilich jedes Geziert- und Zimperlich-Tun beim Essen, sonderlich die Sorge, gäb me das un äis erlịịde (vertragen) möög, gäb’s eim guet oder nid guet tüej. Wer überhaupt zu Tische sitzt und nicht im Offeneggeli oder im Bett, nimmt vo aḷḷem. «Üsi Chin͜d ässen aḷḷs» ist eins der Hauptzeugnisse richtiger Erziehung. Wer einzelnes auffällig bevorzugt, ist schnä̆der- oder schmä̆der­frääsig, e Schmäder­fraas, huldigt der Schmäder­frääsigi (was bildlich auch von anderweitigem wählerischem Gehaben, z. B. gegenüder Freiern10 gilt). «Jenem Tawner, der sich allein an Speck und Fleisch hielt, rief der Meister endlich vor Zorn halblaut zu: Üeli, Üeli, Chrụt oo! Chrụt oo!»11 Wer aber bei Mitteln ist, setzt sich durch solch meister­losiges12 Verhalten dem Verdacht aus, er (oder sie13) stille den Hunger heimlich noch anderwärts; es warte ihrer irgendwo etwas Meister­losigs14 (Leckeres), oder sie gehen naschend auf verbotenen Wegen: sie brösele etwas für sich; sie schnause, sie schnausen aḷḷs uus, sind schnausig,15 Schnausine; sie schlärme oder schlü̦rme dü̦rewägg (durchwegs) de̥sume, sind Schlärmine oder Schlürmine, schlärmig (vgl. auch: «schlärmige Witwer»16).

515 Zur Brot- und Schüssel-Gemeinschaft gehört ferner und besonders, daß man an den Speisen selbst jede unappetitliche Spur der Berührung peinlich vermeide. In die Suppen- und Milch-Schüssel langt jeder mit seinem Löffel so, daß er denselben an dem ihm zugekehrten Revier in die Tiefe taucht und sich streng vor irgend welchen Pirschen auf Brotscheibchen, Käsestückchen, geröstete Mehlklößchen, Rahmdecken auf fremden Jagdgründen in acht nimmt.

Löffelriigle.

Die Milchsuppe von Kappel würde sich nicht mit der Gemütlichkeit von 1529 wiederholen. Trägt sodann die Meisterin di großi Blatte auf, g’hụụffet voḷḷ Rüebli oder Bohne oder Härdöpfe͜l­bitzli samt magerm Speck, der in kleine Würfel (oder Möckli) zerschnitten (g’schnätzlet) die ganze steile Gebirgsfläche anlockend übersäet: dann ist die individuelle Disziplin des Essens auf die peinlichste Probe gesetzt. Doch jeder und jedes übersteht sie mannhaft: in strenger Wahrung des Mein und Dein wird am zugehörigen Ort ein Grübchen hineingegessen und die unterirdische Minenarbeit mit bergmännischer Schweigsamkeit fortgesetzt, bis ein Möckli nach dem andern seinen Stand verliert, ăhe­troolet und unter wohlverdientem, doch still gedachtem «Glück auf» den richtigen Fahrschacht findet. — Auch für Siedefleisch und Braten ist bei alter Tischsitte kein Speisemeister vorgesehen, der zierliche «Tran­schleni»17 (tranches) vorschneide und chic herumlange. Der Meister schneidet sich vom aufgetragenen Stück seine Portion herunter und legt den Rest dem Nachbarn auf den Teller: gib’s wịters̆!18 Anstoß erregt bloß, wenn bei diesem «Weitergeben» das Fleischstück mit dem Daumen19 statt mit dem Messer von der Gabel gestoßen wird. Der Teller des Essenden dagegen wird, obschon er ohne Wechsel selbst für eine größere Zahl von Gerichten dient, als ebenso appetitlich bleibend betrachtet wie die Auftrag- und Kochgeräte. Denn zu den Jahrzehnte lang wiederholten Schnurren gehört es, daß einmal eine den Tischgästen geraten habe: si söḷḷi 516 (auf der Gemüseplatte) de e chlii i mitt’s use nää, si heig grad ieze de Säue b’bracht.

Dafür wird aber auch der Teller jeweils sauber abgegessen: mi ißt ụụs. Gleichwie (entsprechend französischer Manier) Gläser und Flaschen leer werden müssen: mi treicht uus. (Wie denn auch einer seinen hinten abgewetzten Hut damit rechtfertigte: das chöm vom Ụụstreiche.) Nume nid g’here­hün͜delet! würde es zu einem heißen, der sich nicht zu solchem «reinem Tisch» verstehen wollte, sondern etwa auch in die Familie Wirtshaus­manieren verpflanzen möchte, die besagen sollen, man sei zu voller Genüge bedient worden. (Der «Komplimentfisch».20) Daß auch die Kaffeetasse leer sei und keiner Nachfüllung harre («i ha gnueg»), bezeugt der Bauer damit, daß er sie mit einer kurzen, energischen Bewegung umgekehrt ins Blättli stürzt.21 Wie mit nämlicher Sauberkeit auch das Brot behandelt wird, ist bereits erörtert.

Seine eigene Behandlung findet der Löffe͜l. Seine Wichtigkeit bekundet schon der Sprachgebrauch (vgl. S. 329). Hat der Löffel bei Tisch seine Dienste getan, so wird er (gleich wie schon zu Antritt des Dienstes) am Tischlache oder Tischtuch (Tischte̥ch) abg’wüscht, und wie der an͜der Wärchzụ̈ụ̈g, nämlich die Găble und das Tischmesser (’s Schnĭ̦tzerli oder verächtlich: der Hĕgeḷ22), in die Rịịgle23 oder Löffe͜l­riigle24 (Abb. S. 515) verbracht. Es ist dies eine kleine hölzerne oder eiserne Querleiste an der Wand über dem Haupt des Eigners. Hier hat jedes (wenigstens männliche) Familienglied sein eigenes G’schü̦tz, wie man auch etwa sagt, und was en eigeliger, g’eerggeliger oder g’ẹẹrggeleter (eklig tuender) Chnächt ist, wird sich nie dazu verstehen, mit anderm als dem eigenen Wärchzụ̈ụ̈g zu essen.

 
1 Vgl. venir au hazard du pot.   2 Gf. SF. 1902, 245.   3 Käs. 432.   4 BSp. 314.   5 Ztgst. 1, 157.   6 Ebd. 157, 159.   7 Ball 35.   8 Amtsr. 77.   9 GG. 3, 92.   10 Überraschung 340.   11 BSp. 151.   12 AB. 2, 66.   13 Michel 184.   14 GG. 1, 52.   15 Gf. SF. 1901, 26 mit dem Druckfehler «schmausig»; das Wort gehört zu «Schnauze».   16 Geltst. 344.   17 SchM. 1, 357 Hsa.   18 Spinne 87; Michel 197 f.   19 GG. 3, 47.   20 Brüder 211.   21 BSp. 20; Spinne 9.   22 Ztgst. 2, 117.   23 Vgl. BME. 54.   24 Gf. SF. 1902, 245.  
 

Familienleben.

Der Familienkreis.

E

 

ganzi Tischschete1 (eine ganze Schar um den Tisch Sitzender) ist’s, die unser Auge überfliegt. Der Meister oben am Tisch,2 neben dem wir noch ein Weilchen beim Kaffee und selbstgebranntem Chirsch sitzen bleiben, nachdem das Volk zur Verbringung seines schönen länge Namittag sich verlaufen hat, macht uns mit den abwesenden Tischgenossen zur Not bekannt. Dä arm Schlŭ̦fi un͜der (unten) am Tisch ist bịị n ĭ̦s vertisch­gäḷtet vo der Gmein.3 Dä rächts neben ihm, dä jung Pü̦rstel, ist süst fü̦ü̦r ihn säḷber gsii4 (für sich selber Haushalt geführt) u het mäṇ’gist o bịị n ĭ̦s im große Tăwwe (im großen Taglohn, ohne Verköstigung) g’wärchet; du̦ het er du̦ fun͜de, er mach’s besser, wenn er bịị n is z’Chost gang5 oder z’Tisch, wi men o seit. I nime süst söttig Tisch­gänger6 nid gärn; mi ist g’schi̦niert (gêné) mit ne; weder (indes) das da ist nid en ungattlige Pü̦ü̦rste͜l, und er chunnt is no mäṇ’gist kumod.

Und der neben ihm Sitzende, fragen wir, ist das nicht ungefähr ein Fünfziger? Er schaut so eigenartig träumerisch drein, als wäre er in einer andern Welt daheim. «Ahaa, der Wäber-Bänzli! Er ist bii n is uf der Stöör, u mir heiße ne, wi n es der Bruuch ist, am Sundig cho z’Imis ässe. Er w̦̆ibt ĭ̦s. ’s ist haḷt e Wi̦ttlig, wo o no gärn Eini nähm, u nit dra täicht, dass, we me ’s erst Mal es guets Loos ’zoge het, me’s de es zweut’s Mal wüest chönnt verböösere7

Wer ist denn die Vierzigerin unten auf dem Vorstuhl? — Bevor 518 der Bauer antworten kann, tritt die Herrin des Hauses mit neugefüllter Kanne dazwischen: «Das lööt mer nume rüejjig, das ist es brav Witfraueli (Wipp­fraueli)! We’s ihm da scho chlii z’schäärbis (schief) g’gangen ist u d’Lüt ieze druber lache, dass ihm dä dick Witlig im Guggernäst sich hin͜dertsi drụ̆s g’macht het, so isch ihm das numen e gueti Lehr gsii, wi me ’s eso en ere Witfrau macht.8 Item, es ist eme͜l mit Ehre dervo choo u tawnet iez bii n is u macht si Sach redli u rächt. Wosch no nes Chacheli, Drätti? U di̦r, Herr... wie nume neue? Mị Si̦i̦n (Sinn, Gedächtnis) het eso g’schwachet si̦t mị’r Chrankit.» — Mein Name ist Johannes Meyer. «Aha, Meyer Haneß, wi me hie sieg. O näät no eis! Es si gar chlịịnni Nase­löchtschi, es geit chụụm e rächte Spru̦tz drịị.» —

Der Bauer lacht: «Grad eso het aḷbe ’s Hags̆bḁch-Trini g’seit, we mer öppe zue n ihm ăhe sii. Wüßt de̥r, es ist no üsi Băse gsii vo mi’r Frau nahe,9 frị̆li wịt u̦sse.»10 «He jaa», präzisiert die Frau, «mị’r Schwester Schwähers̆ Bruders̆ Meitli.»11 «Si ist vo wịtem’s12 o no ne Base vo mir gsii, neue da vo Drättis Brueders̆ Meitlinen ei’m har».

Der Titel «Base», oder wie man in der Stadt sagt: «Tante», scheint also ein sehr weitläufiger Begriff zu sein. — «He frịli; weder dĕ un͜derscheidet me dee, we me’s gnauer säge wiiḷ, grad eso, wi mer’s̆ ieze g’macht hei. Oder mi seit öppe, das me wüß, wäm’s aageit, däm junge Meitli ’s ‹Băseli›» ... Etwa «Nießli»,13 wie in der Stadt (petite nièce)? «Cha sii, i gchenne die Näme niid.» Oder wie man auch in Basel und anderwärts sagt: Die «Bääsi»?14 «Weiß ’s o niid! Mir sägen eifach ’s Băseli, oder d’Băse,15 oder d’Base Gótte16 «U wenn Eini» ... Bäuerin: «oder Einer» ... ’s Muul nie cha stiḷḷ haa un es gäng ụụf u zue geit wi e mene Wasserstäḷz (der Bachstälze) der Stịịl, so seit men, es sig e Chlapper­base17 oder e Dorfbase.18 U we’s uufg’strụ̈ụ̈ßeti Wiibervöḷcher mit Chlappermụ̈ụ̈lere vo wit har si, wo me nid weis, was mit nen ist, u we si Ein an e wurmäßige Öpfel mahne, wo uf ei’r Site no chli öppis Rot’s d’rannen ist, so seit me, das sig graau­bäsiger Zụ̈ụ̈g.19 U wenn öppe näben u̦ß i mene Bẹdli Einer der An͜deren vo wịten’s entggäge geit u gar grụ̈ụ̈seli vor de Lüte macht: 519 eh Go’ grüeß di, Băse, wi geit’s oo, u was machst de gäng?20 da seit men öppe: mhm, e schöni Base das! öppe vo Abrahams Zite har!

Aha, das ist so, wie man nach Gotthelf21 einander «vettert und baaset», sie ihn für den Vettermaa22 oder Vetter Gö́tti23 (oder «der Gotte Vetter»24) oder den «Nöwö»25 (neveu) ausgibt?

Vater (pensionierter Lehrer) und verwitwete Tochter.

«Wenn es nid der ‹Unggle› (oncle) ist» — repliziert die Bäuerin — «wi üse Ruedi z’Bärn dem Vetter im Stöckli äne aafaat. säge» (ihn zu nennen anfängt).

Der Bauer: «Ja ja, üse Stöckli-Vetter! We dä einist nümme da ist, de geit’s üsem Chlịịnsten o übe͜l! Wi dä däm Buebli nahetrappet, uf ihn Achtig git, ne bim Händli nimmt u des ume füehrt, ihm G’schichteli b’richtet u gäng öppen e Biren oder süst öppis für ihn parat het!»26 Bäuerin: «Er mahnet mi ganz an üse Grösätti, wo’s mit üsem Ruedi grad breziis eso g’ha hett. Mi cha o säge: dä ist ihm z’hin͜derist im Härz inne gsii.27 Wen er der Grosatt vo wịten het ghört — er het nen uf der Steḷḷ a de Schritten aa g’chennt —, so het er grüeft: Grosätti chunnt!28 Grosätti Chröömmeli!29 U we de der Grosatt i sim graue Haar mit sim Pfịịffli dahar cho ist,30 de het er nume g’wartet, bis er der Stäcke het abg’steḷḷt g’haa un abg’hocket ist. De ist er ihm uf d’Schoos uehe g’chlä̆beret, u het ne n um e Haḷs g’noo un ihm Ääli g’macht: ‹ä’ä!› het das gäng an eim tönt. U de het er ne de so bim Chĭ̦ni̦ gnoo, het ihm der Chopf uuf g’haa, het ihn 520 eso un͜dere­ggụ̈ggelet un lang, lang i d’Auge g’luegt u g’seit: Grŏsätti höhn (böse)? Un i ha wohl g’merkt, wi aḷbe der Grosatt z’erst eso vor ihm anne g’sinnet u g’stụụnet het, wi de aḷben e Zitterigi un e Tschụ̆der dü̦ü̦r ihn gfahren ist bis z’usserist i d’Finger use, wi n er e Augeplick mi de Zän͜de uber enan͜dere ’bisse het u ganz wiḷd u böös dri g’luegt (d’Lüt hein ihms drum gar schlächt g’macht).

Lehrer.

De ist de ’s Buebeli choo u het gfragt: Grosätti höhn? De ist de däm d’s Augewasser choo; er het abg’wüscht, daß ’s niemmer het söḷḷe g’seh, u het g’lächlet und g’seit: Nei nei, Großätti lieb.31 Un iez no heißt es 521 gäng und gäng bim Ruedi: der Grosätti het aḷbe gseit... der Grosätti wurd ieze säge... wen ieze das der Grosätti g’sääch32 Der Bauer: «Aber ụ̈ụ̈s ist er o lieb gsii. Eme͜l dẹ dir gár! Dụ hest nid chönnen uufhören, ihm z’chụ̈̆derle und Bị̆si Bäsi u Tịịri Tääri u Fä̆der­lä̆sis z’mache; du hest ne ganz verbị́­ppääpelet. I täichen aḷbe dran, wenn üsers̆ Heu bim mụ̆derige Wätter so lang nid doore wiiḷ u mer’s̆ aḷḷ Augeplick müeße ga schüttle u aḷḷi chlịịnne Pätschgeli mit de Hän͜dde verschrịịße. Mi seit däm nid vergäbe, mi tüej ’s Heu grósatte

Lehrerin.

522 Aber auch das Grŏsmüeti kann sehr, sehr lieb sein;33 sei’s daß die muntere dicke Frau auf der Bank sitzt, die schönen runden Arme, die am Handgelenk in einer tiefen Falte endigen, übereinander geschlagen;34 sei’s daß sie, schi̦tter und gebrechlich, an die Sonne geführt wird und ihr mit aller Sorgfalt ein Kissen über die Bank gebreitet werden muß.35 Nicht umsonst hat Gotthelf dem «Sonntag des Großvaters» «Käthi die Großmutter» an die Seite gestellt! Der Bauer: «Un i gchenne meh weder eis Wiibsbiḷd, wo i sine beste Jahren es Rịịbịse, e Flachs­räffle, e Holzöpfe͜l gsi ist; das het aḷs e Grŏs­mueter no ’zahmet36 un ist no grụ̈ụ̈seli gärn es liebs Grŏs­müeterti37 gsii.»

«Mues es sii, Herr Meyer?» — Ja, ich habe hohe Zeit, wenn ich um 12.48 in Ramsei fort will. Besten Dank, Adieu!

Im Hime͜l ist es Brot. Di ersti Steufmueter, wo dert here chunnt, tarf’s aahaue; aber es ist no ganz. Solch böses Omen, dessen Zeichnung hier auf die Spitze getrieben ist, wird von Gotthelf38 in seiner Psychologie erklärt. Es geht hieraus auch hervor, warum Steufatt, ‑Bruder, ‑schwester, warum Haḷb­gschwisterti, warum Zo-n-an͜deri-Chind und andere nicht blutsverwandte Verhältnisse der Sprache gleichgültiger sind.

Den alten Begriffsumfang von «Knabe» zeigen noch amtliche Bezeichnungen wie: N. N., «ein Knab von 19 Jahren»,39 und die Älplersprache in den Versen: «Ich u d’Chnaabe müssen ăbe» (ab der Alp);40 «un uf der Wält si kener Lüt wi üser Chüejjerchnaabe.» — Dem entspricht unser Bueb. Der ursprünglich kosende Sinn41 des uralten Lallwortes,41a aus welchem in regelrechtem Lautwandel42 mhd. buobe entstanden ist, muß durch neue Verkleinerungs­formen ausgedrückt werden. Unsere Sprache betont in der Gegenüber­stellung von Bueb und Meitli hauptsächlich das Geschlecht, weniger schon das jugendliche Alter, Man sagt: er het e Bueb uberchoo, es ist e Bueb z’tauffe. Mini Buebe nannte Bitzius die halbwüchsigen Zöglinge der von ihm gegründeten Armenanstalt Trachselwald.43 Aber es heißt auch: «Die lustige Buebe si nümme hie; si̦ sị uf de Bärgen u hüete d’Chüe.»44 So lang daß ’s Bueben u Meitli git, so lang vergeit die Wält no nit. Buebe stellen sich nach der Konfirmation zum Huldigungseid.45 Etwa zwanzig Jahre alt war 1788 der «Seppli-Bueb» Ulrich Flückiger.46 Buebe, 523 d. h. junge Bauern, handeln um Vieh.47 «So n e Schnü̦ü̦rfli vo Bueb»48 wirbt um ein Mädchen — mit wenig Mühe, wenn dieses buebiger Art, zum buebele aufgelegt ist, und auch er selbst noch buebelet: sich als noch völlig unreifer, halt- und charakterloser Junge geberdet. — Der Würm-Bueb hieß um 1860 ein armer Idiot, dem alles ohne Unterschied als Nahrung gut gewesen sein soll. Dagegen ist die üble Bedeutung («Spitz­bueb»)49 erst durch Luther zu uns gekommen. («Bettler und Buben.»)

Vierzehnjähriger Knabe.

An einem ergötzlichen Mißverständnis illustriert Gotthelf die Fortentwicklung des Begriffs «Bueb» nach der einen Seite hin: zu der Bedeutung «Sohn». Us üsem Bueb git’s doch no öppis, meint der Knecht zum Meister. Der wundert sich ob solcher Prophezeiung über seinen Enkel, der noch ein Säugling ist. Da klärt ihn Sami auf: «Üse Bueb meinen i, üse Jakobli,» also den einzigen Sohn des Meisters, der auch unter den Augen des Knechts aus dem wenig versprechenden Jungen zum echt bäuerlichen Mann und Vater emporgewachsen ist.50 In solchem Sinne (Sohn, aus welchem was Rechtes geworden ist oder werden soll) redet auch der alte Bitzi vom jungen: «Der Bube wird, wenn er so fortfährt, ein ganzer Kerli, körperlich und geistig.»51 «Mein Bube ist 524 nie um eine Ausrede verlegen.»52 «Der Buebe wird ein grober Schweizer und hat Tücken wie ein Schweizer.»53 In selbem Sinn auch redet er zu Knaben und zu Schweizer-Schützen von des Tellen Bueb,54 dem Tellbueb.55 Ein Bauer sagt zum andern: «Es ist Gottes Wille, daß mein Bueb und dein Meitschi zusammenkommen,»56 und selbst ein armes Schulden­bäuerlein57 will sein Gütchen auf den Bueb übergehen sehen. In der Schule dagegen durfte der nämliche Peter Käser, der nume ’s Wäbers Bueb58 war, trotz seiner Fähigkeiten nicht ob d’s Statthaḷters̆58a und d’s Weibe͜l’s Bueb59 sitzen.

An solche Härzchäfer nun wendet unsere Mundart so fein abgestufte Zärtlichkeits-Verkleinerungen wie folgende: Der Büebe͜l, der mit robustem und energischem Wesen das bei Zeiten sich krümmende Häkchen vorstellt.60 Das Büebli, daß trotz seiner Kindlichkeit bereits des Zaums und der Zügel bedarf.61 Wie es denn auch zu einem stämmigen Angreifer heißt: «Büebli, laß dich nicht gelüsten! Ich bin der Hagelhans im Blitzloch.»62 Das Büebeli63 dagegen macht den Übergang zu den umlautlosen Formen, welche (wie z. B. auch in «Stubeli») die feinsten Abtönungen gestatten. Wir verstehen demgemäß unter Buebli das bereits größere, aber in seinem Buebli-Glück64 noch naiv gebliebene Kind.65 Das Buebeli, daß wir uns fast «nur mit Chruuse͜lhaare» denken können, läßt sich noch mit liebevollem Zureden leiten: «täich, Buebeli!»66 Das Buebi sodann steht als Rockbueb und als Erste-Hose-Bueb zwischen den letzten Windeln und den ersten Beinkleidern. Man vergegenwärtige sich den zärtlichen Klang eines «Buebi, mịs Buebi»,67 der im umgekehrten Verhältnis zu dem sonst erloschenen Gefühlswert dieser Endung steht.

Wie andersartig tönt uns aus der alten Zeit des «Bauern­spiegels» entgegen: der Bueb; der Johaneßli, der Christeli u der Bueb;68 der Bueb cha’s mache!69 Bueb, gang reich hurtig das und das!70 Bueb, bät!71 Der Bueb het das g’macht, der Bueb ist d’Schuḷd. We nume so ne Tonners̆ Bueb um enan͜dere wär, das men öppere chönnt d’Schuld gää! Nume so wi n e Bueb daharchoo!72 Der Bueb söḷḷ nid stercher si weder mị Bueb,73 525 söḷḷ nid weḷḷe gschickter sii.74 Chum Bueb u nimm oo! nachdem die Familienglieder ihr Teil erhalten.75 Das ist nid di Ätti, du bist nume der Bueb!76

Aber eben seit dem «Bauernspiegel» ist das Schicksal dieser Güeter­buebe (von den Gemeinde­behörden meist auf Bauernhöfe verdingten Knaben) ein so ganz anderes geworden, daß etwaige herzlose Behandlung als skandalöse Ausnahme aufs schärfste gebrandmarkt wird. Der Sprängbueb («gleichsam Telegraphie ohne Draht»),77 der Chäserei- oder der Miḷchbueb mit der Bränte;78 der Acherbueb79 (der beim Pflügen oder «z’Acherfahre» das Zugvieh führen und antreiben, z’Acher trịịbe muß); der Tawnerbueb80 (Sohn des Taglöhners und halbwegs selbst Taglöhner); der Schaf- oder Geißbueb; der Nüsse feilbietende «Nußbueb»:81 sie alle können bei Fähigkeit und gutem Willen es heute zu Hohem bringen.82 Keiner braucht mehr aus dem Güeterbueb ein Gassenbube83 zu werden, keiner sich später wegen vorlauten Wesens Schnŭ̦der­bueb84 (wo no mueß lehre d’Nase schnụ̈tze) schelten zu lassen; weniger noch ein Hŭ̦de͜l-,85 Lumpe-,86 Hunds-,87 Säubueb,88 Tüüfe͜ls­bueb,88a oder wegen liederlicher Geschätsführung ein Chääs-,89 ein Bauele-Bueb.90

Trotz Wustmann fahren wir in der «Sprachdummheit» fort, dem Titel «Tochter» (alt emmenthalisch, z. B. 1742, und noch konolfingisch «Tächter»)91 die Ausdehnung des franz. «fille» zu geben. Gerade so auch setzt sich bei uns mhd. maget sogar in seiner dreifachen Bedeutung fort: zunächst s. v. w. Tochter = lat. filia. «Sein Töchterli, ein Mägdli von 11 Jahren» (1789).92 So besonders in den verdunkelten Deminutiv­formen Meitli, im Wallis «Meitji», und mit Vergröberung dieses -j-: Meitschi,93 Mehrzahl gleichlautend, oder älter: Meitle̥ni,94 Meitsche̥ni.95 Meitli und Meitschi stufen sich nunmehr im Gefühlswerte derart ab, daß der bewußte Deminutivsinn bloß noch auf letzterer Form ruht: es rächts Meitschi96 (une fille comme il faut); es schöns Meitschi; das anmutige und sich sauber haltende Ärdbeeri­meitschi.97

Anders schon klingt: i bin es arms Meitli;98 das Anstaḷts­meitli;99 das «Schlafmeitli»100 (die Schlafgängerin). Kein Wunder, daß das Stuben­meitschi (die Kellnerin) und das Chin͜demeitschi höchstens die Grenze zwischen Herrschafts­familienglied und Dienerin 526 streifen, das Stube­meitli dagegen und das Chin͜de­meitli entschieden in die dienende Klasse hinunterrücken. In städtischer Sprache bedeutet «Meitli» ohne weiteres Magd, selbst die verheiratete und zu Jahren gekommene, so daß unser Meiteli (kleines Mädchen) sich wie ein ganz anderes Wort davon abhebt.

Meister.

«Ein Meitschi, Tochter vom Hause bin ich, und Lisabethli heiße ich!»101 Wie selbstbewußt und stolz klingt diese Belehrung, die die Bauerntochter dem städtischen Leutnant angedeihen läßt, der mit seinem «Verzeiht, Jungfer Lisabeth» sein wohl­klingendstes Flauto dolce-Register gezogen zu haben wähnte. In der Tat hat Jumpfer Esther,102 Jumpfer Sophie,103 Jumpfer von Elm104 und das alleinstehende Jumpfere105 bei uns denselben Klang wie bei Ostschweizern und Deutschen der Titel «Fräulein»; nur daß der Berner bei Anwendung seiner Auszeichnung weit zurückhaltender ist und sie durchaus gleichbedeutend mit Stadt­jumpfere106 setzt. Dem entspricht auch der Tadel z. B. der Nidwaldner auf ein eitles, hoffärtiges Mädchen: «es ist es rächts Jimpferli107

Um ungezählte Stufen höher steht die Jungfrau, deren charakter­istische Reinheit sich bedeutungsvoll auch in der Reinheit der Wortform abprägt. In diesem Sinn ist z. B. der Name unseres majestätischen Berner Alpen-Berges zu verstehen, der ebenso durch seine orographische Lage, wie durch den ätherisch feinen Schleier108 den «weißen und schwarzen Mönch» (Mönch und Eiger) sich sozusagen «drei Schritt vom Leibe» hält.

527 Um so bemerkenswerter ist die Verwendung der nur wenig vulgarisierten Form Jumpfrau im Sinn von bäuerlicher Dienstmagd oder städtischem «Meitli». Der Unterschied gegen die «Jumpfere» oder das «Fräulein» ist selbst so feinen Städter-Ohren wie denjenigen Gotthelfs und seiner Tochter entgangen,109 so daß beide ebenso häufig «Jumpfere» wie halb schriftdeutsch «Jungfer» und «Jungfräuli» schreiben. Die Vermischung wird natürlich verdeckt durch die rein schriftdeutsche Form «Jungfrau»,110 welche wir z. B. auch 1825 111 und 1790 112 in der Bedeutung «Magd» antreffen. Korrekt mundartlich sind dagegen Kompositen wie Stube­jumpfere113 (Kellnerin) und Meister­jumpfere114 (erste Magd, Obermagd, dignitär sehr verschieden von der «Stütze der Hausfrau»114a oder «Gehülfin»),115 da hier die Vorsetzung eines ersten Wortteils die Kürzung des zweiten unbedingt fordert.

Langjähriger Melker.

Die Bedeutung «Magd» aber, die sich gerade an die älteste Wortform «Jungfrau» gleicherweise wie an mhd. «maget» knüpft, spiegelt vortrefflich das alt patriar­chalische Familien­verhältnis ab, das auch in unsern gut bäuerlich gebliebenen Kreisen weiter lebt. Wo Bauerntöchter neben Taglöhnerinnen am Waschbrett, und Millionärs­söhne neben Erdknechten an der Ackerfurche stehen; wo dieselben Finger am Werktag die Fegbürste und den Kochlöffel handhaben und Sonntags am Klavier «durch die Saiten meistern»: da darf getrost auch zur Mahlzeit die erste und letzte Magd neben der Meisterfrau116 als der Herrin des Hauses und ihren Töchtern auf dem Vorstuhl, darf der Taglöhner und 528 Knecht neben dem Sohn des Hauses auf der Wandbank Platz nehmen. Wo ferner ein Bauer soweit schaut und so human denkt, daß er in der arbeitsarmen Winterszeit auch von einem Dutzend Knechte keinen entläßt, und dafür auf desto größere Arbeitswilligkeit «i de große Wärhe» rechnen darf: da ist es durchaus nichts Unerhörtes, «daß treue Dienstboten sogar wie ein Erbstück vom alten Meister auf den neuen Hofbesitzer übergehen». So lebt auf einem Hofe in der Gemeinde Trachselwald ein Knecht, der schon drei aufeinander folgenden Generationen gedient hat. Diese Beispiele wären zu vermehren. Man vergegenwärtige sich an vorstehenden Bildern das 70jährige Zusammenleben des Waldhausbauers Ulrich Haueter (S. 526) mit seinem Knecht Urich Lüthi (S. 527).117 Mit Vergnügen reihen wir diesen Bildern dasjenige des dreiund­sechzigjährigen, noch in voller Manneskraft stehenden Meisterknechts «Moser-Hänseli» (Abb. S. 529) an, der seit vierunddreißig Jahren der nämlichen Bauernfamilie dient. Die goldlautere Treue solcher allerdings auch gut und in hohen Ehren gehaltenen Dienstboten macht den alten Erfahrungssatz glänzend zu Schanden, bis nach zwei Dienstjahren sage ein Knecht: dem Meister sị Sach, bis zu siebenjähriger Dienstzeit: üsi Sach, und schließlich: mị Sach. Die also gefaßte Formel will aber namentlich jungen und gutmütigen Meisterleuten, sowie Witwen die richtige Politik gegenüber allen Diensten (Dienstboten), sonderlich gegenüber dem Meister­chnächt118 und der Meister­jumpfere einschärfen. Solche Politik enthält Maximen wie folgende: Häb nid meh Dienste, weder daß d’ haa muest,119 und we’s mit dịne Lüten aleini mache chaast, gar kener. Dieser bäuerlichen Politik unterzieht sich, um weniger günstig gestellten Mitbauern nid bös’s Spịịl z’mache, auch Einer, dem seine Mittel erlauben und seine Weitsichtigkeit und Weitherzigkeit gebieten, über Winter sämtliche Knechte zu behalten. Er tut es, indem er beim «Umefraage» an Weihnachten ausdrücklich bemerkt: es wär mer lieber, es giengi zwee oder drei furt. Denn auch er kennt den Erfahrungssatz: Einer mag g’choo; zwee hei Müej; drei stöö enan͜dere numen im Wäg. Für die Behandlung der Behaltenen aber gelten die Regeln: zahḷ se rächt!120 Leg se rächt! (weis ihnen zuträgliche Schlafstätten an.)121 Mach, daß si am Fürabe un am Sundig o a mene rächten Ort chöu sii!122) («Sami war im Stall daheim, Mädi in der Küche; in der Stube waren sie z’Visite.»123 «Die Diensten sind keine Hunde; je vornehmer man 529 sich gegen sie beträgt, desto gemeiner werden sie.»124 Bhäb se so lang de nume chawst,125 u sorg no fü̦ü̦r s̆e̥, we d’ s̥e furtschickst.126 Gib ne nid es faltsches Zügnis, aber o nid eis, wo ne ’s Wịters̆choo verhet («verhält», unmöglich macht).127 Kümmere dich um ihr leibliches128 und seelisches129 Wohl. Dagegen hüte dich vor Vertraulichkeiten130 und namentlich davor, sie in deine Familien­geheimnisse einzuweihen.131 — Mit solcher Weisheit zieht man noch heute «Diensten»132 heran, welche beherzigen, «wie unser Pfarrer und das Dienen ausgelegt hat»133 und damit das Verhältnis zu den Meisterleuten134 richtig auffassen.

Meisterknecht in 32-jährigem Dienst.

Die Abwesenheit scharfer Standes­unterscheidung zeigt auch die Geschichte des Wortes «Knecht». Wie wahrscheinlich «Degen» und «dienen»,135 wie «Knabe» und «Knappe», so gehören zusammen die alte und die neue Bedeutung von Chnächt. Jene, die sich am schönsten in englisch «knight» (Ritter) wiederspiegelt, klingt z. B. nach in Gotthelfs Glückwunsch: «Mich freut’s, daß ein junger Knecht bei euch angestanden136 (ein Knabe euch geboren) ist», und im Nidwaldner Ehrentitel «es Chnächtili»137 ein wackerer Junge. Er ist scho fei e chlii e Chnächt! sagen auch wir ermunternd vor den Ohren eines dienstfertigen Kleinen, und selbst von der Bezeichnung eines Schulgehülfen als «Knecht»138 ist es noch weit bis zum gering­schätzigen «er ist nume der Chnächt!»139 «Der Chnächt söḷḷ...», «wo ist mi Chnächt?» usw.140 Einmal aber in die besondere Klasse der Dienerschaft verwiesen, stellt sich ziemlich weit über den Härd­chnächt141 (Ackerknecht) und den Roßchnecht (Pferbewärter) der Meister­chnächt des Bauernhofes und der Staaḷ­chnächt des Gasthofes. Der Chaarer aber und erst recht der Mäḷcher denken natürlich gar nicht daran, in ihren Titeln mit de Chnächte auf eine 530 Linie gestellt zu werden, wenn sie auch mit ihnen die Schlafgelegenheit teilen und, wie sie, jeweils auf Weihnacht neu gedingt (ume g’frăgt) oder stillschweigend entlassen werden (nid ume g’frăgt, nämlich, ob sie ihr Dienst­verhälinis neuerdings fortzusetzen Willens seien). — In unserem Wort «Infanterie» für «Fußvolk» konnte das it. infante (franz. enfant) bis zur Bezeichnung des «Fußknechts» gegenüber dem Ritter gedeihen. Somit sehen wir selbst das Chin͜d, Mehrzahl: d’Chin͜d in diesen alles einschmelzenden Fluß der gesell­schaftlichen Rangstufen einbezogen. Doch nicht in unserm Idiom. Ob das Zwei- oder Drei-Kinder-System für möglichst unzersplitterte Erfolge des Stammhalters sorge, ob gegenteils der emmenthalische Durchschnitt von sechs Sprößlingen142 durch einen «überkindeten»143 Vater bis auf die Zahl von 16 überschritten werde,144 und ein Wirt in Schwanden sieben Söhne miteinander in den Mititärdienst schicke: vom Eḷtiste bis zum spätgebornen Nästputz145 sind sie eme͜l da, un ist e keis z’viiḷ. Es ist numen es Chin͜d,146 allein es ist der Eltern Höchstes.

Üse (d. h. der Unsrige) heißt es mit gleichem Stolze dort vom Einen, hier vom zunächst ausersehenen Berufs-Nachfolger. «Mir hei’s Üsem scho lang gseit, er söḷḷ wịịbe.»147 Eine Verwendung des Possessivs, die auch sonst eine enge Zugehörigkeit ausdrückt: «Das ganze Dorf war stolz auf Hans; er ward allgemein nur ‹Üse› genannt: mi mues ’s Üsem säge; Üse wird das scho mache.»148 Üsi: die Unsrigen, die Familien­angehörigen.149 Gegenseitig von Eheleuten: Mị̆ner, Dị̆ner, Mini, Dini. «Minen lächereti ’s no, wenn i sturb.»150 «Mini daheim het wieder g’chääret.»151 Um einen Grad weniger vertraulich steht hiefür der Taufname («O Großvater, der Gläis ist ja so brav!»152) «Was i mache, ist Vrenelin rächt!»153 oder der Geschlechtsname («der Schmelz»).154 Ähnlich in der Anrede («aber Daniel!»).155

Eine andere Bezeichnungsart des Sohnes ist: der Jung. I ha d’ Sach dem Jụnge ubergää; der Jụng cha iez luege. Dem entspricht im Gefühlswert die Bezeichnung des Vaters als der Eḷter (woneben «die Elteri» nicht existiert). Roh dagegen klingt in diesem Sinn die Aḷti, der Aḷt, sogar in unverschämter Anrede: «Alter, mach vón de̥r, mach fü̦re!» (Geld her)156 Auch nicht gerade lieblich, jedoch arglos, klingen die gegenseitigen Anreden unter Eheleuten: «La g’seh, Alter, worum chunnst so spät!»157 «Die Weiber fahren den Männern 531 mit den Ellbogen in die Seiten: auf, Alter, auf!»158 So auch kehrt man etwa heim zo sị̆r159 oder zo sị̆m Aḷten,160 obschon der Ausdruck auch ganz neutral sein,161 ja einen hochgeschätzten Gatten162 bezeichnen kann. — Die gewöhnlichste Benennung sowohl des Vaters als des Ehemannes ist Drätti. O Drätti, chum lueg doch hurtig! Üse Drätti ist afe schĭ̦tter (gebrechlich) u mag nümme rächt năhe. «Aber was sieg (que dirait) der Drätti?» Antwort: «Der Drätti sieg nụ̈ụ̈t.»163 Zum Ehemann: «Seh, Drätti, hiḷf o ịịschäiche!»164 In gelinder, nicht so böse gemeinter Schelte: O Drätte͜l! (was schwatzest du da! was stellst du Schiefes an!)

Ds Niederhuus-Muetterli (geb. 1833).

532 Auch wo sicherlich dieses «Drätti» mit angewachsenem Artikel165 gemeint ist, glaubt man bisweilen der Ätti166 (und kindisch: «mine d’r Atti»167) schreiben zu müssen. Allein das wirkliche Ätti mit beweglichem Artikel («wir wollen dich für den Ätti haa, seiest wunderlich oder nicht»;168 «müeßt nid um den Ätti grịịne»,169 oder dessen Ersatz («da oben ist ein anderer Ätti»;170 «ich fand keinen Ätti»)171 ist unserer Mundart nicht geläufig. Noch weniger das artikellose «Ätti», das aus dem Vokativ172 auch in den Werfall173 übergegangen ist. Immerhin weiß unser Sprachgefühl es mit Sicherheit als Deminutiv174 aus dem bei uns ebenfalls seltenen «Att»175 abzuleiten. (Vgl. oberhasl. «Dratt».)

Stellt «Ätti» sich doch unmittelbar zu Müeti, dem Korrelat zu «Drätti», mit gleicher Vollwertigkeit dieses uralten Deminutiv-Suffixes -i! Drätti u Müeti sind ebenso gewöhnliche Bezeichnungen der Eltern selbst noch im Munde längst erwachsener Kinder, wie der Eheleute unter sich und vor der Welt. («U ’s Müeti müeßt er o mitbringe!»)176 Den ganzen Umfang mütterlichen Schaltens und Waltens umfassen: das Müeti am Rad;177 das Müeti am Schlachtungstag, das von allen Ecken und Enden her angerufen wird: «Müeti, du söḷḷist..., Müeti, worịị söḷḷ i das tue?..., Müeti, i glaube..., Müeti, gschwin͜d e Mälchtere!»178 das Müeti, welches «denkt»;179 das gute Müeti, das nichts genießt, ohne den Kleinen ihr Teil werden zu lassen;180 «ach, Müeti, wie sị mịni Füeßli so chalt!»181 das Müeti, dem das Großkind lebenslangen Dank verspricht;182 das Müeti, das der heimgekehrte Sohn nicht mehr findet;183 Müeti’s Tod.184

Eingeschränkter, aber dafür noch gemütstiefer ist das umlautlose Mueti: «es brav’s Mueti»;185 «lieb’s Mueti, weine nicht!»186 «Mueti, bät doch für üse Vater!»187 «das Mueti, dessen Augapfel Fritz war...;»188 «i ha’s daheim dem Mueti g’seit.»189 «Die sogenannten Mannleni und die Hausmueteni, die sich auf dem Markte gern lange säumen.»189a

Natürlich kommt neben der gestutzten auch die verlängerte Koseform für «Mutter» in Gebrauch; und zwar erscheint viel häufiger als Müetterli190 («Mütterchen») das tief gemütvolle Mueterli. «Wenn ihm das Mueterli abgehen sollte, er wüßte nicht, wie es ferner machen.»191 «Wo findet sich ein rechtes Mueterli ohne Angst um den Ätti?» «Denn 533 was sollte das arme Mueterli auf Erden ohne den Ätti?»192 «Hoffmann der Tawner und sein Mueterli.»193 «Das treue Mueterli hörte des Ättis Trappen vom fernsten Ecken her.»194 «Er wolle uustreiche u ga luege, was sịs Mueterli mach; es wärd afe Längizịti haa.»195 «Das gute Mueterli hatte die Kinder aufmerksam gemacht auf den Spaß, den Vater sich einmal verschlafen zu lassen.»196 Mädelis eben erwachtes Kind «lächelte ihm ganz holdselig zu, als ob es sagen wollte: ja, Mueterli, du hesch Recht, und du bist ein guetes Mueterli.»197 Das seiner Mueter systematisch entzogene Kind stirbt in der «Pflegerin» Armen. Aber «so lange seine Augen sehen konnten, sahen sie innig zur Mutter hin, als ob sie sagen wollten: O Mueterli, Mueterli, hilf mer; und seine Hand blieb in Meyelis Hand, als ob sie alleine warm wäre und lebendig.»198

Dem Mueterli entspricht in der Form, aber lange nicht im Gefühlswert Vătterli,199 das sich eher wie eine schattenhafte Nachbildung ausnimmt. Viel gemütreicher klingt die Grundform selbst: Vătter. Vatter u Mueter sind denn auch die Benennungs­weisen, die bei der jüngern Generation mehr und mehr zur Mode werden, und zwar «Mueter» auch gegenüber der Ehefrau,200 unter Umständen selbst, wo es die Schwiegermutter angeht.201 Der Grundform «Mueter» wohnt, neben die von ihr abgeleiteten Koseformen gehalten, etwas Solennes, Hoheits- und Würdevolles inne. «Jetzt mußt du die Mutter sein!»202 «Es muß noch ein artig Wesen sein bei euch, daß du so viel von der Mutter sagst! Hie ume (hier herum) sinnet man an die nicht, als wenn öppis wüst’s z’machen ist, oder öpper a neuis d’Schuld sii söll.»203 Wie hoch steht die Winkelriedstat einer Frau und Mutter in der «Schwarzen Spinne»204 wie hoheitsvoll klingt der mütterliche Abschied im «Pächter»205 — Auf die Art ihrer Hingebung aber deutet die Redensart: en an͜deri Mueter het o n es (liebs) Chin͜d; auf ihr oft einseitiges Walten das Sprüchlein: e flịịßigi Mueter het e fụ̆li Tochter. Die eifrige Sorglichkeit hinwieder spiegelt sich in Chin͜de­mueter, Chüechli­mueter, Säumueter u. dgl. — (Schraubenmutter = Muetere, Essigmutter = Muetere, «Mueter».)206

Wie vornehmelnd stechen hievon ab all die «Papas» und «Mamas»,207 die man nicht bloß in städtischen Kreisen,208 sondern auch gelegentlich in sich hervortuenden Bauernhäusern zu hören bekommt! Die Benennungsart wird erklärlich durch die Herzlichkeit, womit im ländlichen Pfarrhauston das Papali und das Mamali unter sich und vor der Welt verkehren: 534 «Aber, Papali, wie redst du oo!»209 «’s Papali het mäṇ’gist g’seit...»210 «So ein Mamali kennt ihren Papali durch und durch.»211 «Was der Pfarrer zu seufzen hatte, das verseufzte er nur vor seinem Mamali und vor Gott.»212 «Das Pfarrfrauchen hütete das Mittags­schläfchen ihres (alternden) Papas.»213 Kinderruf durchs Dorf: «Mama, Mutter, die Erdbeerifrau ist wieder da!»214 — Mama Eva,215 Papa Moond.216

Wie weitreichend also ein bäuerlicher Familienkreis! Seinen numerischen Umfang zeigt uns ein erster Blick auf die Photographie eines Mittagstisches (s. Abb.), seine ethische Bedeutung allerdings bloß der erfahrne Tiefblicks des Gesellschafts­kundigen. Denn auch die Sprache redet wenig davon, wie viel Sinn für wirkliches und schönes Familienleben gerade im Emmenthal217 zu finden ist. Keine Redeblume kennzeichnet den Hausvater, der den Abend im Familienkreise zubringt und wenigstens noch vor dem Schlafengehen sich den Dienstboten zeigt, keine Redensart die Sorge und Angst um ein ungewöhnlich lang ausbleibendes Familienglied. (Vgl. Gotthelfs Gattin an ihren studierenden Sohn: Chum heim, we d’ witt, aber gäb d’ i’s Bett geist, chumm mer no cho guet Nacht säge!) Auch die allumfassende mütterliche Sorge, die sich bis auf den Güterbuben218 ausdehnen kann, hüllt sich in würdevolles Schweigen. Selbst von persönlichen Großtaten erzählt unsere Sprache nicht in der Art, wie etwa die französische Heldensage z. B. in «Ronceval» (dem bis zu uns gedrungenen Rụ́nzivaḷḷ, soviel wie Klemme, verhängnisvolle Lage) den «Klein Roland» verewigt hat. Höchstens einige karge und trockene Zahlen und Namen vorn in der Familienbibel können Nachgeborne mahnen, «an der Familien­geschichte aufzuwachsen, wie am Spalier der edle Fruchtbaum»,219 zugleich aber vor egoistisch verbohrter «Familiensucht»220 wie vor einem unsichtbar verheerenden Hausschwamm sich zu fürchten.

Wir haben in Vorstehendem den Familienkreis als identisch mit der täglichen bäuerlichen Tisch­genossen­schaft behandelt. Bei Gelegenheiten aber wie an Tauf- und andern Familienfesten erweitert sich der Kreis derart, daß zugleich an ihm die ganze Tragweite des Verwandtschafts-Begriffs zur Veranschaulichung gelangt. Verwandte hat begreiflich auch bei uns der arme Schlucker bei all seiner Bravheit nur wenige; wie viele zählt dagegen der gesellschaftlich Hochstehende! Bei genauem Nachrechnen sind Die und Die o no chlịị z’säme verwandt, wenigstens (wie das spöttische Bild hierüber lautet) i de Zeejjen u̦sse. Si sind 535 z’säme z’an͜dere Chin͜de, sind g’schwisterti Ofehüsli (s. «Haus und Hof»), wenn sie scho chḷị wịt u̦sse von Geschwistern stammen. Sonst hat für Art und Grad der Verwandtschaft unsere Mundart, außer der so elastischen Bezeichnung «Vetter» und «Base» keine Ausdrücke. Mit unserm Hofsystem vertragen sich nicht einmal die inc-hov-un oder «-iken» (individuelle Gründungen), geschweige die -ing-un (March- oder Sippen-Niederlassungen221 der Ebene); das alte Wort «Mage» aber für «Sippe» (vgl. S. 371) besteht bloß noch in den auf «Magen» übergedeuteten221a Schelteformen: du Ssaumăge! (Sau!) du Chuemage! (Kuh!)

Gleichwohl ist unsere Sprache nicht um Auskunftsmittel verlegen, wenn es gelegentlich eine genaue Bezeichnung eigener oder fremder Verwandtschaft gilt. Einer zweibeinigen Genealogie wie dem geschwätzigen Müssiggänger Haagpeter macht es wenig Mühe, festzustellen, daß irgend ein Dorfgenosse, z. B. «de̥m Wäber sị’r Steufschwester ihre Maa»222 «Gyger Ruedis Mueters̆ Haḷbschwesters̆ Suhn sịịg»,223 und Dorfbasen haben sich für einmal nichts Wichtigeres zu offenbaren, als «daß Chlausli-Jöre-Joggis-Samis-Sami wieder zu Kreuzertrini’s Tochter gehe.»224

 
1 Verschieden von derjenigen im Bild «Bauernfamilie am Mittagstisch».   2 Michel 155.   3 Schweizer (1764).   4 SchM. 1, 90; Ger. Tw. (1786).   5 SchM. 1, 186; BSp. 159.   6 BwM. 135.   7 Wittwer: BSp. 122; Schuldb. 18; Geltst. 11, 342 344; Heiri 80 73; Michel 241; Ztgst. 1, 22.   8 Witwen («Wittweiber»): MW. Ws. 94; Ztgst. 2, 120; Ott 1, 26; Schuldb. 304; Geltst. 129 344; BSp. 64; SchM. 1, 286 und ö   9 Vgl. Käs. 352: «vo dir (deiner Verwandtenseite) her».   10 AB. 2, 262: «wit use».   11 AB. 1, 39; vgl. SchM. 1, 112; Beitr. 95; MW. 2J. 82.   12 UK. 144.   13 MW. Anna. 251.   14 AB. 2, 262; Schuldb. 57; Überraschung 340; Fr. Pfr. 54.   15 «Baase»: AR. 1811, 155.   16 Besuch 170.   17 Burri VI.   18 SchM. 1, 136.   19 Schuldb. 364; Ball 50 68.   20 GG. 2, 78.   21 GG. 2, 100; Schuldb. 235.   22 Erbv. 8; Käthi 417; UK. 143.   23 Burri IX; Spinne II.   24 UK. (1813), 246.   25 AB. 2, 247.   26 Vgl. GG. 3, 68.   27 An AB. 114.   28 Sonnt. 119.   29 BSp. 129.   30 Kuhn 1.   31 Vgl. Druide 188; Schuldb. 295 301 318.   32 Sonnt. 133.   33 Heiri 102; Käthi 13 70 f.   34 BSp. 129.   35 Joggeli 37.   36 AB. 2, 112 f.   37 Vögelein 137.   38 Arm. 118.   39 Ger. Tw. (1792).   40 Wyss j.   41 Kluge5 56 f.   41a Vgl. engl. baby, frz. bébé = Wickelkind; das Bääbi = die Puppe.   42 ebd.   43 Ammann JG. 8.   44 Vgl. Segen 72.   45 SchM. 1, 85.   46 Ger. Tw.   47 Schweiz 1900, 510.   48 AB. 1, 162.   49 Käs. 176; Geiser Aw.   50 AB. 2, 153.   51 An AB. 71.   52 Ebd. 81.   53 An JR. 109.   54 Tell 7, 177.   55 Schweizer 324; vgl. ebb. 319.   56 GG. 2, 106.   57 SchM. 1, 36.   58 Ebd. 66.   58a Ebd. 67.   59 Ebd. 65.   60 MW. 2J. 219 239 244; SchM. 1, 386, 2, 157.   61 Käthi 17 Hs.   62 UK. 468.   63 AB. 2, 217.   64 Ott 1, 5.   65 Müll. Hk. 59; Sonnt. 135; Käthi 122 Hs.   66 Käthi 17 Hs.; 108 f, Hs. (Beiträge 675); 122 f.   67 Käthi 25. 14. 18. 93 Hs. 193; UP. 177; AB. 2, 231; Ztgst. 2, 16 42; Besuch 158.   68 BSp. 73.   69 Ebd. 77.   70 UK. 177.   71 Alte Gesch. 265.   72 GG. 2, 109.   73 BSp. 78.   74 Ebd. 85.   75 Ebd. 130.   76 Ebd. 74.   77 Gf. SF. 1902, 244.   78 Widm. 84   79 GG. 2, 136.   80 SchM. 2, 310.   81 Tribolet 28.   82 Ztgst. 2, 74.   83 BSp. 96-107.   84 Ebd. 27, 419.   85 UK. 416.   86 Alte Gesch. 276.   87 Käs. 217.   88 Amtsr. 99.   88a BSp. 416.   89 Käs. 183.   90 UK. 394.   91 Widm. 85 179; Müll. LK. 70; Lischeb.   92 Ger. Tw.   93 GG. 2, 50; Ott 1, 44.   94 MW. Ws. 40, 112.   95 SchM. 2, 48.   96 Ebd. 2, 64; vgl. 258.   97 EbM. 274.   98 Elsi 49.   99 MW. Ws. 102.   100 MW. Anna 237.   101 Land 60.   102 MW. 2J. 275.   103 AB. 2, 441.   104 MW. Ws. 28.   105 MW. 2J. 222 und ö; SchM. 2, 414; Kuhn AR. 1812, 116; 1819, 191; Wyß j. 1811, 157.   106 Land 61.   107 Nidw. 33.   108 Vgl. Melchthal in Schillers Tell.   109 Doch vgl. MW. 2J. 272.   110 Spinne 9 uö.   111 AR. 1825, 238.   112 Ger. Tw.   113 Käs. 35.   114 MW. 2J. 214; SchM. 1, 155; UK. (1841) 19.   114a MW. 2J. 208 f.   115 Ebd. 199.   116 Käthi fin; MW. 2J. 166; Beitr. 112; BSp. 36.   117 OB. 1903, 27 (das cliché gehört Herrn Redaktor Bärtschi). Vgl. auch SB. 1904, 8; Bitt. Th. 6.   118 Wege 315.   119 Vgl. BSp. 137.   120 UK. 82.   121 UK. 82.   122 UK. 184.   123 AB. 1, 410.   124 UK. 82.   125 MW. 2J. 277.   126 Käthi fin.   127 UP. 165 ff.   128 UK. 95.   129 UK. 17.   130 UK. 279-285.   131 BSp. 118.   132 Schon mhd. «der dienest» = 1. Diener, 2. das Gesinde, wogegen man für nhd. «Dienst» auch «das» dienest sagen konnte. Mhd. WB. 1, 371.   133 UK. 31. ff.   134 UK. 5 ff.   135 Kluge5 72.   136 An AB. 79.   137 Nidw. 33.   138 SchM. 1, 123.   139 UK. 278.   140 UK. 262.   141 UK. 285.   142 Trub 30. 97.   143 Michel 190.   144 Berger 5.   145 SchM. 1, 56.   146 AB. 2, 178 193 195.   147 GG. 3, 21.   148 Ztgst. 1, 181.   149 AB. 1, 318.   150 SchM. 2, 296.   151 Dursli 249 Hs.   152 Sonnt. 108.   153 MW. Ws. 70; vgl. Amtsr. 131; Müll. LK. 40 uö.   154 MW. Ws. 27.   155 Ebd.   156 Ztgst. 2, 84.   157 BSp. 108; vgl. 110; MW. BK. 19.   158 Käs. 189.   159 MW. BK. 54.   160 Ebd. 41.   161 UK. 144.   162 UK. 21.   163 Lischeb. 18.   164 Gf. SF. 1902, 277.   165 Vgl. frz. le l-en-demain, le l-oisir, le l-ierre und dgl.   166 SchM. 2, 47; Arm. 133; MW. 2J. 86.   167 Müll. LK. 53.   168 Barthli 25.   169 Kuhn.   170 SchM. 1, 47.   171 BSp. 288.   172 Vögelein 141; SchM. 1, 18 46; AB. 1, 35.   173 Ott 1, 19.   174 Statt nach schwz. Id. 1, 585 aus Biegungsformen.   175 AR. 1813, 247 gleich neben «Ätti».   176 Gf. SF. 1899, 81.   177 Dursli 245.   178 Gf. SF. 1902, 244.   179 Ott 1, 29.   180 SchM. 1, 3l.   181 Ott 1, 19.   182 Käthi 56.   183 BSp. 288.   184 Schlachtf. 319 f.   185 Geltst. 11.   186 Käthi 26 Hs.   187 Geltst. 232.   188 Nschwander 11.   189 SchM. 1, 157 Hsa.   189a UK. 119.   190 Ott 1, 19; Geltst. 308; AB. 1, 408.   191 GG. 1, 15.   192 Geltst. 312.   193 Nschwander 9.   194 Geltst. 311.   195 BSp. 374.   196 SchM. 2, 474.   197 Ebd. 155.   198 AB. 2, 176.   199 Ball 27.   200 Geltst. 343.   201 GG. 1, 19.   202 Heiri 103.   203 GG. 3, 86.   204 84.   205 UP. 293 ff.   206 SchM. 2, 234 Hsa.   207 BSp. 178.   208 Lischeb. 18.   209 AB. 2, 243.   210 AB. 1, 351.   211 2, 71 (herrlich!)   212 2, 234.   213 1, 350.   214 EbM. 261.   215 BSp. 354.   216 Ebd.   217 Schweizer (1704).   218 GG. 3, 160.   219 GG. 3, 109; Ztgst. 1, 119.   220 GG. 2, 98.   221 Gfd. 42, 196.   221a vgl. schwz. Id. 4, 100.   222 MW. 2J. 134.   223 Ebd. 190.   224 BSp. 395.  
 

Mann und Frau, Bauer und Bäuerin.

«’s Amt Trachselwald het urchig’s Holz, u Manne stierestarch u stolz.» Dieser der Trachselwalder Wappentanne durch Wilhelm Spieß gewidmete Spruch in dem durch Münger erneuerten Berner Kornhauskeller kann füglich aus dem Geist jener großen Stelle bei Gotthelf heraus gedichtet sein: «Drei Dinge dürfen ‹Mannen› nicht fehlen: ein weiser Rat, ein festes Wort und saubere Finger. Ohne andern Titel bilden solche ‹Mannen› eine große unsichtbare Macht, sie sind die Felsen am Meeresstrand. Die Mannen machen einfach durch ihre Persönlichkeit den Dorfgeist, machen Zucht und Ordnung. Sie sind die Volksratsherren, zu welchen Witwen und Waisen, zu welchen alle Bedrängten und Ratlosen zu Rate gehen.»1

Aus dieser Idee des Mannes heraus, welche in dem ganz eigenen Worte sich spiegelt: d’Manne hei gseit...,2 ist vor allem der Vertrauensmann in öffentlichen und privaten Angelegenheiten gedacht. Zunächst also die Staatsmänner, denen Gotthelf satyrisch die «Staatsleute»3 und in Wahl­angelegenheiten die «Panduren»4 entgegensetzt; die Manne5 als Gmeins­manne;6 Manne als offizielle Schulexamen-Besucher;7 536 die «Gerichtsmannen»;8 die Anschicksmänner (er het ĭ̦hm Manne g’schickt,9 nämlich zur «Ụụsmachete»); die Manne als Rechtsbeistände.10 In solchem Sinne versteht sich die «mannliche Offenheit»,11 das «mannliche» Auftreten.12 Ebenso ist der derb drollige Satz: «selbiger Doktor gab die Tränker mannhaft»13 — ganz aus dem Geiste des Dialekts heraus gedacht, wenn ihm auch nicht geläufig.

«Ummannen»14 aber (von umringenden Angreifern gesagt, vgl. «übermannen») knüpft an die körperliche und intellektuelle Vollkraft an, die dem Maa auf der Höhe seines Lebens eigen ist. Tritt dazu die Idee moralischer und sozialer Vollkraft, welche wir in den «ganzen Mann» hineinschauen, so spiegelt die Sprache dies ab, indem sie z. B. den «Staats-», den «Schul-», den «Kirchenmann» als vollwichtigen Vertreter eines großen und weittragenden Wirkungskreises hinstellt.

Wie bald aber ermüdet dieselbe Sprache gleichsam auf solcher Höhe! Sie tut es im nämlichen Maße, wie sie den «Mann» als Vertreter auch eines gewöhnlichen Erwerbszweiges zum «me̥» verflachen läßt.15

Daher auch mehrere hier einschlägige Burger­geschlechts­namen wie Wịịmme̥ = Weinmann (Wuḷḷe-Wiimme’s); Ledermann; der Wirt Leonhard Glanzmann in Rahnflüh, als Bauernführer enthauptet 8. Juni 1653; heute: Glanzme̥; das Saḷzmehuus.

Wenn dem «Landmann» als Synomym ein «Bauersmann» zur Seite gestellt wird, so zeigt dies, wie auf diesem Wege «Mann» allmählich sogar als gedankenloses Analogon und schließlich als bloßes Wortfüllsel sich anfügen kann: Vettermaa16 und dgl.

Wenn hinwieder eine Frau ihren Ehemann, der sich einmal unglücklich als Markteinkäufer aufgespielt hat, mit dem Spott überschüttet: du bist e ganze Määritmaa!17 so zeigt eine solche Gegenüberstellung gegen die Määritfrau (das Marktweib) den Weg, auf welchem «Maa» zu der ganz spezifischen Bedeutung «Ehemann» vordringen konnte. «Määrit­frau» ist eine aus gewohnten Verhältnissen natürlich, erwachsene Bezeichnung; das ad hoc erfundene «Määritmaa» dagegen stellt den unglücklichen Einkäufer in seiner ganzen komisch unpassenden Situation hin und stellt dagegen (als «Argument aus dem Gegensatz») den Mann an seinen richtigen Ort: als Vertreter der Familie vor der Öffentlichkeit, als Träger ihres Namens, verantwortlich für ihren Wohlstand und ihre Achtung.18 Drum gibt es kaum einen edlern Stolz und 537 ein gehobeneres Vibrieren der Stimme, als wenn eine rechte Frau vor der Welt sagt: mị Maa. — Allerdings, wenn ein Weib behauptet: «mi Maa wott’s, mi Maa het’s g’seit, mi Maa het bifohle..., so kann man darauf zählen, daß unter hunderten wenigstens sechzig Mal die Frau dahinter steckt.»19 Dafür aber, «wenn ein Weib dem Mann im Hause des Tages schon hundertmal Löhl sagt, so will sie doch außer dem Hause eitel auf ihn sein, und keiner soll ihm ins Licht stehen».20 Und gerade Frauen wie Mädeli, die «nicht meinen, die Mannen seien nur für sie da»,21 beweisen eben mit durch die Anwendung dieser ungewohnteren, drum gehobenen und solennen Mehrzahlform,22 daß die Stellung ihres Mannes vor der Welt ihr einziger Stolz ist.

Ein Großrat.

Der Gefühlswert dieser Zahlform «Mannen» liegt einigermaßen auch im Verb manne: einen Eheherrn heiraten und damit in eine Lebensstellung gelangen, die einer höher veranlagten Frauenseele in der Regel gemäß und bekömmlich ist.

In merkwürdiger Weise dagegen hat sich die Bedeutung von «Weib» gewandelt. Noch in David Friedrich Strauß’ seiner Unterscheidung von «Weib, Frau, Gemahlin» steht das erste durch hingebende und tätige Liebe und Treue weit voran. Und dem entspricht Gotthelfs Weib als des Mannes seelengroße Stütze bei Geistesschwäche23 und Leibesübel,24 538 als der Familie allerorten unersetzlicher guter Hausgeist,25 und damit als des Hauses Hobepriesterin26 — nahekommend dem altgermanischen Begriff des Weibes, dem nach Tacitus «etwas unsagbar Geweihtes und Seherisches» innewohnt.27

Allein bei demselben Gotthelf fehlen auch die Weiber nicht, deren Worte,27a deren Vorsicht28 und deren Vertrauens­würdigkeit29 auf sehr niedrigen Kurs zurücksinken können. Bezeichnender­weise redet er so von ihnen in der neuern herabsetzenden Mehrzahl Wịịber,30 welche uns nicht nur einzig verblieben ist, sondern ihren Gefühlswert auch auf die Einzahl Wịịb hinübergetragen hat.

Darum auch vermeidet die Mundart es, von der Ehefrau als «Wịịb» zu reden, wie dagegen noch der Oberländer es tut,31 und wie es noch aus unserm Zeitwort wịịbe (eine Frau heiraten) durchsticht. Wir sagen für «Ehefrau» kurzweg Frau,32 ohne daß dabei der ursprüngliche hohe Sinn dieses Titels (soviel wie «Herrin»)33 noch lebendig bliebe. Wenn daher von einer Herren­frau34 die Rede ist, so steckt in dieser Bezeichnung einer vornehmen Dame (ob verheiratet oder nicht) nur etymologisch, nicht begrifflich eine Tautologie. Der Beweis liegt darin, daß wir mit ungefähr der nämlichen Schätzung, wie man früher von «Käs- und Kabisweibern»35 oder von Schwumm­fraueli (Feilträgerin von Zunder) redete, heute auch die Weggefrau usw. benennen. Wie mit solchen Bezeichnungen persönliche Hochachtung verbunden sein kann, lehrt Gotthelfs Ärdbeeri­frau.36 Im Worte «Frau» liegt sie nicht; das lehrt schon die Mehrzahl Wegge­wịịber usw., entsprechend den «Zimmerleuten» als Mehrzahl von «Zimmermann» und dgl.

Wie hier, begleiten sich «Mann» und «Frau» streckenweise auch in ihren mannigfach abgestuften Verkleinerungs­formen. Zunächst fehlt bei beiden die umgelautete Form. (Männli und Wịịbli = Männchen und Weibchen, bei Rebmann (1605): «Mann und Fräwlin»37 haben bloß zoologische Geltung.) Aber der gewöhnlichsten Verkleinerungs­form Fraueli entspricht Mandeli (mit ständigem Einschub d) bloß in spassiger Zusammenstellung (Manndeli Fraueli Hochzit haa, aḷḷi Jahr es Schöppeli haa).38 Sonst ist nur Manndli mit fakultativer 539 Mehrzahl: Manndleni («Mannleni»),39 geläufig. In «Fraueli» und «Manndli» liegt natürlich zunächst der neutrale Begriff körperlicher Kleinheit, der sich durch entsprechende Beifügungen noch verstärken läßt. Allein von unsern zahlreichen Belegen ist keiner, der nicht dieses «klein» durch den Nebenbegriff «schmächtig», «gering»40 abtönte und zu «arm»,41 «schüchtern»41a furchtsam,42 Mitleid erregend43 weiterführte. Hier zweigen sich die Begriffe ab. Der eine Zweig führt über das wenig geachtete Schwumm­fraueli und dgl. zum verachteten Chụ̆der­manndli,44 zum Lumpe­manndli,45 zum böse Tüüfe͜ls­fraueli. Kosend aber kann anderseits mịs Manndli ein uns ans Herz gewachsener freundlicher Gewährsmann heißen,46 und ’s Manndli macht (in drastischer Übertragung des sich aufrichtenden Bären oder Pudels),47 wer sich zu einer anerkennens­werten Mannestat aufrafft. Zwischen beiden Etappen bewegt sich das mit Vorbehalten48 in seinen Vorzügen anerkannte49 Fraueli als Ehefrau eines andern. So hatte der Besenbinder50 «gerade ein Fraueli, wie es für ihn paßte: ein demütiges, arbeitsames, genügsames Fraueli»; und «ein freines Fraueli» will Vreneli dem Ueli sein, wenn dieser ein Mann ist, wie sich’s gehört.51 Ganz besonder aber eignet «Fraueli» der traulichen, kosenden, neckenden, schäkernden Umgangsart des Ehemannes,52 wie dieser auch wieder in lieblichster Weise bald ein Anerbieten,53 bald einen Trost,54 bald eine teilnahmsvolle Erkundigung,55 bald eine sanfte Mahnung56 unter der Anrede Manndli, liebs Manndli zu hören bekommt.

Landwirt und Weinhändler.

540 Hieran schließen sich: e hübscher, gäbiger (im Umgang angenehmer) Mände͜l,57 das liebenswürdige Mantschi,58 und das «Männerchen»,59 als kleiner Gerngroß. — Burschikos klingt das an den Stamm «man» gehängte o, welches als italienische Endung (wie in den Hundenamen «Nero» = der Schwarze, «Belo», Bello = der Schöne) oder aber als Rufsilbe aufgefaßt werden kann und in letzterm Fall aus dem Vokativ in den Nominativ vordrang. «Losit, Mano, dir sit e Tonners̆ Naar!»60 «Auch noch als dürr und zäh gewordener Mano ist der Berner Küher ein appetitlicher Kerli.»61 — Das ist e rächter Mäne͜l! Dä het sịs Mäneli gstellt!

Im Worte «Mann» liegt an sich nichts, was seine Beschränkung auf das männliche Geschlecht rechtfertigte. Wir sehen dies noch an dem verall­gemeinernden Fürwort «man» = me̥ (enklitisch) und mĭ̦ (proklitisch); ebenso an dem zählenden «n-ie-man-d» = niemmer, aus «jemand» (öpper). Es waren bekannte soziale Gründe, die erst an der substantivierten Adjektivbildung «Mensch» auch das weibliche Geschlecht teilnehmen ließen. Allein auch hiefür setzen wir nun ausschließlich das männliche Geschlecht: der Möntsch. Das Mhd. jedoch setzte daneben gleichbedeutend «das» mensche,62 und noch Gotthelfs Mädi rühmt sich selbst unbefangen als «es brav’s,63 es g’setzt’s Möntsch»,64 wie auch ein «Wochenmöntsch» im «Weltschland» dem hübschen Vreneli auffallend ähnlich gewesen sei.65 Diese allmähliche Beschränkung auf herrschaftslose Aushülfs-Mädchen (vgl. «eine Masse von Menschen und Damen»)66 war allerdings geeignet, den Begriff so zu färben, wie wir ihn jetzt nur noch als das «dumme»,67 das «schamlose»,68 das «Vetel-Mensch» (1764)69 kennen und durch die herabsetzende Pluralform Mönscher70 von der sonstigen schwachen Biegung abheben. — Dagegen hat möntschelen71 einen höhern Gefühlswert als schriftdeutsches «menscheln»: Mit dem Gelde großtun, «menschelet nicht, das ist kalberochtig.»

Mit dem absteigenden Begriffsgang von «Mann» kreuzt sich der aufsteigende von «Kerl». Der urgermanische Karla, Kerla war ebenfalls ein «Mann», aber ein verschätzter, unterdrückter, geknechteter.72 Wie nun ein solcher gerne aus dem «Schalk» in alter Bedeutung (Knecht) ein solcher im neuen Sinne («Schalksknecht») wird, so haben wir es noch heute mit einem «schlechten»,73 «groben»74 «lustigen»,75 einem Lumpen-Kärli76 541 zu tun. Zu allem Zorn über seine Streiche lacht der Kärli nur.77 «Ist aber gutes Holz an ihm, so gibt er noch einen Kärli ab»:78 e ganzer,79 e braver,80 e gueter Kärli,81 dazu «einen muntern, lustigen»,82 auch einen «hübschen und witzigen Kärli»,83 überhaupt en an͜dere Kärli als die große Mehrzahl (der Păfe͜l) der in der Welt Herumlaufenden. «Es mues en andre Kärli sii», der mein Blümchen brechen darf.84 «Ja, Buben, ihr gebt andere Kerlisse, als ich bin!» ruft ein tüchtiger Vater seinen mit großen Opfern geschulten Söhnen zu.85 — Bis zum mhd. Karl im Sinn von Geliebter, Bräutigam, Ehemann reicht dagegen unser Kärli nicht. Die Form spaltete sich vielmehr als Taufname ab: Karl = Kări, Karli (dies jetzt Kosename, früher aber gewohnte Nennform: «Kaiser Karlis» (V.) Halsgerichts­ordnung);86 Karli Moser,87 Kăreli,88 Käreli, Karlụ̆di89 = Karl Ludwig. Dazu Károline, Kárline, Karlini, Lina, Line, Lini, Lineli, d’Linele.

Ober-Emmenthaler.

«Mein lieber Mann und Ehewirt!» redet Schillers Stauffacherin ihren Gemahl an und zeigt damit, den Weg zum heute ausschließlichen Bewirter des Gasts im öffentlichen Gasthaus. Früher bedurfte es auch für den Landwirt nur dieses einfachen Wirt90 = Verwalter, welcher Sinn wohl auch im Genitiv Wirz (d. h. Sohn des Wirt) als einem in Lützelflüh aus Obwalden eingebürgerten Geschlecht stecken wird.

Der bei uns einzig geläufige Titel des Landwirts ist Pụụr. Und zwar behält das Wort in dieser Bedeutung, die sich von der des «rusticus», des «paysan» schon äußerlich durch die starke Einzahl-Biegung abhebt,91 noch ungeschwächt seinen vollen guten Klang. Anderwärts darf, 542 nach einem Kalenderwitz, nur noch der Großvater «Puur» heißen; der Vater ist «Wirtschafts­besitzer», der Herr Sohn ein «Ökonom». So haben die Zeitläufte das Wort hier geadelt, dort in seinem alten Wert oder Unwert belassen. An mhd. bûwen = 1. wohnen, bewohnen, 2. das Feld bestellen, 3. bauen, schloß sich sowohl der bûr als der gebûre, später auch der gebûr i. S. v. «Bauer» im Gegensatze zu: der herre.92

Bannwart (67-jährig).

So lautet auch noch bei uns die Reihenfolge im Orakel aus den Wucher­blumen­blättern oder aus den Rockknöpfen über die eigene Zukunft: Heer, Puur, Diener, Tawner, Bättler, Scheḷm.93 Also doch zunächst dem «Herrn», obwohl in weiter Distanz von ihm. Das beweisen schon alte Scheltworte wie «gross gebûre» (dicker Kerl), vilz-gebûre (Bauer, der Filz trägt) und unsere modernen Puretŏtsch,94 Pure­trü̦sse͜l,95 vgl. auch Pureflege͜l,96 den Pure­grụụser. Dazu liefert die Bauernschaft selber Beiträge im bemitleidenden Geißepụ̈ụ̈rli oder Geißepụụr,97 oder in der bitter­spöttischen Selbst­verhöhnung Rügge­weh­pụ̈ụ̈rli,98 womit ein schwer belasteter Schuldenbauer das Kreuz seines Berufes drastisch zeichnet. Wie sehr hebt sich auch des Püurli für sich allein und das «dü̦ü̦r, zääch Pure­manndli»,99 das auf dem Markt Erdäpfel feil hält, vom flotten Puresuhn,100 von der selbstbewußten Pure­tochter101 ab!

543 Dem gegenüber steckt in der Bildung «Bauersame»,102 Puursami (das a noch nicht zu ḁ reduziert wie z.B. in Nööchtsḁmi = Nachbarschaft) der Keim eines starken Solidaritäts­gefühls, das in der heutigen bäuerlichen Literatur so sorglich gepflegt wird.

Rein-Chrigi (geb. 1838).

Der Wertungsabstand, der die Bezeichnung des Bauers und des Bauern auseinanderhält, macht sich auch geltend in der Unterscheidung zwischen «bäuerlich» und «bäurisch» (vgl. «kindlich» neben «kindisch», «weiblich» neben «weibisch»). Die ältere Sprache freilich und unsere Mundart kennen den Unterschied nicht. Dasselbe mhd. «büürisch» u. «gebüürisch»,103 das beiderlei Sinn enthält, steckt in unserm ganz spezifischen püür’sch (d. h. in bäuerliche Frauentracht gekleidet), gegenüber stettlig (städtisch­gekleidet). Dies kann allerdings auf zweierlei gehen: das anspruchlose Alltagsgewand im Gegensatze zum eleganten Städterinnen-Anzug,104 und das gegenteils sehr kostbare Feierkleid, in welchem Frau wie Tochter nur bei seltener Gelegenheit püür’sch dahar chunt. (Vgl. S. 416 unter «Gewand».)

Zum Substantiv «Puur» zurückkehrend, vergegen­wärtigen wir uns seine Vielseitigkeit in folgenden Gegenüber­stellungen.

Puur und Noochpụụr, Nochbụụr,105 die Nochbụ̈ụ̈ri. Im Mhd. 544 genügte hiefür schon stark flektiertes gebûr, woneben man allerdings nachgebûr und nachgebûre sagte, eine Doppelbiegung, die sich in unsern Genitiven «des Nachbars» und «des Nachbarn» reflektiert. Als wesentlichste Vorsilbe zu bûr galt also dieses ge- im Sinne unseres «mit», «zusammen». Unsere Sprache hat es aufgegeben (denn eine Herleitung von «Puur» neben «Buur» aus assimiliertem ge- lassen unsere lokalen Lautgesetze nicht zu). Dafür verlegte sie den Nachdruck auf das «nahe», sowie auf das volltönend erhaltene ụụ und ụ̈ụ̈.

Der Gemeinde-Kassier.

Die Kürzung Noochbe̥r (vgl. zürcherisches «nöörchbe̥rle», d. h. vertrauten Umgang pflegen) ist in andern Landesteilen heimischer, wie sie denn auch im Schrift­deutschen zu «Nachbar» aufgestutzt worden ist. Im Gegensatze dazu ist interessant zu beobachten, wie der konservative Zug der Emmenthaler-Mundart sich auch in den konsequenten Schreibungen «meine Nachbauren»,106 545 «Nachbäurin»,107 «Nachbürin»,108 «Nachbüri»,109 «nachbürliche Freundschaft»110 wiederspiegelt. — Den unaussprechlichen Wert der letztern weiß man in zwiefachem Maße grade auf unsern zerstreuten Einzelhöfen zu schätzen, und auch wir kennen die unheimliche Trilogie: e böse Noochbuur, es bös’s Tach un e bösi Frau. Wir persiflieren die gelegentliche Zweifelhaftigkeit nachbarlicher Freundschaft in dem «Hudeltrost» bei erlittenem Hagelschlag: es het doch eme͜l dem Noochbuur o g’haglet. Ein Gotthelf aber erlustigt sich in boshafter und gleichwohl anerkennender Weise am Beobachten eines «dicken alten Weibes», das bei schwerer Feldarbeit pịịstet u päärstet, «nur um der Nachbürin zu zeigen, es sei nit so ne fụle Hung»,111 und «schamrot, wird bis weit an den Rücken hinunter, wenn eine Nachbürin schöneren Kabis und fettere Schweine hat.»112

«Lidig», geb. 1876 (vgl. S. 552).

Eine weitere Bezeichnung Puur oder allenfalls Stockpụụr113 bedeutet den Lehensherrn, der sein Gut in Pacht gegeben, einem Lä̆hemḁ anvertraut hat und vielleicht neben ihm im Wohnstock den Lebensabend zubringt.114 Puur oder Huspuur heißt ebenso der Vermieter eines Häuschens mit oder ohne Umschwung an den G’hụ̆sme und dessen Familie: d’Huslüt.115 (Siehe «Behausung».) Auch der Tăwner oder «Tag-wan-er», welcher auf den «Gewinn» seiner «Tag»-Löhne sich angewiesen sieht, nennt seinen Arbeitgeber, bei dem er vielfach zur Miete wohnt, der Puur. In solchem Doppelverhältnis stellt sich ein Taglöhner bisweilen besser als ein Schulden­bäuerlein, und es 546 ist auch schon ein Glück gewesen, daß aus dem Tawner nicht ein Bauer wurde.116 Wie denn auch Gotthelfs Freund, der Großrat Flueachersepp, in seiner bescheidenen Stellung: «so gleichsam nur es chlịịs Bụ̈ụ̈rli, nid viiḷ meh weder e Tawner»,117 sich ganz behaglich fühlte.

Auch Bauernknecht und Bauernmagd nennen ihre Herrschaft der Puur und d’Pụ̈ụ̈ri. Hier denn auch wie nirgends tritt die Ebenbürtigkeit beider zutage. Denn zo mene rächte Purehof ghört e rächti Püüri. Fehlt diese, «so haben Bauer und Hof den Glanz verloren.»118 «So eine rechte Bäuerin mit offenem Herzen und offener Hand, klarem Verstande, festem Willen und Übung in allen Dingen ist eine wahre Majestät»,119 «hat mehr zu bedeuten als ein Landvogt.»120 Sie «ist die Sonnseite des Bauernleben», aber mehr noch: «die Mittlerin des Hauses zwischen Gott und Menschen, die sichtbare Vorsehung in allen leiblichen Dingen.»121 Dies besonders, wenn, wie bei dem unvergleichlich schön gezeichneten Änneli in «Geld und Geist», die Innerlichkeit und Tiefe der Gebirgsbewohner und der allem Seelenadel eigene kindliche Zug122 die praktische Tüchtigkeit und ausharrende Tatkraft begleiten. Wenn anderseits das «feurige Gemüt, die energische Seele und der weite Blick» einer Lisi im «Zeitgeist» im richtigen Verhältnis einer Mitregentin123 sich halten und vor Übergriffen in das Machtbereich des ebenfalls tüchtigen Gatten sich sorglich hüten. Wenn die schöne junge Braut Annemareili «mit einer Art Beklemmung» die Größe der Aufgabe ermißt, Bäuerin zu sein.124 Wenn eine solche weiß, daß si daheimen am schönsten ist.125 Wenn sie einerseits das ominöse «Was säge d’Lüt?» nicht zur obersten Regel ihres Handelns macht,126 anderseits nicht durch hochmütiges127 und protziges128 Gehaben, noch weniger durch Duldung von Klatschereien die Kritik herausfordert. Vorbild ist in diesen Dingen das «zur Bäuerin abgerundete»129 Vreneli.

Hinwieder haben mir zumal am Bodenbauer im «Uli» und am Ankenbenz im «Zeitgeist» «zwei treffliche Typen des tüchtigen, ehrenhaften, arbeitsamen, klugen und gesetzten Bauers.»130 Voll zäher Arbeitskraft und ‑Luft haben sie vor ihren Leuten nichts voraus, als daß sie buchstäblich und bildlich vormääjje, d’Last am schwereren Ort nää, am Morge die erste u z’Abe die letz̆te sii,131 wi d’Hase mit offeten Auge schlaaffe.132 Derbii wüsse si aḷḷs aaz’cheere, aḷḷem e gueti Gattig z’gää.133 Fern von Sentimentalität, sind sie 547 dagegen von strengem Rechtsgefühl beseelt. Der richtige134 Bauer wott nụ̈ụ̈t Ung’rächts, aber er wott si Sach.135 Drum ist er in Geschäfts­angelegenheiten ein ebenso gewandter wie unerbittlicher Rechner. Das ist er schon seiner Standesehre schuldig. Man muß einen Bauer gehört haben, wie scharf und findig er selbst in einem Handel um stehenden Wald mit der Dicke eines Stammes in der und der Höhe über und unter der Rinde rechnet — im selben Augenblick, wo er fremde Gäste aufs freigebigste bewirtet. Und dies ohne Ansehen der Person. Mit scharfem und geschultem Auge untersucht Sime Sämelis Sämeli alle Geldrollen, in welche der Ammann als säumiger Zahler ungangbare Münzen einzuschwärzen versucht hatte, und der Bauernsohn weiß genau, daß er nur durch schonungsloses Dringen auf strenges Einhalten aller Verbindlich­keiten selbst seiner Zukünftigen gegenüber Respekt erwirbt und Ehre einlegt.136 Denn es ist ein selbstbewußter Mann, und gerade in seiner haḷblinige Chutte tritt er auf als Einer, «der dem Boden wohl trauet.»137

Aus Obergoldbach.

So ist’s der Bauer, der den Hof gut oder schlecht macht.138 Nicht bloß dadurch, daß er Großtuerei und schlappes Wesen meidet, sondern ebensosehr damit, daß er in seiner Wissenschaft sich gründlich auskennt. Denn die Zeiten sind vorbei, wo ein zu jedem andern Beruf Untauglicher doch öppe no n e Pụụr git; und zum pụ̆re («bauern»)139 braucht’s immerhin noch etwas mehr als Geld.

Drum ist es sowohl dem jahrhunderte­langen harten und schweren Kampf mit der Scholle, als dem eben so lange angesammelten Wissensschatz 548 und nicht zuletzt doch auch vielen glücklichen Fügungen zu danken, daß manchenorts im Emmenthal schwääri Pure ebenso unumschränkt herrschen wie russische Große und ungarische Edle.140 Wenn aber, nach geflügeltem Wort, gerade in Lützelflüh «die Barone des Emmenthals» zu suchen sind, während eine benachbarte Gemeinde, wo ebenfalls Millionäre hausen, ’s Pụre-Näst genannt wird, so sind das allerdings, auch nach dem eigenen Gefühl und Urteil der Betreffenden selbst, noch lange keine Ruhmestitel. Andere haben auch gearbeitet und entbehrt, und wie der 549 Bauer nur «durch Verstand und Fleiß des Bodens natürlicher Herr geworden»,141 wird er nur durch dieselben Tugenden es bleiben.

Der Polizeier.

Auch nur solchen Eigenschaften widmete 1588 ein Peter Fry sein Bauernlied, dessen Anfang und Ende wir hier folgen lassen.

Bäuerin im sommerlichen Alltagsgewand.

Der Edel Buw mann,
vnd ist zu singen im Späten thon,
Getruckt zu Bernn, by Samuel Apiario. 1558.

Gesang das will ich heben an,
zu lob vnd eere dem Buwmann,
ich mags nit underwegen lan,
der edel Buwmann hat mir guts gethone.

Ich pryß den Buwmann überlut,
die uns den wyn und koren buwt,
den böllen rüben und das krut,
die Kicher erbsen linsen muß vnd bonen.
Der Buwmann schön vfpflantzet alle früchte,
nuß öpfel birnen aller wält genüge,
er meret was der himel hat vmmfangen,
die krüter jung und darzu alt,
wiewol es stadt in Gottes gwalt,
der Buwmann land vnd Lüt behalt,
wär nit der Bur,
die wält war bald zergangen...

Den Buwmann ich baß loben wil,
sin pflegel gibt wie fröuden vil,
ich hört jn für all seyten spil,
für luten harpfen orglen klaffenzymmer...142 143

 
1 Käthi 278 f; vgl. Ztgst. 2, 160.   2 Ebd.   3 Ztgst. 1, 94.   4 Böhneler 215.   5 BSp. 67.   6 Ztgst. 1, 14.   7 SchM. 2, 33.   8 Ebd. 2, 102 Hsa.   9 Vgl. Käs. 229.   10 Geltst. 14.   11 An AB. 85.   12 BSp. 199.   13 Heiri 40.   14 Ger. Tw. (1788).   15 Auf gleichem Wege also, wie «Man» zum unbestimmt pronominalen me, mi (seit me, mi seit) und nach einleuchtendster Deutung frz. l’homme zu l’on, on verflacht ist.   16 UK. 144.   17 Nschwander 155.   18 Kurt 149.   19 SchM. 2, 182.   20 Ebd. 1, 272.   21 Ebd. 2, 129 nach Hsa.   22 die sich von der gewöhnlichen Form «Männer» (1848) bedeutsam abhebt.   23 Ztgst. 2, 4.   24 UP. 365 f.   25 Schuldb. 335.   26 Lisabethli 304.   27 Sanctum aliquid et providum Germ. 8 (ed. Schwyzer).   27a Ztgst. 2, 4; Segen 80.   28 SchM. 1, 34.   29 AB. 2, 89.   30 Die ältere lautete wie die Einzahl, wie für uns noch bei «Chind».   31 indem ihm das Wiib, Wiibli und Fraueli (in durchaus respektierlichem Sinne) ungefähr gleichviel gelten.   32 1528 liturgisch: «mitgesellin» (Taufb. 20); «gspons» (ebd.), «gsponß und gmahel» (21).   33 Ahd. frouwa stellt sich zu «Frohn» («Herr») wie frz. dame, it. donna usw. aus lat, domina zu dominus.   34 EbM. 256.   35 Amtsr. 68.   36 EbM. 257. 261.   37 123.   38     39 «Ein alt Männlein» (Erbv. 24) bleibt vereinzelt.   40 Ball 11; BSp. 378 uö.   41 SchM. 2, 306.   41a Müll. LK. 31; Arm. 214; Wass. 63.   42 Beitr. 49.   43 BSp. 378.   44 UK. 207.   45 Geltst. 321.   46 UP. 335.   47 BwM. 136.   48 Vgl. faire le beau.   49 MW. 2J. 199.   50 Ebd. 225.   51 361.   52 UK. 421.   53 AB. 2, 245; SchM. 2, 217 f.; Ebd. 2, 51.   54 Ebd. 151.   55 Ebd. 322.   56 Ebd. 128 418; AB. 1, 63.   57 Müll. HK. 37 57.   58 Nschwander Alp. 71 73.   59 SchM. 2, 431.   60 Gf. SB.   61 Nschwander Alp. 71 73; vgl. MW. Mg. 275.   62 Mhd. WB. 2, 49.   63 AB. 1, 473.   64 Ebd. 1, 96; vgl. Käs. 386.   65 UK. 195; vgl. Christen 181.   66 Arm. 209.   67 AB. 1, 47.   68 SchM. 2, 97; MW. Anna 211.   69 Pfr.-Ber. 164.   70 Ztgst. 1, 79.   71 Christen 200.   72 Das finnische Lehnwort Karilas bedeutet «alter Mann»; altengl. tscheorl = Unfreier; vgl. Kluge5 192.   73 SchM. 2, 55.   74 Barthli 38.   75 Dursli 210.   76 Barthli 24.   77 Joggeli 28.   78 UK. 94.   79 An AB. 71 uö.   80 SchM. 1, 378.   81 Beitr. 68.; An AB. 68.   82 Dursli 210.   83 Kuhn («Han a men Ort»); verschlimmbessert: «Bursch».   84 Berner 246.   85 Ball 68.   86 Ger. Tw. (1790).   87 Burri II.   88 Alte Gesch. 269.   89     90 Ök. fol. 15.   91 Im Widerspruch z. B. mit Frei-Schnorf deklinieren also auch wir konsequent in diesem Buch: der Bauer, des Bauers, dem Bauer, den Bauer, die Bauern.   92 Mhd. WB. 1, 290 f.   93 Vgl. bûr aaO.   94 SchM. 1, 292.   95 GG. 3, 99.   96 BwM. 123.   97 Christen 173.   98 Gf. SF. 1902, 213.   99 Nschwander 151.   100 SchM. 1, 220.   101 Ztgst. 1, 180; Besuch 160.   102 Vgl. BSp. 162 296; SchM. 1, 341; Käthi 165 Hs.   103 Mhd. WB. aao; wir setzen üü statt iu.   104 MW. 2J. 94.   105 «Der Nachbawr» (Rebmann 19), wie «der bawres Man» (ebd. Vorrede).   106 Ger. Tw. (1789).   107 UK. 151 uö.   108 BSp. 133 uö.   109 SchM. 1, 109.   110 BwM. 165.   111 BSp. 133.   112 SchM. 1, 251 Hsa.   113 BSp. 112.   114 Ebd.; UP.   115 Ebd. 93.   116 Vgl. Arm. 136.   117 An AB. 106; Ammann JG., 5.   118 Amtsr. 63; Schuldb. 8.   119 Michel 189; vgl. UP. 223.   120 Michel 210.   121 GG. 1, 51.   122 Vgl. Manuel 257.   123 Ebd. 256.   124 GG. 3, 15; vgl. 2, 59 f.   125 Ztgst. 1, 8.   126 Käs. 439.   127 Schuldb. 294.   128 Erbv. 101.   129 UP. 265.   130 Manuel 254.   131 Ztgst. 1, 4.   132 Land 24; Käs. 407. Eine Wahrheit, die sich Tag um Tag vor unsern Augen bestätigt.   133 Ztgst. 2, 7.   134 Vor ungehöriger Idealisierung bewahren einen einzelne unanmutige Erfahrungen.   135 Vgl. Bitt. Th. 36.   136 Land 61 f.   137 Schuldb. 3.   138 Segen 81; Sintram 32; Schuldb. 38.   139 UK. 276 318; Michel 297; SchM. 1, 389; Widm. 105.   140 Nschwander 9.   141 Kurt 150.   142 Clavicinium, clavecin = Klavier.   143 RMan. (Mitte).  
 

Mutter- und Kinder-Deutsch.1

So sprach­schöpferisch das Kind dem oberflächlichen Urteil erscheint: den größten Teil seines eigenartigen Sprachbestandes schöpft es aus der Grammatik und dem Lexikon der Erwachsenen, die sich in ihrem Umgang mit den Kleinen mit mehr oder weniger Anpassungsgabe zu ihnen herunterlassen oder in gewissem Maße sich mit ihnen identifizieren. So bildet einen großen Teil unseres «Kinderdeutsch» die Art, wie die Großen, vorab die Mutter, zu den Kleinen sprechen. Wir schütten hier eine ganze Anzahl solcher Ausdrücke2 fast ohne Glossen nur so in Häufchen aus.

550 Kosende Zwiegespräche mit dem girrenden, krähenden, auflachenden, strampelnden Wickelkind: Härzchä̆ferli, Häärzi (Herzchen); Ängeli; Hime͜lgüegeli (Marienkäferchen). Mụ̈ụ̈sli, Gŭ̦ggmüüseli. Pajjaßli. Schnụụßibueb, Schnüüßeler; Schnö̆derler, Schnöderli; Schnü̦ü̦rfeler; Chü̦̆meler; Ggü̦ggeler; Gụ̈̆gger (Gimpel); Gụ̈̆ggerüggụ̈h (Hahn); Gwaagger. Lachbänzli, Lachigade. Chị̆cheri (vgl. kichern). Gu̦nschernŭ̦geli (gunschere = kirren). Chü̦deri, (zu chü̦̆dere). Graasräägeli (kleine Grasmücke). Mu̦u̦rmeli. Branzi, Branzeli, Branzibueb, Ääki, Ääkeli, Ääkibueb, Ääkibăse. — Găgeri (găgere: mit erhobenen Beinchen strampeln), Gagerieeḷ (nach veralteten Namen wie Dani-el, Micha-el); Zä̆biä̆k (Strampelmännchen); Wu̦rmseri; das Porziööndli (porze = purzeln). Hime͜lleerchli (singend und emporstrebend). Flattierchatzli.

Bei kleinem Mißgeschick: Mịs arme Zuckerstängeli, Zuckerteili; Schätzibööni; Tschu̦nggerli, Tschu̦merli; Nu̦nneli; Stümpeli; Tru̦ckli; Pụtzli; Trụ̆deli, chlịịne Fraueli; Schịnu̦nggeli, Fandụ́deli; Chlungtscheli, Chlungeli (peloton); Hüentscheli, Tschäḷpeler, Träppeler; Hŭ̦scheli, arms Hŭ̦schi!

Dicke Ärmchen «zum Anbeißen», dralle Beinchen und rundes Bäuchlein: Chrŭ̦geli, Chrŭ̦giböhni, Chrü̦gelimü̦geli, Chru̦gimụụsi und ‑mụ̆seli, Chrŭ̦geli­mŭ̦tsch und ‑mutschli; Bä̆reli, Tanzbä̆reli; teiggs Bĭ̦reli; Ankebäḷḷeli; Bụ̆merli (Pommer­hündchen); Mü̦̆tschli­tü̦ü̦rgg; Trădeli, Trä̆deli; Sĭ̦bedick.

Körperlich zurückgeblieben: Kreatụ̈ụ̈rli, Spitzmụ̈ụ̈seli, Mĕgerli, Megerlig, Megerlimụ̆kki.

’s Haaggemanndeli; der Chnü̦̆deri, Strumpftö̆derli, Chrü̦ü̦sch­mŭ̦derli; der Drụ̈ụ̈-Määs-Chrüüsch-hööch.

Verschieden behaart: Nĕgerli, Fuchsli, Brụ̈ụ̈ndli, Schụ̈̆meli, Rụ̆beli, Rŭ̦bi, Rŭ̦bichöpfeli, Strụ̆belimu̦tzli; Chụ̆derli, Chụ̆derbụ̈tzi, Chụ̆dderbäḷḷi, Chụ̆dergăgeli, Chụ̆deribueb; Chụ̆tzli, Haaghụụri.

Malversuche auf Holz und Leinwand: Bettbịseler, das Bị̆silatorium; Mistjoggeli, Dräckseckli, Dräckhüngeli; das Stinkgaageli, Gụ̆seli; der Saubaarteli, der Strụ̈ụ̈berich. — Sonstwie korrektur­bedürftig: Der Seuferlä̆tsch, der Schnụ̆dernăse­pịnggeli.

Nach einer Kirschen- oder Beeren-Mahlzeit: Schmiernĭ̦ggeli, Schmu̦tzgü̦ggeli, Schmŭ̦sli, Schmosli, Schmoseli, Schmosi, Chöisi, Möisi, Chohḷmöisi.

Am Brunnen, unter der Dachtraufe, in der Regenlache: Chŏsli und Chŏsle, Chöseli, Chösi, Chöözi, Chöözeli.

Zur Schlafenszeit: Der Mü̦̆ggeler, die chlịịnni Uruew; das Treißeli, der Treißeler. Brüelibueb, Brüelimeitli.

551 Mahlzeit: Bü̦̆ppisụụger und ‑sụụgerli, Bü̦ppeler; Mämmeler, Miḷch­läärbschli; Sü̦ü̦rfeler. Ohne Appetit essend: Mäiseler, Müürpfeler, Mö̆ffeler, Stoorzemöffeler; bei Heißhunger: es Wöḷfeli, Frä̆swöḷfeli; e Grụ̈ụ̈se͜l.

Wählerisch: Der Schmä̆derfraas, es Schmä̆derfrääseli. Schläckmụ̈ụ̈li, Schläckibăse, Läckerbase, Läckerbueb, Läcker, Läckerli, Gläcktäschli, Glŭ̦stibueb, Glustsack, Glustseckli.

Sonst verwöhnt: Fịnetteli, Finĕdeli; Zuckerbü̦ppi, Zuckertĭ̦tti, Zị̆pperịịndli.

Bequem, nicht lebhaft: Der Ofehöck, Stube-, Näst-, Schoos-, Mueter-, Vatter-Höck, Betthöckli. Der Toggi- oder Tuggemụ̈ụ̈sler, frei’s Schööffli.

Der Kletterer nach der Mutter Schoß: der Chlä̆deri, das Chläderimanndli; der Stä̆geri, das Stägeri-Grịttli; der Chlään (Spechtmeise), das Eihöörndli.

Der Wildfang: Das Gĭ̦tzi, Gitzeli, Gị̆biwi̦ldeli, wilde Ummeli (Hummel), Su̦u̦ru̦mmeli, Wäs̆pi; der Heuggümper (Heuschrecke), das Haagschlüüfferli (der Zaunkönig); der Bĭ̦mser, das Bimserli; der Höpperi, Höpperli, der Zwi̦i̦rbel (Kreisel), das Zwiirbeli, der Hŭ̦rrlibueb (Brummkreisel); der Hauderidau; der Rŏli; der Ggöiteri(bueb), Schutzgatter(i), Schwăḷderi, Schwădli, Fĭ̦speri, Hü̦ü̦rschschi, Hüürscheli, der Ruedi (Wildfang; auch von Mädchen gesagt; vgl. ruedele).

Zornmütig: ’s Hä̆bchli, ’s böös Wĭ̦derli, ’s taub Mŭ̦neli.

Plappermäulchen: Der Schnä̆deri, das Schnädergätzi, Plauderchrättli oder ‑täschli. Das Schnabe͜l­grị̆ttli und der Wăschliseppli. Das Stü̦ü̦rmeli und Tampeli.

Vorwitzig: Das Gä̆xnä̆si, das Propheetebeeri.

In den ersten Hosen steckend: Der Hö̆si, Hö̆seler, Pfö̆seler, Hosipfö̆si. Das Hose­verschrịịßerli.

Im neuen Kleid: Das Vö̆gi, Summervögeli, Paradiisvögeli, Chü̦ṇ’givögi (Zaunkönig), das Hime͜lgüegi.

Eitel: Das Hoffertstĭ̦li, Stöḷzelimeitschi, Stoḷzgrin͜deli.

Sonstige Unarten: Das Sụ̆rnĭ̦beli, die Zị̆berligränne; chlịịs Giftlöffeli; Zwängchöpfli oder ‑grin͜deli.

Nach angestellten kleinen Dummheiten: Lä̆ligrịttli, Chrattetămschi; tumms Baabeli oder Eeveli; das d’s hin͜derfü̦ü̦r-Baabeli; Chrăgebaabeli; chlịịnner Meḷk; Ghü̦̆deri(bueb), der Haaggepaschschi (Sebastian). Das Tü̦̆pfi, Generaḷtüpfi. Die Stoorze, das Stöörzli; der Läfeli, Chlööti, Chä̆fers̆gä̆gel; der Seiffechlööri, das Chụ̆derlụụri; das Tschụ̆derlŭ̦di; das Karnaari; der Laudi, Lappi, Chrụ̆t­su̦ppelappi; der Trabiwătsch; der Ggangge͜l, Gganggelụ́rius; der Läliländer, Lappländer; tumme Tŏdi, Tschŏli usw. usw.

 
1 Vgl. dazu Meumann, Professor der Psychologie in Zürich: «Die Sprache des Kindes», Zürich, 1903.   2 Vom Lehrerpaar Gfeller gesammelt.  
 

Heirat.

Die Volkszählung von 1900 wies für Lützelflüh auf: 641 Haushaltungen; 2212 ledige, 1061 verheiratete, 185 verwitwete, 6 geschiedene (ortsanwesende) Personen. Zur Vergleichung diene Eggiwil i. J. 1827: 600 ledige, 800 verheiratete, 190 verwitwete, 20 geschiedene Personen; durchschnittlich jährlich 70 Geburten, 45 Sterbefälle, 20 Heiraten, 1 Scheidung.1 Mit den für Eggiwil so auffällig angegebenen 14 unehelichen Geburten aber streitet Pfarrer Schweizer in Trub2 mit seiner Versicherung: «Es können Jahre hingehen, ohne daß auch nur ein einziges Mädchen des Orts vor dem Chorgericht zu erscheinen hätte». Zu schwer lastete ja auch der Fluch gesellschaft­licher Verfehmung (vgl. Pestalozzis «verschupft») auf einem schuldlos unehligen Chin͜d,3 als daß nicht sein Schicksal auf Volkssitte und Volksgeist mächtig zurückgewirkt haben sollte.

Belehrend ist dagegen das Verhältnis der Ledigen zu den Verheirateten: in Lützelflüh mit seinen großen arrondierten Höfen «heiraten oft Bauernsöhne nicht, damit der Hof beisammen, die Familie reich bleibe».4 Es gibt einzelne Höfe, wo vielleicht seit 200 Jahren immer nur ein Sohn geheiratet hat. Die ledigen Brüder, die Vettern, als Respekts­personen behandelt, regieren aber auch meist in einem ihnen unbestritten überlassenen Lieblingsfach: Füttern, Melken, Fahren, Wässern usw.5 Solches Lĭ̦dig sịị (lidig, ledig, galt auch im Sinn von abgabenfrei6 u. dgl.) zöge noch manch einer durch die Umstände ihm aufgenötigten Ehe vor,7 und voll Jugendlust trägt ein Götti als Zeichen seiner Ledigkeit einen stattlichen Meien auf dem Hut.8 Ähnlich fühlt und denkt mehr als eine zur Ehe nicht veranlagte Tochter. Dagegen gibt es geborne Hausfrauen, die in einem von Gotthelf9 ergreifend dargelegten innern Kampf ihr «Unverstanden»,10 ihr Übersehensein zu verwinden streben und sich doch noch zu etwas mehr als einer lebenslangen «Gotte» oder «Base»11 geschaffen fühlen. Von dem (in die Nähe Kallnachs verlegten) Girizze­moos12 klingen darum auch andersartige Töne her,13 als aus dem Affewald der Junggesellen.

Hier heißt’s beim Einen: Es ist mer nid drum! i mag nid! «’s Wịịbe ist no im wịte Fäḷd»;14 «’s het no ke Ịịl mit Wịịbe; i 553 wiḷḷ no ledig bliibe, ’s isch lang no Zit derzu»;15 «u so freut’s mi aḷḷi Morge, das i no nid g’wiibet haa.»16 Ja, einem andern grụụset’s dervor,17 und in erschütternder Tragikomik schluchzt ein Jakobli, dem die Zịberlitochter aufgezwungen werden will, heraus: i söḷḷ ga wịịbe! und bricht in ein Weinen aus, als ob ihm das Herz brechen wollte.18 Ein dritter lagert nie «im stillen friedlichen Schatten der Ehe»,19 weil er in keiner die Erfüllung aller seiner Wünsche vereint findet: Diese wäre reich, aber sie will nicht «chnorze, Sorg ha zo n eren iedere Chabisstorze»; jene geht zu häufig zur Kirche, was um so mehr Hüte und Schürzen kostet20 usw. Beim vierten bis zehnten trifft das oben Gesagte zu. So bewahrheitet sich denn allerdings der Spruch: ’s ist Einer scho n e ganze Maa, wenn är mit Freude wịịbi chaa,21 ohne daß die alles beherrschende Frage, was er erwịịbi22 und verwịịbi,23 seiner Wịịbig24 (Werbung) für das ganze Leben eine verhängnisvolle falsche Richtung gibt. Dem schönen Ausdruck Meyelis:25 Eini z’Ehre füehre, stellt Ibsen26 nicht umsonst gegenüber: «sich eine Frau anschaffen». Etwas gemildert lautet hiefür unser «Eini nää»,27 welcher Sprech- und Denkweise allerdings auch oft genug der allen Ehrgefühls baare weibliche Standpunkt entgegenkommt: i bi de versorget! oder: U we doch Einer chääm, u wenn er mi de nähm, dass i de Lüten us de Äugline chääm!

Solcher seelischen Richtung eines Mädi gilt der Spott eines Sami:28 Du hest dịr Läbe lang numen ei Chrankheit ghaa: ’s Mannen.

Eine weit verhängnisvollere Abirrung vom wahren Wesen der Ehe kommt aber immer noch häufig genug auf Rechnung der Eltern. Was Schlosser Wiedmers29 fröhlicher, besorgter und leichtsinniger Hochzeiter jeweils sich selber als künftiges Geschick vorbereitet, das können Eltern ihren Kindern in zehnfachem Maßstab ausschlaggebend anrichten. Der gute bäuerliche Familiengeist und die eigensinnige Verbohrtheit geraten hier bisweilen in einen verhängnis­vollen Konflikt. «Wo ein Haus seit einer Reihe von Geschlechtern ein bestimmtes Gepräge hat und die Familie eine wohl hergebrachte Lebensweise, da ist das Heiraten ganz was anderes, als wenn Zwei auf der Straße (oder uf em Tanzbode) sich finden und im ersten wohlfeilen Stübchen sich ansetzen.»30 Drum die eingehendsten Verhandlungen über die Verheiratung eines Sohnes, einer Tochter im Schoß einer ganzen Familie. Aber wie eilig ist allen 554 auf Liebewyl in «Geld und Geist» die zarte Angelegenheit — mit welch unsaubern Händen greift sie der Dorngrütbauer an, der aus dem Vermanne seiner Tochter31 und seines Geldes,32 aus dem I̦i̦manne,33 jener bei dem abscheulichen Kellerjoggi ein schmutziges Geldgeschäft zu machen sucht! Mit Mühe auch nur entrinnt das edle Mädchen solchem Ịịmetzge (Einschlachten in den Bedarf des Haushalts). Wie viel leichter ist es einem Jakobli gemacht, dem komisch bornierten Eigensinn seiner Mutter34 Nase um Nase zu drehen und die Erwählte seines Herzens — sịs Meitschi,35 sị Schatz,36 sịs Schätzeli,37 Schatzeli38 (vgl. schätzele),39 sị Liebsti, si̦s Liebeli (vgl. liebele)40 — heimzuführen.

Das größte Glück einer Familie ist begreiflich dadurch gesichert, daß der Scharfblick aller ihrer Glieder vereinigt sich dem oder der Ausersehenen zuwendet und letztere lieber auf ernste, obwohl nicht verletzende Proben stellt,41 als ihr zu tä̆sele und sie zu tätschle.42 Mit welch richtigen Bauernstolze tönt es: «Sime Sämelis Sohn hat nicht nötig, ein Meitschi zu erbetteln oder zu erheucheln, wenn er eine Frau will!»43 Derselbe Unabhängigkeits­stolz spricht aus dem humorvollen Satz: I will Eini näh, wo si̦bez’g Rappe het; we si de im Faaḷ (allenfalls) wiḷḷ tu̦ble (schmollen), so chan i re’s de ume gää. Ein anderer, dem seine Frau ihr winziges Zugebrachtes beständig vorhielt (uf emen iedere Löffe͜l voḷḷ Suppe het z’ässe g’gää), pflegte, wenn er dessen überdrüssig war, an die Kastentüre zu pochen: stiḷḷ, Wịịberguet!

Der Erzählung Kuhns44 von einer Geldheirat, die ein Vater seinem Sohn aufzuzwingen versuchte, gab Gotthelf die bekannte lustige Wendung: «Wie Joggeli eine Frau sucht.» Hieran reihte er: «Wie Christen eine Frau gewinnt», und «Michels Brautschau». Alles geistvolle und gehaltreiche Erneuerungen der G’schauete45 oder Gschauine (Einzahl: die G’schaui oder Gschau),46 wie teils die Schwiegereltern in spe,47 teils die Freier selbst,48 teils auch durch Familien­verhältnisse dazu veranlaßte Mädchen49 sie zu veranstalten pflegen. Letztere sind klug und findig genug, den für eine anständige Tochter50 so sauren Schritt durch eine Gschaui anderer Art, z. B. eine Pferdeschau51 oder einen Marktbesuch52 zu maskieren. Weniger Anstände wegen des Anstandes 555 bereitet solch ein Wịịber­suechet53 dem Burschen: b’richten (plaudern) ist no lang nid g’schaue,54 und g’schauet ist no nid g’hüratet. (Letzteres auch bildlich gewendet, z. B. wenn es sich um eine Anstellung, eine Beamtung handelt.) So wird denn männlicherseits, bisweilen unter geschickter Deckung,55 eine solche G’schaui verabredet: es B’steḷḷt’s g’macht. Folgt die Tochter dann doch der Einladung nicht,56 so gilt ein solch beredtes Schweigen als vollgenügende Orientierung. —

Es versteht sich, daß auch etwa noch das Bri̦ttle57 (ein unübersetzbares, durch «kuppeln» viel zu roh und irreführend wiedergegebenes Wort58) durch Hausiererinnen und andere Zu- und Zwischen­trägerinnen dafür sorgt, dass ihrer Zweu zsämechöme; vgl. e Hürat chorbe.59 Allein richtigen Bauernsöhnen und ‑Töchtern ist nichts verächtlicher als solche Schleichwege.

Keiner so sehr wie der Stammhalter einer adelig-bäuerlichen Familie von altem gutem Ruf, und keiner so sehr wie der künftige Herrscher eines kleinen Königreichs, wie so ein unzerstückelter und wohl arrondierter Bauernhof es ist, hat es nötig, die künftige Bäuerin in alle Einzelheiten ihres Charakters hinein kennen zu lernen. Ein nichtsnutziges Weib60 ist ein Unglück jedem Hause, und überall, wo’s i d’ Chuchi haglet, isch es zähe Maḷ böser, weder we’s is Chorn haglet.61 Allein e gschlagne Maa, wenn er nume nit sụụft, kann in jeder andern Lebensstellung immer noch Mann bleiben (vielleicht gar erst einer werden), nachdem die Frau den Ruin des Hauswesens aus eigener Initiative mit Scheidigung, scheidige oder Scheidung, scheide besiegelt hat. Im Bauernwesen aber steht allzuviel auf dem Spiele, als daß auch selbst der umgehängte Küchenschurz des Mannes ihn auf die Länge über Wasser erhielte.

Drum die dringende Nötigung jahrelanger genauer Personal­kenntnis. Auf Spaziergängen aber ließe sich diese nicht erwerben, auch wenn dazu die Zeit sich fände. Jene suchten drum von jeher ihren Ersatz in den «Spinnstuben», «Stubeten», «Spinnabenden», dem «gasseln gehen», dem «fensterlen»62 der deutschen Volkssitte, dem Kiltgang der schweizerischen. 556 Ursprüngliche Harmlosigkeit, die allerdings — wie jede andere — durch Unsauberkeit verdorben werden kann und unleugbar auch verdorben wird, liegt beiderseits in der Sache und im Wort. Im Wort: denn Chĭ̦ḷt bedeutet an sich nichts anderes als Abend;63 ahd. chiltiwërch ist Abendarbeit, und alemannisch chiḷte bedeutet: i de churze Tage bim Liecht (bis spät in die Nacht hinein) die tägliche Berufsarbeit fortsetzen.64 In der Zeit, wo man auf diese Weise aafaat chiḷte, blüht die Chiḷt­blueme65 (Herbstzeitlose). Auch der Mond chiḷtet, wenn er spät untergeht. Statt arbeitend, kann man freilich den langen Abend auch mit Plaudern verbringen, kann bei Alten66 oder Jungen z’Chiḷt oder z’Abendsitz gaa, mit ihnen einen Chiḷt­aabend verbringen, einen «Kilt», wie Gotthelf67 abkürzend schreibt. Die schließlich in bekannter Weise auslaufende Bedeutung ist mit der der Spinnstuben gemein und hängt in jedem Einzelfall von Ehren- und Charakter­festigkeit, von Pflichtgefühl und Freiheits­begriff beider Teile ab. Zunächst allerdings des weiblichen: wie eine seelenhohe Frau jederzeit eine sittliche Atmosphäre um sich verbreitet, in welcher dem richtigen Mann niedrige Gedanken jeglicher Sphäre um Erdenweite fern bleiben, so flößt das ehrenfeste Mädchen ganz von selbst dem rechten Burschen Respekt vor Zucht und Sitte ein. Schon damit, daß es überhaupt auf dessen anhaltendes Töppele und noch einmal so langes Bitten ihm endlich uuftaa het, beweist es seinen Respekt vor des Burschen Unbescholtenheit68 und gründet auf dessen hieraus erschlossenen Charakter das Höchste, was ein Mädchen zu vergeben hat: Vertrauen. Täuscht er dieses dennoch und befleckt er Mädchenehre als höchstes Mädchengut, so straft ihn eine Vehm,69 gegen deren Nachhaltigkeit und Wucht eine ganze organisierte Justiz nichts bedeutet.

So auch sieht er sich ausgeschlossen aus dem bessern Teil der Jungburschen­schaft, welche nach ihrem Brauch z’runde, d. h. auf nächtlichen Rundgängen sich gegenseitig in die Geheimnisse der ausersehenen Haushaltungen einzuführen, den alten Kollektivtitel Nachtbuebe trägt. Das war namentlich früher von Bedeutung, als solche Jungmannschaft unter dem Herzogtum eines Magnatensohnes70 bei Bevölkerung und untern Behörden71 sich in Respekt zu setzen wußte und, durch nichts als solchen Respekt gedeckt, selbst an mächtigen Geldprotzen zum Schutz bedrängter kleiner Leute eine richtige Volksjustiz übte.72 Ferne auch von gemeinem 557 rohem,73 mit Feigheit74 verbundenem nacht­buebele,75 unterwarfen sich richtige Chiḷtbuebe (wie sie mit anderm Namen heißen) auch einer gewissen selbst­geschaffenen Ordnung. Dahin gehört z. B. die Beschränkung der Abend- oder Nachtbesuche auf bestimmte Wochentage. Sie hat sich in einer Art Sentenz verfestigt, welche etwa lautet: am Määndig göö d’Säu, am Zịịstig d’Förchtine, am Mittwuche di Rụ̈dige, am Frịtig d’Hochzịter, am Samstig di Rächte. — Wer solche Eigenpolizei aufrecht erhalten half, erfreute sich dafür auch eines mächtigen Schutzes bei einmal erworbenen Rechten. Ein auf irregulären Wegen Betroffener76 wurde unsanft uusg’noo und etwa einer Behandlung unterworfen, die beim Brunnentrog erwähnt ist.

Weniger summarisch, dafür allerdings feiner und verständnisvoller ist die Regelung der Sitte durch die Meisterschaft des Hauses selbst. Resolute Bäuerinnen, denen in ihrem leisen Schlaf die Klappe über dem Stubenofen nach Gutfinden viel oder wenig zuträgt, üben scharfe Aufsicht über Töchter77 und Mägde; eine Bethi78 ist ihrer jungen Verwandten treu besorgte Wächterin, und Elsi die seltsame Magd braucht nur durchs Ofenloch ins Schlafzimmer der Meisterschaft hinunter­zuschlüpfen; dahin folgt kein Bursche einem Mädchen nach.79

Kein Wunder daher, daß noch heute wie ehemals selbst ergraute und in ihrem unantastbaren Charakter ehrwürdige Männer auch vor ihren reifern ehrenfesten Töchtern von ihren Kiltgängen wie von der natürlichsten Sache der Welt reden; daß ein Arthur Bitter sie mit der nämlichen Unbefangenheit behandelt. Als aber gar ein so edler Volksmann wie der Rüderswiler- und nachmalige Burgdorfer-Pfarrer Gottlieb Jakob Kuhn mit seinem Hoschen Eisi, la mi ịhe! die albernen oder unflätigen, bestenfalls noch etwa «aristophanisch gepfefferten»80 Nacht­sprüch zu verdrängen unternahm, rechtfertigte er sich gegen verständnislose vorlaute Eiferer81 also: «Ich bin weit entfernt, die Unsitte des Kiltgangs zu billigen. Allein ich glaube, daß, wenn sie nicht zu vertilgen ist, nichts dabey verlohren wird, wenn mein Lied anstatt der üblichen dabey gesungen wird.»82 Aber selbst sein Freund und Genosse in dem geistesreinen83 und ‑hohen Apollo, unser Gotthelf, läßt die edelsten seiner Mädchen Chiḷter herbergen84 und legt für die Geisteszucht85 oder auch die kindliche Unschuld86 einiger der letztern warmes Zeugnis ab. Freilich hat gerade dieser kundigste und gewissen­hafteste Richter in 558 diesem für ernste Beurteiler so schwierigen Problem auf denkwürdige Weise «zwei Seelen in einer Brust» wohnen. Der Nämliche, der für die ursprüngliche Arglosigkeit der Sitte so frei von den «Vorzügen falscher Zucht, der wahren Keuschheit Affen»87 einsteht, kann nicht scharf genug die Unsitte geißeln als «eine Hauptquelle der Armut, einen Krebsschaden für das Land»;88 als eine «immer heilloser werdende»,89 «Gott versuchende Sitte.»90 Allein er führt in der schwierigen Angelegenheit nicht bloß «das große Wort», wie solche «die dabei gar nichts entbehren.»91 Er zeigt in scharf eindringender Seelenkunde an einem Anneli, einem Mädeli, wie ein «in reinerer Jugend erwachsenes Mädchen92 in Liebe und Angst fremder Sinnlichkeit und Bestialität unterliegt»,93 an den Grundsätzen eines charakterfesten Mannes dagegen sich aufrankt wie am Spalier die Rebe und jenem, wenn er schwankend werden will, selbst wieder zur Stütze dient.94 Er sinnt auf positiven Ersatz für die Sitte: «Du mußt ein Meitschi beobachten, wenn es am Morgen aus dem Gaden kommt», «am Säutrog, bei Tisch, im Wirtshaus, in der Kirche.»95 «Dreier Sachen achte dich wohl: ob das Mädchen sich regelmäßig und auch unterhalb des Göllers wasche; ob es alles anrühren dürfe, und ob es danke, bevor man ihm zweimal die Zeit wünschen muß.»96

An drei Dingen also hängt eine Hebung des Übels ohne Preisgabe des von der alten Sitte gebotenen Guten: Schulung des Sehens, Beobachtens und Kombinierens; Schärfung des Ehrgefühls und Pflicht­bewußtseins; Pflanzung wirklicher Sittlichkeit statt lüsterner Prüderie und selbstgerechten Tugendhochmuts.

Auf eins noch macht Arthur Bitter97 in seiner Weise aufmerksam. Der Städter und die Städterin können nicht rasch genug mit «Verlobungs­ring» und «Verlobungs­karten» als «Braut» und «Bräutigam» vor die Öffentlichkeit treten. Der Emmenthaler hat auch in dieser Beziehung «etwas Schämiges» — öppis G’schämigs. Grad eben bei der besondern Bedeutung séiner Ehe und bei dem hohen Grad séiner erworbenen Personenkenntnis ist ihm «fast und doch nicht ganz wie beim Sterben: da geht man auch so einem Tor entgegen und weiß nicht, was dahinter ist: die Seligkeit oder die Hölle.»98 Der Geheimhaltung des Verhältnisses bis zum öffentlichen Auftreten als Mann und Frau entspricht auch der echt bäuerliche Verzicht auf alle Abzeichen, den Ehering z. B., der, wenn er doch da sein mußte, ehedem ganz gut auch bloß aus 559 Silber99 bestehen konnte, lieber aber durch ein schönes seltenes Geldstück100 als sorglich verschlossenes Ehepfand ersetzt wurde.

Auch das Hochzịt aagää, d. h. die Anmeldung zur Eheverkündung, sowie das Verchünte selbst, das doch ehemals dreimal nacheinander von der Kanzel101 geschehen mußte, wenn nicht die erkaufte Beschränkung auf ein einziges Mal vom Uus­verchünte102 befreite, hält die Verspro­chenen noch immer vor der Welt auseinander. Es geschieht dies schon, um das Gerede der Leute zum Verstummen zu bringen, z’gschweigge.103

Um so festlicher pflegt dann bei einem jungen und hablichen Paare das Hóchzị̆t auszufallen. (Man bemerke die Gleichwertigkeit der Ausdrücke das Hochzit mit die Hụ̈raat, die Hüraatete,104 und Hochzit haa, hochzite,105 mit hüraate, mit Einere hüraate. «Han i mit dir oder mit dị̆’r Tochter ghüratet?» fragte der originelle Haueter Ueli seinen Schwiegervater, der ihm eine Neuerung aufnötigen wollte.)106 Die Trauung durch den Standesbeamten wie durch den Pfarrer heißt auch zsämegää;107 das Getrautwerden: sich la zsämegää. Dieser heute bloß noch bildlich verstandene Ausdruck war ehedem als symbolische Handlung buchstäblich gemeint: Der Pfarrer soll die Eheleute «mit den henden zesamen geben», schreibt die obrigkeitliche Verordnung von 1528 vor.108 Wie drum die junge und ledige Hochzịtere durch Aufsetzen des Brautkranzes109 das bekannte Opfer an den Ehemann andeutet, das dieser ehemals mit der Morgengabe erwiderte (heute allenfalls durch die Ehetage),110 so erschien der Hochziter ehemals (vor 1798) in der Soldaten-Uniform (i der Mu̦ndụ́r).111 Die legte Zeugnis ab, daß er (selbst als noch nicht Volljähriger) nunmehr in alle Rechte und Pflichten eines Staatsbürgers und Familienvaters eintrete. Dazu gehörte, wie das selber zu beschaffende Gewehr, auch der Feuereimer, und neben dem Einzugsgeld für eine von auswärts geholte Braut112 bezog Lützelflüh seit 1673 als Zoll für «ein Braut, sie seye frömbd oder heimbsch, 1 Batzen.» — Die Uniform legte auch das Voranschreiten einer Musig vor dem stattlichen Hochzeitszug und namentlich das Spielen eines (wenn auch nicht gerade Mendels­sohnschen) Hochzeitsmarsches nahe.

Solcher Ohrenschmäuse sind heute in der Regel nur zwei Arten am 560 Abend vor der Hochzeit zu hören: Kundgebungen der Freund- oder Feindschaft, oder beider zusammen. Jene besteht im Schieße, Hochẓit­schieße aus Mörsern (Mü̦ü̦rschle), Chatze­chöpfe113 u. dgl. Schade nur, daß das im Grund der Abwehr feindlicher Geister geltende114 Geknatter bisweilen eher einer Spekulation ähnlich sieht.115 Gänzlich der Verhüllung unbedürftig hält sich eine andere Bezehntung des Paares, das an diesem hohen Tage nicht geizen soll:116 das Spanne oder Ụụfhaa.117 Durch Spannen von Ketten oder Seilen quer über die Straße oder auch durch bloßes Stehen im Wege wird den Aufgehaltenen ein Lösegeld aberobert. Eine dem Schießen entgegengesetzte Begrüßung, die namentlich früher dem von auswärts geholten Bräutigam oder einer ebensolchen Braut galt, aber in niedriger Weise auch nur einem Paare gewidmet sein kann, wo nụ̈ụ̈t z’sụụfe zahḷt, ist das Troßle oder die Trosse͜l­fuehr. Der Trosse͜l ist, wie S. 296 erörtert, speziell auch die in allerlei Hausgerät bestehende Aussteuer.118 Nun läßt man etwa Eltern, deren Tochter ehrenhalber den legalen Vater zu einem Kinde suchen muß, höhnisch sagen, si söḷḷi denn en schönen Trosse͜l zwäg mache.119 Ursprünglich in ähnlicher Unterstellung höhnt man ein mißbeliebiges Ehepaar durch Karrikatur des Umzugs mit der Aussteuer ins Haus des Bräutigams,120 wobei Höllenlärm und Gejohle, unterbrochen durch allerlei anzügliche Rufe, die Hauptsache sind. Pfannendeckel werden zusammen­geschlagen, mit Peitschen wird geknallt; große Kuhhörner121 entsenden ihre Schauertöne, die noch in der Nabe eines Wagenrades oder einem Stück Brunnendeichel ihre Resonnanz finden; über einem Jauchebottich (Bschüttbocki) wird eine Backmulde quietschend hin- und hergezogen: Mue͜lte zieh, Mue͜lte chratze, Säugịịge; Bännen voll Steine werden rasselnd hin- und herbewegt; Klapper­instrumente tschä̆dere usw.122

Allerdings kein freundliches Omen für das nachherige Auskommen mit den Ortsbewohnern — namentlich wenn etwa die Hochzeiterin noch kein Geld im Sacke klingeln hat.123 Um so besser, daß die Brautleute durch ihr eigenes Verhalten einen großen Teil des Unglücks, das nach altem Glauben sie bedroht, abzuwenden vermögen. Den Wind und den umwölkten Himmel des Hochzeittages, der einen ebensolchen Ehehimmel voraussagt, können sie allerdings nicht ändern; dem Regen aber, der ihnen Glück regnen läßt,124 werden sie auch nicht wehren wollen. Um so mehr haben 561 sie die bedeutungs­vollen Worte in ihrer Gewalt, welche sie am Hochzeitsmorgen zueinander reden;125 und um so weniger wird die Frau das erste Wort vergessen, welches der Mann nach der Trauung zu ihr spricht. Denn so lange sie dies im Gedächtnis behält, cha si es ieders̆ Ghürsch (Gewirr) un en iedere Chnopf uuflööse.126 Es kann also vielleicht so lange haften, wie das Hochzeitsgewand hält. Denn an welchem Tage dieses reißt, geht auch die Liebe auseinander.127 Namentlich die Hochzịt­schueh, welche der Mann der Frau schenkt, während sie ihm das Hochzit­hemmli eigenhändig anfertigt, dürfen nicht brechen. Sie wandern daher alsbald nach der Hochzeit in den Spiher. Dasselbe geschah mit der Hochzeitsuniform — damit ein Annebäbi sie zu gegebener Zeit von alldort hervorholen und die Sohnsfrau als Wöchnerin darein wickeln könne, um so das Kind dem Vater inniger ans Herz wachsen zu lassen.128 Der Hochzịt­strumpf dagegen dient einer Großmutter Käthi129 und noch andern als Sparkasse für die gegen Kleingeld eingetauschten Silberlinge. Denn in ihren bessern Tagen hatte sie über rühmlich angesammelte Ersparnisse verfügt. Dafür aber hatte sie auch alsbald na’m Hochzịt ihre Hausfrauen­stelle angetreten,130 also nicht einmal dem Hochzịt-Samstig131 einen zweiten Tag für die Hochzịt­reis folgen lassen. Ganz zu schweigen vom Großtun einer dreitägigen Hochzịt.132

«Ga Sü̦̆niswiib sịị!»133 Damit bezeichnet der Volksmund sarkastisch auch den Stand, in welchen unter gewissen unerquicklichen Verhältnissen ein Tochtermann eintritt, der sich in Haus und Heim des Schwiegervaters einheiratet. Es wird damit an einem Ausnahmezustand im Bilde gespiegelt, was in Wirklichkeit alltäglich zu beobachten ist: die Mühe der Herstellung des Gleichgewichts in der Würde der Schwiger­mueter (Schwigere)134 und der Sohnsfrau oder Schwiegertochter: eben des Sü̦niswịịb.135 Der vorzüglichste «Ort der Handlung» pflegt bei solchem Gleichgewichts­bestreben der Feuerherd zu sein.136 Hier am allerersten können beide Teile die Klugheit ihrer wirklichen und ihrer scheinbaren Nachgiebigkeit bewähren — an scheinbaren Kleinigkeiten, die sich aber doch zu Haupt- und Staatsaktionen gestalten. Was kann z. B. nicht alles an dieser weltbewegenden Frage hängen: gäb men es Tröpfeli Wasser a d’Röösti tüej, oder gar e keis! Man bedenke die Folgen eines solchen Eingriffs in den altgewohnten Geschäftsgang und den ganzen Familiengeist, der das Besser­wissenwollen der Schwiegertochter mit Vertrauensentzug 562 auf Jahre hinaus bestrafen könnte. Drum ist es Süniswiib gäng tumm, wenn es aḷḷs na sịm Brụụch mache wott,137 und es hat das Urteil über seine Intelligenz wohl nicht erst hinter Türe oder Wand zu erhorchen nötig.138 Die Situation kann um so heikler werden, je weniger die Schwiegertochter mit dem Auskunftsmittel zuvorkommenden Selbermachens139 zum Ziele kommt. Denn das würde bei Personen, die niemals gerne alt sind, flugs als Verletzung des Grundsatzes gelten: am beste regiert me, we me’s säḷber macht. Auch käme zum Urteil darüber, was die Schwiegertochter ist, die Kritik dessen, was si chaa, gemäß dem Spruch: an eren Ankebaḷḷe un an eme Süniswịịb g’seht men aḷḷs. — Drum gestaltet sich das guet năhe choo mit einem solchen am besten, wo es mit dem feinen natürlichen Takt und der Herzensgüte eines Meyeli die Gutherzigkeit einer Schwiegermutter nach und nach, Zug um Zug aus der harten Schale der Verbohrtheit herauszulocken versteht. Wie trefflich weiß das blutjunge Frauchen auch bei wirklichem Bessermachen in der alten Jowägerin das Gefühl der Souveränität zu erhalten! Am leichtesten natürlich gestaltet sich das Nahe choo bei entsagungs­fähiger Seelenhoheit der Schwiegermutter.140

Leichter wird es der Schwiegertochter, mit dem Schwiegervater (Schwä̆her­vătter,141 Schwäher142) auszukommen. Durch freundliches Zudienen143 ohne durchsichtiges Spekulieren auf die Erbschaft144 wird dessen Herz unschwer gewonnen,145 so daß «mit des Schwähers Beinen»146 allerlei Vorteile zu erlangen sind und Klagen wie die folgende nicht allzuhäufig in das «Hausbauch» einzutragen sein werden: «Der schwäher Vat(er) der Uli lüti hat Meir die fer sprochene eh stür nycht bezalt.» (1776).147 Noch leichteres Spiel hat der Tochtermaa, sobald er bei dem strengen und doch geschickt unter zwanglosem Geplauder versteckten Examen148 des Schwiegervaters sich darüber ausgewiesen hat, daß dessen Tochter an es rächts Ort chööm.

Fällt hier die freie Wahl des Getrennt- oder Zusammenwohnens entscheidend ins Gewicht, so auch für das Auskommen mit einer Schwägerin (Schwä̆gere),149 dem Gäge­schwäher150 und der Gäge­schwigere.151

 
1 Eggiw. 87.   2 Trub 30, 95.   3 UK. 281.   4 BSp. 54.   5 Käs. 244.   6 ZB. Signau 1436.   7 Müller LK. 37.   8 Spinne 13.   9 AB. 1, 340 f.   10 Vgl. Montgomerys «Mistaken».   11 Michel 187.   12 Gfd. 38, 271: schwz. Id. 4, 470.   13 Bsp. 303.   14 Ott 1, 52.   15 Kuhn AR. 1818, 148.   16 Kuhn 9.   17 Joggeli 24.   18 AB. 1, 198.   19 GG. 2, 44.   20 EJogg. 1902, 40.   21 Herdenr. 3, 9.   22 UK. 276 uö.   23 GG. 3, 56,   24 AB. 1, 244 371; Michel 257.   25 AB. 1, 389.   26 «Wenn wir Tote erwachen» 53.   27 Michel 258.   28 AB. 1, 269; vgl. BwM. 170.   29 173-6.   30 GG. 2, 70.   31 GG. 3, 22.   32 UK. 336.   33 Besuch 145.   34 AB. 1, 169 uö.   35 SchM. 2, 91.   36 AB. 1, 405 ff; vgl. Manuel 208.   37 Spieß 27.   38 Ott 1, 60; Böhneler 187.   39 Müller LK. 59 uö.   40 Käs. 440.   41 GG. 3, 19 11.   42 Ebd.   43 Land 64.   44 «Der Kohlenbrenner und der Müller» AR. 1818, 146-178.   45 AB. 1, 194.   46 Ebd. 1, 152.   47 Ebd; Christen 204; Michel 293.   48 AB. 1, 194; Michel 192.   49 GG. 3, 4 2, 152; Michel 227.   50 Vgl. dagegen AB. 1, 322.   51 Michel 293.   52 GG. 2, 74.   53 Michel 186.   54 Ebd. 184.   55 GG. 2, 75; Christen 202.   56 GG. 2, 104.   57 Lischeb. 2; Müller Hk. 38; LK. 48.   58 An die «Schachzüge» des Brettspiels («Brett» heißt auch Britt) anknüpfend, kann man mit schwz. Id. 5, 914 definieren: etwas durch allerhand Umtriebe, auf feine Art in die Wege leiten; im Geheimen verabreden, einfädeln, anzetteln. Vgl. «Ir Bischoff hat gebrittlot das» (diesen Krieg. Niklaus Schorr).   59 Besuch.   60 Nach Art zB. von AB. 1, 230.   61 Vgl. Segen 81.   62 Andrees Braunschweiger Volkskunde 229. 294. 339. 345. 351; Elard Hugo Meyers deutsche Volkskunde 154 ff; Hans Meyers «deutsches Volkstum» 279 ff.; Wyß j. 233 f.   63 In Island und Norwegen ist noch jetzt «das» kveld die gewöhnliche Bezeichnung für «Abend».   64 Ger. Tw. (1789); Dursli 317.   65 Kuhn (Abfahrt von der Alp).   66 Ger. Tw. (1789).   67 SchM. 1, 231 f.   68 Christen 123.   69 Vgl. Wyß j.; «Oberland» gegen Ende.   70 Käs. 460.   71 Käthi 179.   72 Ebd. 173 ff. 295; Beitr. 651; Käs. 244.   73 An AB. 131; Wege 320.   74 Ztgst. 2, 159.   75 Müller LK. 75.   76 Vgl. SchM. 1, 326.   77 BSp. 139.   78 Käs. 345 f.   79 Elsi 56.   80 Wyß j. 334.   81 Vgl. Robert Weber 1, 308.   82 Kuhn2 IX.   83 Vgl. Manuel 26.   84 BSp. 145. 213; SchM. 2, 56 ff.; Christen 190.   85 SchM. 1, 229.   86 Ebd. 225.   87 Haller, Alpen.   88 SchM. 1, 229.   89 Arm. 34.   90 BSp. 214; vgl. UK. 13; Jesuiten 325.   91 SchM. 2, 74 Hsa; 1, 223 Hsa.   92 BSp. 198.   93 Ebd. 214; Beitr. 21.   94 SchM. 2, 56. 57. 60 61.   95 Michel 184.   96 GG. 1, 53.   97 Zh. 15.   98 UK. 422.   99 Ger. Tw. (1786 1792).   100 ZB. AB. 1, 281   101 «Verkünden» (oder «offnen») bezog sich ehemals (vgl. Taufb. 23. 24) auch auf die Nennung der in verflossener Woche Verstorbenen von der Kanzel, also die noch heute in Zürich übliche «Abdankung».   102 BSp. 214; AB. 1, 444.   103 SchM. 2, 77.   104 Widmer 88 ff.   105 AB. 2, 10.   106 OB. 1903, 25.   107 Widmer 173.   108 Taufb. 20.   109 UK. 428.   110 AB. 1, 189.   111 AB. 2, 123.   112 Arm. 41.   113 AB. 1, 463.   114 Hans Meyer 282. 284.   115 Barthli 40.   116 UK. 417.   117 SchM. 2, 94; Hans Meyer 282 284; dafür im Zürcher Oberland der interessante Ausdruck «ver-letzen» = hindern, vgl. «Letzemauer».   118 UK. 117 310 336 uö.   119 BwM. 156; Wyß j. 336.   120 Beitr. 108 zu UK. 416; Wyß j. 335: «Zügelfuhr oder Treichlete».   121 Michel 306.   122 SchM. 2, 93 Hsa.   123 UK. 421.   124 Andere Deutung GG. 3, 59.   125 UK. 422.   126 A. f. Vk. VII, 132.   127 Barthli 59.   128 AB. 2, 123 f.   129 357.   130 Vgl. UK. 404.   131 UK. 356.   132 GG. 1, 6.   133 UK. 132.   134 Besuch 151 uö.   135 AB. 2, 32.   136 Ebd. 1, 8.   137 UK. 142.   138 AB. 2, 365.   139 Ebd. 2, 18.   140 UP. 102; Segen 83.   141 MW. 2J. 267.   142 Tell 132; UP. 433 uö.   143 BSp. 130.   144 Kurt 93.   145 BSp. 348.   146 Ebd. 328.   147 Bifang.   148 Christen 190; Michel.   149 Ztgst. 2, 31; Kurt 93.   150 Sintram 4; Bitt. Zh. 16.   151 AB. 1, 118.  
 

Tod und Grab.

«Was ist die Menschheit anders als eine große Heeressäule, die dem Grab entgegen­wandert!»1 So heißt denn auch in einigen Alpentälern das Sterben «verzü̦gle», d. h. zu Ende oder zum letztenmal umziehen,2 ein endgültiges Verlassen der innegehabten Wohnung, von welcher der zu Grabe Gelegte fortan ụse­b’schlosse ist. Solches Use­b’schließe geschieht allerdings in recht verschiedenerlei Sinn. Am gründlichsten, wo me mit dem Erben nid mag gwarte.3 Die Eile, die es damit haben kann, persifliert man etwa, indem man einen mit fliegenden Rockschößen Dahereilenden fragt: Wost öppe ga erbe, daß d’ so pressierst? Solchem Lauern4 auf eines Angehörigen Tod und solch schlecht verhehlter Freude daran5 steht vollwichtig gegenüber «das Sehnen der Liebe als die Totenmesse» des Reformierten, wobei «Tränen das Weihwasser» bedeuten.6 Die sinnvolle Erzählung vom Tränenkrüglein aber findet bei uns folgende, in einem Briefwechsel zwischen trauernden Müttern gefaßte Form: Drei Trüppchen abgeschiedener Kinder wanderten froh und selig einher. Eins aber trippelte von ferne langsam hintendrein und hatte die größte Mühe, ein Handgefäß (es Häfeli) voll Flüssigkeit so zu tragen, daß es vom Inhalt nichts verliere. Das waren die um seinetwillen vergossenen Tränen, welche Tag und Nacht aufzusammeln und zu bewahren die «Seligkeit» des armen Kindes ausmachen sollte. Des ward endlich die Mutter in einem Traumgesicht inne, tat ihrem unaufhörlichen Weinen Gewalt an, und das Kind hatte endlich Ruhe.

Eine segensreichere Totenfeier ist jedenfalls «das Trachten, durch Heilighaltung seines letzten Willens den scheidenden Geist zu befriedigen, damit er nicht durch ein Ungenügen gleich als wie an einem Haken an der Erde hängen bleibe oder durch eine Verletzung seines Willens gar zurückgezogen und an seiner Ruhe gehindert werde.»7

Ganz besondere Rücksichten gebietet uralter Volksglaube gegenüber den Kind­betterinnen (Chind­bettere, Chim­petteren). Ihnen zuerst wurde die Wohltat und Ehre zu teil, in vollem Anzug samt Schuhen und Strümpfen und mit voller Ausstattung bis auf das Taschenmesser und den Fingerhut in den Sarg gelegt zu werden. Wer eins dieser Dinge ihnen vorenthielt, mußte gewärtigen, daß die in ihren Rechten 564 Verkürzten nachts auf dem Fenstergesimse leise anklopfend das ihnen Gebührende, sonderlich die Schuhe, zu fordern kämen. Dieses «Gehgerät» (s. «Gewand») pflegt nämlich als zwecklose Vergeudung bei dem sonst üblichen Leichenanzug wegzufallen. Derselbe hat nun auch bei uns seit langem das frühere Einnähen8 in ein Leintuch9 («in den Toten­leinewand»10) oder allenfalls das Anziehen des Totenhemdes11 ersetzt. Man weiß sich auch zu erzählen, wie diese an sich unerhörte Neuerung aufgekommen sei. Ein Schmiedgeselle sah schaudernd zu und ließ den Meister, der ihm über die Achsel blickte, ebenfalls zuschauen, wie peinlich mühsam eine Kindbetterin ihrem eigenen Leichenzug folgte. In das übliche weiße Tuch eingenäht und damit im Gehen behindert, stieß sie sich alle Augenblicke an den spitzen Steinen der Straße und rieb sich die Füße wund.12

Das Leinenstück — Lümpli —, das zum Waschen des Toten gedient hat, wird noch heute nach spezifisch bernischer Sitte um einen Baum gewickelt. Der Fortschritt seines Zerfalls zeigt denjenigen der Verwesung im Grabe an. Die Bäume aber werden dadurch unter den direkten Schutz des Toten gestellt, ganz so, wie nach sonstigem tief in das Leben eingreifendem Sympathie-Glauben auch dem Gewand des Toten als seiner «äußern Seele» die nämliche oder noch mehr geheimnisvolle Macht innewohnt wie sonst dem Lebenden selber.13 Der Spreuersack dagegen, der zum Sterbebett eines Kindes gedient hat, wird auf stark begangenem Karrwege spurlos entleert, damit der Inhalt «von den Leuten zertreten werde». «Zertretenes Elternglück» ist die heutige symbolische Deutung, Sicherung der Totenruhe der mythische Grund oder doch Hintergrund.

Der Leiche wird eine Bibel unter das Kinn (vielleicht auch in die gekreuzten Arme) gelegt, das Haupt wird sehr häufig auf ein Sargkissen14 gebettet. Ein mattes Nacht­liechtli, mit oder ohne Totenwacht, erhellt der Seele ihre dunklen Wege ins Jenseits, indes der Tootebaum15 der Großen, das Tootebäumli16 der Kleinen (vgl. damit die Re-Bretter)17 den Leib birgt. Der Schrein-er, Tischmacher,18 «glaßer» (1657) fertigt ihn an und hilft in ihn die Leiche bergen. Der Posten von «ij lb.» (2 Pfund), welcher in der Kirchenrechnung von 1657 «vmb ein dottenboun einer armen frouwen»19 figuriert, läßt trotz seiner relativ bedeutenden Höhe darauf schließen, daß auch 565 diesem Sarg der schwarze Anstrich gefehlt habe.20 Derselbe galt nämlich ehedem als Luxus, den sich nur Haablichi (Wohlhabende) gestatteten; ihn ersetzte jedoch ein schwarzes Tuch mit vier Quasten (Tschottle).

Ein Familienglied tritt, mit schwarzem Hut und Halstuch21 oder schwarzer Schürze22 angetan, den sauren Gang an, ga d’Lịịch oder d’Lịịcht azgää beim Standesbeamten,23 Pfarrer, Leichenredner, Sigrist als Totengräber, Schreiner. Dasselbe muß auch bei den zum Leichengeleit Ausersehenen ga z’Lịịch dinge, se heiße z’Lịicht choo. Leidzirkulare werden meist nur nach auswärts versandt.

So früh im Vormittag, als es nötig ist, um zum Mittagsgeläut den Kirchhof zu erreichen, versammelt sich das Leichengeleit vor dem Sterbehause. Den von weither Gereisten (bisweilen auch allen) wird im Haus eine kurze Erfrischung gereicht. Dann umsteht man draußen im Halbkreis den auf zwei Stühlen aufgebahrten, wohl auch mit Kränzen bedeckten Sarg, und es beginnt das Bätte oder ’s Lịịhe­gebätt, welches in der Regel eine Rede mit abschließendem Gebet bedeutet. Im Umkreis des Dorfes und in den nächsten Ortschaften übernimmt dasselbe der Pfarrer, in entlegenen Bezirken der Lehrer des Orts. Die Würde und Weihe, welche heute überall ausnahmslos der Feierlichkeit ihren Charakter gibt, sticht wohltuend ab von den ins Komische verzerrten Bildern aus dem Beobachtungs­kreis eines Gotthelf und einer Marie Walden. Ein von ihnen auf die photographische Platte genommener Oberlehrer verfügte über einen Vorrat von drei Leichenreden: einer pfündigen, einer zehn- und einer fünfzehnbatzigen, deren Auswahl er der Trauerfamilie überließ.24 Ein anderer wählte selbst, je nach Ansehen der letztern, unter den allzeit bereit gehaltenen «von Cherubim und Seraphim» und «vom verlornen Sohn»;25 die «mit den sieben Sternen» dagegen mußte aparti verlangt und höher bezahlt werden,26 indes die mit dem schwarze Bän͜deli gekennzeichnete «von der verwelkten Blume» für Konfirmanden aufgespart wurde. Letztere freilich konnte ihm boshafterweise der Pfarrer verpfusche, indem er selber «betete».27 Immerhin mußten die derart vorrätig gehaltenen Reden jedem neuen Einzelfall angepaßt, «komponiert»28 werden, wenn auch ein solches Gibätli oder Lịịche­redli29 (kleine Rede) nicht mehr allzuviel Sorgen machte. — Das Typische solcher Anekdoten liegt immerhin darin, daß der zeitlebens wie ein Schaf in der Herde verschwindende 566 Einzelne doch wenigstens einmal, bevor auch über seinen Grabhügel Gras wächst und die Menge der Nachfahrn achtlos darüber hinwegschreitet, eine ohr- und augenfällige Gewähr haben will, daß auch er im «Buch des Lebens» eingetragen sei. Jene arme Kreuzträgerin, die, unter heißen Tränen rückblickender Selbst­bemitleidung, dem herbeigerufenen Ortslehrer eine Stelle nach Art des 137. Psalms als Text der über sie zu haltenden Leichenrede vorschrieb, zeigt lebhaft, bei wie vielen und welcherlei Gemütern jene Rednerpraxis sich im ihr relativ gutes Recht setzte. Veredelt sie sich zu dem Bestreben, am Sarg und Grab den unsagbaren Wert hervorzuheben, der selbst einem ganz verschätzten Menschenleben innewohnen könnte und sollte, und sucht sie auch unter den schwierigsten Umständen no öppis ŭ̦s ị̆hm z’mache, so steht sie unzweifelhaft hoch über manch einer gedruckten Lobhudelei mit und ohne Verslein.

Einmal noch etwa hebt der Schreiner den Sargdeckel ab: so, wär iez der Fuhre-Hans (oder wer es sei) no einist luege wiḷḷ, söll ne no luege! — Ein letzter Abschied, und nun die «letzte (für diesen und jenen zugleich die erste) Ehre»! Der Schreiner vermacht (verschließt den Sarg), und Umstehende sind behilflich, ihn auf das Bärner­wägeli zu heben. (Einen Totenwagen besitzt das benachbarte Sumiswald.) Dabei, wie schon zum Austragen aus dem Hause, wird Obacht genommen, daß des Toten Haupt voran komme: nichts soll an eine Rückkehr ins Haus erinnern. Die Schiffe sind hinter dem Toten verbrannt, der Landungshafen diesseits gesperrt — die keinem Steuermann vertrauten Meerpfade ins Jenseits fährt der Tote im Einbaum: dem bei den Alten aus éinem Stück gemeißelten Tootebaum. Wohl ihm, wenn er für richtigen Kurs und geistige Wegzehrung nicht erst in zwölfter Stunde gesorgt!30

Die einer solchen Fahrt zukömmliche Stimmung mag jeweils die Tootehŏle veranschaulichen: jener schroff abschüssige, zur Winterszeit vergletscherte Hohlweg am Fuß der Schaufelbühl-Egg. Lieber freilich zieht man gebahntere Wege, namentlich wo ein Grabgeleite von zweihundert und mehr Personen selbst in strenger Arbeitszeit dem Glied einer hervorragenden Familie oder einem unter ergreifenden Umständen Verstorbenen gilt. Immerhin ist hervorzuheben, daß ein sehr ansehnliches Ehrengeleit auch dem Armen und Ärmsten zu teil wird, der in ehrenhafter Arbeit sich durchgeschlagen, und daß unter Umständen gerade hier Bauern und Bäuerinnen sich am allerwenigsten durch ihr Gesinde vertreten lassen. Die Aussicht auf eine Fleisch­grẹbt (ein bankettartiges 567 Mahl) im Wirts- oder Sterbehaus entscheidet also hier in keiner Weise, und die Einladung zum Glase Wein mit Brot und Käse (Chääsgrebt31) wird bloß angenommen, um nicht durch Abschlag den Mittellosen zu verletzen. Vergleiche damit die «begrebtmäler»32 der «guten alten Zeit»!

Leichengeleit und Leichenmahl tragen den gemeinsamen Namen Grẹbt oder Lịịcht («Leiche»).33 Überschauen wir von einem verborgenen Punkte aus eine Grebt, welche einer angesehenen jungen Frau gilt! Voraus geht dem Zuge das zahme, womöglich schwarze Roß, samt seinem Geleitsmann aus einem benachbarten oder befreundeten Hause erbeten, lieber nicht dem eigenen Hofe entnommen. Dem mit Blumen und Kränzen bedeckten Wagen folgen die Familienglieder und nächsten Verwandten. Es schließen sich, da es einer weiblichen Person34 gilt, Frauen und Mädchen (umgekehrten Falls die Männer) an, allesamt in schwarzem Anzug. Nicht minder ausgiebig ist die Zahl der Männer und Knaben, deren schwarze Hüte und auch in der Hitze nicht fehlende Röcke den ehemals in Säcklein zum Trauerhaus mitgetragenen und zum Geleit angezogenen Mantel35 ersetzen. Man sieht, niemand ist einzuladen vergessen worden, und alle sind z’Liicht g’gangen: Verwandte, Familien, deren Glieder man auch schon geleitet, Paten, Arbeiter und Dienstboten des Hauses; Mietsleute, auch kein Armer fehlt,36 überhaupt ist wohl jedes Haus im Umkreis einer Stunde vertreten. Allerdings muß auch hier wie anderwärts gar vielfach die Quantität des Ehrengeleites dessen Qualität ersetzen. Was man in einem so langen Zug zu hören bekommt, trägt nicht alles den Stempel untröstlicher Trauer.37

Der Friedhof ist erreicht. Roß und Rad hält an, die Menge der Männer entblößt das Haupt, der Sarg kommt auf die Bahre, und der Versenkung folgt des Pfarrers Einsegnungswort. Wie weihevoll wirkt es, frei und nach den Umständen am Grabe gesprochen, gegenüber dem anderwärts noch heute durch den Totengräber mechanisch wiederholten «Gott geb dir e fröhlichi Urständ»!38 Den Schluß der Feier bildet das liturgische Gebet in der Kirche.

Dann noch ein Blick in des Grabes Tiefe, und diese schließt sich. Offen bleiben darf sie am wenigsten währenb einer Trauung39 — die übrigens an einem Beerdigungstage, wenn irgend möglich, vermieden wird —, da sie sonst baldigen Tod bedeuten würde. Den frischen Grabhügel 568 schmückt vorläufig ein Kranz, später aber, wenn er sich gsetzt het, ein Grabmal, wenn auch nur ausnahmsweise, «à perpétuité», wie das Gotthelfsche. Rosen und andere Blüemli fehlen so wenig, daß man auch bei uns sehr gut die Gleichnisse versteht: Toote­blüemli = Blutflecken unter der Haut alter Leute; Chiḷch­hofrö̆seli = scharf abgegrenzt rote, talergroße Flecken auf beiden Wangen Schwindsüchtiger oder Hektischer.

Die grünen und die toten Denkmäler gereichen der gesamten Umgebung der Kirche von Lützelflüh um so mehr zur Zierde, da der Chiḷchhof samt seiner im Sommer 1903 eingeweihten beträchtlichen Vergrößerung sich einer sorgfältigen und sinngemäßen Pflege erfreut. Durfte er schon zu Gotthelfs Zeit als «ungemein reinlich gehalten» gerühmt werden,40 so leistet nun vollends die Obhut eines Fachgärtners Bürgschaft dafür, daß er sich so schönen Friedhöfen wie dem zu Sumiswald jederzeit würdig zur Seite stellen dürfe. Dies ist um so erfreulicher, da die geweihte Erde gegen die Emme hin das schlichte, aber sinnig gehaltene Denkmal Gotthelfs, die Kirchhofmauer aber gegen das Pfarrhaus hin eine Reibe teilweise schön gemeißelter Grabmäler alter Landvogts­familien trägt. Denn solche teilten ehedem mit ungetauften Kindern und im Wochenbett gestorbenen Müttern41 das Vorrecht, in nächster Nähe der Kirche beerdigt zu werden. Hier genossen sie des denkbar größten Schutzes vor Störung ihrer Ruhe, die ja übrigens als streng gewahrtes Recht42 allen gesichert ist, die hier im Bode,43 un͜der dem Bode,44 un͜der dem Härd45 lị̆ge. Habe man sie mit größern oder geringern Ehren i Chiḷchhof g’leit,46 vergrăbt («vergrabe»47 = begraben, beerdigen), un͜dere taa48 oder sonstwie bestattet: erscheinen müssen sie vor dem ewigen Richter mit dem, was sie in ihrer Spanne Zeit aus dem Maß ihrer Gaben gemacht haben, und allen folgen ihre Werke nach: «den großen Geistern, deren Namen man unsterblich nennt; dem Bettler, der vor den Türen lebte, und der armen Spinnerin, die Kuder spann ihr Leben lang.»49

 
1 GG. 3, 127.   2 Kasthofer AR. 1813, 178.   3 SchM. 2, 302.   4 Geltst. 114 ff.   5 GG. 2, 115.   6 Sylv. 237; Schuldb. 86; Schlachtf. 323; Bitzius 3, 369 ff; 4, 366 ff; Kätheli 286 f.   7 Ztgst. 2, 34.   8 EbM. 250.   9 Ztgst. 2, 50.   10 Pfr.-Ber. 165.   11 SchM. 2, 126.   12 Über den mächtig in unsere Zeit hineinragenden Animismus soll seinerzeit eigens gehandelt werden.   13 Siehe «Gewand»; vgl. Singer im A. f. Vk. 1, 204; dazu 7, 140 113.   14 Müller Hk. 70.   15 Tr.-Pfr. 48 uö.   16 MW. BK. 45.   17 Hans Meyer 288; = ahd. href = lat. corpus, Körper.   18 MW. Ws. 80.   19 Bifang.   20 Geltst. 2.   21 BwM. 162; Schuldb. 51.   22 BSp. 48.   23 Totenrödel erscheinen auf dem Lande meist erst seit 1728, obligatorisch (an Visitationen vorzuweisen) seit 1748; in Trachselwald seit 1713, in Langnau seit 1728 usw. (Pfr.-Ber. 91 109).   24 SchM. 2, 299.   25 Ebd.   26 MW. KR. 42 54.   27 Ebd. 43.   28 Ebd. 52.   29 Ebd. 41, 52.   30 Geltst. 123 f.   31 Barthli 63; Schuldb. 51; Geltst. 6; Dorfk. 1871, Bg. 8; Nschwander 12.   32 Jost 263; SchM. 2, 293 ff; Geltst. 2; BSp. 53; Erbv. 68; Pfr.-Ber. 166; Ger. Tw. (1764).   33 AB. 1, 86.   34 Ztgst. 2, 54.   35 Erbv. 73 74; Geltst. 6; SchM. 2, 302.   36 Ztgst. 2, 49; MW. 2J. 282.   37 SchM. 2, 332 338; UP. 442; Geltst. 2.   38 MW. Ws. 89.   39 Grimm Myth. «Aberglauben» Nr. 482.   40 Fröhlich IX.   41 SchM. 2, 184 f; BSp. 289; Beitr. 116 110.   42 AB. 1, 249 251.   43 Ott. 1, 16.   44 Müller LK. 40.   45 GG. 3, 27.   46 Kuhn 8.   47 AB. 1, 376.   48 BSp. 325.   49 SchM. 2, 209.  
 

Das heilige im Leben.

Sache und Wort.

D

 

as Bewußtsein, daß alle gute Gabe von oben komme, erhält sich am längsten bei dem Landmann, der alle Tage Gottes Macht vor Augen hat und die eigene Ohnmacht, wie Gott unerwartet nehmen kann, aber ebenso unerwartet geben. Der Landmann bedarf aber auch dieses Bewußtseins, damit er geduldig auszuharren vermöge in harter Arbeit bei so zweifelhaftem Erfolge, im Vertrauen auf den, der da seine milde Hand öffnet zu seiner Zeit und mit Wohlgefallen sättiget, was da lebet. Wo dieses Bewußtsein erlischt, da kommt das Ungenügen, die Unzufriedenheit, das Unbehagen über den Bauer. Sein Stand, der 570 schönste sonst, scheint ihm der lästigste; seine Verhältnisse verleiden ihm; er fällt auch der Zerrissenheit anheim, welche als eine neue Art von Auszehrung die Kinder dieser Welt verzehrt.1

Grade von solcher «Bauernreligion»2 aber, im besten Sinne dieses Wortes verstanden, läßt sich am treffendsten dasselbe sagen, was von der Frau: diejenige ist die beste, von welcher man am wenigsten redet.

«Der Augapfel des Menschen ist zart; nicht weniger ist’s auch ein zart Ding vmb die Religion und das Gewissen.»3 So 1670 der Pfarrer De Losea4 in seiner Eingabe an die Berner Regierung um Schonung der «Wiedertäufer».5 Wie richtig hat er damit das innerste Wesen der Religion zumal unserer bernischen Landbevölkerung getroffen! Je tiefgründiger sie ist, desto scheuer zieht sie sich in sich selber zurück, und um so weniger wagt sie sich an die Oberfläche und Öffentlichkeit. Ja von ihre redet nicht einmal gern der Vertraute zum Vertrauten. Wie sagt zur jungen Pächterin6 ihre Base? «Wie ein jung Mädchen nicht gerne von seinem Schatz redet außer mit der allerbesten Freundin, und allemal rot wird, wenn es dessen Namen hört: so habe ich es mit dieser Sache und mit dem, der mich allein selig machen kann.»

Wie muß drum einem echt religiösen Menschen, einem so innerlich verschlossenen Emmenthaler zumal, es durch die Seele schneiden, wenn er jene markt­schreierische Import-Religion, die man uf Stange de̥s ume treit,7 sogar zu schamlos unverhüllten Erwerbszwecken auch in seinem Gebiet einziehen und sich breit machen sieht!

Mit solcher Scheu vor Markt und Gasse hängt auch zusammen, daß das religiöse Leben sich so wenig im sprachlichen ausprägt.

Einen Beleg dafür bieten schon die konfessionellen Angelegenheiten. Lützelflüh ist — schon als emmenthalische — eine fast ausschließlich protestantische, genauer: evangelisch-reformierte Kirchgemeinde; sie zählte 1900: 3447 (ortsanwesende) Protestanten, bloß 17 Katholiken (in Burgdorf pastoriert), und gar keinen Genossen anderer Konfessionen. — Im Kanton Bern wohnten zu derselben Zeit 506,837 Reformierte, 81,162 Katholiken, 1572 (1888: 1195) Israeliten, und 1736 Andersgläubige. — Dem entspricht auch im allgemeinen die Art, wie man etwa aus unklarem Hörensagen das Wort katholisch oder häufiger: kartholisch gebraucht. Entsprechend der bekannten Redensart: das geit (lärmend zu) wi in ere Judeschue͜l! sagt man auch in Erinnerung an die lateinisch 571 zelebrierte Messe, ob deren Unverständlich­keit es dem ungeduldigen Hörer «sturm im Chopf» werden kann: Das ist zum Katholisch wärde! «Es ist aber auch nichts so sehr zum Katholisch­werden, als so ein sturmer, halberwachter Mann.»8 Ganz zu schweigen - von dem Mißtrauen eines Jowägerschen Ehepaars auf dem Markt in Solothurn, dem der Stallknecht «der Sprache an ein kartholischer»9 zu sein schien, dessen Obhut man schwerlich ein Roß anvertrauen dürfe;10 das sich auch zwingen mußte, «etwas kartholisches zu essen», weil es eben so ganz e kartholische Chust heig.11 Dem entspricht ferner die Vorstellung von «heidnisch», das bisweilen soviel wie «vor­reformatorisch» bedeutet.12 Noch unklarer aber blickt der das Wort Brauchende zurück in die sagenhafte Vergangenheit der Riesen­geschlechter, nach denen er in bekannter Weise von Heide­grẹbere, Heide­löchere spricht, einen Wald bei Oberlauterbach «Heidmóos» (Héidmi̦s) nennt, und etwas abnorm Teures, außerordentlich Unverschämtes u. dgl. heidemäßig tüür, heidemäßig uverschant findet.

Unser bald vierhundert­jähriger zwinglianischer Protestantismus aber hat keinen einzigen derartigen Absenker erzeugt.

Der hiefür bereits angeführte Grund wird durch einen ihm nah verwandten zweiten mächtig verstärkt.

Reichlich «bestätigte unsere Geschichts­betrachtung die Erfahrung, wie ungeheuer konservativ die religiöse Denkweise des Volkes ist. Dieselben Gedanken, beinahe dieselben Ausdrücke erben sich zähe fort von Geschlecht zu Geschecht durch Jahrhunderte.»13 Drum auch jener — bei aller äußerlichen Unterwerfung nur um so gefürchtetere — passive Widerstand, welchen das Emmenthal der offiziell bernischen Einführung der zwinglischen Reformation entgegensetzte. «Mit düsterm Ingrimm sah das Volk der Entfernung der Heiligenbilder zu und war jahrelang kaum zu bewegen, die Prediger der neuen Lehre anzuhören.»

Solcher Widerstand lag aber tief im Wesen der emmenthalischen Frömmigkeit selber gegründet. Es liegt im Wesen der Sache, daß nur die Glaubensrichtung eines Paulus, Augustin, Luther die Allgewalt Roms in der innern Gemüts- und in der äußern politischen Welt zu brechen vermochte. Allein das Christentum des Emmenthals steht, gleich, dem seines genialen und kongenialen Darstellers Gotthelf, auf dem ethisch religiösen Boden der alttestament­lichen Propheten;14 und es wirkte Jahrhunderte lang im Stillen arbeitend und duldend an der Geistes­befreiung, 572 die erst der gewaltigen, schließlich auch gewaltsamen Anstrengung der Reformation in ausgedehntem Maße gelang. Denn es ist eine der bemerkens­wertesten Entdeckungen, daß die uns so sympathisch berührenden Gemeinschaften der französischen Waldenser, der niederländischen Mennoniten, der schweizerischen «Brüder» ihre letzten Ausläufer hinterlassen haben in den «altevangelischen, wehrlosen, taufgesinnten Gemeinden»,15 deren offizielle und landläufige Bezeichnung sonst Täufer16 (1534: «Däuffer»)17 lautet. Das bei uns heute einzig gangbare Wort Wider­täufer war ursprünglich ein Spott- und Schimpfname, mit welchem seit der Taufe Blaurocks in Zürich (1525) überhaupt alle Gegner der staatlich anerkannten Kirchenlehre belegt wurden. In den ehrenvollern Namen Alttäufer18 und Halbtäufer19 aber birgt sich der Gegensatz gegen die agressive Sekte der «Neutäufer» und die ehemals freundliche Fühlung mit der Landeskirche.20

Erst die fortgesetzten Verfolgungen seitens der Obrigkeit gaben der Abneigung der Täufer gegen jeglichen «Dienst der Welt» das Schroffe, das sich nun in der gesamten persönlichen Selbst­darstellung bis auf das Gewand ausprägt. Altväterische Hafte ersetzen die Knöpfe am Kleid; Männerhüte mit kleinem halbkugeligem Kopf und breitem Rand, ein schmuckloses Frauenkäppchen mit schmalen Spitzen21 oder kaum bemerkbarem florartigem Bändchen22 verdrängen jede modische Kopfbedeckung. An letztere erinnert die Stündeli­chappe23 mit ihrem Namen, sehr wenig aber fachlich mit ihren «kostbaren Spitzen oder Bändern», wie zu Gotthelfs Zeit Zierpuppen sie trugen.24 (Es ist ja eine alte Erfahrung, wie die kräftigste Reaktion gegen Modetorheiten handkehrum in deren raffinierteste Dienste tritt.) Ein Protest sodann gegen alle Coiffeur-Künste ist der lange Bart, der zu der Täufer ernstem Blick auch sehr gut paßt.25 Damit stimmt die Flucht vor allen geselligen Vergnügungen26 und allem nicht strikt entbehrlichen Handel und Gewerbe.

Was ihnen aber als «Lätzköpfen» den so tragisch endenden Kampf mit der Obrigkeit gebracht hat, ist die Verweigerung von Eid und Militärdienst, ihre «Wehr- und Waffenlosigkeit».27 Auch viele Lützelflüher wurden in den immer furchtbareren Kampf verwickelt, der mit den traurigen Täufer­jeginen,28 mit Hinrichtungen und Güterkonfis­kationen endigte. Wie sehr aber das religiöse Volksgemüt der Emmenthaler mit diesen nach und nach auf arme Reste dezimierten Märtyrern29 sich innerlich 573 verwandt fühlte, zeigen u. a. die erbitterten Aufstände gegen die Täuferjäger, diese «richtige Räuberbande»;30 zeigt das Hasli­bacherlied (auf den Tod des Hans Haslibacher zu Haslibach bei Sumiswald, 1571):31 das abgeschlagene Haupt flog weit weg in den Hut, und der Staldenbrunnen in Bern, der Zeuge des Justizmordes, schwitzte Blut.

Aber auch Höhergestellte verwendeten sich warm für die stillen, ehrlichen und sittenstrengen Leute. Voran ging der Eroberer der Waadt;32 ihm folgten Staatspfarrer, wie Georg Thormann in Lützelflüh, der wegen seiner exemplarischen Frömmigkeit33 hochangesehen war. Gegen die erbittert gewordene Täufer-Mißhandlung richtete derselbe die ebenso mut- wie maßvolle Schrift: «Probier-Stein, oder Schriftmässige, und auß dem wahren innerlichen Christenthumb Hargenommene, Gewissenhaffte Prüffung deß Täufferthums In der Forcht deß HErrn HErrn zu Allgemeiner Erbauung Abgefasset durch Georgium Thormanum, V. D. M. 1. Theß. 5, 21. Prüfet alles, das gute behaltet. BERN, In Hochobrig­keitlicher Druckerey. 1693.» —

Auch die Pietisten hat Thormann in gleicher Weise sine ira et studio behandelt — in einfacher Konsequenz seiner weitschauenden und weitherzigen Grundsätze. Denn der Pietismus, welcher um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in Deutschland und um dessen Wende in der Schweiz mächtig erwachte, war mit seinem Drängen auf persönliche Aneignung und praktische Ausübung des Christentums und auf das Leben dessen was man glaubt, der Erbe und Fortsetzer34 des Täufertums. Und dies zwar so entschieden, daß auf ihn sogar amtlich die Bezeichnung Wieder­täufer angewendet wurde. Nur war das Täufertum mehr im bäuerlichen Landvolk, der Pietismus mehr im unterschätzten bürgerlichen Handwerker­stande heimisch. Daher auch Thormanns freund­schaftlicher Verkehr mit einem so feinen Stadtberner wie Beat Ludwig von Muralt (1668 bis 1749),35 der ihm in zwei denkwürdigen Briefen36 die Gründe seiner Flucht vor der offiziellen Kirche mit der Spitzfindigkeit ihrer «Bekenntnisse» auseinandersetzte. Dieser weite Blick fehlte auch Thormanns berühmten Nachfahre Gotthelf nicht.37 Um so weniger, da ein so trefflicher Berater wie der Medizin-Professor Fueter ihn zart und taktvoll mahnte, auch ob «geschmackloser und falscher Einfassung» den Kern: die Gesinnung nicht zu vergessen.38 Überaus schön zeichnet denn auch Gotthelf im «Uli»39 das Bedürfnis nach engerem und tieferem Zusammenschluß Gleich­gestimmter; ein Bedürfnis, das nach ihrem eigenen Geständnis40 sogar 574 eine städtische Landeskirche nicht in dem von ihr selbst gewünschten Maße befriedigen kann. «Wie oft ist’s einem Menschen: wenn er doch nur da oder dort eingeladen, in diese oder jene Gesellschaft aufgenommen würde; es ist der höchste Gegenstand seines Sehnens und Strebens. Ist er aufgenommen, ist er mitten unter ihnen, sitzt er am ersehnten Tische, dann fühlt er sich unendlich gehoben. Er steht an einem Ziele; er ist glücklich, hoffensvoll; er gehört einem Kreise an (er g’hört öpperen aa), der ihm Halt im Leben gibt.» Wie findet in pietistischen Kreisen z. B. jene Babette,41 die Frau eines in Trunksucht verrohten Handwerks­meisters, Trost und Halt gegen die Brutalitäten ihres Ehemannes! Wie bleibt sie unermüdlich die immer gleiche gewissenhafte Gattin, die liebevolle Mutter, die exakte Hausfrau, die teilnahmsvolle Beraterin der Arbeiter! Und daß eine solche Frau nicht bloß «im Buche steht», sondern dann und wann einmal im Leben vorkommt, beweist u. a. das Emmenthal. Um so zorniger züchtigt Gotthelf42 die die Volksseele vergiftenden Auswüchse dieser Richtung: gewissenlose Vernachlässigung von Arbeit und Familienpflicht; Klatsch- und Lästersucht, Hang zum Wohlleben; mit Pfiffigkeit verbundene geistige Borniertheit und Seelenblindheit; die hampfelige Art, womit die zartesten und delikatesten Angelegenheiten, die heiligsten Dinge verhandelt oder vielmehr mißhandelt werden; die Frevelhaftigkeit, womit in Familie, Nachbarschaft und Gemeinde hinein der Same des Mißtrauens, des Unfriedens und des unheilbaren Zerwürfnisses gesäet wird; dies «Hausieren mit Buße und Zerknirschung im Lande herum wie die Schwarzwälder mit Bürsten»;43 Dies Religion-Ụụsfüehre wi mir der Chääs.44 Solch häßliche Auswüchse haben verschuldet, daß der ursprünglich so hohe Begriff der Sache45 im gemeinen Bewußtsein geschwunden ist, und daß die heutigen Benennungen Stündeler, Stündeli­pịgger, Spịịs­brediger u. dgl. als Schimpfnamen oder verdächtigende Zulagen bloß noch die schlimme Kehrseite betonen. Da man im Emmenthal weniger fluchte und weniger roh herausredete, so war es der dahin verheirateten Oberaargauerin «anfangs himmelangst, sie sei unter Stündeler oder Pietisten geraten.»46 Du bist mit Schịịn e Stündelere! grinst eine herzlose Alte die wackere junge Mitpatin an,47 welche großherzig das in Lumpen gehüllte Kind zur Taufe trägt mit dem ernsten Hinweis, das größte aller Menschenkinder sei nicht besser 575 ausgestattet gewesen. Ja ein Gotthelf selbst mußte von einem «aufgeklärten» Zürcherblatt sich zu den Stündelern zählen,48 seine Schreibweise «Stündeler­sprache»49 schelten lassen, während eben er in seinem feinsten Werke, «Geld und Geist», «den Pietisten zeigen wollte, wo die Frömmigkeit» ihren wirklichen Sitz habe.50 Die Verfolgung Andersgläubiger ehedem mit Scheiterhaufen und Schwert, heute mit dem bloß noch gestatteten Wort heißt Verketzerung. «Ketzer» ist eine feindlich gemeinte Umwandlung aus «Katharer» = Reine, wie in etwelcher Selbstüberhebung seit dem elften Jahrhundert gewisse (manichäische) Oppositionen innerhalb der katholischen Kirche sich nannten. Von hier aus läßt sich vertehen, wie reich unsere Sprache mit «Chätzer» durchsetzt worden ist: Er louggnet (leugnet) wi n e Chätzer. «Mit Salben und Tränkern fechten wie Ketzer»,51 «das geht wie Ketzer»52 (oder: «wie Tüüfel»). Nei, bi’m Chätzer nid! Er ist e wüeste Chätzer! aber auch: Er het e Chätzer, es Chätzerli (einen Rausch, ein Schwipschen). «Sieben Ketzer» (wie eine «Legion» von Teufeln) als Einzahl gefaßt ergaben unsere Formel: wi n e Sĭ̦bechätzer. Harmloser schon klingt die Genitiv-Fügung Chätzers̆: du bist doch e Chätzers̆ Häx! das Chätzers̆ Meitschi! noch harmloser das hieraus euphemistisch abgeschwächte Chätzis: chätzis schön!53 Der hiedurch erweckte adjektivische Anschein setzte sich fort in chätzigs Chrott! u. dgl. Die Wesfall-Form dagegen rief einem dazu passenden Nominativ: Chätzi. Bim Chätzi­bock! — Begreiflich fehlt auch das Verb hier nicht: Im Dörfli ume chätzere; i bi hüt gnue umeg’chätzeret und bin nun totmüde.54 Erst als Bravorufe, Kanonendonner und türkische Musik zusammen­ketzerten, schwieg der Bühnenredner.55 Ein Ding gänzlich verderben heißt: es verchätzere. «Es ist aḷḷs verchätzeret u verplitzget u vercheibet» lautet eine Sprechweise aus dem ff.

Welch einen Gegensatz bietet zu alle dem eine so harmlos freundliche «Sekte» wie diese «schlichte, gottinnige, demutsvolle Erscheinung»56 der Hans­uelianer! So nennen sich die Anhänger des Hans Ulrich Liechti (1802-78), der von seiner bäuerlichen Wohnung im Tannental (Biglen) allsonntäglich in der Runde herum, auch in Lützelflüh, predigen ging. Wenig, wie sie, machen heute die Binggeli­aner von sich reden. Auch chiliastische Gemeinschaften wie die «Apostolischen» (Apostoore), sowie die «Sabbatisten» u. a. finden bei ihrer stillen Art auf dem Lande den Nährboden nicht, welchen dagegen aggressive Sekten wie die «Neutäufer»,57 576 wie alle die «evangelischen», «frei evangelischen», «methodistischen» «Gemeinden», «Gemeinschaften» und sogar «Kirchen»58 auch bei uns so eifrig suchen und absuchen. Gänzlich zu schweigen von der unsaubern Sekte der Antonianer, d. h. des Entlebuchers Anton Unternäher (1759—1824),59 die auch in den beiden Talgraben zu Lützelflüh und Walkringen Unterschlupf fand. Gemahnen in gewisser Beziehung an sie die Mormonen, so haben diese dagegen in großartiger Kultivierung ganzer Länderstrecken ihresgleichen in der Heilsarmee.60 Heide und Heiden sind deren rechte Felder, das Massenelend eines London, eines Zürich61 und Genf ist ihr Arbeitsgebiet. Bei uns dagegen, meint Gotthelf,62 sollte die innere Mission von innen heraus bei den obern Ständen beginnen.

Überhaupt aber da, wo die faule «Brauch-Religion»63 zu Hause ist; jener Grad-áne-Glaube, daß öppen e Gott im Himel sịịg, u daß die guete Lüt zue n ihm chö̆mi, we sị dür’s̆ Bluet Christi abg’wäsche sịgi, u di böse Lụ̈t i d’Heḷḷ; daß me bäte söḷḷ u niemmere mürde; öppen e chlịị z’Bredig gaa u zo’m Nachtmahḷ.64 Eine Religion also, worin man hie und da einigermaßen und halbwegs, einmal auch etwa ganz im Sonntagsstaat dem liebe Gott d’Wisite macht.65 Eine Religion, die sich als nicht wohl zu umgehendes Nebengeschäft bequem neben dem Hauptgeschäft abmachen läßt. Denn «das sịg d’Hauptsach i der Wält: ’s Gäḷt. U we me derzue de no chönn geistlig sịị, warum nit? D’Lụ̈t passi eim de öppe di̦st min͜der ụụf.»66 Oder mit dem Chorrichter von Gitiwil67 zu reden: We me groß sịịg u wärche mües, de chönn me si mit der Religion nümmen abgää. Aber es sịg gäng guet, we me se g’lehrt heig; we me de aḷt wärd u nümme wärche möög, so chönn me se de fü̦re näh u heig mäṇgist no churzi Zịti derbịị. Es sịg gäng um d’Ewigkeit!

Wo Kirchenräte so reden, ist wahrlich ein Gseḷḷ­schaftli von Tannentaler-Brüdern oder ein Trüppchen von Pietisten, die nach bravem Tagewerk in Ehren und guten Treuen z’Versammlig göö, eine anmutigere Gesellschaft. Da sind «die Stillen im Lande» noch immer ein sehr notwendiges «Salz der Kirche», die von ihr sich ausschließenden Sekten aber deren «Schuldschein».68

577 Das nämliche gilt von dem «Geistlich-sein» in dem vorhin angezogenen liederlichen Sinn. Wie ist hier das hohe Wort geistlig herabgesunken! Ehedem konnte «geistlich», wie noch bei Gotthelf,69 gleichbedeutend und abwechselnd mit «geistig» stehen. Es entspricht dies vollig dem Tatbestand, der noch heute in einfach ländlichen, zumal klein­bäuerlichen Verhältnissen zu beobachten ist.

Die in bitterbösen Zeiten der «Völker­wanderungen» aus den Ebenen in entlegene Berggelände hinaufgedrängten kräftigsten Produkte der Übervölkerung nahmen mit sich und verpflanzten unter sich jene Regsamkeit der Hände und des Geistes, die in dem Spruch «bete und arbeite» ihren populären Ausdruck erhalten hat. Dieselben Leute, die einem so widerspenstigen zähen Boden so treffliche Erzeugnisse und so blühende Besitztümer abringen, sind in der Stille des Sonntags und des Winterabends, sind selbst in Erholungspausen zwischen strenger Feldarbeit zu großem Teil aufmerksame und anhaltende Leser. Nur wenige zwar haben Humboldts «Kosmos» und «Ansichten der Natur» auf der Etagère der Hinterstube stehen; aber Gotthelf bliebe der viel gelesene Mann, auch wenn er nicht Pfarrer von Lützelflüh wäre; und noch manch ein selten gewordenes Buch birgt sich unter spezifisch religiösen Schriften, an denen bei uns kein Mangel ist. Daß aber letztere im Stillen eine Hauptlektüre bilden, steht im Einklang mit dem Waldenser-Geist des Emmenthals und mit der Beobachtung, wie viel urfrische geistige Regsamkeit, wie viel gesunder Verstand und wie viel scharf vorein- und durchdringendes Denken eben auf religiös-ethischem Gebiet sich betätigt. Weder eine zersplitterte Mannigfaltigkeit des Stadtlebens noch eine oberflächlich abreibende Fremden-Industrie haben selbst im verkehrsreicher gewordenen Emmenthal bisher die stramme Geschlossenheit und Gesammeltheit einer Geistespflege wesentlich gelockert, die nun einmal der harten und sauren Bewältigung der Scholle das einzig genügende Gegengewicht bietet.70

Aber grad um so weniger fehlt auch hier die Kehrseite: daß «geistlig» den widerwärtigen Abgeschmack der zur Schau gestellten Frömmigkeit, ja der Heuchelei und der geschwätzigen Phrase angenommen hat.71 Eben die Geistligi, die «Geistlichkeit»,72 die zudem beim «Schulmeister»73 in seltsamem Schillern den schriftdeutschen Begriff mit einbezieht.

Aber ist es etwa dem prächtigen Worte «fromm» besser ergangen? Man denke an die alten «frommen» Eidgenossen, deren Ehrentitel sie 578 als die «Ersten»74 hinstellen sollte überall, wo es gelte, das Vorwärtsbringende, das zu gemeinem «Nutz und Frommen» Förderliche zu schaffen. Man braucht sich aber nur beispielsweise an der Geschichte der alten Pharisäer75 gegenwärtig zu halten, wie ursprünglich vaterlands­getreue Helden als wirkliche Elite-Truppe dem Ruf «Freiwillige vor!» Folge leisten, dann aber «sich zu fühlen» beginnen, die Fühlung mit den hinter ihnen Stehenden erst verlieren, dann aufgeben, und schließlich als «die Abgesonderten» (die G’separierte)76 den Titel spezifischer Frömmigkeit für sich in Anspruch nehmen. Leichtfertiger Sektenstolz77 sowohl wie krasser Aberglaube78 färben dann das schöne Wort.

Wer ferner ist gläubig? Antwort: Wer sich nicht ausdrücklich selbst als ungläubig («unglaublich»)79 hinstellt gegenüber Gespenster- und ähnlichem Spuck,80 also wenigstens dessen Möglichkeit ebenso wie irgend eine andere zugibt, annimmt, vermutet, d. h. im landläufig verflachten Sinne glaubt oder glu̦u̦bt. Solch liederliches «Glauben» gegenüber der straffen und strammen Geisteszucht, die auf gewissenhaftes Forschen und gediegenes Wissen abzielt («Schafsinn» gegenüber «Scharfsinn»), hat zu dem fatalen Nebenbegriff der Geistesschwäche geführt, die auch Gotthelf mit dem Witzwort geißelt: «Glauben ist dort viel, doch die Einfälle sind rar.»81

Wie antwortet doch schon der alte Heidelberger so ganz anders auf die Frage: «Was ist wahrer Glaube?» Wenn aber vollends der alte Kirchenvater Tertullian herausfordernd ausruft: credo quia absurdum,82 so stellt er den Glauben hin als eine hohe, kühne, welterobernde Geistestat; als ein machtvolles Durch- und Vorwärtsdringen menschlicher Energie zu all den Bereichen menschlicher Welt­gestaltungs­kraft, die dem Wollen und Sollen offen, dem Wissen einstweilen noch verschlossen sind. Hier ist das Ahnen der Pionier, der die Bahnen weist; das Nichtanders-können ist das Genie, welches die Bahnen bricht, und damit der Glaube die Kraft, die im höchsten Sinn des Wortes «Berge versetzt», ja «die Welt überwindet». Diese ganze und volle Selbsthingabe83 an ein Ziel, das unser Eins und Alles in der Welt ist,84 an das was den Wert unseres Lebens ausmacht, ist glauben, ist Glaube. Der Glaube ist Tat, das Wissen der Schatz der dabei gesammelten Erfahrungen.

 
1 Käs. 350; vgl. Ztgst. 2, 211; Fröhlich XVIII.   2 Manuel 178.   3 Acta Piet. 695.   4 Wohl der 1675 als Pfarrer von Bargen verstorbene Johann Rudolf de Losea. Ein Daniel de L. † 1728, ein Daniel Rudolf † 1784.   5 Vgl. Müller 140.   6 UP. 176.   7 Ztgst. 2, 10.   8 Käs. 247.   9 AB. 1, 125.   10 Ebd. 124. 133.   11 Ebd. 124.   12 Jahn Emm. 48.   13 Müller 399; vgl. Bitt. Zh. 9.   14 Vgl. Saitschik 28; Müller 399; vgl. desselben Vortrag, skizziert im EB. 1904, 15. März.   15 Müll 52-69; 404-6.   16 Ebd. Vorwort.   17 Täuffer.   18 Joß 48 ff.   19 Müller 130.   20 Trub 30, 100.   21 AR. 1822, 81 f.   22 Trub 34, 105.   23 UK. 237; Käs. 241.   24 UK. (1850) 237.   25 AR. aaO; Bitt. Zh.   26 GG. 2, 65.   27 Intercession (1659).   28 Müller 252 ff.   29 Ebd. 401 (schön!).   30 Ebd. 341.   31 Ebd. 77.   32 Ebd. 83.   33 v. Mül. 124   34 Müller 67, 348; Blösch 1, 33; 2, 31-55.   35 OvGreyerz, F’feld 1888; Lettres, 1897.   36 Acta Piet. 676 ff.   37 Manuel 190.   38 Beitr. 574 ff.   39 UP. 385 f.   40 Sekten 11.   41 Jacob 2, 74 f; vgl. Schuldb. 373.   42 In Stellen wie BSp. 395. 425. 427. 438; SchM. 1, 17; 1, 91 Hsa. und Beiträge 147 f; SchM. 2, 359; AB. 1, 389 f; 2, 243; vgl. Pfr. Roder in Affoltern im Pfr.-Ber. 136; Ger. Tw. (1792); Dorfkal. 1871, Bg. 7; Beitr. 427.   43 AB. 2, 243.   44 Bitzius.   45 Eine geistvolle Erneuerung der katholischen Gebetsstunden (Horen) waren die Spenerschen collegia pietatis; vgl. die sympathischen «Stundisten» in Rußland.   46 Besuch 149.   47 UP. 266.   48 An AB. 116.   49 Ebd. 104.   50 Ebd. 120.   51 Ebd. 2, 104.   52 Ebd. 2, 414.   53 Wyß ä.; AR. 1813, 247.   54 Bern 2 l 12.   55 An JR. 96.   56 Joß 31 f.   57 Müller 389; Joß 50; AB. 2, 219 301 f; Geltst. 185; Wass. 32.   58 Joß 23 53 55-57; Sekten 13.   59 Joß 40-45; AB. 2, 75; Beiträge 618.   60 Sekten 11; EvE.   61 Wo z. B. im Jahr 1903 die Heilsarmee 19802 Schlafgäste beherbergt hat.   62 Arm. 209 221; Geiser JG. 26.   63 AB. 1, 394.   64 MW. 2J. 271; Schuldb. 45; Geltst. 50; SchM. 1, 33; 2, 254.   65 MW. Anna 186; SchM. 1, 390.   66 Geltst. 233.   67 SchM. 2, 157.   68 Joß 65.   69 Z. B. 2, 5; Schuldb. 88.   70 Luc. 10, 42.   71 BSp. 116 434; AB. 1, 389 390 444.   72 BSp. 431; AB. aaOO.   73 1, 179.   74 Lat. primus, deutsch «fromm» und z. B. Nansens «Fram» (Vorwärts) sind verwandt.   75 ZB. nach Langhans Biblische Geschichte und Literatur 431 ff.   76 Geltst. 10.   77 Bsp. 436.   78 Ebd. 87.   79 MW. Ws. 95.   80 EvE.   81 Käs. 351.   82 Ich glaube (etwas), weil es widersinnig ist.   83 Lat. credo (je crois) = altindisch erad dadhami, «ich gebe das Herz hin».   84 Got. ga-laub-jan = glauben ist genau «lieb (laub) haben», als das Begehrens­werteste erklären.  
 

Dunkle Mächte und ihr Dienst.

«Verderb es nicht, es ist ein Segen drin!» Das Wort muß von jener harmlos kindlichen Vorstellungswelt, die zu aller herzenswarmen Religion mitgehört, um so mehr gelten, je schärfer mit ihr der noch heute ungemein verbreitete Glaube an feindliche Gewalten um den Vorrang im Volksgemüte streitet. Und dies zwar aus einem tiefliegenden Grunde. Teilen doch beide sich in das nämliche sittliche Motiv: Lebhafter Gerechtig­keitssinn. «Darin, daß unser Volk trotz so manchen Augenscheins an solchen Glauben unbeirrt festhält und nichts ihm denselben aus dem Herzen reißen kann, spricht sich mächtig und tief, in Respekt gebietendem Lebensernste, die Überzeugung aus, daß es eine Gerechtigkeit und eine Vergeltung gebe, und daß kein Tod ihr Walten zu ändern, zu brechen vermöge.»1

Taglöhner mit Fürabebürdeli.

Aus diesem Grund haftet im Volksgemüte keine Vorstellung zäher als die vom Ume choo. Der und der Tote muß wiederkommen zur Abbüßung einer Strafe, der er bei Leibesleben entgangen. An einem andern aber ist ein Unrecht, ist ein Verbrechen geschehen, unentdeckt und ungesühnt. Und jetzt kehrt der Tote wieder, um es in dieser oder jener Weise den Lebenden zu künden, damit sie den Übeltäter entdecken und strafen. Erst so gelangt der Tote zu seiner Ruhe.2

Entsprechend der Anzahl ungebüßter Frevel greift seit Ahasver dem ewigen Juden ein ganzes Reich «Fried- und Ruheloser»3 ins Menschenleben ein. Wer dem Anstößer eine Furche abgefahren hat, daß der Marchstei nun «ganz blutt u chrumm dasteit»;4 wer gar solchen Stein zu versetzen gewagt; wer ungerechtes Gut vergraben hat; wer 580 mit Maß und Gewicht nicht ehrlich, sogar wer damit gegenüber Armen nicht freigebig umgegangen ist; wer als Jäger einen Hasen im Neste geschossen (sozusagen sein Hausrecht verletzt) hat, statt ihn aufzujagen; wer in ungeweihtem Boden ein unzeitig Kind vergrub; wer einen falschen Eid geleistet: oder die mues umechoo. Selber lichtscheu5 und doch als fụ̈ụ̈rige Maa, als brönnigs Manndli, oder aber als schwarzer Höllenhund mit feurigen Augen,6 als Geißbock mit feurigen Hörnern muß er namentlich bei bevorstehendem Wetterwechsel7 «herumlaufen wie wild».8 Er lockt Menschen in Pfützen und ersäuft sie;9 brennt in dem zum Gruße statt der Hand hingehaltenen Peitschenstiel seine Finger ein10 und straft den, der sie zu erblicken das Unheil gehabt, mit geschwollenem Gesicht, einem Kopf wi n es Määs11 oder wi n e Wöschbü̦tti, mit lahmem Bein,12 mit Verlust der Sprache oder gar mit Schlagfluß.13 Und der Spuk hört nicht auf; es geistet fort,14 auch wenn hundertmal die Entdeckung gemacht ist, daß es ein Irrwisch war,15 oder gar Weibspersonen mit Laternen,16 oder eine mit Popanz ausgerüstete nächtliche Diebsfahrt,17 oder die Wasserwehr an der Emme,18 oder zu Hülfe eilende Ärzte bei Epidemie.19 «Geisten» muß es wie beim Nebelbild des Brocken-, Rigi-, Bantiger-, Gurten-Gespenstes.20

Ebenso häufig aber geschieht dies bloß ohrenfällig. Etwa durch Girren und Klopfen der vom Wind geschüttelten Hauswände;21 oder durch Rumor auf der Bühne, wo losgebundene Bindbäume von ihren Fudern herunter­geworfen werden und umherrollen, bis der Meister mit der Laterne kommt und tüchtig ụụschneistet; oder so, daß zwei feindliche Brüder aus einer Entfernung von mehr als zwei Kilometern einander aus einer Büchse Kugeln zusenden, welche an allen vier Hausecken anprallen und schließlich mitten in der Haustürschwelle stecken bleiben. Im Kesselgraben hört man den Karren, auf welchem ein Wucherer verfaultes und vergrabenes Getreide fährt,22 während der Meyer auf der Mutten23 alle hundert Jahre je ein Jahr umgehen und dem von seiner Familie veruntreuten Schweisberger-Klostergut den rechten Platz suchen darf. Ein anderer muß g’stŏhḷnigs Guet umetriibe. Einen betrügerischen Bäcker hört man in der Mulde hantieren, und unheimlich knistern und knacken im Backofen die klotzigen Scheiter. Ein Wirt aber muß jede Nacht im Keller am Fasse sich zu schaffen 581 machen und wie ein Hahn krähen: drüü Schöppli Wii u n es Schöppli Wasser gää o n e Maaß! Eine Bäuerin, die das Gesinde hintergangen, kommt Fleisch zu kochen und anzurichten,24 eine andere die im Trog rumorenden Schweine zu füttern. Verschiedene Büßer hei den arme Lüte nüüt g’gää, oder sind verurteilt, cho nahe z’bäte.25 Der Harzer Hans aber muß, wenn es nächtlich rauscht in den Wipfeln der Bäume, die Tannzapfen zählen in seinen Wäldern.26

So müssen die Ruhelosen «wiederkommen mit Seufzen und Stöhnen und die Einen plagen»,27 die Andern warnen,27a bis endlich eine mitleidige und kundige Seele sie erlöst,28 es ihnen abnimmt.29 Freilich eine seltene Aussicht! Denn wo z. B. die Leiche eines Harzerhans duchfährt, gehen schleunig «alle Türen und Fenster zu», damit nicht ein unwillkommener Gast durchschlüpfe.30

Und man glaube nicht, daß dieses alles heute als purer Spaß erzählt werde. Allerdings sagt man lächelnd: aha, dä wott de nah de̥m Tod ga marche; und eine resolute Bäuerin erklärt z. B. humorvoll, sie weḷḷ de nid no einist ume choo cho Miḷch uusmässe.

Allein hinter dem Humor verbirgt sich hoher Ernst: der Ernst, der es mit der ganzen Furchtbarkeit des unerreichbaren Bösen in der Welt nicht leicht zu nehmen begehrt.

Ein Sachkundiger wundert sich daher keineswegs über die Maßen, wenn das Gerücht, es geiste im Haus oder Feld dieser oder jener Person, als eine der unheimlichsten Verfehmungen bis vor den Richter gezogen werden kann. So war noch im Trachselwalder Amtsanzeiger vom 27. Februar 1904 ein Inserat wie dieses zu lesen: «Da sich das Gerücht verbreitet, es sei F. G. seit seinem Tode uns erschienen, so erklären wir hiermit solches als ganz unwahr, und möchten jedermann warnen, von jetzt an das Gerücht weiter zu verbreiten, ansonst solche gerichtlich belangt werden.»31

Besonders aber befriedigt sich das Gerechtigkeits­gefühl daran, daß die der zeitlichen Strafe entgangenen hohen Gewalt­haber der ewigen Vergeltung nicht entgehen. Wie nach dem mythologischen Vorbild des Wind- und Kriegsgottes Wuotan in der Sturmzeit nach Winter­sonnenwende das «Wüetisheer»32 oder «Dürstegjeeg»33 («’s dürstig Gjäg»34) heulend durch die Lüfte fährt; so gespensten in der heiligen Nacht die Bürglenherren bei Utzenstorf;35 so der alte Zwingherr von Schüpfen;36 582 der «auf der Wartburg»;37 der Sumiswalder Komtur Hans von Stoffeln, der in der Wyke-Höhle spazieren geht, indes vor seiner Zwingherrenburg auf dem Bärhegenknubel die Schloßgeister ihre Schätze sonnen.38 Auch das so anmutig von waldumkränzten Hügel in die Täler und Ebenen hinunter­schauende Schloß Trachselwald ist mit gespenstischem Banne belegt.39 Kein Wunder: hauste doch dort der schreckliche Tribolet, der seither in stockfinstern Nächten in weißem Reitergewand nach Erlösung ausschauen muß.40

Besonders nahe aber liegt uns der Ritter von Brandis, der bei drohendem Emmen-Ausbruch seine Untertanen zur Bärenjagd aufbot, den zum Schutze von Haus und Familie davoneilenden Müller von Lützelflüh erschlug, aber seither, vom Fluch der Witwe getroffen, bei jedem sich erhebenden Flühluft in eisernem Gewand die Emme auf und ab schreiten muß, «die roten Augenbrauen flatternd im Nachtwinde». «Wo er lockere Pfähle sieht, da muß er hämmern mit seiner Streitaxt, daß es schauerlich widerhallt an den Felsen durch die Nacht; muß dann stehen da wo er den Müller erschlagen, bis von der Mühle herauf der Hahn kräht.»41

Folgende Doppelgängerin dieser Geschichte fanden wir nirgends verzeichnet: Einem Schwellen­arbeiter meldet ein Kind, der Mutter schwere Stunde sei da. Er bittet um Urlaub, erhält ihn aber nicht, und am Abend findet er seine Frau tot. Da verflucht er den Schwellen­meister: i wett, er müeßt immer un ewig schwele! Und richtig: aḷḷi Maḷ, wenn’s wott an͜der Wätter gää, u bsun͜ders̆, wenn’s wott cho wässere (wenn bedrohlich hoher Wasserstand eintritt), so ghört me Schwiere schlaa.

Wie an der Emme, so gespenstet es auch an der Grüene. Unter die Räder der einstigen Mühle «am finstern Bach» warfen sich, als Vaterlands­verräter entlarvt, «die drei Brüder».42 Seither gehn sie um «und winken und deuten».

Obenher aber, auf der Höhe des Mü̦̆nnebe̥rg, dessen zwei höchste Kuppen noch heute der wahr und der faḷtsch Zwingheer heißen, streckt ein mit Gold und Edelstein beladener Kristallwagen für ein Sonntagskind bemerkbar das Deichsel-Ende aus einem Gewölbe hervor und kann nur um Mitternacht mit vier zur gleichen Stunde gebornen, tadellos weißen Schimmeln von der Stelle gerückt werden. Einem ob der Suche nach solchem Zuge selbst weißhaarig Gewordenen gelingt die Bespannung. Aber wie er «Hüü i Gotts Name» gerufen, erschlägt ein 583 Blitz aus der Erde die Rosse, schleudert den Wagen zurück, und der Mann erhängt sich an einer Tanne,43 wie alle Gehängten bei Wind und Sturm die Vorübergehenden erschreckend.

Aber nicht nur die Buße Leistenden — auch die Sühne Fordernden chömen ume, chünte si.44 Noch bewegt sich in dunkler Mitternacht, we’s wott an͜der Wätter gää, jener Leichenzug von Neuegg her über Schaufelbühl, die Schriibers̆hueb-Hŏhle und die Egg hin gegen den fernen Lützelflüher-Kirchhof. Man hört das dumpfe Rollen der Räder am Totenwagen, wenn auch ihn selber und das Geleite nid mäṇge g’seh hett. Die Leiche ruft nach Rache an ihrem Mörder: Ein ebenso schönes wie ehrenfestes armes Mädchen, das den Werbungen seines Pflegevaters, eines reichen und doch allzeit geldhungrigen Junggesellen, nicht getraut, sondern sie zurückgewiesen hatte, wurde von diesem im Schlaf ermordet. Ein unsauberer Sektierer machte sich die Gewissensangst des Verbrechers zu nutze und erwirkte gegen Geld und fortwährende Gastung, daß dieser alljährlich vor dem «heimlichen Gericht» in Bern mit einer schweren Geldsumme den Strick des Henkers vom Halse loskaufen durfte45 (der Häḷslig verzeise). Aber schließlich ertränkte der Täter sich doch in einer Pfütze und muß nun jeweilen als Erster der Leiche seines Opfers folgen. — So auch «künden sich» die Opfer roher Volksjustiz;46 übel behandelte Familienglieder;47 um ihre Recht auf Arbeit Verkürzte;48 Tote, denen man Übles nachredet.49 Am harmlosesten noch fordern Kindbetterinnen die ihnen als Vorrecht ins Grab mitzugebenden Schuhe.

Können aber, frägt Gotthelf, nicht auch, und mehr noch, die Guten wiederkommen, «sich zum Lohne als Träger guter Gaben für die Ihren?»50 In diesem Sinne predigte sein großer Sohn vom «Wiederkommen unserer Toten»,51 feierte E. D. das Andenken des Freiheits­märtyrers Niklaus Leuenbergers am 7. Juni 1903: Wenn im Föhnwind die Emme anwächst, steigt aus den Nebelballen der Schächen eine große Männergestalt in wallendem Purpurmantel und schreitet durch die Gassen der Dörfer: «Dert streckt er stiḷḷ zum Sägne die starchen Armen uus; er sägnet en iederi Hostert, er sägnet es ieders̆ Huus u d’Bluest u jungi Saate u d’Äcker groß u chlịị. Das ist ja hie si Heimet, wo ihm so lieb ist gsii.»52

Auf diesem Wege zu höherm, vergeistigtem Geisterglauben bringen Kirche, Schule und Presse die neuern Geschlechter sachte vorwärts. Allein schon der bloße Verdacht oder auch Abgeschmack seichter Aufklärerei 584 schadet wirklicher, tiefgründiger Belehrung enorm. Vor allem rächt sich die unwissende Verkennung der noch heute ungemein zähen mündlichen Überlieferung in Verbindung mit jener Kehrseite des bei uns so intensiven Familiensinns, dem zufolge es bei den Jungen heißt: der Vater lügt doch nid!

So kann man denn noch heute unversehens in es Windspiiḷ choo: in einen Hexentanz hineingeraten, der Heuwälle und Gespinnst-Gebreite in seine unheimlichen Wirbel emporzieht. Man kann in e Nachtschatte oder in es I̦i̦rchrŭt (ein Irrkraut, das den Weg verfehlen macht) trappe.53 Seltener allerdings als noch in der Jugend unserer Veteranen hört man an Abendsitzen oder in Wirtshaus­gesprächen54 vo mene Ung’hụ̈ụ̈r, vo Unghụ̈ụ̈rere, Unghụ̈̆derline b’richte, dass me nümme tarf d’Füeß un͜der em Tisch haa. Kein Wunder, daß «unghụ̈ụ̈rig» denn auch stetsfort den plastischen Sinn von «ungeheuerlich»,55 von «unerhört», von «riesenmäßig»56 beibehält. Namentlich auf lange nicht mehr bewohnten, daher verwahrlosten Häusern kann solches Omen ruhen:57 d’Unghüür hei d’Pfäister ụsegjä̆te u. dgl. Begreiflich ist besonders der Stall solchen Unholden ausgesetzt. Ungeheuer können Pferde beunruhigen,58 ihnen die Schwänze und Kammhaare verkleben, ihnen und den Kühen Halfter und Strick verwickeln.59 Auch auf der ehemaligen Weide waren die Tiere nicht sicher; an Stapfete oder Hagsteline besonders lauerten die bösen Geister, gegen deren Zauber einst die Sennen am Napf durch den Milchtrichter allabendlich ein Ave Maria nach der Höhle des luzernischen Enzilochs hinübersandten.60 So auch an Wegkreuzungen, Stundensteinen, öffentlichen Marchsteinen. So stand beim Flüelenstalden, «gleich einem Gespenst aus alter Zeit, ein Markstein, der die drei Ämter Sumiswald, Trachselwald und Brandis schied. Die Zahl drei gab ihm aber eine wunderbare Kraft. Ein Stückchen davon im Sacke getragen, kurierte das Zahnweh.»61 — Der Stein wurde nachmals an Ort und Stelle versenkt.

Die besondere Verrufenheit der Kirchhöfe62 ist bekannt genug.

Wer wollte auch die Phantasie von diesen Gebilden reinigen, wo immer noch das Schreckgebilde vom Haaggemaa,63 der die Kleinen ins Wasser hinunter häkelt, oder vom Pöögge͜lmaa, der auf der Heubühne lauert, den Schutzengel der Kleinen ersetzen muß? Wo ein Käthi dem Buebli vom Pö̆limaa erzählt, bis es selber an ihn glaubt?64 585 Wo der Vater65 oder der Schulmeister66 als Pölimaa den Ernst der häuslichen Erziehung ausmacht? Wo der Pölimaa auch im spätern Leben die Dringlichkeit einer Sachlage veranschaulichen muß? Vgl. «das böse Gewissen»: «Jä, wer keis rüewig’s Gwüsse het, schlaft nüt im beste Fedrebett. Sys Gwüsse ist e Bölima, vor dem er nie ertrünne cha.»67

Wie die bulla = Bulle68 eine aufsteigende Wasserblase, überhaupt einen kugeligen Körper (z. B. das Bleisiegel der Papsturkunden) bedeutet, und wie der Pööḷ, die gläserne Spielkugel, die kleinen tönernen gleichsam als König beherrscht, so ist der Pö̆li zunächst der (rundliche) Menschenkopf. (Die Verkleinerungs­form bedeutet auch hier die entfernte Ähnlichkeit.) Solchem gleicht einigermaßen der Heligeland-Pöli, die Bergkuppe bei Affoltern und ehemalige Hochwacht.69 Die Ähnlichkeit wird aber gerne zur schreckhaften Karrikatur, wie z. B. (nach dem bekannten Vorbild alter Mythologie) unheildrohende große Stockwolken Pöline heißen. So ist denn auch der Pölimaa ursprünglich der Zwerg, der Knirps mit dem unheimlichen, für Kinder schreckhaften Riesenkopf. Ihm entspricht in Wortbildung70 und Sache der Mŭ̦tti, der im Laufe des Dezember, zumal als Neujahr­mutti am Sylvesterabend die Kinder heimsucht und, nachdem er die ungföḷgige unter ihnen nach Wunsch und Lust der Großen in Schrecken gesetzt, sie nach Art und als Ersatz des Samichlaus (Sankt Niklaus) mit Äpfeln und Nüssen beschenkt.

Eine andere Nachahmung der Menschengestalt ist die Tocke (Puppe). Wieder als Entstellung jener erscheinen der Togge͜l und das Toggeli. So wird einmal71 ein medizinisches Lehr-Phantom «Toggel» gescholten. Aus Holunder schnitzen Knaben Hol͜der­toggle;72 ein «gföḷgiger» Ehemann ohne Geist und Energie ist es Manne­toggeli;73 ein Bauer heißt in hochmüetigem Städterinnenton Puretogge͜l;74 und aa’toggelet75 sind phantastisch, hoffärtig angezogene Kinder. Die Gestalt des Toggeli reicht aber weit zurück ins Märchengebiet der Zwerge oder Elfen (Alben): der «weißen» sowohl, also der wohltätig-freundlichen Licht-Elfen, die ihrem Namen (albus = weiß) Ehre machen, als der heimtückischen schwarzen. Auf jene führt Jahn den Namen des schönen Rüeders­wylerhofes «Togge͜lbrunne» (d. h. den Elfen geweihte Quelle) zurück, wie denn auch im Oberland die Toggeli so viel wie die «guten Leutlein» oder die Erdmännchen bedeuten.76 Die Schwarzelfen 586 dagegen sind die Urheber der Toggeli-Züpfe im Pferdestall, wie denn hienach auch auffällig geflochtene weibliche Haarzöpfe77 und insbesondere die lästig verpappten Haarbüschel kleiner Mädchen benannt werden. Noch bekannter ist das Toggeli als Alb- (Alp-) Drücken. «Es war Meyeli als schnagge (krieche) ihm ein Doggeli auf’s Herz.»78

Wie die Lichtelfen, erscheinen zumal die Heinzelmännchen79 als gute Hausgeister, die durch ungezählte unvermerkte Dienste ebensoviel Mängel an Kraft und gutem Willen deckten. Dahin gehören nun auch:80 der «Butzen» und unser Pụ̆tz, das Bätzi und der Pöögg, Pöögge͜l, Pöögge͜lmaa. Was ist verschiedener als diese Dinge! Aber gemeinsam ist ihnen die auch hier erscheinende Zwerghaftigkeit. Und zwar bezeichnet uns, in nächster Anknüpfung an den freundlichen kleinen Hausgeist, der Pụ̆tz und vollends das Putzli, Putzeli den kleinen Liebling. «Und dann», schreibt Gotthelf seinem Freund, «nehmen mir meine Butzen auch viel Zeit weg».81 Insbesondere ist der Nästbutz das jüngste Kind der Familie. Moosputz heißen 1. die Blütenköpfe der Sumpfdotterblume (Caltha palustris), 2. der Mäusebussard. Man denke ferner an die «Butzenscheibe». An das Entstellte der zwerghaften Erscheinung ist aber schon z. B. im Prättigauischen des 18. Jahrhunderts gedacht, wo das «Butzen» oder «sich Verbutzen» (Maskeradengehen) als Teufelswerk mit schwerer Buße bedroht war.82 Von hier aus verstehen wir den «Böögg» des Zürcher Sechseläutens und den Pöögg, Pöögge͜l, Pögge͜lmaa, der zwar unsere Kinder vor den Gefahren der Heubühne zurückschreckt, aber in unverwüstlich drolligem Humor auch von ihnen selbst dargestellt wird. Die Dreijährige schon vermummt ihr Gesichtchen mit der Schürze und enthüllt es wieder mit einem gar schrecklichen Pööö!

Das Bätzi endlich oder der Butzen, das Kerngehäuse (gleichsam der Apfel im Apfel) erinnert an die junge Frucht der Kirschen nach Abfall der Blütenblätter, welche im Oberaargau Schŏr­nịggeli heißt. Die Bedeutung aber von «Nickel», kleiner Mensch83 tritt in der baslerischen Übertragung des «Schoreniggeli» auf den eben vom Barbier kommenden Knaben zutage. Vgl. auch den obigen «Moosputz».

587 Ein Popanz ist auch wieder das Posterli, Büünne­posterli, Voge͜lg’schụ̈ụ̈ch.84

In Käthi der Großmutter85 kommen noch die Erdmännchen (Härd­manndli, «Härdlütli», «Nachtlütli», Zwerglütli,86 Chuenze) zu voller Geltung. Dort87 werden sie auch identifiziert mit den «Bergmännchen und Bergfräulein»,88 denen man die Ringe aus üppigem Gras (z. B. oben bei der Farb zu Lützelflüh, «im Baumgarten neben dem Schachen») zuschreibt. Im Oberland gelten diese Elfenringe als Hexentanzplätze.89

Die Brücke ins Bereich der sagenhaften Tierwelt hinüber schlägt der eigentümliche Ausdruck für den Antritt des larvenähnlichen Zustands der Winterstarre: si maarfle, si z’Maarfe͜l schlaa. Ohne hier das eigene reiche Gebiet der mythischen Zoologie zu betreten, berühren wir bloß so bekannte Züge wie vom Krötenspuk,90 von der schwarzen Spinne, von der Emmenschlange,91 vom Drachen92 speziell auf der Gysnau-Fluh.93

Seine Hauptbefriedigung findet der mit dem Bösen in der Welt nicht philosophisch sich abfindende Gerechtig­keitssinn in der uralten Lehre, daß es eine Hölle als Ort der Strafe für ungesühnten Frevel gibt. Von der Erdscheibe äußerstem Rand geht es «grade runter»94 zum Ort der Qual, wo ein so schreckliches Erwachen für Frevler95 ist: «Feuer ringsum und nirgends eine Türe zum Entrinnen, gefesselt der Verdammte auf ewig mit feurigen Ketten an ewigen Brand»,96 gehetzt und geneckt von tausend Teufeln («Heḷḷ­tüüfle»)97 als Dienern ihres Obern, des Teufels. Dies die prägnante Ausdeutung des Wortes Heḷḷ, welches, zu «hehlen» gehörig, zunächst einen verborgenen Winkel bezeichnet (vgl. die ostschwz. Hell oder «Höllbank» zwischen Ofen und Wand). Heḷḷisch98 («höllisch») ist eine der beliebten Begriffs­steigerungen geworden, etwa wie «grausam» und dgl.

Dieser Begriffs­verschleierung entspricht die des Teufels. In ursprünglichem und urwüchsigem Teufelsglauben, welcher in der Religions­geschichte sowohl wie im Leben des einzelnen eine so konstitutive und 588 durchgreifende Rolle spielt,99 leistet auch unser Zeitalter noch reichlich sein Teil. D’Chin͜d macht me z’förchte mit dem Haagemaa u di Große mit dem Tüüfe͜l. «Ja, das waren gottselige Zeiten, wo man vor dem Teufel zehnmal mehr Respekt hatte als vor Gott»,100 und in der Angst zum Teufel betete.101 Und wenigstens seine Gleichstellung mit Gott gilt noch vielfach durchaus als religiöse Norm. «So in weltabgelegenen Krächen, da sind noch Leute, welche an Gott glauben und den Teufel fürchten.102 Die aber, welche am wenigsten vom Teufel wissen wollen, die ringgelt er am meisten.»103

Kein Wunder, daß das «Holen», das Nää durch den Teufel unter Windstößen104 in unserer Sprache noch so stark fortwuchert, wie folgende witzige Erzählung es drastisch darstellt. Der Teufel saß einmal auf einem Stein am Wege und weinte bitterlich. Ein Vorübergehender nahm sich seiner an und fragte mitleidsvoll nach dem Grunde. Da faßte sich, der Teufel ein Herz, schluchzte noch einmal wehlich und heulte heraus: Wie zom Tüüfe͜l wett men au möge g’choo! Hie ruft mer Einer n u dert Einer, u chụụm bin i mit Eim am Ort, so sött i scho wider en an͜dere ga reiche.

Über das Aussehen der unheimlichen Gestalt lauten freilich die Befunde zersplittert genug. Noch gemahnt an seine Hölle das flammend rote Bärtchen im Gesicht, die glutrote Feder auf dem Hut, die feurige Geißel in der Hand, womit er die zwei feurigen Eichhörnchen auf der nächtlichen Buchenfuhr nach dem Bärhegen­schlosse lenkt.105 Zum schwarzen Bock aber, auf dem er reitet, stimmt das schwarze Gesicht mit dem spitzen Kinn, unter dem der Mund sich birgt «fast wie eine Höhle unter überhängendem Gestein».106 Dazu gehören Hörner, Bockfüße, Schwanz107 (vgl. ja mutze Tüüfe͜l! Unsinn, Unding, «Schneckentänze»!). «Wer i’s Lotto thuet, dä het dem Tüüfel es Haar us em Schwanz ’zoge.»108 Der Bocksnatur als Versinn­bildlichung des Geistwidrigen verschwistert sich die des Faun in der modernen Erneuerung als Jägergestalt.109

Lebendiger als diese ursprünglichen Symbolisierungen blieben die unmittelbar ethischen Züge: Neid («des Teufels zweitgebornes Kind»),110 Intrigue,111 häuslicher Unfriede112 (vgl. das dichte Zusammenstehen vor dem Traualtar, damit der Teufel sich nicht dazwischen drängen könne),113 589 Liederlichkeit,114 Betrug,115 Rohheit116 gegen Wehrlose. Seine Opfer suchend, fahrt der Tüüfe͜l desume wie im Buch Hiob,117 oder er lauert in sicherm Versteck ihnen auf.118 Raffiniert, boshaft, eben tüfe͜lsüchtig, voll Tụ̈ụ̈fe͜l­süchtigi wie die ihm gleich gearteten Menschen, sitzt er auf etwas Verlornem (der Tüüfe͜l hocket druff; es hocket öpper druff) und reizt die Suchenden zum Zorn. Andern jagt er den Huchmuts- und Hoffahrts-, den Määrit-119 oder aber den unersättlichen Wärch-120 Tüüfel in den Leib, macht sie zu Dienste-,121 zu Arme-Lüte-Tüüfle und fährt sie zur Hölle, zu seiner Großmutter, seiner Base, seinem Halbbruder122 — falls er nicht die Schlimmsten unterwegs verliert. Heißt es doch von einem Bösewicht, dessen Abgefeimtheit keine Grenzen kennt: Er ist dem Tüüfel ab em Chaare g’heit.123 In buchstäblichem Sinne vertüüflet124 er Menschen, welche ihrerseits aus Bosheit oder Fahrlässigkeit anvertraute Sachen verderben oder vertüüfle, Menschen heruntermachen oder ahetụ̈ụ̈fle,125 oder sie zu Tụ̈ụ̈fe͜ls­buebe, Tüüfels­meitline machen. Zum Fụ̈ụ̈rtụ̈ụ̈fel (wie man von daher auch ein Feuerwerk heißt), macht er den leiden­schaftlichen Menschen:126 er het ’taa wi n es Fụ̈ụ̈r­tụ̈ụ̈feli, — er het ụụstụ̈ụ̈flet. Und so eine tüchtige Uus­tüüflete, eine ungefähr alle Monate stattfindende General-Uus­tüüflete127 ist wie ein Gewitter, das die Luft reinigt.128

Zu solch eher koboldartigem Gehaben gesellt sich die riesenmäßige Leibeskraft. Man denke an die bekannten Geschichten von Tüüfe͜ls­burdine (Teufelsbürden): Steinen, welche der Teufel nach einer Kirche oder einer Brücke oder einer Stadt als Stätte der Zivilisation, der «heilgen Ordnung, segensreichen Himmelstochter» geschleudert hat (z. B. vom Gotthard nach dem neugebauten Bern).129 Derartige Erzählungen sind natürlich auch hier bekannt und erzeugten die bei Gotthelf unzählige Mal dem Volksmund entnommenen Utụ̈ụ̈fe͜l. Der «Unteufel» (neben dem «Urteufel»)130 ist, analog dem - «Untier» oder dem «Unburschen» (Upu̦u̦rsch), ein über alle Norm und Namens­berechtigung hinaus starker,131 unbändiger,132 unordentlicher, unflätiger133 Kerl, aber auch ein in seinem Fach besonders hervorragender Mensch134 (vgl. e böse Schwinger). «Er ist ein Utüüfel zum arbeiten.»135 «Der Schulmeister träumt sich seinen Buben als stattlichen Pfarrer und sagt: Ja, 590 dä chaa’s! vom Land versteit mi Bueb nüt, aber uf em Chanzel isch er en Utüfel!»136

Das Gegenteil dieser Vergrößerung ist die verhüllende Entstellung. Als solche konkurriert mit dem an die Passion gemahnenden «tuusig» das hierher zu stellende: E der tuusig! Das ist mer doch e tuusigs Qual!137 «Das tuusigs Läse war nie ihre starke Seite.»138 Unzweideutiger ist der Tụ̈ụ̈ner, der Tụ̈̆tsche͜l,139 der Tĭ̦ḷḷer. Sie stickt gar tụ̈ụ̈ners­brav;140 e tütsche͜l­schwäre Brief;141 bim Ti̦ḷḷer Tiller (besonders in süßlichem Redeton); bim Hun͜ds Tiḷḷer. Statt der Entstellung kann auch Verkleinerung eintreten: E der Tüüfeli! d. i. ei ei! potz tausend!

Solchergestalt ist die Welt voll Tüüfe͜l­wärch, bald durch Gewalt, bald durch List hervorgerufen: der Tüüfel ist e Scheḷm,142 man darf niemals mit ganz unbedingtem Vertrauen reden und handeln.

Nichtsdesto­weniger hat auch des Teufels Machtbereich seine Grenzen. Es gibt Gewalten, vor denen der Tüüfe͜l nümme sicher ist;143 Lebenslagen, «vor welchen dem Teufel graut»144 — derart beschaffen, dass es dem Tüüfe͜l drab grụụset,145 oder daß er darob «Bauchweh kriegt».146 Es gibt, wie Übermenschen, so auch menschliche Überteufel, mit denen der Tüüfe͜l ’s Chürzere zieht,147 wo der Tüüfe͜l z’Schande wirt ab ne,148 bii nne chönnt ga Lebrbueb sịị,149 numen e Naar ist dḁrggäge, und im Vergleich mit deren Bosheit me dem Tüüfe͜l möcht Götti säge.150 So wird der schlaue und der mächtige zum tumme151 und zum arme Tüüfe͜l,152 von dessen Untüchtigkeit die kühnsten Redensarten umgehen: «Wenn der Tüüfel öppis nutz wär...»153 oder: er ist ăfen e schĭ̦ttere; oder: er ist aḷte u nüüt meh nutz.154 Von seiner Absetzbarkeit155 redet sogar ein Kind: «Weißt was, Grosmüeti, der Tüüfe͜l wirt z’aḷte sii u wohḷ fụ̆le, oder kener Zän͜d mĕh ha. Wir wei der lieb Gott bätte, das er e neue Tüüfe͜l mach, so ne rächt e g’haarige un e wüeste un e böse; was giḷts, dä nimmt dé dä wüest Grotzepuur.»156

Dem Unmündigen ist geoffenbart, was dem Klugen verborgen bleibt: das Problem der in Wahrheit furchtbaren Macht des Bösen und des Übels in der Welt wird durch keinen oberflächlichen Optimismus, vorderhand nicht einmal durch die Wissenschaft (auch nicht die Dogmatik) 591 endgültig gelöst, sondern bloß durch praktische Religiosität von Fall zu Fall entschieden. Nicht die sieghafte Frische derselben, wohl aber gewisse Abschattungen im Sprachgebrauch machen sich in zahlreichen Redensarten bemerkbar, die wir hier (zugleich als eine Art Rekapitulation) rasch erledigen:

Das Zeise, das ist si Tüüfel (Quälgeist) gsii.157 Der Tüüfel mache: durch Selbst­behauptung und Selbst­verteidigung.158 D’s Tüüfels sịị oder wärde, Ein d’s Tüüfels mache. Das ist doch d’s Tüüfels Sach, daß... Das wär der Tüfel, we me nid Wort halte wett;159 we me das nid chönnt. Das müeßt der Tüüfel tue, we die’s zwänge sött.160 Da möcht der Tüüfel derbịị sịị! Ob der Tüüfel gsun͜d sịị chönnt dä wääg.161 Es nähm ein d’s Tüüfels Wunder, was...162 Wär Tüüfel möcht o gäng...163 Wenn (von Eheleuten) eis lachet un eis plääret, de het’s der Tüüfel gseh.164 Für oder mit d’s Tüüfels Gwalt. Verlorne Sachen oder Personen sind dem Tüüfel zue. Was Tüüfels ist ächt los!

Dem Tüüfel Wasser ịịträäge: rückwärts gehen. Steihe wie der Tüüfel.165 Wüest wie vom Tüüfel. — Glitzeren u glänze,166 Chappe mit Lätsche,167 si postiere168 vom Tüüfel. — Der Frau folge vom Tüüfel.169 Ri̦i̦ch, schön, schlau wi der Tüüfel. Das gratet ere Tüüfe͜ls guet.170 Toktere,171 handle, b’richte dem Tüüfel äbe. «Drauflos bauern wie ein heller Teufel.»172 Er konnte tanzen wie der Tüüfel.173

Es Tüüfels es uufgheiteres Meitschi!174 Tüüfe͜l! (ei, ei)! He z’Tüüfe͜l! Pfi Tüüfe͜l! Tüüfe͜l ab enandere («ei der Blitz»), das ist ja der...175 Ahä, jä so! der Tüüfe͜l!176

Dem Tüüfel es Ohr ab schwetze,177 dichte, spile. — Lụ̈t (läute) du u der Tüüfe͜l, we d’ nid g’warte magst!178 «Ich hoffe (1. ..., 2. ...) 3. was Teufels, was? gar nichts!»179 Nid e Tüüfe͜l — gar nicht.180 Er frug allen den Teufel gleich viel nach.181 Es fragte ihm e Tüüfel niemand nichts mehr nach.182 Teufelwenig.183 «Was Tuüfels frag ich dem G’ästimier nach!»184Das ist ei Tüüfel, bättle u Brot heusche. — Vorsichtig verhüllende Wendung: der Tüüfel flieh’s! (statt: hole es!) Flieh mi der Tüüfel!

Der Tüüfel im Ggü̦tterli: = der Cartesianische Taucher. Eim 592 der Tüüfel im Ggütterli zeige:185 ihm Angst einjagen, Respekt einflößen. Hieran erinnert einigermaßen das «Beizifaß» in der «Tokterstube» des Zürcher Ueli auf Wasen, in welchem beständig etwas leise brodelte («es eso het g’chöcherlet»). Es galt Besuchern (namentlich aus dem nahen Luzernerbiet) als Behältnis, aus welchem man der Tụ̈ụ̈fe͜l ghör ru̦u̦re (knurren).

Dem nämlichen Zürcher Ueli wurde die Kunst des Bannens zugeschrieben. So ließ er einen «Länder» (Luzerner) immer wieder vom Pferd herunterfallen, bis er sein Honorar entrichtet hatte. Bekannt ist auch der von Schüpbach-Micheli um einen Dieb gelegte Zauberbann.186 Dieselbe Kunst wird im Oberland den Sennen zugeschrieben.187 Bei uns galt die Kunst auch schädlichen Tieren (Wespenbann); noch mehr aber versetzte sie sich darauf, vergrabene Schätze zu panne, ịịpănisịere, iipalisiere, verpălisiere. Ein filziger Bauer schickte alle Hausgenossen zur Kirche, um sein Geld im Stalle zu vergraben, wurde aber durch eine Öffnung in der Bühne vom Melker beobachtet. Der Bauer legte die Verwünschung auf den Schatz, daß niemand ihn heben könne, bis einer auf einem weißen Bock, bedeckt mit einer Schabracke aus Schärle̥ch (Scharlach) mit vier schwarzen Quasten (Tschottle), einreite. Nach des Bauern Tode wurden Bock und Decke gekauft und der Schatz gehoben. — Eine noch heute öfters genannte Zauberin war das geizige Schụ̆fe͜lbüeḷ-Stụ̈̆deli. In einer Nacht bildeten junge Bursche eine Schulterleiter, um Stüdelis so einladend herunterhängende Laube-Nägeli (Nelken) zu erreichen und fortzutragen. Aber die alles gewahrende Eignerin het g’lụ̈ụ̈ßlet, und sie bannte die gesamte Kohorte, daß sie bis in den Vormittag hinein in dieser sehenswerten Stellung verbleiben mußte.188 — Es gibt auch eine Kunst, ’s enan͜dere z’verhaa, so daß ein derart Getroffener eine ganze lange Nacht in entgegen­gesetzter Richtung von seinem Ziele wegwandern muß, oder im dichten Wald den Ausgang nicht mehr findet.189 — Von Belang ist ferner der Zauber, de Hüennere d’Eier u de Chüehne d’Miḷch z’zieh. Zu schweigen von der bekannten heilsamen Kunst, an Wunden ’s Bluet z’gsteḷḷe u. dgl, aber auch von der entgegengesetzten Praktik, jemand z’Tod z’bäte. Diese «am hartnäckigsten eingewurzelte Verirrung des menschlichen Geistes»190 ist ebenfalls noch nicht vollig verschwunden. Das Totbeten kann durch jede beliebige Person mit bloßem Wort191 vollzogen werden. Noch wirksamer jedoch ist das Sympathiemittel dreier dürrer Bohnen, die man während sieben Wochen jeden Morgen und Abend 593 exakt um die gleiche Zeit in den drei heiligen Namen über die Achsel auf den Düngerhaufen wirft.192 Am sichersten fährt man immerhin mit Hülfe der Kapuziner,193 wenn nicht etwa vor der Klosterpforte der schalkhaft freundliche Guardian an die Zweischneidigkeit eines solchen Schwerts erinnert: wer am Zerwürfnis die größere Schuld trage, werde sterben.194

Nach Gotthelfs Versicherung195 wurden die schlauen Patres «noch öfter als man nur wisse, beraten und heimlich beschickt» auch für andere «Notfälle», z. B. bei gefehlter Butter- oder Käse-Bereitung.196 Es ist ja auch aus lauter haushälterischem Sinn zu erklären, wenn ein Annebäbi «ihnen noch nichts zu verdienen gegeben» und damit die Strafe verwirkt hat, daß «di Chätzere» ihm das Wiederfinden von Roß und Wagen auf dem Solothurner Markt verhielten.197 Es ist demnach auch nicht jeder Reformierte mit dem Urteil einverstanden, zu einem Kapuziner brauche es drei Dinge: sächs Eeḷḷ Haḷblịịn, e Seeḷstumpe drum, un e fụ̆le Hun͜d drịị.

Überaus unheimlich und gefährlich ist auch die Fraufáste oder Frauefáste.198 Die Bezeichnung ist zugleich gekürzt und entstellt aus «Fronfasten-Kind». In erschütternder Weise läßt Marie Walden199 die zur Vereinsamung gezwungene arme alte Frau ihre Visionen als Fraufaste­chin͜d erzählen: wie sie auf dem Kirchwege während des Einläutens «ganzi G’schaare vo Lüte, wo gstorbi si un i b’chennt ha», ohne Gruß an sich vorübergehen sieht, und wie sie die nur halb gefüllte Kirche ganz angefüllt erblickt. «Aber es ist no eis, wo mer bsun͜derbar grụụset»: da und dort deutet ein Gestorbener auf einen ahnungslos an ihm Vorübergehenden, u dä ist ’zeichneter: er stirbt innert Jahresfrist. Sogar in ihrer Stube hat die Frau solche Erscheinungen.

Immerhin bleibt eine solch, krankhafte Autosuggestions-Stärke auf einzelne wenige Fälle beschränkt. Weit verhängnisvoller war die ihr nächstverwandte Epidemie, welche im Bunde mit Krieg und Pest der Religiosität, ja der gesamten Kultur des siebenzehnten Jahrhunderts ihre traurige Signatur aufdrückte: der Hexenwahn. Während jedoch derselbe anderwärts in uneingeschränkten Maße seine Orgien feierte, dachten bereits damals die bernischen Prediger an die Möglichkeit psychischer Krantheits­zustände,200 und der Berner Rat war so vorsichtig, nicht jede Anschuldigung ohne weiteres als Beweis zu betrachten.201 Dieser größern Milde der Behandlung ist es u. a. zuzuschreiben, wenn in anmutiger 594 Umkehrung des sonstigen Gefühlswertes z. B. ein sachkundiges, flinkes und gewandtes Persönchen e Häx, e wahri Häx, es Häxli (Erdbeerihäxli) tituliert wird,202 während es umgekehrt auch von einem Manne heißen kann: er ist just e ke Häx dadrinne. Natürlich besteht dessen ungeachtet auch bei uns der Glaube an eigentliche Hexen. Ihr Äußeres schon wirkt zurückschreckend: Zu ihrem humpelnden Gang203 (namentlich beim Rückwärts­schreiten zur Kirche204) paßt das verwitterte, verschrumpfte Gesicht mit spitzem Kinn und spitzer Nase.205 Als weibliche Kehrseite des Teufels (der «Hexer» ist der Sprache so ungewohnt wie die «Teufelin») zaubert die Hexe durch Trank206 oder Spruch. Sie verhext Kinder, daß sie nicht gedeihen,207 Große, daß ihnen die Hand verdorrt.208 Sie verhext das Vieh, daß es krank wird und von der Milch absteht. Drum auch der Wunsch: Glück i Staaḷḷ! Der so Sprechende will ursprünglich versichern, daß er keine hexerischen Absichten hege.209 Verhext kann das Messer sein, welches das Schlachtopfer übel absticht;210 die Butter, in welche das Feuer fährt; der Teig, der nicht aufgehen will.211 Wo Hexen, oder Fraufasten­kinder, oder die Fasnḁcht­chlunglere durchgeht, werden die Bäume schwarz. Dabei kann die Hexe, dem Teufel ähnlich, jede denkbare Gestalt annehmen. Jetzt bespritzt sie als Kröte Einen schwarz;212 jetzt ist sie eine nach dem Tod in einen Hasen verwandelte Menschenseele, die den Jäger quält und narrt;213 aber auch das harmlose Gesicht einer armen alten Frau kann sie annehmen.214 — Das Feuern auf dem Herd und das Brennen der Lampe über das Glas hinaus, wi we men e Häx brate wett, sind nunmehr bloße Redensarten. Allein noch immer ist da und dort «so eine Hexengeschichte ein Herrenfressen»215 für religiös leichtfertige Aufklärlinge, die doch «für Mittel gegen das Verhexen schon manchen Batzen gegeben»;216 oder die den Pferden den Hafer umrühren mittelst eines Haselstockes, den sie an einem heiligen Sonntag während des Kirchengeläutes in den drei heiligen Namen, rückwärts gerichtet, einem Haag entnahmen;217 oder die bei gefehlter Butterbereitung sich von einem Zürcher-Ueli raten lassen: si söḷḷi es Sääch glüejjig mache un i d’NịịdIe stecke, das wärd de der verfluechte Häx d’Lööti scho uuftue.218

In diesem durch Schule, Kirche und Presse auch bei uns bis auf bloße Überlebsel (survivals) zurückgedämmten Glauben an finstere Mächte und damit verbundene Zauberei haben wir den elementaren, «noch unbeholfenen und mißratenen Versuch, die Natur zu beherrschen», indem 595 bloß ideelle Zusammenhänge für reell und beeinflußbar gehalten werden.219 Mit dieser Magie berührt sich nahe die Divination, welche die Zukunft zu erforschen trachtet und zugleich sich bemüht, gute Vorzeichen und günstige Umstände für Unternehmungen herbeizuschaffen, ungünstige dagegen abseits zu halten.220 So spielen denn zunächst die Begriffe Gfẹḷḷ und Ungfeḷḷ, gfĕlig und ungfĕlig — letzteres in doppelter Bedeutung: Unglück habend und Unglück bringend — ihre noch ungeschwächte Rolle. Ganz so wie das auch bei uns sehr geläufige fatal mit dem fatum, wie «bonheur» und «malheur» mit dem römischen augurium Worteinheiten bilden.

Solchen seltenen Personen mit dem feinen und zarten Seelengewebe zeitlichen und räumlichen Fernblicks ist aber das wenig beneidenswerte Kassandra-Schicksal beschieden, daß sie meist nur traurige Ereignisse vorauserkennen, nume z’viil gseh.221 Um so plumper, roher und unverschämter macht sich breit das Kleingewerbe der Wahrsager und Wahrsägere, die es «beidwääg können», «die Sache im Wasser und in den Karten sehen.»222

Den Traumdeutern dagegen ist ihr Brot so ziemlich vorweggenommen durch die noch hie und da auf Märkten feilgebotenen Traum­büechli. Der neueren psychologischen Gesamtdeutung des Traumes als Wunsch-Erfüllung im Schlaf223 eilt die noch heute volkstümliche Einzeldeutung weit voraus. Noch jetzt bedeuten Läuse sowie Scherben224 im Traume Glück. Dagegen het me’s nit gärn, we’s Eim vo (Klein-) Gält ertroumt. Desgleichen sind Träume vo Eiere oder vo trüebem Wasser unerwünscht.225 Überhaupt alles, was auf Wäsche deutet: ist doch das weiße Leintuch ein Hinweis auf das Totenhemd! We’s Eim vo Fụ̈ụ̈r ertraumt, wird men am andere (folgenden) Tag taub (zorrnig), oder het eme͜l (jedenfall) Vertru̦u̦s. We’s z’glanzem brönnt, macht’s no nid so viil, aber we’s nume so mottet. We’s eim de gar vo chlịịnne Chin͜de oder vo schwarze Chirs̆ine ertraumt, de stirbt eim öpper.226

Gewissermaßen Träume am hellen Tage sind die Todesvorboten, wie sie gerade so geistesgesunden, dabei aber zart veranlagten Naturen wie einem Mädeli227 in außer­gewöhnlichen Lebenslagen zu erscheinen pflegen. Kinder, die viel von Engeln sprechen, vom Himmel reden228 und dabei auffällige Frühreife zeigen, leben nicht lange. Wie auch die plötzlichen noblen Anwandlungen eines Knausers en Änderig vor em 596 Tod anzeigen.229 Wenn nun vollends in einem Leichengeleite d’Lüt eso verzü̦tteret lauffe, so benutzt der Tod gerne die ihm damit gebotene Lücke. Wenn das die Leiche ziehende Pferd zrugg luegt u rü̦̆helet, weiß das Gefolge ebenfalls, was das bedeutet. Ferner zieht die über den Sonntag im Sterbehaus liegende Leiche bald jemand nach. We me’s Toote­chlĕfeli (den Kopfkäfer, Anobium pertinax) g’hört;230 we der Schär (Maulwurf) un͜der em Tach stoßt; we d’Wi̦ggle (der Steinkauz, Caima noctua) zum Huus zuehe chunnt cho brüele; wenn e Chrääjje ggaagget, ggaaggeret, gwaagget und dies als Unglücksrabe besonders auf oder unter dem Hausdache tut;231 wenn es Eich­hörndli uber e Wääg ggumpet, so sind dies unheimliche Todesvorboten. Desgleichen das plötzliche Krachen in des Hauses Fugen; das Klirren der Fensterscheiben; das Zerspringen eines Glases; die kleinen Explosionen (das Chü̦̆dere, Chẹẹrbele) einer Lampe, der das Öl ausgeht; (im Seeland: das Blühen der Seerose). Auch das sị öppe no Zụ̈gnusse: wenn an Chăbis­stụ̆de, Chabis­rüebe, Bohnestude aḷḷs wịịß wirt, oder we d’Huswürze (Hauswürze) uufstängle, so stirbt öpper.

Ein Unglücksvogel im weitesten Sinn ist die Elster, Age̥tsche, Agertsche232 ahd. agazza, dessen Nebenform agalstra, mhd. egelster gerne zu unserm Verb ergẹḷstere gestellt wird: Jemand (besonders ein kleines Kind) aus seiner Ruhe aufschrecken, es aufregen (vgl. ahd. galstar = Zaubergesang).232a Irgend ein Unglück wird dem Fuhrmann begegnen, wenn in der Nacht zuvor das Kummet vom Haken heruntergefallen ist. Entscheidend für des Tages Glück oder Unheil ist es, ob und wie oft man stolpere (stŏgli),233 und mit welchem Fuß man zuerst aus dem Bett in die Schuhe gefahren.234 Denn das linke Bein ist hier das lätze, gleichwie das Läuten des linken Ohres üble,235 das des rechten eine günstige236 Nachrede bedeutet. (Bekanntlich spielt dieses Rechts und Links seine Hauptrolle in der Vogelschau, welche die Römer den Doriern ablernten.)237 Denkt überhaupt jemand lebhaft an uns, so geht uns das Strumpf- (oder Schürzen-) Band auf.

Eine eigene Kategorie dieser Vorzeichen bildet der Angang. Wenn ein altes häßliches Männchen oder «so ein altes Weib einen bei einem Ausgang zuerst anläuft, dann gut Nacht, Glück!»238 Wenn überhaupt auf dem ersten Tagesgang einem «lauter Weibervolk» begegnet, «so ist 597 das vom Tụ̈ụ̈fel nüt nutz».239 Sehr ungern hörte es ehedem der Jäger, wenn jemand auf dem Pirschgang ihn grüßte. Er ist im Stand gsii, umz’chehre. Dagegen ist sonderlich einem Brautwerber das erste Begegnen eines Knaben ein liebliches Vorspiel.240

Ebenso, wenn zwei unter dem Dachvorsprung gesteckte Böhnele­stụ̈deli gegen einander hin wachsen.

 
1 Bitzius VII, 397.   2 Ebd.   3 Cornelius Waldmeister im EvE. 1902.   4 BSp. 40.   5 AB. 1, 251.   6 Ebd. 250; Erbv. 113.   7 Ztgst. Hsa.   8 Ebd. 2, 157; Erbv. 113.   9 AB. 1, 250.   10 Ebd.   11 GG. 3, 41.   12 Wege 327; Geltst. 130.   13 Dorfk. 1871.   14 EB. 1902, 86.   15 Geltst. 133.   16 AB. 1, 249 ff.   17 Dorfk. 1871.   18 Käthi 391.   19 Kaput 347.   20 «Bund».   21 SchM. 1, 349.   22 Wege 327.   23 Mutten 240 ff.   24 BSp. 242.   25 Geltst. 130.   26 Erbv. 138.   27 Ebd. 51.   27a Käthi 94.   28 Geltst. 130.   29 Ebd. 8.   30 Erbv. 139.   31 Ähnlich letzthin im Simmenthaler Anzeiger.   32 SchM. 2, 366; Michel 221.   33 Dursli 282 Hs.   34 Wyß ä. AR. 1813, 245.   35 Kurt 128 ff.; Dursli 270, 321 ff; Dorbach 49 ff; Beiträge 386.   36 Wege 320.   37 Käthi 174.   38 Spinne 27.   39 Kuhn AR. 1822, 69.   40 EvE. (Trebla).   41 Wass. 41-46; Käthi 384, 399; Kohlrausch 72 f.   42 239.   43 Gf. im SdB. 1903, 127 f.   44 Ztgst. 2, 21 41.   45 Dorfk. 1871, Bg. 7.   46 SchM. 1, 298.   47 Ztgst. 2, 21 41; BSp. 32.   48 Barthli 62.   49 Geltst. 219.   50 Sylv. 276.   51 Bitzius VII, 395-402.   52 EB. 1903.   53 GG. 3, 41.   54 Bsp. 374. ff.   55 Wass. 40.   56 UP. 472; SchM. 1, 91.   57 Schuldb. 66.   58 Ztgst. 1, 133.   59 Fröhlich XVIII.   60 Lütolf 27 f.; Rochholz, Schweizersagen II, 111.   61 AR. 1822, 64; Kohlrausch 103.   62 BSp. 236.   63 Ott 1, 6.   64 Käthi 213 Hs; vgl. MW. Ws. 93.   65 Kurt 140.   66 SchM. 2, 9.   67 Kuhn AR. 1811, 92 (in genauem Zitat).   68 Zu bullire, frz. bouillir, sieden.   69 Vgl. EvE. 1904, 18 samt der dortigen Erklärung.   70 «Mutti» wie «Mutz» gebört zu lat. mutilus = verstümmelt, verkürzt, entstellt.   71 AB. 1, 218.   72 Schuldb. 180; SchM. 2, 256.   73 UP. 78.   74 Lischeb. 11.   75 UK. 236,   76 Kohlrausch 11 ff.   77 GG. 2, 99.   78 AB. 2, 78; vgl. A. f. VK. 7, 140 142.   79 Vgl. das hübsche Gedicht von Kopisch.   80 Wenn anders mit Kluge5 62 an got. usbaugjan = kehren, d’Stube wüsche (Luc. 15, 2) und an daherige Formen bhaugjô, bugze angeknüpft werden darf.   81 An AB. Ammann JG. 13.   82 «Verdutzt» schaute nach Rebmann (356) Nero dem Brande von Rom zu.   83 Gr. WB. Wie auch die Metallnamen Nickel und Kobalt auf diensteifrige Zwerge (Schmiede-) Kobolde zurückgeführt werden, zeigt Hildebrand in Gr. WB. 5.   84 Burri IX.   85 89. 90 und Hs.; 93-109; vgl. SchM. 2, 108; Arm. 178; UP. 42; Beiträge 645. 109. 540.   86 Wyß Idyllen 1, 305 f.   87 Käthi 108 Hs.   88 Vgl. Fröhlich XVIII.   89 Jahn Em. 69.   90 MW. 2J. 85 ff.   91 Wass. 22 ff; Beiträge 349.   92 EbM. 266.   93 Kuhn AR. 1822, 54; Wyß j. AR. 1817, 120-126; Grimm, Kleine Schweizer Cronica (Basel 1786); «Sintram und Baltram, die Drachentödter»; Kohlrausch 3-7; Gotthelfs Sintram und Bertram; Joggeli 25.   94 Michel 229.   95 Wege 327.   96 Erbv. 121; Dursli 274 ff; vgl. Kurt 129-134; SchM. 2, 394.   97 Ztgst. 2, 217.   98 Ebd. 65; Geltst. 19, 217.   99 Vgl. z. B. Roskoffs zweibändige Geschichte des Teufels, besonders aber Marti 240 ff. («der Satan»); Wyß j. 306 f.   100 BSp. 87.   101 Dursli 272; Beiträge 407.   102 Michel 228.   103 Ztgst. 2, 120.   104 Jakob 2, 218.   105 Spinne 31. 49 f.   106 Ebd. 31; vgl. Mordiof. 191 ff.   107 Ott 1, 46; GG. 3, 41; Nschwander 150; Dursli 221; SchM. 2, 393.   108 Spinne 49 f.   109 Dursli 255.   110 Käs. 35.   111 AB. 1, 169; Käs. 451; Dursli 297 Hs.   112 SchM. 2, 97 mit schöner Auslegung; Mogk. 284.   113 Jacob 2, 211.   114 Jacob 2, 211.   115 SchM. 2, 200.   116 Michel 244.   117 Schuldb. 134; vgl. Hiob 2, 2.   118 Jacob 2, 211.   119 Käs. 323.   120 UK. 254.   121 AB. 1, 73.   122 UP. 468.   123 BSp. 84 uö.   124 Schuldb. 86.   125 GG. 2, 130.   126 Müller GK. 15; SchM. 1, 209.   127 MW. 2J. 132.   128 Ebd. 115.   129 Wyß j. AR. 1812, 106.   130 Alte Gesch. 277.   131 Gf. SB.   132 Land 57.   133 UP. 476.   134 AB. 2, 73.   135 Schuldb. 405.   136 SchM. 2, 135.   137 Ott.   138 MW. 2J. 220.   139 GG. 1, 93; SchM. 2, 76 219.   140 Kuhn AR. 1819, 182.   141 Nschwander 22,   142 GG. 1, 38: AB. 1, 227; UP. 428; Geltst. 275.   143 AB. 1, 463.   144 Arm. 138.   145 Lischeb. 13.   146 An AB. 91.   147 Brüder 206.   148 Schuldb. 257.   149 GG. 1, 95.   150 GG. 2, 111.   151 BSp. 169.   152 Käs. 84 218.   153 BSp. 153.   154 Christen 165.   155 Käs. 177.   156 Käthi 188.   157 Käs. 156.   158 Mordiof. 201; UK. 423; Käthi 334.   159 UK. 73.   160 AB. 1, 321; Widm. 200.   161 AB. 1, 236.   162 Dursli 250.   163 Nschwander Alp. 71 79.   164 Sonnt. 123.   165 Bsbinder 366; AB. 1, 156.   166 Lisabethli 298.   167 Ztgst. 2, 131.   168 Geltst. 150.   169 AB. 1, 79.   170 Ebd. 2, 414.   171 Ebd. 428.   172 Amtsr. 75.   173 UK. 301.   174 Geltst. 23.   175 UK. 150.   176 An AB. 89.   177 Müller LK. 46.   178 MW. BK. 58.   179 An JR. 98.   180 Geltst. 342.   181 UP. 113.   182 AB. 1, 160.   183 Käs. 276.   184 Michel 109.   185 Kurt 107; Schuldb. 177; Ztgst. 1, 22; 2, 181.   186 Fröhlich XIII.   187 Rabeneltern 222.   188 Vgl. Hüons Horn.   189 EbM. 266.   190 Käs. 85.   191 BSp. 10.   192 Käs. 97.   193 An AB. 73.   194 EvE. 1902, 41.   195 Fröhlich XVII.   196 Ebd. XV; BSp. 109 ff.; Sintram 102 uö.   197 AB. 1, 127.   198 Dursli (1846) 282; Käs. 423.   199 2J. 157 f.   200 Blösch 1, 476.   201 Ebd. 475.   202 EbM. 257; vgl. Kurt 69; Heiri 16; Joggeli 39.   203 AB. 1, 164.   204 AB. 1, 181; 2, 132; Beiträge 609 640.   205 Burnands Bild in der «Schweiz» 1901, 42.   206 Kurt 138.   207 Gf. SF. 1901. 1-50.   208 Käs. 91.   209 Erbv. 26 f.   210 Gf. SF. 1902, 229.   211 BSp. 94.   212 Käs. 81.   213 Amtsr. 110.   214 Gf. SF. 1901, 1-50.   215 Käs. 91.   216 BwM. 141.   217 Geltst. 51.   218 Romang in d. «Bern. Biographien» I.   219 Chantepie 1, 93.   220 Ebd. 97.   221 MW. 2J. 158 274; Brüder 236; Nschwander 11.   222 Michel 261.   223 Vgl. die herrliche Stelle AB. 1, 435 f.   224 Mogk. 283.   225 Af. VK. VII, 135.   226 Ebd.   227 SchM. 2, 162 f.   228 EbM. 265.   229 Barthli 58.   230 Kätheli 282; AB. 2, 119.   231 Der Rabe ist schon im Babylonischen ein Unglücksvogel.   232 Dursli 249 Hs; EbM. 281.   232a Vgl. schwz. Id. I, 127.   233 EbM. 276.   234 Ebd; Geltst. 211; A. f. Vk. VII, 135. 137, 64.   235 UK. 435.   236 Böhneler 209.   237 Kretschmer 165.   238 SchM. 1, 180.   239 Käs. 202.   240 Christen 178.  
 

Die heiligen Zeiten in Brauch und Sitte.

«Wohl kein Wort hat in den Ohren des eigentlichen Volkes einen schönern Klang als das Wort Sonntag»1Sundig, Sundi, Sunde. Darum gehören Bilder wie «ein heiterer Sonntag in einem Bauernhause»2 zu den anmutigsten, die Gotthelf geschaffen. Schon in Ansehung des äußern Menschen. Wie — nach gut gesagtem Wort — an jedem Samstag wenigstens eine Stunde lang d’Sunne schịịnt, für dass der Bättler am Gartezuun chönn ’s Hemmli tröchne:3 so kommt auch über den «Hablichen» das Gefühl, er sig ganz en an͜dere Mönsch, wenn er das Alltagsgewand abstreift, us em Wärchtig schlụ̈ụ̈ft, und den jeweiligen Umständen gemäß sich in ein sonntägliches Gewand steckt: si sundiget,4 g’sundiget dahar chunnt.5 Der nämliche Ausdruck gilt auch für jeden andersartigen Präsentations-Anzug. — Dem Gewandwechsel aber geht eine tüchtige Extra-Reinigung des gesamten Oberleibes am Brunnen voraus. Solcher Zurechtmachung des Leibes und seiner Hülle entspricht die des Hauses und seiner Umgebung. Um das richtige Emmenthalerhaus herum ist es zwar immer «lauter Sonntag; kein Strohhalm liegt herum, kein Spänchen ist zu sehen».6 Gleichwohl gibt es am Samstag Abend noch ein eigenes Uufruumme. Der Sonntag selbst zeichnet sich um so mehr durch die Stille aus, die schon in der Frühe des Morgens herrscht. «Sind die Leute auch wach, sie machen kein Geräusch. Viele lesen in der heiligen Schrift.»7 (S. Abb. S. 599.) Leben kommt erst auf Straße und Platz durch die Kirchengänger.

Im Hause aber regt sichs derweil für die Bereitung des mittäglichen Sonntagsmahls. Im Bauernhause selbst­verständlich, im Haus des 598 Armen «dennoch», trotz aller sonstigen Entbehrung, wenn auch ohne Verschwendung. «Am Sonntag etwas Besseres als gewöhnlich auf den Tisch, wenigstens für Johannesli, das gehörte gleichsam zu Käthis Religion.»8

Wie man aber «bei einer ungesalzenen Suppe wünscht: wenn die nur gegessen wäre und der Topf leer!»9 — so ist nicht weniger der Sundi Namittag doch auch dem und diesem eine Qual.10 Wo die allgemeine Volkssitte auch den Einzelnen zwingt, außer dringender Not die werktägliche Arbeit zu unterlassen, nicht zu handeln11 u. dgl., auch nicht die müden Rosse aus dem Stall zu nehmen,12 da kann der Sonntag Nachmittag wirklich zur «Geistesprobe»13 für viele werden. Wo die Erfahrung noch nicht gelehrt hat: Sundig-Arbeit frißt d’Wärchtig-Arbeit wi d’Sunne der Winterschnee,14 da läßt man nicht von der Gewohnheit eines Joggeli in der «Glungge»,15 den ganzen Sonntag zum Aschenbrödel der Woche zu machen. Durch Erfahrung Geschulte machen es wie Käthi die Großmutter: «Alte Beine ruhen gerne auf dem warmen Ofentritt oder einem sonnigen Bänklein», indes auch der Geist ausruht «in stillem Sinnen».16 Jüngere tun am Nachmittag, was ein Bodenbauer in der Morgenfrühe: spazieren über Feld, göö de Pflanzblätze naa, überschlagen die bevorstehende Arbeit. Besuche, zu denen a mene Wärchtig keine Zeit ist, werden auf den Sonntag verspart. Wär’s̆ cha mache und dennoch nach guter alter Vätersitte am Wärchtig sich jeden unnötigen Wirtshausbesuch grundsätzlich untersagt, sucht wohl am Sonntag dort seine Gesellschaft auf, für z’ghöre, was’s öppe neu’s g’gää heig, wie die Marktpreise stehen, von Dienstboten­wechseln, und vom japanischen Kriegsglück. Dabei darf mit Fug behauptet werden, daß die bekannte Ehrenfestigkeit der Emmenthaler Wirtshäuser jegliche Art von Unfug (Grampooḷ) als sehr auffällige Ausnahmen erscheinen läßt. — Sehr fleißig werden, namentlich von weiblicher Seite, die zum Ausgehen nicht besonders anlockenden Sundi-Namittage zum Lesen benutzt. Die «guten Schriften» finden hier ein dankbares Feld.

Ist Sundig das allwöchentliche, so Ostere das alljährliche Auferstehungs­fest. Dem Greisen können noch die Sonntage «Sterne im Leben»17 heißen, dem Kinde sind’s die Osterzeiten. Und sei’s auch nur wegen des so vulgären Spiel des Tü̦pfe oder Tümpfe. Vergessen ist allerdings die wirkliche Bedeutung des Eies: «gleichsam als Wappen 599 und Sinnbild des Ostertages» sollte es gelten; das vertüpfte und damit an den Sieger verlorne Ei mit eingeschlagenem Spitz (als widerstands­fähigster und nun also doch besiegter Seite) ist ein geöffnetes Grab, welches ein darin eingezwängtes Leben frisch und frei hervorbrechen läßt.18 Gelegt aber sind die Ostereier vom Osterhaas, dem sinnvoll mythischen Symbol des überall neues Leben erzeugenden Frühlings. «Unter Blumen und Stauden und Gras» läßt der ebenso tiefgelehrte wie gemütreiche jüngere Wyß19 ihn und seine Gaben gesucht werden durch kleine und große Kinder, die doch ebenfalls schon vom Baum dieser staunenswerten Erkenntnis gegessen haben, daß Hasen nicht Eier legen.20 Der große Rüstetag für diese Gaben, an welchem oft sämtliche Familienglieder lebhaft beteiligt sind, ist der Oster­samstig, der bei uns im übrigen ebensowenig wie der Oster­mändig seinen Werktags­charakter abstreift. Ostern ist bei uns Oster­sonntag, und dermit het’s e̥s; gerade so, wie wir auch Pfingsten und Weihnachten bloß eintägig feiern.

Sonntagsstille.

Der gesamte Osterfestkreis ist ja ohnedies noch umfänglich genug. So dachte bis 1860 auch die Bernerkirche, indem sie den Nachmittag des Charfrị̆tig oder Hŏfrĭ̦tig («Hochfreitag») der Arbeit zurückgab, vom Vormittag aber um so ernsteren Besuch, des Trauer­gottes­dienstes erwartete. Gotthelf fand dies durchaus passend: Der Same (und ganz besonders der an das Totengewand Christi erinnernde Leinsamen),21 der an diesem regnerischen («Tränen vergießenden») und damit ein gutes Jahr verheißenden22 Tag in die Erde fällt, «geht auf vor allen andern Samen; und wenn schön und voll die Levkojen blühen und wohl der Flachs gerät, so sinnet die Hausfrau auch an das, was inwendig gesäet ist».23 600 — Keine solche dichterische Verklärung erfuhren folgende zwei Vorschriften: Rhachitische (rü̦pp­süchtigi) Kinder soll man am Karfreitag Morgen in die Pferdekrippe tragen, und: ebendann (später hieß es: am Bal͜msụ́ndig) vor Sonnenaufgang soll man im Walde Stechpalmzweige holen und im Stall aufstecken, um die Tiere vor Ungeziefer zu schützen. Beides natürlich unter den üblichen Besegnungen.

Bis 1860 wurde auch der Hodónstig mit Gottesdienst gefeiert. Den Namen «Gründonnerstag» («grün» i. S. v. wachsend, gedeihend, frisch, wie wir sagen: «es gruenet», und wie wir von grünem d. i. frischem Fleisch reden) hilft ein sonderbar klingender Glaube erklären: Am grünen Donnerstag gelegte Eier bleiben ein ganzes Jahr lang frisch und gut; aus ihnen erbrütete Hühner aber ändern alle Jahre ihre Farbe.24

Einen Gegensatz zum Ernst der Passionswoche (Hówuche = «Hochwoche») bildet für Vergnügungs­süchtige der Karneval. Der «carrus navalis» (Schiffskarren), auf welchem einst der zecherfreundliche Dionysius aus Phrygien «über das Meer» zu den Griechen und in Nachklängen bis zu uns gelangte, wird ja auch im Bernerland in allerlei phantastisch aufgeputzten Fuhrwerken unbewußt nachgeahmt. Der bedächtige Bauersmann schüttelt freilich den Kopf dazu, wenn am Hirs̆mändig (Hirsebrei-Montag), also am Tage nach der Bauernfastnacht, eine erbettelte Tanne im Walde geschlagen, herumgeführt, versteigert und etwa in Form eines «Spinnet» «verhŭ̦dlet» wird. Während des Umzugs sitzt die ganze Gesellschaft auf der Tanne und erlustigt sich an den Spässen des Pájjaß (it. bajazzo), des gutmütig sich bestäuben lassenden Mähḷbaabi, und des D’s Hin͜der-fụ̈ụ̈r-Baabi, das sein Gesicht im Nacken trägt. Vom sonstigen obligaten Lärm ist als charakteristisch übrig geblieben die Fasnacht-Tschä̆dere, aber bloß als Wort: so heißt nämlich heute jede an der Fastnacht geborne Person. Das Klapper­instrument selbst, das sonst in die Hand der Fasnacht-Chlunglere als Popanz für nächtlich herumschwärmende Kinder gehörte, ist samt dieser zurückgetreten. Die solide Bauernbevölkerung läßt sich dafür eins nicht entgehen: die durch ihre Größe sprichwörtlich gewordenen Fasnḁcht-Chüechli.25 Ohne sie wäre die Pụre­fasnḁcht bestenfalls ein Abklatsch der Here­fasnḁcht, gleich einem langweiligen Nachzügler hin͜derdrịị kommend wi di alti Fasnḁcht (welche um zehn Kalender-Differenz-Tage hintenher «hinkt»). Sonst ist — namentlich über das stille Gebirge hin — nichts mehr von dem «Herumschwärmen», «Schwanken», und «Taumeln» 601 (ahd. fasôn, vgl. «faseln» und lat. pālari) zu bemerken, das dem Karneval den Namen Făsnḁcht26 eingetragen hat.

Wie von Fasching links, wird Ostern rechts vom Himmelfahrts­fest eingerahmt: von der Ụụffḁrt. Wie viele erwarten nicht an ihr vom Himmel schönes Wetter!27 Denn an ihr hält der Bauer Bergfahrt mit dem Jungvieh, welche ebenfalls Ụụffḁrt genannt wird; der Städter deutet Auffahrt als «Ausfahrt», und die Hausfrau erwartet «schönes Wetter» am reinen Tisch, der mit dem aufgestellten Anke, Ziger und Saft (eingedicktem Fruchtsaft) gemacht wird.

So hat auch Weihnacht ihren Vorläufer im Sankt-Niklaustag, an dem die Jugend anderwärts «glauseret», d. h. vermummt umherzieht und Gaben sammelt. Eine Reihe ebenso «lustiger» Nachläufer hat sie im Neujahr und dessen neuer Umrahmung durch Silvester und Bärzelis­tag, deren Ausfall an Vergnügen sogar noch am aḷte Neujahr28 «nachgebessert» werden kann. Hauptsachen sind natürlich für viele zunächst das verlängerte Neujahrsmahl, die Neujahrete, das Neujahre; dann das Neujahrsgeschenk oder ’s guet Jáhr, besonders das große29 (s. Taufe); jenes als Silbermünze steckend in einem Neujahr- oder Wiehnachts­ring oder doch ‑Ringli, allenfalls auch ‑Chuehe oder ‑Chuechli, im Emmenthal als Ersatz oder auch Begleit der anderwärts im Bernerland üblichen Zü̦pfe. Der Sinn aller dieser Festgebäcke, zumal der des Rings als Symbol des trotz «Jahreswechsel» ununterbrochenen Zeitverlaufs, ist längst vergessen.30 Er interessierte auch diejenigen nie besonders, deren jahraus, jahrein andauernde Not sie ehemals zu einer doppelten Art Industrie antrieb und antorisierte: zum Neujahr­singe von Tür zu Tür (vgl. ’s Maajjeli singe) und zum ’s guet Jahr wünsche: I wöüsen e̥ch de o n es guets glückhaftigs neu’s Jahr u gueti Gsundheit u Gottes Säge. Ohne derartige Nebenzwecke wiederholen auch noch etwa ältere Nachbarn und Bekannte unter sich diesen T’härme (terminus) und erwarten die Antwort: Henu, oder: danke, ’s gli̦i̦he wünsche de̥r oo. In der Regel macht sich heute die Sache 602 kürzer: Glück zo’m neue Jahr! Sogar prosit Neujahr! und das studentische Proos’t! haben sich aufs Land verirrt.

Bis in den Frühlingsanfang sandte ehedem der Weihnachts­festkreis seinen Nachklang in Gestalt des Frauetag, d. i. «Mariä Verkündigung» (25. März). «Fráuetag» oder vollständiger: «der liebe Frauentag»31 ist der Tag «unserer lieben Frauen», d. h. der Herrin32 Maria als der «Mutter Gottes» oder wenigstens Jesu. Als Beginn des Frühlingsquartals galt der bis 1860 festlich gefeierte, dann aber an die Ganztagsfeier des Karfreitags umgetauschte 25. März auch als Nutz- und Schadensanfang eines gekauften oder gepachteten Guts,33 als Zahlungstermin für Darlehen34 und Miete,35 als Umzugstag,36 als Schulschluß.37

Als richtige Mitte des Winters dagegen, wo me no ’s haḷb Heu söḷḷ uf der Bü̦ni ha,38 und wo der Horner rächt tarf uushornere,39 wil ers̆ da aḷḷne Lüte rächt macht, gilt Lichtmeß (2. Februar). Z’Liecht­mis und z’Martis­tag sind außerdem zwei unter sich ähnliche Pole des geschäftlichen Lebens.

Wir kommen zum Zentrum des Weihnachts­festkreises, dem Gegenpol zu Ostern. «Mi Traum ist gsịị der Osterhaas, mi Hoffnig ’s Wiehnḁchts­bäumli40 Auch bei uns, wie anderwärts, war diese Familienfeier des Ereignisses, wo «es licht ward auf der dunkeln Erde,»41 noch vor zwei Jahrzehnten im Privathause fast unbekannt. Es war auch bei uns der von der Pfarrfrau gestiftete flammende Lichterbaum in der Kirche, der (teilweise durch Vermittlung der Sonntagsschulen) der sinnigen Feier den Weg in die Familienkreise bahnte. Heute strahlt das Weihnḁchts­bäumchen in der großen Mehrzahl der Häuser, ohne Unterschied zwischen Reich und Arm. Ebensowenig fehlt das beredte42 Wiehnḁchts­chin͜dli als Spender all der Gaben, unter denen früher auch das Lämmtschi (kleines Zuckerbrot43) als Erinnerung an den guten Hirten44 nicht fehlen durfte.

Viel genannt sind die splendiden Vogel­fütterungen zur Weihnachtszeit in Skandinavien und Norddeutschland. Bei uns, wo die Mahnung «der hungernden Vögel zu gedenken», längst den ganzen Winter über besorgt wird, hat die Sitte eine andere solenne Gestalt angenommen. 603 Man sagt hier: Mị söḷḷ i der aḷte helige Nacht e Hampfele Fueter z’frụ̈ụ̈re tue. Die Hüenner, wo’s frässe, cha der Habch (Habicht) nid nää.

Nicht weniger ist Weihnacht ein Tag voller Erwartung für die Großen. Für Dienstboten zunächst ist sie ein Tag der Anstellung45 oder der Entlassung: Wiehnḁcht mache;46 es het Wiehnḁcht g’gää. Wie denn auch der jüngste Tag als «dies iræ, dies illa» der Abrechnung gelegentlich die letz̆ti Wiehnacht47 genannt wird. Als Vorgeschmack hiervon kam einem «Dursli»48 der Sturm in der heiligen Nacht am Bachtelen­brunnen vor. Für unsere Gegend ist von ähnlicher Unheimlichkeit eine Begegnung i de helige Nächte mit dem Landvogt Tribolet. Wär ihm e̥bchunnt (begegnet), däm passiert im glịịhe Jahr öppis unguets.49

Überhaupt ist ja diese altgermanische Geisterzeit der Sonnenferne und der heulenden Stürme selbst noch für unsere Kulturepoche auch von eminent prophetischer Bedeutung. Schon für die Witterung des kommenden Jahres. Bekannt ist in dieser Beziehung das Monḁt looße.50 Am alten heiligen Abend wird eine Zwiebel auf dem Tisch auseinander­gebreitet, und die zwölf Blätter, welche die zwölf Monate bedeuten sollen, bestreut man einzeln mit Salz. Salz nun, das am folgenden Morgen zerflossen ist, verkündet einen nassen, körnig gebliebenes einen trockenen Monat. — Von Bedeutung sind auch die Wochentage, auf welche Weihnacht fällt. Ein Sonntag als Weihnacht spricht für einen milden Winter, ein Montag für einen stürmischen, ein Mittwoch einen harten, einen Samstag einen melancholischen; ein Freitag: gesunden Frühling, ein Dienstag: guten Sommer, ein Donnerstag: guten Herbst.51

Ebenso eifrig wird noch da und dort die Zukunft des Einzelnen erforscht. Öfters geübt wird hiezu das Bleigießen. Speziell die Frage, bei welchem Ehemann sie i ’s läng Jahr dinge wärd, sucht die reifer gewordene Jungfrau zu lösen, indem sie z’mitts i der aḷte helige Nacht hin͜dertsich der Tschüepelade wüscht (wenn ’s recht gelten soll, mit dem Hemdstock), und den Kehricht hinter sich wirft. (Vgl. das «Andreesle» in der Andreas-Nacht.)52

Träume aber, in selbiger Nacht geträumt, erfüllen sich sicher. Ebenso die Weissagungen der im Stalle redenden Kühe und Rosse. Ein sie belauschender Bauer suchte durch ununterbrochenes Zubetteliegen 604 einem drohenden Beinbruch auszuweichen; allein ein Mäuschen sprang über seine Bettlade; er schlug mit einem Bein danach und brach es.

Frommen Frauen aber ist die zwölfte oder beim Verschlafen eine spätere Stunde dieser Nacht ihr geistiger Loostag. «Da schlöö si d’Biblen uuf u ’s Psaḷmebuech, legen e̥s Zeichen ihe u läse de, we ’s taget, was si uufgschlage hei. U däm naa, wi n es de i däm Kapitel oder däm Psaḷme heißt, göö si de i ’s neue Jahr ihe u mache si uf öppis Bös’s g’fasset, oder si zeḷḷen uf öppis Guets.»53 Bei uns wird solches drụ̈ụ̈ Mal Ụụfschlaa auf die Zeit verlegt, wo es den Neujahrsmorgen einläutet; es beschränkt sich auf das Psaḷme­buech, bezieht sich mehr auf den Umfang als auf den Inhalt der aufgeschlagenen Nummer, und beschränkt seine Weissagung auf die schlimmere Seite des Lebens: Ein kurzer Psalme54 bedeutet wenig, ein langer viel Unbeliebig­keiten im neuen Jahr.

Nichts spezifisch Volkskundliches läßt sich über Pfingsten sagen, und wenig nur über den Bettag. Zunächst von der Berner Regierung bloß von Fall zu Fall bei besondern Anlässen, namentlich bei Krieg und Pest als «Fast-, Buß- und Bettag» angesetzt (z. B. 14. März 1653, 20. Nov. 1673, 17. August 1682),55 gelangte er erst im Jahr 1832 zu seiner fixen Einstellung im Kirchenjahr und seiner Doppelbedeutung als religiös-vaterländischer Festtag, sowie als Herbstweihe56 an Stelle des frühern Verenatages. Seine ernste Hochhaltung, die vormals durch harte Bußen erzwungen wurde,57 wird heute in unvermindertem Maße der Freiwilligkeit verdankt. Nur hängt sich etwa an seine exemplarische Kirchlichkeit die nicht allzufeierliche Doppelfrage: Was seit i̦s ächt üse am Bättag?58 und: wie wird der und der Nachbargemeinde der Kopf gewaschen werden?59

 
1 Ztgst. 1, 1.   2 UK. 14-26; vgl. 78. ff.   3 MW. BK. 11.   4 UK. 186 uö.   5 Der Gewandwechsel ist eine uralte heilige Sitte Man will nicht im profanen Gewand vor der Gottheit erscheinen oder das Gewand für den profanen Gebrauch unverwendbar machen, Marti2 31.   6 Besuch 149; Joggeli 23.   7 Fröhlich XXIX.   8 Käthi 44.   9 Schuldb. 128.   10 Etwa wie der Sonntag der hochkirchlichen Engländer.   11 Müller HK. 40.   12 Käthi 209.   13 Ebd. 44.   14 MW. Anna 187.   15 UK. 178.   16 Käthi 44 f.   17 Ebd. 39.   18 Vgl. Michel 127.   19 AR. 1826, 102-8.   20 Vgl. O. v. Greyerz «Bund» 1900.   21 Ök. Q2 G9.   22 Hk. B. 1791.   23 Jakob 2, 191.   24 RB. 110.   25 Geltst. 67.   26 UK. 252; SchM. 1, 65 nach Hsa; an JR. 100 131. Vgl. den Badener Geschlechts­namen «Vasnacht» seit 1357 und «Vasenacht» seit 1346 (Badener Urkunden ed. Welti S. 14, 31, 38 uö.) Man lese die systematisch ausführliche Darlegung von Hoffmanns-Krayer im A. f. Vk., I, Heft 1-4 und im schwz. Id. 4. An letzterer Stelle wurde das Wort von «Fastnacht» hergeleitet, auf welche Form auch Gotthelf (Käs. 64) einmal allegorisch Bezug nimmt, und zu der eine Parallele z. B. etwa in vulgär englischem «crismes» für Christmas («Christmesse» = Weihnacht) erblickt werden könnte.   27 RB. 89.   28 Ball 18. 34; Elsi 62; Käthi 249.   29 SchM. 1, 52.   30 Zum Gebäck als uraltem kultischem Material vgl. Jes. 16, 7; Hos. 3, 1; Jer. 7, 18.   31 Schuldb. 32 f.   32 Vgl. Notre Dame = Liebfrauen­kirche, entsprechend dem Herr = frô, älter frawon als Titel für Christus; ebenso das Fronleich­namsfest und die Fronfasten, welche auch wieder «Fraufaste» gesprochen und als solche gedeutet wurden.   33 Schuldb. 34.   34 Ztgst. 1, 137.   35 Käthi 76.   36 Schuldb. 32 f.   37 SchM. 1, 181 Hsa.   38 Käs. 349.   39 Vgl. Hk. B. 1791, Feb.   40 Ott 1, 7; vgl. AB. 1, 48 f; Sylv. 249.   41 Kurt 135.   42 MW. 2J. 272.   43 Vgl. Schuldb. 120.   44 Joh. 10, 12.   45 Schuldb. 222.   46 UP. 217.   47 UP. 47.   48 271 f.   49 EvE.   50 Vgl. Mogk 300.   51 Hk. B. 1781, Dez; vgl. Käthi 238.   52 Vgl. A. f. Vk. II, 216; Zahler im SdB.   53 Käthi 238 f.; vgl. Schuldb. 397.   54 Vgl. ahd. salmo(n).   55 Blösch 1, 480 f.   56 GG. 3, 118 f.; Käthi 132; Beiträge 647.   57 Tribolet 27.   58 Käs. 180.   59 GG. 3, 122.  
 

Bäten u Läse.

Sprachlich1 wie sachlich stellt sich das Beten, dieses «Atemholen der Seele», in den Mittelpunkt alles religiösen Lebens. Nicht umsonst läßt ein Seelenkenner wie Gotthelf gerade die gediegensten und 605 tüchtigsten seiner Personen mit tiefinnerlichem Ringen und Kämpfen in schwersten Lebenslagen wieder zu Ruhe und Gleichgewicht kommen, Ergebung und Fassung erlangen und den fürder einzuschlagenden Weg finden. Was alles geht vor in der Seele dieses Mädeli am Sterbebett seines Kindes!2 Dieser Spinnerin in kalter Winternacht!3 Dieser Kleinen, die sich in der Unruhe um des toten Vaters Ruhe fast aufzehrt!4 Dieser Großmutter, die sich gegen Anwandlungen des Hochmuts in überraschendem Glücke wappnet!5 Dann wieder diese mütterlichen Räte: «Stell abends alles an den rechten Ort, damit du es am Morgen gleich bei der Hand habest: die Geduld, die Sanftmut, die Freundlichkeit, den Frieden, die Liebe und alles, was Gutes und Schönes im Herzen sein soll; dann bsegne dich und bet ernsthaft: Vater, vergib mir meine Schulden!»6 Und dieser andere: «Wenn d’zornig bist, erzeigs nit! gang dänne u bät es Vater Unser.»7

Feierabend.

Aus dem Angedeuteten erweist sich der weite Umfang unseres mundartlichen bäte, dem das schriftdeutsche «beten» nicht nahe kommt. Zwar 606 gehört es lediglich in den Bereich der Synekdoche, wenn z. B. das «Beten» als Teil der Leichen-Einsegnung oder der Leichenrede auch das Ganze dieser Feier bezeichnet: «Aber gäḷḷ, Mueter, der Schul­meister het schön ’bätet!»8 (Vgl. «Bredig».) Dagegen liegt es in Begriff und Geschichte des Wortes selbst, wenn bäte teilweise auch das «Bitten» mitbezeichnet: dem lieben Gott eine Übertretung abbäte.9

Die Andacht aber, welche ein solches Bä̆t charakterisiert und welche am «betenden Greise» von Anker10 so trefflich veranschaulicht wird, kann auch das alle Tage immer gleiche Formelgebet beherrschen: beim Aufstehen am Morgen11 und beim Schlafengehen,12 vor und nach dem Essen.13 Man muß den feierlich langsamen, halb singenden Ton mit den streng eingehaltenen, immer gleichen Intervallen gehört haben, womit in einem «hablichen» Bauernhause beispielsweise zwei längst erwachsene, aber noch ledige, stämmige und hochintelligente Söhne voll heitern Gemüts an der Seite ihres verwitweten Vaters nacheinander die immer gleichen Tischgebete sprechen, um solch uralt frommer Bauernsitte den ihr gebührenden Respekt zu zollen und sich einzugestehen: das ist ein Band, das mit unfühlbarer, drum um so wirkungs­vollerer Macht die Glieder der Familie aneinander ketten hilft. Zu übertreiben brauchen wir dabei nichts, und dem verständnis­losen Herunterleiern ist damit noch lange nicht das Wort geredet. Ein Hohn auf jedes fromme Gefühl sind vollends Aufforderungen wie: Bueb, bät!14 «Aber flätig fort, daß du (mit den drei oder mehr Gebeten und dem nachherigen Unservater vor Tisch) heute noch fertig wirst!»15 In solcher Weise lernt freilich schon ein vierjähriger Jakobli «Das walt Gott»16 und «Spiis Gott».17 Hier ist’s wo der gedankenlos Auswendig­lernende sei’s was es wolle usse chaa wi ’s Unser Vater, und wo drụ̈ụ̈ Unser Vater lang18 ebenso ein Zeitmaß abgibt wie dem Katholischen sein «Feufi», d. h. die Zeit, die er zum Hersagen von fünf «Ave Maria» braucht. Von solch gedankenlosem Herplappern19 könnte auch der Ausdruck es Feufi hergeleitet werden, womit man eine unanstellige, blindling ins Blaue hinein hantierende, dabei liederliche Weibsperson bezeichnet. — Eine ähnliche Rolle spielte bei uns bis vor kurzem das «Symbolum apostolicum», der «Glaube» (Glu̦u̦be). Hauptsache ist bei all diesen mechanisierten Gebetsarten das Amen, weswegen Uus 607 und Ame eine übliche Umschreibung für «fertig», «vorüber» geworden ist. Es ist Uus un Ame mit ihm: er muß aufgegeben werden, er ist nicht mehr zu retten, zu halten. Mit blut­saugerischen Agenten muß man «Aus und Amen machen».20

Des Hersetzens üblicher Formelgebete enthalten wir uns trotz ihrer charakter­istischen lokalen Fassung.21 Bloß um ihrer antiquarischen Bedeutung willen bieten wir hier folgende bei uns gültige Variante zu «Schulmeister» II, 258:

Herr Jesus Christus in der Chilche saß,
Mit seine zwölf Jüngere das heilig Nachtmahl aß.
Johannes sprach: Der Wyn ist guet.
Der Herr Jesus spricht; Es ist nid Wyn;
  es ist nume vo mine Rose fahrt das Bluet.22

Da (das) söllet dir ässe und trinke guet
Zu miner Gebächtnuß. Hinecht mus i von euch goo;
Mues gar e schwäre Strit uusstoh.
Die faltsche Jude thüe mir all eso noth.
  (Nun wieder in der dritten Person:)
Sie nahme ne, füehrte ne zue dem Tod;
Sie schluege ne,
Huebe ne,
Sie hänkte ne uehe an das Krüz,
Sie nahme ne widerume herab,
Sie leiti ne, der Her Jesus, in eines steinigs Grab,
Da wo kes Mueterchind nie g’läge war.
Der Her Jesus spricht: Wele Mensch nur recht bätte chaa
Und alli Tag zue mir spricht,
U’s bitter Lyde nie vergißt:
Drei Engel send (dem wolle er senden) drei Tag nach (statt vor) sinem End.
Sie werde ne füehre u leite
I’s Himelrych un i d’s Baradys Ame.

«Chumm, mir wei es Bät läse23 lautet in bedrängter Stunde eine Einladung. An Gelegenheit hiezu ist sonderlich im Emmenthal kein Mangel. Da liegt auf dem Nachttisch oder steht auf dem Bäichli zu Häupten des Familienvaters am großen Tisch der alten Wohnstube die «Seelen-Arzney» von Wolfgang Musculus (1497-1563)23a oder seinem Sohn Abraham (1581-91); das Lustgärtli24 oder das Paradịịs­gärtli;25 der «christliche Zeitvertreib»,26 das «Schatzkästlein» als Auszug 608 aus Arnd’s27 «vier Büchern vom wahren Christentum» oder Benjamin Schmolckes «Morgen- und Abendsegen»; oder Starcks Handbuch. Gut vertreten ist aber auch die schöne Monatsschrift «der Säemann», redigiert von bernischen Pfarrern aller Richtungen.

Besser jedoch als alle Bätbücher sagt z. B. einem Mädeli das Läse im Neuen Testament zu: dasselbe «rühre es vielmehr an».28 Wie diese schlecht geschulte junge Handwerkers­tochter mitten in tiefster Lebensnot ihrem Mann, dem «Schulmeister»,29 die Stelle von den Vögeln unter dem Himmel30 auslegt, ist denn auch eins der anmutigsten Beispiele volkstümlichen Bibel­verständnisses31 und ein Beweis, was die Gschrift32 auch dem stillen und freundlichen Ernst des richtigen Landmanns noch heute wert ist. «Lä̆se» hat hier noch heute den prägnanten Sinn vom Lesen erbaulicher Bücher, speziell der Bibel;33 und bezeichnender­weise frägt gerade eine so tüchtige Frau wie die Mutter des zur Stunde noch armen «Besenbinders»34 in allererster Linie nach der Beschlagenheit ihrer künftigen Schwiegertochter in Bibel und Haushalt. Alles dem Leben gemäß, und es hätte in Bernerlanden niemals einer Verpflichtung der Polizei, besonders nicht (wie im 16. Jahrhundert) der Fụ̈ụ̈r­g’schauer35 bedurft, um nachzusehen, ob Bibel und Gesangbuch im Hause nicht fehlen.

Da steht sie ja, die dicke36 messing­beschlagene Bĭ̦ble (1556 in Huttwyl: «Bibli»37), in der Regel von Piscator (dessen Übersetzung seit 1743 in Bern einzig gelten durfte),38 mit dem groben, weiten Druck,39 in der Wandbank-Ecke zur Seite des Hausvaters;40 oder auf dem Puffert41 liegt, wenn sie noch nicht an einen Antiquitäten­jäger verhụ̈tzt ist, die mit Chupfere geschmückte Chupfer­bible. In ihr blättert auch der reifere Schüler gern: bietet sie ihm doch im Gemälde (Pórteree) veranschaulicht die Gestalten, die er aus seiner Kinder­bible oder allfällig auch aus der Glarner­bible (der von Glarner Geistlichen so verdienstvoll bearbeiteten «Familienbibel») kennt. Vorn auf dem Widmungsblatt aber interessiert ihn eine Reihe hand­schriftlicher Eintragungen schon aus des Großvaters Zeit: sonderlich die Geburts- und Sterbefälle;42 aber auch sonstige Knotenpunkte im Lebensfaden, wie Taufe, Admission und Heirat, stehn in dieser Familienchronik verzeichnet. Und endlich packt Uli der Knecht43 beim Einzug auf der «Glungge» aus 609 dem Un͜der­schlacht seines Trögli auch eine sehr schöne Bibel aus: ein Geschenk seiner frühern Meisterin, bei der und bei deren Mann auch er so gueti Triftig (Zeit und Platz) zum Läse am Sonntag und Feierabend gefunden. Denn beim Bodenbauer war es nicht pfiffige Schönrednerei wie bei den Gytiwylern,44 wenn auch er etwa vor dem Pfarrer erklärte: «u für a mene Sundi hei mer d’Bible».

Am Gegenteil begnügen sich Hausväter vom Schlag eine Bodenbauer wie eines Besenbinder45 nicht mit stillem Lesen. «Am Sonntag las der Vater sein Kapitel und erklärte, was er wußte; und derentwegen hatten die Kinder großen Respekt vor ihm, betrachteten ihn wirklich als den Hausvater, der mit Gott rede, und wenn sie nicht gehorchten, es Gott sage und dem Heiland.»46 Zur Aussöhnung aber nach verhängnis­vollem Zwiespalt reicht Änneli dem Ehemann die Hand und sagt: «Du hast Recht! chömit Chin͜d, mir wei es Kapite͜l läse47 — Nun begreift sich, wie aus den hierbei fallenden persönlichen und gelegentlichen Anwendungen der Brauch, «ein Kapitel (oder ‹den Text›) zu lesen»,48 einen ganz eigenen, und zwar nicht «heimeligen» Gefühlswert bekommen mußte. Einen49 oder Einem z’kapitle, abz’kapitle gestaltete sich in diesem übergetragenen Sinn zum Vor- und Gewohnheits­recht der Frau. Ein Mann wie Ankenbenz50 tat es trotz den dringendsten Gründen und den besten Absichten nur mit Widerstreben, und sein Bruder mußte bitten: «O Benz, kapitle nur! du glaubst nicht, wie wohl es mir tut!» Sonderlich gegenüber Dienstboten sind solche Kapitlete «meist von guter Wirkung»,51 wenn nur nicht das «tüchtig»52 in ein «lang»53 oder gar ein «mörderlich»54 ausmündet. «Ein Wort so im Vorbeigang zieht oft mehr als ein Kapitel.»55

Bei solcher Ausdehnung der angewandten Bibelkunde kann es nicht verwundern, wie häufig und wie überraschend scharf und treffend bisweilen der gemeine Mann sich für eine Behauptung, einen Einfall, ein Bild, einen Vergleich auf die Bibel beruft. Um so mehr, für je unumstößlicher ihr Wort gilt, nicht etwa zufolge irgend einer Dogmatik, sondern nach Aussage des religiösen Gefühls, das ja Autoritäts­bedürfnis im höchsten Grad ist und nur durch äußerst seelenkundige Belehrung voll kongenialer Fühlung vor starrem Buchstaben­glauben bewahrt werden kann. «Das chan der säge, u das söḷḷ fest sịị wi n es 610 Wort us der Bible» ist nicht nur eines «Besenbinders»56 Rede. Drum werden auch aus der Bibel «geflügelte Worte» geholt — nicht selten unter Aufwartung mit Kapitel und Vers — wie diese: «Was du tun willst, das tue bald!»57 Einen «Stein des Anstoßes»58 (vgl. S. 15) entfernt aus der Pflugfurche ein humoristisch gebliebener Bauer, während ein anderer in Zorn geriete oder drị luege wurd wi di sibe tụ̈ụ̈re Jahr.59 Aber auch von «Wölfen im Schafpelz»60 weiß man zu reden, und unter Augenzwinkern heißt es sarkastisch von einem: «er ist äben im Chlịịne treu»61 (aber im Großen nicht)!

Freilich soll dann auch manches i der Gschrift staa, was in der Bibel nicht, oder nicht so steht. Zum Beispiel Schilderungen, wie es im Himmel aussehe;62 oder der Beweis, daß die Sonne nicht still stehe, weil ja sonst Josuas «Stehe still!» gegenstandslos wäre;63 oder daß das Getreide nicht mit der Sense geschnitten werden dürfe, weil in der Bibel nur von der Sichel die Rede sei.64 Verhängnisvoller sind Bibelauslegungen, die noch vor zwei Jahren einen sektiererischen Knecht dazu führten, zur Selbstbestrafung für einen im Zorn entfahrenen Fluch sich einen Finger abzuhacken.65

Gern entschädigen wir uns für das Entsetzen an solchen Verirrungen an Bibeldeutungen wie derjenigen eines Mädi: Der Herrgott werde schon für ihn’s sorgen, gebe er doch auch den Lilien auf dem Felde zu essen.66 Oder an der Versicherung einer alten Pfarrmagd: mi chönn’s naheläse, es stand im dritte Buech Samuel im sibezähete Kapitel, es gchenni de nüüsti no d’Bible.67

Erwähnt sei an dieser Stelle die nicht ganz vereinzelte alte Sitte, in den ersten Kindsbrei ein Blatt aus dem neuen Testament einzurühren.68 Harmloser ist ein anderes Beginnen, das Kind fromm zu machen: Hinbetten des Täuflings, sobald er aus der Kirche heimgetragen ist, auf die Blätter der aufgeschlagenen Bibel, deren hernach gelesener Wortlaut zudem bedeutsam für des Kindes Zukunft ist. Ursprünglicher Zweck dieser Manipulation war freilich ein anderer: Schutz vor bösen Geistern. Zu nämlichem Behuf wurde und wird dem Toten ein neues Testament unter das Kinn (anderwärts in die Hände oder auf die Brust) gelegt.

Nicht unsympathisch hinwieder mutet uns an, wenn nicht nur ein Käthi an Weihnachten (S. 604), sondern auch der Schuldenbauer69 und 611 sein Weib zu Antritt ihrer schwierigen Pacht aus der Bibel das Looswort ziehen und aus ihrem günstigen Wortlaut frohe Hoffnung auf die Zukunft schöpfen.

Zu häuslichen Erbauung70 dient auch das Kirchen­gesangbuch, noch heute bei Ältern das Psaḷmebuech71 genannt, wie das Kirchenlied der Psalme72 (vgl. S. 604) heißt. Bis 1853 enthielt nämlich das bernische Gesangbuch nebst einigen angehängten «Festliedern» die 150 alt­testamentlichen Psalmen in Ambrosius Lobwassers, später Stapfers Umdichtung,73 und auch das von 1853 bot deren noch 71 vor den «Liedern und Festliedern». Die vier Stimmen für gemischten Chor waren einander gegenüber auf vier Blattseiten­hälften separat gedruckt; zudem gab es vor 1853 Ausgaben, welche jene rautenförmigen Noten ◇ mit und ohne «Stiel» für sämtliche Strophen (Värs̆ oder G’satz) einer Nummer wiederholten; das waren dü̦ü̦rụụs g’nooteti Psaḷme­büecher. Man begreift also den drastischen Vergleich: e Bitz Fleisch wi n es vierstimmigs Psaḷme­buech. Zum bequemen Mittragen in der Tasche gab und gibt es auch Ausgaben mit nur einer Singstimme: ’s dünn Psaḷme­büechli.

Als Erbauungsbuch galt ferner seinerzeit der in Schule und Kirche gebrauchte Heidelberger-Katechismus, nach dessen Fragen («Fragi»)74 und Antworten kurzweg das Frage-Buech geheißen. Die nämliche Bezeichnung gilt seither von allen andern Leitfäden für den kirchlichen Religions­unterricht, einerlei, in welchem Stil sie gehalten seien. Fragebuch, zweu­beinigs Fragebuech heißt übertragen ein wißbegieriges oder auch nur neugieriges, vorwitziges Kind, das durch unausgesetztes Fragen Eltern oder Lehrer in Verlegenheit setzt oder in die Enge treibt.

Besonders hochgeschätzt war jederzeit di ersti Frag75 des alten «Heidelberger», genauer gesagt: deren gehaltvolle und formvollendete Beantwortung. Zụ̈̆gnu̦ß aber (alte Mehrzahl: Zügnussen) ist der nunmehr altväterisch klingende Name für die biblischen Belegstellen. Da dieselben sich durch kleine Schrift von der systematischen Darstellung abzuheben pflegen, so gilt als vergröberndes Bild etwa für dünnen Kaffee oder für eine kärglich dünne Brotschnitte die Rede: mi chönnt Zügnuß de̥rtü̦ü̦r läse.

Der Heidelberger war das Hauptlehrmittel auch der alten Schule vor und selbst nach 1830, als diese noch ganz im Dienst der Kirche stand, aus der sie herausgewachsen war.

 
1 Zu den hochbedeutenden theologischen Ausdrücken pistis und fides stellt sich wie unser beite (harren) auch «bitten», wozu altdeutsch das bet und die bëte, letzteres auch im Sinn von «Gebot», von «Befehl» und sogar von «Steuer», alles mit dem Grundbegriff des Vertrauen entgegen­bringenden Zuredens, dann des eindringlichen Anhaltens und schließlich des Zwangs. Aus bëte = Bitte entwickelte sich «beten», unser bäte. Vgl Kluge5: 42 f.; Streitberg urgerm. Gr. § 105.   2 SchM. 2, 170-8.   3 Sylv. 243.   4 Geltst. 4 f. 129 f.   5 Segen 13. 87. 89.   6 Besuch 176 f.   7 GG. 3, 171.   8 MW. BK. 48.   9 Dursli 296.   10 Schweiz 1901, zu 544.   11 Erbv. 70.   12 GG. 1, 18; Ztgst. 2, 168; Joggeli 41.   13 Gf. SF. 1902, 245; Spinne 19; Amtsr. 115.   14 BSp. 77; Ott 1, 7.   15 Alte Gesch. 265.   16 AB. 1, 12; Beitr. 640.   17 Ebd.; Käthi 19.   18 Vgl. Schuldb. 54.   19 Wahrscheinlicher allerdings von dem «Schandzeichen», nach dessen Ähnlichkeit auch vom Pure- oder Anke-Feufi (das der Käser mit der Spatel als Gewichtszeichen auf die Butterballen aufträgt) gesprochen wird.   20 Schuldb. 309.   21 Wer sich darum interessiert, schlage unsere zahlreichen Verweisungen nach und vergleiche noch dazu «Was unser Volk betet» im Volksblatt f. d. reform. Kirche der Schweiz (jetzt «Kirchenblatt») 1873, Nr. 50.   22 «Von meinem rosenfarbenen Blut». Solches Silben­verschlucken und Entstellen begegnet naturgemäß allen mechanisierten Hersagen, das zuchtlos zum Herunter­plappern wird.   23 Müller Hk. 82.   23a Bern, Biograph. II.   24 AhV. 12, 291.   25 AR. 1825, 232; Sonnt. 107.   26 Kyburz (1754) a6.   27 Nicht «Arndts» (Ztgst. 2, 31; SchM. 2, 53); vgl. Beiträge 106.   28 SchM. 2, 165.   29 2, 265 ff.   30 Matth. 6, 26 ff.   31 Was kein Verstand der Verständigen sieht...   32 SchM. 1, 33; 2, 168; EvE.   33 SchM. 2, 254 uö.   34 360.   35 Blösch 1, 432.   36 Käthi 412.   37 Gemäß der ursprünglichen Mehrzahl biblia.   38 Blösch 2, 139.   39 UK. 184.   40 UK. 84; Dursli 319.   41 MW. 2J. 268.   42 AB. 1, 22.   43 184.   44 SchM. 1, 390.   45 364.   46 Ebd.   47 GG. 2, 44; vgl. 1, 126.   48 UK. 6 f.; Ztgst. 1, 21 129; AB. 2, 102 heißt es: «Die Kapitel (vgl. die Leviten) lesen».   49 Elsi 53.   50 Ztgst. 2, 212.   51 UK. 7.   52 Käthi 204 Hs.   53 AB. 2, 257.   54 Land 48.   55 Ztgst. 1, 21. Da die pastoralen Kreis­versammlungen vor 1874 mit Vorlesung eines Bibelabschnitts begannen, hießen auch sie «Kapitel».   56 370.   57 MW. 2J. 274 cf. Joh. 13, 27.   58 Jes. 8, 14; Röm. 9, 33; 1 Pet. 2, 8.   59 Mos. 41, 27. 30.   60 BSp. 419 cf. Matth. 7, 15.   61 Luc. 19, 17; Matth. 25, 21.   62 SchM. 1, 33.   63 Ebd. 2, 448.   64 Ök. Q 2 G9.   65 EvE. 1902, 55.   66 AB. 2, 51.   67 MW. 2J. 262; vgl. die Schnurre Schuldb. 235 und Tschumperts bündnerisches Wörterbuch unter «Bibel».   68 AB. 2, 128.   69 397.   70 Sonnt. 105; Käthi 238 188.   71 UK. 18 180.   72 SchM. 1, 9 10.   73 Blösch 2, 139.   74 Bsp. 408.   75 Kirchl. Jahrb. 1890, 142.  
 

Taufe. Gotte und Götti.

Zur Tauffi erschienen im Jahr 1902 in der Kirche zu Lützelflüh 73 Kinder. Bis vier Täuflinge umringen zeitweilig am Freitag oder zur Einleitung des Gottesdienstes1 am Sonntag den Taufstein. Daß sein Kind mit demjenigen des Begüterten und Vornehmen «im glịịhe Wasser ’tauft wärd»,2 tröstet manch einen Stiefsohn des Schicksals in Erinnerung an den paulinischen Gedanken, «daß wir alle in Christo eins sind.»3 In nicht seltenen Fällen wird der Pfarrer zur Nottaufe ins Haus gerufen: das kranke Kind soll nicht ohne Verband mit der höchsten aller Lebens­gemeinschaften aus der Welt scheiden. Welche Veredlung der (noch heute nicht völlig abgetanen) Verurteilung der ungetauften Kinder zur Verdammnis!4 Wenn nach uralter halbheidnischer Vorstellung untaufti Chin͜d ins wütende Heer kommen5 oder zwischen Himmel und Erde schweben:6 so ist es dem weit fürchterlichern Teufelsglauben des Mittelalters ganz entsprechend, wenn in der «Schwarzen Spinne»7 sich wirktich ein Weib bereit findet, dem Teufel als Fuhrlohn für die hundert Buchen zum Bärhegen-Schloß ein ungetauftes Kind auszuliefern. Und bereits als eine Milderung des entsetzlichen «Glaubens» muß es gelten, wenn solche Kinder unter der Dachtraufe der Kirche begraben wurden, damit das durch den Ort geweihte Wasser vom Himmel die Taufe nachhole und der dämonischen Gewalt ihr Opfer entreiße.8 — In «uufrichtig9 oder uschuḷdig wi n es un’taufts Chin͜d» liegt jedenfalls eine lieblichere Vorstellung.

Es liegt in der Natur der Sache, daß mit der Zeit ausschließlich das Moment der kirchlichen Gemeinschaft den Begriff der Kirchentaufe ausmachte. Wie wenig aber die ursprüngliche Grundidee der Reinigung sich völlig zurückdrängen läßt, beweist die im Berner Taufbüchlein von 1528 10 vorgeschriebene Ansprache des Pfarrers nach vollzogener Taufe «zu dem hembdly»: Gott verlich dir dz du (Täufling) wie du yetz mit dem wyssen kleyd lyplich angezogen wirst, das du also am jüngsten tag mit reiner vnuermaßgeter11 conscientz vor jm erschynest, Amen.

Man ersieht daraus, von welchem symbolischen Belang das schneeweiße Tauflinnen ist, in welchen noch heute auch ganz mittellose Eltern ihr Kleines in der Kirche erscheinen lassen.

613 Stärker freilich haften im deutenden Glauben und Brauch andere um die Taufe sich gruppierende uralte ungeschriebene Gebote; z. B. dies, daß man nicht mit ungetauften Kindern unter dem Dache weg gehen solle.

Wie aber der Taufakt selbst, so ist auch schon der Taufweg dem Bereich der Alltäglichkeit entrückt, ist vorbildlich für «des Kindes Eingänge und Ausgänge sein ganz Lebenlang.»12 Überirdische Gewalten reden dazu nach «Großvaters» Glauben ihr erstes Wort: Hagel und Blitz sollen «schrecklichen Tod, oder aber großes Glück im Kriege» bedeuten.13 Näher schon kommt der Wirklichkeit die ebenfalls «großväterliche» Überzeugung: Ein Kind, das man im Wagen zur Taufe fährt, statt es auf den Armen zu tragen, wird träge.14 Das rechte Wort in dieser Sache aber findet das junge Vreneli, die in aller Bedrängnis hochsinnig gebliebene Pächtersfrau als Patin.15 Kein «gesticktes Käppchen mit dem roten Seidenbande»16 schmückt «das arme Würmlein» der einstigen Schulgenossin, kein aus einer «Drucke» hervorgezogenes Kränzchen, keine «Spitzenkappe mit prächtigen schwarzseidenen Haarschnüren»17 ziert die gleichwohl stattlich angetane Bäuerin. Aber mit einem «In Gottes Namen» voll hochherziger Entschlossenheit, für den Täufling und die blutarme Mutter ihr Bestes zu tun, trägt sie das Kind zur Kirche.

So hätte ihr freilich schon der Brauch geboten: von den zwei Patinnen, die die Landessitte für ein Mädchen fordert, trägt die jüngere es zur Taufe. Die ältere rüstet es zu, während allfällig im gleichen Wasser zu taufende Buebe voraa chöme; dann trägt sie es der ebenfalls sonntäglich gerüsteten18 Person19 zu, welche mit dem Täufling wieder heimkehrt. Vor der Kirchentüre hat die letztgenannte die Handlung abgewartet, da und dort, z. B. in Sumiswald und Trachselwald durch einen kleinen Vorbau, das Gotte­schöpfli, gegen Wind und Wetter geborgen.

Auf dem Heimweg soll die Trägerin sich hüten, unter Bäumen oder sonst irgendwie am Schatten plaudernd stehen zu bleiben. Sonst wird auch das Kind ein Plappermaul.

Ihre Mühe aber wird extra belohnt durch ein Glas Wein, das man ihr auf dem Weg entgegenträgt oder doch alsbald nach Betreten des Hauses in solenner Weise darreicht. Man sagt heute: das gibt aufgehellte, heitere Kinder. Indessen steckt wohl dahinter eine tiefere Bedeutung, die denn auch früher noch durch Salz und Brot feierlich hervorgehoben wurde.20

614 Dabei lautete ehedem eine der ersten Fragen: Und, het e̥r (oder: e̥s) si i der Chiḷche stiḷḷ g’haa? Eine verneinende Antwort wurde sehr ungern gehört, und man baute ihr nach Möglichkeit vor. Denn, hieß es, Chin͜d wo bi der Tauffi plääre, läbe nid lang. Heute lacht man darüber und sagt: Schreiende Kinder beweisen grad eben, daß sie gesunde Lungen und große Lebenskraft besitzen; auch lernen sie singen. —

Wie das Mädchen zwei Patinnen und einen Paten, erhält der Knabe in der Regel umgekehrt eine Patin und zwei Paten. Mit bloßer Zweizahl begnügt sich, wer als Vater einer zahlreichen Familie scho afen i de Chehren um choo ist; vier Gevattersleute — je zwei und zwei — bekunden dagegen vor aller Welt den Jubel, daß endlich der Stammhalter, oder das eben so sehnlich erwartete Mädchen da ist.21

Zuehestaa:22 so lautet der echt volkstümliche Ausdruck für die öffentliche Ablegung des Taufgelübdes durch die Taufzeugen im Namen des Unmündigen. Schon etwas veraltet ist «z’G’vatter staa»,23 während «Gvatterlụ̈t»,24 («die Gvatterti»)25 noch ganz frisch klingt. Wie sehr einst auch «Gevatter» dem Volksmund geläufig war, beweist das heutige gvätterle26 für das schriftdeutsche «spielen», und Gvätter­zụ̈ụ̈g für Spielzeug. Man erinnere sich, wie gerne kleine Mädchen an der Puppe die einmal gesehene Taufe in harmlosem Zeitvertreib nachahmen, Gottelis mache, und wird sofort begreifen, wie leicht gvätterle auf den ganzen Umfang des Kinderspiels sich ausdehnen konnte. «Mir wei da nit gvätterle, wie d’Chinder es Huus baue u ’s wider umstoße!»27

In einem Berner Mandat von 1610 wird befohlen, einem Täufling nicht mehr als drei «gfätterte» zu halten. Mit dieser Endsilbe stimmt die des Plurale tantum Götteti, Götterti, Göttete, Götterte, neben Göttetine, Göttertine, Göttertene.28 Schon die Uneinheit­lichkeit dieser Formen deutet auf ihr Zurücktreten hinter: der Götti, Mehrzahl: Göttine, «Göttene»;29 die Gotten («Taufgotte»,30 eine und mehrere). Ostschweizerisch, oder allenfalls bei uns kindlich, klingt «der Göttima»,31 wie «Vetterma». Fügen wir diesen Namen gleich die Doppelbedeutung bei, welche auch in dem obendrein bei Gotthelf32 zugleich weiblichen «Pate»33 steckt: Taufzeuge und Patenkind. 615 Nicht einverstanden war mit solchem Doppelsinn jener Sechsjährige aus Grünenmatt. Auf die freundliche Begrüßung: «gäḷḷ, du bist ja mi Götti!» replizierte er des entschiedensten: «Nei, du bist mị́ Götti!» Weiblicherseits wäre wegen der Unterscheidung zwischen «Gotte» und Gotteli,34 die aber schon für «Patin»35 wieder aufgehoben ist, ein solcher Dialog unmöglich. Das Patenkind heißt auch Gottechin͜d.36

Ein kleines Wortbereich; aber welch großes, reiches Gebiet des Seelenlebens im Berner, zumal dem Emmenthaler, klingt in ihm voll und mächtig aus! Schon in der Form des «Volksglaubens» an die sympathetische Macht der persönlichen Berührung. D’Gotte mues dem Meiteli’s erste Zü̦pfli (den ersten Haarzopf) mache; de überchunnt es schöni längi Haar. Und wieder, wenn der Götti oder d’Gotte ihr totkrankes Patenkind auf den Schoß nehmen, so git’s en Änderig: die Krankheit wendet sich zum guten oder zum schlimmen Ausgang. Man muß denn auch die fast andächtig zu nennende Verehrung gesehen haben, mit der ein Kleiner zu seinem Götti emporschaut; muß das Hochgefühl eines Vaters ermessen haben, das ihm die Wahl eines hochstehenden Götti für einen hoffnungsvollen Sohn einflößt — um auch die furchtbare Steigerung der Tragik im Leben Klaus Leuenbergers zu würdigen, die in der Patenschaft des Landvogts Tribolet für Leuenbergers Sohn Niklaus (1650), wie des Pfarrers Ächler in Rüderswil (1646) für einen andern Sohn lag.37

Der Name «Gotte», «Götti» hat einen ganz eigenen, zauberischen Klang für des Kindes Herz,38 «übt darin eine Gewalt, welcher man sich kaum bewußt wird.» Und schon «am Ton der Stimme» wird ein Beobachter merken, ob Einer es mit einem «Götti» oder einem Güterbuben zu tun habe.39 Ebenso wenn eine Bäuerin sagt: «Ich bin dem Gotte», so hat dieses eine eigene Bedeutung in ihrem Munde. Es regt sich etwas Warmes in dem Herzen für das arme Kind, in die Behandlung kommt etwas Mütterliches.40

«U we ’s Chin͜d seit: Das ist mị Götti! Das ist mị Gotte! so tuet es ’s eso mit e mene ganz eigete Stolz, wi n er numen e mene rächte Chin͜d guet aasteit. Es ma no so frömd sịị: es wird ị̆hm un͜der einist, wi wenn ääs i däm frömde Huus on es eiget’s Chin͜d worde wäär, oder doch sịnen Pflegelteren nach, nach verwandt. Ja, nid nume die, au d’Dienste sị ganz an͜ders̆ gägen ị̆hm, weder süst, un e Jumpfrau ist im Stand, e mene Chnächt z’säge: Gib Achtig was de machst, der Meister ist sị Götti!»41

616 Gewiß schlägt auch hierin die Hebung des Selbst­bewußtseins etwa in Unbescheiden­heit, wohl gar Unverschämtheit aus.42 «Ja, wenn öpper us der Familie z’Gvatter gstanden ist, so laat si aḷḷs gäng gäge’m Hof zue u meint, es sig haḷb da daheim, wenn scho Götti oder Gotte nümme da sii.»43 In welchen Worten hält das Dürluft-Eisi den Ehemann dessen geringe Herkunft vor? «So eine schlechte Familie, wo auch gar nichts zu erben ist, wo nicht einmal Götti und Gotte mehr leben, ist mir doch auf der Welt noch nie vorgekommen!»44

Indes braucht man für Schranken gegen derlei Übergriffe nicht erst zu sorgen. Gut ist im Gegenteil, wenn recht viele «Bauernpflegel»45 die feine und hohe Gesinnung teilen, mit welcher gar nicht wenige schlichte Landleute elternlose Paten an Kindesstatt annehmen,46 allfällige andere Versäumnisse vollauf gut machend,47 jedenfalls ohne auf Dank der Welt zu rechnen. Ihnen winkt höherer Lohn. A1s Änneli sich der ruhrkranken Kinder eines ihr fremden Hauses annahm, «sie säuberte, reine Hemden ihnen anzog, sie tröstete, ihnen zu trinken gab, ... da fragte sie das Kleinste, ein blasses, aber lieblich Mädchen mit krausen blonden Härchen um den Kopf: bist du öppe mi Gotte? Ja, Chin͜d, sagte Änneli, di Gotte wil i sii.»48 Und in diesem Samariterdienst holt «die alte, schöne, freundliche Frau» sich den Tod.

Aber auch «wenn so ein alter frommer Götti was Frommes vor hat, so hat sein Leib keine Ruhe.»49 «Es wär um’s Probiere z’tüe»,50 wie sich dem Elend jener Leute abhelfen ließe, «und aḷḷwäg bin i gäng der Götti»,51 des toten Vaters sowohl wie eines der Kinder. Und er holt die ganze verwahrloste Schar ins Haus.

Als Ironie, die sich auch in die häufige Redensart kleidet: du bist mir e guete Götti! sticht gegen solche Hoheit der filzige, egoistisch verkniffene Mucker ab, welcher sich der Gott’s Wiḷḷe eines Meyeli «angenommen» hat,52 und dessen Betragen einer Jowägerin den sie gut charakter­isierenden Vorwurf gegen die Sohnsfrau entlockt: «Schäme söttst di, e sẹlige Götti z’haa!»53

Verstand in Rechts- und Berufssachen: das ist das Minimum, welches der Großvater Uli,54 selber auch e guete Götti, an Leistungen von einem solchen fordert; die dann aber sogar zugunsten noch eines vierzigjährigen Ehemanns und Vaters. Des sterbenden Großvaters letzte Sorge ist, den immer noch Leitungs­bedürftigen einer starken Autorität zu unterstellen — einer Autorität, welche so groß werden kann, daß Einer sie gelegentlich gegen den eigenen Vater ausspielt.55

617 «Einen solchen Götti sollten viele Kinder haben, und allweg jede Waisenbehörde den Sinn dieses Götti.»56 Ja einem patenlosen Kinde sollte «die ganze Gemeinde Gotte und Götti sein. Ist doch sie zugegen, wenn es getauft wird, bildet eigentlich den größern Kreis der Taufzeugen, ist zu Brüdern und Schwestern dem Kleinen geweiht.»57 Ein echter Gotthelf-Gedanke, der denn auch heute verwirklicht wird in einer ganzen Anzahl «Gotthelf-Stiftungen». Im Lehrlings-Patronat hat er 1904 auch gesetz­geberische Verarbeitung gefunden. Im Bitzius-Fonds aber hat die Gemeinde Lützelflüh dem schönen Denkmal aus Stein und Grün ein verborgen wirkendes lebendes zur Seite gestellt.

Es haben eben nicht alle Kinder Gotte imd Götti; namentlich arme, namentlich uneheliche Kinder nicht.58 Die Mehrzahl mag Menschen und Dingen, bei denen nichts zu holen ist, nid Götti sị. «Der Zitgeist» ist Götti einem glücklichen Streber;59 mit welcher Mühe dagegen erlangte der «Gevatterbrief an das Publikum», wie Gotthelfs «Schulmeister»60 ursprünglich heißen sollte, am richtigen Orte Gehör! Mit welcher Mühe auch arbeitete sich der Straßersche Schuel­götti durch, um mit der eidgenössischen Schulsubvention den vor zwanzig Jahren «tief im Grund» begrabenen «Schulvogt» zu ersetzen! Begraben ist aber im Emmenthal — nicht anderwärts — auch schon seit zwei Menschenaltern (also ungefähr gleichzeitig mit dem «Schulmeister») d’Lehrgotte. Nur etwa humoristisch wird dieser alte Titel, der heute bloß noch der Arbeitslehrerin da und dort gilt, unter Lehrerinnen selbst gelegentlich aufgefrischt. Der Vergangenheit gehört denn auch das sechsjährige Mädchen an, das andachtsvollen Blicks mit dem Händchen auf eine Stelle in seiner Fibel wies: da het d’Lehrgotte der Finger ghaa! Es konnte dies aber auch füglich eins derjenigen sein, die bereits «zwölf Jahre alt der Mutter ihre Lehrgotte werden.»61 Noch heute weiß man dagegen in Lützelflüh, was eine Schueḷ­huusgotte ist: eine Lehrersfrau, die hier ein dürftiges Kind mit einer selbst­gefertigten Schürze erfreut, dort einer Kranken abwartet und mit seinem Takte grobe Arbeiten angreift, am dritten Orte, wie sie kann und mag, die fehlende Mutter ersetzt — in jedem Haus eine freudig begrüßte Erscheinung.

Derweilen nimmt der Vater eines siebenten oder achten «Würmleins» ’s Härz i beid Händ und geht auf Gevatterbitte aus: ga tschä̆mele.62 Welch ein Gang! Dreimal muß er ja «dran glauben», während die Mutter doch nur einmal;63 und ebensogut dieser Umstand als «Weh und Schmerzen» um des Tauffests willen64 könnte ihm den Titel Chind­bettimaa65 618 (Chim­pettimaa, «Kindbettimannli»66 «Kindbettmannli»67) eingetragen haben.68 So zerknüllt und verdreht er denn in seiner Herzensangst,69 während er beim Anbringen seiner Bitte «d’r Gring gäng dert ume träijt»,70 den schwarzen Wollhut, welcher nebst dem Tuch um den Hals und dem Sonntagsrock am Werktag schon von weiten den ihm aus jedem Hause Nachschauenden verraten hat, «dä weḷḷ öppis angers̆.»71 Doch nicht genug: der arme Märtyrer seiner Pflicht muß auch noch bei der geselligen Ergötzung herhalten. Eine der heikelsten Pfänderlös-Aufgaben ist das Tschämele. Der Getroffene muß bei der ganzen Tafelrunde Abweisung um Abweisung einheimsen und bekommt die gesalzensten Anachoreten-Zusprüche zu hören.

Wer sich zu helfen weiß, läßt darum den berühmten Haagge­stäcke, diesen bäuerlichen Spazierstock auch für solche Gänge, zu Hause und ersetzt ihn durch eine bloße Abbildung am Kopf oder gar am Platz eines bittlichen Schreibebriefs. Der derart «Angehäkelte» (aa­g’haagglet) gibt eher guten Bescheid, und der Bittsteller entzieht sich der Demütigung, allenfalls mit einem «Zweifränkler», «Fränkli», «Haḷbfränkli» abgespeist zu werden. Noch entschiedener aber entfernt er sich damit von den Industrie­rittern, die grad eben zwecks Erschwindlung solcher Abfertigungs­gelder auf «Geschäftsreisen» gehen, nachdem sie bereits die nötigen Zusagen erlangt haben, oder sogar, wenn gar nichts zu taufen da ist.

Wenn aber selbst ein Meyeli ruft: «Herr Jeses, Herr Jeses, es wott mi Einer zur Gotte!»72 so tut es dies aus Scheu, sich in der Kirche sehen zu lassen.73 Wie gerne stünden am Platz der herrlich geschilderten jungen Frau ein Mädi74 oder Seinesgleichen, wenn nur der Götti danach ist,75 und der Täufling «ein Bub! von wegen, Buben bedeuten Glück im Heiraten; nume so n es Meitli het nit vil z’bidüte.»76 Das Entsprechende geschieht auf der andern Seite,77 und ein Chind­bettimaa («Gevattermann»),78 der Herzen und Stimmungen rundum kennt, lootst mit seiner Fühlung immer noch einmal sein Schifflein glücklich in den Hafen.

«Wenn ihr eine Gotte mangelt...»79 wie ganz anders tönt das in den Ohren der jungen Pächtersleute, als die Antworten, die dem «Schulmeister»80 zu teil werden! So spricht eine selbstlose Freundin; so die Stockgotte, die allzeit dienstbereite Gönnerin; so «der alte Götti, den man Vetter nannte»81 (der ostschweizerische «Vetter Götti», vgl. die 619 Base Gotte82). Dies gilt aber nur, so lange bloß ein, höchstens zwei Kinder da sind. Für weitere Patenschaften kann sogar die traurige Berechnung maßgebend werden, «Großeltern helfen die Kindbette ersparen»83 u. dgl. Oder es kann der Unsinn Platz greifen, daß der Vater selbst als «sein eigener Bürge»84 zuehesteit.

Wie aber, wenn z. B. ein «Hagelhans im Blitzloch» sich zwar will la ịịschrịịbe, aber «keine Kutte für die Kirche» hat?85 Oder wenn wirkliche Abhaltungs­gründe da sind? Dann muß die Schlotter­gotte her, der Schlotter­götti, der für den wirklichen Götti «bloß schlotteret86 Letzteres Zeitwort ist natürlich eine bewußt spaßhafte Abstraktion aus dem heute wirklichen Namen der Stellvertreter, der zuerst ebenfalls ein Scherz war. Er wird damit begründet, daß die Stellvertreterin am Altar vielfach ein schüchternes junges Mädchen ist. — Immer hebt ein solcher Ersatz sich noch weit ab von den traurigen bezahlten Gevattersleuten.87

We ’s Chin͜d ’tauft ist, isch es guet Götti z’sịị. In der Tat erkauft sich die Ehre einer Patenschaft mit nicht unbedeutenden Auslagen, ja bisweilen mit empfindlichen Opfern. Diese haben denn auch zu Witzen geführt, wie: churzi Ehr u längi Chöste,88 oder zu Vergleichen wie mit der gerupften Gans.89

Feinfühlige Eltern, arme wie reiche, verbitten sich große Auslagen allerdings unbedingt: heit eme͜l ja nid Chöste! oder sie fragen beim Empfang von Gaben, welches Gegengeschenk willkommen sei: öppen es Uhrechötteli? oder e Schileeblätz? oder es Baar brodierti Bandoffle?

Da verursacht zunächst der Ịịbun͜d bedeutende Kosten, auf die sich schon aus der Redensart schließen läßt: «öppis ịịbin͜de»90 d. h. Geld einbüßen, Schaden leiden, «Haare lassen». Freilich werden unter Umständen schon drei Franken hoch geschätzt, und die Mehrzahl der Gaben besteht in einem saubern Fünffrankenstück, dem frühern «Neutaler»,91 begleitet von einigem Kleingeld, damit das Kind später gfeliger sịịg (mehr Glück habe). Doch stiegen die Gaben schon zu Käthis92 Zeit «von einem Gulden bis zu einem Doppel-Louisd’or.» Das Geld wird eingewickelt (ịị’bun͜de) in ein künstlich gefaltetes Blatt, «schön gefärbt, oft zwei Engel obenan, unten ein schöner Spruch aus der Bibel, oder ein Vers (eine Liederstrophe), womöglih von Hand geschrieben,93 mit Anmerkung des Tages, und vom Paten unterzeichnet».94

620 Heiliges Geld, das solch ein Taufzö̆de͜l birgt! «Die blanken Stücke sind Zeugen von Liebe, sind Bürgen und Pfänder, daß man an Paten und Patinnen Stützen und Tröster habe im Leben, daß man jemand sei und nicht verlassen.»95 Die Art gewissenloser Eltern, dies Geld als ihr Eigentum zu gebrauchen, wohl gar es für das Tauffest draufgehen zu lassen,96 erfüllt eine Käthi97 mit Abscheu. Sie nimmt nicht einmal in tiefster Not98 den Vorschlag Johanneslis’ an, die großen schönen Batzen dem Mietsherrn zu bringen, um nicht ausgetrieben zu werden.99

Den Einbund begleitet aber noch eine Bchleidig oder Aalegig («Anlegung») des Täuflings: Hemmeli, Strümpfli, Chäppeli, Röckli, auch Schüehli.100 Bei Ausbleiben der Gabe ist es auch schon geschehen, daß man das Kind am Tauffest zum Hohn mit Strohzüpfen umwickelt zu Tische brachte.101 Bei diesen Auslagen102 bleibt es aber nicht. Es folgt an jedem Neujahr der Göttibatze oder das Guetjáhr:103 «ein Fünf-104 oder Zehnbätzner­stück».105 Heute schenkt man gewöhnlich e Zweufränkler, in e toḷḷe Wiehnḁcht­ring ịịg’steckt. Natürlich bleibt auch die Gotte hier nicht zurück.106 «Erinnert sich jemand, wie er es trieb, als ihm sein Götti oder die Gotte den ersten neuen Batzen gab? wie er den nicht aus der Hand brachte?»107

Wie erst, wenn das groß Guetjahr die ersten Hosen, den ersten Kittel108 bringt! Da braucht es auf einem freigebigen Bauernhofe ganze Stücke Tuch, um den Hoffnungen der Paten zu genügen.109 Welches «allergrößte Ereignis» aber auch für einen Johannesli, wenn er in den vom Paten geschenkten ersten Hosen zwei Stunden weit zum Vater reist.110

Endlich ist die Konfirmation da. Die brachte sonst dem angehenden Jüngling ein Trö̆gli, der Jungfrau ein ebensolches, oder ein Spinnrad; jetzt wohl einen Koffer, den auch der «Güeterbueb» zum Abschied erhält, wenn er noch ein Jahr beim Meister bleibt, wohl auch eine Uhr u. dgl.

So schenken natürlich nur vermögliche Paten, und weit sicherer als die Admissionsgabe ist denkwürdiger­weise die traditionelle Hochzeitssteuer: ein Deckbett- und Kissenanzug. Dieses letzte Geschenk wird aber auch gebührend erwidert (in Trub111 durch Tuch zu einem Rock). So kostete laut Pfarrer Lienhart in Huttwil (1764) eine Gevatterschaft «durch und durch» bei mäßiger Berechnung «Kronen zwantzig».112

621 Bisweilen tragen nun gar noch gutherzige Zeugen für mittellose Väter selber die Kosten des Tauffestes: der Chindbetti (Chimpetti), oder sie verzichten wenigstens auf jegliche Gegenleistung, oder vergnügen sich zur Schonung der Feinfühligkeit an einem Glas Wein samt Käse und Brot. In diesem Falle spricht man von chaḷter Chindbetti, von chaḷt tauffe und macht etwa den Witz: es het nume chaḷt gschlage (vom chaḷte Schlag her: dem Blitz, der nicht zündet), oder: es het nume g’chäpslet (von der Jagd der, wo nur die Zündkapsel, nicht aber die Ladung zum Knallen kommt).

Kammermusik auf dem Lande.

Solche Kostenersparnis käme noch manchem zu gut, namentlich bei etwas starker Konkurrenz zwischen Hochzeit und Taufe,113 wenn nicht selbst ein Mias und ein Anneli114 der Ehre wegen die Auslagen auf «sechzig Batzen wenigstens» berechnen zu müssen glaubten.

Und doch könnte und sollte hier wie nirgends das Einfachste auch das Passendste heißen. Denken wir uns so ein häusliches Tauffest, wo allenfalls die Hebamme als Meisterköchin das Szepter schwingt;115 622 wo gehaltreiche Rede auch ohne Spukgeschichten die Würze liefert; wo man zwischen hinein alte schöne Volksgesänge «wider einist fü̦̆re nimmt», schon damit nach altem Glauben auch der Täufling singen lerne: dann haben wir, auch ohne daß man dem Chind­bettimaa di lääre Fläschen uufhäicht,116 das Ideal eines gemütlichen Festes vor uns.

Außer diesem wird den Paten unter Umständen noch ein idealer Entgelt zu teil: Wenigstens früher regelmäßig durften je der ältere Götti, die ältere Gotte im Erstgebornen ihre Taufnamen verewigen. Das Patenkind eines Glaus hieß auch wieder Gläis,117 das einer Greetli auch wieder Gri̦tli.118 So innig haftete an der Persönlichkeit der Name, an der innern die «äußere Seele».

 
1 Früher, z. B. 1628 in Lauperswil, an beliebigen Tagen, wie «Donstag vor Laurentzen», «vff mendag vor gregorij». Taufb. 12.   2 Vgl. Ztgst. 2, 219 uö.   3 Gal. 3, 28.   4 BSp. 10; SchM. 1, 179 f.   5 Grimm Myth., «Aberglauben» 660. 936.   6 Vgl. Beitr. zu SchM. 2, 184.   7 33/34 ff.   8 Beitr. 16.   9 Christen 161.   10 Taufb. 19.   11 Vgl. Mose, Mase unter «Sauber».   12 UP. 266.   13 Spinne 13.   14 Ebd. 8.   15 UP. 266.   16 Spinne 12.   17 Ebd. 8.   18 Ebd. 14.   19 AB. 2, 87.   20 Vgl. A. f. Vk. 7, 131, 4.   21 Ein Täufling «Jeoryguus» (Georg) hatte 1628 in Lauperswil 5 götteni und 4 gottina (Taufb. 12).   22 Geltst. 45; AB. 2, 79.   23 GG. 3, 24.   24 Vgl. Dursli 250.   25 MW. 2J. 271.   26 MW. Ws. 44; 27 273.   27 MW. 2J. 228; vgl. BSp. 16.   28 Sonnt. 125; Ztgst. 2, 8.   29 Widm. 177; 1628: der göttj, Mehrzahl: die götteni, Weßf.: der göttenin (Taufb. 2, 12).   30 Ger. Tw. (1789); 1628: die gotten, Mehrzahl; die gottina (Taufb. 12, 16).   31 Geltst. 315.   32 UP. 254.   33 BSp. 132; Bsbinder 360.   34 MW. Anna 143; Ztgst. 1, 18; BwM. 123.   35 AB. 1, 477.   36 Bern. 2 l. 8.   37 SB. (Leuenberger Nummer).   38 Arm. 31.   39 Arm. 82.   40 Arm. 31.   41 Vgl. ebd.   42 Dursli 250.   43 GG. 3, 24 f.   44 Käs. 44.   45 BwM. 123.   46 Gf. SF. 1899, 81.   47 MW. BK. 37.   48 GG. 3, 149.   49 Geltst. 31l.   50 307.   51 308.   52 AB. 1, 384 449.   53 AB. 2, 38.   54 Sonnt. 116-125.   55 SchM. 1, 64 101.   56 Geltst. 346.   57 Arm. 83.   58 Arm. 82.   59 Niggi Ju. 215.   60 1, 1.   61 AB. 2, 482.   62 BSp. 11; SchM. 2, 141.   63 Ebd; vgl. Heiri 79.   64 UP. 267.   65 BSp. 132; SchM. 1, 13; MW. 2J. 135.   66 SchM. 2, 149.   67 UP. 254.   68 Vgl. das ethnologisch interessante «Mutterrecht».   69 BSp. 11.   70 SchM. 2, 141.   71 Ebd.   72 AB. 2, 78.   73 2, 77.   74 2, 80.   75 SchM. 1, 53.   76 Ztgst. 2, 173.   77 SchM. 2, 142.; Berner 2 l. 4.   78 Heiri 82.   79 UK. 438; BSp. 222.   80 2, 188-142.   81 Spinne 11; vgl. Heiri 28; Besuch 151.   82 Ebd. 170.   83 BSp. 11, 66.   84 UP. 118.   85 Ebd.   86 Ztgst. 2, 190.   87 Arm. 83.   88 Heiri 79.   89 Michel 188.   90 Ztgst. 2, 106.   91 AB. 2, 80; Spinne 10; SchM. 1, 52; Trub 30, 99.   92 119.   93 AB. 2, 80.   94 Käthi 119.   95 Ebd. 127 Hs.; vgl. Fröhlich XXXII.   96 Pfr.-Ber. 166.   97 121.   98 Vgl. AB. 2, 406.   99 Käthi 188; vgl. Nschwander 14.   100 Ztgst. 2, 16.   101 Ebd.   102 Zwischen 30 bis 40 L. (SchM. 1, 52 Hsa), die Geschenke an die Wöchnerin (BSp. 11) mitgerechnet.   103 Ger. Tw. (1789).   104 MW. 2J. 271.   105 Trub 30, 99.   106 MW. BK. 9; SchM. 1, 37.   107 Ebd. 2, 62.   108 Ebd. 1, 52.   109 BSp. 132.   110 Käthi 191.   111 30, 99.   112 Pfr.-Ber. 166.   113 SchM. 1, 296.   114 BSp. 225.   115 Spinne 6 ff.   116 AB. 2, 90.   117 Sonnt. 121.   118 Ztgst. 1, 18.